Historical Exklusiv Band 90

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AM KÖNIGSHOF DER LIEBE von ANNE HARRIES
Alle Ritter am glanzvollen Hofe Eleonores von Aquitanien sind dem Zauber der schönen Alayne verfallen – doch das Interesse gilt auch ihrem beträchtlichen Erbe. Da befielt die Königin der jungen Witwe, sich zu ihrem Schutz mit Sir Ralph de Banewulf zu vermählen. Obwohl seine tragische Vergangenheit ihr Herz anrührt und seine männliche Erscheinung ihr Begehren weckt, fürchtet Alayne sich, ihn nach England zu begleiten. Denn auf Sir Ralphs Burg Banewulf Manor sollen gefährliche Intrigen und ein dunkles Geheimnis lauern ...

DER FLUCH VON GLAMORGAN von JOANNE ROCK
Liebe, Leidenschaft und Eheglück – unerfüllbare Träume für die schöne Waliserin Ariana. Ein eifersüchtiges Weib verdammte die Glamorgan-Frauen dazu, von Männern unbeachtet zu bleiben. Die einzige Chance, diesem Los zu entfliehen, ist Roarke Barret, ein englischer Ritter, der die alten Verwünschungen nicht fürchtet und eine walisische Braut sucht. Ariana überlistet ihren Vater, der diese Heirat verbietet, und wird mit Roarke vermählt. Doch noch ist der Fluch nicht gebrochen. In der Hochzeitsnacht zeigt sich, dass jemand diese Verbindung mit allen Mitteln bekämpft ...


  • Erscheinungstag 20.07.2021
  • Bandnummer 90
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502283
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Harries, Joanne Rock

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 90

1. KAPITEL

Alayne blickte auf den Bach, der sprudelnd über Steine dahinplätscherte, denen die Strömung im Laufe der Zeit eine glatte Form verliehen hatte. Das Wasser war so klar, dass sie sogar kleine Lebewesen auf dem sandigen Grund erkennen konnte. Hinter sich vernahm sie das fröhliche Lachen und Scherzen der Höflinge. Eine der Damen spielte die Leier; andere liefen bald hierhin, bald dorthin und lachten ausgelassen, während sie sich an törichten Spielereien ergötzten.

Es ist zu heiß, um sich mit überhaupt etwas zu beschäftigen, dachte Alayne. Mit einem Seufzer tauchte sie die Finger in das kühle Nass. War sie der schier endlosen Vergnügungen, die der „Cour d’Amours“ zu bieten hatte, allmählich überdrüssig? Der Hof von Poitiers wurde oft so bezeichnet, nicht zuletzt wegen der Troubadoure, welche von der edlen höfischen Liebe sangen, die sich viele erträumten, aber nur wenige wirklich fanden. Manchmal glaubte Alayne, die ritterliche Liebe sei lediglich ein Mythos. Inzwischen hatte sie wahrlich genug von den Ränken bei Hofe und empfand das Leben als oberflächlich. Doch wohin sollte sie gehen? Es gab keinen anderen Ort, an dem sie sicherer wäre, als den „Cour d’Amours“.

Ein kleiner Schauer durchrieselte sie, als sie an das Schicksal dachte, welches ihrer harrte, wenn sie gezwungen wäre, den Hof zu verlassen. Alayne wusste sehr wohl, dass sie lieber müßige, mit allerlei angenehmem Zeitvertreib angefüllte Tage verbringen wollte, als denjenigen Menschen ausgeliefert zu sein, die ihr Leben zu bestimmen suchten. Eine große Traurigkeit verdunkelte ihr liebliches Gesicht bei den Erinnerungen an ihre Flucht von zu Hause.

„Alayne! Komm und leiste uns Gesellschaft“, rief eine der Damen übermütig. Sie rannte an dem Bach vorbei, dichtauf verfolgt von einem jungen Edelmann, der sich einen versprochenen Kuss abholen wollte, den das kecke Fräulein ihm indes nicht zu gewähren gedachte. „Rette mich vor diesem schlimmen Verführer, ich bitte dich.“

Alayne rang sich angesichts dieser Tändelei ein Lächeln ab, doch sie schüttelte den Kopf. Im Augenblick war sie nicht in der Stimmung, an den Spielchen teilzunehmen. Zumal sie allen Grund zu der Annahme hatte, dass das Mädchen geradezu darauf erpicht war, erhascht zu werden, sobald sie einen abgeschiedenen Ort innerhalb des Gartens erreichte. Es mag angenehm sein, von einem gut aussehenden Mann geküsst zu werden, dachte Alayne – wenn sie doch bloß so unbeschwert und ausgelassen wie jene junge Adlige sein könnte!

Obschon sie sich ihre Niedergeschlagenheit nicht anmerken lassen wollte, hatte mehr als einer der anwesenden Herren ihren Gemütszustand wahrgenommen, denn Alayne gehörte zu den Frauen, die mühelos die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zogen.

In diesem Moment schweiften ihre Gedanken weit vom Geschehen bei Hofe ab und kreisten einmal mehr um jene düsteren Jahre, die noch nicht lange zurücklagen. Nun war es beinahe zwölf Monate her, dass sie in ihrer Verzweiflung den Schutz von Eleonore von Aquitanien erbeten hatte, einer entfernten Verwandten ihrer Mutter. Immer schon hatte Alayne die Königin bewundert, die nunmehr mit Henry von Anjou, dem gegenwärtigen Herrscher von England, vermählt war. In ihrer misslichen Lage hätte sie sich an niemanden sonst wenden können.

„Warum so nachdenklich, Madame?“

Alayne schaute auf, als sie die Stimme von Baron Pierre de Froissart vernahm, und lächelte. Die meisten Damen schätzten diesen charmanten, gut aussehenden Mann mit seiner angenehmen Singstimme und den tadellosen Manieren.

„Ich gewähre nicht gern Einblick in meine Gedanken, Monseigneur.“ Sie schürzte die Lippen, doch ihr unbewusst schelmischer Blick ließ das Herz des Ritters für sie entflammen.

„Gestattet Ihr mir, mich zu Euch zu setzen, Madame?“

„Gewiss, Monseigneur. Ich bin meiner selbst überdrüssig.“

Pierre de Froissart lachte ungezwungen und setzte sich beschwingt neben sie in das trockene Gras. Zwar begegnete er Alayne beinahe jeden Tag, aber bislang hatte er noch nicht den Versuch unternommen, um sie zu werben. Alayne wusste, dass einige adlige Frauen für diesen Ritter schwärmten. Womöglich hatte er schon mehr als einer Dame den Hof gemacht. Doch diese Affären wurden stets geheim gehalten.

Eine ungeschriebene Regel der höfischen Liebe besagte, dass sich alles Werben diskret und fernab der Öffentlichkeit abspielen musste. Ein Minnesänger pflegte seine Angebetete heimlich aufzusuchen und erwies ihr seine Ehre durch Verse, Balladen oder kleine Geschenke. Die Dame ging auf die Bitten des Mannes ein oder nicht, ganz wie es ihr gerade beliebte. Diese heimliche Art des Werbens machte für viele den besonderen Reiz der ritterlichen Liebe aus.

„Mir scheint, Ihr habt Euch bewusst von den anderen abgesondert, Madame. Es gibt viele Männer, die Euch ihre Gunst beweisen wollten, hätten sie nur die Gelegenheit dazu. Ihr haltet Eure Bewunderer auf Distanz, möchte ich meinen.“

Seine Augen sahen zu viel! Alayne senkte ihren Blick und schaute auf den Bachlauf, doch ihr Herzschlag beschleunigte sich. Eine flüchtige Röte stieg ihr in die Wangen, und sie antwortete nicht sogleich, denn sie konnte nicht leugnen, an diesem Nachmittag die Einsamkeit gesucht zu haben.

Die junge Hofdame war eine ausnehmend anziehende Erscheinung mit ihrem dunklen Haar, das nur zum Teil von einem kurzen Schleier verdeckt war, und den wundervollen blauen Augen, deren Glanz keinem verborgen blieb. Ihre dunklen Wimpern waren lang und seidig, was geradezu eine magische Wirkung auf Männer ausübte. Mehr als eine Ode auf ihre Schönheit erwähnte diesen bezaubernden Augenaufschlag. Sie war eine Frau, wie sie sich die Männer erträumten, und manch einer stellte sich die Dame als aufreizende Verführerin mit roten Lippen vor, die sich förmlich nach Küssen sehnten. Gleichwohl strahlte Alayne eine Unschuld aus, welche die Flammen der männlichen Lust nur noch stärker anfachte.

Seit einigen Wochen schickte ein heimlicher Verehrer ihr Gedichte und kleine Blumengebinde. Der Bewunderer hatte ihr gegenüber noch nicht offen über seine Gefühle gesprochen, sondern seine kleinen Aufmerksamkeiten geschickt an Orten hinterlegt, an denen die Angebetete sie unweigerlich finden musste. Hin und wieder überbrachte auch ein Page, der Schweigen gelobt hatte, die Geschenke.

„Ich sehnte mich nach Ruhe, um … mich zu sammeln …“, sagte sie schließlich und schaute Pierre de Froissart unvermutet in die Augen.

„Ich würde ein Pfand für Eure Gedanken geben“, bot de Froissart an, als sie erneut verstummte. „Denn es schmerzt mich, Euch so traurig zu sehen.“

„Ihr braucht kein Unterpfand zu bemühen“, erwiderte Alayne. Dieses Spiel erfreute sich bei den Höflingen großer Beliebtheit, und die jungen Männer versuchten auf diese Weise Küsse und andere Freigebigkeiten von ihren Angebeteten zu erlangen. „Ich habe an nichts Besonderes gedacht. Nur, dass es gut tut, hier in der Sonne zu sitzen, und doch …“ Ein Seufzer entschlüpfte ihr, und sie schwieg wieder.

„Könnte es sein, dass Ihr Euch etwas anderes ersehnt, Madame Alayne? Etwas Edles und Vollkommenes, eine Nähe, die man nur selten antrifft und kaum je in der Ehe zu finden vermag …“ Er spielte mit einem langen Grashalm, während er Alayne genau beobachtete. In ihrer Unruhe strich sie sich wie abwesend mit der Zungenspitze über die Unterlippe und merkte nicht, dass diese unbewusste Handlung das Verlangen des Ritters nur noch steigerte.

„Ich hege nicht den Wunsch, erneut zu heiraten“, bekannte sie und erhob sich mit grazilen, geschmeidigen Bewegungen. Jegliches Gerede von der Ehe empfand sie als beunruhigend. Das lag nicht zuletzt daran, dass ihr Vater, der Baron François de Robspierre, versucht hatte, seine Tochter in eine zweite Ehe zu zwingen. Daraufhin hatte Alayne sich dem Schutz von Königin Eleonore anvertraut. „Eine Vermählung dient Bündnissen und sichert den Besitz. Die wahre Liebe aber ist etwas ganz anderes.“

„Fürwahr“, pflichtete de Froissart ihr unumwunden bei. Alayne war wundervoll, und wie viele bei Hofe träumte er von der schönen Dame und malte sich aus, wie es wäre, wenn er ihr Geliebter sein könnte. „Auch ich wünsche mir eine vertraute Nähe, eine Seelenverwandtschaft. Die von mir verehrte Dame von weitem bewundern zu dürfen ist mehr, als ich zu hoffen wage. Sie jedoch wirklich zu kennen und eine tiefe Verbundenheit mit ihr zu teilen, käme wahrlich dem Himmel gleich.“

Hitze stieg ihr in die Wangen. War etwa der Baron de Froissart ihr heimlicher Verehrer? Seine Worte deuteten an, dass er ernste Gefühle für sie hegte. Doch sie war sich ihrer eigenen Empfindungen nicht ganz sicher. Von den Damen bei Hofe hatte Alayne schon viel von dieser vollkommenen Liebe gehört. War sie wirklich bereit, sich auf eine solche Beziehung einzulassen? Ein Teil von ihr sehnte sich danach, die wahre Liebe kennen zu lernen, von der die Minnesänger erzählten. Im Grunde ihres Herzens schreckte sie jedoch vor jeglicher körperlichen Berührung zurück.

„Alayne! Möchtest du nicht für uns singen? Madame la reine wünscht dich an ihrer Seite.“

Alayne wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als eine hübsche junge Frau auf sie zukam. Marguerite de Valois war ein beliebtes Mitglied am Hof. Ihre Verehrer überschütteten sie mit Huldigungen. Aber sie erwies niemandem ihre Gunst. Manch ein Mann am „Cour d’Amours“ hatte sich zu törichten Dingen hinreißen lassen, um Marguerite für sich zu gewinnen. Sie blieb aber stets zurückhaltend und hatte für die Männer nur ein förmliches Nicken übrig, ganz gleich, wie sehr sie sich um ihre Gunst bemühten.

„Sehr gerne“, rief Alayne und gesellte sich zu ihr. Sie war für die Unterbrechung dankbar, weil die Worte des Barons sie verunsichert hatten. Zwar schätzte sie ihn als guten Freund, doch jede Andeutung von Intimität erschreckte sie.

Marguerite schaute in das auffallend gerötete Gesicht ihrer Gefährtin. „Es steht mir nicht zu, Ratschläge zu erteilen, Alayne, aber wenn ich du wäre, würde ich mich vor de Froissart in Acht nehmen.“

„Magst du ihn nicht? Ich dachte, er sei allseits beliebt.“

„Was das anbelangt …“ Marguerite zuckte die Achseln. Ihr langes blondes Haar wurde von einem silbernen Schleier verdeckt, und ihre grünen Augen wirkten nachdenklich, als sie ihre Freundin musterte. „Du bist sehr schön, Alayne, und wohlhabend. Es gibt Männer, die alles tun würden, um sich einen solchen Preis zu sichern. Selbstverständlich leugne ich nicht, dass de Froissart charmant ist. Ich sage bloß, dass ich ihm nicht vertrauen würde.“

„Du weißt doch, dass ich nicht erneut zu heiraten gedenke.“

„Ich habe gehört, dass deine Ehe nicht glücklich verlief …“

„Ich möchte nicht mehr daran erinnert werden“, sagte Alayne, und ihre Miene verdüsterte sich, während sie die unliebsamen Erinnerungen wieder aus ihrem Gedächtnis verbannte. „Mein Vater möchte mich wieder verheiraten. Aber die Königin hat mir ihr Wort gegeben, dass ich mich nicht gegen meinen Willen zu vermählen brauche.“

„Du darfst dich glücklich schätzen“, sagte Marguerite mit einem Seufzer. „Ich werde verheiratet, sobald ich siebzehn Jahre alt bin, ob ich es nun will oder nicht.“

„Das ist das Los der meisten Jungfern von edlem Stande“, erwiderte Alayne. „Mein Vater war außer sich vor Wut, als ich den Schutz der Königin erbat. Er betrachtet mich als sein Eigentum, mit dem er nach Gutdünken verfahren kann. Doch ich lasse mich nicht noch einmal veräußern!“ Tränen schimmerten in ihren schönen Augen, aber sie weigerte sich, ihnen freien Lauf zu gewähren. Über ihre unsägliche Hochzeitsnacht mochte sie nicht sprechen. Nur der plötzliche Tod ihres um viele Jahre älteren Gemahls hatte sie vor weiteren Erniedrigungen in der Ehe bewahrt.

Aufmunternd drückte Marguerite die Hand ihrer Gefährtin und lächelte. Gerade weil so viele Adlige in unglückliche Ehen gezwungen wurden, erfreute sich die höfische Liebe in Aquitanien und den warmen südfranzösischen Regionen so großer Beliebtheit. Wie viel wonnevoller war doch der heimliche Kuss eines jungen Verehrers als die schroffe Umarmung eines gefühllosen Gemahls!

Gespannt wartete die Gesellschaft auf Alaynes Gesangskunst. Man führte sie zu dem Ehrenplatz neben dem vergoldeten Thron der Regentin. Alayne sank in einen tiefen Knicks und lächelte ihre Beschützerin an.

„Singt für uns, Alayne“, forderte die Königin sie auf. „Berichtet von lieblichen Dingen, die uns zu Tränen rühren und unser Herz erfreuen.“

„Gern, Madame“, sagte sie, nahm eine Leier von einer der Hofdamen und stimmte eine bezaubernde Melodie an. Ihr glockenheller Gesang zog die Aufmerksamkeit all derer auf sich, die sich an diesem warmen Nachmittag des Jahres 1167 auf der Lichtung unweit des Bachlaufs eingefunden hatten.

Die Weise handelte von unerwiderter Zuneigung, von einem Verehrer, der seine Gefühle nicht unterdrückte und an gebrochenem Herzen starb. Sie erzählte von einer Liebe, die so rein und zart war, dass sämtliche Zuhörer ergriffen waren.

Alayne sang von dem vollkommenen Ritter, von einem Mann, der eher sterben würde, als der Dame zu schaden, die er verehrte. Ob sie je einem solch ehrenvollen Mann begegnen würde? Sie glaubte nicht, dass er außerhalb der Lieder existierte.

„König Henry bat mich, seiner Gemahlin einen Besuch an ihrem Hof in Poitiers abzustatten“, erklärte Sir Ralph de Banewulf seinem Vetter Harald of Wotten, als die Männer sich an jenem Nachmittag in der Großen Halle von Banewulf Manor unterhielten. In den Jahren Wilhelm des Eroberers hatte der Wohnsitz der de Banewulfs einzig und allein als Festung gedient, doch in jüngerer Zeit hatte man neben dem Wohnturm einen Palas errichtet, um der trutzigen Burganlage mehr Behaglichkeit zu verleihen. „Ich kann Henry die Bitte nicht abschlagen, obschon du weißt, dass ich zurzeit nicht viel für den Hof übrig habe.“

„Es wird dir indes gut tun, diesen Ort zu verlassen und Ablenkung zu suchen“, erwiderte Harald nachdenklich. Lange genug schon trauerte sein Vetter Ralph um seine Gemahlin, die er mit neunzehn Jahren zum Altar geführt und kaum ein Jahr später für immer verloren hatte. Berenice war einem bösen Fieber erlegen, nachdem sie ihrem Gemahl einen Sohn geschenkt hatte. Mittlerweile war Stefan ein kräftiger Bursche von fünf Jahren. „Zudem ist es an der Zeit, dass du mir deinen Knaben überlässt, damit ich ihn auf die Pflichten eines Pagen vorbereiten kann. Die meisten Jungen seines Alters genießen bereits den Unterricht. Du tust ihm keinen Gefallen, wenn du ihn zu lange in der Obhut der Frauen lässt, Ralph.“

Der Burgherr schwieg einen Moment, und seine Züge waren abweisender als beabsichtigt. Er war ein Mann, den andere achteten und fürchteten, ein mächtiger Grundherr mit strengen Prinzipien, denen sich nicht jeder bereitwillig anschloss. Doch wenn er entspannt und zu einem Lächeln aufgelegt war, wirkte er auf eigenwillige Art charmant. Viele Frauen bewunderten ihn, hielten ihn aber für unnahbar. Es hieß, sein Herz sei damals mit seiner jungen Gemahlin gestorben. Als Ralph schließlich antwortete, waren seine Worte wohl überlegt.

„Du hast recht, Harald. Ich weiß, ich war zu nachlässig mit Stefan. Er entgleitet seinem Kindermädchen allmählich. Deshalb muss er nun unterrichtet werden, wie soll er sonst eines Tages Ritter werden? Du darfst ihn heute Nachmittag mitnehmen, mein Freund. Ich bitte dich nur, dass du dich selbst um ihn kümmerst, seiner Mutter zuliebe.“

„Keine Sorge, das tue ich gerne für Berenice. Auch ich habe sie sehr gemocht.“ Harald zögerte. „Du hörst es bestimmt nicht gerne, Ralph, aber … du solltest darüber nachdenken, dich erneut zu verheiraten. Ein Mann braucht eine Frau, die ihm Söhne schenkt.“

„Red nicht davon!“ Abwehrend hob Ralph die Hand. Großer Kummer befiel ihn und seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Mein Grundbesitz genügt meinen Bestrebungen, und ich habe einen Sohn, der mein Erbe antritt. Woran sollte es mir noch mangeln?“

Harald hielt sich wohlweislich mit einer Antwort zurück, die seinem Vetter ohnehin nur Verdruss bereiten würde. Viel zu oft erlagen Kinder einem bösartigen Fieber oder starben an den Folgen von Unfällen. Er, Harald, hatte fünf Söhne und zwei Töchter und war keine sechs Monate nach dem Tod seiner ersten Frau erneut vor den Altar getreten. Es war der Lauf der Welt, dass Frauen im Kindbett starben, und es nützte nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Das Leben musste weitergehen, und Haralds Erfahrungen zufolge war eine Frau wie die andere.

„Ich weiß, dass du Berenice geliebt hast, aber …“

„Vetter, lassen wir es dabei bewenden!“ Ralphs Bitte glich einem Befehl, und ein Muskel zuckte in seinem Kiefer. „Reden wir von anderen Dingen. Wie denkst du über den Streit, der zwischen dem König und Sir Thomas Becket entbrannt ist?“

Als Harald sich über den Zwist ereiferte, den der Herrscher mit seinem Erzbischof austrug, atmete Ralph erleichtert auf. Er brauchte die Ablenkung, denn er wollte einfach nicht über seine zierliche junge Gemahlin sprechen, die nicht kräftig genug gewesen war, um ein Kind zur Welt zu bringen. Die Hände seitlich zu Fäusten geballt, verspürte er den gewohnten Schmerz in der Brust. Lange hatte er um ein Leben getrauert, das unnötig vergeudet worden war. Wie sollte er jemals wieder an eine Heirat denken, wenn seine Unfreundlichkeit und unbedachte Begierde Berenice das Leben gekostet hatten?

Überdies plagte ihn ein schlechtes Gewissen, da er wie jeder junge Mann die schöne und liebliche Frau zwar begehrt, sie aber nie wirklich geliebt hatte. Sie hatte sich als zu jung und töricht erwiesen, um seine Zuneigung zu erlangen. Durch seine zurückhaltende, beinahe abweisende Art fürchtete er, den Lebensmut der jungen Berenice geschwächt zu haben. Offenbar hatte sie geahnt, dass er sie nicht schätzte, und daher war sie nun tot. Auf seiner Seele lastete eine schwere Sünde, für die er in den vergangenen Jahren Buße getan hatte.

Weil sein Sohn ihn unablässig an Berenice’ tragisches Ableben erinnerte, hatte er Stefan von seinen Dienerinnen verhätscheln lassen. Doch diese Nachlässigkeit könnte sich nachteilig auf den Jungen auswirken. Er musste unterrichtet und in den Fertigkeiten eines angehenden Ritters ausgebildet werden, um vom Pagen zum Knappen aufzusteigen, bis er sich würdig erwies, den Ritterschlag zu erhalten. Harald of Wotten war ein guter und gerechter Mann, der sich um Stefan kümmern, seine Erziehung übernehmen und den Jungen zu hohen Festtagen nach Hause schicken würde. Ein neuer Lebensabschnitt stand bevor. Ralph konnte den Knaben unmöglich länger an Banewulf Manor binden. Er musste jetzt an die Zukunft denken.

Die Ehre gebot es, der Bitte des Königs zu entsprechen. Ralph hatte folglich an den Hof in Aquitanien zu reisen und Königin Eleonore seine Aufwartung zu machen, denn Henry hatte Ralph einst zum Ritter geschlagen.

Seiner Einschätzung nach war König Henry II. ein würdiger Herrscher für England. Er hatte das Land aus den inneren Wirren erlöst, die unter Stephens Regentschaft entstanden waren, und viele Reformen eingeleitet. So hatte er Wales unterworfen und Gebiete zurückgewonnen, die an Schottland gefallen waren. Aber er hatte auch ein Gesetz erlassen, das Kirchenleute unter die Gerichtsbarkeit der Krone stellte – ein umstrittenes Edikt, welches den Unmut vieler einflussreicher Männer heraufbeschworen hatte. Der Bedeutendste unter den Gegnern war Sir Thomas Becket, ein eigensinniger Mann, der sich nicht einem Diktat zu beugen gedachte, das er für ungerecht hielt.

Im Augenblick sah sich Ralph nicht in der Lage, Stellung in diesem Streit zu beziehen. Nach seinem Dafürhalten war dies eine Angelegenheit zwischen dem König und dessen Erzbischof. Ralphs Loyalität galt seinem Monarchen, und daher würde er unverzüglich Königin Eleonore einen Besuch abstatten. Die zunächst leidenschaftliche und verheißungsvolle Ehe zwischen Henry und Eleonore hatte sich in den letzten Jahren verschlechtert. Henry waren Gerüchte über seine Gemahlin zu Ohren gekommen, die ihm missfielen. Einige Vertraute behaupteten, Eleonore mische sich in Regierungsangelegenheiten ein, die sie beileibe nichts angingen. Darüber hinaus, so die bösen Zungen, stachele sie ihre Söhne zum Verrat am eigenen Vater auf. Nach einem Streit mit ihrem Ehemann hatte Eleonore England den Rücken gekehrt. Aus diesem Grund fiel Ralph nun die Aufgabe zu, der Königin in Poitiers Briefe zukommen zu lassen und die Antwortschreiben wieder mit nach England zu bringen.

Sonst war im Moment nichts von Belang. Seine Rastlosigkeit, dieses Gefühl der Leere galt es endlich abzuschütteln. Ralph hatte sein Leben dem Wohlergehen seines Sohnes und der Untertanen auf seiner Burg gewidmet. Doch für die Zukunft musste er sich ein neues Lebensziel stecken. Einst, als er sehr jung und voller Ideale gewesen war, hatte er ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, das Kreuz zu nehmen und ins Heilige Land aufzubrechen. Aber das war bevor sein rücksichtsloses Verhalten Berenice in den Tod getrieben hatte … Jetzt wusste er, dass er für einen Kreuzzug nicht würdig genug war. Dazu war er ein viel zu unvollkommener Ritter.

An diesem Tag fand bei Hofe eine Beizjagd in den Marschgebieten jenseits des Waldes statt. Alaynes Wanderfalke war trefflich geflogen und für seine Schnelligkeit und Zähigkeit bewundert worden. Tatsächlich hatte sie mehr als ein Angebot für ihr stattliches Tier erhalten, doch sie wollte sich nicht von dem Greifvogel trennen.

„Ich liebe meine schöne Perlita“, sprach sie zu einem Edelmann gewandt, der nicht von seinem Kaufgesuch abrücken wollte. „Ich werde sie niemals für Gold oder Juwelen hergeben. Sie ist bei weitem zu kostbar.“

Einige Damen und Höflinge ritten nah genug, um Alaynes Antwort zu hören. Einer der Edelleute fragte, wie man das Tier erstehen könne, wenn kein Gold nütze.

„Gar nicht, Monseigneur“, erwiderte Alayne, und ihre azurblauen Augen blitzten auf. „Sie wird mich nie verlassen, es sei denn, ich beschließe, sie wegzugeben.“

„Eine Wette! Eine Wette!“, riefen mehrere Anwesende.

„Ich glaube, Madame Alayne würde eher jemandem ihre Liebe als ihren Vogel schenken“, ließ sich eine der Damen vernehmen und lachte ausgelassen.

„Schämt Euch!“, meinte jemand anderer. „Ihr Herz kann man nicht erlangen. Viele haben bereits vergeblich versucht, ihr Lächeln zu gewinnen.“

„Ihr urteilt zu vorschnell, Monseigneur de Malmont“, sagte Alayne und blickte ihn freundlich an. „Ich gewähre Euch ein Lächeln, wenn Ihr mich darum bittet. Der Mann jedoch, welcher sowohl mich als auch Perlita zu gewinnen sucht, muss zunächst mein Herz erobern.“

„Stellt mir eine Aufgabe, und ich werde sie bewältigen“, scherzte Baron de Malmont und führte in dramatischer Pose eine Hand zum Herzen, während seine Augen vor Vergnügen leuchteten. „Denn sowohl Euch als auch den Falken zu erlangen, wäre wahrhaftig ein begehrenswerter Preis.“

„Ihr spottet meiner, Monseigneur. Mir scheint, Ihr preist den Vogel mehr als die Dame“, erwiderte sie und verzog im Spaß das Gesicht. Schließlich wusste sie, dass der Edelmann der Verehrer einer anderen Hofdame war. „Ich denke, ich werde nie lieben. Mein Herz ist aus Stein. Ich vermag keinem Mann meine Liebe zu schenken.“

„Eine Herausforderung!“, rief da der Baron de Froissart. „Die Weigerung darf nicht unbeachtet bleiben. Kämpfen wir um das Herz dieser Dame!“

Einige Edelleute murmelten ihre Zustimmung. Alle waren froh und beschwingt, als die Jagdgesellschaft durch den Forst zurück zur Burg ritt.

Im Burghof stellte Alayne fest, dass sich die Männer geradezu überschlugen, wem die Ehre gebühre, ihr beim Absteigen behilflich zu sein. Unbeschwert schmunzelnd angesichts dieser eifrigen Bemühungen, winkte sie einen jungen Pagen heran, worauf die Ritter entgeisterte Mienen aufsetzten, da die Dame ihnen einen jungen Burschen vorzog.

„So einfach bin ich nicht zu gewinnen, werte Herren“, sagte sie mit einem Lächeln, reichte dem Diener den Falken und schärfte dem Jungen ein, Acht zu geben. „Wer mich erobern will, muss viele Hürden meistern.“

Sofort bat man sie, Bedingungen zu stellen, doch sie lächelte nur und schüttelte vielsagend den Kopf, ehe sie das Palais betrat. Die angenehme Kühle der dicken Steinmauern umfing sie und ließ sie nach der Hitze des Nachmittags frösteln. Aus einem unerfindlichen Grund war ihr unbehaglich zumute. Sie konnte sich diese Empfindungen nicht erklären. An den humorvollen Gesprächen der Höflinge lag es wohl kaum, denn Alayne hörte dergleichen beinahe jeden Tag, obwohl sie für gewöhnlich nicht im Mittelpunkt stand. Andere Damen waren eher bereit, auf derartige Neckereien einzugehen, und ersannen mit Begeisterung schwierige Herausforderungen, welche die eifrigen Verehrer zu bewältigen hatten.

Im Stillen schalt Alayne sich für ihre Unruhe. Dennoch bemächtigte sich ihrer ein seltsames Prickeln. Als sie sich umwandte, gewahrte sie einen Mann, der nicht weit von ihr entfernt stand. Er war zur Hälfte von einem der dicken Pfeiler verdeckt, die das Gewölbe der Großen Halle stützten. Alayne entging nicht, dass der Unbekannte von hoher Gestalt war, kraftvoll wirkte und breite Schultern hatte. Ein eindrucksvoller Mann, der englischen Mode entsprechend mit schwarzer und silberner Kleidung angetan. Er hatte dunkles, beinahe schwarzes Haar, das ihm gerade bis auf den Kragen seiner Tunika fiel. Seine Gesichtszüge waren markant, aber der verkniffene Mund zeugte von Missbilligung.

Alayne wusste, dass sie den Edelmann noch nie bei Hofe gesehen hatte. Beim ersten Blickkontakt mit dem Besucher verspürte sie eine sonderbare Regung. Der Fremde hatte auffallend wache, dunkelgraue Augen, die silbern aufblitzten – oder lag das nur an dem Sonnenlicht, das schräg durch die hohen Fenster fiel?

Ein leichter Schauer durchrieselte sie, als sie länger in diese bezwingenden Augen schaute und die sonderbare Wirkung erlebte, die von der Gegenwart des Gastes ausging. Wer mochte der Neuankömmling sein, und warum war dieses unerklärliche Kribbeln in ihrem Nacken noch stärker geworden? Warnte eine innere Stimme sie vor etwas? Wieso sah dieser Mann sie so eigentümlich an? Gleichzeitig gewann sie den Eindruck, er nähme sie im Grunde kaum wahr und hinge vielmehr seinen eigenen Gedanken nach. Er schien zu grübeln, als sei er von einer geheimen Traurigkeit befallen.

Sowie das heitere Stimmengewirr der anderen Höflinge die Große Halle erfüllte, fiel das sonderbare Gefühl der Beklemmung von ihr ab. Alayne schüttelte schon über sich selbst den Kopf, schließlich musste sie hier wahrlich nichts befürchten. Die Königin hatte ihr versprochen, niemand werde sie zur Heirat zwingen. Solange sie also unter Eleonores Schutz stand, war sie in Sicherheit.

„Ah, da seid Ihr, Madame Alayne“, rief de Froissart, nachdem er sie entdeckt hatte. „Wir dachten schon, wir hätten Euch mit unseren Scherzen vertrieben.“

„Nein, keine Sorge, Monseigneur“, antwortete Alayne mit einem leisen Lächeln.

„Da Ihr keine Bedingungen zu stellen gedenkt, haben wir beschlossen, das Urteil vom Hof fällen zu lassen. Die Besten unter uns werden in einem Turnier um Eure Gunst buhlen“, sprach er, und seine Augen leuchteten vor Vorfreude. „Der Sieger erhält das Recht, Euch den Hof zu machen.“

„Man vermag mich nicht durch einen solchen Wettstreit zu erlangen“, erwiderte Alayne, doch sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Der neckende Blick des Barons beschleunigte ihren Puls. De Froissart war in der Tat ein Mann mit einnehmendem Wesen. Von allen Höflingen mochte sie ihn am meisten, obgleich sie nicht glaubte, dass er oder sonst ein Mann ihre Liebe erringen könnte. Manchmal war sie davon überzeugt, dass bei ihr jegliche Gefühle erkaltet waren – verödet durch die Grobheit des Mannes, den sie hatte heiraten müssen, als sie kaum älter als ein Kind war. „Ich stelle dem Sieger ein Zeichen in Aussicht, aber mein Herz ist nicht so leicht zu erobern.“

„Was vermag Euch dann zu gewinnen?“

„Ich weiß es nicht“, räumte sie ein. „Mein Herz, sollte ich es jemals verschenken, gälte einem freundlichen Ritter. Einem starken, aufrichtigen und treuen Streiter, der nach hehren Zielen lebt.“ Unerklärlicherweise schweifte ihr Blick zurück zu der Säule, an welcher der Fremde gestanden hatte. Doch er war fort. Alayne war enttäuscht, obwohl sie nicht recht wusste, warum. Aber sie fand sogleich die Fassung wieder. „Das ist bloß törichtes Geschwätz, Monseigneur! Wer vermag schon zu sagen, woher die innige Zuneigung kommt? Wir finden sie, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Sagen die Dichter nicht, das größte Vergnügen bestehe darin, sich nach einer unerreichbaren Liebe zu sehnen?“

„Ihr seid eine grausame Dame!“, rief de Froissart übertrieben aus und schlug sich theatralisch an die Brust. „So sei es, ein jeder von uns wird danach streben, der glückliche Ritter zu sein, der sehnsüchtig zu Euren Füßen kniet und sich doch keine Gunst von Euch erhoffen darf.“

Alayne wandte sich von dem Edelmann ab und verbarg ihre Belustigung. Der Baron war wahrlich ein charmanter Gefährte. Doch sie achtete nicht weiter auf ihn. Längst war sie zu der Überzeugung gelangt, dass de Froissart nicht derjenige war, der ihr heimlich Gedichte und Blumen zukommen ließ. Sie hatte eher einen der jungen Pagen in Verdacht, der sie einmal so sehnsuchtsvoll angeschmachtet hatte, dass sie ganz gerührt gewesen war.

„Ihr müsst wissen, was Ihr tut“, erwiderte sie gleichmütig und ließ den Baron in der Halle stehen.

„Grausame Zauberin!“, erklärte de Froissart laut. „Ihr brecht mir das Herz, Teuerste.“ Der Baron wartete auf eine Antwort, aber Alayne hörte ihn kaum, als sie gedankenverloren der gewundenen Treppe zustrebte, die zu ihrem Turmgemach führte.

Auf ihren einsamen Spaziergängen in den Gärten hatte sie manches gesehen. Oftmals war sie Zeuge eines verstohlenen Kusses oder eines heimlichen Treffens zwischen einer Hofdame und deren Ritter geworden, doch sie behielt solche Entdeckungen für sich. Derlei Vorgänge waren geheim und mussten geachtet werden.

Nachdenklich erklomm sie die steinernen Stufen zu ihren Räumlichkeiten im Westturm. Wahrscheinlich war es nicht de Froissart, der ihr mit kleinen Geschenken huldigte. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass er Gefallen an ihr fand. Sie wusste nicht recht, wie sie sich verhalten sollte, wenn der Baron sich ihr als möglicher Liebhaber nähern würde. Es würde ihr zwar nichts ausmachen, geküsst oder als werte Dame verehrt zu werden – aber was, falls er mehr verlangte?

Ihr kurzer Bund fürs Leben hatte Alayne gelehrt, wie rücksichtslos Männer vorgehen konnten, insbesondere wenn ihre Begierden nicht gestillt wurden. Einige der Damen sprachen von den Freuden der edlen Minne. Aber konnte diese Liebe wirklich so herrlich sein, wie die Troubadoure in ihren Balladen behaupteten? Alaynes eigene Erfahrungen waren ganz anders gewesen. Sie dachte mit Schrecken und Abscheu an ihre Ehe, die in Wahrheit keine richtige gewesen war.

Alayne teilte sich das Gemach mit Marguerite de Valois, und sie war nicht überrascht, dass die junge Frau bereits im Zimmer war. Marguerite war im Begriff, ihren Umhang und die schwere wollene Tunika, die sie draußen zu tragen pflegte, abzulegen und ein leichteres silberfarbenes Kleid anzuziehen, worüber sie stets ein dunkelblaues Obergewand trug.

„Bist du zufällig Sir Ralph de Banewulf in der Großen Halle begegnet?“, fragte Marguerite, als Alayne ihr leuchtendes dunkles Haar löste und über den Rücken fallen ließ. „Mein Vater sagte mir, er rechne heute mit Sir Ralphs Ankunft. Er überbringt Königin Eleonore Briefe vom englischen König.“

„Ich habe einen Neuankömmling bemerkt“, sagte Alayne. „Ein großer, dunkelhaariger Mann, der eher streng wirkte …“ Sie unterbrach sich, sowie sie sich seiner Augen entsann. Nach wie vor glaubte sie, er habe sie merkwürdig angestarrt.

„Ja, fürwahr, das wird er gewesen sein. Seine Mutter ist die Cousine meines Vaters. Sir Ralph ist seit fünf Jahren verwitwet. Wenige Wochen, nachdem seine Gemahlin einen Sohn zur Welt gebracht hatte, starb sie. Sie muss sehr schön gewesen sein. Man sagt, Sir Ralph trauere immer noch um seine junge Frau.“

„Wie furchtbar“, sagte Alayne und erinnerte sich an den grüblerischen, beinahe gequälten Gesichtsausdruck des Fremden. „Eine solch treue Hingabe an das Andenken der Gemahlin trifft man nicht häufig an.“

„In der Tat, die meisten Männer vermählen sich erneut so schnell wie möglich, um weitere Erben zu bekommen. Ich glaube, Sir Ralph hat seine Gemahlin sehr geliebt. Wie romantisch – wie in den Liedern der Minnesänger.“

„Ja, so kommt es mir auch vor“, stimmte Alayne ihrer Gefährtin zu und musste immerzu an die Augen des englischen Adligen denken. Vielleicht erklärte das seine strenge Haltung. Er suchte seinen Kummer zu verbergen. „Ich hätte nicht gedacht, dass Männer aus Liebe heiraten. In meinem Fall war es anders. Die Ländereien meines Gemahls grenzten an den Besitz meines Vaters. Deshalb beschlossen sie eine Verbindung, von der beide sich Vorteile versprachen. Mein Vater war der Ansicht, nur gemeinsam seien sie in der Lage, ihre Liegenschaften gegen feindliche Übergriffe zu verteidigen. Mein Sohn sollte einst all die Besitztümer erben, und mein Vater war enttäuscht, dass ich ihm nicht den Enkel schenkte, den er sich erhofft hatte.“

„Aber du warst doch nur wenige Wochen verheiratet.“

„Mein Gemahl hatte einen Unfall einen Tag nach unserer Hochzeit. Er … war betrunken und fiel die Treppe hinunter.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, aber Alayne blinzelte sie fort, denn sie wollte nicht weinen. „Er brach sich den Rücken, starb indes nicht sofort. Mehrere Wochen pflegte ich ihn, doch er erholte sich nicht mehr von dem Sturz.“

Sie wandte sich ab, als die düsteren Stunden erneut vor ihrem geistigen Auge auftauchten. Baron de Humbolt hatte sie mehrfach verflucht und ihr die Schuld gegeben, dass er ihr kein richtiger Gemahl sein konnte. Für eine sehr junge Frau war sein unbändiger Hass schwer zu ertragen gewesen, ebenso die schroffen und wüsten Beschimpfungen, die er ihr entgegenschleuderte – frivole Worte aus den Freudenhäusern. Beinahe genauso erniedrigend war indes die Art und Weise gewesen, mit der er in der Hochzeitsnacht über sie hergefallen war.

Aber sie wollte nicht mehr daran denken! Sie hatte gelobt, sich nie wieder von einem Mann in dieser schmählichen Weise demütigen zu lassen.

„Es tut mir so leid“, sprach Marguerite mitfühlend. „Mich wundert es nicht, dass du nicht mehr heiraten möchtest. Mein Vater sagt, es ist an der Zeit, meine Vermählung in die Wege zu leiten …“ Sie verstummte und seufzte hörbar. „Ich hoffe, er sucht mir einen freundlichen Mann aus, jemanden, den ich mag.“

„Hat er dir denn gar nicht gesagt, wen er dir zugedacht hat?“

„Bisher nicht, obschon … ich vermute, er hat sich bereits für einen entschieden, allerdings kann ich mich darauf nicht verlassen.“

Alayne erriet die Gedanken der jungen Frau. „Du glaubst, er könnte seinen Verwandten fragen? Sir Ralph de Banewulf?“

Marguerite errötete. „Vielleicht, aber davon darf ich nicht ausgehen. Diese Dinge erfordern lange Gespräche und Verträge. Womöglich wünscht Sir Ralph keine derartige Verbindung.“

„Gibt es da niemanden, der dir gefallen würde? Jemanden, mit dem du gerne verheiratet wärst, wenn du wählen dürftest?“

Der jungen Frau stieg eine heftige Röte in die Wangen. Einen Augenblick zögerte sie, da sie sich von Alayne beobachtet fühlte. Schließlich bekannte sie: „Ja, aber leider hat derjenige noch nicht den Ritterschlag erhalten. Mein Vater würde es nie zulassen, dass ich einen niedrigen Knappen heirate.“

„Liebt er dich?“ Alayne war wie gebannt. Sie war sich nicht sicher, vermutete jedoch, dass ihre Freundin ihr nicht die ganze Wahrheit sagte. Ging es tatsächlich um einen Knappen, der sich seine Sporen erst noch verdienen musste? „Und liebst du ihn?“

„Es wäre töricht von mir, ihm mein Herz zu schenken“, wiegelte Marguerite ab. Für einen kurzen Moment huschte ein Ausdruck von Traurigkeit über ihr hübsches Gesicht. „Ich weiß, dass ich den Mann heiraten muss, den mein Vater bestimmt.“

„Ja, ich fürchte, das ist so.“

Alayne wusste, dass ihrer Gefährtin keine andere Wahl blieb, als ihrem Vater zu gehorchen. Da sie verwitwet war und allein über ein kleines, aber ansehnliches Vermögen verfügte, war sie in der Lage gewesen, den Schutz der Königin zu erbitten. Marguerite war dergleichen nicht vergönnt.

„Vielleicht findest du dein Glück“, sagte sie, um ihre Freundin aufzumuntern, obgleich sie ihre Zweifel hatte. „Komm, vielleicht sollten wir hinuntergehen. Die Königin könnte uns brauchen.“

Marguerite nickte und setzte ein Lächeln auf, als wollte sie ihre Ängste dadurch verbannen. „Ich hoffe, der Mann, den du gesehen hast, ist Sir Ralph“, sagte sie. „Ich freue mich schon, ihn kennen zu lernen.“

Alaynes Gedanken kehrten zu dem Fremden zurück. Er hatte so abweisend, beinahe erzürnt gewirkt. Woran mochte das liegen? War das wirklich Missbilligung in seinen Augen gewesen, als er sie angeschaut hatte, oder bloß eine tiefe Traurigkeit, die einen Mann befiel, der immer noch um seine verstorbene Gemahlin trauerte?

2. KAPITEL

An diesem Abend war die Gesellschaft ausgesprochen fröhlich. Nach wie vor neckten die Höflinge Alayne, während die Ritter bereits waghalsige Wettkämpfe ersannen, die ihr zu Ehren bestritten werden sollten. Sie kam nicht umhin, sich über diese törichten Narreteien zu amüsieren, doch sie beharrte darauf, dem Sieger des Turniers lediglich ein kleines Pfand zu schulden. Ihr Herz aber, so unterstrich sie erneut, sei nicht so leicht zu haben.

„Seht ihnen ihr törichtes Gerede nach“, sagte die Königin, als sie Alayne einen Stuhl zu ihrer Linken anbot und sich erkundigte, wie es überhaupt zu dem Turnier gekommen sei. Neben der Herrscherin sitzen zu dürfen, war ein großes Privileg, das nicht jedem zuteil wurde. „Die Herren werden rastlos am Hof und brauchen diesen Wettstreit, um überschüssige Kräfte abzubauen. Es würde sich für die meisten ziemen, sich einem Kriegszug anzuschließen.“

„Warum lieben Männer es, zu kämpfen, Madame?“, fragte Alayne ehrlich erstaunt. „Mein Vater streitet sich mit seinen Nachbarn, und auch seine Untergebenen geraten oft aneinander.“

„Es liegt in der Natur des starken Geschlechts“, erwiderte die Königin. „Ein wahrer Ritter erweist sich in der Schlacht als tapfer. Die meisten Männer indes sind treulos, und wir tun gut daran, uns dessen zu erinnern, Alayne. Das Glück liegt deshalb nicht in der Liebe, sondern in der Macht, insbesondere wenn man eine Königin ist.“

Alayne spürte, dass die Monarchin verstimmt war. Doch bevor sie fragen konnte, was Eleonores Groll hervorgerufen hatte, gewahrte sie einen Mann, der sich dem Thron näherte. Es handelte sich um den Fremden, den sie nach der Rückkehr von der Beizjagd im Halbschatten der Großen Halle gesehen hatte. Er verbeugte sich tief vor der Herrscherin, ehe er sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht und aufrichtiger Bewunderung ansah.

Eleonore von Aquitanien war eine betörende Frau, mit haselnussbraunem Haar und dunklen Augen, aber sie hatte weitaus mehr als Schönheit zu bieten. Sie war zudem klug und stolz, versprühte Lebensgeist und war vielleicht geeigneter für den Thron als manch ein Mann. Alayne war zu Ohren gekommen, Eleonore würde großes Interesse an Regierungsangelegenheiten bekunden. Im Moment flammte Zorn in Eleonores Augen auf, und die Art und Weise, wie sie den Besucher musterte, verriet Alayne, dass der Unmut der Königin etwas mit dem Neuankömmling zu tun hatte.

„Sir Ralph“, sprach sie hoheitsvoll, „ich hoffe, meine Diener haben bereits für Euer Wohlergehen gesorgt? Man hat Euch ein Gemach zugewiesen?“

„Ja, Madame“, erwiderte er. „So viel Aufwand wäre nicht nötig gewesen. Ein Schlafplatz am Feuer in Eurer Großen Halle hätte mir schon genügt. Ich werde vermutlich nicht länger als ein paar Tage hier verweilen.“

„Mein Gemahl wirft in seinen Briefen schwerwiegende Fragen auf“, entgegnete Eleonore ein wenig schroff. „Es könnte einige Wochen dauern, ehe ich die Zeit finde, sie entsprechend zu beantworten. In der Zwischenzeit halte ich es für meine Pflicht, den Boten meines Gemahls an meinem Hof ein herzliches Willkommen zu bereiten. Ihr dürft Euch hier wie zu Hause fühlen, Sir. Wir führen ein behagliches Leben, wie Ihr bald feststellen werdet. Für Speisen und Unterhaltung ist ausreichend gesorgt. Meine Ritter haben vor, ein Turnier auszurichten, um dieser Dame willen. Madame Alayne wird einen Tag lang Königin sein und sämtliche Ehren empfangen, die ihr zustehen. Vielleicht möchtet auch Ihr Euch an diesem Wettstreit beteiligen? So könntet Ihr Euch die Zeit vertreiben, während Ihr auf meine Antwortschreiben wartet.“

Sir Ralph neigte das Haupt. Seine Augen verengten sich, als er Alaynes Antlitz betrachtete. Für einen Moment schwieg er, und Alayne errötete unter dem eingehenden, beinahe abschätzigen Blick. Ob er sie für leicht zu haben einschätzte? Seine abweisende Art ließ diesen Schluss zu. Da die offenkundige Geringschätzung ihr missfiel, reckte sie stolz das Kinn empor. Dieser Mann hatte kein Recht, sie in dieser Weise zu mustern!

„Ich habe schon viel von der Dame gehört“, sagte er mit einer tiefen, angenehmen Stimme, deren Klang ein wohliges Schaudern in Alayne auslöste. „Mir wurde zugetragen, sie habe ein Herz aus Stein und könne nicht in einem Turnier gewonnen werden.“

Alayne sah dem Fremden unverwandt in die Augen, denn sie ahnte, dass er ihr zwangloses Geplauder mit Baron de Froissart mit angehört hatte. Kein Zweifel, es war Abscheu in seinen Augen gewesen, den sie mehr als einmal wahrgenommen hatte! Hielt er sie für eine eitle, herzlose und kokette Frau, die es genoss, wenn die Ritter in einem vergeblichen Versuch, ihre Gunst zu erlangen, Leib und Leben riskierten? Zwar würde bei diesem Wettstreit nicht bis zum Tode gekämpft, aber es bestand stets die Gefahr, eine schwere Verwundung davonzutragen.

„Ich habe dem Sieger nicht mehr als ein Zeichen versprochen“, bekundete sie und setzte eine selbstsichere Miene auf. Sie ahnte nicht, wie sehr ihre Augen strahlten und ihr Unmut sie noch schöner machte. Es mochte ein Teil ihres berückenden Wesens sein, dass Alayne nicht bewusst war, welche Wirkung sie auf das andere Geschlecht ausübte, denn sie besaß eine natürliche Ausstrahlung, die das Verlangen der Männer nach ihr entfachte. „Das Turnier ist ein törichtes Unterfangen, welches nicht ich ersann. Ich würde niemanden um mich kämpfen lassen, werter Ritter. Ich empfehle Euch daher, die Herausforderung nicht weiter zu beachten.“

„Habt Dank für Euren Rat, Madame“, sagte er, doch die Verbeugung, welche er vollführte, empfand Alayne als spöttische Geste. Sie konnte nicht ahnen, dass auch der fremde Gast längst ein Opfer ihrer sinnlichen Schönheit geworden war. Ralph spürte, dass sein Leib auf diese Frau in einer Weise ansprach, die ihm in den zurückliegenden Jahren fremd geworden war. Seine missbilligende Mimik galt keineswegs der Dame, sondern seiner eigenen Schwachheit. „Es ist Jahre her, dass ich an einem Turnier teilgenommen habe, und ich fürchte, ich würde keinen würdigen Herausforderer abgeben. Ihr müsst mich, so hoffe ich, entschuldigen.“

Er verbeugte sich ein weiteres Mal vor der Königin und schritt davon. Alayne fühlte sich gekränkt. Wie konnte er es wagen, sie einfach so abzufertigen? Sie hatte das Gefühl, als habe ihr jemand kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Da sie sich von seinem Gebaren beleidigt fühlte, fasste sie den Entschluss, sich nicht weiter mit diesem Mann abzugeben.

„Englische Manieren“, merkte die Königin trocken an, als der Fremde sich entfernte. „Beachtet ihn nicht weiter, Alayne. Die Engländer sind oftmals hochnäsig und allzu sehr von sich überzeugt. Ich habe viele kennen gelernt, die wie de Banewulf waren, als ich in England lebte. Die Leute sind so kühl wie das Klima dort – obgleich sich auch treffliche Männer unter ihnen befinden. Sie sind loyal, wenn sie einmal mit dem Herzen bei der Sache sind, aber nicht unbedingt treu gegenüber den Damen.“

Es hatte an König Henrys Untreue gelegen, dass Eleonore mit ihrem Gemahl gestritten und England verlassen hatte.

Alayne war nachdenklich geworden. „Ich habe gehört, Sir Ralph trauert um seine Gemahlin, die er vor fünf Jahren verloren hat.“

„Ja, das ist auch mir zu Ohren gekommen“, sagte die Königin. „Ich glaube, ich kann mich sogar noch an Berenice erinnern. Ihr Vater brachte sie einst an den Hof. Sie war eine schüchterne und zierliche junge Frau. Womöglich wäre sie besser in einem Kloster aufgehoben gewesen, anstatt einen Mann wie diesen zu ehelichen.“

„Wie meint Ihr das?“, fragte Alayne. „Ist Sir Ralph hartherzig und unfreundlich?“

„Nein, das glaube ich nicht“, erwiderte Eleonore. „Lasst Euch nicht von dieser reservierten, abweisenden Art täuschen, Alayne. Unter der Schicht aus Eis lodert Leidenschaft. Sir Ralph ist ein tatkräftiger Mann, der eine ebenbürtige Gemahlin verlangt. Meines Erachtens war Berenice zu nachgiebig und demütig – das arme Ding. Bei ihrer Vermählung war sie erst vierzehn Jahre alt. Fünfzehn, als ihr Sohn zur Welt kam. Berenice war viel zu zart gebaut und hat sich von den Anstrengungen der Geburt nie wieder erholt. Irgendein schlimmes Fieber hat sie befallen, wie ich hörte. Sie ist unter entsetzlichen Qualen verschieden.“

Alayne bekreuzigte sich. „Wie traurig! Ich fürchte, es sind nicht wenige, die unter diesen Umständen sterben, Hoheit. Einem Kind das Leben zu schenken, erweist sich für viele Frauen als gefährlich, und zu viele werden vom Fieber dahingerafft.“

„Fürwahr, insbesondere wenn sie zu schmal und zierlich gebaut sind. Aber für eine kräftige, gesunde Frau ist es keine so furchtbare Angelegenheit. Seht mich an, ich habe Söhne zur Welt gebracht und lebe noch, Alayne – und ich bin davon überzeugt, auch Ihr würdet es überstehen. Ist das der Grund, warum Ihr die Ehe fürchtet?“

Alayne schüttelte den Kopf. Eine tiefe Röte überzog ihr Gesicht. „Nein, Hoheit. Ich habe Euch schon alles erzählt. Gern hätte ich meinem Gemahl einen Sohn geschenkt, wenn … wenn er anders gewesen wäre, als er war.“

„Nun gut, ich möchte Euch nicht in Verlegenheit bringen“, sagte Eleonore und tätschelte Alaynes Wange. „Ihr wisst, dass ich es nicht zulassen werde, wenn Euch jemand eine Ehe aufzwängt. Aber vielleicht überlegt Ihr es Euch irgendwann anders. Dann wäre ich froh, Euch dem Mann zu überlassen, den Ihr zu heiraten gedenkt.“

„Ich glaube nicht, dass es einen solchen Tag geben wird.“

„Gibt es denn niemanden hier, der Euer Herz rührt, Alayne?“

„Keinen, den ich zum Gemahl nehmen würde.“

„Ah, aber dann mag es jemanden geben, den Ihr zu Eurem Geliebten machen würdet?“ Eleonore schmunzelte, als sie Alaynes Verlegenheit wahrnahm. „Nein, ich will Eurer nicht spotten. Ihr dürft Euch jetzt entfernen. Gesellt Euch zu den Leuten und schickt Marguerite zu mir.“

Alayne verabschiedete sich mit einem Knicks und begab sich auf die Suche nach ihrer Freundin. Sie überbrachte ihr die Nachricht der Königin und schaute sich sodann in der Großen Halle um, in der sich viele Hofdamen und Ritter zu einer geselligen Runde eingefunden hatten. Ein Minnesänger stimmte ein Liebeslied an, das die Frauen zutiefst rührte. Einige Damen hatten es sich auf gepolsterten Bänken bequem gemacht, andere harrten steif auf harten Holzbänken oder Stühlen aus und lauschten den Gesprächen. Die Kunst der geistreichen Unterhaltung wurde am Hof von Königin Eleonore hoch geachtet. Alayne überlegte, welcher der Gruppen sie sich anschließen sollte, entschied sich jedoch für einen einsamen Spaziergang. Sie genoss es, allein in der Abendluft zu wandeln. Zu dieser Jahreszeit blieb es lange hell, und die Luft war angenehm warm.

Sowie sie einen der zahlreichen geschützten Innenhöfe betrat, umfing der Abendduft der Blüten ihre Sinne. Ein kleiner Bach ergoss sich über einen künstlich angelegten Steinhaufen in einen Teich, in dem kleine Fische schwammen. Alayne beobachtete die Tiere eine Weile, ehe sie von einem Geräusch aufgeschreckt wurde und sich umdrehte. Sie erblickte den fremden Gast, der zu ihr herübersah, und bei seinem Anblick beschleunigte sich ihr Pulsschlag. Aber der Engländer machte ihr keine Angst, wie manch ein anderer der Ritterschaft zu Poitiers.

„Es ist schon spät für einen Ausgang, Madame Alayne.“

„Ich gehe oft allein, sogar am Abend. Ich habe keine Angst, solange ich unter der Obhut der Königin stehe, Sir.“

„Es gibt Männer, die einen solchen Schutzbereich nicht achten“, gab Sir Ralph zu bedenken. „Mag die Dame auch unschuldig sein, einige würden ihr Gewalt antun, wenn sich die Gelegenheit böte – ich habe heute Leute dieses Schlages gesehen. Auch wenn Ihr glaubt, niemandem mit Eurem spielerischen Gehabe zu ermutigen, Madame, so wärt Ihr gut beraten, den Männern nicht die Gelegenheit zu geben, sich an Euch zu vergreifen.“

„Wie meint Ihr das?“ Ihr Herz begann zu pochen. Mit einem Mal überkam sie Angst bei dem durchdringenden Blick des Fremden. Wie es schien, warf er ihr vor, ihre Verehrer absichtlich dazu anzustacheln, ihr den Hof zu machen. Was wollte er ihr damit zu verstehen geben? „Seid Ihr …?“ Sie vermochte nicht weiterzusprechen, als sie sah, wie seine Hände sich seitlich zu Fäusten ballten.

„Nein, Madame Alayne“, erwiderte er beschwichtigend. „Es gibt keinen Grund, mich zu fürchten, denn ich würde keiner Frau Gewalt antun, sei sie lauter oder das verruchteste Weib auf Erden.“

Etwas in seinen Augen verleitete Alayne zu der Annahme, dass er sie ablehnte. Daher reckte sie stolz ihr Kinn empor. „Mir scheint, Ihr bezichtigt mich des Fehlverhaltens, Mylord. Haltet Ihr mich für eine durchtriebene Frau, nur weil ich lache, wenn die Höflinge um meine Gunst buhlen?“

Erneut war ihr nicht bewusst, wie anziehend sie wirkte, wenn sie so mit stolz erhobenem Haupt und herausforderndem Blick dastand. Wäre er jung und sorglos gewesen, hätte er vermutlich der Versuchung nicht widerstehen können, die Dame an sich zu ziehen und ihr zu sagen, dass sie die begehrenswerteste Frau sei, die er je gesehen habe. Doch das führte bloß zu Kummer und Schmerz, und er hatte sich schon einmal die Finger verbrannt.

„Wie sollte ich so über Euch denken, wenn ich Euch gar nicht kenne?“

„Ich weiß, dass Ihr heute Nachmittag zufällig gehört habt, wie Baron de Froissart mich fragte, auf welche Weise man mein Herz erobern könnte. Ich habe ihm keine Hoffnungen gemacht, ebenso wenig habe ich andere ermuntert. Es ist der freie Umgang bei Hofe, der solche Späße zulässt.“

Sir Ralph deutete eine kleine Verbeugung an. War es möglich, dass sie derart naiv war? Er hielt es für kaum wahrscheinlich. Sie war bereits verheiratet gewesen und musste doch wissen, über welche Macht sie verfügte. Abermals verspürte er das überwältigende Verlangen, die junge Frau in die Arme zu schließen und zu küssen. Doch er zügelte seine Begierde. Welch Irrsinn! Sie war nicht für ihn bestimmt.

Es klang barsch, als er sagte: „Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Euch falsch eingeschätzt habe, Madame Alayne. Ich bin ein Fremder und mit Euren Gepflogenheiten nicht vertraut.“

„Fürwahr, und daher solltet Ihr nicht so vorschnell urteilen.“ Ihre Augen funkelten trotzig, als sie seinem abweisenden Blick begegnete. Ein solch brüskes Benehmen war sie von den Rittern nicht gewohnt, die mit lieblichen Worten und Liedern um ihre Gunst buhlten – ein Werben, an dem ihr gleichwohl nichts lag.

„Das stimmt“, räumte er ein und senkte beinahe demütig den Kopf. Das kleine reumütige Lächeln, das um seinen Mund spielte, verlieh seiner Miene einen weicheren Zug, sodass Alayne plötzlich das törichte Verlangen verspürte, geküsst zu werden. Aber gewiss nicht von diesem Mann! „Ich habe Euch wahrlich beleidigt, was nicht meine Absicht war. Ich möchte lediglich anmerken, dass mein Rat der Wahrheit entspricht. Für eine so junge und hübsche Dame, wie Ihr es seid, ist es nicht ratsam, allein zu gehen, weder bei Tag noch bei Nacht.“

Erneut verneigte sich Sir Ralph, wandte sich ab und schritt davon. Alayne konnte ihm nur noch verstimmt nachschauen. Sie befand ihn für abweisend und hochnäsig, obgleich sein selbstsicheres Auftreten überzeugend und keinesfalls aufgesetzt wirkte. Er war ein Mann, der um seine eigene machtvolle Ausstrahlung wusste. Unter dem kühlen Äußeren hatte sie eine Glut verspürt, eine Leidenschaft, die sie zu versengen drohte und etwas in ihrem Innern berührte, das sie für unerreichbar gehalten hatte.

Nein, das war Torheit! Sie hatte ihn lediglich ansprechend gefunden. Er war nicht oberflächlich. Bei ihm fiel es ihr nicht so leicht, seine Gedanken zu lesen, wie bei vielen anderen Rittern, die ihre Gefühle offen darlegten. Was suchte er bloß zu verbergen? Warum hatte Sir Ralph sie überhaupt davor gewarnt, sie schwebe womöglich in Gefahr? Hatte er recht? War sie sogar hier am Hof nicht sicher?

Ein Schauer bemächtigte sich ihrer und sie fröstelte. Übertrieb der Fremde nicht ein wenig mit seiner Besorgnis? Niemand wagte es, der Königin gegenüber ungehorsam zu sein. Die Monarchin würde jeden hart bestrafen, insbesondere wenn die Regeln der Ritterlichkeit missachtet wurden.

Alayne hatte sich immer in Sicherheit gewähnt, solange sie sich im Machtbereich der Herrscherin aufhielt. Aber jetzt wirkten die Schatten in den Ecken bedrohlich. Daher eilte sie rasch in die Halle zurück, wo frische Fackeln brannten und ihre Freunde sich vergnügten.

„Ah, da seid Ihr“, rief Baron de Froissart ihr zu, als sie sich zu einer Damenrunde gesellte. „Wir haben uns schon gefragt, wo Ihr seid, Madame. Jonquil hat eine Ode für Euch verfasst – möchtet Ihr sie hören?“

„Ja, ja, Ihr müsst ihn anhören!“, meldeten sich zahlreiche Stimmen zu Wort. „Wir wollen das Gedicht hören!“

Alayne lächelte. In der gewohnten unbeschwerten Atmosphäre gewann sie ihr Selbstvertrauen zurück. Wie töricht von ihr, sich von den grüblerischen Gedanken dieses fremden englischen Ritters beunruhigen zu lassen!

Sir Ralph kehrte nicht sogleich in die Halle zurück, nachdem er sich von Madame Alayne abgewandt hatte. Es beruhigte ihn zu sehen, dass sie aus dem einsamen Innenhof floh. Eine steile Falte zeichnete sich zwischen seinen Brauen ab, als er sich fragte, warum er in dieser Weise mit der Dame gesprochen hatte. Immerhin ging es ihn nichts an, wenn Madame Alayne es vorzog, allein zu wandeln. Auch ihr sorgloses Liebäugeln mit Männern, die er für unwürdig befand, sollte ihn nicht interessieren. Sie war verheiratet gewesen und musste um die Gefahren wissen, welche sie heraufbeschwor.

Eine Frau, die sich in dieser Weise verhielt, konnte doch unmöglich so unschuldig sein, wie die Dame erscheinen wollte! Sie strahlte etwas aus, das ihn angezogen hatte, einen geheimen Zauber, der seinen Pulsschlag beschleunigte. Alayne behauptete, ohne Arg und ohne Falsch zu sein, für einen Moment war er von ihren stolzen Augen wie gebannt gewesen. Aber er hatte gelernt, sich nicht von den Tränen einer Frau oder einem vorwurfsvollen Blick beeinflussen zu lassen. Berenice war jung und töricht gewesen, ganz im Gegensatz zu dieser jungen Frau. Der Mann, welcher dumm genug wäre, sich in ihren Schlingen zu verfangen, würde gewiss den Tag bereuen, an dem er der Dame begegnet war!

Ralph hatte schon sehr viel von dem sagenhaften „Cour d’Amours“ und den Regeln der Ritterlichkeit gehört, die an diesem Hof galten. Derartige Narreteien mochten eine große Wirkung auf schutzbedürftige junge Damen ausüben, die Vergnügen daran fanden, ihre Verehrer mit wiederholten Neckereien anzuspornen. Aber Ralph wusste nur zu gut, wie niederträchtig Männer sein konnten. Es war gefährlich, Spielchen mit Herren zu treiben, die unter der Oberfläche von unbezwingbaren Begierden beherrscht wurden. Selbst er war in Versuchung gewesen, von der Süße zu kosten, die Alaynes Lippen scheinbar versprachen. Ihn hatte nicht sein Edelmut, sondern die unliebsame Erinnerung zurückgehalten. Hätte er sich in diesem Augenblick nicht der Tränen in den Augen seiner Frau entsonnen … Ralph wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als er leise Stimmen vernahm – ganz in der Nähe, im Schatten des Innenhofs!

„De Froissart begehrt sie. Wenn er seinen Willen bekommt, wird er sie zu seiner Geliebten machen oder gar noch einen Schritt weitergehen.“

„Er beliebt zu spielen. So leicht kann man ihr Herz nicht erobern. Die Dame missachtet meine Aufmerksamkeiten wie auch meine Person. Offenbar hat sie sich gegen die Ehe entschieden und ist unerreichbar.“

Zwei Männer unterhielten sich; ihre Stimmen klangen erhitzt und verdrießlich. Ralph spürte, dass sie über niemand anderen als Madame Alayne sprachen.

„Aber wenn sie nun ihre Meinung ändert?“, warf der erste Sprecher ein. „Dieser Wettkampf ihr zu Ehren könnte ihr Herz umstimmen. Du weißt doch, wie gern die Damen einem trefflichen Wettstreit beiwohnen, und sie wird die Königin des Tages sein. Womöglich verdreht ihr die ganze Aufregung den Kopf. De Froissart ist bereits Turniersieger gewesen. Es gibt nur wenige, die gegen ihn bestehen können. Er wird sich das Recht erstreiten, die schöne Alayne umwerben zu dürfen. Sofern sie sich darauf einlässt, wird er sie auch zu seiner Geliebten machen …“

„Glaubst du, ihr Vater würde als Preis für die Ehre seiner Tochter eine Vermählung einfordern, wenn er von dem Wettstreit wüsste?“

„Der Baron de Robspierre strebt nach Macht und Reichtum. De Froissart ist wohlhabend genug und sehr beliebt bei Hofe. Er hat sogar Ambitionen auf eine Machtposition in England. Der Vater der Dame dürfte also eine solche Verbindung gutheißen.“

„Ich möchte de Froissart lieber tot sehen!“

„Dann trage dich in die Liste seiner Turniergegner ein. Du musst die Gunst der Dame erlangen. Gewinn ihr Vertrauen und sorg dafür, dass sie dich mag. Alle Damen bewundern einen tapferen Recken. Manch ein Weib, das mich kämpfen sah, hat sich mir später an den Hals geworfen. Nimm sie, solange sie für dich entbrannt ist! Sobald sie dein ist, wirst du einen Weg finden, sie zu zähmen.“

„Ich bin nicht geschickt genug, de Froissart in einem Turnier zu bezwingen. Andere werde ich besiegen können, aber der Baron ist ein großer Kämpfer.“

„Du wirst die Gelegenheit verspielen, wenn du dich weiterhin so feige zeigst.“

„Ich habe einen Plan …“

Die Männer mussten weitergegangen sein. Denn obwohl Ralph angestrengt horchte, verstand er den Wortlaut nicht mehr. Doch er hatte sehr wohl die Missgunst und Bösartigkeit wahrgenommen, die einer abgefeimten Intrige zugrunde lagen. Leider konnte er die Stimmen nicht zuordnen.

Früher am Abend hatte Ralph Erkundigungen über Madame Alayne eingezogen. Sie faszinierte ihn vom ersten Augenblick an. Nun wusste er, dass sie über ein ansehnliches Vermögen verfügte. Zudem beerbte sie ihren Vater, weil dieser weder weitere Erben noch nahe Verwandte hatte. Wie es schien, war Alayne verwundbarer, als Ralph zunächst angenommen hatte. Allein ihre außerordentliche Schönheit und die Art, wie sie lächelte, reichten aus, sie zu einem Preis eines Mannes zu machen, selbst wenn sie nicht vermögend wäre. Es mochte Alayne nicht bewusst sein, aber sie strahlte eine warme, sinnliche Verlockung aus, und ihre blauen Augen versprachen geheime Freuden.

Mit seinen warnenden Worten, die er im Augenblick großen Unmuts ausgesprochen hatte – wohl wissend, dass er nur sich selbst und nicht der Dame zürnte –, hatte er Alayne klar machen wollen, dass ihr Vertrauen missbraucht werden könnte. Mittlerweile sah es jedoch so aus, als ob sie Gefahr lief, weitaus mehr zu verlieren, nämlich ihre Freiheit und vielleicht sogar eines Tages ihr Leben. Denn die Männer, die Ralph soeben belauscht hatte, waren rücksichtslos, und Alayne würde nichts weiter als ein bloßer Spielball in niederträchtigen Ränken sein.

Etwas tief in seinem Innern erhob sich, um eine solche Wendung nicht zuzulassen. Nein, niemand sollte der Dame ein Leid zufügen! Nicht solange er lebte. Schon im nächsten Moment musste er über seine Reaktion lachen. Was hatte er damit zu schaffen? Madame Alayne hatte ihre Gefühle offen zur Schau gestellt. Sie mochte ihn nicht. Durch seinen gut gemeinten Ratschlag hatte er sie nur beleidigt und ihren Unmut heraufbeschworen. Wenn er sie jetzt vor dieser Verschwörung warnte, würde sie ihm womöglich keinen Glauben schenken. Zudem wusste er nichts Genaues.

Er hatte zwei Männer belauert, deren Gesichter er nicht gesehen hatte. Manch ein Ritter mochte in ähnlicher Weise über seine Chancen gesprochen haben, die Gunst der Dame im Turnier zu erlangen. Einer der beiden Belauschten begehrte die Dame selbst, höchstwahrscheinlich wegen der einträglichen Ländereien ihres Vaters und des Vermögens ihres verstorbenen Gemahls.

Da Alayne kein Kind zur Welt gebracht hatte, war sie ein umso erstrebenswerteres Kleinod für rücksichtslose Männer. Sowie sie vermählt wäre, würde ihrem Ehemann ihr gesamter Besitz zufallen, und sollte Baron de Robspierre kurze Zeit später aus dem Leben scheiden, könnte ihr Gatte ein beträchtliches Vermögen sein Eigen nennen. Sie wäre nichts weiter als der Besitz ihres Ehemanns, über den er frei verfügen könnte. Allein bei diesem Gedanken drehte sich Ralph der Magen um. Mit finsterer Miene starrte er in die Dunkelheit.

Ralph hatte für die Habgier, welche solche Männer anspornte, nur Verachtung übrig, wohl wissend, dass solche Beweggründe bei der Brautschau nicht ungewöhnlich waren. Er selbst hatte aus einem völlig anderen Grund geheiratet. Trotzdem hatte er Berenice nichts als Schmerz und einen qualvollen Tod beschert. Für diese Unachtsamkeit hatte er gelitten.

Ralph konnte einfach nicht tatenlos zusehen, wenn Madame Alayne in Gefahr schwebte. Er wäre dann an ihrem Schicksal genauso schuld wie an Berenice’ Tod. Wenn er sich an jenem Tag bloß anders benommen hätte … wenn er sich die Mühe gemacht hätte, seine Gemahlin zu verstehen … aber solche Gedankenspiele führten nur zu Irrsinn. Er konnte Berenice’ Tod nicht mehr ungeschehen machen, doch er könnte Alayne helfen.

Sollte er der Königin anvertrauen, was er gehört hatte? Ralph wusste, wie sehr der Ton in Henrys Briefen und die Gerüchte über die Untreue ihres Gemahls Eleonore verstimmt hatten. Daher war es unwahrscheinlich, dass sie einem Boten ihres Mannes Gehör schenken würde, insbesondere wenn Ralph keine Beweise vorlegen konnte.

Es wäre töricht, sich an die Monarchin zu wenden. Ralph war hin und her gerissen. Er fühlte sich nicht für Madame Alaynes Sicherheit verantwortlich! Sie bedeutete ihm nichts und würde ihm auch in Zukunft nicht wichtig sein. Gleichwohl hatte etwas an ihr Gefühle in ihm geweckt, die er für verkümmert gehalten hatte. Empfindungen, welche unter Gram und qualvollen Erinnerungen vergraben lagen.

Man hatte ihn gebeten, so lange in Poitiers zu bleiben, bis die Königin geneigt war, die Schreiben ihres Gemahls zu beantworten. Das könnte wenige Tage oder aber Wochen und Monate dauern. Die Zeit könnte ihm lang werden. Doch er würde sie nutzen, um herauszufinden, wer die Ränkeschmiede waren, die Alayne für ihre niederen Ziele benutzen wollten.

Bevor er Zeuge des heimlichen Gesprächs geworden war, hatte Ralph den Eindruck gewonnen, der Baron de Froissart stelle innerhalb der Ritterschaft die größte Gefahr für Alayne dar. Er war offensichtlich sehr von der Dame angetan und suchte sie, wenn irgend möglich, durch liebliche Worte und tapfere Taten zu verführen. Jene anderen unbekannten Intriganten erschienen weitaus gefährlicher. Sie planten, sich das zu nehmen, was die Dame nicht willentlich geben wollte. Ein solches Vorhaben konnte ein wahrer Ritter nicht hinnehmen. Der Schwur, den er beim Ritterschlag geleistet hatte, verpflichtete ihn, die Unschuldigen zu schützen und das Böse zu bekämpfen.

Daher beschloss Ralph, dass er nichts unversucht lassen durfte, um die junge Frau vor der üblen Bedrohung zu bewahren, selbst wenn er sich nichts als Alaynes Verachtung einhandeln würde. Wenn er einer unbescholtenen Dame half, könnte er ein klein wenig von der Schuld an Berenice’ Tod abtragen.

„Sir Ralph sprach mit mir“, sagte Marguerite, und Vergnügen überflog ihr hübsches Gesicht, während sie Alaynes aufwändige Kopfbedeckung löste und auf eine Truhe aus Eichenholz unter dem schmalen gebogenen Fenster legte. Draußen war es dunkel geworden, weil sich eine Wolke vor den Mond geschoben hatte. „Er scheint mir ein vollkommener Ritter zu sein, galant und zuvorkommend. Bist du ihm schon begegnet, Alayne?“

„Die Königin hat uns einander vorgestellt“, sagte sie und beschloss, kein Wort über das Gespräch mit dem englischen Gesandten im Innenhof zu verlieren. „Er sprach nicht viel, außer dass er kein Verlangen verspüre, an dem Turnier teilzunehmen.“

„Er hat den Ritterschlag vom englischen König erhalten“, sagte Marguerite beinahe ehrfürchtig. „Ich glaube, vor seiner Ehe war er ein Günstling am Hof. Er diente seinem König in den Auseinandersetzungen mit aufständischen Baronen, wie ich gehört habe. Ich halte ihn mitnichten für einen Feigling, auch wenn er sich nicht duellieren möchte.“

„Fürwahr, womöglich hast du recht“, sagte Alayne nachdenklich. Sie entsann sich des harschen Untertons, mit dem der Ritter sie gewarnt hatte, am Abend nicht allein im Hof zu wandeln. „Ich glaube, er erachtet einen solchen Zeitvertreib als töricht. Wenn er kämpft, dann gewiss für eine gerechte Sache.“

Inzwischen hatte Alayne ihrer Gefährtin die Kopfbedeckung abgenommen, legte nun ihre Tunika ab und ging barfuß und nur mit dem Untergewand bekleidet zu ihrem Bett, denn sie suchte die Wärme der schweren Zudecke. Selbst im Sommer hielten die dicken Steinmauern die Wärme ab, und im Winter wurde es so kalt, dass die Damen sich Pelze über ihre seidenen Steppdecken legten.

Sie hatten sich im Schein eines Binsenlichts entkleidet, das Marguerite nun löschte, ehe sie sich zu Alayne ins Bett legte.

„Der Allmächtige segne und schütze uns in der Nacht“, betete sie und bekreuzigte sich. „Ich glaube, ich mag Sir Ralph“, wisperte sie leise, während sie sich in die Decken kuschelte.

Alayne lächelte in der Dunkelheit. Offenbar glaubte Marguerite, ihr Vater würde alles daransetzen, eine Verbindung zwischen seiner Tochter und dem englischen Edelmann herbeizuführen. Marguerite schien sich mit dieser Aussicht zufrieden zu geben – trotz ihres Bekenntnisses, einen anderen zu lieben.

Natürlich hatte Marguerite keine andere Wahl. Sie musste ihrem Vater gehorchen. Genauso wie Alayne sich dem Willen des ihrigen hatte beugen müssen. Ihr war nicht kalt, doch ein eigentümlicher Schauer befiel sie bei dem Gedanken an das Entsetzen von damals, als ihr Vater ihr eröffnete, sie müsse einen Mann ehelichen, der so alt war wie er selbst. Eine schreckliche Angst hatte sich ihrer bemächtigt, sobald sie die merkwürdigen Blicke ihres zukünftigen Gemahls gespürt hatte. Später, in der Hochzeitsnacht, nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hatte, um sich dem Verlangen ihres Gatten hinzugeben, hatte sie feststellen müssen, dass er überhaupt nicht in der Lage war, bei seiner Gemahlin zu liegen.

Eine Zähre rann über ihre Wange bei der Erinnerung daran, wie schroff er sich ihr genähert und wie schändlich er sich benommen hatte. Als er schließlich begriff, dass es nutzlos war, schlug er ihr ins Gesicht, sodass ihre Lippe blutete. Alayne weinte in ihr Kissen, nachdem er ihr Bett verlassen und ihr unter wüsten Beleidigungen die Schuld an seiner Unfähigkeit gegeben hatte. In jener Nacht ahnte sie noch nicht, dass ihr Ehemann seine Wut in starkem Wein ertränken würde. Am folgenden Morgen fiel er in seinem Rausch erneut über sie her.

Abermals trieb er ihr Tränen in die Augen, stürmte sodann aus ihrem Gemach und stürzte angetrunken die steinerne Treppe des Wohnturms hinunter. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er gleich gestorben wäre. Denn er brach sich das Rückgrat und litt qualvolle Schmerzen, bis der Tod sich seiner erbarmte. Alayne ließ seine schroffen Beleidigungen über sich ergehen, während sie ihn pflegte, von Schuldgefühlen geplagt. Sie fürchtete, tatsächlich etwas an sich zu haben, das ihn hinderte, ihr ein richtiger Gemahl zu sein. Wiederholt beschimpfte er sie als kaltes Weibsstück und zischte, sie sei keine rechte Frau.

Die dauernden Anschuldigungen und bitteren Verwünschungen hatten schwer auf Alaynes Gemüt gedrückt. Doch dann war er eines Nachts im Schlaf verschieden. Sie hatte dem Allmächtigen für die Erlösung gedankt, aber schon am nächsten Tag hatte ihr Vater ihr eröffnet, sie werde binnen sechs Monaten erneut vermählt.

Nun verdrängte Alayne die unliebsamen Gedanken. Längst hatte sie sich vor diesen Erinnerungen sicher gewähnt. Der englische Ritter jedoch hatte die Vergangenheit durch seine Warnungen wieder aufgewühlt. Eigentlich sollte sie um die niederträchtige Natur der Männer wissen, die sie durch ihren Gemahl und ihren Vater kennen gelernt hatte. Ihr Vater hatte sie geschlagen und ihr sogar gedroht, sie zum Gehorsam zu zwingen. Doch sie hatte ihn überlistet und lebte seitdem sicher am „Cour d’Amours“ in Poitiers. Allerdings war sie nie wirklich zur Ruhe gekommen, weil sie wusste, dass ihr Vater ein eigensinniger Mann war und seine Pläne nicht leichtfertig fallen ließ.

Jetzt schloss sie die Augen und versuchte, an nichts mehr zu denken, um endlich Schlaf zu finden. Doch alles, was sie sah, war das Antlitz des englischen Ritters. In seinen Augen schien ein Feuer zu brennen, das ihre Seele versengte, sodass sie leise aufstöhnte und sich auf die Lippe biss. Kein Mann zuvor, nicht einmal de Froissart, hatte eine derartige innere Unruhe in ihr ausgelöst. In ihr brannte eine Sehnsucht, ein Verlangen, das sie nicht zu beschreiben vermochte. Sie wusste, dass diese Empfindungen begonnen hatten, als Sir Ralph sie im Innenhof so seltsam angesehen hatte.

„Warum plagt Ihr mich so?“, fragte sie den Ritter in ihren Gedanken. Sie hatte ihren inneren Frieden gefunden, bis er gekommen war. Irgendetwas hatte sich seit seiner Ankunft in ihr verändert. Alayne war sich nicht sicher, warum der Fremde sie derart beunruhigte.

3. KAPITEL

Eine von Alaynes Pflichten sah vor, der Königin am Morgen aufzuwarten. So brachte sie Eleonore einen Becher mit süßem Wein, den die Regentin bei der Frühmahlzeit zu trinken pflegte. Außerdem war sie ihr beim Ankleiden behilflich.

„Ich habe meine Erlaubnis für das Turnier gegeben“, teilte die Herrscherin Alayne mit, als sie einen kräftigen Schluck von dem edlen Tropfen nahm, den zunächst ein Diener vorgekostet hatte. „Es wird nächste Woche abgehalten. Die Herolde sollen die Nachricht verkünden und bis in die Dörfer reiten, damit auch die Leute vom Land hierher kommen, um dem Spektakel beizuwohnen. Wir werden einen Tag des Feierns und Frohlockens ausrufen lassen.“

„Die Ritter sind, glaube ich, ganz erpicht auf den Wettstreit“, sagte Alayne. „Ich muss mir noch einen geeigneten Preis überlegen, den ich dem Sieger überreiche.“

„Es braucht nicht mehr zu sein als ein Schleier oder ein kleines Andenken“, erwiderte die Königin. „Allerdings denke ich, dass die Herren sich mehr erwarten.“

„Dann ist ihr Hoffen umsonst“, versetzte Alayne mit gerunzelter Stirn. „Aber sie sollen nicht bloß mit einem Stück meines Schleiers abgespeist werden. Sie müssen für etwas Wertvolles kämpfen. Ich werde meinen goldenen Armreif, den mir mein Vater zur Hochzeit schenkte, als Preis aussetzen.“

„Meint Ihr den, der im Stil der Römer mit Weinlaub verziert ist?“

„Genau diesen“, antwortete Alayne und lächelte beglückt, da der Königin das Schmuckstück aufgefallen war. „Erachtet Ihr es für geeignet?“

„Der Reif ist sehr schön gearbeitet und recht wertvoll“, meinte Eleonore. „Seid Ihr sicher, dass Ihr Euch davon trennen mögt, Alayne?“

„Oh ja“, versicherte sie. Das Kleinod war weitaus weniger persönlich als ein Schleier. Denn obwohl sie den Reif schön fand, weckte er nur Erinnerungen an Tage, die sie lieber vergessen wollte. „Ich besitze Schmuck, der mir mehr bedeutet.“

„Dann sei dem so – der Armreif ist der Preis für den Sieger“, sagte Eleonore und nickte. Sie seufzte hörbar und zog die Stirn kraus, als habe sie etwas verärgert. „Es wäre aufregend, wenn wir einen neuen Sieger bekämen. Für gewöhnlich gewinnt de Froissart. Allmählich wird es langweilig, mit anzusehen, wie er sämtliche Mitstreiter bezwingt. Ich finde es befremdlich, dass der Baron sich nicht den Kreuzrittern anschließt und für eine würdige Sache streitet.“

„Ich habe gehört, der Baron de Froissart hat als junger Mann auf dem Kreuzzug gekämpft, Hoheit.“

„Das hat er in der Tat“, sagte Eleonore und lächelte. „Ich selbst war dort und wurde Zeuge, wie er die Gunst meines ersten Gemahls erlangte. De Froissart war ein Knappe von vierzehn Jahren und kämpfte bereits so tapfer wie ein Ritter. Er war erst siebzehn Jahre alt, als er den Ritterschlag erhielt. Niemand kann ihn einen Feigling schimpfen, und da er entschieden hat, an unserem Hof zu weilen, müssen wir ihn akzeptieren. Dennoch halte ich es für eine Schande, dass er seine Fertigkeiten in einem Spiel vergeudet. Er sollte sich einer viel ehrenvolleren Aufgabe verschreiben.“

Alayne erwiderte darauf nichts und lächelte. Die Königin erfreute sich starker und tapferer Männer in ihrer Nähe. Daher würde es ihr nicht wirklich gefallen, wenn de Froissart den Hof verließe. Etwas anderes schien die stolze Dame zu belasten. Alayne vermutete, dass der Verdruss der Monarchin mit den Briefen ihres Gatten zu tun hatte. Es gab Gerüchte, König Henry II. von England sei seiner Ehefrau mehrfach untreu geworden, und sie habe ihn deshalb verlassen.

Eleonore von Aquitanien war eine mächtige Frau und eine vermögende Erbin. Viele hatten ein Auge auf ihre Besitztümer geworfen. Doch sie bewachte sie streng. Sie stritt lieber mit ihrem Gemahl, anstatt ihm die unterwürfige Anerkennung zu zollen, die sie ihm als Gattin schuldete.

Sowie die Regentin stattlich gewandet war, bat sie einige ihrer Hofdamen, ihr bei einem Rundgang durch die Burg Gesellschaft zu leisten. Alayne zählte zu den Auserwählten. Während die Gruppe sich im sonnendurchfluteten Hof erging, dachte Alayne an de Froissart. Er hatte die drei letzten Turniere in Folge gewonnen, weshalb er einen neuen Wettkampf vorgeschlagen hatte. Alayne ahnte, dass er sich etwas anderes als den in Aussicht gestellten goldenen Armreif erhoffte. Aber sie war sich über ihre Gefühle dem Baron gegenüber nicht recht im Klaren.

Gewiss beschleunigte sich mitunter ihr Pulsschlag, wenn er sie neckte. Gelegentlich hatte er scheinbar unabsichtlich ihre Hand berührt, und erst kürzlich war er ihr nach Jagdausritten zweimal beim Absteigen behilflich gewesen. Sie hatte sein Verlangen nach einem Kuss gespürt, und als er von der edlen Liebe sprach, wusste sie, dass er sie in der Weise anzubeten gedachte, welche die Troubadoure in ihren Balladen besangen. Mit sanftem Werben, sehnsuchtsvollen Blicken, einer zärtlichen Berührung hier und einem verstohlenen Kuss dort – aber wie lange würde er sich damit zufrieden geben?

Sie konnte ihm die Nähe nicht gewähren, nach der er sich in seinem Herzen sehnte. Die Regeln der höfischen Liebe legten die Entscheidung allein in die Hand der Frau. Es war das Vorrecht, welches sie als Dame der Affäre genoss. Sie würde sich küssen, mit Ehrerbietung berühren lassen und ein begehrtes Juwel sein, das nach festgesetzten Regeln bewundert und verehrt wurde – ja, eine solche Liebe könnte ihr gefallen. Alayne würde sie sogar willkommen heißen. Aber in ihrem Herzen wusste sie, dass die Zeit des höfischen Werbens nicht von langer Dauer war.

Hatte ein Verehrer einmal diese Ansprüche erstritten, würde er mehr verlangen. Das konnte Alayne nicht gewähren. Nein, das war undenkbar!

„Was betrübt Euch, teure Dame?“

Alayne zuckte zusammen, als sich genau der Mann zu ihr gesellte, über den sie soeben nachgedacht hatte. De Froissart glich sich ihrem Schritttempo an. Erst jetzt bemerkte Alayne, dass Eleonore inzwischen mit den Hofdamen zum Palais zurückkehrte.

„Ich war in Gedanken“, sprach sie und schenkte ihm ein Lächeln, als der Baron galant ihre Hand ergriff, an die Lippen zog und einen Kuss auf ihren Handrücken hauchte. Der vertrauliche Blick, mit dem er sie bedachte, erfüllte sie mit Wärme. Ein angenehmes Prickeln erfasste sie, nachdem er ihre Hand wieder freigegeben hatte. Er war sanft und höflich, und es war angenehm, in dieser Weise verehrt zu werden. Wenn sie nicht die Niedertracht ihres Gemahls erlebt hätte, würde sie de Froissarts Werben womöglich willkommen heißen. „Wie es scheint, findet das Turnier nach Euren Wünschen statt, Monseigneur. Seid Ihr froh?“

„Es ist nur ein Zeitvertreib“, sagte er. Als sich ihre Blicke für einen Moment trafen, entdeckte sie kein Lachen in seinen Augen. „Ihr braucht Euch nicht zu fürchten. Ich bin mit dem zufrieden, was Ihr mir zu gewähren bereit seid, Madame. Ihr seid wunderschön und müsst geahnt haben, dass ich mich nach Eurer Liebe sehne. Aber ich würde Euch nie drängen. Womöglich trage ich den Sieg im Turnier davon. Doch dadurch gewinne ich nichts, was ich nicht schon zuvor besaß.“

Alaynes Herz begann schneller zu schlagen. De Froissart war charmant. Sie empfand seine Nähe als angenehm. Aber sie blieb noch immer zurückhaltend. Zudem weckte der Baron nicht die innere Unruhe, welche der englische Ritter mit nur einem Blick in ihr auslöste!

„Ich habe einen Armreif als Preis ausgesetzt, edler Ritter. Allerdings habt Ihr ihn noch nicht gewonnen.“ Ihre Augen neckten ihn. Es war erquicklich, in der warmen Sonne zu gehen und unbeschwert mit einem Freund zu plaudern. „Vielleicht stoßt Ihr auf einen Herausforderer, der Euch aus dem Sattel hebt.“

„Ich wünschte, es wäre so“, erwiderte er mit einem Seufzer. Zum ersten Mal vermochte Alayne, dem Baron bis ins Herz zu sehen, und begriff, dass mehr an diesem Ritter war, als sie bislang angenommen hatte. „Ich fühle mich untätig und gelangweilt an diesem Hof, Madame. Lediglich Eure bezaubernde Anwesenheit hält mich noch in Poitiers.“

„Dann solltet Ihr vielleicht fortziehen“, schlug sie vor. „Wohin würdet Ihr Euch wenden, Monseigneur?“

„Nach England“, antwortete er. „Ich habe gehört, dass es dort aufsässige Barone gibt, die dem König zu schaffen machen. Daher würde ich in Henrys Dienste treten.“

„Demnach habt Ihr nicht erwogen, erneut das Kreuz zu nehmen?“

„Ich war bereits im Heiligen Land“, erwiderte de Froissart. „Ich habe meine Schuldigkeit der Kirche gegenüber getan. Tatsächlich habe ich über etwas anderes nachgedacht …“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, die Zeit ist noch nicht reif. Vergebt mir, Madame. Ich weiß, dass diese Worte Euch nicht gefallen.“

Nach dieser unvermuteten Andeutung starrte Alayne den Baron verwundert an. Sie hatte immer geglaubt, er ziehe sie nur mit der Hoffnung auf, ihr Verehrer sein zu dürfen. Doch wie es schien, gingen seine Gefühle tiefer. Schließlich verabschiedete sie sich von ihm und ging der Königin und den Hofdamen nach, die soeben den Palast betraten.

„Wo bist du gewesen?“, fragte Marguerite. „Madame la reine sagte, sie werde diesen Nachmittag im Garten verbringen, um an ihrem Bildteppich zu arbeiten. Sie möchte, dass du ihr die Seidenstoffe aussuchst, denn du hast ein Auge für Farben.“

Alayne nickte. Sie war froh, sich mit irgendeiner Betätigung abzulenken. Stets hatte sie ein Gefühl von Sicherheit verspürt, wenn sie unverbindlich mit de Froissart anbändelte. Aber wenn er sie zu seiner Gemahlin machen wollte … Sie schüttelte den Kopf. Nein, unter keinen Umständen wollte sie seine Ehefrau werden. Sie wollte an niemanden mehr gebunden sein!

„Ich hing meinen Träumen nach“, antwortete sie ihrer Gefährtin. „Außerdem hielt de Froissart mich auf. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ihr kehrtgemacht hattet.“

Sowie sie ihr Palais betraten, schaute Alayne sich noch einmal um. Baron de Froissart war nicht mehr zu sehen. Dafür gewahrte sie plötzlich den englischen Ritter, der mit gerunzelter Stirn zu ihr herübersah. Weshalb schaute er sie bloß immer mit diesem Anflug von Missbilligung an? Was hatte sie nur getan, das ihn so verstimmte?

Alaynes Herz setzte einen Schlag aus und pochte sodann wie wild in ihrer Brust. Das Atmen verursachte ihr auf einmal Schmerzen. Seine Augen schienen ihre Gedanken lesen zu können, und offenbar gefiel ihm nicht, was er sah. Warum war sie nicht in der Lage, diesen Fremden aus ihren Gedanken zu verbannen?

Ralph folgte de Froissart, nachdem Alayne gemeinsam mit den Hofdamen das Schloss betreten hatte. Es war nicht seine Absicht gewesen, das Gespräch zu belauschen. Aber was er zufällig mitbekommen hatte, gab ihm die Gewissheit, dass die Dame nicht viel von dem Baron zu befürchten hatte. Wie es schien, hatte er de Froissart falsch eingeschätzt. Er gedachte, sie zur Frau zu nehmen, und eine Vermählung wäre vermutlich das Beste für sie. Sobald sie sicher verheiratet wäre, würde sie nicht mehr länger jenen rücksichtslosen Schurken ausgeliefert sein, die lediglich auf ihr Vermögen aus waren. De Froissart war ihr in Liebe zugetan und verfügte selbst über ansehnliche Besitztümer.

Es bestand kein Zweifel, dass diese Ehe eine treffliche Verbindung für Alayne darstellen würde. Es bedurfte einer harten Hand in einem Samthandschuh, um sie zu bändigen. Denn in ihr brannte ein Feuer, obwohl sie sittsame Bescheidenheit vortäuschte. Der Baron liebte sie und war daher die geeignete Person, um für Alaynes Sicherheit zu sorgen. Ralph vermutete vor dem Hintergrund des nächtlichen Gesprächs, welches er durch Zufall mit angehört hatte, dass derjenige, der sich in die Turnierliste eintragen lassen wollte, auf Unheil aus war. Jemand musste den Baron vor der drohenden Gefahr warnen.

Ralph hatte gerade den Palast hinter sich gelassen und den Waldrand erreicht, als er Hilferufe und die unverwechselbaren Geräusche von Handgreiflichkeiten vernahm. Jemand war in Not! Ralph trug nur seine Hofkleidung und keine Rüstung, aber er hatte sein Schwert angelegt. Außerhalb des Palais hielt er es für klüger, stets seine Waffe zur Hand zu haben.

Sowie er zu dem Ort des Kampfes eilte, fand er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Der Baron de Froissart wurde von gedungenen Schurken bedrängt. Es waren keine Ritter, sondern sechs stämmige Burschen, die mit Knüppeln auf den Baron einschlugen, als wollten sie ihm ans Leben. Mit einem Aufschrei der Empörung angesichts dieses gemeinen Hinterhalts stürzte Ralph sich mit gezogenem Schwert auf die Angreifer. Sowie die Männer den wütenden Schlachtruf vernahmen, wirbelten sie herum, stierten Ralph an, die Münder kreisrund vor Entsetzen, und flohen spornstreichs tiefer in den Wald.

Ralph machte sich nicht die Mühe, die Bande zu verfolgen. Als er den am Boden liegenden de Froissart vor Schmerzen leise stöhnen hörte, wusste er, dass er nicht rechtzeitig gekommen war, um dem Baron Verletzungen zu ersparen. Geschwind kniete er neben ihm, drehte ihn auf den Rücken und zog die Stirn in finstere Falten, als er die Kopfverletzungen bemerkte. Ein Ärmel des Ritters färbte sich rot.

„Vergebt mir, ich hätte früher kommen müssen“, sprach er, während er dem Baron in eine sitzende Position half. De Froissart keuchte und stieß einen unterdrückten Schmerzensschrei aus. „Was haben Euch diese gemeinen Schufte angetan, Monsigneur? Ihr blutet am Arm, aber wie steht es um die Wunde an Eurem Kopf?“

„Sie haben mich am Kopf erwischt, jedoch ich fürchte, die Verletzung an meinem rechten Arm ist schlimmer. Er könnte gebrochen sein.“ Ein weiterer Schmerzenslaut entwich dem Baron, aber er biss die Zähne zusammen und ließ sich von seinem Retter untersuchen.

Behutsam schob Ralph den Ärmel von de Froissart hoch und begutachtete vorsichtig die Wunde. Schließlich nickte er. „Ja, Ihr habt Euch eine ernste Verletzung zugezogen. Ich glaube, es ist allerdings keine Fraktur. Lasst mich Euch zurück in den Palast bringen, damit sich ein Wundarzt Eurer annehmen kann, mein Freund. Ich denke, Ihr werdet Euch rasch erholen, denn ich habe schon schlimmere Verwundungen gesehen.“

„Habt Dank für Eure Hilfe“, sagte de Froissart und taumelte leicht, als Ralph ihn stützte. „Wenn Ihr nicht gewesen wärt, hätten diese Lumpenhunde mich gewiss umgebracht.“

„Mir ist erst heute Morgen bewusst geworden, in was für einer Gefahr Ihr schwebt“, erklärte Ralph. „Ich habe zufällig erfahren, dass jemand die feste Absicht hat, das Turnier und die Dame Alayne zu gewinnen, sei es durch lautere oder unsaubere Methoden. Aber ich habe nicht mit dem ehrlosen Plan des Unbekannten, Euch kampfunfähig zu machen, gerechnet.“

„Ich bitte Euch, erzählt mir mehr!“, bedrängte de Froissart ihn mit finsterer Miene. „Wollt Ihr damit sagen, dass der Überfall eine Intrige war, um meine Teilnahme am Turnier zu verhindern?“

„So könnte es gewesen sein“, erwiderte Ralph. „Ich bin Euch gefolgt, nachdem Ihr mit Madame Alayne gesprochen hattet, um Euch vor einem möglichen Komplott zu warnen. Ich glaube, dass jemand mit allen Mitteln versucht, die Dame und ihr Vermögen zu erobern. Dabei schreckt er nicht davor zurück, jeden Rivalen aus dem Weg zu räumen, der ihm die Dame streitig machen könnte.“

„Welcher Schurke steckt dahinter? Ich werde ihn aufspießen wie einen wilden Eber!“, rief de Froissart aus, ehe er beinahe zusammensackte, weil der Schmerz in seinem Arm unerträglich wurde. „Zumindest wenn ich wieder bei Kräften bin“, setzte er mit schmerzverzerrtem Gesicht hinzu.

„Ich kenne seinen Namen nicht. Letzte Nacht habe ich lediglich zwei Männer im Innenhof belauscht. Zunächst war mir nicht bewusst, worüber die beiden sprachen, und dann war es zu spät, die Identität der Verschwörer zu enttarnen. Doch ich verspreche Euch, der Tag wird kommen, an dem Ihr es diesem Schuft heimzahlen könnt“, sagte Ralph. „Leider erst nach dem Wettstreit.“

„Das war ja genau die Absicht dieses niederträchtigen Halunken!“, zischte de Froissart und zuckte zusammen bei dem Versuch, den Arm zu bewegen. „Wenn ich nicht teilnehme, wird irgendein anderer Narr die Gelegenheit ergreifen, die Dame zu umwerben – wahrscheinlich dieser Renaldo, der Sohn von Baron de Bracey. Ich weiß, dass der alte de Bracey nach Alaynes Besitztümern strebt und sein Sprössling die Frau begehrt. Vater und Sohn geben ein wahres Gaunerpaar ab, wobei der junge de Bracey noch schlimmer als sein Vater ist. Es würde mich nicht wundern, wenn diese beiden das Vorhaben ausgeheckt haben!“

„Es waren in der Tat zwei Männer, die ich belauscht habe“, stimmte Ralph dem Baron zu. „Einer wirkte zögerlich, wohingegen der andere den Ton angab. Womöglich habt Ihr recht, und es waren de Bracey und sein Sohn. Ich kenne weder den einen noch den anderen. Aber Ihr könntet mir die beiden von einem Eurer Knappen zeigen lassen, damit ich sie im Auge behalten kann.“

„Ihr müsst weitaus mehr tun, mein Freund“, sagte de Froissart und verlangsamte seine ohnehin von Schmerzen behinderten Schritte. Er sah Ralph mit einem durchdringenden Blick an. „Ihr müsst Euch in die Liste eintragen und de Bracey besiegen. Falls er nämlich gewinnt, müsste Alayne ihn zumindest für einige Stunden zu ihrem Sieger erklären, und ich traue diesem elenden Schurken nicht über den Weg. Er wird Mittel und Wege finden, um sich an ihr zu vergreifen.“

„Somit liegt Euch etwas an ihr?“, forschte Ralph nach.

„Was geht Euch das an, verflucht?“, grollte de Froissart. „Wenn Ihr es unbedingt wissen wollt, ich würde sie heiraten, wenn sie mich haben wollte – aber ihr Vater hat sie für die Ehe verdorben. Sie war gezwungen, mit einem Mann eine Verbindung einzugehen, der ihr Großvater hätte sein können. Ich vermute, er hat sie schlecht behandelt, obgleich sie mit niemandem über ihre Vermählung sprechen mag. Die Königin ließ mich wissen, dass die Dame todunglücklich in ihrer Ehe war und deshalb vor jedem Mann zurückschreckt. Daher bin ich mit meinem Werben äußerst verhalten vorgegangen. Ich vermag nicht zu sagen, ob sie meine Gefühle erwidert – aber ich würde alles für sie tun.“

„Ihr würdet sie beschützen“, pflichtete Ralph ihm bei, „und sie bedarf der Hilfe. Wir müssen verhindern, dass de Braceys Sohn sich das Recht erstreitet, Madame Alayne zu umwerben. Gibt es denn niemanden außer mir, der an Eurer statt kämpfen könnte?“

De Froissarts Augen verengten sich. „Ich habe gehört, Ihr seid ein trefflicher Streiter, de Banewulf. Kämpft für mich und schützt die Dame vor diesen Galgenvögeln, denn mein Arm wird mir nicht so bald dienen.“

„Ich habe mich schon seit Jahren nicht mehr für ein Lanzenstechen eingetragen“, erwiderte Ralph zögerlich. Er mochte Turniere nicht sonderlich – zu viele Männer zogen sich schlimme Verletzungen in einem unbedeutenden Schaukampf zu. „Ich bin beileibe nicht aus der Übung, aber der Turnierkampf behagt mir nicht. Beim letzten Streit habe ich einen Mann getötet, der mein Freund war. Ich kämpfte in wilder Rage und gelobte später, nur noch für meinen König und mein Vaterland zu streiten.“

„Wir haben alle Dinge getan, die wir lieber vergessen würden“, sagte de Froissart. Doch Ralphs unbedachtes Bekenntnis hatte sein Interesse geweckt. „War es Eure Absicht, Euren Gegner zu töten?“

„Nein. Er versuchte, mir etwas zu sagen, das ich nicht hören wollte“, bekannte Ralph. „Da geriet ich in Zorn, und alsbald stritten wir. Ich schlug ihn zu Boden, dabei prallte er unglücklich mit dem Kopf gegen einen Amboss – wir kämpften vor den Stallungen ganz in der Nähe des Hufschmieds –, sodass seine Schädeldecke brach. Wir taten alles, um sein Leben zu retten – vergebens. Später, als er im Sterben lag, gestand er mir, er habe mich angelogen, um mich wütend zu machen. Er wollte mich aus meiner Trauer befreien. Dann lächelte er, ehe er verschied.“

„Wie lautete denn die Lüge, die Euch so erzürnte?“

„Er sagte mir, das Kind, welches meiner Gemahlin das Leben gekostet hatte, sei nicht meins, sondern seins.“ Ralphs Miene verdüsterte sich unheilvoll vor Kummer. „Doch er log. Ich wusste, dass er die Unwahrheit sprach. Mein Unmut galt sowohl mir als auch dem Gefährten. Ich trieb meine Ehefrau durch meine abweisende Art in den Tod und brachte einen Freund im Zorn um. Eine Zeit lang zog ich in Betracht, das Kreuz als Zeichen der Buße zu nehmen, aber ich wusste, dass ich seiner unwürdig war. Ein Streiter Gottes muss ehrenhaft sein, wenn er das Zeichen des Allmächtigen ins Feld führen will.“

„Ich weiß, was Ihr meint“, sprach de Froissart und nickte wie zur Bestätigung. „Auch ich habe in Raserei getötet. Deshalb werde ich nicht erneut das Kreuz nehmen. Aber Ihr tut Euch unrecht, de Banewulf. Ihr habt nichts getan, was nicht schon andere getan hätten, und Eure Sünde wiegt nicht so schwer wie manch eine andere.“

„Doch ich kann mir nicht vergeben.“

„Dann bestreitet dieses Turnier als Akt der Reue“, drängte de Froissart ihn. „Sofern Ihr das Gefühl habt, Eurer Gemahlin und Eurem Freund etwas schuldig zu sein, nehmt das Schwert in ihrer beider und meinem Namen. Tut Ihr es nicht, fürchte ich um die Sicherheit der Dame.“

Ralph starrte den Ritter lange schweigend an und senkte den Kopf. Er wäre gezwungen, ein Gelübde zu brechen. Nur ein Geistlicher könnte ihn davon freisprechen.

„Ich werde tun, was Ihr erbittet. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass ich den Sieg erringe. Ich habe zwar mit meinen Leuten geübt, doch seit dem Tag, an dem ich Christian Payton tötete, habe ich nicht mehr gekämpft.“

„Sorgt dafür, dass der Arzt mich wieder auf die Beine bringt, damit ich Euch trainieren kann“, erwiderte de Froissart. „Dann werden wir ja sehen …“

„Ihr solltet Euch ins Bett legen, mein Freund.“

„Ich bin kein Schwächling“, knurrte der Ritter und unterdrückte einen Schmerzenslaut. „Ich muss mir lediglich den Arm verbinden lassen und einen Pokal mit starkem Wein trinken, bevor ich Euch beim Kampf beobachte. Fürwahr, ich werde am lautesten jubeln, wenn Ihr diese Halunken besiegt!“

Ralph lächelte, denn er begann den Mann zu mögen. „Ich beuge mich Eurem Urteil und bete, dass ich das Vertrauen, welches Ihr in mich setzt, nicht verspiele.“

Alayne lauschte dem Klatsch an diesem Abend. Die Höflinge sprachen über nichts anderes als den infamen Angriff auf den Baron de Froissart. Die meisten zeigten sich empört über diesen Hinterhalt. Man munkelte, der Ränkeschmied, welcher für den Überfall verantwortlich war, habe gehofft, de Froissart kampfunfähig zu machen.

„Das war ein Schurkenstück“, sagte Marguerite zu Alayne. „Wer tut so etwas Fürchterliches?“

„Ich weiß es nicht.“ Alayne zog die Stirn in Falten. Ihr fröstelte wie an dem Tag des Jagdausflugs, als der Wettkampf vorgeschlagen wurde.

Die Königin tat angesichts des Vorfalls ihre Empörung kund und zog in Erwägung, das Turnier abzusagen. Aber die Höflinge baten sie, ihnen nicht das Vergnügen zu nehmen. Als am Abend de Froissart mit Verspätung bei der Mahlzeit erschien, stärkte er den Befürwortern des Wettstreits den Rücken.

„Ich ersuche Euch, Hoheit, das Turnier nicht abzusagen“, sprach er mit lauter Stimme, damit ihn jeder hören konnte. „Denn wer immer diese Untat begangen hat und glaubt, durch unlautere Mittel zum Sieg zu kommen, wird durch meinen Ritter aufgehalten.“

„Euren Ritter?“ Alle waren begierig zu erfahren, von wem der Baron sprechen mochte. Viele steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, als sie versuchten, den Recken zu benennen, der in de Froissarts Namen antreten würde. „Aber wen gedenkt Ihr aufzubieten? Ist er ein Fremder?“, fragte die Königin.

„Er weilt erst einige Tage hier am Hof“, sagte de Froissart und rang sich ein überlegenes Lächeln ab. Doch er litt große Schmerzen, denn er hatte sich bislang allein mit Wein betäubt und weigerte sich beharrlich, den Heiltrank zu nehmen, den der Arzt ihm bereitet hatte. „Ich spreche von Sir Ralph de Banewulf …“ Der Baron trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick frei auf Ralph, der sich die ganze Zeit im Hintergrund aufgehalten hatte. Ein Raunen ging durch die Halle. De Froissart brachte die Anwesenden mit erhobener Hand zum Schweigen. „Sir Ralph hat mir das Leben gerettet, als ich törichterweise unbewaffnet dem Wald zu nahe kam und von gemeinen Schurken angegriffen wurde. Wäre er nicht rechtzeitig gekommen, hätte dieser Hinterhalt vermutlich mein Ende bedeutet. Aber wie Ihr sehen könnt, lebe ich noch.“

Alaynes Herz setzte einen Schlag aus, als sie de Froissarts Worte vernahm. Der englische Ritter hatte doch nicht im Turnier antreten wollen – warum hatte er sich denn nun anders entschieden?

Die Königin sah in Sir Ralphs Richtung. „Ist das wahr, Sir Ralph? Werdet Ihr als de Froissarts Ritter kämpfen?“

„Ja, er bat mich darum, und die Ehre gebietet es, seinem Ersuchen nachzukommen.“

Die Herrscherin neigte leicht den Kopf. Ein kleines Leuchten lag in ihren Augen. „Nun verspricht der Wettstreit doch noch recht ansprechend zu werden. Da Ihr es als Ehrenangelegenheit bezeichnet, Sir, werde ich den Wettstreit stattfinden lassen – mit einer kleinen Änderung. Ihr kämpft um einen goldenen Armreif und das Privileg, während des nachfolgenden Festmahls neben Madame Alayne auf der Empore zu sitzen. Ich weiß, dass es törichtes Gerede gab, man wolle um das Vorrecht kämpfen, die Dame zu umwerben, aber dies verbiete ich hiermit. Der Sieger gewinnt lediglich den Armreif und darf den Abend über der Dame Gesellschaft leisten, mehr nicht!“ Sie ließ den Blick über die Gästeschar schweifen. „Seid Ihr damit einverstanden, werte Herren?“

Von überall her ließ sich zustimmendes Gemurmel vernehmen. Ralph fielen zwei Ritter auf, die finstere Mienen aufgesetzt hatten. Rasch flüsterte er seine Beobachtung de Froissart zu, der daraufhin in die Richtung der beiden Männer blickte. Es konnte sich nur um Vater und Sohn handeln, denn die düster dreinblickenden Edelleute sahen einander auffallend ähnlich. Obschon der Vater sehr beleibt war und ein eigentümlich aufgedunsenes Gesicht hatte. Der Jüngere der beiden wirkte kräftiger und gesünder, doch ein böser Zug lag um seinen Mund. De Froissart bestätigte Ralph, dass es sich um den Baron de Bracey und dessen Sohn handelte. Nein, beim Allmächtigen, sie sollen die Dame nicht bekommen, dachte Ralph voller Grimm.

„Es tut mir so leid, dass Ihr verwundet seid, Monseigneur.“

Ralph vernahm eine sanfte Stimme und sah, dass die junge Marguerite gekommen war und nun mit de Froissart sprach.

„Nichts weiter als ein Kratzer“, wiegelte der Baron tapfer, wenn auch nicht ganz überzeugend, ab.

„Ihr solltet Euch ausruhen. Dem Himmel sei Dank, dass Sir Ralph in der Nähe war und Euch helfen konnte, Monseigneur.“

„Fürwahr, ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet“, antwortete de Froissart.

Ralph wandte sich von dem Gespräch ab und suchte in der Menge nach Alayne. Schließlich entdeckte er sie: Sie stand ein wenig abseits der Damen, mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck, der ihn seltsam berührte. Warum war sie so traurig? Er hatte sie für eine frohgemute Frau gehalten, die zu Neckereien aufgelegt war, für eine Verführerin gar, die ihre Wirkung auf die Höflinge genoss. Jetzt indes, als er sah, dass sie sich unbeobachtet wähnte, begriff Ralph, dass mehr in ihr steckte, als er geglaubt hatte.

„Entschuldigt mich für einen Moment“, sagte er zu de Froissart gewandt, wurde jedoch unterbrochen, als die Königin sich erhob und zu den Anwesenden sprach.

„Ich weiß nicht, ob der schändliche Überfall auf Baron de Froissart nur von Wegelagerern begangen wurde“, hob sie energisch an. „Wenn ich herausfinde, dass dies ein Versuch war, den ehrenwerten Ritter vom Turnier abzuhalten, so werde ich die Übeltäter auf Lebzeiten verbannen und ihre Besitztümer einziehen.“

Ausrufe des Erstaunens wurden laut, denn das war eine harte Vergeltung. Selten hatten die Höflinge so harsche Worte aus dem Munde ihrer Monarchin gehört. Es war offenkundig, wie sehr sie verstimmt war. Zweifellos würde sie nicht zögern, ihre Drohung wahr zu machen. Die Verbannung vom Hofe und die Konfiszierung sämtlicher Güter waren Strafen, die kaum ein Adliger riskieren wollte. Der Verlust der Rüstung bei einer Niederlage im Turnier war nichts im Vergleich zu diesem Urteil.

„Hat jemand versucht, Euch wegen des Wettkampfes Schaden zuzufügen?“, fragte Marguerite und schaute de Froissart besorgt an. „Das war eine schreckliche Missetat, Monseigneur.“

„Wir werden den wahren Grund wohl nie erfahren“, war alles, was der Ritter dazu sagen wollte. „Habt Dank für Euer Mitgefühl, aber ich denke, Ihr müsst mich entschuldigen, Madame, denn ich muss Euren Rat befolgen und mich zu Bett begeben.“

Marguerite sah weiterhin besorgt aus. „Ja, gewiss. Benötigt Ihr Hilfe?“

„Mein Freund hier steht mir zur Seite. Ich fürchte, ich wäre eine zu schwere Bürde für Euch, schöne Dame.“ Er machte eine steife Verbeugung und raunte Ralph zu: „Bringt mich hier weg!“

„Törichter Kerl“, schalt Ralph den Baron, als er sah, dass dieser beinahe strauchelte. Warum nur hatte de Froissart darauf bestanden, in die Große Halle zu gehen? Ralph vergaß sein Vorhaben, Alayne anzusprechen, und beeilte sich stattdessen, dem schwer angeschlagenen Ritter beizustehen. „Kommt, ich bringe Euch in Euer Gemach – dann werdet Ihr endlich die Arznei nehmen, die Euch schlafen lässt. Ich brauche morgen noch Eure Hilfe, um meine Fertigkeiten zu verbessern, oder dieses Turnier ist verloren. Trotz der Erklärung der Königin wage ich die Behauptung, der Sieger wird sich wahrscheinlich das Recht nehmen, welches ihm seiner Meinung nach zusteht.“

„Eben deshalb müsst Ihr der Gewinner sein“, bekräftigte de Froissart und fixierte Ralph finster. Der Schmerz in seinem Arm war unerträglich, doch der Wortwechsel brachte ihn auf andere Gedanken, was zweifellos Sir Ralphs Absicht war. „Ihr kämpft gut genug, aber Ihr müsst mit dem Herzen bei der Sache sein, de Banewulf. Als mein Ritter dürft Ihr mir keine Schande machen, oder Ihr werdet Euch zu verantworten haben, sobald ich wieder gesund bin.“

Ralph lachte unbekümmert. Er fühlte sich mit dem Mann bereits freundschaftlich verbunden. De Froissart war ein wahrer Ritter und wäre Madame Alayne gewiss ein guter Gemahl. Allerdings protestierte etwas tief in seinem Innern bei der Vorstellung, die Dame irgendeinem anderen Mann zu überlassen. Gleichwohl verdrängte er diesen Gedanken wieder. Alayne war nicht für ihn bestimmt. Er würde keines anderen Mannes Braut nehmen.

Alayne beobachtete, wie die beiden Ritter die Halle verließen. Sie war entsetzt gewesen, als sie von dem gemeinen Überfall auf den Baron gehört hatte. Besonders beunruhigt hatte sie aber die Vermutung, de Froissart sei ihretwegen angegriffen worden. Wer mochte zu einer solchen Tat fähig sein? Gewiss war keiner der Höflinge so niederträchtig, um sich durch unlautere Mittel einen Vorteil zu verschaffen. Dennoch gab es Edelmänner, denen sie misstraute, und andere, denen sie geflissentlich aus dem Weg ging.

Als sie sich in der Halle umsah, gewahrte Alayne sowohl den alten de Bracey wie auch seinen Sohn Renaldo an diesem Abend bei Hofe. Ein Schauer durchrieselte sie, und eine unbestimmte Furcht stieg in ihr hoch. Sie vermochte nicht zu sagen, welchen der beiden de Braceys sie am meisten verabscheute. Der alte Baron war abstoßend, aber der Sohn war darüber hinaus bösartig.

Dies sollte die Familie sein, mit der ihr Vater sie zu verheiraten gedachte? Alayne wusste, dass ihr Vater keine große Zuneigung zu ihr verspürte. Aber wie konnte er nur an eine solche Verbindung denken? Sie hatte die Herren de Bracey nur ab und an am Hof gesehen. Sie waren alles andere als beliebt und kamen seltener als einige andere. Warum erschienen sie jetzt? Hatte etwa der Baron de Bracey den Zwist mit ihrem Vater beigelegt? Ihr Vater würde sie in jede erdenkliche Ehe zwingen, die ihm zum Vorteil gereichte, das wusste Alayne. Sie allerdings würde eher sterben, als einen de Bracey zu heiraten!

Sie schaute zur Seite und unterdrückte ihren Abscheu den Männern gegenüber. Da bemerkte sie, dass die Königin sie zu sich winkte. Rasch durchquerte Alayne die Halle, machte einen Knicks, nahm eine Leier und sang für die Gesellschaft. Eigentlich hätte ich wie Marguerite zu de Froissart gehen sollen, dachte sie bedauernd. Nach all den Ehrenbezeugungen wäre es höflich und aufmerksam gewesen. Aber nach seiner Erklärung an diesem Morgen hatte Alayne ein wenig Angst vor ihm. Als höfischen Verehrer befand sie ihn für annehmbar, aber als Gemahl … nein, das wäre undenkbar. Alayne seufzte. Sie bezweifelte, ob sie jemals einen Mann finden würde, der ihr in dieser Hinsicht zusagte.

Unvermittelt zauberte die Erinnerung ihr die Gesichtszüge des englischen Ritters vor Augen. Sie entsann sich plötzlich, wie er sie am Abend zuvor mit diesem eigentümlichen Blick gleichsam verschlungen hatte; in seinen Augen hatten sich Zorn und noch etwas anderes gespiegelt – nur was? Mochte es gar so etwas wie Verlangen gewesen sein? Sie war sich nicht sicher. Alayne wusste lediglich, dass sie nicht die Furcht verspürt hatte, welche sie immer dann überkam, wenn andere Männer sie in dieser Weise anstarrten.

Etwas an Ralph de Banewulf zog sie in seinen Bann, obschon sie es sich selbst nicht eingestehen wollte. Sollte sie sich etwa in den fremden Ritter verliebt haben?

Nein fürwahr, sie war sich sicher, dass sie nie eine tiefe Zuneigung zu einem Mann verspüren würde können. Doch was war es dann, das diese Rastlosigkeit in ihr auslöste und ihr nachts den Schlaf raubte? Warum hatte sie derart fiebrige Träume? Phantasien, in denen der englische Edelmann sie in die Arme schloss und sie so zärtlich küsste, dass ihr ganzer Körper zum Schwingen gebracht wurde?

Der Sonntag galt der Andacht. Alayne besuchte viermal die heilige Messe in der königlichen Kapelle. An allen anderen Tagen fanden Festbankette, Musikdarbietungen und Tanz am Hofe statt. Aber am Tag des Herrn mussten die Höflinge nüchtern und andächtig sein.

Die Damen verbrachten den Feiertag im frommen Gebet oder bei ihrer Handarbeit, wohingegen die Männer oftmals ausritten. Alayne vermutete, dass die Herren manchmal Dorfschänken aufsuchten, um ungestört trinken und ihre Späße mit den Schankmädchen treiben zu können. Doch natürlich gab es auch andere Ritter, die wirklich andächtig waren und sich jegliches Vergnügen versagten.

Es war kurz nach der Abendmahlzeit, als Alayne die Neuigkeit von Marguerite erfuhr.

„Man sagt, Sir Ralph habe die Königin ersucht, die Nachtwache in der Kapelle halten zu dürfen“, erzählte die junge Frau, als sie gemeinsam zu ihrem Gemach gingen. Die Palaisbewohner sollten früh zu Bett gehen, damit sich alle rechtzeitig am nächsten Morgen auf dem Turnierplatz einfänden. „Wie es scheint, hat er gelobt, nie wieder an einem Wettstreit teilzunehmen. Aber der Geistliche hat ihn von seinem Gelübde befreit. Als Buße muss er die ganze Nacht bäuchlings vor dem Kreuz liegen.“

„Ich frage mich, warum er ein solches Versprechen abgelegt hat“, sagte Alayne und zog nachdenklich die Stirn kraus. „Glaubst du, er hat eine schwere Sünde begangen?“

„Mein Vater hält ihn für einen trefflichen Mann“, antwortete Marguerite. „Natürlich gibt es Gerüchte, doch ich glaube nicht, dass er Böses tut. Auf jeden Fall hält er das Andenken seiner Gemahlin in Ehren. Sie verschied plötzlich, so heißt es, an einem Fieber.“

„Ich dachte, sie starb noch im Kindbett?“

„Mein Vater sagte mir, sie hatte sich von der Geburt erholt. Später sei dann die Krankheit unvermutet zurückgekehrt. Sir Ralph muss geglaubt haben, dass es seiner Frau wieder besser ging. Man mutmaßt, er habe sich die Schuld gegeben, seine Gemahlin vernachlässigt zu haben. Dabei kann es unmöglich sein Versäumnis gewesen sein. Er ist ein guter Mensch, glaubst du nicht auch?“

„Ja, aber ich kenne ihn nicht. Für böse halte ich ihn gewiss nicht“, erwiderte Alayne und mied Marguerites Blick. Der englische Ritter verwirrte sie. Alayne wollte nicht weiter über ihn sprechen. „Hast du etwas von Baron de Froissart gehört? Ich habe ihn seit gestern Abend nicht gesehen und schon Angelica gefragt, ob es etwas Neues gäbe. Ihre Antwort war, dass der Ritter am Nachmittag das Bett gehütet habe.“

„Merkwürdig, das kann nicht sein“, meinte Marguerite. „Mein Vater erzählte mir, der Baron habe Sir Ralph heute Morgen drei Stunden lang bei den Schwertübungen beobachtet.“

Alayne nickte und schaute ihre Gefährtin neugierig an. „Hat dein Vater mehr von deiner Vermählung erzählt?“

„Nein … aber er meinte, er werde mich womöglich bald mit an den englischen Hof nehmen.“

Autor

Joanne Rock
Joanne Rock hat sich schon in der Schule Liebesgeschichten ausgedacht, um ihre beste Freundin zu unterhalten. Die Mädchen waren selbst die Stars dieser Abenteuer, die sich um die Schule und die Jungs, die sie gerade mochten, drehten. Joanne Rock gibt zu, dass ihre Geschichten damals eher dem Leben einer Barbie...
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Anne Herries

Anne Herries ist die Tochter einer Lehrerin und eines Damen Friseurs. Nachdem sie mit 15 von der High School abging, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit bei ihrem Vater im Laden. Dann führte sie ihren eigenen Friseur Salon, welchen sie jedoch aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen und ihrem...

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