Historical Herzensbrecher Band 9

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DER HIGHLANDER UND DIE HURE von TERRI BRISBIN

Um die Waffenruhe zwischen den rivalisierenden Clans nicht zu gefährden, muss Duncan MacLerie die berüchtigte "Robertson-Hure" zur Frau nehmen. Doch seine Braut entpuppt sich als zurückhaltende Schönheit, die er bald leidenschaftlich begehrt. Aber ist Marian wirklich eine Hure? Um das herauszufinden, muss Duncan nicht weniger als seine Ehre aufs Spiel setzen …

DIE FALSCHE BRAUT FÜR EWAN? von DEBORAH HALE

Überzeugt, dass ihre Schwester auf einen Mitgiftjäger hereingefallen ist, versucht Claire, die Hochzeit zu verhindern. Ein schwieriges Unterfangen! Erst recht, als sie erfährt, dass ihr zukünftiger Schwager der Highlander Ewan Geddes ist, den sie schon als junges Mädchen unwiderstehlich fand!


  • Erscheinungstag 18.12.2020
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749514
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Terri Brisbin, Deborah Hale

HISTORICAL HERZENSBRECHER BAND 9

1. KAPITEL

Man erzählt sich, ihre Brüste seien so üppig, dass sie die Hand eines Mannes füllen.“

„Oder seinen Mund!“, rief ein anderer aus dem Hintergrund.

„Ich habe gehört, dass ihre Beine den Bauch eines Mannes umschließen und ihn in den Himmel tragen können.“ Das kam vom Jüngsten aus der Gruppe. „Und ihr Haar fällt in pechschwarzen Wellen bis zur Taille hinunter.“ Duncan hätte schwören können, dass er einen sehnsüchtigen Unterton aus der Stimme des Jungen heraushörte, der kurz davor stand, ein Mann zu werden.

„Nein, es ist so hell wie das blondeste Blond“, tönte es aus einer anderen Ecke.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass es rot ist … so wie das von Hamish!“, konterte Travis.

Alle lachten darüber, aber das Gelächter verstummte schnell wieder, und Duncan wurde klar, dass jeder von ihnen das Gleiche dachte.

„Aye, Junge“, rief Hamish und warf den Kopf in den Nacken, sodass sein kastanienrotes Haar über seine Schultern fiel. „Und mir hat man über sie erzählt, dass ihre Haare das Einzige waren, was ihren Körper bedeckte, als sie mit zwei oder gar drei Männern in ihrem Bett von dem alten Laird erwischt wurde. Ihrem Vater.“

Duncan fühlte sich versucht, sie zu mahnen, nicht noch wüstere Geschichten zum Besten zu geben, doch in dem Moment begann Hamish zu singen. Es war eine gefällige Melodie, die ihnen allen vertraut war. Hamish jedoch veränderte hier und da ein Wort, und schon wurde daraus ein anstößiges Lied, das sich über die Geschicklichkeit im Bett und die körperlichen Vorzüge der Frau aus dem Robertson-Clan ausließ, die auch die Robertson-Hure genannt wurde. Duncan ließ das ausgelassene Treiben noch für kurze Zeit zu, dann war der Moment gekommen, um einzuschreiten.

„Es ist eine Sache, wenn solche Dinge unter uns zur Sprache kommen, aber solches Gerede könnte auf der anderen Seite all meine Bemühungen zunichtemachen, mit dem Bruder der jungen Frau zu verhandeln“, erklärte er und sah nacheinander jedem der Anwesenden in die Augen, um zu unterstreichen, wie ernst es ihm war. „Verschwiegenheit ist eines meiner wichtigsten Werkzeuge, und ich erwarte von euch, dass ihr eure Zunge im Zaum haltet. Sie ist entehrt, und sie wurde in Verbannung geschickt. Mehr gibt es über sie nicht zu sagen.“

Die Männer hinter ihm grummelten etwas vor sich hin, doch er wusste, sie würden seine Befehle befolgen. Aus eben diesem Grund hatte er sie ausgewählt – er brauchte Männer, auf deren Gehorsamkeit er zählen konnte, sobald die Verhandlungen begonnen hatten, die möglicherweise in Streit ausarten würden. Ein falsches Wort, eine unbedachte Bewegung, allein schon ein unziemlicher Blick, und die monatelange Vorbereitung würde vergebens gewesen sein.

Die Sonne brach in dem Moment durch die Wolkendecke, als die Männer den Punkt auf ihrem Weg erreichten, von dem aus sie das Tal überblicken und bis dorthin sehen konnten, wo die Ländereien der Robertsons begannen. Ländereien, die sich meilenweit entlang der Grampian Mountains bis nach Perth an der Ostküste Schottlands erstreckten. Ländereien, auf denen sich etliche Dörfer befanden und viele Hektar dichter Wald standen, durch die Flüsse verliefen, die reich an Fischen waren. Ländereien, die aus gutem Ackerboden und hohen Bergen bestanden. Und Ländereien, die Tausenden von Kriegern eine Heimat bot, tapferen Männern, die sich vor Jahrzehnten hinter Robert the Bruce gestellt hatten.

Ja, die Robertsons waren mit reichem Land und mit gut bewaffneten Männern gesegnet, was die erwogene Allianz umso verlockender machte. Einen Moment lang schirmte Duncan seine Augen vor der Sonne ab und suchte das Tal nach der Straße ab, die zur Festung führte.

„Ihr könnt hier euer Lager aufschlagen und auf meine Rückkehr warten“, sagte Duncan, als er sich zu seinen Leuten umdrehte. „Länger als drei Tage wird es nicht dauern.“

„Er will ja bloß die Hure für sich allein haben“, warf Donald lachend ein.

Es gelang Duncan nicht, den Fluch zu unterdrücken, der ihm ob dieser Bemerkung über die Lippen kam. Die Männer nickten, um ihm zu zeigen, dass sie seine Warnung verstanden hatten. Nur Hamish nicht. Der verdammte Kerl zwinkerte ihm stattdessen zu. Hamish wusste zu gut um Duncans derzeitige Unzufriedenheit mit dem Leben und mit den Frauen, um sich zu einer entsprechenden Bemerkung hinreißen zu lassen, und war klug genug, es bei diesem Zwinkern zu belassen.

„In drei Tagen reitet ihr um Mittag zum westlichen Rand des Dorfs. Dort werden wir uns wiedersehen“, erklärte Duncan und wendete sein Pferd, damit es der Straße zu dem entfernt gelegenen Dorf folgte.

Seine Männer kannten ihre Pflichten, und er zweifelte nicht daran, dass sie bis zum Einbruch der Dunkelheit ein kleines, unauffälliges Lager errichtet haben würden. Bis dahin hätte er ein gutes Stück des Wegs zurückgelegt, zu seinem Treffen mit jenem Mann aus dem Clan der Robertsons, der ihn mit Neuigkeiten über den Clan und seinen neuen Laird versorgt hatte, die man sonst so leicht nicht in Erfahrung bringen konnte.

Der Tod des alten Laird vor zwei Jahren war für Duncan die Gelegenheit gewesen, Verhandlungen in die Wege zu leiten. Allerdings wäre es ohne die harte Arbeit, die Entschlossenheit und den bedingungslosen Rückhalt durch Connor MacLerie niemals so weit gekommen. Zwischen den Bäumen hindurch folgte er dem Verlauf eines Flusses, der talwärts und damit auf die Ländereien der Robertsons führte. Nach den Karten zu urteilen, die er sich angesehen und eingeprägt hatte, musste er in gut zwei Stunden ein Dorf erreichen.

Während er sein Pferd vorantrieb, ging er noch einmal seinen Plan durch und rief sich die Fragen, die er Ranald stellen wollte, ebenso ins Gedächtnis wie die Bedingungen für den Vertrag, den er im Auftrag seines Lairds mit sich führte. Reaktionen auf veränderte Forderungen und Vorschläge waren längst überlegt worden. Denn Duncan glaubte nicht nur daran, sondern wusste auch aus Erfahrung, dass nur Planung und gründliche Vorbereitung, die nichts dem Zufall überließen, zum Triumph führten.

Ohnehin waren Planung und Vorbereitung der Schlüssel zu jedem erfolgreichen Feldzug, ob es dabei um eine Allianz oder einen Krieg ging. Und da jeder wusste, dass ein falsch betontes Wort genügen konnte, um aus einem verbündeten Clan einen Kriegsgegner zu machen, hatte er die letzten Monate damit verbracht, sich auf diese Reihe von Begegnungen gründlich vorzubereiten.

Vor ihm ging das Gelände in eine Ebene über, aber die Bäume standen weiterhin so dicht, dass sie einen Großteil des Sonnenlichts abhielten und den Weg in tiefe Schatten tauchten. Als er die Stelle erreichte, an der sich der Strom gabelte und ein Flussarm in Richtung der immer noch weit entfernten Feste abzweigte, während der andere nach Osten floss, wusste Duncan, dass er sich allmählich dem Treffpunkt außerhalb des Dorfes näherte. Nach einer Weile kam die niedrige Steinbrücke in Sicht, und er ließ sein Pferd gemächlich und in aller Ruhe im Schritt gehen.

Wie es aussah, war er etwas früher als geplant eingetroffen, also ließ er das Pferd trinken, während er aus seinem Beutel einen Schlauch holte und einen tiefen Schluck Ale nahm. Er entdeckte eine kleine Lücke zwischen den dicht an dicht stehenden Bäumen, saß ab und führte das Tier dorthin, dann holte er den eingewickelten Käse und ein hartes Stück Brot heraus. Da Ranald dafür sorgen würde, dass er nicht hungern musste, genügte der mitgebrachte Proviant, um seinen Magen für die nächste Zeit zu besänftigen.

Einige Zeit verstrich, und Duncan wurde allmählich unruhig, was nicht zuletzt daran lag, dass von den anstehenden Gesprächen sehr viel abhing. Er ließ das Pferd auf der Lichtung angebunden zurück und ging zur Brücke, um nachzusehen, ob Ranald bereits in einiger Entfernung auszumachen war. Ohne die Brücke zu überqueren, suchte er die zum Dorf führende Straße ab und hoffte, den Mann dort irgendwo zu entdecken.

Niemand war zu sehen.

Es war nicht Ranalds Art, sich zu verspäten oder ein Treffen zu versäumen. Dennoch beschloss Duncan, dem Mann etwas mehr Zeit zu lassen, bevor er selbst zu seinen Leuten zurückkehrte. Schließlich konnte er nicht ohne deren Begleitung zur Festung der Robertsons weiterreiten. Im Schutz der Bäume ging er nahe der Brücke auf und ab und wartete ungeduldig. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, stammten von den Tieren im Wald – und von ihm selbst, da er in Abständen stehen blieb und unbeherrscht schnaubte.

Auch wenn ihm der Ruf vorauseilte, bei schwierigen Verhandlungen eine unerschöpfliche Geduld an den Tag zu legen, besaß Duncan in Wahrheit nur wenig von dieser Tugend. Und da die Zeit nur unerträglich langsam verstrich, wurde er umso deutlicher auf diese Tatsache gestoßen. Als dann auf einmal ein Schrei die Stille zerriss, wirkte der so unwirklich, dass Duncan einen Moment lang glaubte, er habe ihn sich nur eingebildet.

Er legte den Kopf schräg und lauschte aufmerksam auf weitere Geräusche. Lange musste er nicht warten, denn als er sich langsam im Kreis drehte, um die Umgebung zu mustern, folgte bereits ein zweiter Schrei. Er war zwar nicht so laut wie der erste, doch er genügte, um die Richtung zu bestimmen. Duncan überquerte die Brücke und bog vom Weg ab, ging zwischen den Bäumen hindurch und gelangte schließlich zur Rückseite eines kleinen Cottages. Während er um das Gebäude herumging, horchte er wachsam auf jeden Laut. Schließlich blieb er stehen und spähte um die Ecke, um zu sehen, was sich vor dem Cottage abspielte.

Da er nicht damit gerechnet hatte, zum Schwert greifen zu müssen, hatte er es bei seinem Pferd auf der Lichtung gelassen. Daher konnte er nur seinen Dolch ziehen. Der glich von seiner Größe her mehr einem kurzen Schwert denn einem Messer und hatte sich in vielen Auseinandersetzungen bewährt. Mit schnellen Schritten wechselte er von der Ecke des Bauwerks in den Schutz eines großen Baums, um herauszufinden, was hier nicht stimmte.

Dann sah er sie – eine Frau, die sich gegen einen deutlich größeren und stärkeren Mann zu wehren versuchte.

Duncan ließ sich einen Moment Zeit, um die Situation einzuschätzen. Rasch erkannte er, dass der Frau keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben drohte, ihr die Umarmung aber sichtlich missfiel. Durch ihre Gegenwehr löste sich ihr Kopftuch und flatterte zu Boden, sodass ihr volles braunes Haar zum Vorschein kam. Plötzlich fiel ihm auf, dass sie nicht mehr schrie, und als er die beiden genauer beobachtete, wurde eines deutlich: Die Frau versuchte sich zusammen mit dem Mann so zu drehen, dass dessen Blick auf den Weg gerichtet war, der aus dem Wald zum Cottage führte, nicht jedoch auf das Haus selbst.

Ein Geräusch ließ ihn auf das Fenster an der Seitenwand des Cottages aufmerksam werden, und dann sah er auf einmal einem kleinen Kind in die Augen. Ein Mädchen, das nicht älter als fünf Jahre sein konnte, schaute aus einem schmalen Fenster in seine Richtung. Das Kind hatte das blondeste Haar, das ihm je untergekommen war, und seine Augen sowie die zitternde Unterlippe verrieten, welch schreckliche Angst es hatte. Beruhigend lächelte er es an, darum bemüht, ihm die Angst zu nehmen; gleichzeitig legte er einen Finger an die Lippen, um dem Kind zu bedeuten, dass es keinen Laut von sich geben sollte.

Jetzt war ihm klar, warum die Frau den Mann von ihrem Cottage abzulenken versuchte: Sie wollte das Mädchen beschützen. Duncan straffte die Schultern und kam hinter dem Baum hervor, räusperte sich lautstark und wartete, dass der Wüstling von ihm Notiz nahm. Es dauerte nur einen Moment, dann hatte der Mann sich umgedreht, wobei er darauf achtete, dass sich die Frau zwischen ihm und dem Neuankömmling befand.

„Mir scheint, die Dame ist nicht an den Bekundungen Eurer Gunst interessiert“, sagte Duncan. „Lasst sie jetzt in Ruhe.“

Zwar blieb der Mann stehen, die Frau ließ er jedoch nicht los.

„Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen“, knurrte der Mann und zog die Frau ein paar Schritte hinter sich her, um den Abstand zu Duncan zu vergrößern.

Als er jetzt das Gesicht der Frau musterte, fiel ihm auf, dass sie weniger verängstigt als vielmehr verärgert zu sein schien. Ein gefasster, entschlossener Ausdruck prägte ihre Miene, auch wenn sie sich nicht so wie zuvor gegen den Griff zur Wehr setzte. Sie flüsterte etwas, das nur der andere Mann hören konnte – so als wolle sie ihn vor irgendetwas warnen.

„Lasst sie los und geht Eures Weges“, forderte Duncan ihn auf und hielt zusätzlich seinen Dolch vor sich ausgestreckt, um zu zeigen, dass er bewaffnet war.

Derartige Widrigkeiten konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen, standen doch wichtige Verhandlungen bevor. Natürlich würde er nicht zögern, die Frau zu verteidigen, sollte es notwendig werden, doch zugleich forderte er damit die Frage heraus, was er auf fremdem Land zu suchen hatte, ohne dass der Laird von seiner Anwesenheit wusste. Duncan konnte nur hoffen, dass der Mann glaubte, er würde nicht zögern, seine Waffe einzusetzen, und dass er die Flucht ergriff. „Lasst die Frau los.“

Obwohl er den Eindruck machte, als wolle er nicht auf die Forderung reagieren, ließ der Mann schließlich doch die Arme sinken und stieß die Frau von sich weg. Ohne noch ein Wort zu erwidern, rannte er den schmalen Weg entlang und war im nächsten Moment im Wald verschwunden.

Duncan ging zügig auf die Frau zu, die das Gleichgewicht wiederfand, bevor er bei ihr war, um sie zu stützen. Sie hob das Tuch vom Boden auf, schüttelte es aus und legte es mit geschickten Bewegungen über ihr Haar, ehe sie sich zu Duncan umdrehte. Ihr Blick auf seinen Dolch ließ ihn erkennen, dass er seine Klinge immer noch einsatzbereit vor sich hielt. Er steckte die Waffe weg und musterte die Frau genauer, die da vor ihm stand.

Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Schulter, und sie war jünger als angenommen. Es war ihre Kleidung, die sie zumindest auf den ersten Blick älter und auch etwas fülliger wirken ließ. Duncan hatte ihr beeindruckend langes braunes Haar gesehen, aber ihre Augen waren das eine Merkmal an ihr, das ihn ganz besonders faszinierte – zum einen wegen des hochintelligenten Blicks, den sie ihm zuwarf, zum anderen wegen ihrer Farbe, die er nicht anders beschreiben konnte als ein tiefes Eisblau.

Nur ihr Mund hatte auf ihn eine noch stärker ablenkende Wirkung, zumal sie in diesem Moment mit der Zungenspitze über ihre vollen blassroten Lippen fuhr.

„Ich danke Euch für Eure Hilfe, Sir. Er war mehr ein Ärgernis als eine Gefahr“, erklärte sie, ohne sich ihm zu nähern. Abermals fiel ihm auf, dass sie sich in eine Richtung bewegte, die ihn vom Cottage weglotste.

So wie jede gute Mutter versuchte sie, jegliche Gefahr für ihre Tochter auf sich selbst zu lenken.

„Euer Schrei hat aber etwas anderes besagt“, gab er zurück und wartete einen Moment lang auf ihre Antwort.

„Laren hat mich überrascht, weiter nichts.“ Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf den Pfad, der in den Wald führte, dann musterte sie Duncan von Kopf bis Fuß. „Ihr seid nicht aus dem Dorf.“ Sie sah sich um und fragte schließlich: „Was führt Euch zu mir?“

„Ich bin ein Besucher“, erwiderte er ruhig. Es entsprach der Wahrheit, warum sollte er das also nicht sagen.

„Dann wollt Ihr aber sicherlich nicht mich besuchen, oder?“

Ihre Worte waren unmissverständlich abweisend, doch der Ausdruck in ihren Augen verriet ihm noch etwas anderes: Ihr wurde eben erst bewusst, dass sie womöglich in eine viel gefährlichere Situation geraten war, nachdem dieser Laren die Flucht ergriffen hatte. Jedoch verfolgte er keinerlei Absichten in dieser Richtung, sondern ihm war in erster Linie daran gelegen, von keinem Mitglied des Robertson-Clans gesehen zu werden, bevor er offiziell dessen Festung erreicht hatte.

„Und nun, da Ihr in Sicherheit seid, werde ich weiter meines Weges ziehen. Ihr könnt Euch wieder ganz Eurer Tochter widmen“, versicherte er ihr und wandte sich ab. Die Frau schnappte bei seinen Worten erschrocken nach Luft und eilte an ihm vorbei, um sich zwischen Duncan und das Cottage zu stellen. „Sie wartet drinnen auf Euch. Ich sah sie im Vorbeigehen am Fenster stehen“, erklärte er. „Bevor ich meine Reise fortsetze, werde ich mich nur noch davon überzeugen, dass dieser Laren tatsächlich fortgegangen ist.“

Er sah ihr nach, wie sie ins Cottage verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Dann hörte er, wie sie die Tür mit einem Riegel sicherte. Dem dumpfen Laut nach zu urteilen, musste er groß und schwer sein. Duncan suchte die Umgebung des Cottages ab, und erst als er keinen Hinweis darauf finden konnte, dass der Mann sich in der Nähe versteckt hielt, kehrte er zurück auf den Weg, der zur Brücke führte. Er überquerte den Fluss und ging zur Lichtung, um nach seinem Pferd zu sehen und sich zu vergewissern, dass seine Habseligkeiten noch vollständig vorhanden waren. Dann begab er sich wieder an den vereinbarten Platz, um auf Ranald zu warten.

Doch während er auf seinen Freund wartete, dachte er nicht über die Verhandlungen nach, die zu einem Bündnis führen sollten. Stattdessen kreisten seine Gedanken um diese Frau, die sich alle Mühe gegeben hatte, ihm ihr wahres Wesen zu verbergen.

Und er kannte nicht einmal ihren Namen.

Marian verfluchte sich, während sie zu Atem zu kommen versuchte. Allen Bemühungen zum Trotz, Ruhe zu bewahren, raste ihr Herz, und vor Angst schmerzte ihre Brust. Nicht Laren war der Grund für ihre Angst, stellte der Mann doch tatsächlich in erster Linie ein lästiges Ärgernis dar, sondern der Fremde, der plötzlich aufgetaucht war, um sie zu beschützen. Bevor sie sich aber weitere Gedanken über seine dunklen Augen und seine hochgewachsene Statur machen konnte, hörte sie eine leise Stimme nach ihr rufen.

„Mama!“, schrie ihre Tochter, rannte auf sie zu und schlang die Arme um die Beine ihrer Mutter. „Mama …“, wiederholte sie und begann zu schluchzen.

„Ciara, meine Süße“, besänftigte sie die Kleine und löste den Griff um ihre Beine, um ihre Tochter hochzunehmen und an sich zu drücken. „Es ist alles in Ordnung, mein Liebes“, flüsterte sie und strich ihr die blonden Strähnen aus dem Gesicht, dann setzte sie sich und ließ Ciara auf ihren Schoß klettern, um sie zu wiegen, bis sie aufhörte zu weinen.

Als sie von Laren bei der Arbeit im Garten überrascht worden war, hatte sie Ciara sofort ins Haus geschickt. Diesen Ablauf hatten sie immer wieder geübt, seit sie von dem fernen Anwesen ihres Vaters im Süden nach Dunalastair zurückgekehrt war. Getrennt von ihrer Familie zu leben, ohne den Schutz eines Ehemanns oder eines Vaters, konnte Gefahren für sie mit sich bringen, denen sie lieber aus dem Weg ging. Auch wenn die meisten noch gar nicht durchschaut hatten, wer sie eigentlich war, konnte es riskant sein, als Mutter allein mit einem Kind zu leben.

Ciara wusste, dass sie ins Cottage laufen und sich neben dem Schrank verstecken musste, wenn ihre Mutter sie dazu aufforderte. Marian hatte immer gebetet, so etwas möge nicht erforderlich werden, doch der heutige Tag zeigte ihr, dass sie ihrer Vergangenheit wahrscheinlich nicht entrinnen konnte. Ihre Tochter beruhigte sich, und Marian lockerte ihren Griff ein wenig. Sie küsste sie auf den Kopf und erklärte ihr im Flüsterton, wie stolz sie darauf war, dass Ciara ihre Anweisungen so brav befolgt hatte. Daher kam die Frage ihrer Tochter für sie umso überraschender. Eine Frage, die sie an etwas erinnerte, worüber sie nicht hatte nachdenken wollen – über den Fremden, der zu ihr geeilt war, um sie zu beschützen.

„Mama, wer war der Mann?“, wollte Ciara wissen, rieb sich die Augen und sah sie an. „Ist er weg?“

„Das war Laren, meine Süße, und ja, er ist weg. Ich glaube, er wird uns nicht wieder belästigen“, sagte sie, um das Kind zu beruhigen.

„Nicht der Mann, Mama. Der andere Mann. Der nette Mann, der gelächelt hat.“

Marian war einen Moment sprachlos. Ihr war gar nicht in den Sinn gekommen, dass dieser Mann nett sein oder gar lächeln könnte. Er hatte so ernst dreingeblickt und wütend, sein Gesicht war ihr wie versteinert erschienen, als könnte er seinen Mund nicht zu einem Lächeln oder auch nur zu einem freundlichen Ausdruck verziehen. Mit dem Dolch in der Hand war er ihr vielmehr wie jemand vorgekommen, der über sie herfallen würde, sobald er Laren weggeschickt hatte. Der Mann war noch größer als ihr ältester Bruder Iain, und seine Schultern waren breiter als die des Schmieds Ranald hier aus dem Dorf. Unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken.

Ehrfurcht erregend war wohl zutreffender, wenn man ihn beschreiben wollte.

Selbst in dem Augenblick, in dem sie wusste, dass er ihre Angst wahrgenommen hatte, war bei ihr nicht das Gefühl aufgekommen, in Gefahr zu schweben. Seine bemerkenswerte Erscheinung wirkte überwältigend, ohne dass sie körperliche Gewalt von ihm befürchtete. Ihre Tochter hatte einfach nur einen jener fantasievollen Gedanken ausgesprochen, die kleinen Kindern hin und wieder durch den Kopf gingen.

„Den Mann kannte ich nicht“, flüsterte sie Ciara zu, die sich müde gegen sie sinken ließ.

Auch wenn ihre Tochter viel zu schnell groß wurde, war sie doch noch ein kleines Mädchen und verbrachte einen Teil des Tages mit Schlafen. Jetzt, da die Aufregung sich gelegt hatte, holte die Müdigkeit sie ein. Marian drückte Ciara an sich und summte leise ein Lied, damit sie leichter einschlief. Es dauerte nicht lange, da konnte sie aufstehen und die Kleine ins Bett bringen. Nachdem sie die Wolldecke über Ciara gelegt hatte, ging sie zur Haustür, hob den Riegel an und begab sich nach draußen, um sich davon zu überzeugen, dass sich niemand in der Nähe aufhielt.

Der spätsommerliche Wind wehte durch die Baumkronen und trug bereits eine leichte Kühle mit sich. Nur noch wenige Wochen, dann mussten die Viehtreiber entscheiden, welches Vieh von den Hügeln in die Täler getrieben und welches geschlachtet oder verkauft werden sollte. Marian betrachtete ihren eigenen kleinen Garten und wusste schon jetzt, dass viel Arbeit vor ihr lag, all die Kräuter zu pflücken und zu trocknen, die sie für den kommenden Winter gepflanzt hatte.

Während sie um ihr Cottage herumging, suchte sie nach Hinweisen auf mögliche Eindringlinge – und sie hielt Ausschau nach dem Fremden, der wie aus dem Nichts in ihr Leben getreten war und sich gleich wieder in Luft aufgelöst hatte. Alles schien in Ordnung zu sein, ihr Garten wirkte unversehrt, nirgendwo war etwas zertrampelt worden. Sie hob den Kopf und lauschte den Geräuschen aus dem Wald. Vögel flogen vorüber, der Wind ließ die Blätter rascheln, und Wolken zogen über den Himmel, ganz so, wie es an einem Tag im September auch sein sollte.

Wäre da nicht ihr rasendes Herz gewesen, hätte sogar sie diesen Tag für einen ganz gewöhnlichen Tag in Dunalastair gehalten. Marian versuchte, sich auf die Arbeiten zu konzentrieren, die sie noch erledigen musste, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu diesem rätselhaften Fremden zurück.

Im Geiste sah sie nur seine Augen – so dunkel, dass sie fast schon schwarz waren –, die Laren wütend angefunkelt hatten und dann so eindringlich auf sie gerichtet gewesen waren, als er davon sprach, dass er ihre Tochter am Fenster gesehen hatte. Dieses Mienenspiel, zusammen mit seiner ausgeprägt männlichen Statur, machte es ihr jetzt so schwer zu atmen.

Noch nie hatte sie, die Robertson-Hure, einen Mann so faszinierend gefunden. Niemals war sie in den letzten fünf Jahren so unachtsam gewesen und hatte einen Mann derart auf sich wirken lassen wie diesen Fremden. Es war zu gefährlich, eine solche Nachlässigkeit überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, dass es ihr nie eingefallen wäre, sich dagegen wappnen zu müssen.

Sie hatte damit gerechnet, dass es zu Zwischenfällen wie dem mit Laren kommen würde, sobald sich herumsprach, wer sie war. Aber ihr Bruder würde für den Fall Befehle erteilen, die jeden davon abhalten sollten, sich ihr in einer ernsthaften Weise zu nähern.

Doch ihr war nie in den Sinn gekommen, dass die Gefahr von einem solchen Fremden ausgehen würde. Nach diesem Blick in seine unergründlichen dunklen Augen wusste sie, er war gefährlicher als jeder Mann vor und auch nach ihm. Es war die Erinnerung an seine Augen, die sie für den Rest des Tages verfolgte.

2. KAPITEL

Duncan ließ die Brücke nicht aus den Augen, während er und seine Männer darauf zuritten. Auf einmal spürte er, wie sich sein Magen verkrampfte. So erging es ihm immer, wenn neue Verhandlungen anstanden. Sein Magen war sein großer Schwachpunkt, aber sein Verstand war scharf wie eine Messerklinge und auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentriert. Im Verlauf der zwei Tage, an denen er mit Ranald geredet hatte, waren keine Überraschungen ans Licht gekommen, die zu Problemen mit dem Laird führen könnten.

Vielmehr war ihm bestätigt worden, dass der Robertson-Clan genauso stark und gut geführt war wie in den ihm zuteilgewordenen Berichten dargestellt. Es hieß nun, wenn diese Allianz besiegelt war, würde der Laird sich eine neue Frau aus einem der nördlichen Clans nehmen, um die Position seines Clans als Schottlands Beschützer zu festigen. Einige bedenkliche Gerüchte kursierten immer noch über den neuen Laird, die bereits zu Lebzeiten seines Vaters in die Welt gesetzt worden waren, und Duncan wusste aus seiner eigenen Erfahrung als Laird, dass Gerüchte und Unterstellungen sehr schnell den Ruf eines Mannes ruinieren konnten. Daher war es ein guter Zug des Lairds, eine neue Ehe zu planen, nachdem seine erste Frau bei der Geburt ihres Kindes gestorben war.

Einer seiner Männer rief etwas, und Duncan richtete seinen Blick auf die Straße vor ihnen. Ein Trupp schwer bewaffneter Robertson-Krieger erwartete sie auf der anderen Seite der Brücke. Sofort setzte er sich gerader hin und straffte die Schultern, um dann seinen Leuten eine Warnung mit auf den Weg zu geben.

„Ihr habt eure Befehle, und ihr wisst, wie wichtig es ist, dass unsere Reise erfolgreich verläuft. Von jetzt an wendet ihr euch mit allen Beobachtungen und Fragen direkt an mich. Beruft euch auf nichts, was Connor gesagt hat.“

„Brauchen wir dann etwa auch deine Erlaubnis, wenn wir pinkeln gehen wollen, Duncan?“, rief Hamish ihm zu.

„Aye, Hamish, sogar das“, erwiderte er todernst. „Wichtiger ist aber, dass ihr die Finger vom Ale und von den Frauen lasst. Beides kann einen Mann mehr als alles andere in Schwierigkeiten bringen.“

Duncan fasste das Gemurmel seiner Männer als Zustimmung auf und trieb sein Pferd an, damit es sich wieder in Bewegung setzte. Er zog seinen Umhang, Tartan genannt, zurecht, dann führte er die MacLeries über die Brücke nach Dunalastair. Die Robertsons begrüßten sie förmlich und hießen sie willkommen, sie zum Eingang zur Festung zu begleiten, die noch ein Stück weit entfernt war. Duncan nickte und bedankte sich für die Einladung.

Erst als er auf dem Weg zur Festung in die Gesichter der Dorfbewohner schaute, die gekommen waren, um ihre Ankunft mitzuerleben, wurde ihm klar, dass er nach ihr Ausschau hielt.

Als er mit Ranald gesprochen hatte, war er stets darauf bedacht gewesen, seine wachsende Neugier im Zaum zu halten, damit er ihn nicht nach dieser Frau fragte. Auch hatte er die ganze Zeit in Ranalds Haus oder in dessen Schmiede verbracht, damit er nicht mit Nachbarn oder Dorfbewohnern zusammentraf, die ihn später wiedererkennen könnten. Dennoch war der Wunsch immer stärker geworden, mehr über diese Frau zu erfahren. Und deshalb schaute er jetzt genau in die Gesichter der Menschen.

Aber er entdeckte sie nirgends.

Im Stillen ermahnte er sich, weil es ihm nicht gelang, bei der Sache zu bleiben. Plötzlich bemerkte er, dass er langsamer geworden war, nur um sie nicht zu übersehen. Caelan, jener Mann aus dem Robertson-Clan, der sie an der Brücke in Empfang genommen hatte, drehte sich zu ihm um, weil er ihm offenbar etwas sagen wollte, doch sein Blick wanderte stattdessen zum Wegesrand, wo sich jemand im Schatten versteckt hielt. Als Duncan in die gleiche Richtung schaute, entdeckte er die Frau wieder, die sich mit dem Mädchen an der Hand von den anderen Dorfbewohnern weit genug entfernt aufhielt, um niemandem im Weg zu stehen. Trotzdem war sie nahe genug ans Geschehen herangekommen, um herausfinden zu können, aus welchem Grund die Robertson-Kämpen durch das Dorf ritten.

Das Mädchen klammerte sich an den Röcken der Mutter fest und verschwand fast ganz in den weiten Falten. Nur als die Kleine etwas zu ihr sagte, war ihr Kopf zu sehen. Die Frau beugte sich vor und antwortete, ohne den Blick von Caelan zu nehmen. Duncan schaute den jüngeren Bruder des Lairds an und bemerkte dessen Mienenspiel, was in ihm die Frage aufwarf, ob die Frau wohl Caelans Geliebte war. Nur einen Moment, nachdem Duncan sie wiedergefunden hatte, war sie auch schon wieder im Gewirr der Cottages untergetaucht, weggeschickt von Caelan, der dazu nur flüchtig hatte nicken müssen.

Ein auffälliges Räuspern, das von Hamish kam, erinnerte Duncan an die Anweisungen, die er seinen Leuten erteilt, selbst aber offenbar bereits wieder vergessen hatte. Die anderen schlossen sich dem Räuspern an und ließen ihn wissen, dass keinem von ihnen entgangen war, wie er sich vom Anblick dieser Frau in den Bann hatte schlagen lassen. Er zwang sich, seine Gedanken ausschließlich auf das zu richten, was ihn in der Festung erwartete. Beruhigt stellte er fest, dass er immer noch in der Lage war, sich die Zahl der Männer ins Gedächtnis zu rufen, die für den Clan in den Kampf ziehen würden. Er wusste auch noch, wie viele Stück Vieh die Robertsons besaßen und wie viele Zusammenkünfte und Gespräche ihm in den kommenden Wochen bevorstanden. Und später würde er sich rühmen, dass er auf dem Ritt zur Festung nur ein einziges Mal an die junge Mutter mit dem gequälten Blick und an ihr reizendes Mädchen gedacht hatte.

Die heilige Muttergottes möge ihr beistehen!

Marian hielt Ciaras Hand fest umklammert und rannte regelrecht zurück zu ihrem Cottage. Damit ihre Tochter nicht dagegen protestierte, machte sie daraus ein Spiel, sang ihr ein Lied vor und zählte mit ihr die Steine am Wegesrand. Ihre eigene Stimme hörte sich fremd an, und ihr Herz schlug so heftig, dass es fast jedes Geräusch ringsum zu übertönen schien.

Caelan! Caelan war hier!

Sie hatte ihn verwechselt, als er an der Stelle vorbeiritt, an der sie weit genug in die Schatten zurückgezogen gestanden hatte, um von niemandem bemerkt zu werden. Der Lärm, den die Krieger bei der Ankunft an der Brücke gemacht hatten, die Aufregung über die Neuigkeit, dass die MacLeries ins Dorf gekommen waren, und das Rätselraten, was sie hergeführt haben mochte, heizten die Gerüchte an, die von Cottage zu Cottage getragen wurden.

Besucher waren grundsätzlich interessant, doch dass ein Mann in ihr Dorf gekommen war, der große Macht besaß und den man – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – immer noch als die Bestie der Highlands bezeichnete, das würde auf Wochen hinaus für Gesprächsstoff sorgen. Von Neugier angetrieben, war Marian den anderen Frauen ins Dorf gefolgt, die die Ankunft der Besucher mitverfolgen wollten.

Dort hatte sie fast der Schlag getroffen.

Der Mann, der die MacLerie-Krieger anführte, war der Fremde, der nur drei Tage zuvor Laren verscheucht hatte! Zugegeben, er war jetzt vornehmer gekleidet. Auf dem Plaid über seiner Schulter glänzte das Abzeichen seines Clans, dennoch hätte sie dieses Gesicht und diese Augen unter Tausenden wiedererkannt. Nun ritt er von acht Kriegern gefolgt durch Dunalastair. Auf sie war er bis dahin nicht aufmerksam geworden, deshalb zog sie sich zusammen mit Ciara noch ein Stück tiefer in die Schatten zurück.

Dann folgte der zweite Schlag, der ihr die Sprache raubte: Ihr jüngster Bruder Caelan war derjenige, der die Krieger zur Festung führte. Sie hatte davon gehört, dass er vor Kurzem zurückgekehrt war, doch bislang hatte sie ihn rund ums Dorf noch nicht zu Gesicht bekommen. Von ihrem Vater war er zu einem Cousin in der Nähe von Skye geschickt worden, damit der sich seiner annahm, gut drei Jahre vor … vor den Ereignissen, die sich vor fünf Jahren zugetragen hatten. Er musste jetzt wohl sechzehn sein und damit fast ein Mann. Offenbar genoss er Iains Vertrauen, wenn der Caelan die Ehre überließ, einen so hochrangigen Gast nach Dunalastair zu geleiten.

An ihrem Cottage angekommen, setzte sich Marian auf den Hocker, der in der Nähe des Gartens stand, um das geerntete Gemüse zu schrubben. Als Ciara auf einmal ihre feuchte Wange berührte und sie fragte, warum sie traurig sei, wurde Marian klar, dass sie von dem Moment an, da sie Caelan gesehen hatte, nicht länger ihre Tränen hatte zurückhalten können. Mit dem Handrücken wischte sie sich übers Gesicht, dann atmete sie einmal tief durch, bevor sie auch nur versuchte, etwas zu sagen.

„Ich bin nicht traurig, meine Süße“, gab sie zurück und zwang sich dazu, ein Lächeln aufzusetzen. „Ich bin nur aufgeregt, weil so viele Fremde mit ihren Pferden im Dorf sind und weil sich alle versammelt haben, um sie zu sehen.“

„Hast du das große schwarze Pferd gesehen?“, wollte Ciara wissen. „So ein großes Pferd habe ich noch nie gesehen!“

Marian musste über die Worte ihrer Tochter lachen. Ciara liebte Pferde, und auch wenn sie hier – anders als auf dem Anwesen ihres Vaters – über keines dieser edlen Reittiere mehr verfügte, hatte sie doch mithilfe von Geschichten diese Begeisterung für Pferde an ihre Tochter weitergeben können.

„Das war wohl das größte Pferd von allen“, stimmte Marian ihr zu und wischte die letzten Tränen fort. „Ich dachte, deine Lieblingsfarbe ist Braun.“

„Ja, braun“, bestätigte sie. Ihre Augen strahlten, so wie immer, wenn sie über etwas redete, das sie begeisterte. „Aber ich glaube, Schwarz finde ich jetzt schöner.“

Marian hielt inne, da ihr einfiel, dass nur ein Reiter auf einem schwarzen Pferd gesessen hatte, nämlich er. Der Mann von den MacLeries. Zwar wusste sie jetzt, zu welchem Clan er gehörte, aber seinen Namen kannte sie nach wie vor nicht.

Unterdessen begann Ciara wie ein Wasserfall über Pferde im Allgemeinen und über dieses Pferd im Besonderen zu reden. Marian nahm ihre Schaufel und machte dort weiter, wo sie aufgehört hatte, als sie losgelaufen war, um die Reiter beim Überqueren der Brücke zu beobachten. Sie grub wieder die Erde um, weil sie sich in ihrer Arbeit verlieren und nicht über den Mann auf dem schwarzen Pferd nachdenken wollte, der ihr womöglich nur Schwierigkeiten einbringen würde.

Duncan nahm die Satteltasche mit Pergamentrollen, Karten und Blättern und suchte nach einer Schriftrolle, ehe er sich umdrehte und Caelan folgte, der ihn in die Festung zum Laird bringen sollte. Er gab die Ledertasche an Hamish weiter, damit der sie trug. Dann begaben sie sich nach drinnen und gingen die Steintreppe hinauf in das erste Stockwerk, wo sie in einen Korridor gelangten, der zu einem großen Saal führte. Die Männer, die dort auf ihre Ankunft warteten, liefen in diesem Raum auf und ab, der nur halb so groß war wie der entsprechende Saal auf Lairig Dubh.

Es war ein sauberer Saal, an dessen Wänden Teppiche hingen, auf denen Volkssagen und Mythen ihres Landes dargestellt waren. An einer Seite fand sich ein ausladender Kamin, gleich daneben ein Podest mit einer langen Tafel. Am Kopfende der Tafel stand auf der obersten Stufe ein wuchtiger, mit kunstvollen Schnitzereien und Symbolen verzierter Stuhl. Iain the Bold saß dort, der Sohn von Stout Duncan und nun zweiter Chief des Clans Donnachaidh oder Robertson, wie er mittlerweile lieber genannt wurde.

Um ihn herum standen die drei anderen Söhne von Stout Duncan, die ebenfalls überlebt hatten – Padruig, Graem und Caelan, der sich soeben zu ihm gestellt hatte –, sowie andere Älteste und Berater des Clans. Mit Hamish an seiner Seite begab sich Duncan mit zügigen Schritten zum Laird, während der Rest seiner Männer ihnen folgte. Alle Gespräche verstummten, als sie sich dem Podest näherten.

„Ich grüße Euch, Mylord“, begann er und beschrieb eine tiefe Verbeugung. „Ich überbringe Grüße und eine persönliche Nachricht vom MacLerie.“ Er trat noch einen Schritt vor und präsentierte dem Laird eine Schriftrolle.

Der Robertson-Laird erhob sich und kam die Stufen vom Podest herunter, anstatt ihn zu sich zu winken. Dann schob er die Schriftrolle in sein Hemd und streckte die Hand zum Gruß aus. „Willkommen in der Festung Dunalastair, Duncan.“ Mit kraftvollem, festem Griff fasste er sein Gegenüber am Arm. „Ich biete Euch und Euren Männern die Gastfreundschaft meines Heims und Herds an, während wir über die Zukunft der Allianz zwischen den Robertsons und den MacLeries reden.“

Beifall und Rufe wurden bei diesen Worten im ganzen Saal laut, und Duncan nahm sich einen Moment lang Zeit, um seinen Gastgeber zu mustern. Die Berichte, die ihm zuteilgeworden waren, beschrieben sehr zutreffend den Mann, der dort vor ihm stand. Der Laird war groß, fast so groß wie er selbst, und er war jung, hatte er doch mit nur fünfundzwanzig Jahren von seinem Vater den Platz an der Spitze des Clans übernommen. Aber er war auch ein beliebter Laird, der sich auf den Rückhalt durch seine Leute verlassen konnte. Duncan konnte keinem der Männer an der Seite des Lairds anmerken, dass der dessen Meinung nicht teilte, und auch das entsprach dem Bild, das seine Nachforschungen ergeben hatten.

Ein Diener kam mit einem Krug voll Ale zu ihnen, den er auch Duncans Männern anbot. Der junge Robertson stieg wieder die Stufen hinauf auf das Podest, um von allen im Saal gesehen zu werden, dann hob er seinen Becher. Duncan wartete ab und bereitete in Gedanken seine Erwiderung vor.

„Ich heiße Euch willkommen, Duncan MacLerie, und ich möchte Euch bitten, Euch in meinem Saal, meiner Festung und meinem Dorf wie zu Hause zu fühlen. Euch und Euren Männern steht es frei, Euch inmitten der Robertsons nach eigenem Gutdünken zu bewegen, während wir Gespräche führen, die uns sicher zu Verbündeten und Freunden machen werden.“

Duncan lächelte und schaute beiläufig Hamish an. Beruhigt stellte er fest, dass dessen Miene keinen Argwohn erkennen ließ. Das war ein gutes Zeichen, denn Hamish besaß die Instinkte eines Fuchses und spürte jeden Hinweis auf Arglist und Verlogenheit sofort auf. Der Laird kam wieder die Stufen herunter, beugte sich vor und sprach Duncan ins Ohr, damit der ihn trotz des Jubels verstehen konnte.

„Euer Ruf ist hier bestens bekannt. Man nennt Euch Duncan den Friedensstifter, da Ihr schon so oft Krieg und Konflikt zwischen zerstrittenen Gruppen, Clans und sogar zwischen Ländern abwenden konntet. Ich fühle mich geehrt, in dieser Angelegenheit auf Eure Beteiligung zählen zu können.“

Die Erklärung kam unerwartet. Duncan nickte und nahm das Kompliment an, ohne es sich zu Kopf steigen zu lassen. Denn er wusste, welche Strategie dahintersteckte. Als der Jubel abebbte, hob Duncan seinen Becher und ließ seine Männer dem Beispiel folgen.

„Im Namen von Connor MacLerie, des Earl of Douran und Chiefs des Clans MacLerie, danke ich Euch für Eure Gastfreundschaft und gebe Euch mein Versprechen, dass ich alles daransetzen werde, unsere Clans in Freundschaft und Allianz zu verbinden.“ Er hielt seinen Becher noch höher und rief: „Auf Robertson! Auf Robertson!“ Seine Männer stimmten mit ein, ebenso die anderen Anwesenden im Saal, und erneut brandete lang anhaltender Jubel auf.

Der Laird lächelte ihn an und trank aus seinem Becher, dann gab er Duncan und dessen Begleitern ein Zeichen, ihm auf das Podest zu folgen. Auf der langen Tafel hatte man die verschiedensten Speisen angerichtet, auf großen Tellern lagen Brot, mehrere Käsesorten, Früchte und gekochtes Fleisch zur Auswahl. Der Laird bedeutete ihnen, Platz zu nehmen. Nachdem sie sich gesetzt hatten, schwirrten Diener um den Tisch herum, um Becher zu füllen, Essen zu servieren und jedem Wunsch der Gäste nachzukommen.

„Hattet Ihr eine angenehme Reise, Duncan?“

„Aye, Mylord“, erwiderte er und brach ein Stück Brot ab. „Das Wetter hat sich gehalten, und wenn wir Wind brauchten, wehte er kräftig aus der richtigen Richtung.“

„Seid Ihr direkt von Lairig Dubh hergekommen?“

Die Frage kam im Plauderton über die Lippen des Lairds, dennoch verbarg sich mehr dahinter. Schließlich wollten die Robertsons wissen, mit wem er noch verhandelte und wer demzufolge ihre Konkurrenten waren. Die Wahrheit zu sagen, war die einfachste Lösung.

„Nein, Mylord. Wir sind im Auftrag des Earls zuvor in Glasgow und Edinburgh gewesen, ehe wir in nördlicher Richtung nach Dunalastair aufgebrochen sind.“ Duncan bemerkte Hamishs Blick, als er einen Schluck Ale trank.

„Dann seid Ihr bereits unterwegs seit …?“

„Seit Mitte des Sommers, Mylord.“

„Wir sind Freunde, oder besser gesagt: Wir werden bald Freunde sein, also nennt mich doch Iain, so wie es mein Clan macht“, bot der Laird ihm an.

Offenbar hatte er die Prüfung bestanden, der er soeben unterzogen worden war, da der Laird einigen seiner Berater zunickte.

„Wenn Ihr das wünscht, Iain“, gab er zurück.

„Ich möchte Euch mit meinen Brüdern bekannt machen, den Söhnen von Duncan the Stout. Ihn habt Ihr bereits kennengelernt …“, er klopfte dem Mann neben ihm auf die Schulter, „… er ist mein jüngster Bruder Caelan.“ Duncan nickte, während Iain fortfuhr: „Er ist erst vor Kurzem von den MacLeans zurückgekehrt, die für eine Weile seine Pflegeeltern waren.“

Duncan hatte verstanden. Es bestand also eine gute Beziehung zum mächtigen Clan der MacLeans von den Inseln.

Er musterte Caelan und erkannte, dass der viel zu jung war, um der Ehemann oder Liebhaber der Frau zu sein, der er begegnet war … außerdem war er gar nicht zugegen gewesen, als das Kind gezeugt wurde, wenn Duncan richtig rechnete. Das Mädchen war ungefähr fünf Jahre alt und konnte deshalb nicht von ihm sein. Warum ihm das so wichtig war, wusste er selbst nicht zu sagen. Duncan wandte sich dem Mann daneben zu, der ihm vom Laird als Nächster vorgestellt wurde.

„Dies ist mein Bruder Padruig mit seiner Verlobten, Iseabail von den MacKendimens.“

Die MacKendimens waren ein kleiner, aber nicht unbedeutender Clan aus der Nähe von Dalmally, nicht weit von Lairig Dubh entfernt. Auch diese Verbindung entging Duncan nicht. Duncan the Stout wäre stolz darauf gewesen, wie Iain diese Machtdemonstration handhabte, ohne auch nur eine einzige Waffe in die Hand zu nehmen. Mit einem kurzen Nicken in Richtung der beiden wartete Duncan darauf, dass ihm auch noch der letzte Bruder vorgestellt wurde.

„Und das ist Graem“, begann Iain und deutete auf den Mann, der Hamish gegenübersaß. „Er hat vom Bischof von Dunkeld das Angebot erhalten, unter dessen Aufsicht sein Studium zu beginnen.“

Damit hatte er seine letzte Karte ausgespielt – den Kontakt zu einem der mächtigsten und bedeutendsten Bischöfe Schottlands, durch den der Clan eine enge Beziehung zur Kirche einging. Die Söhne von Duncan the Stout waren alle mit wichtigen Clans unterschiedlicher Größe in ganz Schottland verbunden, zudem war der Clan selbst eine der ältesten Familien des Landes und konnte seine Herkunft bis zu den keltischen Lords von Atholl zurückverfolgen. Welche Position der Clan heute einnahm, war auf Iains Weise eindrucksvoller demonstriert worden, als es mit der Nennung aller Vorfahren jemals möglich gewesen wäre. Duncan bewunderte den Laird dafür, dass er mit einer solchen Leichtigkeit klargemacht hatte, welche Stellung die Robertsons einnahmen.

Iain war zwar erst seit etwas mehr als zwei Jahren der neue Laird, aber er hatte den Clan fest im Griff, und er wusste, was er wollte. Danach zu urteilen, wie die anderen an der Tafel ihn ansahen, waren sie alle stolz auf ihn und würden seine Bemühungen ebenso unterstützen wie seine Entscheidungen.

Duncan erkannte, dass mit dieser Vorstellung von Iains Brüdern zugleich eine Herausforderung ausgesprochen worden war, und er spürte, wie das Blut in seinen Adern in Wallung geriet, da er sich auf einen guten Kampf freute. Nichts war ihm lieber als ein würdiger Widersacher am Verhandlungstisch, und nun wusste er, dass in den kommenden Wochen all sein Geschick gefordert sein würde.

„Wir beginnen morgen früh, wenn es Euch recht ist, Duncan“, sagte Iain.

„Aye, damit bin ich einverstanden.“ Duncan wollte sich so bald wie möglich ins Kampfgetümmel stürzen.

„Mein Steward wird sich darum kümmern, dass es Euch an nichts mangelt“, fuhr er fort, woraufhin ein älterer Mann vortrat und sich zum Laird stellte. „Wenn Ihr etwas benötigt, wendet Euch einfach an Struan.“

Struan verbeugte sich, und nachdem er sie nach ihren Wünschen in Bezug auf die Quartiere befragt hatte, zog er sich zurück, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.

Das Essen verlief durchaus angenehm, auch wenn Duncan nach einer Weile feststellte, dass er keine Notiz davon nahm, was er aß oder trank. Er benötigte Zeit, um sich noch einmal gründlich mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und den Einzelheiten ihres Angebots zu beschäftigen, bevor die Nacht anbrach. Von Ungeduld erfüllt, musste er erkennen, dass er es kaum erwarten konnte, endlich mit den Verhandlungen zu beginnen.

Später würde Duncan auf seinen unangemessenen Eifer und seine Begeisterung zurückblicken und darüber lachen. Fünf Tage später, als sie in eine hitzige Diskussion vertieft waren, verlor Duncan der Friedensstifter zum ersten Mal überhaupt die Geduld.

3. KAPITEL

Das kann doch nicht Euer Ernst sein!“, brüllte Duncan und schlug so fest mit den Fäusten auf den Tisch, dass Dokumente und Schriftrolle durcheinandergewirbelt wurden. „Mit diesem Punkt habt Ihr Euch vor fast zwei Tagen bereits einverstanden erklärt!“

Er konnte spüren, wie ihm die Beherrschung entglitt, aber es gelang ihm nicht, sich zusammenzunehmen. Nie zuvor hatte er das Gefühl gehabt, dass der Boden unter seinen Füßen gleichsam mit einer dicken Schicht Öl überzogen war und er keinen Halt mehr finden konnte. Hamish warf ihm einen finsteren Blick zu, und das nicht zum ersten Mal. Auch der Unterhändler der Robertsons reagierte so, und selbst der Laird, der die meiste Zeit über stumm dabeistand und die Gespräche lediglich beobachtete, zeigte Missfallen über Duncans Tonfall. Dabei war Duncan nicht einmal klar, was bei ihm diese Wut hervorgerufen hatte.

„Ich war der Ansicht, Sir, dass alle Punkte weiterhin verhandelbar sind, bis der Laird den endgültigen Vertrag unterzeichnet hat. Ist das nicht länger die Art, wie wir vorgehen?“, fragte Symon und wandte sich einmal mehr zu Iain um, damit der diesen Worten zustimmte.

Duncan lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, atmete tief durch und rückte die Dokumente zurecht. Es war besser, diesem Symon eine Weile aus dem Weg zu gehen, da er fürchtete, sonst vollends die Beherrschung zu verlieren. Dann würden seine Fäuste statt auf dem Tisch im Gesicht seines Gegenübers landen. Er schob seinen Stuhl nach hinten, stand auf, verbeugte sich vor Iain und ging zur Tür.

„Das Wetter hat sich gebessert, und ich glaube, eine kurze Pause wird mir helfen, einen klaren Kopf zu bekommen. Wenn Ihr erlaubt, Iain?“

Ohne dessen Einverständnis abzuwarten, zog Duncan die Tür auf, ging den Korridor entlang und die Treppe hinunter, um zu den Ställen zu gelangen. Er hatte die Wahrheit gesagt, denn die letzten vier Tage hatte es unablässig geregnet, begleitet von Stürmen und Gewittern. Die Blitze hatten den Himmel zerrissen, die Donnerschläge ganz Dunalastair erzittern lassen. Aber an diesem Morgen fand sich keine Wolke am Himmel, und man hätte meinen können, dass sie alle sich das Unwetter nur eingebildet hatten. Vielleicht war das ja auch der Fall gewesen …

Im Stall angekommen begrüßte ihn sein Pferd mit dem gleichen Schnauben und Trampeln, das er selbst eben erst im übertragenen Sinne Symon gegenüber gezeigt hatte. Für Duncan war damit klar, dass sie beide etwas gegen die gereizte Anspannung unternehmen mussten, die sich in ihnen angestaut hatte. Binnen kürzester Zeit war sein Pferd bereit, und dann ritten sie durch das Tor der Festung hinaus und weiter durchs Dorf. Nach dem Überqueren der Steinbrücke überließ er es für eine Weile seinem Pferd, wohin es galoppieren wollte. Schließlich setzte Duncan Muskelpartien ein, die er schon zu lange nicht mehr benutzt hatte, und brachte das Tier wieder unter seine Kontrolle. Die Anstrengung wirkte belebend auf seinen Geist und Körper, und er lachte ausgelassen. Wenig später machte er kehrt, um wieder zur Feste zurückzureiten.

Unterwegs ließ er sich wieder und wieder das an diesem Morgen in Angriff genommene Werk durch den Kopf gehen, während er nach dem Grund für das plötzliche Problem suchte. Sie hatten bemerkenswerte Fortschritte gemacht, doch dann auf einmal war es ihm vorgekommen, als wären sie gegen eine massive Mauer gelaufen. Über jedes Wort und jedes Zugeständnis war plötzlich beharrlich diskutiert worden, aber auch wenn er noch so lange darüber nachdachte, wollte sich ihm nicht erschließen, wieso mit einem Mal alles ins Stocken geraten war. Also widmete er sich erneut den Stärken und Schwächen seines Angebots.

Als er das nächste Mal einen Blick auf seine Umgebung warf, befand er sich auf dem Weg, der zum Cottage der Frau führte, ohne dass er eine Erklärung dafür hatte, wie er dorthin geraten war.

Er wusste, er sollte umkehren und sich seinen Pflichten widmen, die in der Festung auf ihn warteten.

Er wusste, er sollte einen Bogen um diese Frau machen, denn sie würde ihn nur von seiner Aufgabe ablenken.

Für ihn hatte sie nichts Bemerkenswertes an sich, und dennoch zog ihn etwas zu ihr, damit er mehr über sie in Erfahrung bringen konnte.

Duncan schüttelte den Kopf über diese unsinnigen Gedanken. Er musste erschöpfter sein, als er zugeben wollte, wenn er sich so leicht aus seiner Konzentration bringen ließ. Vielleicht würde sie ihn ja nicht mehr so sehr interessieren, wenn er ihren Namen kannte. Vielleicht war es das Mysteriöse an ihr, das sie so anziehend machte. Fast hatte er sich schon dazu überreden können, doch weiterzureiten, ohne mit ihr gesprochen zu haben, da ging die Tür des Cottages auf und die Frau trat ins Freie.

Abermals faszinierte ihn, wie unterschiedlich sie aus der Ferne und aus der Nähe betrachtet aussah. Augenblicke später kam ihre Tochter nach draußen und folgte im Schatten ihrer Mutter, die ein kleines Gittertor öffnete und einen Garten gleich neben dem Gebäude betrat. Das sanfte, helle Gelächter der beiden wehte zu der Stelle, an der er auf seinem Pferd sitzend im Schatten der Baumlinie verharrte und sie beobachtete.

Er hatte mitangesehen, wie Connors Frau Jocelyn mit ihrem Sohn und in jüngerer Zeit mit ihrer Tochter auf diese Weise spielte, und bei diesen Gelegenheiten war mit ihm das Gleiche geschehen, wie es auch jetzt der Fall war: Eine Faust schien sich um sein Herz zu legen und es zusammenzudrücken. Mit jedem sanften Lachen und jedem liebevollen Wort wurde der Griff um sein Herz noch fester, und ihn überkam eine Sehnsucht, die so stark war, dass ihm der Atem stockte.

Sein Pferd musste seine Anspannung bemerkt haben, da es plötzlich unruhig wurde und auf der Stelle trat. Als er an den Zügeln ziehen wollte, um es zu besänftigen, glitt ihm einer aus der Hand. Stumm verfluchte er sein Ungeschick, saß ab und griff nach den Zügeln. Gerade wollte er wieder aufsitzen, da bemerkte er verwundert, wie still es geworden war. Er sah zum Garten, konnte aber Mutter und Tochter nirgends entdecken. Ob sie ihn wohl gesehen hatten und zurück ins Haus gegangen waren?

Es stand ihm nicht zu, die Frau anzusprechen, also beschloss er, sich zurückzuziehen. Er wollte sich wieder auf den Weg zurück zur Festung machen, doch in diesem Moment sah er das kleine blonde Mädchen, das den Kopf über die Steinmauer reckte, die rings um den Garten lief. Unwillkürlich musste er lächeln, dann verschwand die Kleine, ein leises Tuscheln war zu hören, und plötzlich tauchte der Kopf wieder auf. Zum Teufel mit meinen Absichten, dachte er.

„Guten Tag“, rief er, während er sein Pferd zum Weg führte.

Schweigen schlug ihm entgegen, und auch wenn er eigentlich keinen weiteren Versuch unternehmen wollte, konnte er sich dennoch nicht zurückhalten. „Guten Tag“, rief er abermals.

„Guten Tag, Mylord“, erwiderte die Frau, als sie sich aus ihrer gebückten Haltung erhob und sich ans Gartentor stellte.

„Sagt Duncan zu mir, nicht Mylord“, bat er sie kopfschüttelnd.

Marian verkniff sich eine Bemerkung, denn eigentlich stand sie von ihrer Stellung her über ihm und hätte ihrerseits darauf bestehen können, mit „Mylady“ angesprochen zu werden. Doch von diesem Leben war sie mittlerweile so weit entfernt, dass sie darüber lieber nicht nachdenken wollte. „Der Friedensstifter“, sagte sie stattdessen.

„Einfach nur Duncan“, beharrte er und ging auf das Tor zu. „Und wie heißt Ihr?“

Einen Moment lang zögerte sie, da sie sich vor dem Klang ihres Namens fürchtete, aber ihrer Angst zum Trotz antwortete sie: „Man nennt mich Mara.“

Das Tor ging auf, und Ciara hopste nach draußen. Nach ein paar Schritten blieb die Kleine stehen und riss die Augen weit auf, als sie sein Pferd sah. Vor Ehrfurcht und Staunen bekam sie den Mund kaum noch zu, und als sie sich so weit im Griff hatte, dass sie wieder reden konnte, kam nur ein einziges Wort über ihre Lippen.

„Schön“, seufzte sie im Flüsterton.

„Ciara“, rief Marian. „Komm zurück zu Mama.“

Da für ihre Tochter in diesem Moment das Tier wichtiger war, verhallte ihre Aufforderung ungehört. Beunruhigt streckte Marian die Hand nach Ciara aus. „Komm jetzt zu Mama, meine Süße.“ Sie machte einen Schritt auf die Kleine zu, doch die schoss förmlich in Richtung des Pferdes davon, und zurück blieb eine vor Angst starre Marian.

Glücklicherweise wurde der Mann, den sie Friedensstifter nannten, nicht auch von dieser Starre befallen, und so bückte er sich und bekam das Mädchen mühelos zu fassen, ehe es an ihm vorbeihuschen konnte. Um es wie ein Spiel aussehen zu lassen, ächzte und stöhnte er, als müsse er etwas sehr Schweres hochheben, während er Ciara in seine Arme nahm und sich mit ihr um seine eigene Achse drehte. Er hatte soeben eine volle Drehung abgeschlossen, da war Marian an seiner Seite.

„Vielen Dank, Sir.“ Sie wollte ihm das Mädchen abnehmen, doch er machte mit ihm einen Schritt auf das Pferd zu. „Sir, bitte!“

„Keine Angst, Mara, ich möchte ihr nur das Pferd zeigen. Vorausgesetzt, Ihr seid damit einverstanden“, fügte er hinzu und wartete auf ihre Erwiderung.

Marian beobachtete, wie Ciara es sich in seinen Armen bequem machte und sich gegen seine Brust lehnte, um aus diesem ungewohnt hohen Blickwinkel die Welt zu betrachten. Dann zeigte sie auf das Pferd und meinte wieder: „Schön.“

Und nur einen Moment später schien das Mädchen, das nie ein Wort mit Fremden redete und nie mehr als einen Schritt von der Seite der Mutter wich, all seine Zurückhaltung und Vorsicht vergessen zu haben.

„Wie heißt das Pferd?“, fragte die Kleine den Mann und beugte sich so plötzlich vor, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als einen Schritt nach vorn zu machen, damit sie ihm nicht aus den Armen glitt und zu Boden fiel. Marian nickte hastig, um ihm ihr Einverständnis deutlich zu machen, dann folgte sie den beiden, während sie sich weiter dem Pferd näherten.

„Es hat keinen Namen, ich nenne es einfach nur ‚Pferd‘“, antwortete er.

Ciara musste darüber laut lachen, während Marian über den Ausdruck in seinen Augen rätselte, als er ihre Tochter ansah. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass diese Augen, die zuvor so hart und unerbittlich gewirkt hatten, nun von einer so intensiven Sehnsucht erfüllt waren, dass es ihr die Kehle zuschnürte. Nur einen Moment später war diese Regung schon wieder verschwunden. Er ging mit Ciara näher an sein Pferd heran, blieb aber in einigen Schritten Entfernung wieder stehen.

„Es muss uns erst kennenlernen, sonst wird es versuchen davonzulaufen“, erklärte er mit ruhiger Stimme. „Lass es deinen Geruch aufnehmen.“

Das Mädchen kicherte, als hätte es noch nie etwas Lustigeres gehört. Sofort spitzte das Pferd die Ohren und schnaubte ein paar Mal, während es aufmerksam beobachtete, wie die beiden sich ihm näherten.

„Das ist wirklich wahr, Mädchen. Wir Menschen riechen für Pferde ganz seltsam, und deshalb müssen sie sich erst an unseren Geruch gewöhnen, damit sie uns an sich heranlassen.“

Marian sah ihm zu, wie er die Hand ihrer Tochter nahm und sie dem Pferd entgegenstreckte. Ob es an der Kinderhand lag oder ob das Tier seinen Herrn wiedererkannte, konnte sie nicht beurteilen, auf jeden Fall stieß es sie beide sanft mit der Schnauze an.

„Wenn du ihm etwas zu essen gibst, wird es dein Freund werden“, ließ er das Mädchen wissen. „Pferde mögen Futter.“

„Ich hab aber nichts“, gab Ciara bestürzt zurück und schaute sich um, als könnte sie auf dem Waldboden etwas Essbares finden. Bevor Marian etwas sagen konnte, hatte Duncan bereits unter seinen Mantel gegriffen und holte ein kleines Stück Karotte hervor.

„Ah“, machte er. „Das ist genau das Richtige.“

Unter seiner Anleitung legte Ciara die Karotte auf die flache Hand, die sie so dem Pferd hinhielt. Das Tier schnupperte kurz und fraß dann das Stück. Ciara lachte wieder und erklärte, es habe gekitzelt.

In diesem Augenblick wurde Marians Welt auf den Kopf gestellt. Noch nie hatte ein Mann ihre Tochter so gehalten oder sie gar zum Lachen gebracht. Kein Mann.

Und jetzt befand sie sich in den Armen eines Fremden, fütterte dessen Pferd und kicherte, sobald die raue Zunge über ihre Handfläche strich. Mit unsicheren Schritten ging Marian auf die beiden zu, musste jedoch gleich wieder stehen bleiben. Dennoch hatte er die Bewegung bemerkt und streckte seine freie Hand aus, um ihr Halt zu geben.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Mylady?“

„Nichts Schlimmes, Sir. Mir ist nur ein wenig schwindlig“, antwortete sie und hielt die Arme ausgebreitet, um ihre Tochter wieder an sich zu nehmen, doch er schüttelte den Kopf und drehte sich von ihr weg.

„Ihr könnt Eure Tochter nicht tragen, wenn Ihr so unsicher auf den Beinen seid“, beschied er. Ihm fiel auf, dass Ciaras Begeisterung über das Pferd verflogen war, da sie bemerkt haben musste, wie besorgt deren Mutter um ihr Wohl war. „Deine Mama hat ein wenig Angst, dass wir beide so dicht neben einem so großen Pferd stehen. Komm, wir sehen es uns von etwas weiter weg an.“

Er ging auf das Cottage zu, hockte sich hin und ließ Ciara zu Boden. Anstatt sie aber loszulassen, erzählte er ihr mit leiser Stimme, wie alt das Pferd sei, wie viele Zähne es hatte und welches Futter ihm am besten schmeckte. Als er sich schließlich aufrichtete und sich zu Marian umdrehte, um sie anzulächeln, hatte sie das Gefühl, dass der Schwindel nachgelassen hatte.

„Verzeiht, wenn ich Euch dazu veranlasst habe, Euch Sorgen zu machen. Das war nicht meine Absicht, und ich wollte auch weder Euch noch Eurer Tochter etwas antun“, beteuerte er.

Beim Anblick von Ciaras freudestrahlender Miene wusste sie, dass er die Wahrheit sprach. „Ich danke Euch dafür, dass Ihr meiner Tochter gegenüber so freundlich wart.“

„Das war doch selbstverständlich, Mara.“ Seine Stimme strömte förmlich durch ihren Körper, während er ihr die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ wie nur wenige Augenblicke zuvor ihrer Tochter. „Ich begegne nicht oft einem weiblichen Wesen, das sich so sehr wie ich für mein Pferd begeistern kann, auch wenn ich einräumen muss, dass Ciara ein klein wenig jünger ist als die meisten Frauen, mit denen ich sonst zu tun habe.“

Marian musste lachen, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass er Schwierigkeiten haben sollte, mit Frauen zu reden … oder zu schäkern … oder mit ihnen die anderen Dinge zu tun, die Männer und Frauen gemeinsam machten. Verwundert sah sie ihm in die Augen und fragte sich, wie es möglich war, dass sie ihn zuvor für finster und gefährlich gehalten hatte.

Vielmehr blitzten seine Augen jetzt sogar amüsiert auf, als er merkte, dass Ciara ein Selbstgespräch über sein Pferd führte. Marian stand dicht genug vor ihm, um in diesen Augen winzige goldene Flecken erkennen zu können. Und ihr entging auch nicht, dass sein Haar, das locker über die Schultern fiel, keineswegs einfach nur dunkel war, sondern im Licht der Sonne, die durch die Baumkronen schien, in den verschiedensten Brauntönen schimmerte.

Als ihr klar wurde, in welche Richtung sich ihre Gedanken bewegten, begann Marian zu zittern. Bewusst untersagte sie sich, solche Dinge bei anderen Menschen zu bemerken, da sie ihrerseits alles tat, so unauffällig wie möglich zu erscheinen, damit andere sie nicht wahrnahmen. Aufzufallen bedeutete, Ärger auf sich zu lenken. Und Ärger war etwas, was sie zum einen vermeiden wollte und was sie sich zum anderen nicht leisten konnte.

„Ich danke Euch nochmals für Eure freundliche Geste gegenüber meiner Tochter, Sir. Aber jetzt dürfen wir Euch nicht länger von Euren Pflichten abhalten.“ Marian streckte ihre Finger nach Ciara aus, und als die nicht schnell genug reagierte, fasste sie deren Hand und zog das Kind zu sich heran.

„Ciara, bedank dich bei Sir Duncan, dass er dir erlaubt hat, sein Pferd zu füttern.“

„Duncan genügt, Mara. Sie kann ruhig Duncan zu mir sagen.“

Ciara murmelte ein Dankeschön, da sie immer noch unter dem Eindruck des Pferds und seines Reiters stand, dann nickte Marian ihm zu und ging zum Cottage.

„Wenn Ciara möchte, kann sie bei meinem nächsten Besuch einen Namen für mein Pferd vorschlagen“, rief er ihr nach.

Sie beeilte sich, ins Haus zu kommen, und hoffte, dass ihre Tochter diesen Vorschlag nicht gehört hatte. Nachdem sie die Tür hinter sich zugedrückt hatte, musste sie sich zwingen, den Riegel nicht vorzuschieben. Ein solcher Akt konnte als Beleidigung ausgelegt werden, hatte er ihr und ihrer Tochter doch nur auf angenehme Weise Gesellschaft geleistet. Noch während Ciara ihre Kiste mit Spielzeug nach dem aus Hölzchen gebastelten Pferd absuchte, begab sich Marian zu dem kleinen Fenster an der Vorderseite ihres Cottages und spähte vorsichtig durch den Vorhang, um nachzusehen, ob der Mann auch wirklich davonritt.

Er fasste die Zügel und schwang sich auf den Rücken seines Tieres, wobei deutlich zu erkennen war, welche Kraft in seinen Armen und Beinen steckte. Mühelos brachte er das Pferd unter seine Kontrolle. Es war ein Irrtum gewesen, ihn für einen Mann zu halten, für den es nur Besprechungen und Verhandlungen gab, denn Duncan der Friedensstifter war in erster Linie ein Krieger und erst danach ein Unterhändler.

Marian schaute ihm zu, wie er sich vorbeugte und dem Pferd etwas zuflüsterte, das sich daraufhin aufbäumte, den Kopf schüttelte und seine Nüstern blähte. Anstatt zu versuchen, dem Tier seinen Willen aufzuzwingen, ließ Duncan ihm freien Lauf, lachte laut und tätschelte ihm den Hals. Erst dann dirigierte er es auf den Weg, der das Haus mit dem Dorf verband. Noch einmal sah er zum Cottage und nickte Marian zu.

War es so offensichtlich gewesen, dass sie ihn beobachtet hatte? Was musste er davon halten, dass sie ihn so unverhohlen durch das Fenster angestarrt hatte? Entsetzt wich sie zurück, wusste jedoch, dass es dafür viel zu spät war. Denn er war bereits Zeuge ihrer Unverfrorenheit geworden. Zum Glück war Ciara völlig in ihr Spiel vertieft, bei dem sie die Begegnung mit dem Pferd nachstellte; deshalb entging ihr die peinliche Situation, in die ihre Mutter sich gebracht hatte.

Sie zog das Kopftuch herunter und löste den Zopf, damit ihr Haar offen über ihre Schultern fallen konnte, dann erledigte sie die Arbeiten im Haus, die liegen geblieben waren, als sie bei den ersten Sonnenstrahlen nach draußen in den Garten gegangen war. Ihre Gedanken kreisten dabei um die Folgen dieser Entscheidung, und ihr fielen wieder seine letzten Worte ein.

Wenn Ciara möchte, kann sie bei meinem nächsten Besuch einen Namen für mein Pferd vorschlagen.

Ein Schauer lief durch ihren Körper, und Angst trieb ihre Klauen in Marians Herz, als sie darüber nachdachte, welche Gefahren für sie mit diesen Worten verbunden waren und welche Absichten er womöglich hegte. Sie wusste, wie Männer dachten, doch ihre Tochter wusste das noch nicht. Sollte Ciara sich an Duncan gewöhnen, würde es ihr das Herz brechen, wenn er sie schließlich wieder verließ, was zweifellos geschehen würde.

Sie musste ihn irgendwie davon abbringen, noch einmal zu kommen. Selbstverständlich auf eine diskrete Weise, die er nicht als Beleidigung seiner Ehre deuten konnte. Auch wenn sie sich von den Machenschaften innerhalb des Clans fernhielt, war selbst ihr die Bedeutung seiner Arbeit bekannt, und sie wusste um die Tragweite jener Allianz, die sein Laird ihrem Bruder anbot. Marian musste seine Aufmerksamkeit von sich ablenken, die sich aus einem für sie unerklärlichen Grund auf sie gerichtet hatte, und dafür sorgen, dass er sich um seine Pflichten und seine Verantwortung kümmerte.

Es war nötig, ihn davon zu überzeugen, dass sie sein Interesse und seine Sorge nicht wert war. Und das musste sie auf eine Weise tun, die ihm den Eindruck vermittelte, von selbst auf diese Idee gekommen zu sein. Das war nötig, auch wenn er ihr zu Hilfe geeilt war und Laren in die Flucht geschlagen hatte. Und obwohl er der Ehrengast ihres Clans war, dem jedes noch so geringe Maß an Gastfreundschaft zustand.

Sie musste ihn entmutigen, ignorieren und sein Interesse an ihrer Person abwehren, ohne ihn zu beleidigen.

Marian wusste, dass dies die Aufgabe war, die jetzt vor ihr lag, und sie konnte nur beten, der Herausforderung gewachsen zu sein. Sie musste es für ihre Tochter tun, für jeden, den sie liebte, und als Buße für all die Sünden, die auf ihr lasteten.

Duncan kehrte mit klarem Kopf zur Festung zurück und war deutlich besserer Laune als zuvor, als er sie fast fluchtartig verlassen hatte. Er übergab sein Pferd einem der Stalljungen, dann begab er sich in den Großen Saal, wo die anderen, die er dort unverrichteter Dinge zurückgelassen hatte, beisammensaßen und auf das Mittagsmahl warteten. Er ging die Stufen zum Podest hinauf, verbeugte sich vor dem Laird und setzte sich auf den Platz, den man für ihn frei gehalten hatte.

Niemand ermahnte ihn, weil er so abrupt verschwunden war. Stattdessen wurden Platten mit Speisen herumgereicht, die Trinkbecher gefüllt, und dann setzten einvernehmliche Tischgespräche über allgemeine Themen ein. Nach einer Weile erhob man sich und kehrte ins Arbeitsgemach des Laird zurück, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen.

Vielleicht war er selbst ja das Problem gewesen. Vielleicht hatte mit seiner eigenen Einstellung etwas nicht gestimmt, und diese kurze Pause war erforderlich gewesen, um die vor ihm liegenden Aufgaben besser zu bewältigen.

Im Korridor entdeckte er Tavis, als er dem Laird zu dessen Arbeitsgemach folgte, und er rief den Mann zu sich. Tavis besaß genau jene besondere Begabung, auf die er im Verlauf der nächsten Tage würde zurückgreifen müssen. Er gab ihm einige Anweisungen und sprach die deutliche Warnung aus, zu niemandem sonst ein Wort zu sagen, dann machte sich Tavis auf den Weg, um das zu beschaffen, was er brauchte.

Duncan lächelte bei dem Gedanken, welches Gesicht das Kind machen würde, wenn es die Überraschung zu sehen bekam, die er plante. Sollte er dem kleinen Mädchen ein Lächeln entlocken können – vielleicht würde ihm das dann auch bei der Mutter gelingen.

4. KAPITEL

Duncan ließ drei weitere Tage verstreichen, drei lange, schier unendlich lang erscheinende Tage, ehe er sich gestattete, seine Gedanken von den Bestimmungen und Klauseln der auszuhandelnden Vereinbarungen zu jener Frau abschweifen zu lassen, die mit ihrem kleinen Kind am Dorfrand wohnte. In diesen drei Tagen war ihm deutlich geworden, dass es bei den verhandelten Punkten für jeden Schritt, den sie nach vorn machten, an anderer Stelle Rückschritte gab. Hätte sich dieses Prinzip bislang nicht schon drei Mal wiederholt, wäre Duncan davon überzeugt gewesen, die Lage falsch einzuschätzen. Doch sogar Hamish war dies aufgefallen.

Diesmal war Iain derjenige, der eine Pause vorgeschlagen hatte, damit sie in der Zeit während einer kurzen Jagd auf andere Gedanken kommen konnten. Seine Männer waren, wie nicht anders zu erwarten, sofort damit einverstanden, da sie genug von der Enge der Quartiere und von dem Zwang hatten, sich gesittet benehmen zu müssen. Ein hurtiger Ritt und eine gute Jagd würden gegen die zunehmend gereizter werdende Stimmung helfen, und das galt auch für das Festmahl, das der Laird ihnen in Aussicht gestellt hatte. Da Duncan fürchtete, er könnte seinen Leuten zu wenig Freiheiten lassen, nahm er die Einladung an und gab sie an die MacLerie-Männer weiter.

Es war ein sonniger Tag, und die Unwetterwolken am Horizont schienen in eine andere Richtung davonzuziehen, sodass ideale Jagdbedingungen herrschten. Die Robertsons erwiesen sich dabei als durchweg sympathische Truppe, verbrachten sie den Tag doch mit Scheinkämpfen, bei denen sie ihr Jagdgeschick unter Beweis stellten, und jeder Clan zeigte, dass er ein würdiger Widersacher war. Der Laird erlegte einen Hirsch, was seine Männer mit lautem Jubel feierten. Duncan gestattete dem Mann diesen Triumph, da es angesichts der langwierigen Verhandlungen nicht ratsam war, sein überlegenes Geschick als Jäger zu demonstrieren. Als die Sonne allmählich sank und die Abenddämmerung einsetzte, war die Gruppe auf dem Weg zurück zum Dorf und zur Feste.

Sie ritten soeben über die Brücke, da schweifte Duncans Aufmerksamkeit für einen kurzen Augenblick ab, der jedoch genügte, um von Hamish bemerkt zu werden. Er griff unter seinen Mantel und tastete nach dem Spielzeug, dann bat er den Laird um Erlaubnis, die Gruppe verlassen zu dürfen, um sein Clansmitglied Ranald zu besuchen. Nachdem die anderen weitergeritten waren, begab er sich tatsächlich zum Schmied, da ihm Fragen durch den Kopf gingen, die ihm Ranald hoffentlich beantworten konnte, ohne dass andere davon erfuhren.

Nach einem Krug Ale und einer kurzen Unterhaltung machte Duncan sich auf den Weg zum Cottage. Neben dem geschnitzten Holzspielzeug führte er auch einige Vögel bei sich, die er im Verlauf der Jagd erlegt hatte. Es waren Geschenke für Ciara und ihre Mutter.

Ihm wurde bewusst, dass er seinen scheinbar zufälligen Besuch bei den zweien sehr gründlich geplant hatte. Doch nach einem kurzen Moment des Zweifelns, ob es wirklich so klug war, was er da tat, ritt er schließlich weiter. Während er dabei auf die Geräusche ringsum achtete, fiel ihm auf, dass diesmal kein fröhliches Gelächter zu hören war, aber auch nichts, was auf einen Kampf hingedeutet hätte. Er ließ sein Pferd anhalten, saß ab und band es an einem Baum fest, dann ging er zum Cottage.

Ein kurzer Blick um die Ecke zeigte ihm, dass sich Ciara und Mara nicht im Garten mit der ringsum verlaufenden Steinmauer aufhielten. Er betrachtete die Beete, ohne dass ihn die Frau ablenken konnte, die sich um den Garten kümmerte. Der war zwar nur klein, aber die gesamte Fläche wurde genutzt und befand sich in einem gepflegten Zustand. Verschiedentlich erkannte er Kräuter wieder, wie sie von Jocelyn und ihren Frauen in Lairig Dubh zum Kochen und als Heilmittel verwendet wurden, aber viele der Gewächse waren ihm fremd.

Da noch immer kein Laut aus dem Cottage zu hören war, begab er sich zur Tür und klopfte vorsichtig an. Als niemand öffnete, rief er die Namen der beiden und wartete, doch auch jetzt erfolgte keine Reaktion. Er hätte kehrtmachen und zurückreiten sollen und es als Zeichen dafür deuten, sein Interesse an der Frau nicht länger zu verfolgen. Doch irgendetwas veranlasste ihn zu bleiben und brachte ihn dazu, nach dem Riegel zu greifen und die Tür zu öffnen.

Das Cottage war klein, aber sauber und trocken. Mehrere Matten lagen auf dem Boden verstreut, in der entlegenen Ecke fand sich ein kleines Nachtlager. An der anderen Wand standen ein kleiner Schrank und eine Truhe. Gegenüber befand sich der kleine Kamin, und mitten im Zimmer standen ein kleiner runder Tisch und zwei Hocker. Alles war schlicht und praktisch, doch als sein Blick auf das fiel, was auf dem Tisch lag, machte sich ein sonderbarer Druck auf seiner Brust bemerkbar.

Einfaches Kinderspielzeug – eine Puppe, ein Pferd –, das aus Hölzchen und Stoffstücken bestand, war dort zu einem kleinen Häufchen zusammengeschoben worden, als warte es nur auf die Rückkehr seiner Besitzerin. Duncan lächelte, da er wusste, wie sehr sich das Mädchen über das Geschenk freuen würde, das er mitgebracht hatte. Aus einem Grund, der sich ihm nicht erschließen wollte, freute auch er sich auf diese Aussicht.

Als sein Blick durch das Cottage wanderte, gestand er sich zum ersten Mal ein, dass er sich nach dieser Häuslichkeit sehnte. Er wollte nicht länger im Auftrag des Clans kreuz und quer durch Schottland reisen müssen, wollte nicht länger von Spannungen, Gefahren und Streitigkeiten umgeben und ständig unterwegs sein. Sein Leben drehte sich seit jeher um Frieden, und das um jeden Preis, doch das hieß nicht, dass das immer so sein musste. Eine Ehefrau, ein paar Kinder und eigenes Land gehörten zu einem Leben, das er sich auch sehr gut vorstellen konnte.

Tief in seinem Herzen wollte Duncan der Friedensstifter nur Duncan der Bauer sein.

Oh ja, Connor und Rurik würden darüber von Herzen lachen können. Sie würden sich vor Lachen nicht mehr auf den Beinen halten können, sollten sie von diesem Wunsch erfahren. Doch Duncan wusste, dass es der Wahrheit entsprach. Und jetzt, da er die himmlische Ruhe in diesem Cottage genoss, glaubte er zum ersten Mal selbst daran, dass es tatsächlich das war, was er wollte.

So sehr war er darin vertieft, sich seine Zukunft auszumalen, dass er nicht bemerkte, wie die beiden zum Haus zurückkehrten. Erst als er das Mädchen erschrocken nach Luft schnappen hörte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und erkannte, dass er unerlaubt in dieses Haus eingedrungen war.

„Ich bitte um Verzeihung“, wandte er sich an die entsetzt dreinschauende Mutter. „Ich war auf der Suche nach Euch und dachte, Ihr seid im Haus und habt mich nicht gehört.“

Marian nahm Ciaras Hand, da sie wusste, ihre Tochter würde gleich wieder zu diesem Mann laufen. Seit seinem letzten Besuch hatte es für das Kind kaum noch ein anderes Thema gegeben, und jetzt, da er vor ihnen stand, konnte Marian die Begeisterung der Kleinen durchaus verstehen. Allein schon seine Größe war so beeindruckend, dass sie zögerte, das Haus zu betreten, denn aufrecht stehend berührte er mit dem Kopf beinahe die Decke. Ihre Rettung kam in Gestalt des anderen Themas, für das sich Ciara so erwärmen konnte.

„Sir, darf ich Euer Pferd sehen?“, fragte die Kleine.

Er lächelte, und als er nickte, wurde der Ausdruck in seinen Augen wieder so sanft wie zuvor. Bevor er aber seine Zustimmung gab, sah er zu Marian, um sich zu vergewissern, dass sie damit einverstanden war. Sie hatte sich auf diesen Moment vorbereiten können, weil sie nach seinem letzten Besuch alle möglichen Situationen durchgespielt hatte. Denn sie wusste, dass sie sein Interesse von sich ablenken musste, bevor es ihr gefährlich werden konnte.

Marian war bereit, ihm eine Absage zu erteilen … bis sie die Miene ihrer Tochter bemerkte.

Noch nie hatte sie eine solche Begeisterung und Vorfreude in Ciaras Augen aufleuchten sehen, so als würde die Sonne selbst aus ihnen scheinen. War es die Aufmerksamkeit eines solchen Mannes, die ihre Tochter so begeistern konnte? Oder war es bloß das Interesse an seinem Pferd? Vielleicht spielte sich hier aber auch etwas ganz anderes ab? Obwohl sie vor Sorge Magenkrämpfe hatte, nickte sie stumm. Diese Geste genügte ihrer Tochter, um die Hand des Friedensstifters zu umklammern und ihn hinter sich her nach draußen zu seinem Pferd zu ziehen.

Marian folgte ihnen, davon überzeugt, dass die zwei ihre Anwesenheit längst vergessen hatten. Nachdem sie beim letzten Mal gesehen hatte, wie sich das Tier aufbäumte, machte dessen ruhiges, gelassenes Auftreten sie nun misstrauisch und nervös. Doch ihre Tochter teilte dieses Unbehagen nicht; vielmehr ging sie gemeinsam mit Duncan zielstrebig auf das Pferd zu. Das hob zwar den Kopf und schaute in ihre Richtung, rührte sich ansonsten aber nicht von der Stelle.

Duncan ging in die Hocke und flüsterte Ciara Anweisungen zu, ehe er mit ihr die letzten Schritte bis zu seinem Pferd zurücklegte. Sie verhielt sich völlig unbefangen, und nicht einmal die stattliche Größe des Tieres konnte sie erschrecken. Lächelnd drehte Duncan sich zu ihrer Mutter um.

„Wenn Ihr gestattet, würde ich sie gern reiten lassen“, sagte er, dann wartete er geduldig ab. Er wusste, allein seine Gegenwart erfüllte Mara mit Unbehagen, aber er baute auf ihren Wunsch, ihrer Tochter einen Gefallen tun zu wollen.

„Sie ist doch so klein. Ich …“ Mara schüttelte den Kopf, doch wenn er ihr Mienenspiel richtig deutete, dann war sie nicht so sehr gegen seinen Vorschlag eingestellt, sondern es war vielmehr Angst um das Wohl ihres Kindes, das sie zögern ließ.

„Kommt“, forderte er sie auf und hielt ihr die Hand hin. „Ihr sitzt zuerst auf, dann kann sie vor Euch Platz nehmen.“

Dass er ihr Angst unterstellt hatte, war von ihm offenbar falsch gesehen worden, denn jetzt merkte er, wie sich ihr Gesichtsausdruck änderte. Nun war er sich gar nicht mehr sicher, ob sie überhaupt gezögert hatte. Mara nahm seine Hand und trat vor.

Auch ihre Tochter überraschte sie mit diesem Schritt, denn das Mädchen bekam den Mund nicht mehr zu und brachte vor Ehrfurcht und Anerkennung nur ein Wort heraus.

„Mama.“

Duncan ließ das Pferd am Baum angebunden und blieb in Höhe des Sattels stehen. Er stellte einen Fuß in den Steigbügel, damit sie Halt hatte, und dann überraschte ihn Mara mit der Leichtigkeit, mit der sie ihren Fuß auf seinen setzte und in den Sattel stieg. Sie tätschelte den Hals des Tieres, und es schien, als sei sie auf einem Pferderücken mindestens so sehr zu Hause wie er selbst. Nachdem sie ihre Röcke zurechtgezogen hatte, streckte sie die Arme nach ihrer Tochter aus.

Und sie lächelte.

Tatsächlich zog sie die Mundwinkel hoch, was ihrem Gesicht einen völlig neuen, ungewohnten Ausdruck verlieh. Ihre ganze Ausstrahlung hellte sich auf, und er entdeckte eine völlig andere Frau hinter der sonst ernsten, fast mürrischen Miene. Diese andere Frau wirkte viel jünger, und ihre Augen funkelten spitzbübisch, was ihn dazu veranlasste, jeden Eindruck neu abzuwägen, zu dem er bislang gekommen war.

„Seid Ihr schon einmal geritten?“ Obwohl es eine Feststellung hatte sein sollen, kamen ihm die Worte als Frage über die Lippen.

„Aye, Sir. Aber das ist viele Jahre her.“

Ihr Körper passte sich an die Bewegungen des Pferdes an, als ob sie als Reiterin zur Welt gekommen wäre. Duncan bückte sich und hob Ciara hoch, um sie Mara hinzuhalten. Die nahm die Kleine an sich und setzte sie vor sich in den Sattel. Dann steckten die beiden die Köpfe zusammen und tuschelten etwas, das er zwar nicht verstehen, dennoch erahnen konnte. Er ging einen Schritt nach hinten und beobachtete die zwei, während sich wieder dieser eigenartige Druck auf seine Brust legte.

Marian wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen, denn sein Blick hatte wieder diesen sehnsüchtigen Ausdruck angenommen, der ihr schon zuvor bei ihm aufgefallen war. Er trat einen Schritt zurück, und nachdem sich das Pferd an ihr Gewicht gewöhnt hatte – obwohl sie und ihre Tochter weniger wogen als er –, band er die Zügel los und drehte sich zu ihr um.

„Soll ich Euch führen oder möchtet Ihr, dass ich Euch die Zügel reiche?“, fragte er.

Bei seinen Worten war sie diejenige, die nun von Sehnsucht erfüllt wurde.

Vor vielen Jahren, als sie die Tochter des Lairds gewesen war und ihr entsprechend ihrer Stellung alle Ehren und Annehmlichkeiten zuteilwurden, war das Reiten ihre große Leidenschaft und ihr besonderes Talent gewesen. Ihr Bruder beteuerte immer, sie reite besser als jeder Mann, den er kannte, was sie mit großem Stolz erfüllt hatte. Jetzt dagegen würde sie viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken, wenn sie ein Pferd besaß oder auch nur ritt; außerdem würde sie das zu sehr an ihre Vergangenheit erinnern. Also übte sie sich in jener Selbstbeherrschung, die ihr schon so lange gute Dienste leistete, und schlang die Arme um ihre Tochter.

„Es würde uns gefallen, wenn Ihr das Pferd führen könntet, Sir“, gab sie leise zurück.

„Oh ja, Duncan“, rief Ciara. „Bitte!“

Ihre Tochter wusste nichts von ihrer Vergangenheit, und so sollte es auch bleiben, weil das für alle Beteiligten am sichersten war. Marian hielt sie fest und beobachtete voller Stolz, wie Ciara sicher und selbstbewusst vor ihr saß, sich vorbeugte und den Hals des Pferdes tätschelte und dabei den Friedensstifter mit Fragen überhäufte, bis er schließlich zu lachen begann.

Als sie das Ende des Weges erreichten und sich der Haustür näherten, ließ er das Pferd kehrtmachen, jedoch glücklicherweise nicht in Richtung des Dorfes, sondern über den Weg, der zur Brücke und von dort tiefer in den Wald führte. Schweigend ging er neben ihnen her, während er das Pferd zu einem gemächlichen, gleichmäßigen Gang anhielt. Sie überquerten die Brücke, und erst als die außer Sichtweite war, ließ er das Tier anhalten und drehte sich um.

„Und? Wie war das, Ciara?“, wollte er wissen. „Hat dir das Reiten gefallen?“

„Oh ja“, antwortete sie in ihrem sanften, kindlichen Tonfall. „Und Mama hat es auch gefallen.“

„Ist das wahr?“, fragte er ihre Tochter, während er deren Mutter ansah.

Marian musste schlucken und versuchte sich zu räuspern, weil ihr Hals plötzlich wie zugeschnürt war. Sie wusste nicht, wie und warum es geschah, aber ein einziger Blick von diesem Mann genügte, damit sie sich lebendig fühlte. Ein Teil in ihr, der niemals in Versuchung geführt worden war, etwas zu fühlen, war nun von einem erwartungsvollen Pulsieren erfüllt. Trotz ihrer Vergangenheit und der mangelnden Erfahrung auf diesem Gebiet verspürte sie den dringenden Wunsch, ihre Lippen zu berühren und festzustellen, warum sie so kribbelten. Schließlich zwinkerte sie und befreite sich von seinem eindringlichen Blick.

„Aye, Sir, und ich danke Euch für einen so angenehmen Ritt.“ Sie lächelte und küsste Ciara auf den Kopf, dann hob sie sie aus dem Sattel, um sie an Duncan zu geben. „Das war eine ungewohnte Abwechslung für uns.“

Ciara plapperte munter drauflos, nickte mal, schüttelte mal den Kopf, während sie unablässig Fragen stellte. Dabei war sie, so wie Marian selbst, nicht an die Gegenwart eines solchen Mannes gewöhnt. Indem Marian vorgab, die verwitwete Cousine des Lairds zu sein, sorgte sie dafür, dass die Existenz ihrer Tochter erklärt wurde und ihr Leben einigermaßen geschützt war. Von gelegentlichen Zwischenfällen wie jenem mit Laren abgesehen, machten die Männer des Clans ihnen keinen Ärger, und die wenigsten nahmen überhaupt von ihnen Notiz. Was Iain gesagt und welche Befehle er ausgegeben hatte, wusste sie nicht, die Folge jedoch war, dass Ciara nur wenige Männer kannte.

Duncan stand da und hielt ihr die Hände hin, dann aber ließ er die Arme sinken. Marian zog den Fuß aus dem Steigbügel und wollte absitzen, als seine Worte sie innehalten ließen.

„Auch wenn mein Pferd manchmal etwas ungestüm sein kann, ist es üblicherweise doch sehr gut erzogen“, sagte er und streichelte den Kopf des Tieres, dann hielt er ihr die Zügel hin. „Wenn Ihr ein Stück weit die Straße entlangreiten möchtet, wird es nichts dagegen einzuwenden haben.“

Von allem, was er ihr hätte anbieten können, war dieser Vorschlag zweifellos der verführerischste. Sie musste sich zwingen, nicht nach den Zügeln zu greifen, und schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, das könnte ich nicht. Aber ich …“ Sie wollte ihm eben für sein Angebot danken, da unterbrach er sie.

„Ihr besitzt das Können. Jeder, der Augen im Kopf hat, kann es sehen.“ Er hielt ihr die Lederriemen hin. „Ich werde auf das Mädchen aufpassen, während Ihr ein Stück weit reitet und dann hierher zurückkommt.“

Wie konnte sie sich dagegen sträuben? Wie konnte sie einem so einfachen, unschuldigen Vergnügen widerstehen? Wieder war es Ciara, die für sie die Entscheidung fällte.

„Oh, Mama!“, rief sie ihr zu, während sie neben dem Mann stand. Marian entging nicht, dass er Ciara dicht genug bei sich hielt, dass sie vor einer unbedachten Bewegung des Pferdes in Sicherheit war. „Reite auf dem Pferd! Bitte!“ Abermals war da dieser ehrfürchtige Gesichtsausdruck, und Marian fühlte sich außerstande, ihre Tochter zu enttäuschen, indem sie ablehnte.

„Darf ich?“, fragte sie nach, um sich zu vergewissern, dass sie ihn nicht missverstanden hatte. „Und du wartest einen Moment hier mit Sir Duncan, bis ich zurück bin, Ciara?“

Furchtlos ergriff ihre Tochter Duncans große Hand und nickte. „Wir gucken dir zu.“

Marian nickte ebenfalls und nahm die Zügel an sich. Hand in Hand traten Mann und Kind einen Schritt zurück, und ihre Tochter musterte sie schweigend. Sie wickelte die Zügel um die Hände und zwischen den Fingern hindurch, wie es immer ihre Art gewesen war, dann schob sie die Knie nach vorn und beugte sich vor, um besser das Gleichgewicht halten zu können. Mit leichtem Druck auf die Flanken begann das Pferd, die Straße entlangzutraben.

Innerhalb weniger Augenblicke waren alle vertrauten Empfindungen wieder da: das Gefühl, auf einem Pferd zu sitzen und es mit einem leichten Druck der Schenkel zu lenken. Als sie ein Stück weit geritten war, schaute sie über die Schulter und sah, wie die beiden ihr zuwinkten. Plötzlich ging ihr ein verwegener Gedanke durch den Kopf.

Aber … würde sie es wagen?

Sie musste lachen, und etwas von der alten Marian kam an die Oberfläche, als sie kurz die Zügel zucken ließ und den Druck auf die Flanken verstärkte. Das Pferd reagierte sofort, und ehe sie sich versah, rasten die Bäume an ihr vorbei, der Wind riss ihr das Kopftuch herunter und ließ ihre langen Haare flattern, doch das kümmerte sie nicht. Sie beugte sich weiter vor und sprach dem Tier Mut zu, das daraufhin noch schneller galoppierte. Was für ein prachtvolles Pferd es doch war.

Schon bald wurde Marian klar, dass sie umkehren musste. Lange würde es nicht mehr hell sein, und vor ihr lagen verschiedene Aufgaben. Außerdem sollte sie Gewissensbisse haben, weil sie ihre Tochter in der Obhut eines Mannes der MacLeries zurückgelassen hatte. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie ihm vertrauen konnte.

Auch wenn das Vergnügen nun wieder ein Ende nehmen musste, würde sie viele Jahre davon zehren können. Jetzt jedoch wurde es Zeit umzukehren, bevor noch jemand Zeuge ihres Verhaltens werden konnte. Sie zog an den Zügeln, damit das Pferd langsamer wurde, und ritt zurück in Richtung der Brücke, wo ihre Tochter wartete. Auf dem Weg dorthin befreite sie ihr Kopftuch aus den Zweigen, in denen es sich verfangen hatte.

Schließlich erreichte Marian die Brücke und hielt das Tier zu einem gemächlichen Schritttempo an, damit es sich abkühlen konnte. Verwundert schaute sie sich um, aber weder der Friedensstifter noch ihre Tochter waren irgendwo zu entdecken. Sie schluckte gegen die aufkeimende Panik an und ritt zurück zum Cottage. Als sie die beiden am Waldrand stehen sah, atmete sie erleichtert auf. Und einmal mehr versetzte Ciara sie in Erstaunen, da sie bei Sir Duncan wartete, anstatt ihr entgegenzulaufen.

Ihre Wangen waren gerötet, aber Duncan wusste nicht, ob es an der körperlichen Anstrengung oder an dem Vergnügen lag, das der Ritt ihr bereitet hatte. Während er sie ansah, konnte er mitverfolgen, wie sie sich gleich wieder veränderte und wie aus einer vor Leben sprühenden, begeisterten wieder die viel älter und steifer wirkende Frau wurde, als die er sie kennengelernt hatte. Und als sie dann noch das Kopftuch umlegte, kam es ihm so vor, als wäre aus Mara ein anderer Mensch geworden.

Trotzdem war seine Neugier geweckt, weil er von dieser anderen, lebendigeren Frau etwas hatte aufblitzen sehen. Ranald wollte ihm nur berichten, dass sie eine verwitwete Cousine des Lairds war, die seit Kurzem mit ihrer Tochter im Dorf lebte. Dieser Unwille, mehr über sie verlauten zu lassen, war ihm bereits merkwürdig erschienen, doch nach dem, was er jetzt mitangesehen hatte, wusste er, dass er weit davon entfernt war, die ganze Wahrheit zu kennen.

Sie brachte das Pferd zum Stehen, und er ging zu ihr, um ihr aus dem Sattel zu helfen. Als er dabei ihre Taille umfasste, stellte er fest, dass sie weitaus schmaler war, als es ihre weite Kleidung hatte vermuten lassen. Er setzte Mara ab und wollte sie eben loslassen, da verlor sie das Gleichgewicht, und er griff erneut nach ihr, um sie festzuhalten. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er ein wenig höher gegriffen und konnte nun fühlen, wie voll ihre Brüste waren.

Brüste, die sie so wie ihren ganzen Körper mit ihrer weiten Kleidung kaschierte.

Brüste, die er mit seinen Händen umfassen könnte, wenn er sie noch ein wenig weiter nach oben schob.

Ein wohliger Schauer durchfuhr seinen Körper, und er spürte die Erregung, die ihn dabei erfasste. Mara stand wie erstarrt vor ihm, und ihm wurde klar, dass sie an ihn gedrückt gespürt haben musste, wie sehr ihn diese Berührung erregte. Im gleichen Moment nahm er sie so eindringlich als Frau war, dass er fast erschrak. Er war von ihr fasziniert gewesen, sie hatte ihn amüsiert und sein Interesse an ihr geweckt. Jetzt jedoch war es pures Verlangen, das ihn überkam.

Es mochte nur einen Augenblick dauern, aber ihm schien es wie eine Ewigkeit, bis er durch eine Kinderstimme aufgeschreckt wurde und seinen Namen rufen hörte. Er ließ Mara los, machte einen Schritt zur Seite und drehte sich zu ihrer Tochter um.

„Mama, guck mal, was Sir Duncan mir gegeben hat!“, jauchzte Ciara und hielt ihrer Mutter das Pferd hin, das Tavis auf Duncans Bitte hin geschnitzt hatte.

„Was ist das?“, fragte Mara, nahm das Pferd an sich und musterte es.

Der Anblick ihrer Finger, die über die glatten Konturen des Spielzeugs strichen, ließ abwechselnd heiße und kalte Wogen über Duncan zusammenschlagen, da sein Körper erahnte, welche Lust eben diese Finger bereiten könnten, würden sie über seine Haut gleiten anstatt über das Stück Holz. Er atmete heftig durch, um den Bann zu brechen, den sie über ihn gelegt hatte.

„Einer meiner Männer schnitzt sie für seine jüngeren Geschwister. Ich dachte, Ciara würde sich darüber freuen“, erklärte er.

„Ihr seid sehr freundlich, Sir, aber das können wir nicht annehmen.“

Ihre Augen nahmen dabei einen abweisenden Ausdruck an, und sie schüttelte den Kopf. Ciara stieß einen Entsetzensschrei aus und versuchte, nach dem Spielzeug zu greifen.

„Mama!“, rief sie aufgebracht. „Bitte!“

Duncan versuchte zu ergründen, was soeben geschehen war und wie diese harmlose Geste eine solche Reaktion hatte hervorrufen können. Und dann verstand er. Ein Geschenk an eine Frau, die ohne den Schutz eines Mannes lebte, konnte nur einem Ziel dienen.

„Es ist nur ein kleines Spielzeug für das Kind, Mara. Ich wollte Euch gegenüber nicht respektlos erscheinen“, erläuterte er leise. Es war nicht seine Absicht, die Situation noch mehr aus dem Ruder laufen zu lassen, und genauso wenig wollte er vor den Augen des Kindes den Eindruck erwecken, die Mutter könnte nichts zu sagen haben.

Mara schaute das Mädchen an, dann lenkte sie seufzend ein und gab Ciara das Spielzeugpferd zurück.

„Vielen Dank, Sir Duncan!“, freute sich die Kleine. „Ganz vielen Dank!“

Ehe er etwas erwidern konnte, ging Mara dazwischen: „Ciara, nimm das Pferd mit ins Haus und stell es deinen anderen Spielsachen vor.“

Lachend und hüpfend lief Ciara zum Cottage, um Duncans Geschenk mit ihren vorhandenen Spielsachen bekannt zu machen. Kurz sah er ihr nach, dann drehte er sich wieder zu der Mutter um.

Nach seiner körperlichen Reaktion auf ihre Nähe fürchtete Duncan, dass sein Geschenk an Mara – der Ritt auf seinem Pferd – gar nicht so respektvoll gewesen war. Er hatte ihr Verlangen gespürt, allein zu reiten, ohne dass er die Zügel hielt. In dem Moment war es ihm vorgekommen, als hätte er eine Erinnerung an die Vergangenheit über ihr Gesicht huschen sehen, die sie vor ihm geheim hielt. Erinnerungen an glückliche Augenblicke, die sie nun tief in ihrem Inneren versteckte und nur dann zum Vorschein kommen ließ, wenn sie das Gefühl hatte, dass niemand etwas davon bemerkte.

Aber er hatte es bemerkt.

Seine jahrelange Erfahrung darin, bei Verhandlungen das Mienenspiel seines Gegenübers zu beobachten und zu deuten, um Schwächen und Stärken zu erkennen, war nicht vergessen gewesen, nur weil er eine Frau vor sich hatte. Ihr Gesicht hatte ihr Verlangen und ihre Sehnsucht deutlich erkennen lassen, und es war ihm wie ein Leichtes erschienen, ihr dieses kleine Vergnügen zu gestatten.

Doch sein Körper hatte das Unterschwellige an seinem Angebot durchschaut – und Mara ebenfalls. Auch wenn er nicht bewusst diese Absicht verfolgt hatte, war mit beiden Geschenken eine gewisse Erwartung verbunden. Er sollte sich bei ihr entschuldigen. Es wäre das einzig Richtige.

„Mara“, begann er, aber sie unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln.

„Sir Duncan“, entgegnete sie ruhig. „Lasst mich offen reden. Ich bin mit der Erlaubnis des Lairds hierher zurückgekehrt, und ich versuche, gemeinsam mit meiner Tochter ein unauffälliges Leben zu führen.“

Ihre Wortwahl machte ihn stutzig, klang sie doch viel gebildeter, als man es von einer armen Witwe erwarten sollte, die auf die Güte des Lairds angewiesen war. Dennoch wartete er ab, was sie zu sagen hatte.

„Ihr seid vom Laird eingeladen worden, Ihr seid sein Gast, und ich würde nichts tun, um Euch zu beleidigen oder um in irgendeiner Weise Eure Arbeit zu gefährden, aber …“

Sie wich seinem Blick aus und atmete tief durch, als müsse sie sich für das wappnen, was sie als Nächstes sagen wollte. Wieder wartete er geduldig ab.

„Doch Eure Anwesenheit hier und Eure Aufmerksamkeit mir und meiner Tochter gegenüber kann für uns alle nur Probleme mit sich bringen, ganz gleich, welche Absichten Ihr verfolgt.“

Nun, zumindest zog sie damit in Erwägung, dass er gute Absichten hegte. Indem er sich in jener Geduld übte, für die er bekannt war, schwieg Duncan weiter, da er wusste, dass sie ihm noch mehr sagen wollte. Als sie dann auf einmal eine Hand auf seinen Arm legte, war es um seine Beherrschung beinahe geschehen.

„Es kann nicht mehr zwischen uns geben, Sir. Wenn Ihr nur auf der Suche nach einem flüchtigen Abenteuer seid, dann gibt es im Dorf genügend Frauen, die gern bereit sind, einem Mann wie Euch dieses Vergnügen zu bieten.“ Abermals unterbrach sie sich und holte tief Luft. „Außerdem weiß ich, nach mehr kann Euch nicht der Sinn stehen, da Ihr Eurem Clan verpflichtet seid und dorthin zurückkehrt, wenn Euer Laird Euch zu sich ruft. Dann werdet Ihr von hier weggehen und mich schnell wieder vergessen haben, denn eine Frau wie ich kann Euch nichts bieten.“

Einerseits wollte er ihr in jedem Punkt widersprechen. Er war nicht nur auf der Suche nach fleischlichen Gelüsten, und er wollte sich nicht nur flüchtig mit ihr einlassen, um dann nach Lairig Dubh zurückzukehren, weshalb sie ihn mit diesem Vorwurf beleidigte. Andererseits versetzte die Wahrheit in ihren Ausführungen seinem Stolz einen Stich, und er nahm sich einen Moment Zeit, um über seine Antwort nachzudenken.

„Es war nicht meine Absicht, Euch zu beleidigen, Mylady“, begann er schließlich und wich dabei ein Stück weit zurück, um ihr nicht das Gefühl zu geben, dass er sie bedrängen wollte. Obwohl ihre Hand jetzt nicht mehr auf seinem Arm lag, spürte er immer noch die Wärme ihrer Berührung. „Wenn ich ganz offen sein soll, ich hatte mir über die Konsequenzen meines Besuchs und meines Geschenks für Eure Tochter keine Gedanken gemacht. Da ich jedoch nicht möchte, dass Ihr oder Ciara meinetwegen in Schwierigkeiten geratet, werde ich Euch nicht wieder aufsuchen.“

Er wandte sich zum Gehen, aber sie hielt ihn auf, indem sie erneut die Hand auf seinen Arm legte. Als er sie ansah, bemerkte er bei ihr einen ängstlichen Gesichtsausdruck, der ihm nicht gefiel.

„Verzeiht mir meine Offenheit, Sir. Ich wollte Euch weder kränken noch Eure freundliche Geste gegenüber meiner Tochter schmähen“, sagte sie und ließ demütig den Kopf sinken, was nicht zu ihr passte und was er auch nicht bei ihr hatte sehen wollen.

Zugleich wusste er, dass sie ihm keine Bitte abschlagen würde, gleich welcher Art diese auch sein mochte. Schlimmer noch, sie dürfte sie ihm gar nicht abschlagen, denn Duncan war hier willkommen geheißen worden, und das bedeutete, dass jeder und alles unter der Kontrolle des Lairds ihm zu Willen sein musste. Und das betraf auch Mara. Wenn er sie in sein Bett holen wollte, nackt und ihm zu Diensten, dann würde sie ihm seinen Wunsch erfüllen müssen, da er den Segen des Lairds hatte.

Aber genau das würde er niemals tun. Denn er hatte sich bereits zum Vorsatz gemacht, niemals eine Frau zu seinem Vergnügen zu benutzen, auch wenn es sein gutes Recht gewesen wäre.

Er streckte eine Hand nach ihr aus und hob mit den Fingern ihr Kinn an, damit sie ihm in die Augen sah.

„Ihr habt von mir nichts zu befürchten, Mara. Das ist mein Ernst. Ich werde Euch jetzt verlassen, und ich hoffe, Ihr werdet Eurer Tochter von mir ein Lebwohl ausrichten.“

Dann verbeugte er sich leicht und machte kehrt, obwohl ihm so viele Gedanken durch den Kopf gingen, die er alle hätte aussprechen wollen. Einige davon würden sein Handeln erklären, andere dagegen lediglich alles nur noch verworrener machen. Während er zu seinem Pferd zurückkehrte, lauschte er aufmerksam, ob sie ihn zu sich zurückrufen würde.

Doch das geschah nicht.

Die Stimme der Vernunft, die ihn stets davon abgehalten hatte, sich von seinen Pflichten ablenken zu lassen, verstand und akzeptierte Maras Entscheidung, die für alle Beteiligten die einzig richtige war.

Marian sah ihm nach, wie er davonritt, dann widmete sie sich ihren Aufgaben, die im Cottage auf sie warteten. Das Abendessen, Stricken und Stopfen, ihre Tochter … Ihre Kräfte verließen sie, und sie hatte Mühe, selbst die einfachsten Arbeiten zu erledigen. Ciara schien zu merken, dass ihre Mutter nicht in der besten Verfassung war, und drängte nicht auf so viele Schlaflieder und Gutenachtgeschichten wie üblich, ehe sie die Decke über sich zog und in den Schlaf hinüberglitt.

Marian dagegen konnte nicht einschlafen.

Sie drehte sich hin und her und spürte jede Unebenheit im Stroh unter der Decke, als würde sie auf Steinen liegen. In ihrem Herzen regten sich Trauer und Wut und wurden so übermächtig, dass sie nicht länger die Gefühle leugnen konnte, die in ihr tobten. Die einzige Vorwarnung war ein Brennen im Hals und in den Augen, dann setzte ein Strom aus Tränen ein. Sie zog ihre Decke hoch und hielt sie gegen den Mund gepresst, um Ciara mit ihrem Schluchzen nicht aufzuwecken.

Nachdem das Gefühl der Trauer erst einmal an die Oberfläche gekommen war, würde es sich so schnell nicht wieder unter Kontrolle bringen lassen. Die Jahre der Einsamkeit, die anhaltende Demütigung, der Verlust von Familie und Freunden, all das stürmte wie eine Naturgewalt auf sie ein. Das Schlimmste von allem waren die Gefühle, die dieser Fremde bei ihr geweckt hatte, Gefühle, die niemals Teil ihres Lebens sein konnten. Verlangen und Sehnsucht nach einem eigenen, freien Dasein waren fünf Jahre lang unterdrückt worden und regten sich nun wieder. Die Sehnsucht nach einem Ehemann und weiteren Kindern.

Als ihr Gefühlsaufruhr dann endlich ein wenig abebbte, drehte sich Marian um und betrachtete Ciara, die allen Verzicht wert war. Sie war der Sonnenschein in ihrem Leben, durch sie wurde jeder Augenblick des Leidens und jede versäumte Gelegenheit erträglich. Während sie ihr eine Strähne aus dem Gesicht strich, wusste sie, dass sie auch diese Trauer ertragen würde.

Iain bedeutete dem Dorfbewohner vorzutreten, dann beugte er sich vor, um den Worten des Mannes zu lauschen; schließlich schickte er ihn mit einem knappen Nicken wieder fort. Mit einem Grinsen auf den Lippen, weil seine Vermutung bestätigt worden war, wandte Iain sich zu seinem Steward um.

„Dann wächst also sein Interesse an meiner Schwester“, stellte er fest.

„Aye“, antwortete Struan. „Haltet Ihr es für klug, nicht einzuschreiten?“

„Der Mann der MacLeries hat nichts getan, was mein Einschreiten notwendig machen würde, Struan, jedenfalls bislang nicht. Außerdem wissen nur wenige, dass sie meine Schwester ist.“

Struan verbeugte sich und zog sich zurück, um Iain allein zu lassen. Der sah zu den anderen Anwesenden im Raum und erkannte einmal mehr, wie viel sich seit jener schrecklichen Nacht vor fünf Jahren verändert hatte. Seine Brüder waren erwachsener geworden, er selbst hatte von seinem Vater die Führung über den Clan geerbt und gleich darauf viele Änderungen eingeführt, die alle dem Nutzen des Clans dienten. Die jetzigen Verhandlungen stellten nur einen kleinen Teil davon dar.

Doch in jüngster Zeit machten ihm Gewissensbisse zu schaffen, weil Marian die Last seines eigenen Verhaltens tragen musste. Er hatte ihr die Rückkehr gestattet, weil er der Hoffnung gewesen war, eine Lösung für ihre Zukunft zu finden, aber bis vor wenigen Tagen hatte das noch zu keinem Ergebnis geführt.

Das Interesse des Friedensstifters an Marian passte ihm sehr. Der Mann war dafür bekannt, dass er sich durch nichts und niemanden von seiner Arbeit ablenken ließ, wenn er Verhandlungen führte. War er im Auftrag seines Lairds unterwegs, suchte er nicht die Gesellschaft von Frauen. Umso bemerkenswerter war daher, was sich hier abspielte, zumal es sich bei der Frau um seine Schwester handelte.

Iain trank einen großen Schluck aus seinem Becher und spekulierte über die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben. Einige Stunden später, als das Kaminfeuer nur noch aus bald erlöschender Glut bestand und sich der Saal allmählich leerte, saß er immer noch da, ganz in seine Gedanken versunken.

5. KAPITEL

Duncan wollte seinen Ohren kaum trauen. Robertsons Unterhändler hatte soeben bei seinen Einwänden gegen eine wesentliche Formulierung im Vertrag eingelenkt und auch in verschiedenen anderen Punkten Duncans Forderungen nachgegeben. Innerhalb weniger Stunden waren dadurch größere Fortschritte erzielt worden als an allen vorangegangenen Tagen zusammen. Ob es einen bestimmten Grund dafür gab, vermochte er nicht zu erkennen.

Dennoch war er mit den Zugeständnissen der Gegenseite bislang recht zufrieden, und er fühlte sich versucht, weitere Forderungen folgen zu lassen. Wenn Robertson seine großzügige Ader entdeckt hatte, warum sollte Duncan das nicht ausnutzen? Als Hamish ihm zunickte, wusste er, dass sein Freund die gleichen Beobachtungen gemacht hatte.

„… und ich habe angeordnet, dass es morgen Abend ein Festmahl geben soll, um unsere errungenen Fortschritte zu feiern“, schloss Iain soeben seine Ausführungen.

„Ein Fest? Verzeiht meine momentane Unaufmerksamkeit, Iain, aber spracht Ihr von einem Fest am morgigen Tag?“

„Aye. Viele meiner Leute haben ihr Interesse daran bekundet, den Gesandten der MacLeries und seine Männer kennenzulernen, daher dachte ich, dass ein Fest ihnen dazu eine gute Gelegenheit geben würde.“

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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