Historical Lords & Ladies Band 65

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EIN KUSS MIT FOLGEN von MICHAELS, KASEY
Ein betörender Wildfang! In Fetzen hängt das ehemals prachtvolle Kleid an dem jungen Mädchen herab, das wütend auf den Earl of Bourne losgeht. Sie ist im Wald in eine seiner Jagdfallen geraten und fordert nun Entschädigung. Doch der Earl weiß, wie er ihre Schimpftirade beenden kann: Unversehens zieht er die Schöne an sich und verschließt ihre vollen Lippen mit einem Kuss. Er ahnt dabei nicht, wen er vor sich hat …

VERFÜHRER ODER GENTLEMAN? von DICKSON, HELEN
"Nimm dich in Acht vor ihm!" Der Duke of Hawksfield, Juliets neuer Arbeitgeber, hat einen üblen Ruf. Es heißt, er sei ruchlos und gefühlskalt. Von wegen! Der attraktive Duke ist so charmant, dass Juliet schnell ihr Herz an ihn verliert. Während sie sich bereits kurz vor dem Traualtar wähnt, macht er ihr jedoch ein verletzendes Angebot: Er möchte sie an seiner Seite - aber nur als Geliebte in seinem Schlafgemach.


  • Erscheinungstag 05.01.2018
  • Bandnummer 0065
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779870
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kasey Michaels, Helen Dickson

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 65

PROLOG

Klack!

Eine Vogelschar, die eben noch fröhlich zwitschernd in den Zweigen gesessen hatte, flatterte bei dem lauten, misstönenden Geräusch plötzlich laut schimpfend und mit den Flügeln schlagend in die Luft.

Die junge Frau unter dem Baum hingegen rührte sich nicht und unternahm keinen Versuch, der Tierfalle, die ihren Rocksaum wie in einem Schraubstock gefangen hielt, zu entkommen. Doch ihr Herz klopfte vor Furcht, als wollte es zerspringen. Ihre Muskeln taten vor lauter Anspannung weh und schienen ihr zuzurufen: „Lauf!“

Aber auch wenn Körper und Geist willig waren, so konnte sie doch nicht fort, solange ihr gelbes Musselinkleid in dem schweren, äußerst sperrigen Fangeisen festsaß.

Als sie ihre Fähigkeit zu sprechen, die ihr vorübergehend abhanden gekommen war, wiedererlangte, gab sie dem überwältigenden Zorn nach, der in ihr hochstieg. „Eine Falle im Heimatwald!“, empörte sie sich. „Niemals … niemals zuvor hat es das hier gegeben. Was für ein Ungeheuer würde ein kleines Kaninchen mit so einem riesigen Ding umbringen? Das ist genau so, als wollte man Fledermäuse mit Kanonen jagen, ja, ganz genau so!“

Sie beugte sich hinab und versuchte vergeblich, ihre Röcke aus der gemeinen Vorrichtung zu befreien. Das Kleid wies bereits an verschiedenen Stellen gezackte Risse auf, die selbst der geschicktesten Näherin die Tränen in die Augen treiben würden, also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf die Knie fallen zu lassen und im Unterholz nach dem Pflock zu suchen, der die Falle im Boden festhielt.

Nachdem sie ihn gefunden hatte, musste sie ihn mit bloßen Händen ausgraben und mindestens ein Dutzend Mal kräftig an ihm ziehen, da er gut einen Fuß tief in der schwarzen Erde steckte. Eine schweißtreibende Arbeit, bei der sie ihr Kleid völlig ruinierte, ihre Wangen beschmutzte und in eine solche Wut geriet, dass sie auch der Gedanke an ihr reichlich derangiertes Aussehen nicht davon abhielt, sich, sobald sie sich befreit hatte, schnurstracks auf den Weg nach Bourne Manor zu machen, wobei sie das schwere Fangeisen samt Kette und Pflock wohl oder übel hinter sich herzog.

1. KAPITEL

Die großen Sprossenfenstertüren im Morgenzimmer boten eine hübsche Aussicht auf den rückwärtigen Teil des Parks von Bourne Manor. Lord Bourne stand, mit dem Weinglas in der Hand, davor und überlegte, welche Vorzüge es hätte, sich das Mittagsmahl auf der Terrasse servieren zu lassen.

Christopher Wilde, von seinen Freunden Chris genannt und nun der achte Earls of Bourne, befand sich erst seit fünf Tagen in seinem neuen Zuhause, doch er fühlte sich dort bereits vollkommen heimisch. Renfrew, der langjährige Majordomus des verstorbenen Earl, hatte sich bereits als unschätzbare Perle erwiesen, da er jedes Bedürfnis seines Herrn schon im Voraus erahnte und Seiner Lordschaft geschickt den Weg wies, bis er sich in dem großen Gebäude auskannte, und ihn außerdem in trügerisch beiläufiger Art, jedoch erstaunlich gründlich, unterwies, welche Verpflichtungen mit seinem neuen Titel einhergingen.

Nach Einschätzung Lord Bournes war die Dienerschaft beinahe ebenso zahlreich wie Wellingtons größte Division, dennoch schienen alle zu wissen, was sie zu tun hatten. Das Herrenhaus war ein Musterbeispiel an Organisation, und die Dienstboten waren stolz darauf, die Bedürfnisse und die Bequemlichkeit ihres Herrn wichtiger zu nehmen als Putzen und Aufräumen. Unangenehme Erinnerungen an Hausmädchen, die mit Besen bewaffnet in sein Zimmer eindrangen, während er noch zu Bett lag, und an wichtige Papiere, die von übereifrigen Bediensteten verlegt worden waren, um Ordnung zu schaffen, erhöhten noch seine gute Meinung vom Personal seines Onkels.

Leon, der bereits seit sechs Jahren Christophers Kammerdiener war, war ganz seiner Meinung und stellte in der ihm eigenen unverblümten Redeweise fest, dass Bourne Manor beinahe so vollkommen war wie ein Mensch, wenn er abkratzte und eins dieser Wesen mit Flügeln wurde – wenn man einmal vom wenig gepflegten Zustand des Heimatwaldes absah. Aber dieses Problem hatten sie bereits besprochen, und es waren auch umgehend Schritte eingeleitet worden, indem Seine Lordschaft dem getreuen Kammerdiener die Verantwortung für entsprechende Maßnahmen übertragen hatte.

Nun betrachtete der Earl die friedvolle Landschaft, die sich vor seinen Augen erstreckte. Der sanft hügelige Rasenteppich, die in scheinbar zufälligen Gruppen gepflanzten Blumen verschiedenster Arten, Ziersträucher und kleine Bäume waren in goldenes Sonnenlicht gebadet, das die Farben zum Leuchten brachte. Christopher kam zu der Überzeugung, dass er in einem Paradies gelandet war.

Nur schwer bezwang er den Drang, sich wieder einmal zu seinem Glück zu gratulieren, dass er den Verletzungen nicht erlegen war, die er in der Schlacht erlitten hatte, und somit noch lebte, um diesen wirklich wundervollen Tag zu genießen – ganz davon zu schweigen, dass er sein englisches Vaterland als einfacher Major verlassen hatte, um als gestandener Earl dorthin zurückzukehren.

Er war gerade im Begriff, nach Renfrew zu klingeln, als ihm in der Ferne eine Bewegung auffiel.

Er trat näher ans Fenster und beobachtete angestrengt den gelben Fleck, der sich soeben mit der Eleganz eines x-beinigen Dickhäuters den sanften Hügel hinaufbemühte.

Als der Fleck langsam näher kam, entpuppte er sich als gemusterter Stoff, offensichtlich das Morgenkleid einer Dame, das jedoch überhaupt keinen Stil besaß, soweit er es beurteilen konnte – und blonde Locken, die den Kopf einer Frau wie ein verunglückter Heiligenschein umgaben, bis weit über ihre Schultern hinabfielen und recht ungepflegt wirkten.

Aber was ist das? fragte der Earl sich, als ihm auffiel, dass die Röcke der Frau seltsam zur Seite gezogen wurden und er gelegentlich einen Blick auf ein dunkles, schweres Ding erhaschen konnte, das an den Säumen hing.

Er stellte sein Glas ab und öffnete die Glastür. Dann ging er auf die Terrasse hinaus und schirmte seine Augen mit einer Hand ab, während er die merkwürdige Erscheinung eingehend begutachtete. Plötzlich stieß er einen kurzen, treffenden Fluch aus, eilte immer zwei Stufen auf einmal nehmend die breite Steintreppe hinunter und rannte den Grashügel hinab. Erst als er die Frau erreicht hatte, blieb er stehen.

„Wie zur Hölle sind Sie nur in eine Tierfalle geraten, Sie dummes Ding?“, fragte er in einem verärgerten, verächtlichen Tonfall. „Dieses Fangeisen hätte Ihnen das Bein abreißen können. Guter Gott, haben Sie keinen Verstand? Können Sie denn nicht aufpassen, wo Sie hintreten, wenn Sie durch den Wald spazieren?“

Sobald die Adressatin seiner Tirade sich von ihrem Schock erholt hatte, entgegnete sie: „Ich bin an dieses verabscheuenswürdige Folter- und Mordinstrument gefesselt, weil irgendein schwachsinniges Scheusal, dem es gefällt, arme, wehrlose Kaninchen und niedliche kleine Eichhörnchen und ähnlich wilde, gefährliche Tiere umzubringen, Fallen im Heimatwald aufgestellt hat. Und was mein Bein betrifft, das Sie unschicklicherweise erwähnt haben, es ist sich bewusst, wie knapp es der Katastrophe entronnen ist, daher werde ich mich jetzt nach Bourne Manor begeben, damit ich Lord Bourne mit den Folgen seines unüberlegten Handelns konfrontieren kann.“

Ich bin Lord Bourne, Madam“, warf der Earl an dieser Stelle mit einer Verbeugung ein, die der reinste Hohn war, da er weder seine streitlustige Haltung noch seinen drohenden Gesichtsausdruck änderte. „Die Fangeisen sind aufgestellt worden, um die Population von Schädlingen im Heimatwald zu verringern, die auf Grund fehlender vernünftiger Eindämmungsmaßnahmen im Wald überhand nimmt. Dass die Gebietsgrenzen nicht ausgewiesen wurden, lässt sich vielleicht so erklären, dass die Bewohner von Bourne Manor pflichtgemäß auf die Fallen aufmerksam gemacht wurden, während unbefugte Eindringlinge darauf gefasst sein müssen, die Demütigung eines uneingeladenen Gastes zu erleiden.“

„Also, Sie …“, begann die junge Frau hitzig, doch dann änderte sie ihre Taktik. „Ich bin daran gewöhnt, die dauerhafte Einladung des vorherigen Lord Bourne, mich im Heimatwald ganz wie zu Hause zu fühlen, nach meinem Belieben zu nutzen, und daher war mir nicht bewusst, dass mein ehemals friedvoller Zufluchtsort sich über Nacht in ein Terrain verwandelt hat, in dem es vor zuschnappenden Eisendrachen nur so wimmelt. Fehlt nur noch, dass sie Feuer spucken!“

„Ich nehme Ihre Entschuldigung zur Kenntnis und akzeptiere sie“, erwiderte der Earl herzlich. Sein anfänglicher Ärger hatte sich beim Anblick dieser blonden, grünäugigen Zankteufelin gelegt, die es wagte, mit ihm wie eine Gleichgestellte zu streiten, während ihre Wangen erdverkrustet waren und ihr Kleid im Maul eines Eisendrachens festsaß.

Der jungen Frau stand vor Erstaunen der Mund offen. „Entschuldigung? Welche Entschuldigung? Ich habe mich nicht entschuldigt! Ich bestehe darauf, dass Sie Ihre Fangeisen unverzüglich entfernen! Sie sind unmenschlich!“

„Sie sind ja auch nicht für Menschen bestimmt“, machte der Earl geltend. „Aber mir scheint, Leon war ein wenig übereifrig. Ich werde daher meinen Befehl dahingehend ändern, die Fallen durch menschlichere Vorrichtungen ersetzen zu lassen, die ein Tier fangen, statt es zu zermalmen. Das Resultat ist natürlich dasselbe“, meinte er mit einem zufriedenen Grinsen. „Kaninchen in der Speisekammer und die Population von Schädlingen auf beherrschbare Zahlen verkleinert. Schließlich will ich sie ja nicht völlig ausrotten.“

„Und meine Anwesenheit im Heimatwald?“ Betteln war ihr zuwider, aber dennoch musste sie einfach danach fragen. „Muss ich meine Spaziergänge jetzt einstellen?“

Der Earl sah in ihr Gesicht hinab, das trotz der Schmutzspuren höchst anziehend war. Ihre grünen Augen weiteten sich ungekünstelt, und das feste, kleine Kinn, das sie stolz erhoben hielt, zitterte unwillkürlich, während sie auf seine Antwort wartete.

„Es liegt mir fern, Kinder von ihren Vergnügungen abzuhalten. Aber verzichten Sie in den nächsten Tagen bitte noch auf Ihre Besuche, bis Leon seine kleinen Spielzeuge eingesammelt hat.“

Da es nichts weiter zu sagen gab, wollte die junge Frau sich nun wieder auf den Weg machen, aber da ihr Kleid immer noch in dem Fangeisen festsaß, wurde schon eine einfache Bewegung wie sich umzudrehen zu einer Geschicklichkeitsprüfung. Der geblümte Musselin, der bereits erheblich gelitten hatte, zeigte sich der zusätzlichen Misshandlung nicht gewachsen, und ein weiterer Riss entstand, sodass ein weißer Petticoat darunter sichtbar wurde.

Vor Ärger und – zwar verspäteter, doch äußerst heftiger – Verlegenheit stiegen ihr die Tränen in die Augen, während nun Lord Bourne in die Hocke ging und an dem Stoff zerrte, um ihn schließlich aus dem Fangeisen zu befreien.

„Ich fürchte, ich musste Ihr Kleid noch weiter zerreißen“, sagte er entschuldigend, hob den Kopf und lächelte sie tröstend an. „Obwohl es ohnehin kein großer Verlust mehr ist.“

Es war schon erstaunlich, wie schnell die Tränen weiblicher Wesen trocknen konnten. Stattdessen erschien in den Augen der jungen Frau ein Funkeln, das an züngelnde Flammen erinnerte. „Sie sind mir für dieses Kleid etwas schuldig“, verkündete sie entschieden. „Es war mein absolutes Lieblingskleid!“, schwor sie leidenschaftlich, und der Wunsch nach Vergeltung verlieh ihrer Lüge einen Anstrich von Wahrheit.

Ein heftiges Verlangen nach seinem Mittagessen, gepaart mit dem Bedürfnis, den unfreundlichen Eindringling loszuwerden, veranlasste Lord Bourne, sich aufzurichten, sein Portefeuille aus der Rocktasche zu nehmen und die erstaunlich genau geschätzte Summe der Kosten des Kleides in ihre ausgestreckte Hand zu zählen.

Da lächelte die junge Frau, eine einfache Bewegung ihrer Muskeln, die die missmutig herabhängenden Mundwinkel hob und ihre beschmutzten Gesichtszüge auf einmal derart entzückend wirken ließ, dass der Earl blinzeln musste, bevor er sich sicher war, dass ihm die Sonne keinen Streich gespielt hatte.

„Wie heißt du, Kleine?“, hörte er sich mit sanfter Stimme fragen, während er seine Augen nicht von ihrem Gesicht wenden konnte.

Das Lächeln verschwand kurz, dann war es plötzlich wieder da. „Jennie, Mylord“, erwiderte sie frech, neigte den Kopf und zwinkerte ihm unverschämt zu. „Ich lebe mit meinem Vater am anderen Ende des Heimatwaldes.“

„Kein Zuname, Jennie?“, fragte Seine Lordschaft weiter. Angesichts dieser unerwartet reizenden Wendung der Situation hatte er seinen Hunger ganz vergessen. Er kam zu dem Schluss, dass das Mädchen sicher viel besser aussehen würde, wenn es sauber wäre; und eine Liaison mit einer hübschen Maid, die so günstig in der Nähe wohnte, könnte sein ohnehin schon angenehmes Leben nur noch verbessern.

Sie sei das einzige Kind ihres verwitweten Vaters, der Lehrer sei, erzählte Jennie im Plauderton, daher hätte sie von ihrem Papa ausführlichen Unterricht erhalten – eine kleine Notlüge, die ihre gebildete Sprechweise erklären sollte. Sie sei sehr belesen, obwohl sie sich nie weiter als fünfzehn Meilen von ihrem Geburtsort entfernt habe; und obwohl sie ein Einsiedlerleben führe, sei sie mit ihrem Schicksal sehr zufrieden.

Während sie in schnellen Worten weiterplapperte, fuhr sie sich mit den Fingern durch ihre zerzausten blonden Locken und strich ihr zerrissenes Kleid glatt, wobei sie sich überhaupt nicht bewusst war, wie provozierend ihre Hände ihre Figur nachzeichneten.

Der Earl hatte seit fast einem Monat mit keiner Frau mehr das Bett geteilt, eine lange Zeit der Abstinenz für jemanden mit seinem gesunden Appetit, und diese Tatsache erhöhte die Attraktion des Mädchens für ihn noch um ein Vielfaches. Jennies Geplauder, das wie ein leises Summen in seinen Ohren klang, wurde zum süßen Gesang einer Sirene, und Lord Bournes anständige Seite leistete keinen Widerstand, als die unmoralische Seite in ihm die schlanke Gestalt in seine starken Arme zog.

„Lass mich deinen Liebreiz kosten, Süße“, flüsterte er und presste seinen Mund mit geschlossenen Augen auf die Lippen der schockierten Jennie.

Christopher Wilde war jemand, der stets großen Wert darauf legte, in allem, was er tat, sehr gut zu sein, und er war mit Recht stolz auf seine gründlich erlernten und sorgfältig angewandten Kenntnisse in der Liebeskunst.

Vielleicht war es eine Schande, dass Jennie Christophers Fertigkeiten nicht mit jener geringerer Sterblicher vergleichen konnte, aber ihr erster Kuss setzte einen Maßstab, von dem nur wenige Tollkühne glauben konnten, ihn zu übertreffen.

Da sie vor Verblüffung vorübergehend nicht in der Lage war, sich zu bewegen, gelang es dem Earl, sie so fest in die Arme zu nehmen, dass ihre verzweifelten Versuche, sich zu befreien, erfolglos blieben, sobald aus ihrer Überraschung Entrüstung und dann eine sehr reale Angst wurde, als sein forschender Mund eine Reihe von heftigen, kleinen Explosionen in ihrem Körper auslöste.

Lord Bourne war sich all dessen nicht bewusst. Er stand mit leicht gespreizten Beinen da und hatte ein Knie unverschämt zwischen ihre schlanken Schenkel geschoben. Er wühlte mit den Händen durch ihre zerzausten Locken und streichelte ihren Rücken, während er seine Lippen und seine Zunge so vorteilhaft wie möglich einsetzte.

Jennie hielt die ganze Zeit unwillkürlich die Luft an, ihr war ein wenig schwindelig, und ihr Blick war verschleiert, bis dem Earl bewusst wurde, dass sie aus den zahlreichen Fenstern des Herrenhauses ohne weiteres gesehen werden konnten. Zögernd beendete er das kleine Zwischenspiel, das sich als äußerst angenehm, wenn auch etwas beunruhigend erwiesen hatte.

Zum ersten Mal betrachtete Jennie den neuen Lord Bourne richtig, und ihr fiel auf, dass er ein äußerst gut aussehender Gentleman war, nicht älter als achtundzwanzig Jahre wahrscheinlich. Seine Kleidung war von dezenter Eleganz und betonte seine hoch gewachsene, muskulöse Figur vorteilhaft.

Und wie sie auch nur für einen Moment diese leuchtend blauen Augen oder das kräftige, dichte mitternachtsschwarze Haar hatte übersehen können, war ihr ein Rätsel. Dazu sein schmales, makelloses Gesicht, das beinahe zu perfekt gemeißelte kantige Kinn und der breite volllippige Mund. Beim Anblick dieses beeindruckenden Prachtexemplars von einem Mann konnte selbst das stärkste Herz stehen bleiben.

Wie hatte sie nur ihrem Zorn gestatten können, sie für die Gefahr blind zu machen, die von jeder Pore dieses Herrn ausging? Und was noch schlimmer war, welche kurzsichtige Arroganz hatte sie glauben lassen, sie könnte es wagen, mit einem Mann von Welt wie ihm zu flirten?

Jennie erkannte, dass es ihre eigene Schuld war, weil sie den Earl glauben lassen hatte, sie wäre dreist, und das hielt sie davon ab, ihm eine Ohrfeige zu geben oder in mädchenhafte Tränen auszubrechen – wie es jede anständig erzogene junge Dame getan hätte. Zumindest jede, die nicht Zuflucht in einer Ohnmacht gesucht hätte.

Keiner von beiden sagte ein Wort. Sie standen sich einfach nur gegenüber und starrten sich an, jeder von ihnen mit seinen eigenen verwirrenden Gedanken beschäftigt.

Christopher war gerade im Begriff, den Vorschlag zu machen, sie sollten ihre Bekanntschaft an diesem Abend in abgeschiedener Atmosphäre vertiefen, wobei er ein gemütliches Dinner bei Kerzenlicht gefolgt von einer beiderseits zufrieden stellenden Entdeckungsreise auf dem großen Prachtschiff von Bett in seinem Schlafgemach im Sinn hatte, als Jennie ihn überraschte, indem sie herumwirbelte, ihre zerrissenen Röcke raffte und Hals über Kopf Richtung Heimatwald davonrannte.

„Warte“, rief der Earl ihr nach, während er der entschwindenden Gestalt erstaunt hinterher sah, die rasch von den Schatten des dichten Waldes verborgen wurde. „Jennie, du törichtes Kind. Warte!“

Es hatte wenig Sinn, ihr nachzulaufen, da das Mädchen wahrscheinlich jeden Baum und jedes Versteck kannte und ihm beinahe mühelos entwischen konnte. Auch könnte sie, falls er sie verfolgte, unvorsichtig werden, um schneller voranzukommen, und so in eine weitere von Leons gefährlichen Fallen geraten.

Also gut, dachte er achselzuckend, es ist ja nicht so, dass sie für immer aus meinem Leben verschwindet. Er musste nur den einfallsreichen Renfrew fragen, wo eine blonde Miss namens Jennie wohnte, und schon wäre die Sache geritzt. Sobald er sie ausfindig gemacht hätte, würde es ihn nicht mehr als ein paar tröstende Worte kosten – und vielleicht ein oder zwei Stücke wertlosen Tand –, um die schöne Maid in sein Bett zu locken.

Christopher war sich seiner Einschätzung von Jennies Charakter und der Anziehungskraft seines Titels und Vermögens sicher. Beides musste jemanden verführen, der in so bescheidenen Verhältnissen lebte, daher kehrte er zum Herrenhaus zurück, verzehrte ein stärkendes Mittagsmahl und verschwand anschließend in der Bibliothek, wo er Sir Cedric Maitland eine Nachricht schrieb, mit der er dessen Einladung zum Dinner am folgenden Abend akzeptierte.

2. KAPITEL

Miss Jane, wenn Se jetzt nich aufhörn rumzuquieken wie ’n eingepferchtes Schwein, dann krieg’ ich diese Zottel nie raus, und Miss Bundy, die alte Giftschlange, wird meinen Kopp auf ’nem Tablett servier’n, wenn Se heut Abend zu spät zu Tisch komm’. Kann schon den Gedanken daran, wie Miss Bundy mir zusetzt, kaum ertragen.“

Goldie bekräftigte ihre Klage mit einem energischen Ruck der Bürste, mit der sie eine der zerzausten Locken bearbeitete, was Miss Jane Maitland vor Schmerz die Tränen in die Augen trieb. Daher sank sie gehorsam auf ihren Stuhl und gestattete der Zofe, ihr Haar zu einem lockeren Knoten auf ihrem Kopf festzudrehen. „Verzeih mir, Goldie, meine Liebe“, sagte sie. „Es liegt mir fern, meiner lieben Gesellschafterin einen Grund zu geben, dich zu schelten.“

„Wie gut“, seufzte Goldie, die der Frisur ihrer Herrin gerade den letzten Schliff gab. „Die Frau hat ’ne so scharfe Zunge, damit könnte man glatt ’ne Hecke stutzen.“

„Ganz zu schweigen von ihren Ohren, die dein törichtes Gerede leider schon aus weiter Ferne wahrnehmen können“, erklärte Miss Ernestine Bundy, die unbemerkt hereingekommen war.

„Auf und davon!“, kicherte Jane, als Goldie hastig ihre Röcke hob und trotz ihres stattlichen Umfangs zu der kleinen Tür an der Rückseite des geräumigen Schlafgemachs eilte, wild entschlossen, der Strafpredigt zu entrinnen, die Miss Bundy ihr sonst sicher halten würde.

Miss Bundy kam in ihrer ganzen Würde ins Zimmer gesegelt. „Diese dumme Frau“, bemerkte sie. „Wie man mit einer solch jämmerlichen Ausgabe von einer Zofe zurechtkommen kann, geht über meinen beschränkten Verstand, wie ich bestimmt schon tausend Mal gesagt habe. Wirklich, Jane, manchmal sehe ich mich gezwungen, Sie darauf hinzuweisen, dass Ihre großartigen Gesten der Wohltätigkeit die beklagenswerte Neigung haben, höchst enttäuschende Folgen zu zeitigen.“

„Aber, Bundy“, schalt Jane sie, erhob sich von ihrem Stuhl vor dem Spiegel und strich die Röcke ihres blassblauen Kleides glatt. „Was Goldie an Geschick fehlt, macht sie mit ihrem guten Herzen mehr als wett.“ Sie drehte sich so, dass sie sich über die Schulter hinweg von hinten betrachten konnte, und fuhr beiläufig fort: „Außerdem war die Ärmste ein so trauriger Fehlschlag in der Molkerei.“

„Und in der Küche auch, und als Hausmädchen und als Näherin und …“

„Genug, Bundy, lass uns gehen, sonst werden Papas Dinnergäste noch mich willkommen heißen, statt umgekehrt.“

Ernestine Bundy, einst Gouvernante und nun Gesellschafterin von Miss Maitland, hatte miterlebt, wie ihre reizende, hübsche Schutzbefohlene zu einer schwierigen, mageren Jugendlichen herangewachsen war, die dann in dem Jahr nach ihrem achtzehnten Geburtstag zu der jungen Frau erblüht war, die nun die breiten Stufen vor ihr hinunterschritt: ein erstaunlich schönes Geschöpf, sehr intelligent und geistreich, das gerne und oft lächelte und eine bezaubernde Art an sich hatte, die sogar eine Maus aus ihrem Loch locken konnte.

Und wenn sie auch ein wenig eigenwillig war, so war das von dem einzigen, abgöttisch geliebten Kind nicht anders zu erwarten, und sicher würde Jane wegen ihrer Großherzigkeit und ihrer Neigung, nur das Gute in Menschen zu sehen, nicht zu Schaden kommen, solange ihr höchst fürsorglicher Vater und Miss Bundy zugegen waren, um sie vor einigen der abscheulicheren Realitäten des Lebens zu schützen.

Miss Bundy war stolz auf ihren nicht geringen Einfluss auf die Entwicklung dieses exquisiten Geschöpfes, das sie nun am Fuße der Treppe erwartete. Sie konnte ja nicht ahnen, dass eine dieser Realitäten bereits im Schatten lauerte – genauer gesagt, im Salon der Maitlands selbst –, bereit, zuzuschlagen.

Lord Bourne befand sich erst seit wenigen Minuten bei den Maitlands – gerade so lange, dass er seinem Gastgeber und dem anderen Dinnergast vorgestellt worden war. Man hatte wissen wollen, welche Erfrischung er gerne hätte, und man hatte ihn nach seinem Vorleben und seiner persönlichen Lebensgeschichte ausgefragt – all das auf eine äußerst höfliche Art und Weise, jedoch derart gründlich, dass es einen spanischen Inquisitor neidisch gemacht hätte.

Miss Abigail Latchwood, eine Jungfer unbestimmbaren Alters, und, wie Lord Bourne annahm, ein häufiger Gast der Maitlands, war die lauteste Person, der er je begegnet war, dabei hatte er eine ganze Reihe Menschen kennen gelernt. Offensichtlich wollte Sir Cedric durch ihre Anwesenheit an diesem Abend sichergehen, dass die Neuigkeit, dass er der Erste in seinen Kreisen war, der den neuen Earl in seinem Haus begrüßen konnte, auch die entlegensten Winkel der Umgegend so rasch wie möglich erreichen würde.

Christopher langweilte sich unglaublich und suchte schon nach einer plausiblen Entschuldigung, wie er sich von Sir Cedric und seinem wissbegierigen Gast unmittelbar nach dem Weinbrand und den Zigarren verabschieden konnte. Er war noch so sehr Soldat, dass es ihm schwer fiel, die langweiligen Pflichten, die mit seinem neuen Titel verbunden waren, mit einigem Anstand zu ertragen.

Wenn wenigstens der schätzenswerte Renfrew hilfreicher gewesen wäre, was diese Sache mit Jennie, der Lehrertochter, anging – doch der sonst so nützliche Mann hatte beteuert, seinem Wissen nach seien weder der Vater noch dessen Nachkömmling in der Nachbarschaft ansässig. Es gebe zwei Jessies im Dorf, und der Hufschmied habe eine Nichte namens Jackie – obwohl dieses Fräulein pechschwarzes Haar habe –, aber von einer blonden Maid namens Jennie sei ihm nichts bekannt.

Was soll’s, dachte der Earl und lächelte höflich, während Sir Cedric seinen letzten Triumph bei der Jagd in allen Einzelheiten schilderte. Vor Ende der kommenden Woche würde er ohnehin nach London aufbrechen und Jennies ländliche Schönheit bald vergessen haben.

Lord Bourne gestattete sich ein leichtes Lächeln, das seine Züge weicher wirken ließ. Sein Glas schwenkend, machte er sich seine eigenen Gedanken. Langweilige Dinnerabende und ein nicht vorhandenes Gesellschaftsleben waren ein geringer Preis für die Möglichkeit, Bourne Manor sein Eigen nennen zu dürfen. Mit Sicherheit war es besser, als sich in Ciudad Rodrigo im Schlamm zu wälzen – und der Rang eines Earls brachte Vorteile mit sich, von denen ein einfacher Major nur träumen konnte.

Während die ältliche Miss Latchwood sich entzückt in Pose setzte, der stolze Sir Cedric berichtete, auf welch brillante Weise er einen unglückseligen Fuchs ausmanövriert hatte, und Lord Bourne selbstgefällig überlegte, wie er sich in den Lasterhöhlen von London die Zeit vertreiben würde, stand Miss Jane Maitland vor der Tür zum Salon und ließ es über sich ergehen, dass Miss Bundy ein allerletztes Mal ihre perfekt sitzenden Röcke zurechtzupfte.

„Papa wird fragen, weshalb ich so spät komme, Bundy“, warnte Jane ihre Gesellschafterin. „Er wird eine Erklärung von mir verlangen, und ich werde gezwungen sein, ihm zu gestehen, dass du mein Erscheinen um fünfzehn Minuten verzögert hast, weil du nicht vorhandene Mängel an meiner Toilette suchtest.“ Jane zuckte seufzend die Schultern. „Und dann wird Papa toben und schimpfen, und dann wirst du postwendend raus in den Schnee geworfen …“

„Es hat in Bourne schon seit drei Jahren nicht mehr geschneit“, konnte Miss Bundy nicht umhin einzuwerfen. Sie wies Jane an, sich langsam um die eigene Achse zu drehen, und betrachtete sie prüfend. „Sie werden mit dem neuen Earl of Bourne dinieren, Missy“, fuhr sie fort, ohne zu bemerken, dass Jane plötzlich scharf Luft holte, „und ich habe die strikte Anweisung, dass Sie für den Gentleman so gut wie möglich aussehen müssen. Wenn Sie mich fragen, hat Ihr Papa sein Ziel sehr hoch gesteckt, aber ich muss zugeben, dass Lord Bourne weit und breit keine so schöne Countess wie Sie finden wird, meine Liebe!“ Miss Bundy strich noch einmal unnötigerweise über Janes Frisur, dann trat sie zurück, betrachtete ihr Werk und rief aus: „Na bitte! Was will ein Mann mehr erwarten!“

Jane rümpfte angewidert die Nase. „Bist du sicher, Bundy? Was meinst du, liebste Ernestine, reicht meine Mitgift für den Ehevertrag aus, oder wird Papa noch Mamas Diamanten in die Waagschale werfen, um ihm die Sache schmackhafter zu machen?“

Miss Bundy bekam angesichts der Unverfrorenheit ihrer Schutzbefohlenen nicht sofort einen Anfall. Tatsächlich blinzelte die duldsame Angestellte nicht einmal. Sie kniff lediglich in Janes Wangen, um ihnen mehr Farbe zu verleihen, trat zurück und gab dem kichernden Lakaien ein Zeichen, der Gesellschaft seine Herrin anzukündigen. Dann zog die Gesellschafterin sich nach oben zurück zu der kleinen braunen Flasche, die sie hinter ihrem Strickzeug verborgen hielt. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass sich das Leben bei den Maitlands am besten ertragen ließ, wenn man die Taktik des klugen Rückzugs beherrschte. Jane würde sich später bei ihr entschuldigen, wie sie es immer tat, wenn die Zunge mit ihr durchgegangen war, dabei hatte das arme Mädchen Grund genug, empört zu sein – schließlich wurde sie dem neuen Earl wie ein prachtvolles Stück Vieh vorgeführt –, und Miss Bundy würde sich von Janes netten Bitten um Verzeihung besänftigen lassen.

Jane wartete ab, bis Miss Bundy im oberen Stockwerk verschwunden war, dann holte sie tief Luft, hob ihr sanft gerundetes Kinn und sandte rasch ein Stoßgebet zum Himmel, dass Lord Bourne kein furchtbarer Narr sein möge, und ließ sich ankündigen.

Als sie den Raum betrat, sah sie im Kerzenlicht als Erste Miss Latchwood. Aha, dachte sie, Papa überlässt nichts dem Zufall. Wenn mich der arme Earl auch nur anlächelt, wird die alte Schachtel die ganze Nachbarschaft glauben lassen, wir hätten schon das Aufgebot bestellt.

Sie nickte der älteren Frau, die ihr verschwörerisch zublinzelte, freundlich zu und wandte sich dann an ihren Vater. „Guten Abend, Papa“, äußerte sie mit süßer Stimme und knickste. „Bitte verzeih mir meine Verspätung, die Zeit schien mir wegzulaufen.“

Sir Cedric sah die Wiedergeburt seiner geliebten verstorbenen Frau vor sich stehen und ließ sich davon so bezaubern, dass er Jane verzieh, ihn von seinem Dinner abgehalten zu haben. Er ergriff ihre zierliche Hand mit seiner riesigen Pranke und wandte sich an seinen Ehrengast, um ihm sein Ein und Alles vorzustellen.

„Lord Bourne“, hob der stolze Vater an, „gestatten Sie mir, Ihnen meine Tochter …“

„Du!“, rief der Earl laut. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf, und auf einmal schien die Luft zwischen ihm und der jungen Frau, die vor ihm stand, zu knistern.

„So viel zu Gebeten“, murmelte Jane trocken und betrachtete den modisch gekleideten Gentleman, der sie gerade mit offenem Mund anstarrte.

Abigail Latchwood beugte sich vor. Eine Eingebung sagte ihr, dass sie einen Logenplatz bei einem Schauspiel ergattert hatte, das sich als höchst pikant zu erweisen versprach.

„Ich wäre höchst erfreut, mir anzuhören, was Sie zur Lösung unseres Problems vorzuschlagen haben, Mylord, aber ich wünsche keine weitere trostlose Wiederholung des Problems an sich. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Sie wünschen keine trostlose Wiederholung? Verdammt noch mal, hier geht es um meine Gefühle, die ich jetzt gezwungen sein werde, vollkommen außer Acht zu lassen. Aber ich sehe mich nicht genötigt, auch noch um der Höflichkeit willen mit Ihren armseligen Empfindungen meine Zeit zu vertrödeln.“

Jane dachte einen Augenblick über Lord Bournes Worte nach und kam zu dem Schluss, dass sie ihn womöglich falsch eingeschätzt hatte. Vielleicht war er nicht ihr Feind. Dann war sie gerade dabei, ihren einzigen Verbündeten zu schelten – da ihr Vater, Bundy und sogar Goldie zu ihren strengen Widersachern in dieser Sache gehörten.

„Sie sind gegen Papas Heiratspläne?“, fragte Jane den Earl, der nun im Kräutergarten, in den man sich zu dieser Unterredung begeben hatte, vor ihr stand. Sein ebenholzschwarzes Haar schimmerte im hellen Sonnenlicht.

Er nickte zustimmend. „Aber weshalb“, fragte sie plötzlich wieder hitzig, „haben Sie Papa dann gestern Abend nicht berichtigt, als er davon gesprochen hat? Sie scheinen mir normalerweise kein Mann zu sein, der um Worte verlegen ist.“

Lord Bourne schüttelte ungläubig den Kopf. „Bitte, Sie sind doch wohl kein solcher Dummkopf. Nach Ihrem hysterischen Ausbruch, als wir einander vorgestellt wurden, gab es verdammt wenig, das ich hätte tun können, um die Situation zu retten.“

„Mein Ausbruch?“ Jane rümpfte undamenhaft die Nase. „Mir ist nur eine kleine Bemerkung entschlüpft, die Ihr unhöflicher Ausruf verursacht hat, Mylord“, verbesserte sie ihn.

Lord Bourne räumte gnädigerweise ein, dass ihm ein kleiner Fauxpas widerfahren war, zweifellos infolge der Überraschung, seine wilde Jennie in Gestalt der hochanständigen Miss Maitland wieder zu sehen. „Aber ich war es nicht, der anschließend jede noch so kleine Einzelheit unserer Begegnung in Bourne Manor gestanden hat – bis hin zu dieser wirklich unerträglich albernen Schilderung dessen, was eigentlich nicht mehr als ein gestohlener Kuss gewesen ist. Miss Latchwood wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.“

„Nein, das wäre sie nicht, denn dann hätte sie womöglich eine höchst interessante Klatschgeschichte verpasst. Gott!“ Jane erschauerte bei der Erinnerung. „Ich war sehr in Versuchung, ihr mein Taschentuch anzubieten, als sie so geiferte.“

„Also haben Sie sie lieber auf den Gedanken gebracht, die arme unschuldige Miss Jane Maitland wäre von dem üblen Lord Bourne kompromittiert worden“, spottete der Earl. „Gott!“, ahmte er Jane nach. „Sie hätten ebenso gut glockenläutend durch die Gegend laufen können und rufen: ‚Christopher Wilde hat mich geküsst! Christopher Wilde hat mich …‘“

„Nicht!“, flehte Jane und legte die Hände über ihre Ohren. „Papa hat es versäumt, mir die Namen unserer Gäste zu nennen, verstehen Sie. Erst im letzten Augenblick, bevor ich angekündigt wurde, erfuhr ich, dass Sie anwesend sein werden. Unter diesen Umständen habe ich mein Bestes getan, glaube ich …“

Der Earl zupfte einen verirrten Faden von seinem Ärmel und unterbrach sie gelangweilt: „Ihr Bestes? Wie traurig. Bitte, Miss Maitland, nehmen Sie davon Abstand, mich auf Ihre Schwächen aufmerksam zu machen. Ich bin ohnehin schon deprimiert genug, ohne dass …“

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Lord Bourne“, warf Jane hitzig ein, „wenn Sie von Ihrer beklagenswerten Neigung absehen würden, mich zu unterbrechen, wenn ich etwas sage!“

Mit immer noch gesenktem Kopf zog Christopher die Brauen hoch und blickte seine Widersacherin an. „Da ist sie ja wieder, meine kleine Tigerkatze. Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauert, bis sie ihre Krallen ausfährt.“ Es steht ihr wirklich gut, wenn sie wütend ist, dachte er bei sich und betrachtete wohlgefällig Jennies gerötete Wangen und die Art, wie die sanfte Brise ihre blonden Löckchen um ihr Gesicht tanzen ließ.

Jane sah ihn abweisend an. Sie hatte am Morgen um dieses Treffen mit ihm gebeten in der Hoffnung, dass sie gemeinsam einen Ausweg aus dem Schlamassel finden würden, in den sie am vorherigen Abend geraten waren. Aber nun war es offensichtlich, dass sie sich die Mühe ebenso gut hätte sparen können, ihrer Gouvernante zu entwischen und sich auf ein weiteres „Stelldichein“ einzulassen, wie diese überaus respektable Dame es nennen würde.

„Wenn Sie damit fertig sind, Ihr verletztes Ich auf meine Kosten zu salben, dann schlage ich vor, wir stecken die Köpfe zusammen und finden einen Ausweg aus diesen merkwürdigen Verwicklungen, oder wir beenden dieses Gespräch, und Sie kehren nach Bourne Manor zurück, um sich hinter verschlossenen Türen vor Papas Zorn zu verbarrikadieren.“

Wenn Christopher nicht mehr zu fürchten gehabt hätte als Sir Cedrics Zorn, dann wäre er sehr wohl in der Lage gewesen, rasch damit fertig zu werden. Aber nein. Nachdem Jennie – er weigerte sich, sie Jane zu nennen – von der hochanständigen, entrüsteten Miss Bundy zu ihrem Zimmer geleitet und Miss Latchwood mit einer halben Karaffe ihres bevorzugten Kirschweinbrands im Morgenzimmer untergebracht worden war, hatte Sir Cedric Lord Bourne gestanden, er leide an einem „schwachen Herzen“, und jeder Skandal, der sein geliebtes Kind betreffe, würde ihn ebenso sicher ins Grab bringen wie eine Kugel im Kopf.

Lord Bourne wunderte sich laut, wie es möglich sein sollte, dass ein so wohl aussehender Mensch, der mit solcher Tatkraft zur Jagd ritt, bei schlechter Gesundheit sein könne. Das erwies sich als taktischer Fehler, denn Sir Cedric wankte prompt zum nächsten Sessel, griff sich an die Brust und rief schwach nach seinem Kammerdiener. Immer noch skeptisch, sah der Earl zu, wie Sir Cedrics besorgter Diener dem zappelnden Gentleman einen Trank verabreichte und ihn dann mit Hilfe zweier kräftiger Lakaien in seinem Sessel zu seinem Bett tragen ließ. Dieser Schachzug machte jede Hoffnung auf ein vernünftiges Gespräch wirksam zunichte.

Der Earl war daraufhin ohne das versprochene Dinner nach Hause geritten, hatte den erstaunten Renfrew angebrüllt, man möge ihm zu essen und zu trinken servieren, nur um dann, als man ihm eine Platte mit saftigem Kaninchen mit Frühlingszwiebeln brachte, höchst grob zu reagieren, indem er den Braten mitsamt der Anrichteschüssel gegen die nächste Wand schleuderte.

Stunden später, unmittelbar bevor der viele Portwein, den er inzwischen getrunken hatte, Seine Lordschaft in einen tiefen Schlaf fallen ließ, hörte Renfrew ihn betrübt verkünden: „Kaninchen sind die Wurzel allen Übels auf dieser Welt. Wenn ich König wäre, würde es auf der ganzen verdammten Insel nicht ein einziges dieser stummelschwänzigen Biester mehr geben.“

Als er am nächsten Morgen erwachte, konnte der Earl sich an diese tiefsinnige Bemerkung nicht mehr erinnern, ein strafender Kater war das einzige Souvenir eines Abends, den er gerne vergessen wollte. Doch Jennies Nachricht führte ihm sein Dilemma wieder deutlich vor Augen, und er hatte sich inzwischen so weit erholt, dass er dem Treffen zustimmen konnte, das nun im Kräutergarten der Maitlands stattfand. In seinem Kopf hämmerte es immer noch, als befände sich ein Hufschmied darin, und seine Ohren klangen von Jennies Anschuldigungen, dennoch kam Christopher zögernd zu der Erkenntnis, dass er die ihm verbleibenden Tage als sorgloser Junggeselle an einer Hand abzählen konnte. Es gab keinen Rückzug für einen Ehrenmann, keinen Fluchtweg, ohne sich für immer von seinem guten Namen zu verabschieden.

Die kindlich offenherzige Jennie und ihr entschlossener Papa hatten ihn geschickt in die Ehefalle gelockt. Alles, was ihm jetzt noch zu tun übrig blieb, war, seine „Zukünftige“ davon zu überzeugen, wie sinnlos es war, sich gegen das Unvermeidliche zu sträuben.

„Nun?“, fragte Jennie in seine Gedanken hinein. „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“

„Ich muss zwar zugeben, dass ich im Moment nicht ganz auf der Höhe bin“, erwiderte der Earl in bitterer Selbstironie, „aber ich werde Ihnen nicht den Gefallen tun, völlig zu verblöden, denn wenn ich auch gezwungen bin, Sie zu heiraten, meine liebe Jennie, so werde ich bestimmt nicht vergessen, dass ich ein Wilde bin, und als solcher stehe ich über jeglichen feigen Ausweichmanövern. Nicht dass der Gedanke nichts für sich hätte, wohlgemerkt.“

„Dann wollen Sie also einfach klein beigeben und eine Frau heiraten, die Sie offensichtlich verabscheuen – uns beide infolgedessen vollkommen unglücklich machen –, statt auch nur die leiseste Anstrengung zu unternehmen, die Angelegenheit auf andere Weise zu regeln?“ Jennie starrte ihn mit ihren großen Augen ungläubig an.

„Welche andere Weise schlagen Sie vor?“, fragte Christopher höflich, nahm Jennies Hand und legte sie auf seinen Arm. Dann spazierte er mit ihr gemächlich den Gartenweg entlang.

Jennie runzelte die Stirn und zermarterte sich das Hirn in der Hoffnung auf einen Geistesblitz. Traurigerweise wollte ihr nichts einfallen, und als sie das Tor am Ende des Pfades erreichten und sie seinen Arm losließ, musste sie zugeben, dass sie keine Ahnung hatte, was ihre Rettung sein könnte.

„Ich bin geneigt, Ihnen vorzuschlagen, ein Gebet zu sprechen“, sagte Lord Bourne scherzhaft, „aber ich glaube nicht, dass der Herrgott Ihr Flehen erhört, wenn es etwas damit zu tun hat, Earls auf die dunkle Seite des Mondes zu verfrachten.“ Er drehte sich so, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, bevor er feierlich die schicksalhaften Worte sprach. „Miss Maitland, ich habe Sie schon seit unserer ersten Begegnung bewundert, und ich kann nur hoffen, dass Sie meine Wertschätzung zumindest ein wenig erwidern. Bitte, Miss Maitland, erweisen Sie mir die Ehre, mich zum glücklichsten Mann der Welt zu machen, und willigen Sie ein, meine Braut zu werden.“

Sein Heiratsantrag ließ nichts zu wünschen übrig, obwohl so mancher Verurteilte sicher froher geklungen hatte, wenn er auf dem Weg zum Schafott seine letzten Worte sprach.

Und da sie ihm keine absichtliche Zweideutigkeit bei der Erwähnung ihrer ersten Begegnung unterstellen wollte, nahm Jennie an, dass seine Reaktion das Beste war, was sie unter diesen Umständen erwarten konnte. Natürlich entbehrte seine Erklärung all der Romantik, von der sie immer geträumt hatte, seit sie ihren ersten Minerva-Liebesroman gelesen hatte.

Jennie blickte forschend in Lord Bournes blaue Augen und suchte vergebens nach einem humorvollen Funkeln, das ihr gesagt hätte, er habe nur im Scherz gesprochen. Da war keines. Es war ihm ernst, vollkommen ernst. Earls durften Töchtern eines Baronets keinen Kuss stehlen, selbst wenn sie im Glauben waren, sie würden sich nur mit einem kleinen Niemand einen Spaß ohne Folgen erlauben. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz, und wer dagegen verstieß, büßte entweder seine Ehre oder seine Freiheit ein.

Lord Bourne hatte seine Wahl getroffen. Er würde sie heiraten, um den Konventionen Genüge zu tun. Und um ihren guten Ruf zu retten, erinnerte sie sich gehässig, das durfte sie nicht vergessen – aber dafür würde Bundy schon sorgen.

„Nun ja“, sagte sie endlich, gerade als Christopher anfing zu glauben, sie würde ihn rundweg zurückweisen, und beunruhigt überlegte, weshalb ihm das so viel ausmachte. „Wenigstens sind Sie nicht fett.“

Ein schwerer Stein fiel ihm vom Herzen, und er grinste breit, als er ihre Hände ergriff. „Ich bin auch kein schlechter Mensch“, erklärte er ihr fröhlich, amüsiert über ihre jugendliche Offenheit.

Jennie erwiderte sein Lächeln. „Oder ein kratzbürstiger, ständig klagender Greis, der an der Gicht leidet.“

„Oder einer, der stinkt oder lauter Warzen hat, oder ein Witwer mit sechs schreienden Bälgern, die Sie bemuttern sollen, oder ein Schwerhöriger oder einer, der kaum noch Zähne im Mund hat.“

„Oder ein leidenschaftlicher Spieler?“

„Ich bin nicht einmal flüchtig mit Wucherern bekannt. Ich spiele zum Vergnügen, aber nie sehr hoch.“

„Oder dem Schnaps zu sehr ergeben?“

„Man muss Maß halten – bei allen Dingen, das ist mein Motto!“, beteuerte er, ungeachtet seines übermäßigen Alkoholgenusses am vorherigen Abend.

„Nun, dann wäre ein Mädchen ja unerlaubt töricht, wenn es sich einen so offensichtlich guten Fang wie Sie, Mylord, entgehen lassen würde, nicht wahr?“, erklärte Jennie immer noch lächelnd.

Endlich entdeckte sie das humorvolle Funkeln in Lord Bournes Augen, als er ihr zuzwinkerte. „In der Tat sehr töricht, Miss Maitland“, versicherte er und drückte ihre Hände.

„Dann … dann nehme ich Ihren freundlichen Antrag dankend an, Sir.“ Nun, da sie die schicksalhaften Worte gesprochen hatte, verschwand Jennies Lächeln, und sie senkte den Kopf. Sie konnte dem allwissenden Blick des Earls nicht länger begegnen und tat ihr Bestes, nicht zu zittern und ihm ihre innere Unruhe zu verraten.

Da legte er einen Zeigefinger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. Er neigte den Kopf. „Eine Verlobung muss mit einem Kuss besiegelt werden“, flüsterte er ernst und ergriff mit der samtenen Wärme seines Mundes Besitz von Jennies Lippen.

Er erinnerte sich an ihren ersten Kuss –, und er küsste sie nun zärtlich, vorsichtig forschend, statt wie damals zu erobern und seine beachtlichen Verführungskünste einzusetzen. Jennie reagierte darauf, indem sie ihre weichen Lippen auf höchst angenehme, sanfte Art an seine schmiegte.

Er wollte Jennie nicht heiraten. Er wollte überhaupt nicht heiraten. Er wollte noch mindestens ein halbes Dutzend Jahre seinem Junggesellenleben in Saus und Braus frönen. Es missfiel ihm, sozusagen mit vorgehaltener Waffe zur Ehe gezwungen zu werden, und das mit einem Mädchen, das gerade erst das Schulzimmer verlassen hatte.

Jennie Maitland war das genaue Gegenteil der Sorte Frauen, mit denen er sich in London zu umgeben hoffte. Sie war viel zu jung und außerdem beklagenswert unerfahren – sie besaß nicht jene spröde Kultiviertheit, die vonnöten war, um im haut ton zu überleben. Und um allem die Krone aufzusetzen, dachte er betrübt, wird man mich für ihr Wohlergehen und ihr Verhalten verantwortlich machen.

Christopher hatte zwei Jahre zermürbenden freiwilligen Dienst in Spanien hinter sich, und er hatte bis auf weiteres genug von Verantwortung – er hatte sie getragen für die Männer, die unter ihm gekämpft hatten und gestorben waren; für die ständigen täglichen Entscheidungen, die das Kommando mit sich brachte. Seine Verwundung und seine lange währende Genesung hatten seine Geduld auf eine harte Probe gestellt, und nur die Aussicht auf die Festlichkeiten der bevorstehenden Londoner Saison vermochte seine Ungeduld zu zügeln, bis er sich seinen Freunden anschließen konnte, um sich in einen Rausch ausschweifender Gelage zu stürzen, der die Hauptstadt in Aufregung versetzen würde.

Eine Ehefrau stellte daher ein ernsthaftes Hindernis für seine Pläne dar. Ehemänner besaßen nicht die Freiheiten eines Junggesellen, insbesondere wenn es sich um frisch verheiratete handelte, von denen man annahm, dass sie sich in den Flitterwochen befanden. Er würde das Mädchen heiraten und sie die Saison über in Bourne Manor zurücklassen, wenn er könnte, aber sein schlechtes Gewissen machte ihm einen Strich durch diese Rechnung. Außerdem war sich Sir Cedric sicher nicht zu schade, ein weiteres Mal theatralisch seinen schlechten Gesundheitszustand zu demonstrieren, um seinem Schwiegersohn seinen Willen aufzuzwingen, und das könnte er nicht ertragen. Aber in London mit einer Gattin behaftet zu sein, war verdammt schwierig, fast so, als hätte er einen Klotz am Bein – oder sollte er sagen ein weibliches Fangeisen?

Und doch … und doch, dachte er, als Jennie ihm gestattete, sie fester in die Arme zu nehmen, die Kleine besitzt eine gewisse Anziehungskraft. Wenn sie den richtigen Privatunterricht erhielte, seinen Unterricht, würde sie wohl eine mehr als erträgliche Bettgenossin werden.

Plötzlich schwand sein Verlangen nach Romantik. Schließlich war er in diesen grässlichen Schlamassel geraten, weil Jennie eine so begehrenswerte Maid war!

Jennie sah verwirrt zu ihm hoch. Stimmte etwas nicht? Gefiel es ihm nicht, sie zu küssen? Sie hatte es selbst durchaus genossen, auch wenn sie ihm das auf keinen Fall gestehen würde, aber seinem gequälten Gesichtsausdruck nach zu schließen, hatte er es wohl abscheulich gefunden. Nun gut, dachte sie verärgert, jedenfalls hat er sich recht viel Zeit gelassen, um zu diesem Schluss zu kommen – tatsächlich hatte sie bis vierundsechzig gezählt, nur um sich davon abzuhalten, sich wie eine dumme, liebeshungrige Närrin in seine Arme zu werfen.

„Ist denn nun alles offiziell?“, fragte sie und ärgerte sich über sich selbst, weil ihre Stimme heiser klang.

„Hmm?“, murmelte der Earl, immer noch in Gedanken versunken. „Ja, mein freches Mädchen, es ist alles ordentlich besiegelt“, versicherte er ihr gerade so wie ein Vater, der ein lästiges Kind zum Schweigen bringen will. „Sie dürfen jetzt hineingehen und Ihr Mittagsmahl einnehmen. Ich werde zur Dinnerzeit wiederkommen, um mit Ihrem Vater über die letzten Arrangements zu sprechen – falls er sich von seiner Indisposition von gestern Abend erholt hat, wovon ich allerdings überzeugt bin.“

„Sir“, rief Jennie scharf, da Lord Bourne sich schon abgewandt hatte, um sich nach Hause zu begeben.

„Was ist?“, fragte er unhöflich, nicht bereit, sich aufhalten zu lassen.

„Euer Lordschaft mögen ja weder fett noch kahl sein“, zwitscherte Jennie von dem plötzlichen Bedürfnis bewogen, es ihm heimzuzahlen, da er sie so unbekümmert fortgeschickt hatte, „aber Sie haben vergessen zu erwähnen, dass Sie die Persönlichkeit und den Charme eines Schwachkopfes besitzen.“

Damit rauschte sie mit hoch erhobenem Kopf und in dem offensichtlichen Glauben davon, dass sie aus ihrem kleinen Wortgefecht als Siegerin hervorgegangen war. Christopher starrte ihr stocksteif hinterher, dann gab er dem wartenden Stallburschen ein Zeichen, sein Pferd zu bringen, und murmelte: „Am Gängelband. Ich werde der einzige Ehemann in ganz London sein, den seine Gattin am Gängelband führt. Unverschämtes Ding!“

3. KAPITEL

Es war eine verregnete Hochzeit. Goldies nie versiegender Tränenstrom, begleitet von Seufzern, Schluckauf und einigen ohrenbetäubenden Rückzügen hinter ihr übergroßes rotes Taschentuch, war ja schon bedrückend genug, auch ohne den grauen, bedeckten Himmel, aus dem es in Strömen regnete, als die Braut zur Kirche aufbrechen wollte.

Nichts ist so unelegant wie ein schlaff herunterhängender Spitzenschleier, es sei denn, es ist ein schlaff herunterhängendes Seidenkleid voller Wasserflecken und mit einem schlammverkrusteten Saum, dachte Jennie, während sie zögernd den kurzen Gang entlangschritt und Sir Cedric sie mit unangebrachter Eile zum Altar zu zerren versuchte.

Die Zeremonie war Gott sei Dank kurz. Ernestine Bundy fungierte mit ausdruckslosem Gesicht als ihre Brautjungfer, und Leon, der Kammerdiener Lord Bournes, präsentierte sich selbstgefällig als Beistand des Bräutigams.

Als das frisch vermählte Paar anschließend in seine bereitstehende Reisekutsche kletterte, klebten feuchte Zwergrosenblüten an ihnen. Sie beabsichtigten, sofort nach London aufzubrechen, wobei ihnen ihr Gepäck und die persönlichen Diener in zwei weiteren, weniger eleganten Gefährten folgen sollten.

Nachdem er seiner Braut in die Chaise geholfen hatte, befahl der Earl dem Kutscher jedoch, nach Bourne Manor zu fahren. Er hatte beschlossen, dass sie die Kleidung wechseln müssten, wenn sie die Reise halbwegs bequem hinter sich bringen wollten.

Braut und Bräutigam legten die kurze Strecke schweigend zurück und trennten sich dann ohne Bedauern, um in ihren Schlafräumen die Diener mit trockener Kleidung zu erwarten.

Eine knappe halbe Stunde später waren sie endlich auf dem Weg. Der Earl war angenehm überrascht über die Pünktlichkeit der neuen Lady Bourne, ohne dass er es für nötig hielt, ihr das zu sagen. Er langweilte sich in der engen Kutsche und wünschte sich, er könnte auf dem lebhaften schwarzen Hengst reiten, der hinten an dem Fahrzeug festgebunden war.

Zögernd wandte er seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu, das steif neben ihm hockte und gedankenverloren eine seltsame Holzfigur streichelte, die es liebevoll in den Händen hielt. „Haben Sie vor, diesen misshandelten Ast auf mich niedersausen zu lassen, falls meine niedrigen Instinkte zu Tage treten und ich versuchen sollte, Ihnen Gewalt anzutun?“

Jennie betrachtete die Schnitzerei nachdenklich, dann starrte sie ihren Gatten an, als würde sie ihre Chancen auf Erfolg abschätzen, falls sie gezwungen wäre, sich zu verteidigen. Schließlich schüttelte sie langsam den Kopf und bekannte: „Ich konnte nicht widerstehen, sie als Erinnerung an zu Hause mitzunehmen.“

„Sie betrachten Bourne Manor als Ihr Zuhause?“, fragte Seine Lordschaft mit hochgezogenen Brauen.

Jennie zuckte gleichgültig die Schultern. „Der verstorbene Earl hat mich dazu ermuntert, Bourne Manor als mein Heim anzusehen, und ich war es gewohnt, beinahe wie ein Familienmitglied begrüßt zu werden. Er hatte ja keine Kinder, und er war schrecklich einsam, nachdem seine Gattin vor fünf Jahren verstarb.“

Lord Bourne bemerkte, wie Jennie sich entspannte, als sie von seinem Onkel sprach, daher fragte er weiter, obwohl es ihn nicht sonderlich interessierte. Ihm fiel nur gerade kein netterer Zeitvertreib ein. „Aber weshalb diese hässliche Figur? Sie hätten sich doch etwas Wertvolles aussuchen können, statt eine dieser Schnitzereien zu nehmen, die überall im Haus herumstehen und übrigens allesamt wie missglückte Schildkröten mit Eutern aussehen.“

Jennie straffte pikiert die Schultern. „Sie sollten wissen, dass dieses Kunstwerk – wie alle anderen auch – eine sehr bemerkenswerte Darstellung von Amy Belinda ist, dem Lieblingsmodell Ihres Onkels. Er war sehr stolz auf sein Werk, und ich werde nicht dulden, dass Sie schlecht über seine Arbeiten sprechen.“

„Amy Belinda?“, hakte Christopher nach.

„Seine Lieblingskuh“, informierte Jennie ihn sachlich.

„Natürlich“, erwiderte ihr verblüffter Gatte mit erstickter Stimme. „Seine Lieblingskuh.“

Er nahm Jennie die Holzfigur aus der Hand und hob sein Einglas, um Amy Belinda aus verschiedenen Blickwinkeln eingehend zu betrachten – doch auch dann hatte er keine Ahnung, wo vorn und hinten sein sollte. „Mein Onkel hat dies geschnitzt?“, fragte er verwirrt. „Guter Gott – wie einsam er gewesen sein muss!“

„Nicht, nachdem ich ihn mit Will Plum bekannt gemacht hatte. Die beiden wurden die besten Freunde. Der arme Mann hatte seine Frau etwa zur gleichen Zeit verloren wie der Earl“, sagte sie nachdenklich, „und da er zu alt war, um noch als Zimmermann zu arbeiten, bekam er das Gefühl, er hätte nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt.“

Sie warf ihrem Gatten einen Blick zu und fuhr dann trotz seines ungläubigen Gesichtsausdrucks fort: „Will brachte dem Earl das Holzschnitzen bei, und Ihr Onkel hielt es für gerechtfertigt, seine liebste Amy Belinda in all ihren zahlreichen Stimmungen darzustellen.“

„Kühe haben Stimmungen?“, warf der Earl ein, ohne dass es Jennie auffiel.

„Ihre Freundschaft dauerte fünf Jahre, bis der alte Will schließlich starb. Ihr Onkel hat ihn nur um einen Monat überlebt. Amy Belinda lebte auch nicht viel länger, die arme Gute“, fügte sie hinzu, „aber das war wohl zu erwarten.“

„Sicher“, stimmte Christopher zu, der schwer mit sich zu kämpfen hatte, seine Erheiterung zu verbergen. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich ein so kluges Kätzchen geheiratet habe – so grundverschiedene Menschen wie meinen Onkel und den schätzenswerten Will Plum so erfolgreich zusammenzubringen. Ist das ein besonderes Talent von Ihnen, oder war es ein glücklicher Zufall?“

Jennie wusste, dass ihr Gatte sie nur neckte, aber sie wollte sich nicht ärgern lassen. Sie war stolz auf ihre Fähigkeit, Verbindungen zwischen ihren Mitmenschen herzustellen, und es machte sie zufrieden, wenn sie jemandem helfen konnte.

Ihre Zofe Goldie war ein Musterbeispiel für den Erfolg ihrer Bemühungen, und sie informierte den spottenden Earl darüber. „In der Molkerei war Goldie ein völlig hoffnungsloser Fall“, erklärte sie, „weil sie eine Heidenangst vor Kühen hat.“

„Wie traurig“, bemerkte Seine Lordschaft mitleidig.

„Die arme Goldie. Sie hatte das Gefühl, sie wäre zu gar nichts fähig, daher kam ihre Mutter, eine Witwe, die von Goldies Unterstützung abhängig ist, zu mir und bat mich, mich um ihre Tochter zu kümmern.“

„Selbstverständlich haben Sie zugestimmt“, warf der Gatte heiter ein.

„Aber natürlich – wie könnte man anders, wenn jemand Hilfe braucht?“, entgegnete Jennie bestimmt. „Wir haben es mit Goldie in der Wäscherei versucht, aber sie musste von der Seife immer niesen, und selbst ich fand an ihren Näharbeiten kaum etwas Lobenswertes. Sie war so niedergeschlagen, dass wir ihren größten Vorzug kaum zu sehen bekamen, da sie so selten lächelte. Sie hat nämlich einen wirklich prächtigen Goldzahn direkt vorne in ihrem Mund, wissen Sie, deshalb nennen wir sie auch Goldie, obwohl sie eigentlich Bertha heißt.“

„Was für eine ergreifende Geschichte. Ich frage mich, ob ich stark genug bin, auch den Rest zu hören“, klagte Christopher grinsend, was ihm einen tödlichen Blick seiner Braut einbrachte.

„Ich werde Ihren sarkastischen Versuch, lustig zu sein, nicht beachten, wenn auch nur, weil ich Ihnen meinen Standpunkt klar machen will“, sagte sie vernichtend.

„Oh, Sie haben einen Standpunkt?“, rief Seine Lordschaft ungläubig aus. „Wie erfreulich.“

„Natürlich. Ich bin der Meinung, dass es für jeden Menschen einen Platz im Leben gibt, man muss ihn nur finden. In Goldies Fall dauerte es etwas länger als sonst, da sich herausstellte, dass sie bei Tisch nicht servieren konnte, ohne die Suppe zu verschütten oder einen Stapel schmutziger Teller fallen zu lassen. Allerdings hatte ich wirklich gehofft, dass sie als Küchenmagd besser zu gebrauchen wäre – wissen Sie, Gemüse schälen, klein schneiden und all solche Dinge – bis Papas närrischer französischer chef de cuisine damit gedroht hat, seinen Dienst zu kündigen, wenn Goldie nicht endgültig aus seinen Augen verschwinden würde.“

„Sie hatte es sich wohl mit ihm verdorben?“, fragte Lord Bourne, und Jennie nickte zustimmend.

„Ich weiß immer noch nicht, worum es bei all der Aufregung ging“, schloss sie mit einem völlig unschuldigen Gesichtsausdruck. „Schließlich ist es ja nicht so, dass ein Schnurrbart nicht wieder nachwachsen würde. Nach Goldies kleinem Unfall mit dem Messer musste er den Rest davon abrasieren, wissen Sie, und das war auch besser so, wenn man bedenkt, wie ungleichmäßig er aussah, nachdem er halb ab war.“

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Der Earl konnte seine Erheiterung nicht länger im Zaum halten. Sein volltönendes männliches Gelächter hallte in der Kutsche wider, und kurz darauf mischte sich Jennies entzücktes Kichern darunter, was den Kutscher später veranlasste, zum Postillion zu bemerken, dass Lord und Lady Bourne wohl recht rasch Gefallen aneinander gefunden hätten, was eine gute Sache sei, wenn man bedachte, dass sie so mir nichts, dir nichts zusammengeschweißt worden waren.

Nach einem kurzen Halt zum Mittagessen ließ Jennie sich überreden, ihren Kopf an die breite Schulter ihres Gatten zu lehnen, und der Rest der Reise verging damit, dass Lord Bourne aus dem Fenster sah und sein Bestes tat, nicht auf das weiche warme Mädchen zu achten, das so vertrauensvoll in seinem Arm ruhte.

Jennie hatte irgendwie das Gefühl, sie sei in eine völlig andere Welt geraten. Nicht, dass das Haus ihres Vaters keinen Komfort geboten hätte, und sie war in Bourne Manor ein- und ausgegangen, solange sie denken konnte, doch sie war überhaupt nicht auf die feudale Londoner Residenz der Bournes vorbereitet gewesen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dieses riesige Gebäude ein gewöhnliches Stadthaus sein sollte.

Bei der Einrichtung von Bourne Manor war mehr Wert auf Bequemlichkeit als Eleganz gelegt worden, aber der mehrstöckige Bau am Berkeley Square war vom Keller bis zum Dachboden mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen voll gestopft, die in ihrer Großartigkeit einschüchternd wirkten.

Selbst die Wände und Decken, die mit komplizierten Stuckarbeiten verziert und mit Cipriani-Nymphen bemalt waren, schienen sie zu verspotten, als sie ziellos von Raum zu Raum wanderte. Sie kam sich immer kleiner vor, fühlte sich unbedeutend und unsicher, als sie Sheraton-Kommoden entdeckte, Darly-Decken, bunte Shearer-Tische sowie Pfeiler, Bögen und Paneele von Zucchi, Thomas-Johnson-Uhren, Chippendale-Salonstühle und sogar einen Kaminsims von Inigo Jones, der von wer weiß woher hierhin geschafft worden war.

„Liebe Güte, Miss, isses nich großartig?“, schwärmte Goldie zum hundertsten Mal. Ihr fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, während sie ihrer Herrin folgte und beinahe in sie hineinprallte, ehe sie bemerkte, dass Jennie auf der Schwelle zum Schlafgemach des Hausherrn abrupt stehen geblieben war.

„E…es muss nicht sein, dass wir uns hier umsehen“, stammelte die neue Countess of Bourne unbehaglich und zog sich hastig zurück. Dann eilte sie den breiten Korridor entlang in ihre eigenen Räume, schloss die Tür und lehnte sich dagegen.

„Schickt es sich wohl für eine Countess, derart in ein Zimmer zu rennen und die Tür zuzuschlagen?“, fragte Miss Bundy in ihrer strengsten Gouvernanten-Stimme, ohne den Blick von dem Koffer zu heben, den sie gerade auspackte. „Und was bedeutet dieses infernalische Geklopfe?“

Jennie öffnete die Tür einen Spalt, sah Goldie die Hand heben, um die schwere Tür erneut zu attackieren, packte den Arm der Zofe und zog sie hastig herein. „Um Gottes willen, Missy, was ham’ Se da drin bloß geseh’n, dass Se wie’n Huhn ohne Kopf davongerannt sind?“, fragte die rundliche Frau und warf einen raschen Blick zurück durch den Spalt, als erwartete sie im Korridor irgendeine entsetzliche Kreatur zu sehen, die hinter ihnen her wäre.

„Gar nichts, Goldie“, erwiderte Jennie viel gelassener, als sie es für möglich gehalten hätte. „Mir fiel ganz plötzlich ein, dass wir ja die arme Bundy den ganzen Morgen mit dem Einräumen alleine gelassen haben, während wir uns wie die Landpomeranzen im Haus umgeschaut haben.“

Goldie war vollkommen klar, dass Miss Bundy den ganzen Morgen hart gearbeitet hatte, während sie selbst nichts Anstrengenderes tat, als sich das neue Heim ihrer Herrin anzusehen, und da Goldie diese ungewohnte Freiheit insgeheim sehr genossen hatte, bestand ihre einzige Reaktion darin, ihren Goldzahn aufblitzen zu lassen und Jennie zuzuzwinkern, bevor sie einen Paisley-Schal aufhob und umständlich über ihrem Arm faltete.

Gott sei Dank, dachte Jennie und stieß den angehaltenen Atem aus, sie haben nichts gemerkt. Ich muss lernen, mich besser zu beherrschen. Wenn Goldie wüsste, dass ein bloßes Bett mich so erschreckt hat, würde sie mich ständig damit aufziehen, und für Bundy wäre es ein hinreichender Grund, mir noch eine bissige Predigt über die Strafe für das Böse zu halten – wobei das Böse in diesem Fall einiges damit zu tun hat, dass man „kein falsches Zeugnis ablegen darf“ und das „erntet, was man gesät hat“.

Jennie schnappte sich ein Buch vom Tisch, bahnte sich einen Weg zwischen offenen Koffern und persönlichen Habseligkeiten hindurch und zog sich auf ein breites, mit blassblauem Samt gepolstertes Fenstersims zurück, von wo aus man den Berkeley Square überblicken konnte. Das Buch lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß – sie hatte nicht einmal auf den Titel geachtet –, während sie in Gedanken bei dem vorherigen Abend weilte … ihrem alles andere als vornehmen Einzug als neue Countess of Bourne in London, wenn man berücksichtigte, dass sie die ganze Zeit über geschlafen hatte.

Irgendwie mussten die Anstrengungen der Hochzeit dazu geführt haben, dass sie ihr Misstrauen dem Mann gegenüber, den sie fürderhin lieben und ehren sollte, vorübergehend überwunden hatte, und – sie biss die Zähne fest zusammen, genau wie sie es getan hatte, als der Pfarrer sie bat, das Wort zu wiederholen – dem sie gehorchen sollte. Wider besseres Wissen hatte sie sich gestattet, an seiner Schulter einzuschlafen, und so die erste Möglichkeit, London bei Nacht zu sehen, verpasst.

Erst der Klang gedämpfter, jedoch offensichtlich ärgerlicher Stimmen ließ sie aus ihrem Schlummer erwachen, und ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht länger in der Kutsche befand, sondern samt Mantel und allem auf einem höchst komfortablen Bett lag.

„Es ist unschicklich, jawohl“, zischte die erste Stimme, die Jennie sofort als Bundys erkannte.

„Um Gottes willen, Frau, ich habe nur die Bänder ihres Umhangs gelöst und mir nicht irgendwelche Ungehörigkeiten herausgenommen“, gab eine männliche Stimme zornig zurück.

Jennie hielt die Augen fest geschlossen und versuchte so zu tun, als schliefe sie noch, in der Hoffnung, sie würden alle weggehen und sie alleine lassen. Aber der Earl bemerkte die plötzliche Anspannung in ihrem Fuß, von dem er gerade die Stiefelette entfernen wollte.

„Aha!“, rief er triumphierend aus. „Mich dünkt, die Schönheit erwachet! Verwünscht, wieder alles vergebens. Gerade als ich im Begriff war, der unschuldigen, um nicht zu sagen bewusstlosen Maid Übles anzutun.“ Letzteres hatte er mit beißendem Sarkasmus geäußert, was, wie Jennie ihm hätte sagen können, an Ernestine Bundy völlig verschwendet war, die nicht von der Stelle wich.

Die arme Frau war hin- und hergerissen zwischen der Pflicht ihrem Schützling gegenüber und einem starken Drang, sich einem heftigen hysterischen Anfall hinzugeben. Doch sie nahm all ihren Mut zusammen, warf sich zwischen Jennie und ihren Möchtegern-Vergewaltiger und erklärte mit zittriger Stimme: „Nur über meine Leiche, Bursche!“

Jennies Schultern zuckten selbst jetzt noch, als sie daran dachte, wie der Earl sofort ins Lächerliche verfallen war. Er hatte sich mit den Händen ans Herz gegriffen und vehement geleugnet, der Dame auch nur eines ihrer grauen Haare krümmen zu wollen. Dann hatte er den Rückzug zur Tür angetreten, wobei er unsinnige Entschuldigungen von sich gab, die Jennie veranlassten, ihre Fingerknöchel in den Mund zu stopfen, um nicht laut aufzulachen.

„Für den Augenblick habe ich Sie gerettet, junge Dame“, hatte Bundy ihr mitgeteilt, als sie ihr beim Auskleiden zur Hand ging. „Aber dieses Bett haben Sie sich selbst gemacht, und jetzt müssen Sie darin liegen!“

Und genau das hatte Jennie getan. Bis in die frühen Morgenstunden hatte sie sich hin und her gewälzt und erst Ruhe gefunden, als eine fahle Sonne am Horizont aufgegangen war.

Als Goldie sie mit der Morgenschokolade weckte, fühlte Jennie sich buchstäblich wie die letzte Blüte im Sommer – verblasst, ziemlich welk und kaum fähig, ein tapferes Gesicht aufzusetzen, um noch einen kühlen Tag zu überstehen.

Aber da sie jung und widerstandsfähig war, hatte sie sich bis zum Mittag genügend erholt, dass sie die bereitwillige Goldie zu dem Rundgang überredete, der so abrupt bei dem Anblick des riesigen Bettes in dem Schlafgemach geendet hatte, das sie schon bald mit ihrem Gatten teilen sollte.

Das kann ich nicht tun! schrie sie innerlich auf, ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten und zerknitterte dabei ziemlich ihre grünen geblümten Musselinröcke. Lord Bourne hat bestimmt, ich müsste ihn heiraten. Papa bestimmte, es wäre meine Pflicht. Aber ich und nur ich allein bestimme, ob ich sein Bett teilen will oder nicht. Und ich sage Nein!

„Jane. Jane!“, wiederholte Miss Bundy lauter. „Wieder einmal am Träumen, nehme ich an. Manche Angewohnheiten ändern sich nie. Renfrew gab mir vorhin eine Nachricht für Sie – ich habe sie natürlich geöffnet …“

„Natürlich“, seufzte Jennie schicksalsergeben.

„Unterbrechen Sie mich nicht, Jane. All die vielen Stunden habe ich Ihnen korrektes Benehmen beigebracht, und trotzdem sind Sie immer noch … aber das ist jetzt einerlei. Die Botschaft lautet, dass der Earl im Hauptsalon das Vergnügen Ihrer Gesellschaft erwartet – das ist der riesige Raum direkt neben der Halle, in dem sich der Kaminsims von Jones befindet –, heute um halb vier. Meine Güte, das ist ja jetzt! Sie sollten sich wohl besser beeilen, meine Liebe, aber lassen Sie sich erst noch von Goldie das Haar richten.“

„Dazu ist jetzt keine Zeit mehr, Bundy. Wie es aussieht, bin ich schon spät dran“, erwiderte Jennie schon auf dem Weg zur Tür. Da sie zu einem Entschluss gekommen war, wie sie ihre Ehe zu führen gedachte, drängte es sie auf einmal, ihre Entscheidung Lord Bourne mitzuteilen – dem sie gnädig zugestand, dass er wohl ein gewisses Interesse an dieser Angelegenheit haben würde.

Der Earl of Bourne lief mit einem Glas in der Hand im Hauptsalon auf und ab. Er sah sich mit, wie er hoffte, gelangweiltem Desinteresse um. Dieses Haus hat ziemlich wenig Ähnlichkeit mit deiner Junggesellenwohnung im Albany, Chris, mein Junge, auch wenn Byron, Macaulay und Gladstone die gleiche Adresse haben, dachte er und legte, wie er hoffte, lässig einen Arm auf den Kaminsims.

Er hätte es sich nie träumen lassen, dass er eines Tages den Titel, die Ländereien und den großen Reichtum seines Onkels erben würde. Tatsächlich hätte er bestenfalls erwartet, dass der alte Mann ihm eine kaputte Taschenuhr oder ein ähnlich sinnloses Erinnerungsstück hinterlassen würde.

Aber das Schicksal ging nun einmal seltsame Wege. In diesem Fall waren alle nächstverwandten Erben durch Unfälle oder unglückselige Krankheiten verstorben, und während Christopher danach gestrebt hatte, sich als Soldat einen guten Ruf zu erwerben, hatten sie ihm so den Weg zum Titel des Earls freigemacht.

Das Schicksal hielt jedoch noch mehr für ihn bereit. Frau Fortuna verwöhnte einen einfachen Sterblichen nicht so sehr, dass er Gefahr lief, überheblich zu werden, und so hatte sie seinen Triumph ein wenig gedämpft, indem sie ihm ein vollkommen unnötiges Geschenk aufgehalst hatte: eine Ehefrau.

Er sah auf die Uhr an seiner Weste und gab seine lässige Pose auf. Eine verspätete Ehefrau, sagte er sich gerade, als von der Tür her ein Geräusch zu hören war. Jennie kam mit mehr Eile als Schicklichkeit herein und blieb ziemlich würdelos schlitternd in der Nähe der Tür stehen.

„Ich … hm … Ich meine, Bundy … äh … das heißt … Sie wollten mich sehen … hm, mit mir reden?“ Na, das ist ja ein viel versprechender Anfang, schalt sie sich im Stillen. Sie verzog das Gesicht, und ein gequältes Lächeln erschien auf den Zügen des Earls.

„Setzen Sie sich doch, Jennie“, sagte er freundlich, dann wartete er ungeduldig, bis sie auf einem Sessel am anderen Ende des Raumes Platz genommen hatte. „Möchten Sie, dass ich nach Renfrew klingele, damit er Tee bringen lässt? Nein? Dann schlage ich vor, dass wir gleich zur Sache kommen.“

Jennie zuckte leicht zusammen, als hätte er angekündigt, dass sie sich auf dem Aubusson-Teppich leidenschaftlich lieben sollten, daher beeilte Lord Bourne sich, ihr die Gründe zu erklären, weshalb er sie herbestellt hatte. „Wir müssen uns um den Haushalt kümmern, Jennie. Renfrew und die wenigen Diener, die mein verstorbener Onkel hier behalten hat, reichen für unsere Bedürfnisse nicht aus, wenn wir während der Saison Gesellschaften geben wollen.“

„Wir wollen Gesellschaften geben?“, fragte Jennie und stellte sich unwillkürlich vor, wie sie in der Rolle der Gastgeberin dieses riesigen Hauses hoffnungslos versagte.

„Allerdings. Falls das kein Problem darstellt?“, fragte Bourne, der sie absichtlich ärgern wollte.

„Natürlich nicht“, versicherte Jennie ihm wütend und wünschte sich, Seiner Lordschaft eine Ohrfeige verpassen zu können. „Ich werde mich darum kümmern, dass so bald wie möglich weiteres Personal engagiert wird.“

„Renfrew wird das mit einer angesehenen Vermittlung arrangieren. Dann brauchen Sie nur noch die infrage kommenden Bewerber auszuwählen.“

Wenn Jennie den einfallsreichen Renfrew zu ihrer Unterstützung hatte, bestand nach Meinung ihres Gatten wohl keine Gefahr, dass sie auf die Nase fallen könnte.

„Oh“, meinte Jennie verwirrt, „ich hatte daran gedacht, eine Anzeige aufzugeben, wie wir das manchmal zu Hause tun, wenn wir Bedarf haben.“

Seine Lordschaft erklärte ihr rasch, wie dumm es wäre, eine Annonce für Dienstboten zu veröffentlichen, weiß der Himmel was dann für Gesindel am Berkeley Square auftauchen würde. Da Jennie nickte, betrachtete er die Angelegenheit als zu seiner Zufriedenheit erledigt und schnitt ein heikleres Thema an, das er insgeheim zu besprechen fürchtete.

„Jennie“, sagte er freundlich und ließ sich neben ihrem Sessel auf ein Knie nieder, „ich habe ziemlich lange darüber nachgedacht. Unter Berücksichtigung deiner Gefühle und unserer besonderen Situation habe ich beschlossen, dass ich mein Recht als Ehemann jetzt noch nicht fordern werde. Ich glaube, wir sollten erst besser miteinander vertraut werden.“

„Oh, gut!“, rief Jennie glücklich aus, bevor sie ihre Reaktion mäßigen konnte. „Das heißt, ich meine, weshalb? … Nein! Antworten Sie nicht darauf! Ich meinte eigentlich nicht weshalb. Wenn Sie das bitte außer Acht lassen wollen. Was ich sagen will, ist – danke.“ Der Earl zog die Brauen hoch, und Jennie stotterte hastig: „Nein! Das meinte ich auch nicht. Oh Gott. Verzeihung, wenn ich Sie unterbrochen habe, Mylord“, sagte sie in dem verspäteten Bemühen, sich nicht zu benehmen, als hätte sie vollkommen den Verstand verloren. „Bitte fahren Sie fort. Sie meinten gerade …“

„Tatsächlich wäre das bereits alles, Schätzchen“, erklärte er ihr und verbarg seine Erheiterung über ihre offensichtliche Aufregung. Doch sein Amüsement schlug bald in Verwirrung um, als ein hartes Funkeln in Jennies Augen erschien und sie entschlossen das Kinn hob.

„Was ist?“, fragte Lord Bourne törichterweise.

Jennie ahnte, dass sie eigentlich ungeheuer erleichtert hätte sein sollen, doch plötzlich beschloss sie, dass er der größte Unmensch auf der Welt war. Wie konnte er es wagen, sein Recht nicht auszuüben? Wie konnte er es wagen, ihr irgendetwas zu sagen? Sie war es, die ihm etwas erzählen würde!

Der Earl beobachtete, wie ihr Gesichtsausdruck sich wieder veränderte und sie ihn bekümmert, beinahe flehend ansah. „Dann wollen Sie mich nicht, Mylord? Ich gefalle Ihnen nicht – vielleicht finden Sie mich sogar abstoßend?“

Ihre großen, traurigen Augen rührten sein Herz, und er protestierte leidenschaftlich: „Natürlich will ich dich, Kleines! Du gefällst mir außerordentlich gut. War das denn nicht der Grund, weshalb wir ursprünglich in diese Situation geraten sind?“

Jetzt lächelte Jennie. Sie erhob sich, sah auf ihren Gatten hinunter, der immer noch neben dem Sessel kniete, und informierte ihn heiter: „Das ist aber sehr schade, Mylord Ehemann. Denn ich will Sie nicht, deshalb war ich auch so froh, dass Sie um dieses Gespräch gebeten haben. Ich hatte mich darauf gefreut, Ihnen mitzuteilen, dass ich Ihnen vielleicht meine Hand zur Ehe gereicht habe, aber mehr werden Sie von mir nicht bekommen!“

Sprach es und rauschte – endlich jeder Zoll Countess – hinaus, während der Gatte ihr mit offenem Mund hinterherstarrte.

4. KAPITEL

Der Earl of Bourne betrat den dämmrigen Hauptraum des Guards Clubs und blickte sich mit dem wachsamen Blick eines Mannes um, der auf der spanischen Halbinsel gedient hatte. Er erkannte rasch mehrere bekannte Gesichter und nickte ihnen zu, aber erst als er eine bestimmte Person erblickte, lächelte er und überquerte den unebenen, mit Sand bedeckten Boden des umgestalteten Kaffeehauses.

„Ozzy, du alter Hund“, rief er laut und näherte sich dem äußerst modisch gekleideten jungen Mann, der an einem Tisch in der Ecke lümmelte. „Ich wusste, ich kann mich darauf verlassen, dass du hier bist.“

Ozzy Norwood beobachtete gerade eingehend eine Fliege, die senkrecht die Wand hochkrabbelte, und fragte sich, weshalb ein primitives Insekt eine solche Fähigkeit besaß, während jemand wie er das nicht konnte. Als Christopher ihn ansprach, erschrak er derart, dass seine Beine, die er auf den gegenüberstehenden Stuhl gelegt hatte, wegrutschten, sodass sein Rumpf unerwartete Bekanntschaft mit dem harten Fußboden machte.

Er ließ sich jedoch durch seine würdelose Position nicht die Laune verderben, da er sich im Laufe der Jahre an seine Ungeschicklichkeit gewöhnt hatte. Schnell, wenn auch nicht anmutig, kam er wieder auf die Füße und landete in der begeisterten, heftigen Umarmung Bournes, mit der dieser ihn begrüßte.

„Chris! Verdammt noch mal, Chris Wilde! Mir war zu Ohren gekommen, du wärest bei Badajoz gefallen“, rief Ozzy aus, als er wieder zu Atem kam. „Aber du bist kein Geist, wie meine geprellten Rippen bestätigen können. Bei Gott! Lass mich los, du großes, haariges Scheusal, und lass dich anschauen. Wie schön, dich zu sehen, Mann!“

Ozzy betrachtete seinen alten Freund und Offizierskameraden. Er war vielleicht etwas schlanker geworden, etwas robuster auf jeden Fall, aber diese lächelnden Augen waren immer noch die von Chris Wilde, den Ozzy als Helden verehrte, seit sie beide in kurzen Hosen gesteckt hatten.

„Du siehst wunderbar aus, mein Freund, ehrlich. Setz dich. Wo kommst du denn plötzlich her? Das Letzte, was ich von dir hörte, war, du wärest verwundet worden und man erwarte nicht, dass du es schaffen würdest. Ich habe mir in einem verdammt blöden Gefecht in irgendeinem gottverlassenen spanischen Elendsdorf kurz nach Badajoz eine Kugel in der Schulter eingefangen und hab dann mein Offizierspatent verkauft. Ich war nicht mehr mit dem Herzen dabei – du warst schließlich fort –, aber ich habe nirgends etwas von dir erfahren können. Es war, als ob du vom Erdboden verschluckt wärest. Mädchen! Bring uns eine Flasche von eurem Besten! Ich sagte dir doch, setz dich, Chris, und hör auf, grinsend wie ein Bär dazustehen. Hast du denn selbst gar nichts zu vermelden?“

Chris konnte nur lachend den Kopf schütteln. „Ich freue mich zu sehr, dass manche Dinge sich nie ändern, Ozzy. Du redest immer noch wie ein Wasserfall.“ Er nahm seinem Freund gegenüber an dem Tisch Platz, ergriff die Flasche, die die Schankmagd gebracht hatte, und trank daraus, dann sagte er: „Am besten, du bestellst noch einmal dasselbe für dich, denn dieses Quantum hier habe ich bereits verplant.“

„Mädchen!“, bellte Ozzy und dachte, dass Chris wohl die Absicht hatte, die Nacht zum Tag zu machen. Er war gerne bereit, es ihm Glas für Glas gleichzutun. „Bring noch eine Flasche! Bring lieber ein Dutzend! Wie? Oh ja, Chris, natürlich! Und zwei Gläser, du dummes Ding! Für was für Barbaren hältst du uns denn?“

Drei Stunden und mehr als ein halbes Dutzend Flaschen später saßen Chris und Ozzy immer noch an dem Tisch. Sie hatten gelacht und geweint, während sie in ihren Erinnerungen an die spanische Halbinsel, vergangene Begebenheiten und gefallene Freunde geschwelgt hatten. Schließlich waren sie bereit, über die Gegenwart zu sprechen.

„Du bist nun der Earl of Bourne?“, fragte Ozzy, ohne seine Freude über das Glück seines alten Freundes verhehlen zu können. „Na, wenn das nicht dem Fass den Boden ausschlägt. Da hast du dich wie wir anderen auch im Dreck herumgewälzt, als ob du ein einfacher Soldat wärst. Weshalb verkehrst du denn jetzt nicht mit den feinen Leuten bei White’s oder Boodle’s, statt dich hier bei diesem Pack von St. James’s herumzutreiben?“

„Ach, hör auf, Ozzy. Du bist doch in beiden Clubs Mitglied und gehst obendrein zu Almack’s. Ich erinnere mich nämlich noch genau an deine traurige Ausrede, um nicht an diesem exklusiven Versammlungsort des haut ton erscheinen zu müssen, und wie deine Mama dich gezwungen hat, lauter hässliche Entlein auf die Tanzfläche zu führen.“

„Lach ruhig über mich, du Zyniker“, gab Ozzy zurück. „Aber du wirst mir schon bald nachlaufen, damit ich dir eine Eintrittserlaubnis besorge – du wirst eine brauchen, weißt du, wenn du auf Brautschau gehen willst. Da du jetzt ein verflixter Earl bist, liegt es doch wohl auf der Hand, dass du dich bald häuslich niederlassen musst.“

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Kasey Michaels
Als Kasey Michaels ihren ersten Roman geschrieben hatte, ahnte sie noch nicht, dass sie einmal New York Times Bestseller-Autorin werden würde. Und es hätte sie auch nicht interessiert, denn damals befand sie sich in der schwierigsten Phase ihres Lebens: Ihr geliebter achtjähriger Sohn benötigte dringend eine Nieren-Transplantation. Monatelang wachte sie...
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Helen Dickson
Helen Dickson lebt seit ihrer Geburt in South Yorkshire, England, und ist seit über 30 Jahren glücklich verheiratet. Ihre Krankenschwesterausbildung unterbrach sie, um eine Familie zu gründen.
Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes begann Helen Liebesromane zu schreiben und hatte auch sehr schnell ihren ersten Erfolg.
Sie bevorzugt zwar persönlich sehr die...
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