Historical Saison Band 75

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PRINZESSIN OHNE ERINNERUNG von BRONWYN SCOTT

Prinz Ruslan ist entschlossen, Dasha zu helfen. Seit ihrer Flucht aus Kuban kann sich die schöne Kronprinzessin an nichts mehr erinnern. Mit jedem Tag, den sie in seinem Haus verbringt, betört sie ihn mehr. Doch er muss der Versuchung widerstehen - denn wenn ihre Erinnerung zurückkehrt, wird sie ihn niemals lieben können …

DER PRINZ MIT DEM DUNKLEN GEHEIMNIS von BRONWYN SCOTT

Sie ist bezaubernd, temperamentvoll, verführerisch - und für Prinz Stepan tabu. Denn Anna-Maria ist die Schwester seines besten Freundes, und Stepan hat einmal geschworen, sie immer zu beschützen. Doch das kann er jetzt nicht mehr: Denn er hütet ein dunkles Geheimnis, das sie alle in Lebensgefahr bringen kann …


  • Erscheinungstag 18.08.2020
  • Bandnummer 75
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749675
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bronwyn Scott

HISTORICAL SAISON BAND 75

1. KAPITEL

London, Ende August 1823

Das Problem an Revolutionen war, dass sie die merkwürdigsten nächtlichen Besucher nach sich zogen – zu den unmöglichsten Zeiten und an den sonderbarsten Orten. Gerade noch hatte Fürst Ruslan Pisarew tief und fest im Schlafgemach seines kürzlich erworbenen Londoner Stadthauses geschlafen, doch nun saß er an seinem Schreibtisch, nur in einen Morgenrock und grüne seidene Pyjamahosen gekleidet, und sah die Berichte durch, die aufregend und erschreckend zugleich waren. Einerseits hoffte er, dass der Mann ihm gegenüber am Schreibtisch die Wahrheit sagte, andererseits, dass er log, denn die Wahrheit war entsetzlich.

Kuban, seine Heimat, war in Aufruhr. Der Sommerpalast außerhalb der Stadt, den er oft besucht hatte, war von Rebellen überrannt und angezündet worden. Um zu beweisen, dass der Wechsel endlich eingetreten war und von Dauer sein würde, war die königliche Familie im Morgengrauen aus dem Haus gezerrt und auf dem Rasen vor dem Haus hingerichtet worden. Der Zar, seine Frau, seine Söhne. Peter, Wassili und Grigori – Jungen, jetzt Männer, mit denen Ruslan aufgewachsen war.

Bei der Vorstellung, dass man seine Kindheitsfreunde auf diese Weise umgebracht hatte, hätte Ruslan beinahe die Fassung verloren. Er schob seine Trauer beiseite. Später würde er noch genug Zeit haben, im Stillen um sie zu trauern. Jetzt brauchte er einen klaren Verstand, auch wenn der Gedanke ihm keine Ruhe ließ. Das ganze Haus Tukhaschewsken tot, an einem einzigen Morgen ausgelöscht. Zumindest fast alle, wenn der Hauptmann, der im Halbdunkeln kurz vor Tagesanbruch vor ihm saß, die Wahrheit sagte.

Ruslan musterte Kapitan Varvakis mit zusammengekniffenen Augen, um den festen Blick und die aufrechte Haltung seines nächtlichen Besuchers zu deuten. Der Hauptmann war ein Militär bis ins Mark und hegte eine starke, unumstößliche Loyalität für die Organisation, der er diente – in seinem Fall die Königsfamilie. Es gab für Varvakis keinen Grund, zu lügen. Dennoch hatte Ruslan nur so lange überlebt, weil er sich immer gefragt hatte: „Was wäre, wenn?“

Ruslan fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes Haar – eine schlechte Angewohnheit, der er zu häufig nachgab und die sein Haar zerzaust aussehen ließ. Aber was spielte das jetzt für eine Rolle? Zuerst einmal musste er die schlimmen Informationen verarbeiten. „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Prinzessin Dascha vor den Feinden fliehen konnte und jetzt oben in meinem Gästegemach schläft?“ Er hatte die erschöpfte Frau, die Kapitan Varvakis bei seiner Ankunft ins Haus getragen hatte, kaum zu sehen bekommen.

Der Hauptmann zögerte nicht. „Ja, ich habe sie selbst aus den Flammen gerettet.“ Ruslan schloss die Augen und ließ sich die Szene schildern. Vor seinem geistigen Auge ging er mit Varvakis jedes Detail der Rettung durch. Klar und lebhaft konnte er sich die Rebellenhorden vorstellen, die durch die schmiedeeisernen, goldenen Tore des Palasts stürmten, die breite Auffahrt mit den gepflegten grünen Rasenflächen zu beiden Seiten hochmarschierten, bei den riesigen Flügeltüren mit geschnitzten Holztafeln ankamen, mit Rammböcken die jahrhundertealten Kunstwerke zerschmetterten und alles in Brand steckten und plünderten. Der Kunstliebhaber in ihm bedauerte die Zerstörung zutiefst. Ob er nun mit der Politik des Zaren übereinstimmte oder nicht – der Sommerpalast war ein wunderschöner Ort gewesen.

„Wir haben uns gegen sie gewehrt, doch wir waren zu wenige, um richtigen Widerstand zu leisten.“ Varvakis schüttelte traurig den Kopf. „Prinzessin Dascha war im Obergeschoss gefangen. Ich sah, wie sie versuchte wegzurennen, doch die Rebellen kamen ihr zuvor. Sie hatten schon die anderen in ihrer Gewalt, und es war offensichtlich, was sie vorhatten. Ich kämpfte mich zu ihr durch. Sie hatten sie bis zu den Flammen zurückgedrängt. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich in die Flammen zu stürzen oder zu kapitulieren und sich den Rebellen zu überlassen.“ Vor sich konnte Ruslan jene geschwungene und elegante Treppe sehen. In seiner Jugend war er über das Geländer gerutscht. Es war bestimmt schwierig gewesen, dort hinaufzugelangen. Varvakis hatte keine leichte Aufgabe vollbracht.

Die Nachrichten verwirrten Ruslan in mehrfacher Hinsicht – nicht nur in Bezug auf die Zerstörung und den Tod, sondern auch auf die politische Lage in seinem Heimatland. „Dann herrschen jetzt die Rebellen in Kuban?“ Ruslan stützte den Kopf in die Hände. Auch wenn er für Veränderung eintrat, war er gegen Gewalt. Hatte die Welt denn nichts von den Franzosen gelernt? Jetzt wurden auch in Kuban Angehörige der königlichen Familie hingerichtet.

„Ja, fürs Erste“, bestätigte Varvakis, den Mund zu einer grimmigen Linie verzogen. Ein Mann wie Varvakis konnte mit Unordnung nichts anfangen. Ruslan ging es genauso, doch das Chaos war zu ihm gekommen, in sein Haus, das er gerade erst gekauft hatte, um endlich nach vorn zu blicken und das Kapitel Kuban ein für alle Mal abzuschließen. Als er am Abend zuvor ins Bett gegangen war, hatte er sich seinem Ziel, ein echter Londoner zu werden, einen Schritt näher gefühlt, doch nach dem Aufstehen befand er sich wieder mitten im Tumult. Sein Land stand in Flammen, eine geflüchtete Prinzessin schlief in seinem Haus und ein Hauptmann bat ihn um Obdach.

„Die Stadt wird nicht für immer im Chaos versinken“, sagte Varvakis. „Es wird eine Zeit kommen, in der kühle Köpfe nötig sind und Kuban wieder seine Prinzessin braucht, jemanden, der die Lücke zwischen dem Alten und dem Neuen schließen kann.“

Natürlich würde Varvakis dann rein zufällig mit der Prinzessin auf der Bildfläche erscheinen. Er war ein Mann, vor dem man sich hüten musste, und nicht der erste Militär mit politischen Ambitionen. Ruslan seufzte. Er durchschaute das Anliegen des Hauptmannes glasklar. Mein Gott, er will mehr als nur einen Zufluchtsort. Varvakis wollte die Revolution unter seinem Dach fortführen, wollte ihn als Komplizen für die politischen Pläne seines Lagers gewinnen. Ruslan hätte nichts gegen einen Drink einzuwenden gehabt.

Er stand auf, ging zu der Anrichte mit den Karaffen und füllte zwei Gläser. Ihm kamen nun jede Menge Fragen in den Sinn. Er reichte dem Hauptmann einen Brandy. Hoffentlich würde Varvakis mit einem Getränk in der Hand Lust haben, zu plaudern, und nicht das Gefühl haben, sich in einem Verhör zu befinden. „Auf die erfolgreiche Überfahrt.“

Sie hatten gerade die Gläser erhoben, als ein Schrei durch die Nacht gellte. Ruslan tauschte einen Blick mit dem Hauptmann und stürmte in die Empfangshalle, als ein zweiter Schrei zu hören war. Ruslan schaute hoch. Oben an der Treppe taumelte eine Frau, die wild auf einen unsichtbaren Feind einschlug. Was auch immer sie quälte, war nicht zu sehen.

„Eure Hoheit!“, rief Kapitan Varvakis. Die Frau wandte ihre wilden Augen in die Richtung, aus der ihr Name gerufen wurde. Sie sah wie jemand aus, der frisch aus der Bedlam-Anstalt geflohen war. Ihr Blick ging ins Leere, ihr aschblondes Haar war lose und hing ihr in Strähnen über die Schultern, als wäre es schon länger weder gewaschen noch gekämmt worden. Sie näherte sich mit fuchtelnden Armen der Treppe. Augenblicklich erkannte Ruslan die Gefahr und rannte die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend. Wenn sie bis zur Treppe kam, würde sie herunterfallen.

Ruslan stellte alle Höflichkeitsregeln hinten an und hoffte, sie noch rechtzeitig wecken zu können. Er sprang hoch, während sie einen Schritt nach vorn machte, ins Leere trat und vornüberkippte. Ruslan verringerte den Abstand zwischen ihnen und schlang die Arme um sie, während sie hart auf dem Boden des oberen Treppenabsatzes landeten. Schützend hielt er sie von den Stufen fern.

Er war sich ihres Körpers nur allzu bewusst, denn er hätte genauso gut nackt sein können. Sein Morgenmantel und seine Pyjamahose boten wenig Schutz gegen den Druck ihrer weichen weiblichen Kurven, die gerade noch in einem warmen Bett gelegen hatten. Unter ihm schlug sie die Augen auf, und sie schaute ihn erst schläfrig und dann immer wacher an. Als er in diese Augen sah, wurde für einen Moment alles still. Und dann fing sie wieder an zu schreien.

Wo war sie? Entsetzen ergriff Dascha. Nicht, dass die Frage oder das Entsetzen neu für sie gewesen wären. Seit Wochen wusste sie nicht, wo sie sich befand. Jetzt lag ein fremder Mann auf ihr. Aus Gewohnheit und Überlebenstrieb schrie und kämpfte sie gegen ihn an. Sie sträubte sich unter ihm und schlug ihn, woraufhin er sie festhielt, was ihm mit erschreckender Leichtigkeit gelang. Dieser Mann war schlank und stark und trug gerade mal einen Morgenrock und seidene Schlafhosen, die nicht viel der Vorstellungskraft überließen.

„Eure Hoheit, bitte, seien Sie still. Sie sind in Sicherheit. Wir sind in London. Wir haben es geschafft.“ Bei Kapitan Varvakis’ Stimme hielt sie inne und die wenigen neuen Erinnerungen, die sie hatte, kamen zu ihr zurück. „Sie haben wieder geträumt.“

Dascha blieb still liegen und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Sie war wieder schlafgewandelt. Sie befand sich mitten in einer Eingangshalle. Der Albtraum hatte sie aus dem Bett getrieben. Trotz des schrecklichen Traumes war es das Einzige, das allein ihr gehörte, die einzige vollständige Erinnerung, die sie gehabt hatte, bevor sie in einer Kutsche aus Kuban geflüchtet war – dessen war sie sich sicher. Es hatte sie gegeben, bevor Kapitan Varvakis ihr gesagt hatte, wer sie war. Der Traum handelte von Feuer, Kampf und Tod. Sie hielt ein Schwert in den Händen und kämpfte. Jemand stand hinter ihr, jemand, den sie beschützte, aber wer? Sie wusste es nicht. Sie wachte immer auf, bevor sie sich umdrehen und sehen konnte, wer es war. Vielleicht war dort niemand.

„Eure Hoheit.“ Varvakis sorgte sich wieder um sie. Sie bereitete ihm nichts als Sorgen. „Geht es Ihnen gut? Kommen Sie, ich bringe Sie zurück ins Bett. Sie müssen sich ausruhen.“ Doch der Mann, der sie festgehalten hatte, half ihr auf und legte einen Arm um sie, um sie zu stützen, und wartete auf ihre Antwort. Die meisten anderen Männer hätten die Befehle des Hauptmanns befolgt.

„Vielleicht eine warme Milch oder etwas Stärkeres?“, bot er an. Dieser Mann war wahrscheinlich gerade aus dem Bett gefallen. Sein Haar war zerzaust, doch seine Augen waren wach, zu wach für einen Mann, der gerade erst aufgestanden war. Er musste schon eine Weile wach sein.

„Beides. Warme Milch mit Brandy wäre schön.“ Durch das lang gestreckte Fenster in der Eingangshalle konnte sie die ersten Sonnenstrahlen sehen, die wie ein ergebener Verehrer mit dem Dunkel der Nacht liebäugelten. Bis zum Morgen würde es nicht mehr lange dauern. Wieder ins Bett zu gehen erschien ihr sinnlos, doch Milch und Brandy würden sie beruhigen. Sie wollte ruhig sein und klar denken können. Dies war ein neuer Ort mit neuen Menschen. Man würde ihr unausweichliche Fragen stellen und das wollte sie lieber schnell hinter sich bringen.

Der Gentleman in dem Morgenrock führte sie die Treppe hinunter in ein hell erleuchtetes, warmes Arbeitszimmer. Er zog an einer Klingelschnur und lächelte. Selbst in diesem ungepflegten, nachlässig gekleideten Zustand war sein gutes Aussehen nicht zu übersehen. Dichtes, unbändiges rot-goldenes Haar umrahmte sein markantes Gesicht mit scharfen blauen Augen. Seine Wangen rundeten sich, wenn er lächelte, was ihm Tiefe und Charakter verlieh. „Die Milch wird bald hier sein und auch ein kleines Frühstück. Bis dahin sollten wir uns vielleicht vorstellen. Ich bin Fürst Ruslan Pisarew.“ Wenn es jemandem gelingen konnte, unter diesen Umständen majestätisch auszusehen, dann diesem Mann. Trotz der frühen Stunde, seiner spärlichen Schlafbekleidung und des Tumults an der Treppe machte er einen eleganten Eindruck.

„Prinzessin Dascha Tukhaschewskenowa oder zumindest wurde mir das gesagt.“ Ihr bissiger Unterton entging ihm keineswegs. Fragend und tadelnd schaute er Kapitan Varvakis an. Offenbar hatte der Hauptmann ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er wusste nichts von ihrem Zustand.

„Varvakis, was soll das heißen?“, fragte der Fürst.

Doch Dascha antwortete an seiner statt. Sie war vielleicht verwirrt und hatte sich die letzten Wochen ununterbrochen gefragt, wo sie war und wer sie war, doch sie konnte es nicht mehr ertragen, dass Männer in ihrer Gegenwart über sie sprachen. Seinen Blick erwiderte sie standhaft und – wie sie hoffte – ohne Scham.

„Es soll heißen, dass ich mich nicht an Kuban erinnern kann und nicht weiß, wer ich bin, Fürst Pisarew. Ich weiß nur, was dieser gute Mann mir erzählt hat.“ Wie würde Fürst Pisarew auf diese Information reagieren? Dascha setzte sich auf einen der Sessel neben dem Feuer und ließ die Wärme auf sich wirken. Seit Wochen fühlte sie sich kalt und leer. An Ersterem konnte das Feuer etwas ändern, aber es gab nichts, was gegen Letzteres half. Nicht einmal Kapitan Varvakis’ Information konnte diese Leere füllen. Der Fürst sah sie eindringlich mit seinen blauen Augen an und ein Anflug von Hoffnung regte sich in ihr. Kannte er sie? Hatte er ihre Familie gekannt? Konnte er ihr etwas erzählen, das ihr helfen würde, sich wieder zu erinnern?

Vor dem Hauptmann wollte sie ihn nicht fragen. Vielleicht würde er sich genötigt fühlen, eine bestimmte Antwort zu geben. Sie würde warten und ihn allein abfangen, damit er ihr die Wahrheit sagen konnte.

Das Tablett wurde hineingetragen, und die Diener schenkten die Getränke ein und arrangierten kleine Teller mit geröstetem Brot, Marmelade und warmen Würstchen. Der Fürst löste nie lange den Blick von ihr. Er schien seine Gedanken zu sammeln so wie sie ihre Abwehrkräfte. Ihr Körper und Geist waren angespannt und bereiteten sich darauf vor, sich verteidigen zu müssen. Sicherlich würde er sie mit Fragen überhäufen, sie über ihre Erinnerungen ausfragen und sie danach verurteilen, weil sie sich an nichts entsinnen konnte. Doch der Fürst tat nichts dergleichen.

„Ich kenne einen Arzt, einen Spezialisten, der Ihnen vielleicht helfen kann“, sagte er, nachdem die Diener gegangen waren. „Nach dem Krieg auf der Iberischen Halbinsel litten viele unserer Soldaten unter Gedächtnisverlust – eine Folge der grausamen Schlachten. Wenn Sie möchten, vereinbare ich noch heute einen Besuch für Sie bei ihm. Ich werde auch ein Hausmädchen und Kleidung organisieren, bis Sie zu einer richtigen Schneiderin gehen können. Meine Diener habe ich bereits angewiesen, ein heißes Bad in Ihrem Schlafgemach für Sie einzulassen.“

Tränen der Scham sammelten sich in Daschas Augen. Wie dumm es war, jetzt wegen eines warmen Bades, sauberer Kleidung und Milch mit Brandy zu weinen, obwohl es so viele Verluste zu betrauern gab. Ihr Zuhause, ihr Land, ihr Gedächtnis, ihre Familie. Sie hatte nicht geweint, als Varvakis ihr alles erzählt hatte. Sie war stumpf vor Entsetzen gewesen, nicht nur wegen der Art und Weise, wie ihre Familie ums Leben gekommen war, sondern weil sie sich an nichts erinnern konnte. Sie konnte nur so trauern wie jemand, der von außen die Ungerechtigkeit einer Tragödie betrauert. Sie hatte nicht geweint, als sie aus ihrer Heimat mit dem Schiff aufgebrochen waren. Seit Wochen war sie tapfer gewesen. Kein einziges Mal hatte sie die Fassung verloren, doch mit ein bisschen Liebenswürdigkeit hatte Fürst Pisarew sie in kurzer Zeit zum Weinen gebracht. Entschlossen wischte sie die Tränen weg.

„Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Fürst Pisarew. Sie bedeutet mir mehr, als Sie sich vorstellen können.“ Sie erhob sich, um zu gehen, auch wenn sie wusste, dass die beiden über sie reden würden. Doch sie hatte die Wahl: Hierbleiben und vor dem Fürsten die Beherrschung verlieren oder gehen und ihre Würde behalten.

Der Fürst stand mit ihr auf und ergriff ihre Hand. Wieder spürte sie, wie seine warme Kraft in sie hineinströmte. „Es ist mir eine Freude. Bitte sagen Sie Bescheid, wenn Sie irgendetwas brauchen. Wir werden uns später unterhalten, wenn Sie richtig angekommen sind.“ Bestimmt war er jemand, der es verstand, Menschen für sich zu gewinnen. Er gehörte zu der Sorte Mensch, die für andere alles Mögliche organisieren konnten, ohne ihnen das Gefühl zu geben, klein oder abhängig zu sein. Die Art von Mensch, die wusste, wie man die Leitung übernahm, ohne andere herabzusetzen. Das konnte gefährlich sein. Sie durfte nicht vergessen, wie gut er mit dieser Macht umzugehen verstand. Sie wollte niemandem unterstehen, aber darum würde sie sich später Gedanken machen. Im Moment sprach nichts dagegen, seine Großzügigkeit anzunehmen. Nur eine Närrin würde das Angebot eines warmen Bades nach einer wochenlangen Überfahrt ablehnen, und wer auch immer sie war, eine Närrin war sie bestimmt nicht.

2. KAPITEL

Die Prinzessin ist hier. Herzlichen Glückwunsch, Kapitan. Sie haben es geschafft. Jetzt müssen wir über Ihre Beweggründe sprechen. Warum ich? Warum London, obwohl es viele sichere Orte gibt, die näher an Kuban liegen?“ Ruslan wollte das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenken und reichte Kapitan Varvakis sein längst vergessenes Glas, während er sein eigenes aufnahm. Jetzt brauchte er tatsächlich einen Drink. Die Prinzessin war eine überraschende Frau, die einen nicht mehr losließ. Auch wenn sie vollkommen dreckig von der Reise war, haftete ihrer Wildheit etwas Schönes an: das aschblonde Haar, die scharfen smaragdgrünen Tiefen ihrer Augen und die geschmeidige Kraft ihres Körpers, der sich bei ihrer Rangelei schlank und stark wie Damaszener-Stahl angefühlt hatte. Doch am meisten fühlte er sich von ihrem Mut und ihrem Selbstvertrauen angezogen. Sie hatte weder gezögert, das Wort für sich zu ergreifen, noch hatte sie ihm die Wahrheit vorenthalten: dass sie eine gestürzte Prinzessin war, eine Frau ohne Gedächtnis. Sie war in einer fürchterlichen Lage, genauso wie er, wenn man das tragische Verhältnis bedachte, das seine Familie seit Kurzem zum Thron pflegte.

„Was soll ich Ihrer Meinung nach mit ihr anfangen?“, fragte Ruslan grüblerisch. Sicherlich war Varvakis über seinen Bruch mit der königlichen Familie im Bilde. Nicht seine Familie, sondern der Zar selbst hatte den Kontakt abgebrochen und das Haus Pisarew in Ungnade fallen lassen. Diese Schande wollte Ruslan tilgen, wenn er die Möglichkeit dazu bekam. Er hatte seine eigenen Pläne. Im Geist hatte er bereits verschiedene Optionen durchgespielt, doch er wollte auch wissen, was Varvakis im Schilde führte.

„Wir sorgen dafür, dass sie in Sicherheit ist – für Kuban“, erwiderte Varvakis, ohne zu zögern, „bis es an der Zeit ist, zurückzukehren und das Land zu befrieden.“ Nichts anderes hatte er von Varvakis erwartet. Er war ein zuverlässiger Offizier, der nur das Beste für sein Land wollte – ein Patriot durch und durch.

Ruslan nahm sich vor, mit Nikolay zu sprechen, der Hauptmann in der kubanschen Kavallerie gewesen war. Vielleicht kannte Nikolay den Offizier. „Dann ist es kein Wunder, dass Sie mich aufgesucht haben.“ Für die Sicherheit einer Prinzessin zu sorgen war kein leichtes Unterfangen. Unter Sicherheit konnte man Verschiedenes verstehen.

„Deshalb sind wir hier. Sie sind der Beste. Unter den Eingeweihten ist Ihre Arbeit im Untergrund legendär.“ Kapitan Varvakis lobte ihn wie jemand, der zu seinem Oberen sprach. „Wenn es jemanden gibt, der das Überleben einer Geflüchteten gewährleisten kann, dann Sie. Erlauben Sie mir zu sagen: Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.“ Varvakis bezog sich nicht auf den Ruf, den Ruslan als Fürst genossen hatte. Damals war er bekannt dafür gewesen, Veranstaltungen zu organisieren. Hatte sich der Zar ein großes Fest oder eine Jagd gewünscht, hatte sich Ruslan um alles gekümmert. Alle wussten, dass Ruslan ein hervorragender Veranstalter war und über ein breites Netzwerk an Kontakten verfügte.

Doch Varvakis hatte auf etwas anderes angespielt: Ruslans Ruf als Mitglied des „Bundes der Rettung“, der geheimen Befreiungsbewegung. Manchen Menschen, die nicht länger in Kuban bleiben konnten, half er hinauszukommen. Menschen wie Fürst Dimitri Petrowitschs Schwester Anna-Maria, die vor einer ungewollten Heirat geflohen war, oder seinen Freunden Nikolay, den man wegen Landesverrats vor Gericht gestellt und für schuldig erklärt hätte, oder Illarion, der mit einem Gedicht Majestätsbeleidigung begangen hatte. Ruslan war unter denjenigen bekannt, die einer Gefahr ausgesetzt waren.

Und nun würde er der Frau im Obergeschoss helfen. Sie war eine Vertriebene, zukünftige Zarin und Tochter des Mannes, bei dem seine Familie in Ungnade gefallen war, nachdem sie dem Thron über Generationen hinweg treu gedient hatte. Dascha Tukhaschewskenowa führte ein Leben der Extreme. Sie war eine Frau mit und ohne Land, mit und ohne Geschichte und mit und ohne Macht. Davon konnte Ruslan selbst ein Lied singen. Auch er war ein Fürst ohne Land. Er hatte sich dafür entschieden zu verschwinden und hatte damit seinen Anspruch auf alles, was er kannte – und vor allem auf alles, was er hatte –, aufgegeben. Der einzige Unterschied zwischen ihm und der Prinzessin bestand darin, dass er sich erinnern konnte.

Ruslan ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas kreisen und beobachtete den Wirbel, der sich in der Mitte bildete. „Kann sie sich an gar nichts erinnern?“ Diese Frage hatte er ihr nicht stellen wollen. Sie war ihm zu persönlich erschienen, doch er musste es wissen, um sein weiteres Vorgehen danach auszurichten. Es würde sich als recht schwierig erweisen, andere Helfer für eine Frau in diesem Zustand zu gewinnen.

„Nichts Erwähnenswertes“, gab Varvakis zu. „Sie erinnert sich nur an Bruchstücke. Sie träumt vom Feuer. Deswegen hat sie Albträume, doch sie erinnert sich an nichts Entscheidendes.“

„Außer an das, was Sie ihr erzählt haben?“, fragte Ruslan ein wenig spitz. Das war ein interessanter Punkt. Ihre Erinnerungen würden auf Varvakis’ Erzählungen basieren. Auf ihn ging all das zurück, was sie für wahr hielt. Ein lateinischer Ausdruck von John Locke kam Ruslan in den Sinn: tabula rasa. In den falschen Händen konnte ein unbeschriebenes Blatt eine gefährliche und mächtige Waffe sein. Die Prinzessin würde glauben, was man ihr erzählte. Ihr blieb keine andere Wahl. Sie konnte die Informationen nicht überprüfen. Es wäre sehr wichtig, sich mit Nikolay zu treffen und herauszufinden, ob Varvakis vertrauenswürdig war. Ruslan spürte bereits, dass der Hauptmann seine eigenen Pläne verfolgte.

„Ich denke, in Bezug auf ihre Sicherheit“, fuhr Ruslan fort, „haben wir zwei Möglichkeiten. Einerseits müssen wir damit rechnen, dass die Rebellen ihre Flucht bemerkt haben und ihr nach London gefolgt sind, um sie umzubringen. Das würde bedeuten, wir müssten sie versteckt halten. Andererseits können wir auch davon ausgehen, dass die Rebellen uns hier nichts anhaben können. Wir könnten die Prinzessin in die Gesellschaft einführen und um Unterstützung für ihre Sache werben. Wir schützen sie, indem wir ein Netzwerk im Ausland aufbauen, das ihr nach ihrer Rückkehr helfen wird, ihren Anspruch auf den Thron durchzusetzen.“

„Oder wir tun beides“, sprach Ruslan weiter. Beide Möglichkeiten spielten Varvakis in die Hände: Sie würden wieder eine Tukhaschewsken auf den Thron setzen, nur diesmal eine, die für Modernisierung und Reform stand. Es spielte kaum eine Rolle, welche politischen Überzeugungen Dascha vertrat. Sie erinnerte sich nicht. Varvakis hätte die Macht, ihre Überzeugungen so zu formen, dass das Land sie akzeptieren würde. Ruslan setzte ein nichtssagendes Lächeln auf und schaute den Hauptmann über den Rand seines Glases hinweg an, ohne seine Bedenken preiszugeben. „Wann wollen Sie zurückkehren?“

„Das hängt davon ab, welche Nachrichten wir über die Revolution erhalten“, antwortete Kapitan Varvakis. „Eine Königin muss stets bereit sein, ihrem Land zu dienen.“ Oder denjenigen, die sie kontrollieren, dachte Ruslan spöttisch. Er bemitleidete die Frau, die oben badete. Wusste sie, dass sie für Varvakis ein Artefakt war, das es zu beschützen galt, bis es ausgestellt wurde? Teilte sie seine Ansichten? Das wollte Ruslan als Nächstes herausfinden. Er wollte keine Restauration unterstützen, die nicht von der Monarchin selbst angestrebt wurde. Auch hatte er kein Interesse daran, einer Monarchin mit falschen Versprechungen zu helfen, nur um einer Tukhaschewsken wieder zur Macht zu verhelfen. Die Menschen in Kuban hatten sich erhoben, um eine neue Ära einzuleiten. Er würde diese Bemühungen nicht zunichtemachen. Seine Familie und er waren dafür eingetreten, die Entwicklung des Landes in diese Richtung zu lenken, und sie hatten dafür Opfer gebracht.

Ruslan strich sich mit einer Hand durchs zerzauste Haar. Diese Nacht hatte er genug Geschäfte im Pyjama gemacht. Es war an der Zeit, sich anzuziehen. Da es ohnehin ein langer Tag werden würde, konnte er auch das meiste aus ihm herausholen.

Drei Stunden später saß er gewaschen und angezogen im Salon und wartete auf die Prinzessin. Er hatte sie für zehn Uhr nach unten bestellt. Als die Uhr auf dem Kaminsims gerade zur vollen Stunde schlug, hörte er ein Rascheln am Eingang. Er blickte auf und ihm stockte der Atem. Die Frau im Türrahmen hatte nichts mit dem zerlumpten Mädchen gemein, dem er vor wenigen Stunden begegnet war. Das Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengebunden, wodurch ihr schlanker, langer Hals zur Geltung kam. Ein paar lose Locken umrahmten ihr Gesicht und ließen ihren markanten, herzförmigen Kiefer und ihr Kinn weicher wirken. Das rosafarbene Kleid brachte ihre Haut zum Strahlen, und Ruslan konnte den Blick nicht von der einfachen Perlenkette an ihrem Hals abwenden. Kurz und gut, Dascha Tukhaschewskenowa sah umwerfend aus.

„Eure Hoheit.“ Ruslan verneigte sich von seinem Platz vor dem Kaminsims aus, Kapitan Varvakis hingegen ging auf sie zu und bot ihr höflich die Hand an.

„Haben Sie beide über mein Schicksal entschieden?“, fragte sie in neckischem, leicht angriffslustigem Ton und ging weiter, ohne auf Varvakis’ Hand zu achten. Ruslan unterdrückte ein Lächeln. Die Prinzessin hatte vielleicht ihr Gedächtnis verloren, doch sie wusste genau, wie man sich am Hof zu verhalten hatte, wo man auf jedes Wort und jede Geste achten musste. Das gab ihm Hoffnung. Vielleicht war die Prinzessin nicht so leicht zu formen, wie Varvakis glaubte.

„Es würde mir nicht in den Sinn kommen, irgendetwas für Sie zu entscheiden, Eure Hoheit.“ Ruslan machte eine kleine, respektvolle Verbeugung. „Doch ich habe einen Arzt rufen lassen, der diskret ist und ein Experte für Gedächtnisverlust. Möchten Sie vielleicht an der frischen Luft im Rosengarten spazieren, während wir warten?“ Er deutete auf die breiten Fenstertüren, die in seinen geliebten Garten führten. In der Stadt waren Häuser mit Garten sehr rar. Er hatte Glück gehabt, eines gefunden zu haben.

„Das wäre schön.“ Die Prinzessin warf ihm einen abwägenden Blick zu, als wüsste sie, dass hinter seinem Angebot etwas anderes steckte und er dennoch bereit wäre, das Risiko einzugehen. Ruslan fragte sich, welche Gegenleistung sie von ihm erwartete. Vielleicht wollte sie ihn ebenfalls besser kennenlernen, ohne von Varvakis gestört zu werden.

Der Himmel war von Wolken überzogen, als sie über den gepflasterten Weg durch Ruslans Rosensammlung spazierten. Sie plauderten, während er ihr jede Rosenart vorstellte. „Diese habe ich von einer Lady Burton, einer Züchterin aus Richmond. Wegen ihres einzigartigen weißen Farbtons nenne ich sie die Debütantin. Aber die hier habe ich selbst gezüchtet.“ Ruslan blieb bei einer elfenbeinfarbenen Rose mit rosafarbenen Blütenrändern stehen.

„Sie ist schön. Hat sie einen Namen?“ Dascha beugte sich vor, um an der Blume zu riechen, die Augen geschlossen, die langen Wimpern gesenkt. Wäre er ein Maler gewesen, hätte er das Bild anmutiger Schönheit einfangen wollen, das sie in diesem Moment verkörperte. Eine Künstlerin wie Illarions Frau Dove würde sich an dem rosa Farbton ihres Kleides und der Blume erfreuen. Doch er war kein Künstler. Er war ein Denker, jemand, der Dinge in die Wege leitete.

„Noch nicht.“ Er suchte ihren Blick, als sie sich aufrichtete. „Vielleicht sollte ich sie Dascha oder Prinzessin nennen. Ihre Schönheit stimmt mit Ihrer überein.“

Dascha lachte. „Das klingt gut, Fürst Pisarew, aber ich glaube nicht, dass Sie mit mir an die frische Luft gegangen sind, um mit mir zu kokettieren.“ Wahrscheinlich hätte er das unter anderen Umständen sogar getan, wenn nicht so viel auf dem Spiel gestanden hätte und sie einfach nur eine schöne Londoner Debütantin gewesen wäre. Sie entsprach genau der Art Frau, die ihm gefiel: hübsch und erfrischend, aber nicht geistlos. Solche Charakterzüge waren in der höheren Gesellschaft und auch sonst schwer zu finden. Als enger Vertrauter des Zaren hatte Ruslan seine Tage am Hof damit verbracht, die Frauen von Botschaftern und Generälen zu unterhalten. Er wusste, wie selten eine Frau wie sie war.

Ruslan lachte verhalten. „Ich glaube auch nicht, dass Sie mit mir nach draußen gekommen sind, um zu kokettieren. Also warum legen wir die Karten nicht auf den Tisch? Warum sind Sie mit mir nach draußen gekommen?“

Sie spazierten weiter. Sie hatte seinen Arm ergriffen, um nach außen den Eindruck zu erwecken, dass nichts Bedeutendes vor sich ging. Es war eine Taktik, die er häufig genutzt hatte, um jenen Diplomatenfrauen das ein oder andere Geheimnis zu entlocken. Am Hof konnte man sich nie sicher sein, wer gerade zuhörte.

Die Prinzessin verschwendete keine Zeit und kam direkt auf den Punkt. „Kennen Sie mich?“ Auf ihre unverblümte Ehrlichkeit war Ruslan nicht gefasst gewesen. Er hatte Fragen zu seinen Plänen und vielleicht zu seinen Referenzen erwartet. Er bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Sie würde kein Mitleid von ihm wollen, obwohl er ihr gern sein Mitgefühl ausgedrückt hätte. Seit sie in seine Arme gefallen war, ging ihr Schicksal ihm zu Herzen, auch wenn er nicht gerade objektiv war und gut daran getan hätte, nicht rührselig zu werden. Dennoch war er nicht herzlos und konnte durchaus nachempfinden, wie schlimm es sein musste, nicht zu wissen, wer man war. Er bewunderte, wie viel Selbstvertrauen sie in dieser misslichen Lage aufbrachte, was bewies, dass die Prinzessin sich doch irgendwie kannte – auf einer natürlichen, gefühlsmäßigen Ebene.

„Nein, leider nicht.“ Ruslan sagte ihr die Wahrheit, auch wenn es nicht die Antwort war, die sie sich erhofft hatte. Mit seiner Hand bedeckte er ihre, die auf seinem Arm lag. „Ich kannte Ihre Brüder: Peter, Grigori und Wassili. Wir sind zusammen aufgewachsen.“ Er machte eine Pause. Beim Gedanken an ihren Tod hätten ihn die Gefühle, die sich schon seit dem Morgen in ihm aufstauten, beinahe überwältigt. „Mein herzliches Beileid für Ihren Verlust.“

„Verzeihen Sie, aber ich bin Ihnen gegenüber im Nachteil.“ Sie hielt inne und drehte sich zu ihm um. In ihrem Blick lag Trauer, doch eine andere Art von Trauer, als er erwartet hätte. Sie war hin- und hergerissen. „Anscheinend wissen Sie mehr über meine Familie als ich. Ich weiß nicht, ob sie gut oder böse war, freundlich oder grausam, aber ich weiß, dass niemand es verdient hat, so zu sterben. Verstehen Sie nicht, Fürst Pisarew? Ich kann nicht richtig um sie trauern, solange meine Erinnerungen nicht zurückkommen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Würden Sie mich für feige halten, wenn ich Ihnen sage, dass es ein Segen ist, sich nicht zu erinnern? Vielleicht bleibt mir der Schmerz über den Verlust so erspart.“

Sie sah über seine Schulter hinweg, Enttäuschung spiegelte sich in ihren Augen. „Ich hatte gehofft, Sie würden mich kennen.“

„Ich war zu alt, um Sie zu kennen. Sie waren erst zehn, als ich mit Ihren Brüdern am Hof verkehrte, und noch jünger während unserer Zeit im Palast.“ Selbst in diesem Alter war er für die Unterhaltung der Jungen zuständig gewesen und hatte sich jeden Tag neue Abenteuer für sie ausgedacht. Das waren goldene Zeiten gewesen, er war im Palast aufgewachsen und seine Familie hatte hoch in der Gunst des Zaren gestanden. Noch schöner war die Zeit gewesen, als er voller Ambitionen von der Universität nach Hause kam, bevor seine Familie in Ungnade gefallen war. Damals war sie zu jung und zu behütet gewesen, um davon zu erfahren. „Abgesehen davon“, fügte Ruslan hinzu, „wurden Sie traditionell und fernab von allem erzogen.“ So erging es allen adligen Mädchen in Kuban. Sie wuchsen so abgeschieden auf, dass es an Unterdrückung grenzte. Es war einer der größten Streitpunkte, weshalb seine Freunde Nikolay und Illarion aus Kuban verbannt worden waren und sein Vater ins Gefängnis gesperrt worden war. Mittlerweile war es einer der größten Beweggründe für die Revolution.

„Kein Wunder, dass ich Sie nicht wiedererkenne.“ In seinem Gedächtnis suchte er nach einer Erinnerung an sie, bis ihm etwas einfiel. „Aber ich erinnere mich an ein Weihnachten. Sie waren vielleicht sieben. Wir hatten Ferien von der Universität und es hatte geschneit. Am Weihnachtsabend veranstalteten wir eine Schneeballschlacht, bei der Sie, Grigori und Wassili gegen mich und Peter kämpften. Sie hatten blaue Schleifen in Ihrem Haar.“ Bei der Erinnerung lächelte er. „In Kuban fällt der beste Schnee, nicht so ein Schneeregen wie hier in England.“

„Das klingt wunderschön – wie etwas, an das ich mich gern erinnern würde.“ Dascha wandte den Blick ab und sah sich bekümmert um.

Sofort wollte Ruslan sie trösten. Es fiel ihm leicht, Trost zu spenden. Im Laufe der Jahre hatte er immer wieder Menschen in scheinbar hoffnungslosen Situationen ermutigt. „Es ist nur ein paar Wochen her. So etwas braucht Zeit. Manchmal besteht das beste Gegenmittel darin, es nicht zu sehr zu wollen. Dann passiert es vielleicht von ganz allein.“

„Sie sind sehr liebenswürdig“, sagte sie und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Er hatte keine Lust, sie zu korrigieren, denn er war nicht liebenswürdig. Er machte lediglich seine Arbeit. Ja, sie war hübsch, doch im Grunde nur eine von vielen. In den vergangenen Jahren hatte er viele Menschen aus Kuban herausgeholt. Im Gegensatz zur Prinzessin hatten sie nicht hinein-, sondern hinausgewollt. Im Grunde war das der einzige Unterschied.

„Und Sie, Fürst Pisarew? Nun sind Sie an der Reihe. Warum wollten Sie allein mit mir sprechen?“

„Ich wollte Ihre Meinung zu Varvakis’ Plänen hören. Er möchte Sie wieder auf den Thron setzen. Das ist ein ehrgeiziges, wenn nicht sogar gefährliches Unterfangen, das ich ohne Ihre Zustimmung nicht unterstützen werde. Wollen Sie diesen Weg einschlagen?“

Sie hatten den äußeren Bereich des Gartens erreicht, wo ein Zaun sein Haus von einer Allee trennte. Sie blieb stehen, um mit dem Efeu, das das Holz überwucherte, zu spielen. „Das sollte ich wohl, oder? Eine Prinzessin sollte in ihre Heimat zurückkehren wollen, ich sollte die Menschen von meinem Anliegen überzeugen wollen, wieder den Thron einzunehmen. Vielleicht sollte ich sogar meine Familie rächen wollen.“

„Aber so ist es nicht?“ Jetzt kamen sie zum Kern der Sache. Es ging nicht nur um ihre Angst, sondern auch um ihre Zweifel an den eigenen Fähigkeiten.

„Nein. Jetzt gerade erscheint es mir sehr reizvoll, dass mich niemand kennt. Ich möchte lieber unscheinbar bleiben, als an einem Ort zu leben, wo mich die Leute aus dem Haus zerren wollen, um zu Ende zu bringen, was sie angefangen haben, anstatt mit mir zu verhandeln, nur weil mein Vater eine bestimmte Politik verfolgte.“ Sie machte eine Pause und sah ihn nachdenklich an. „Was für eine Prinzessin will nicht in ihrem Land herrschen? Was für eine Prinzessin zieht es vor, unbekannt zu bleiben?“

Aufmerksam musterte Ruslan die Frau neben sich. Sie hatte ihn erschüttern wollen, wie der herausfordernde Ausdruck in ihren Augen bezeugte, und es war ihr gelungen. Wenn sie an ihrer Befähigung zweifelte, würden andere es ebenfalls tun. Zunächst einmal mussten ihre Vorbehalte heruntergespielt oder – besser noch – entkräftet werden.

„Haben Sie mit Kapitan Varvakis über Ihre Bedenken gesprochen?“, fragte Ruslan ruhig, fasziniert von dieser neuen Enthüllung. Anscheinend war Varvakis nicht nur überzeugter als die Prinzessin von dem Vorhaben, den Thron zurückzuerobern, sondern fühlte sich auch der Idee mehr verpflichtet.

Die Flügeltüren wurden geöffnet, und Kapitan Varvakis eilte auf sie zu. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit allein, doch Ruslan wollte ihr noch etwas sagen. „Der Arzt ist eingetroffen, Fürst Pisarew. Sie müssen sofort kommen. Der Butler weiß nicht, wohin er ihn führen soll.“

Ruslan nickte langsam, um zu erkennen zu geben, dass er sich vom Eintreffen des Arztes nicht so aus der Ruhe bringen lassen würde wie Varvakis. „Kapitan, wir sind hier fast fertig. Würde es Ihnen etwas ausmachen, schon einmal vorzugehen und Thomas auszurichten, dass er den Arzt in mein Arbeitszimmer bringen soll?“ Es war eine meisterhafte Zurechtweisung, doch Kapitan Varvakis war es sicherlich gewohnt, dass seine Vorgesetzten so mit ihm sprachen.

Dascha lächelte, als der Hauptmann wieder davoneilte. „Warum haben Sie das getan?“

„Weil ich Ihnen noch etwas sagen möchte – nur Ihnen, Dascha.“ Ihre Blicke verschränkten sich für einige Sekunden, lange genug, damit es still zwischen ihnen werden und sie das Gewicht seiner Worte erkennen konnte. Über Herrscher und deren politische Ambitionen zu sprechen war eine todernste Angelegenheit. „Ich bin Ihr Verbündeter, egal, ob Sie wieder auf den Thron wollen oder nicht. Ich möchte, dass Sie die Sicherheit dieses Hauses so für sich nutzen, wie Sie es wünschen. Wenn Sie sich verstecken und Ihr Gedächtnis wiedererlangen oder wenn Sie sich unter einem anderen Namen ein neues Leben aufbauen und alle Brücken hinter sich abbrechen möchten, werde ich Ihnen nach Möglichkeit dabei helfen. Wenn Sie versuchen wollen, wieder auf den Thron zu kommen, um Kuban zu modernisieren und die veralteten Gesetze abzuschaffen, werde ich das ebenfalls unterstützen. Doch ich werde Sie nicht in die eine oder andere Richtung drängen. Niemand außer Ihnen kann entscheiden, was als Nächstes passieren soll.“ Dieselben Worte hatte er schon zu anderen gesprochen, die heimatlos geworden waren und niemanden hatten, an den sie sich hätten wenden können – wenn sie alle auch niedrigeren Ranges gewesen waren. Nie zuvor hatte es sich bei einem seiner Schutzbefohlenen um ein Mitglied der Königsfamilie gehandelt. „Bei mir sind Sie sicher. Ich bin für Sie da.“ Seine Ehre und seine Objektivität verlangten nichts anderes von ihm.

„Wer auch immer ich bin.“

„Ja, wer auch immer Sie sind, Prinzessin.“ Mit einem aufmunternden Lächeln beendete er das Gespräch. „Aber jetzt lassen Sie sich erst einmal vom Arzt untersuchen.“ Er hatte den besten für sie holen lassen und war zuversichtlich, dass sie in guten Händen sein würde. Nun brauchte er Zeit, um nachzudenken, bevor er wieder mit Varvakis zusammentraf. Die Revolution konnte auch ohne die Prinzessin Erfolg haben oder scheitern, insbesondere wenn niemand wusste, dass sie lebte. Er würde jedenfalls nicht sein Leben aufs Spiel setzen, um die Angelegenheit unnötigerweise voranzutreiben, und er würde auch sonst niemanden dazu anhalten – am wenigsten eine Frau, die sich nicht für solche Machenschaften interessierte.

Ein einziges Wort von dir, ein bisschen Überzeugungskraft könnten das ändern. Durch dich könnte sie die Möglichkeiten erkennen, die ihre gegenwärtige Situation bot, flüsterte eine verführerische Stimme in seinem Kopf und begann, seine Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Du könntest es tun, hast es schon einmal getan. Du hast Männer und Frauen schon so oft von deinem Standpunkt überzeugt – insbesondere Frauen. Denk daran, wie du sie verführt hast …

Ja, verdammt, er erinnerte sich. Einst war er stolz darauf gewesen. Wenn der Zar gewollt hatte, dass ein Diplomat seine Meinung über eine Handelsvereinbarung oder eine Ausfuhrsteuer änderte, hatte er Ruslan angewiesen, mit dessen Frau zu „sprechen“. „Bettgeflüster“ hatte er es genannt. Auf diese Weise hatte Ruslan Kuban und seinem Zaren gedient, doch das alles war bedeutungslos gewesen, als sein Vater in Ungnade gefallen war. So war es nun einmal in Kuban. Wenn sich ein Familienmitglied als illoyal erwies, wurde die gesamte Familie mit ihm über einen Kamm geschert.

Du würdest Kuban einen Dienst erweisen, wenn du sie überzeugst. Varvakis hat recht. Sie wird gebraucht. Sie kann die Kluft im Land überbrücken.

Sein Gewissen gab ihm keine Ruhe.

Das war die größere Versuchung, denn der Zweck heiligte nicht unbedingt die Mittel. Dascha von ihrer Rückkehr nach Kuban zu überzeugen lag im Interesse des Landes. So betrachtet konnte er auch die Vorteile übersehen, die er selbst daraus ziehen würde. Vielleicht war es eine Möglichkeit, die Ehre seiner Familie wiederherzustellen, doch dieser persönliche Nutzen konnte auch glücklicher Zufall sein. Er hatte Dascha zwar gesagt, dass er ihr die Entscheidung überließ, aber das hieß nicht, dass er nicht versuchen konnte, ihre Entscheidung zu beeinflussen. Würde sie es überhaupt bemerken, wenn er Einfluss auf sie nahm?

3. KAPITEL

Fürst Pisarew nannte es ein gemütliches Abendessen. Für Dascha war es ein Kriegsrat. Von ihrem Platz am Kamin aus musterte sie argwöhnisch die Gäste im Salon. Den ganzen Tag hatte sie keine einfachen Begegnungen gehabt, zuerst mit dem Fürsten im Garten, dann mit dem Arzt und jetzt diese Versammlung. Anwesend waren ein russischer Diplomat namens Alexei Grigorjew, Konsul von Sankt Petersburg, ein russischer Offizier namens General Wassiljew, ebenfalls aus Sankt Petersburg, und drei Fürsten aus Kuban. Abgesehen von Klara Grigorjewa Baklanowa war Dascha die einzige Frau – ein weiterer Beweis dafür, dass dies keine gewöhnliche Abendgesellschaft war.

Ihr Platz war am unteren Ende des Tisches. Zu ihrer Linken saß der grüblerische Fürst Stepan Schewtschenko, zu ihrer Rechten der Fürst Nikolay Baklanow und neben ihm seine Frau. Fürst Pisarew hatte mit Seiner Exzellenz Alexei Grigorjew am oberen Ende des Tisches Platz genommen. Dazwischen befanden sich General Wassiljew und Kapitan Varvakis. Das Abendessen stand ganz im Zeichen der kubanschen Küche: ein Borschtsch mit saurer Sahne, gefolgt von Rindfleisch und kleinen Kartoffeln, begleitet von Weinen aus Jekaterinodar – eines der wenigen Gebiete in Russland, in denen Wein angebaut werden konnte.

Am anderen Ende des Tisches hob Fürst Pisarew sein Glas. „Ein Toast auf unseren reizenden Gast, Prinzessin Dascha Tukhaschewskenowa. Auf Ihre sichere Überfahrt und glücklichere Tage. Na Zdorovie!“ Der Fürst trank auf ihr Wohl, als wäre sie ein Ehrengast auf Staatsbesuch und nicht eine gestürzte Vertriebene.

Die Menschen rund um Dascha wiederholten höflich den Trinkspruch. Sie lächelte dankend und anmutig, als hätte sie ein Recht auf das Märchen, das der Fürst soeben erzählt hatte. Dabei fragte sie sich die ganze Zeit, ob außer ihr noch jemand ihre Fähigkeit infrage stellte, den Thron zu beanspruchen. Wie viele von ihnen dachten darüber nach, ihr zu helfen, und wogen die möglichen Vorteile gegen die Risiken ab? Jeder hatte seinen Preis, und eine Prinzessin zu unterstützen, die ihr Gedächtnis verloren hatte, war keine kleine Sache. Das war das Schlimmste an ihrem Gedächtnisverlust. Wem vertraute sie? An wen konnte sie sich wenden?

Als die Stimmen um sie herum verstummten, erhob Dascha ihr Glas. „Auf unseren Gastgeber, Fürst Pisarew, dessen Gastfreundschaft keine Grenzen kennt.“ Der Fürst neigte leicht den Kopf und trank, den Blick unverwandt auf sie gerichtet. Bewertete er die Situation ebenfalls nach eigenen Interessen? Natürlich. Seine Fragen zuvor deuteten darauf hin, und er wäre ein Narr gewesen, wenn er es nicht getan hätte. Wenn sie sich dazu entscheiden sollte, nach Kuban zurückzugehen und ihr Erbe anzunehmen, wäre es gefährlich, sie zu unterstützen. Für ihn wäre es viel leichter, wenn sie sich dazu entschloss, unbekannt zu bleiben, und es wäre auch viel einfacher für sie.

Trotz seines Versprechens, ihr in jedem Fall zur Seite zu stehen, fragte sie sich, ob er versuchen würde, sie in ihrer Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Konnte sie sich seiner Neutralität sicher sein? Würden ihre Entscheidungen tatsächlich ihre eigenen sein? Ihr kam der Gedanke, dass sie von Fürst Pisarew abhängig war und ihm wahrscheinlich am wenigsten vertrauen durfte, weil er die größte Macht hatte. Sie war in seinem Haus und stand unter seinem Schutz und seiner Führung. Alles, was heute geschehen war, hatte er veranlasst: von ihrem Bad über ihre Kleidung bis zum hervorragenden Arzt und dem Abendessen. All das hatte er für sie arrangiert. Zum Glück musste sie heute Abend nichts entscheiden. Doch dem Verlauf der Unterhaltung nach zu urteilen, sollte sie sich nicht allzu viel Zeit lassen.

„Wollen Sie damit etwa sagen, dass das Militär in Bezug auf die Rebellion gespalten ist?“ General Wassiljew bedachte Kapitan Varvakis mit einem kritischen Blick. „Wenn ja, dann ist es kein Wunder, dass die Königstreuen keine Chance hatten. Niemand kann ohne eine geschlossene Armee hinter sich herrschen.“

Kapitan Varvakis nickte zustimmend und erklärte: „Die adeligen Familien waren vielleicht am stärksten von der Heirats- und Berufspolitik des Zaren betroffen. Die jungen Adeligen entfernten sich immer mehr von ihm. Er hat sich selbst um seine Unterstützer gebracht, die jungen Adeligen und Offiziere in seiner Armee.“ Am Tisch nickten viele. Fürst Nikolay Baklanow und Fürst Stepan Schewtschenko kannten diese Männer nicht, doch vielleicht hatten sie denselben Grund für ihre Flucht gehabt wie die Rebellen für ihren Widerstand. Dascha sah Fürst Pisarew an. Warum hatte er sein Land verlassen?

Konsul Alexei Grigorjew starrte nachdenklich in sein Weinglas. „Wenn das so ist, wären die Menschen, die jetzt an der Macht sind, sicherlich nicht sehr erfreut über die Rückkehr eines Mitgliedes der Zarenfamilie. Sie dürften keinerlei Interesse daran haben, dass wieder alles so wird wie früher.“ Er hob den Blick und nickte entschuldigend. „Ich spreche ganz offen, Eure Hoheit, das ist alles. Ich möchte Euch nicht beleidigen.“

Dascha lächelte verständnisvoll. „Natürlich, das verstehe ich, Eure Exzellenz.“ Mit seiner Anrede hatte er ihr eine Gunst erwiesen und ihren Anspruch auf den Thron unterschwellig bestärkt. Wenn er sie als Thronfolgerin anerkannte, würden die anderen es ihm vielleicht gleichtun.

„Da liegen Sie falsch, Eure Exzellenz“, warf Kapitan Varvakis schnell ein. „Prinzessin Dascha ist der Mittelweg. Sie ist von königlicher Abstammung, und was die Rangfolge angeht, die natürliche Thronfolgerin. Außerdem ist sie jung und hat sich der Politik ihres Vaters genauso widersetzt wie die anderen jungen Adeligen im Königreich. Aufgrund ihrer Abstammung werden die Königstreuen sie als Herrscherin befürworten und anerkennen. Die Rebellen werden ihre Politik gutheißen.“

Dascha spannte sich an. War das ihre Politik? Wenn sie ehrlich war, wusste sie es nicht. Auch wenn sie es nicht gern sah, dass Varvakis oder sonst wer für sie sprach, konnte sie selbst nicht viel sagen. Wer war sie, woran glaubte sie und woran nicht? Für eine zukünftige Herrscherin befand sie sich in einer brisanten Lage. Sie war ahnungslos und vollkommen auf Varvakis’ Aussagen über sie angewiesen. Es gefiel ihr nicht, so ungeschützt zu sein.

Fürst Pisarew sah sie wieder an, die Lippen zu einem kleinen Lächeln verzogen. Vielleicht erriet er ihr Dilemma, doch seine Frage war an Varvakis gerichtet. „Wie meinen Sie das? Wie hat sich die Prinzessin zur Wehr gesetzt?“ Ja, genau, wie? Was hatte sie getan? Das musste sie ebenfalls wissen, auch wenn es ihr missfiel, derart bedürftig zu sein. Dascha kämpfte gegen den Missmut an, der sie immer ergriff, wenn die Leere sie zu verschlucken drohte. Sie würde nicht zulassen, sich hilflos zu fühlen. Lieber wollte sie sich mit der Leere auseinandersetzen und sie füllen.

Kapitan Varvakis ging ohne Umschweife auf die Frage ein. „Vor einem Jahr wurde für sie eine Ehe mit einem wichtigen türkischen Verbündeten arrangiert, wodurch die Handelsrouten in den Dardanellen sichergestellt werden sollten. Die Prinzessin lehnte das vehement ab. Der Zar fürchtete, durch ihre Verweigerung auch außerhalb des Palasts Schwierigkeiten zu bekommen, da der Freitod von General Ustinows junger Frau noch nicht lange her war. Er ließ die Angelegenheit auf sich beruhen, doch ranghohe Aristokraten hatten bereits davon erfahren. Diese Leute werden sich daran erinnern, dass die Prinzessin auf ihrer Seite stand, und es für unwahrscheinlich halten, dass sie die Politik ihres Vaters fortsetzt.“

„Sie können sich an nichts davon erinnern, Prinzessin?“ Fürst Schewtschenko sah sie eindringlich mit seinen dunklen Augen an.

„Nein.“ Sie hielt inne, um die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu ziehen. Ehrlichkeit war der beste Weg – für sie selbst und die anderen. „Vielleicht werde ich mich nie an etwas erinnern können.“ Auf diese Möglichkeit musste sie sich vorbereiten. Das hatte ihr auch der Arzt am Morgen mitgeteilt. Gedächtnisverlust dauerte für gewöhnlich nicht lange an, doch ihr Zustand wurde nicht besser. Angesichts ihrer Antwort zog Fürst Schewtschenko eine dunkle Augenbraue hoch und sah sich am Tisch um. Einer nach dem anderen wandte den Blick ab und dachte im Stillen über die Enthüllung und ihre Konsequenzen nach. Alle außer Fürst Pisarew, der unbekümmert lächelte.

„Es ist viel zu früh für eine Entscheidung, und wir wissen noch nicht genug. Alles ist möglich. Vielleicht möchte die Prinzessin nicht zurückkehren. Ihre Erinnerungen können wiederkommen. Der Arzt hat ein paar Gedächtnishilfen vorgeschlagen. Wir stehen nicht ohne Mittel und Möglichkeiten da.“ Die Worte des Fürsten hatten etwas Tröstendes und erinnerten sie daran, was er zuvor gesagt hatte: Dass sie nicht allein war, ganz gleich, wie sie sich entschied.

Die Versammelten rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her und fühlten sich in ihrer Anwesenheit offenbar befangen. Das war ihr Zeichen, zu gehen. Sie wollten unter sich sprechen. Dascha erhob sich. „Prinzessin Baklanowa, möchten Sie mich in den Salon begleiten? Dann können sich die Herren ihrem Portwein zuwenden.“ Und ihrem Gerede. Sie wusste nur allzu gut, dass sie das Gesprächsthema Nummer eins sein würde und dass nur Varvakis und Fürst Pisarew sie verteidigen würden. Die anderen würden wahrscheinlich gnadenlos mit ihr ins Gericht gehen.

An Schlaf war nicht zu denken. Die Gäste hatten sich schon lange mit höflichen Floskeln und skeptischen Blicken verabschiedet, doch Dascha war immer noch hellwach. Zumindest würde sie so nicht träumen. Dafür konnte sie dankbar sein. Mit der Lampe in der Hand ging sie zur Bibliothek. Sie traute sich nicht, noch mehr Milch mit Brandy zu trinken. Vielleicht würde ihr ein Buch helfen, um sich von diesem Tag abzulenken, der nicht so gut verlaufen war wie gewünscht.

Vielleicht war sie zu optimistisch gewesen. Sie hatte gehofft, dass Fürst Pisarew sie wiedererkennen und der Arzt sie auf magische Art und Weise heilen würde. Das war nicht geschehen.

Dascha fuhr mit der Hand über die neuen Buchrücken, die keine einzige Falte hatten. Alles in diesem Haus war neu. Das war ihr heute aufgefallen: die Teppiche mit den hellen Farbtönen, die noch nicht im Laufe der Generationen verblasst waren, und die Vorhänge mit ihren kräftigen Farben. Es war alles geschmackvoll und dezent, doch neu. Nichts deutete auf die aristokratische Atmosphäre des Alten und Überlieferten hin.

Dascha wählte ein russisches Märchenbuch, setzte sich auf das Sofa am Kamin und schlug es auf. Mit einem Finger strich sie über die Inhaltsangabe. Iwan und der Feuervogel, Väterchen Frost, Ruslan und Ljudmila … Bei diesem Titel hielt sie inne. Ruslan, der Ritter. Sie hatte ihn vergessen. Es war lange her, seit sie Märchen gelesen hatte. Vor mehreren Jahren hatte Puschkin ein Gedicht mit diesem Namen veröffentlicht. Sie blätterte bis zu der Seite und erinnerte sich nach und nach an die Geschichte: Die schöne Ljudmila wird an ihrem Hochzeitstag von zu Hause entführt, der edle Ritter Ruslan eilt ihr zu Hilfe und kämpft dabei gegen verschiedene Gegner, während die unwissende Ljudmila in einen Zauberschlaf versetzt wird. Dascha schaute ins Feuer. Sie hätte sich mehr für die Geschichte erwärmen können, wenn die Parallelen nicht so offensichtlich gewesen wären. Selbst der Name ihres eigenen edlen Ritters stimmte mit dem des Helden überein.

„Ah, Sie haben die Bibliothek entdeckt. Haben Sie etwas Gutes zum Lesen gefunden? Ich hatte noch keine Zeit, die Bücher durchzusehen.“

Dascha sprang auf und sah sich nach einer Waffe um. Ihr Blick blieb am Schüreisen hängen. Konnte sie es erreichen? Wie hatte sie so unvorsichtig sein und sich schutzlos aufs Sofa setzen können?

„Ich glaube nicht, dass Sie den Schürhaken rechtzeitig erreichen.“ Fürst Pisarew trat vor, in Hemd und Weste gekleidet. Seinen Frackrock und seine Krawatte hatte er abgelegt, sodass sein schlanker Körper unübersehbar war. Selbst in dieser Bekleidung machte er einen eleganten, mondänen Eindruck. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Er setzte sich auf den Sessel zu ihrer Linken, ein Glas in der Hand. Sie kam sich dumm vor und fühlte sich befangen. Für wen hatte sie ihn gehalten? Wer hätte es sein sollen außer Fürst Pisarew oder Kapitan Varvakis?

„Das war wohl eine alte Angewohnheit.“ Vielleicht. Woher sollte sie wissen, ob sie Menschen mit Schüreisen auf den Kopf geschlagen oder solche Mittel überhaupt nötig gehabt hatte. Sie schlang die leichte Decke enger um sich, die sie sich in ihrem Schlafgemach über die Schultern geworfen hatte. Plötzlich war ihr bewusst, wie wenig sie für eine mitternächtliche Begegnung mit einem Mann anhatte, auch wenn sie nicht geplant war.

„Es spricht nichts gegen alte Gewohnheiten.“ Ruslan lächelte und trank einen Schluck. „Können Sie nicht schlafen? Brauchen Sie etwas?“

„Nein.“ Dascha spielte mit dem Stoff ihres Nachtkleids.

„Ich muss zugeben, ich bin froh, dass Sie noch wach sind. Es gibt mehrere Dinge, über die ich gern mit Ihnen reden würde, wenn Sie dazu bereit sind.“

Sie nickte. Schlief dieser Mann denn nie? Es war nach Mitternacht. Seit ihrer schmachvollen Ankunft vor seiner Haustür waren fast vierundzwanzig Stunden vergangen, und er war immer noch auf den Beinen.

„Danke. Der Arzt meinte, es wäre gut, wenn Sie sich mit Dingen umgeben, die Sie an Ihr altes Leben erinnern, und wenn Sie sich wie eine Prinzessin benehmen. Ich habe ein paar Personen beauftragt, die Sie unterstützen sollen: einen Tanzlehrer, eine Schneiderin, einen Französischlehrer, da ja am kubanschen Hof jeder Französisch spricht, und eine Lehrerin für die Etikette. Zumindest kann Ihnen das auch dabei helfen, sich in der englischen Aristokratie wohler zu fühlen.“

„Und was versprechen Sie sich noch davon?“, fragte Dascha gereizt, denn ihr gefiel nicht sonderlich, in welche Richtung dieser Vorschlag ging und was er noch bedeuten konnte.

„Es könnte Ihr Gedächtnis anregen. Vielleicht stellen Sie fest, dass Sie bereits tanzen oder fließend Französisch sprechen können. Womöglich brauchen Sie nur das, um Ihre geistige Barriere zu durchbrechen.“

„Oder vielleicht brauchen Sie es, um andere von meiner Eignung als Thronfolgerin zu überzeugen.“ Glaubte er, dass sie so naiv war und sein Vorgehen nicht durchschauen würde? Er wollte sie ausbilden lassen. Wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, eine Prinzessin zu sein, sollte sie in eine verwandelt werden, um andere davon überzeugen, dass sie eine war. Die Möglichkeit, eine unbekannte Auswanderin zu werden, wäre damit verspielt. Die Londoner Gesellschaft würde eine Prinzessin aus Kuban mit einem Anrecht auf den Thron nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken lassen. Wenn sie unbekannt bleiben wollte, brauchte sie einen neuen Namen, eine neue Geschichte.

Dascha erhob sich und lief vor dem Feuer auf und ab, während ihre Gedanken rasten. „Also ist es schon entschieden, oder? Ich bin aus dem Raum gegangen und Ihr Kriegsrat hat beschlossen, dass ich zurückkehren soll, als wäre ich eine Schachfigur, die nichts zu sagen hat.“ Sie bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Ich hätte mehr von Ihnen erwartet, Fürst Pisarew. Sie haben mir ein Versprechen gegeben, nur um es wenige Stunden später zu brechen.“

Sein Versprechen gebrochen? Wie konnte sie es wagen, so etwas auch nur anzudeuten, insbesondere gegenüber ihm, einem Mann, der nichts als sein Wort hatte? Die Prinzessin ging einen Schritt zu weit, wenn sie jetzt seine Ehre anzweifelte, nach allem, was er heute für sie getan hatte, ohne Fragen zu stellen. Und es gab viele weitaus unangenehmere Fragen, die er ihr hätte stellen können. Ruslan kniff missbilligend die Augen zusammen und antwortete in kühlem Ton: „Nichts ist beschlossene Sache. Ich habe jedes Wort so gemeint. Ich werde Sie nicht zur Rückkehr zwingen. Doch wenn Sie sich dafür entscheiden sollten, werden Sie bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse brauchen. Sie können alles lernen, woran Sie sich nicht erinnern können, doch das wird dauern, und wir wissen nicht, wie viel Zeit wir haben. Wir müssen jetzt anfangen. Wir müssen vorbereitet sein.“

„Wir?“, fragte Dascha ungehalten. „Soweit ich weiß, gibt es nur mich. Nur eine Prinzessin.“

„Da liegen Sie falsch. Als Sie mein Haus betreten haben, wurde Ihre Lage zu meiner Angelegenheit. Ich dachte, das hätte ich klargestellt.“ Dascha war mutig, doch zugleich sehr verletzlich. Wenn jemand geschützt werden musste, dann sie– selbst vor denjenigen, die ihr helfen wollten. Das war beim Abendessen deutlich geworden, als Varvakis für ihre politischen Ansichten eingetreten war, weil sie es selbst nicht konnte. Danach hatten die Männer sie in ihrer Abwesenheit in der Luft zerrissen und Wörter wie „Puppenprinzessin“ benutzt. Alles deutete darauf hin, dass sie nur eine Marionette für diejenigen wäre, die die Staatsgeschäfte für sie leiten würden. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte eine solche Situation zu einem Duell geführt. Trotz der nötigen Objektivität hatte er etwas Ungestümes verspürt und sie beschützen wollen, als General Wassiljew die Risiken ausgeführt hatte, die mit einer Unterstützung einhergehen würden. Als mögliche Belohnung hatte er die Kontrolle über die königliche Provinz in Aussicht gestellt. Ruslan wäre am liebsten mit seinem Messer auf den Mann losgegangen, wenn es etwas gebracht hätte, doch trotz seiner Wut wollte er niemanden umbringen, nur weil er die Wahrheit sagte.

„Wenn wir in einem Boot sitzen, wie Sie andeuten, haben Sie das wenig beneidenswerte Vergnügen, mein Berater zu sein.“ Ihr Ton deutete darauf hin, dass sie mit seiner Antwort nicht zufrieden war. Ihre Augen funkelten, als sie die Arme vor der Brust verschränkte. Im Feuerschein war ihre schlanke Silhouette unter dem Nachtkleid zu erkennen. Ihre langen Beine verschwanden unter der dunklen Decke, die sie um sich geschlungen hatte, dennoch musste Ruslan daran denken, dass sie nackt unter ihrem Kleid war. Es wäre etwas leichter gewesen, ihr selbst ernannter Berater zu sein, wenn sie nicht ganz so anziehend gewesen wäre und etwas mehr Kleidung getragen hätte.

Ruslan schlug die Beine übereinander in dem Versuch, die Erregung zu unterbinden, die in ihm aufflammte. Politik einmal außen vor gelassen – Dascha war eine schöne Frau und er auch nur ein Mann. Unter anderen Umständen hätte er der aufkeimenden Anziehungskraft vielleicht nachgegeben, doch der Grund, der sie zusammengeführt hatte, war zu bedeutsam, als dass er sich eine Ablenkung davon hätte erlauben dürfen.

Dascha legte die Arme um ihren Körper, während alle Verärgerung aus ihr zu weichen schien. Ruslan erinnerte sich daran, dass sie allen Anlass hatte, wütend zu sein. Sie war nicht dumm. Sie wusste, was sich im Speisesaal in ihrer Abwesenheit ereignet hatte. „Ich weiß nicht, wer ich sein soll. Eine Prinzessin? Eine Vertriebene? Jemand ganz anderes?“ Die Verzweiflung in ihren Augen fesselte ihn.

Wider besseres Wissen stellte er sein Glas ab, ging zur ihr ans Feuer und umfasste ihre Unterarme. Er war ihr ganz nah, und seine Stimme war rau von der späten Stunde. „Nehmen Sie Ihre Situation wie einen Segen. Viele Menschen würden Sie um diese Entscheidung beneiden. Sie haben die Möglichkeit, Ihr Leben und sich selbst neu zu entwerfen. Sie können sein, wer auch immer Sie sein wollen – jemand ohne Geschichte, ohne Hintergrund oder Verbindungen in die Vergangenheit. Das kann ein Geschenk sein, Dascha. Ich werde Ihnen helfen, einen neuen Namen zu finden und sich ein neues Leben aufzubauen, wenn Sie das möchten.“ Ihr so nah zu sein löste alle möglichen widersprüchlichen Gefühle in ihm aus. Er handelte nur so, um sie zu ermutigen, oder zumindest sagte er sich das. Doch sein Körper hatte seine eigenen Vorstellungen, von denen keine einzige hilfreich war.

Ruslan benetzte seine Lippen. Sein Mund war plötzlich trocken, er nahm jedes Detail an ihr wahr. Sie duftete nach lieblichen Sommerrosen. Unter dem Nachtkleid war sie warm und nackt. Es waren alle Voraussetzungen für ein Desaster gegeben: die späte Uhrzeit, der lange Tag, eine schöne Frau in Not, die ihn mit smaragdgrünen Augen ansah, ihr Blick, der nach Erlösung und Erleichterung, nach Trost und Freundschaft verlangte. Sie musste es auch empfinden. Er spürte, wie sie ihm näher kam. Es war nur eine winzige Bewegung, aber sie reichte aus, um ihn zu warnen. Ihre Lippen öffneten sich leicht, doch unmissverständlich.

Seine Reflexe waren schneller. Er hauchte ihr einen unschuldigen Kuss auf die Stirn. „Sie hatten einen anstrengenden Tag, Eure Hoheit.“ Damit gab er ihre eine Entschuldigung für den nächsten Morgen, wenn sie sich daran erinnern würde, was sie getan und worum sie gebeten hatte. Angesichts der Umstände war es vollkommen verständlich. Sie war verwirrt und allein und suchte Trost, wo sie ihn finden konnte. Er selbst hatte keine Ausreden und musste der Versuchung für sie beide widerstehen. Ruslan entfernte sich von ihr. „Sie sollten noch etwas schlafen, Prinzessin. Morgen beginnt der Unterricht.“

4. KAPITEL

Sie hätte ihn beinahe geküsst! Dascha konnte an nichts anderes denken, als sie mit der Schneiderin die Stoffe im Empfangszimmer durchsah. Madame Delphine war seit zehn Uhr da und versuchte sie geduldig von Stoffen und Schnittmustern zu überzeugen, doch Dascha hatte Schwierigkeiten, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf jenen Moment gestern Nacht: seine Hände auf ihren Armen, ihre Gesichter vor dem Feuer nah beieinander, seine Stimme tief und einfühlsam. Sie waren sich sehr nah gewesen. Es hätte nicht viel gefehlt. Sie hatte den Kopf geneigt – eine kleine, kaum wahrnehmbare Geste, um einen Kuss zu erhaschen.

Dascha wusste, warum sie so gehandelt hatte. Es lag nur an den Umständen, nur daran, dass sie verzweifelt war. Sie hatte keine Verbindung zu sich selbst und suchte sie deshalb bei jemand anderem. Ruslan war da gewesen. Er hatte alles unter Kontrolle, war ein greifbares menschliches Bollwerk gegen das abstrakte Gefühl ihrer Verzweiflung. Er hatte ihr angeboten, sie in jeder Hinsicht zu unterstützen. Konnte sie ihm trauen? Das Angebot war zu gut, um wahr zu sein. Welchen Vorteil würde der Fürst daraus ziehen, wenn sie nach Kuban zurückging? Irgendeinen Nutzen musste es für ihn geben. Warum sollte er sonst so viel Mühe auf sich nehmen und Privatlehrer für sie engagieren, ihr Unterkunft gewähren und für ihre Kleidung aufkommen? Wie würde der Fürst reagieren, wenn er von ihrer eigentlichen Angst erfuhr?

Und wenn ihre Zweifel an ihrer Fähigkeit zu herrschen und ihr Gedächtnisverlust daher rührten, dass sie in Wahrheit gar keine Prinzessin war? Eine echte Prinzessin würde bestimmt nicht lange zögern und in ihr Land zurückkehren wollen. Doch sie war von Zweifeln zerfressen. Aber wer war sie, wenn nicht Dascha?

„Eure Hoheit, haben Sie sich entschieden?“ Erwartungsvoll stand Madame Delphine neben ihr. Dascha überflog die Seite in dem Musterbuch, das aufgeblättert vor ihr auf dem Tisch lag, und zeigte aufs Geratewohl auf ein Schnittmuster. Madame Delphine nickte anerkennend. „Eine hervorragende Wahl. Das Kleid ist einfach, aber mit den richtigen Stoffen kann es sehr elegant sein. Sie haben einen guten Blick.“ Sie deutete auf die Stoffe, die über den Sesseln und Sofas lagen. „Sie können aus verschiedenen Stoffen wählen. Vielleicht Seide. Hier ist ein schönes Aquamarin für dieses Kleid.“ Madame Delphine gab ihr ein Probemuster.

Dascha fuhr mit der Hand über den Stoff und rieb ihn zwischen den Fingern. Sie hielt ihn gegen das Licht und überprüfte den Glanz. „Haben Sie vielleicht etwas Feineres?“ Dies war keine hochwertige Seide. Sie wusste einfach, dass eine Prinzessin, die etwas auf sich hielt, so etwas nicht tragen würde.

Die Schneiderin lächelte wissend und ging zu einer verschlossenen Truhe. „Ich glaube, ich habe da etwas, das Ihnen gefallen könnte. Es ist gerade aus Indien eingetroffen.“ In der Truhe lagen edle Seidenballen in verschiedenen Farben.

Ja, das war schon eher nach ihrem Geschmack. Dascha strich mit geschlossenen Augen über den ersten Stoff. Gute Seide verursacht ein bestimmtes Geräusch. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass sie etwas Elegantes getragen hatte. Nach Wochen der Entbehrung, in denen sie häufig schmutzige Kleider angehabt hatte, erfreute sie sich an dem bisschen Luxus. Doch auf die Wonne folgte die Schuld. Schöne Kleider kamen ihr nun so unbedeutend vor und waren ein Almosen. Ihre Familie war tot. Sie hatte kein eigenes Geld. Sie besaß nichts. Als Dascha die Seide beiseitelegte, sah Madame Delphine sie besorgt an.

„Stimmt etwas nicht, Eure Hoheit?“

Dascha lächelte sie beschwichtigend an. „Die Seide ist sehr edel, aber zu teuer. Vielleicht würde es auch Musselin tun. Haben Sie etwas davon?“

„Der Fürst hat die klare Anweisung gegeben, dass Geld keine Rolle spielt“, erwiderte Madame Delphine und klang dabei herrischer als eine Königin. „Sie sollen vollständig ausgestattet werden. Unterwäsche, Nachtkleider, Tageskleider, Spazierkleider, Ensembles für Kutschenfahrten, Ballkleider, gefütterte Mäntel und alle nötigen Accessoires: Hauben, Handschuhe, Schuhe, Strümpfe.“ Sie schnalzte mit der Zunge und betrachtete Daschas Kleid, das sie von Nikolay Baklanows Frau geliehen hatte. „Keine Frau kann sie selbst sein, wenn sie in den Kleidern einer anderen herumläuft.“ Madame Delphine schnappte sich so resolut ein Maßband, als ob alles geklärt wäre. „Nun lassen Sie mich Ihre Maße nehmen, damit meine Mädchen mit Ihrer neuen Garderobe beginnen können.“

Das Einkleiden beanspruchte fast den ganzen Tag. Eine neue Garderobe aus dem Nichts zu erschaffen war eine langwierige Angelegenheit. Dascha schlug gerade erleichtert das letzte Musterbuch zu, als Ruslan in der Tür erschien. Er wollte offenbar aus dem Haus gehen und trug braun-gelbe Breeches und einen eleganten dunkelblauen Frackrock. Seine wilden Haare hatte er einigermäßen gebändigt. Obwohl der Tag schon fortgeschritten war, sah er blendend und frisch aus und verkörperte das genaue Gegenteil von dem, wie sie sich fühlte und wahrscheinlich aussah. Befangen strich sich Dascha eine lose Locke hinter das Ohr.

„Wie ich sehe, wurde mein Empfangszimmer in Beschlag genommen“, sagte Ruslan gedehnt und offensichtlich gut gelaunt. „Ich wollte nachsehen, wie es bei Ihnen vorangeht, und fragen, ob Sie Lust auf einen Spaziergang haben, Eure Hoheit. Es ist ein schöner Tag.“

Ein Spaziergang war eine wunderbare Idee, nachdem sie so viel Zeit im Haus verbracht hatte. Dascha lächelte. „Sehr gern. Ich mache mich nur schnell zurecht.“ Dann hielt sie inne und strich den Rock ihres geliehenen lavendelfarbenen Kleides glatt. „Ist mein Kleid schick genug?“

Madame Delphine war die Tüchtigkeit in Person. „Ich habe noch ein fertiges Spazierkleid von einer Bestellung übrig, die nicht abgeholt wurde. Das sollte Ihnen passen.“ Sie schnippte mit den Fingern. „Suzette, hilf Ihrer Hoheit beim Umziehen. Schnell, während Monsieur und ich draußen warten.“

In Windeseile zog ihr Suzette das neue Kleid an und setzte ihr einen gewagten Hut auf, der zu dem blauen Ensemble und den elfenbeinfarbenen Stiefeletten und Handschuhen passte. Ruslan wartete in der Empfangshalle auf sie, und Madame machte ein selbstzufriedenes Gesicht. „Da hat sich das Warten gelohnt. Sie sehen hinreißend aus.“ Ruslan bot Dascha seinen Arm an. Der blamable Moment von letzter Nacht ging ihr nicht aus dem Kopf, doch er schien keinen Gedanken mehr daran zu vergeuden. Dascha wünschte, sie wäre so selbstsicher wie er und könnte über ihren Fehltritt hinwegsehen. Doch sie konnte einfach nicht vergessen, dass sie ihn hatte küssen wollen und er sie zurückgewiesen hatte. Nun, im Grunde hatte er sich einfach zurückgezogen. Sie war sich nicht sicher, ob er einfach nicht interessiert war oder sich wie ein Gentleman verhalten hatte.

Die frische Luft war kühl. Der Herbst stand vor der Tür. Die Blätter der Bäume hatten sich schon leicht gelb gefärbt. „Es gibt einen Garten in der Mitte des Platzes. Um diese Tageszeit sollte man dort seine Ruhe haben.“ Ruslan führte Dascha über die Straße, half ihr, dem Kutschenverkehr auszuweichen, und öffnete das Tor mit einem kleinen Schlüssel aus seiner Tasche. Er lächelte sie freundlich an, während er sie in den Park geleitete.

„London ist eine geschäftige Stadt“, sagte Dascha leicht atemlos nach dem abenteuerlichen Überqueren der Straße. Der Garten hingegen war leer, und es war ganz still.

„Es dauert etwas, bis man sich daran gewöhnt hat.“ Ruslan schloss das Tor und ließ das geschäftige Treiben hinter sich. „Aber es ist eine aufregende Stadt mit vielen modernen Errungenschaften. Ich habe große Lust, sie Ihnen zu zeigen, sobald Sie dafür bereit sind. In Soho gibt es eine russische Gemeinde. Dort hat Fürst Baklanow seine Reitakademie.“ Seine Worte waren mit subtilen Andeutungen gespickt, von denen Dascha keine einzige entging. Wenn sie in London ausgehen wollte, musste sie eine Entscheidung treffen. Wie sollte Fürst Pisarew sie vorstellen? Wie würde sie London entdecken? Als Prinzessin Dascha, die häufig Botschafterbälle und Staatsempfänge besuchte? Oder als namenlose Frau, die sich irgendwo in Soho niederlassen und sich ein neues Leben fernab der Heimat aufbauen wollte? Niemand aus den gehobenen Kreisen des Fürsten würde eine längere Bekanntschaft mit einer unbedeutenden Frau in Betracht ziehen.

„Was denken Sie, wie viel Zeit ich habe?“, fragte Dascha geradeheraus.

Der Fürst antwortete prompt und ohne Umschweife. „Ich würde nicht lange warten. Wir könnten jederzeit eine Nachricht aus Kuban erhalten, obwohl ich damit erst in einem Monat rechnen würde. Doch wenn es so weit ist, wird Ihnen keine Zeit bleiben, sich lange vorzubereiten. Wir müssen dann sofort reagieren.“

Er verstummte, und sie schätzte die kleine Gesprächspause, um die Information in Ruhe zu verarbeiten. Doch es gab etwas, das er ihr nicht erzählte. Geduldig hielt er sich zurück, weil er vielleicht erkannte, dass ihre Situation beängstigend genug war – egal, für welchen Weg sie sich entschied. Sich neu zu erfinden bedeutete, sich selbst aufzugeben, nicht mehr nach Antworten zu suchen und nicht mehr zu hoffen, dass sie eines Tages aufwachen und sich erinnern würde. Dann wäre es besser, sich nie mehr zu erinnern. Wenn sie sich erinnerte, könnte sie feststellen, dass sie sich geirrt hatte. Was wäre, wenn sie eines Tages aufwachen und sicher wissen würde, dass sie Prinzessin Dascha war? Sie hätte die Gelegenheit vertan, ihr Land zu regieren, als es sie am meisten gebraucht hatte. Diese Schuld würde sie bis ans Ende ihres Lebens verfolgen. „Es ist unmöglich, diese Entscheidung zu treffen“, sagte Dascha. Sie hatten die hintere Ecke des Parks erreicht, wo eine Bank unter einem Baum stand.

Der Fürst setzte sich und wischte für sie die Blätter neben sich weg. „Nicht unmöglich, nur schwierig. Möchten Sie darüber reden?“

Warum sollte sie nicht mit ihm sprechen? Hatte er nicht ebenfalls beschlossen, sich ein neues Leben aufzubauen? „Wie haben Sie diese Entscheidung getroffen?“ Dascha setzte sich und rückte ihre Röcke zurecht. Es gab die eine oder andere Ähnlichkeit zwischen ihnen. Er war ein Fürst, ein ranghoher Mann mit Vermögen und Familie in Kuban. Er hatte ihre Brüder gekannt und der königlichen Familie nah gestanden. Von ihnen beiden wusste er mehr über ihr Leben als sie. Auch wusste er genau, welchen Preis sie für ein neues Leben zahlen müsste.

Ruslan schenkte ihr ein Lächeln, bei dem sich seine Oberlippe an der einen Seite verzog. Sie dachte viel zu viel an seinen Mund. Am besten sollte sie woanders hinsehen. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, sondern es einfach getan. Als es an der Zeit war, habe ich die Flucht nach vorn angetreten und nie zurückgeschaut. Meine Freunde brauchten mich, und ich glaube, ich brauchte sie mehr als Kuban.“ Für sie warf das eine Frage auf, die er vielleicht vorhergesehen hatte. Gab es etwas, das sie mehr brauchte als Kuban? Was war sie bereit aufzugeben?

Dascha beugte sich vor und konnte sich der Wirkung seiner Worte nicht entziehen. „Erzählen Sie es mir.“

5. KAPITEL

Ruslan spürte förmlich, wie sein Gesicht einen verschlossenen Ausdruck annahm. Ausgerechnet ihr sollte er es erzählen? Der Tochter des Mannes, der seinen Vater ins Gefängnis gesperrt und seine Freunde zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen hatte? Die Ironie entging ihm nicht. Doch er konnte Dascha nicht für ihre Verbindung zum Zaren hassen, ebenso wenig wie seine Kindheitsfreunde, die Söhne des Zaren. Zudem wollte er nicht außer Acht lassen, was seine Geschichte für Dascha bedeuten könnte. Sie würde ihre Entscheidung beeinflussen, je nachdem, wie er sie erzählte. Er könnte die Prinzessin zum Bleiben oder zur Rückkehr bewegen. Als Ehrenmann würde er keins von beidem tun. Er musste es ihr so neutral wie möglich erzählen. „Es könnte unangenehm werden, Eure Hoheit“, warnte er sie – für sie beide.

„Ich habe in letzter Zeit viele Unannehmlichkeiten erlebt“, erwiderte sie. Dann ging sie in die Offensive. „Sie haben versprochen, mir zu helfen, ganz gleich, wie ich mich entscheide. Wie soll ich eine fundierte Entscheidung treffen, wenn ich keine Informationen habe?“ Es war nicht fair, sein eigenes Wort gegen ihn zu verwenden. In diesem Moment erkannte er ihren eisernen Willen und ihre Stärke unter ihrer Schönheit und Jugend. Nur weil sie jung war, durfte er sie nicht für naiv halten.

Ruslan suchte ihren Blick und sah sie entschlossen und warnend an. „Es begann mit dem Versuch, Prinzessin Anna-Maria Petrowa aus dem Land zu schleusen. Wie Sie sollte sie zur Heirat gezwungen werden, aber daraus entwickelte sich sehr viel mehr.“ Am Ende hatte er so viele Menschen wie nie zuvor außer Landes geschafft. Darunter alle, die ihm wichtig waren und die er liebte. Allein dadurch war das Risiko enorm hoch gewesen. „Wir vier, die beiden Fürsten, die Sie gestern Abend kennengelernt haben, und Illarion Kutejnikow, der gerade auf Hochzeitsreise ist, und ich waren Freunde, seit wir zehn waren und zusammen zur Schule gingen. Seitdem kann ich mich nicht an eine Zeit erinnern, in der wir vier nicht zusammen waren. Als wir älter wurden und unsere Stellungen am Hof einnahmen, äußerten sich Nikolay und Illarion regelmäßig kritisch gegen die restriktive Politik des Zaren, insbesondere gegen die Art und Weise, wie Adelsfamilien Kuban dienen sollten.“

Dascha unterbrach ihn mit einem skeptischen Blick. „Sie sind zu höflich. Das ist nicht nötig. Anscheinend weiß ich selbst, wozu der Zar imstande war. Selbst seine eigene Familie sollte um das Wohl des Landes willen heiraten. Haben Sie vergessen, was Kapitan Varvakis über meine Verlobung gesagt hat?“

Ruslan nickte. „Das habe ich nicht vergessen.“

Eindringlich sah sie ihn an. „Gut. Mich müssen Sie nicht mit Samthandschuhen anfassen.“

Ruslan fuhr fort. „Illarion hatte ein Gedicht namens ‚Freiheit‘ geschrieben und kurz darauf nahm sich seine Freundin Katya, die General Ustinow geheiratet hatte, das Leben. Der Zar gab Illarion die Schuld. Nikolay protestierte vehement dagegen und nicht zum ersten Mal. Eines Nachts setzte der Zar seine Kusine Helena als Mörderin auf Nikolay an. Damals war sie seine Geliebte und griff ihn in seinem Schlafgemach an. Nikolay tötete sie in Notwehr, wurde jedoch schwer verletzt und verhaftet. Der Zar versuchte, Nikolay wegen Landesverrat vor Gericht zu bringen, und stand kurz davor, Illarion wegen Majestätsbeleidigung verhaften zu lassen.“

Er beobachtete, wie Dascha die Nachrichten aufnahm, und ließ ihr etwas Zeit, bevor er weitersprach. „Es war offensichtlich, dass Nikolay keine gerechte Verhandlung bekommen würde. Der Zar wollte ihn loswerden. Stepan sorgte dafür, dass Nikolay nach Hause gebracht wurde, um sich von seinen Verletzungen zu erholen, doch wir wussten, dass wir unverzüglich aufbrechen mussten. Ich arrangierte alles für unsere Abreise. Wir nahmen so viel Schmuck und Geld mit, wie wir tragen konnten, holten unsere schnellsten Pferde aus dem Stall, banden Nikolay am Sattel fest und brachen im Schutz der Dunkelheit auf.“

Es war bereits ein Jahr seit dieser schicksalshaften Nacht vergangen, doch er konnte sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Der fiebergeschüttelte Nikolay war kaum in der Lage gewesen, aufrecht zu stehen, als sein Vater ihn zum Abschied umarmte. Stepan saß hinter Anna-Maria auf seinem riesigen schwarzen Pferd, einen Arm schützend um sie geschlungen. Ihr Vater, der zu gebrechlich aussah, um die Reise zu überleben, stieg auf eines von Nikolays kosakischen Schlachtrössern. Ruslan führte seine Freunde über Nebenwege und verlassene Bergpässe zu den Grenzen von Kuban, hielt nachts lange Wache und versorgte Nikolay. Als der Moment für ihn gekommen war, weiterzugehen oder umzukehren, wusste er, dass die anderen ihn brauchten. Stepan und Illarion konnten sich nicht allein um Nikolay kümmern, Wache halten und die restliche Reise bewältigen.

„Wussten Sie bis dahin nicht, ob Sie Kuban verlassen würden?“ Dascha musterte ihn und suchte offenbar nach Ähnlichkeiten zwischen seiner und ihrer Geschichte.

Ruslan zuckte mit den Schultern und dachte an das beträchtliche Vermögen, das er auf die Reise mitgenommen hatte. „Vielleicht. Wie die anderen war ich nicht mittellos aufgebrochen. Im Herzen wusste ich vielleicht, dass ich wahrscheinlich nicht zurückkehren würde. Ich war auf alles gefasst.“ Außer Rache hatte er keinen Grund zur Umkehr gehabt. Sein Vater hatte sich im Gefängnis umgebracht, und seine Mutter war wenige Wochen danach an einem gebrochenen Herzen gestorben.

Autor

Bronwyn Scott
Bronwyn Scott ist der Künstlername von Nikki Poppen. Sie lebt an der Pazifikküste im Nordwesten der USA, wo sie Kommunikationstrainerin an einem kleinen College ist. Sie spielt gern Klavier und verbringt viel Zeit mit ihren drei Kindern. Kochen und waschen gehören absolut nicht zu ihren Leidenschaften, darum überlässt sie den...
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