Hochzeit mit Hindernissen

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Der heißblütige Renato Martelli verfolgt Heather bis in ihre Träume. Noch nie zuvor hat ein Mann die junge Engländerin so fasziniert wie dieser aufregende Sizilianer. Doch sie ist bereits einem anderen versprochen - ausgerechnet Renatos Bruder.


  • Erscheinungstag 23.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749125
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Dein Liebhaber steht draußen und verlangt nach dir, Heather.“

„Musst du so schreien?“ Heather Miller sprang auf und ging ihrer Kollegin entgegen. Im Grunde genommen schätzte sie Sally sehr – auch wenn deren loses Mundwerk mitunter schwer erträglich war.

Zum Beispiel dann, wenn alle im Raum die Köpfe interessiert umdrehten, weil sie Gerüchte in die Welt setzte, an denen nicht das Geringste dran war.

„Erstens muss nicht die halbe Belegschaft davon wissen, und zweitens habe ich dir oft genug gesagt, dass Lorenzo und ich nichts als gute Freunde sind“, erwiderte Heather leise, aber bestimmt.

„Dann ist dir nicht mehr zu helfen.“ Sally schüttelte ungläubig den Kopf. „Einen besseren Liebhaber kann man sich doch gar nicht wünschen. Ich würde jedenfalls keine Sekunde zögern, mit ihm ins Bett zu gehen.“

Der Aufenthaltsraum für die Angestellten von Gossways, Londons führendem Kaufhaus, war kaum der richtige Ort, um dieses Thema auszudiskutieren. Und schon gar nicht mit Sally, die in sexuellen Dingen eine bekanntermaßen lockere Einstellung hatte.

„Bist du sicher, dass es Lorenzo Martelli ist?“ Um keine Enttäuschung zu erleben, hielt Heather es für ratsam, sich zu vergewissern, ob wirklich jener unbekümmerte, gut aussehende, junge Mann in der Parfümerieabteilung auf sie wartete, in den sie sich vor einem Monat Hals über Kopf verliebt hatte. „Du hast ihn doch noch nie gesehen.“

„So viele Sizilianer gibt es in London nicht“, wandte Sally ein. „Außerdem hat er ausdrücklich nach dir gefragt. Und wenn du nicht bald zu ihm gehst, schnappe ich ihn mir. Verlass dich drauf!“

Fröhlich und guter Dinge machte sich Heather auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Sallys Begeisterung für ihren italienischen Freund schmeichelte ihr – denn dass sie unverschämtes Glück gehabt hatte, als sie ihm begegnet war, wusste sie selbst am besten.

Zumal Lorenzo genauso empfand. Seine Geschäftsreise nach England hatte ursprünglich nur zwei Wochen dauern sollen, doch hatte er sich von Heather ebenso wenig losreißen können wie umgekehrt. Und dass er sie bei der Arbeit besuchte, obwohl sie sich am Abend ohnehin sehen würden, nährte Heathers Hoffnung, in Lorenzo den Mann fürs Leben gefunden zu haben.

Umso enttäuschter war sie, dass nicht Lorenzo, sondern ein wildfremder Mann auf sie wartete.

Wobei „wildfremd“ nicht ganz stimmte, denn zweifellos handelte es sich bei dem großen und kräftigen schwarzhaarigen Mann mit dem dunklen Teint um einen Italiener, vermutlich sogar um einen Sizilianer.

Damit waren die Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Lorenzo jedoch bereits erschöpft. Was möglicherweise am Alter des Fremden lag. Anders konnte sich Heather jedenfalls nicht die beträchtliche Lebenserfahrung erklären, die er ausstrahlte.

Sehr gut hingegen konnte sie sich Sallys heftige Reaktion erklären. Sie pflegte die Männer ausschließlich danach zu beurteilen, ob es sich lohnte, mit ihnen ins Bett zu gehen. Doch erschreckender als die jähe Erkenntnis, dass dieser Mann dieses Kriterium spielend erfüllte, traf es Heather, dass er offenkundig denselben Maßstab bei ihr anlegte.

Der prüfende Blick seiner dunklen Augen ließ jedenfalls keinen Zweifel daran, dass er überlegte, welchen Reiz es für ihn haben könnte, mit der dunkelblonden, schlanken, jungen Frau zu schlafen, die ihm jetzt sichtlich verlegen gegenüberstand. Wofür vor allem die Tatsache verantwortlich war, dass sein Urteil offensichtlich zu Heathers Gunsten ausfiel. Was sie erst recht in Verlegenheit brachte. Denn auch wenn sie mit ihrem Äußeren im Großen und Ganzen zufrieden war, hatte ihr in den dreiundzwanzig Jahren ihres Lebens bislang noch kein Mann auf der Straße hinterhergepfiffen, geschweige denn, sie mit seinen Blicken förmlich ausgezogen.

Um sich ihre Verunsicherung nicht deutlicher anmerken zu lassen als nötig, besann sie sich auf ihre Aufgaben als Verkäuferin in einer derjenigen Abteilungen, in denen das Gossways konkurrenzlos war. „Sie haben mich rufen lassen?“

„Allerdings“, bestätigte der Fremde, nachdem er ausgiebig das Namensschild auf Heathers weißer Bluse betrachtet hatte. Seine sonore Bassstimme war ebenso erotisch wie sein leichter Akzent.

„Sie sind mir als besonders kompetent empfohlen worden“, erklärte er sein Anliegen, „und vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich suche nach einem passenden Duft, und zwar für völlig unterschiedliche Frauen“, setzte er mit einem Lächeln hinzu, das Heather in der Überzeugung bestärkte, dass es sich bei seiner Lebenserfahrung zu einem Großteil um Liebeserfahrung handelte.

„Als Erstes wäre da meine Mutter“, sagte er zu ihrer Überraschung. „Sie ist Mitte sechzig und legt sehr viel Wert auf Tradition, selbst wenn sie sich insgeheim wünschen würde, dass ihr Leben etwas aufregender verlaufen wäre.“

Die respektvolle Art, mit der er über seine Mutter sprach, wollte so gar nicht zu Heathers Bild von ihm passen. Dafür erleichterte ihr seine Beschreibung die Auswahl bedeutend. „Das müsste zu ihr passen“, erwiderte sie und reichte ihm ein Flakon mit einem frischen, gleichwohl dezenten Parfüm.

„Ich verlasse mich ganz auf Ihr fachliches Urteil.“ Ohne den Duft zu prüfen, akzeptierte der Fremde Heathers Vorschlag. „Womit wir zu den wählerischeren Damen kommen“, fuhr er fort. „Meiner Freundin Elena beispielsweise. Das Beste ist ihr gerade gut genug, und ihr Aussehen steht ihrem Anspruch in nichts nach. Darüber hinaus hat sie einen ausgeprägten Hang zur Extravaganz.“ Er warf Heather einen bedeutungsvollen Blick zu. „Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

So unangenehm es ihr war, verstand Heather in jedem Detail, worauf der Fremde mit seiner Bemerkung anspielte. Vor allem aber verstand sie, dass sich eine Frau mit solchen Vorlieben, wie diese Elena sie offensichtlich hatte, von diesem Mann magisch angezogen fühlte. Denn auch wenn er nicht im klassischen Sinn schön war, drohte seine unvergleichliche Ausstrahlung selbst Heather …

„Ich denke schon“, erwiderte sie und zwang sich, den Gedanken zu verdrängen. „In diesem Fall würde ich Ihnen ‚Mittsommernacht‘ empfehlen. Der Duft ist neu auf dem Markt und scheint mir Ihrer Freundin am ehesten zu entsprechen.“

„Der Name entspricht ihr auf jeden Fall“, bestätigte er mit erschreckender Offenheit, bevor er Heathers Handgelenk umfasste, auf das sie eine Probe aufgetragen hatte.

Je näher er ihre Hand zu seinem Gesicht führte, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass er mit seinen korrekten Umgangsformen etwas überspielte. Er kam ihr plötzlich wie ein Tiger vor dem Sprung vor.

„Nun verstehe ich auch, warum man mir Sie so wärmstens empfohlen hat.“ Der rätselhafte Kunde war von Heathers Wahl sichtlich beeindruckt. „Genau diesen Duft hatte ich mir vorgestellt. Ich hoffe, Sie können mir etwas anderes anbieten als diese lächerlich kleinen Fläschchen.“

Heather glaubte sich verhört zu haben. Selbstverständlich verkaufte sie auch größere Mengen, doch nach diesen wurde so gut wie nie nachgefragt. Schließlich handelte es sich um das teuerste Parfüm in ihrem Sortiment. Doch da sie am Umsatz beteiligt war, sollte es ihr nur recht sein, wenn der Kunde ein kleines Vermögen ausgeben wollte. Im dritten Stock des Gossways hatte sie ein wunderschönes Hochzeitskleid gesehen …

„Der nächste Fall ist nicht weniger delikat.“ Der Fremde riss Heather aus ihren Gedanken, bevor sie sich gänzlich gehen lassen und Träumen nachhängen konnte, die jeglicher Grundlage entbehrten – derzeit zumindest.

„Minetta hat ein völlig anderes Naturell als Elena. Sie freut sich schon über die kleinsten Aufmerksamkeiten, und ihre Unbekümmertheit ist geradezu ansteckend.“

„Dann könnte das hier das Richtige sein“, schlug Heather vor und trug eine Probe auf das andere Handgelenk auf. Wieder nahm der Fremde ihre Hand, und Heather empfand die Berührung so intensiv, dass sie drauf und dran war, ihren Arm zurückzuziehen.

Einzig die Tatsache, dass der Mann sie nicht einmal ansah, bewahrte sie davor, sich bis über beide Ohren zu blamieren. Seine Berührung galt so wenig ihr wie seine Gedanken, die sicherlich der Frage nachhingen, ob der Duft zu der Frau passte, für die er bestimmt war.

Trotzdem legte sich Heathers Beklommenheit erst, als der Fremde unvermittelt den Kopf hob und ihre Hand losließ.

„Perfetto“, sagte er und lächelte zufrieden. „Wie ich sehe, verstehen wir uns blendend.“

Seine Formulierung war nicht weniger provozierend als der Blick, mit dem er Heather musterte. „Es freut mich, wenn ich Ihren Geschmack getroffen habe, Signore“, erwiderte sie verunsichert, um ihre Unbedachtheit im selben Moment zu bereuen.

„Sprechen Sie etwa meine Muttersprache?“, fragte der Mann, und sein Gesichtsausdruck verriet die Begeisterung, die ein einziges italienisches Wort in ihm ausgelöst hatte.

Womit sich Heathers Vermutung bestätigt hatte, dass er ein Landsmann von Lorenzo war. „Nur ganz wenig“, antwortete sie verlegen. „Und den sizilianischen Dialekt beherrsche ich so gut wie gar nicht.“

Wie unklug es war, sich auf Umwegen danach zu erkundigen, ob er wie Lorenzo aus dem tiefsten Süden des Landes stammte, wurde ihr erst bewusst, als es zu spät war.

Denn sein Interesse an ihr hatte schlagartig neue Nahrung bekommen – und zielte auf Bereiche, die ihn wahrlich nichts angingen. „Welchen Grund mag eine junge Engländerin haben, unseren eigentümlichen Dialekt zu erlernen?“, fragte er, ohne auch nur den Versuch zu machen, seine Neugier zu verbergen. „Ehrlich gesagt fällt mir nur einer ein.“

So wie er indirekt ihre Annahme über seine Herkunft bestätigt hatte, so kam Heather nicht umhin, ihm zuzugestehen, dass seine Vermutung mitten ins Schwarze zielte. „Ich habe einige Brocken bei einem Freund aufgeschnappt“, erwiderte sie ausweichend.

„Ich hoffe, Ihr Freund erweist sich als Ihrer würdig.“ Anders als Heather schien der Fremde nicht bereit, um den heißen Brei herumzureden. „Hat er Ihnen je gesagt, wie überaus grazziusu Sie sind?“

Erst am vergangenen Abend hatte Lorenzo dieses Wort verwendet und erklärt, dass es eines der vielen Ausdrücke sei, die der Dialekt Siziliens bereithielt, um die Schönheit einer Frau zu beschreiben.

Doch sosehr ihr das unverhohlene Kompliment schmeichelte, so unangenehm war es ihr, es sich von einem wildfremden Mann machen zu lassen – selbst wenn es aus seinem Mund ungleich zärtlicher klang.

„Wie ich sehe, ist Ihnen die Bedeutung des Wortes bekannt“, kommentierte er die plötzliche Röte in Heathers Gesicht. „Das beruhigt mich ungemein. Denn offensichtlich ist sich Ihr junger Freund durchaus bewusst, welch ein Glückspilz er ist.“

Heather hielt es für dringend geboten, das Thema zu wechseln. Was nur zum Teil daran lag, dass sie sich alles andere als sicher war, ob Lorenzo die Ansicht des Fremden teilte. Mehr noch bewog sie, dass dessen entwaffnende Direktheit sie zunehmend verunsicherte. Allmählich begann sie zu verstehen, warum er sich vor Verehrerinnen kaum retten zu können schien.

„Haben Sie sonst noch einen Wunsch?“, erkundigte sie sich betont sachlich.

Erst sein unverschämtes Lächeln machte sie darauf aufmerksam, dass ihre Frage alles andere als eindeutig gewesen war. Doch erstaunlicherweise verzichtete er darauf, sie bewusst misszuverstehen.

„Ich suche noch etwas für Julia“, erwiderte er. „Sie ist zweifellos die sensibelste der drei. Wie Sie sehen, sind meine Freundinnen so verschieden wie meine Launen.“

Ganz ohne Anzüglichkeiten wollte er Heather dann doch nicht davonkommen lassen. Mehr als an einer fachkundigen Beratung war ihr Kunde offensichtlich daran interessiert, sie aus der Reserve zu locken. Doch Heather war nicht gewillt, ihm diesen Gefallen zu tun.

„Wie praktisch für Sie“, stellte sie nüchtern fest. „Zumal es das Ganze überschaubar macht.“

„Wie darf ich das verstehen?“ Die Überraschung schien ihr geglückt, denn der Fremde wirkte tatsächlich einen Moment lang ratlos.

„So laufen Sie wenigstens nicht Gefahr, die Frauen zu verwechseln“, erklärte sie ihm rundheraus, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass sie sich damit ins eigene Fleisch schnitt. Einen Kunden zu brüskieren war das Letzte, was sich eine gute Verkäuferin erlauben konnte. Doch da nach allem, was sie sich bereits geleistet hatte, der erhoffte Umsatz ohnehin ausbleiben würde, beschloss sie, aus ihrem Herzen keine Mördergrube zu machen. „Sie können von Glück sagen, dass Sie kein wirklich launischer Mensch sind.“

Zu ihrer großen Verwunderung reagierte der Fremde alles andere als empört. Vielmehr schien er Gefallen daran zu haben, dass Heather zum Gegenangriff übergegangen war.

„Ihr Argument ist nicht von der Hand zu weisen“, erwiderte er sichtlich amüsiert. „Allerdings kommt es bisweilen vor, dass mir der Sinn nach keiner der drei steht. Ich hätte noch Bedarf an einer geistreichen und schlagfertigen Frau. Wären Sie vielleicht an der Stelle interessiert?“

„Ich glaube kaum, dass ich dafür in Betracht komme“, wies Heather sein eindeutiges Angebot zurück.

„Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“ Sein Lächeln wurde zunehmend herausfordernder, und allmählich begann Heather, Spaß an dem Wortgefecht mit dem Sizilianer zu finden, dessen Hartnäckigkeit es mit seiner Attraktivität unbedingt aufnehmen konnte.

„Weil ich vor Dienstantritt darauf bestehen müsste, dass Sie die drei anderen entlassen – und zwar fristlos.“

„Daran soll es nicht scheitern.“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er gewillt war, das Spiel auf die Spitze zu treiben. „Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass Sie durch Ihren unermüdlichen Einsatz den Verlust mehr als wettmachen.“

„Umgekehrt hätte ich da schon eher Zweifel.“ Heather wusste selbst nicht, woher sie die Kühnheit für diese Antwort nahm. „Weshalb es das Beste sein wird, wenn wir alles so belassen, wie es ist.“

„Das hatte ich ja völlig vergessen“, erwiderte er gespielt überrascht. „Sie sind ja bereits in festen Händen.“

„Zumindest gibt es jemanden, der sich eine fristlose Kündigung nicht so einfach gefallen ließe wie Ihre Freundinnen“, erwiderte sie bestimmt, um deutlich leiser hinzuzufügen: „Hoffe ich zumindest.“

Doch dem Fremden waren ihre Zweifel nicht entgangen. „Will mein junger Landsmann Sie denn nicht heiraten?“, erkundigte er sich, und fast schien es, als wäre er ernsthaft besorgt.

Heather musste einsehen, dass ihr der Schlagabtausch, so spielerisch er begonnen haben mochte, über den Kopf zu wachsen drohte. Weshalb sie es für ratsam hielt, ihm ein Ende zu bereiten, solange sie dazu imstande war. „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, verbat sie sich weitere Nachfragen, ihr Privatleben betreffend.

„Sie haben völlig recht“, stimmte der fremde Mann zu und unterstrich sein Bedauern durch eine entschuldigende Geste. „Es geht mich tatsächlich nichts an. Andererseits bitte ich Sie zu verstehen, dass es mir überaus unangenehm wäre, wenn Ihnen ausgerechnet ein Landsmann falsche Versprechungen machte und sich still und heimlich in seine Heimat absetzte, sobald Sie seinen Verführungskünsten erlegen wären.“

„Sie scheinen mich zu unterschätzen“, widersprach Heather mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte. Die Antwort war deutlich genug, doch anstatt es dabei zu belassen, setzte sie leichtsinnigerweise hinzu: „Um mich in Versuchung zu bringen, muss sich ein Mann schon mehr einfallen lassen, als mir schöne Augen zu machen.“

„Würden zehntausend britische Pfund reichen?“

Sein Frontalangriff kam derartig überraschend, dass Heather nicht einmal Zeit blieb, empört oder entrüstet zu sein. Außerdem war das Angebot viel zu abwegig, um sie in Verlegenheit zu bringen. Das Gegenteil war der Fall. Die unentschuldbare Entgleisung hatte Heather schlagartig ernüchtert. „Darf ich das Parfüm als Geschenk einpacken, Sir?“, fragte sie mit betont professioneller Höflichkeit.

„Ich erhöhe auf zwanzigtausend“, erwiderte der Mann, als befände er sich auf einer Versteigerung, und musterte Heather mit einem Blick, der nicht minder kühl und berechnend war.

„Sie scheinen den Ruf unseres Hauses missverstanden zu haben“, wies sie ihn ebenso leidenschaftslos in seine Schranken. „Im Gossways erhalten Sie in der Tat jedes nur denkbare Produkt, und zwar ausschließlich in bester Qualität. Frauen gehören jedoch ausdrücklich nicht dazu. Und ich schon gar nicht.“

Endlich schien sie den Fremden von der Aussichtslosigkeit seines Unterfangens überzeugt zu haben. „Dann werde ich wohl mit leeren Händen gehen müssen“, sagte er und zuckte die Schultern. Doch sein Gesichtsausdruck widersprach zutiefst dem Bedauern, das in seiner Stimme gelegen hatte. Denn bevor er sich umwandte und grußlos ging, schenkte er Heather ein zufriedenes Lächeln, das sie sich beim besten Willen nicht erklären konnte.

Erst als er im Fahrstuhl verschwunden war, fiel ihr Blick auf die sündhaft teuren Flakons, die er hatte kaufen wollen – was er zumindest behauptet hatte. Nun konnte sie nicht einmal die saftige Provision über die Kränkungen und Beleidigungen hinwegtrösten, die sie sich hatte anhören müssen.

Mehr als der finanzielle Verlust ärgerte sie jedoch, dass sie beinahe dem unwiderstehlichen Charme dieses Mannes erlegen wäre.

Nur gut, dass er ihr rechtzeitig die Augen geöffnet hatte. Unwillkürlich empfand sie großes Mitleid mit all jenen Frauen, die dumm genug waren, für Geld mit ihm ins Bett zu gehen. Denjenigen, die glaubten, es aus Liebe zu tun, war ohnehin nicht zu helfen.

Selten zuvor hatte Heather den Feierabend so herbeigesehnt. Umso erleichterter war sie, als sie sich endlich auf den Heimweg machen konnte, um sich für den Abend mit Lorenzo umzuziehen.

Auch wenn er tatsächlich nur ihr Freund war, genoss sie die Stunden, die sie gemeinsam verbrachten. Wenn sie zusammen waren, verloren die Sorgen des Alltags ihren Schrecken, und meistens gelang es Heather sogar, sie völlig zu vergessen.

Trotzdem scheute sie davor zurück, das, was sie für ihn empfand, Liebe zu nennen. Was weniger an Lorenzo als vielmehr daran lag, dass sie dieses Wort allzu schmerzlich daran erinnerte, wie sehr sie unter der Trennung von Peter gelitten hatte.

Möglicherweise ließ sie die Angst vor einer erneuten Enttäuschung auch davor zurückschrecken, Lorenzo mehr als nur zu küssen. Umso höher rechnete sie ihm an, dass er nie ein böses Wort verloren, geschweige denn sie bedrängt hatte.

Kennengelernt hatten sie sich im Gossways. Die Familie Martelli handelte mit Obst und Gemüse, das auf riesigen Ländereien rings um Palermo angebaut und von dort aus in alle Welt versandt wurde. Und weil die Ware für ihre erstklassige Qualität bekannt war, gehörte selbstverständlich auch das Gossways zu den Kunden der Martellis.

Als jüngster Sohn der Familie war Lorenzo erst vor Kurzem zum Vertriebschef aufgestiegen und nach London gekommen, um mit dem zuständigen Einkäufer des Gossways zu verhandeln, der wiederum ein Bekannter von Heather war. So also war sie Lorenzo begegnet, und seither verging kaum ein Abend, an dem sie sich nicht sahen.

Standesgemäß war er im Hotel Ritz abgestiegen, und nicht selten lud er sie dorthin zum Essen ein. Fast noch mehr genoss es Heather jedoch, wenn sie auf ihren langen Spaziergängen am Ufer der Themse in irgendein kleines, gemütliches Restaurant einkehrten.

An solchen Abenden kam es mitunter vor, dass sich Heather unwillkürlich fragte, warum Lorenzo ihretwegen seinen Aufenthalt verlängert hatte. Darüber, dass er sich vor Verehrerinnen sicherlich kaum retten konnte, machte sie sich nichts vor. Und der Typ, der sich lange bitten ließ, war er ganz und gar nicht.

Trotzdem schien er das Zusammensein mit Heather ebenso zu genießen wie sie, und die Geschenke und kleinen Aufmerksamkeiten, mit denen er sie förmlich überhäufte, deuteten darauf hin, dass sie für ihn alles andere als ein flüchtiges Intermezzo war.

Nicht dass Heather deshalb ernsthaft mit einem Heiratsantrag rechnete. Der Gedanke war dann doch zu kühn. Gleichwohl hatte sie das sichere Gefühl, dass ihr sein Charme und die offene Zuneigung halfen, ihre Trauer zu überwinden. Und wenn er eines nicht so fernen Tages nach Sizilien zurückkehren würde, könnte sie ohne Bitterkeit an die gemeinsamen Stunden zurückdenken.

In der Wohnung fand sie eine Nachricht von ihm auf dem Anrufbeantworter vor. „Hier ist Lorenzo. Würdest du heute Abend bitte das blaue Kleid anziehen, das ich dir geschenkt habe? Ich habe eine Überraschung für dich.“

Nur zu gern kam Heather seiner Bitte nach und holte das Kleid aus dem Schrank, das er ihr gekauft hatte, weil es seiner Meinung nach so wunderbar zu ihren blauen Augen passte.

Als Lorenzo sie wie verabredet vor ihrem Haus abholte, überreichte er ihr eine einzelne rote Rose, bevor er ein kleines Etui öffnete und Heather eine Perlenkette um den Hals legte.

„Ich habe meine Gründe“, erklärte er auf ihren erstaunten und fragenden Blick hin. „Mein Bruder Renato ist gestern aus Sizilien gekommen. Wie du weißt, bin ich seit zwei Wochen überfällig, und jetzt will er die Frau kennenlernen, wegen der ich meine Arbeit so sträflich vernachlässige. Er erwartet uns zum Essen im Ritz.“

„Daher weht also der Wind“, sagte Heather gespielt empört und berührte vorsichtig die Perlenkette, die sich an ihren Hals schmiegte wie ein zärtliches Versprechen.

„Ich hätte den Abend zwar lieber mit dir allein verbracht, aber wenn es unbedingt sein muss, kannst du mich auch gern deinem Bruder vorstellen“, willigte sie schließlich ein. „Er wird mich schon nicht auffressen, oder?“

„Keine Sorge“, erwiderte Lorenzo und legte ihr den Arm um die Schultern. „Ich passe auf dich auf.“

Im Taxi berichtete er Heather in aller Kürze, was sie über seinen Bruder wissen musste. Als ältester Sohn und Familienoberhaupt hatte er die Leitung des Betriebes übernommen und ihn durch harte Arbeit und Verhandlungsgeschick zu dem gemacht, was er heute war.

„Er hat nichts als den Betrieb im Sinn“, beklagte sich Lorenzo, „und sein Ehrgeiz beschränkt sich darauf, immer noch mehr Geld zu verdienen.“

„Damit du es wieder ausgeben kannst“, ergänzte Heather in Gedanken an die sündhaft teure Kette um ihren Hals.

Doch je mehr sie sich dem Ritz näherten, desto größer wurde ihre Beklommenheit. Was Lorenzo nicht entgangen war. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte er einfühlsam, als sie aus dem Taxi gestiegen waren. „Mein Bruder ist kein Unmensch. Außerdem bin ich ja bei dir.“

Obwohl sie sich bei Lorenzo unterhakte, ging Heather mit eher gemischten Gefühlen ins Restaurant. Kaum hatten sie es betreten, erhob sich ein Mann von seinem Platz und winkte ihnen freudestrahlend zu. Zu ihrer großen Verwunderung gelang es ihr trotz der maßlosen Entrüstung, die sie empfand, das Lächeln zu erwidern.

„Guten Abend, Signorina Miller“, begrüßte Renato Martelli sie und verbeugte sich höflich. „Es ist mir eine große Ehre, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.“

„Ich konnte ja nicht wissen, mit wem ich das Vergnügen habe“, erwiderte Heather schroff. „Schließlich haben Sie sich bei unserer ersten Begegnung nicht vorgestellt.“

„Soll das heißen, dass ihr euch schon kennt?“, fragte Lorenzo verständnislos.

Dankenswerterweise übernahm es Renato, ihm von dem Vorfall am Nachmittag zu berichten. „Ich habe deine Freundin heute Nachmittag im Gossways aufgesucht“, erklärte er seinem Bruder. „Allerdings ohne mich zu erkennen zu geben“, setzte er hinzu und küsste Heather die Hand. „Was Sie mir hoffentlich verzeihen.“

„Das muss ich mir noch gut überlegen“, sagte sie unversöhnlich. Trotzdem zögerte sie nicht eine Sekunde, als Renato ihr einen Platz anbot.

„Wollt ihr mir nicht endlich erklären, was sich zugetragen hat?“ Lorenzo war deutlich anzusehen, wie sehr ihn der unerwartete Auftakt des Abends verwirrte.

„Dein Bruder hat sich mir gegenüber als Kunde ausgegeben“, erklärte Heather ihm. „Im Lauf der Unterhaltung hat er mir die eine oder andere Frage gestellt. Nicht alle waren beruflicher Natur.“

„Und warum?“

Das konnte nur Renato beantworten. „Ich wollte mir einen ersten Eindruck von der Frau verschaffen, die dich dazu bringt, deine Pflichten zu vernachlässigen.“

„Ist Ihnen das gelungen?“ Heather konnte der Versuchung nicht widerstehen, diese Frage zu stellen.

„Allerdings.“

Lorenzo schien mit der Antwort sehr zufrieden, denn seine Miene hellte sich auf, und er lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.

Heather kam nicht umhin, die beiden Brüder heimlich zu beobachten, während sie die Speisekarte studierten. Wie unterschiedlich sie doch waren!

Trotz seiner Größe wirkte Lorenzo mitunter wie ein Junge. Wahrscheinlich, weil seine Gesichtszüge noch nicht sonderlich ausgeprägt waren. Einzig die feine Narbe an der Schläfe verriet, dass er nicht so unerfahren war, wie seine blauen Augen und das lockige braune Haar vermuten ließen. Dafür konnte sein Lächeln Eis zum Schmelzen bringen, und wenn er lachte, war es geradezu ansteckend.

Autor

Lucy Gordon
<p>Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman „Das Kind des Bruders“, der in Rom spielt. Mit dem Schreiben erfüllte sich...
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