Im Kastell des ungarischen Grafen

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Rozalia denkt gar nicht daran, sich fortschicken zu lassen! Sie hat schließlich den weiten Weg nach Budapest auf sich genommen, um mit Graf Viktor über den Verbleib eines alten Familienerbstücks zu verhandeln, das ihrer Großmutter viel bedeutet. Und nun will dieser verboten gutaussehende, aber maßlos arrogante Ungar sie nicht mal in sein Kastell lassen? Mit viel Charme schafft sie es, dass er sie empfängt. Und je später der Abend, desto heißer knistert es zwischen ihnen. Doch am nächsten Tag wird Rozalia verhaftet. Der Schmuck ist spurlos verschwunden, Viktor hält sie für eine Diebin!


  • Erscheinungstag 21.04.2020
  • Bandnummer 082020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714093
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Kein Zutritt, Miss“, sagte der uniformierte Mann mit starkem ungarischen Akzent. Er wirkte gelangweilt und sah Rozalia Toth nicht einmal an. „Die besten Fotos machen Sie dort oben vom Hügel aus.“ Er deutete in die Richtung, dann wandte er sich um und ließ sie vor dem Tor von Kastell Karolyi stehen.

Sie konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er sie für eine weitere Touristin hielt, die den Familienstammsitz der Rohans fotografieren wollte. Sie hatte wirklich ein Foto von dieser prächtigen Budapester Architektur gemacht, um es zu Hause in New York ihrer Familie zu zeigen.

Wer könnte bei so einer wunderschönen Villa auch widerstehen? Eingerahmt wurde das prächtige Haus von üppigen alten Ahornbäumen und Eichen. Jahrhundertealte Weinranken bedeckten die kunstvollen Ziegelmauern. Zu beiden Seiten der breiten Treppe, die zum Eingang hinaufführte, sorgten makellose Blumenbeete für Farbtupfer.

Die großen Fenster waren auf beiden Stockwerken gleichmäßig verteilt, vor einigen sprangen Balkone mit schmiedeeisernen Brüstungen hervor, und hübsche runde Giebel mit einem Schornstein darüber machten das Bild perfekt.

Selbst ohne die Verwandtschaft mit den Rohans wäre Rozalia bezaubert gewesen – wobei diese Verwandtschaft kaum erwähnenswert war.

„Ich bin mit Mara Rohan verabredet“, sagte sie auf Ungarisch zu dem Pförtner.

„Name?“

„Rozalia Toth. Sie erwartet meine Cousine Gisella Drummond. Ich bin an ihrer Stelle gekommen.“

Während sie hörte, wie der Wachmann ihren Namen ins Funkgerät sagte, sah sie wieder zum Haus hinüber. Wie schade, dass Gisella nicht mit ihr hier sein konnte. Schon als Kind war sie immer besonders neugierig auf die Familiengeschichte gewesen.

Aber statt gemeinsam mit ihr auf der Suche nach dem Geburtshaus ihrer Großmutter durch die engen Gassen von Budapest zu schlendern oder den Ort zu suchen, an dem Gisellas Großvater Istvan zur Welt gekommen war, stand Rozi jetzt alleine vor Kastély Karolyi.

Ihre gemeinsame Großmutter Eszti hatte Istvan auf der Universität kennen- und lieben gelernt. Als sie schwanger geworden war, bat er sie, seine Frau zu werden. Anstelle eines Verlobungsrings schenkte er ihr ein Paar Ohrringe aus dem Familienbesitz. Dann schickte er Eszti nach Amerika vor, damit sie und das ungeborene Baby während der politischen Unruhen in Ungarn in Sicherheit waren.

Er starb, bevor er ihr folgen konnte, und nach einiger Zeit in Amerika heiratete Eszti dann Rozalias späteren Großvater. Doch ein kleiner Teil ihres Herzens trauerte noch immer um ihre erste Liebe.

Das war genau die Art von tragischer Liebesgeschichte, die Rozalia ans Herz ging. Und genau wie Gisella wünschte sie sich, die beiden Ohrringe zu bekommen, die damals genauso getrennt wurden wie Eszti und Istvan.

Rozalia und ihre Cousine suchten bereits seit Jahren nach ihnen. Sie wollten sie ihrer Großmutter zurückgeben, sodass sie wenigstens das Pfand ihrer ersten Liebe wiederbekam.

Eine Stimme aus dem Funkgerät teilte jetzt dem Wachmann mit, dass Mara Rohan nicht in der Stadt war. Der Pförtner fragte, ob jemand den Termin an ihrer Stelle wahrnehmen würde.

Rozalia horchte auf. Ihr Herz klopft schneller vor Vorfreude, dass Maras Sohn Viktor sie empfangen würde. Er war umwerfend. Und ein Graf – nicht, dass der Adel in Ungarn noch seine Titel tragen dürfte. Doch allein die Tatsache machte ihn faszinierend.

Seit dem Moment, in dem Rozalia bei ihrer Suche nach den Ohrringen zum ersten Mal sein Bild gesehen hatte, war sie verzaubert von seinem Aussehen – dunkel, fast finster, mit seinem kurzen schwarzen Haar, den dichten Augenbrauen und dem glatt rasierten markanten Kinn.

Am meisten faszinierte sie sein Mund. Die Oberlippe war schmal, aber geschwungen, die Unterlippe voll, sodass sie sich unwillkürlich vorstellte, hineinzubeißen. Nicht, dass sie sich jemals in ihrem Leben so weit hätte gehen lassen, an der Unterlippe eines Manns auch nur zu knabbern.

Ein weiteres Foto von ihm am Strand ließ eine Million anderer Fantasien vor ihren Augen auftauchen. Herrgott noch mal, sie war schließlich auch nur ein Mensch, und die kleine Badehose bedeckte kaum das Wichtigste. Der Rest von ihm bestand nur aus Muskeln und goldener Haut. Er starrte finster in Richtung Kamera und ließ deutlich erkennen, wie wütend er auf den Fotografen war.

Jetzt wandte sich der Pförtner ihr zu, schüttelte den Kopf und wiederholte auf Englisch, was sie bereits aus seiner in Ungarisch geführten Unterhaltung verstanden hatte. „Ihr Termin ist abgesagt.“

Rozalia bemühte sich um ein freundliches Lächeln. „Kann ich einen neuen vereinbaren?“

„Nein.“ Er bemühte sich nicht, das mit der Stimme aus dem Funkgerät abzustimmen.

„Kann ich eine Nachricht hinterlassen?“

Ein Muskel in seiner Wange zuckte, doch er wartete, während sie in ihr Notizbuch kritzelte, es täte ihr leid, dass sie die Familie nicht kennengelernt hätte, aber sie wäre noch einige Tage in der Stadt.

Sie ergänzte den Namen ihres Hotels und ihre Telefonnummer, dann riss sie die Seite heraus und reichte sie dem Wachmann. Ohne Zweifel würde er sie in den Papierkorb werfen, aber sie dankte ihm und machte sich auf den Weg zurück zum Hotel.

Als sie außer Hörweite war, schnaufte sie grimmig. Fast zehn Jahre hatte sie damit verbracht, die Ohrringe ihrer Großmutter zu suchen. So leicht würde sie nicht aufgeben.

Viktor Rohan ging im Kopf seine Termine durch, während er sein Bürogebäude verließ und die Treppe hinunter zu der wartenden Limousine ging.

Auf der Fahrerseite neben dem geöffneten Wagenfenster stand eine junge Frau. Sie sah aus wie ein Rucksacktouristin. In der Hand hielt sie einen Stadtplan. Die Frühlingsbrise presste ihr dünnes T-Shirt gegen die kleinen straffen Brüste und wehte ihr die dunklen Locken aus dem Gesicht.

Sie trug kein Make-up, aber das brauchte sie auch nicht. Diese zarte milchweiße Haut würde jeden Raum erhellen – insbesondere ein dunkles Schlafzimmer.

Viktor missgönnte seinem Fahrer nicht sein Privatleben, aber aus irgendeinem Grund ging es ihm gegen den Strich, als er zusah, wie dieser sich jetzt aus dem Fenster lehnte und begann, mit der jungen Frau zu flirten.

Die ist für mich! hallte es in seinem Kopf.

In seiner Jugend hatte Viktor sich ausgetobt, meist mit unkonventionellen Mädchen. Nicht zuletzt, um sich über sein gebrochenes Herz hinwegzutrösten. Ab Mitte zwanzig begann er dann, sich Frauen aus seiner eigenen Gesellschaftsschicht zuzuwenden. Er stellte fest, dass es wesentlich bequemer war, etwas längere Beziehungen einzugehen.

Doch seit er die dreißig erreicht hatte, waren selbst diese angenehmen Arrangements stets mit Erwartungen an eine gemeinsame Zukunft verbunden, und seine Mutter drängte ihn ständig, endlich zu heiraten und einen Erben zu produzieren.

Sein Interesse an dieser hübschen Touristin zeigte wahrscheinlich nur seine Auflehnung gegen die Anstrengungen seiner Mutter, ihn mit einer passenden Frau zu verkuppeln. Doch gleichzeitig verlegte er im Kopf bereits die Termine für den restlichen Tag, sodass Zeit für ein Abendessen zu zweit blieb – und zwar ausreichend Zeit, falls der Abend ein besonders angenehmes Ende nehmen sollte.

„Joszef.“

Sein Fahrer sprang aus dem Wagen, um ihm die Tür zum Rücksitz zu öffnen. Die Frau wandte sich zu ihm um und erstarrte. Langsam erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. Er musste an ein Kunstwerk denken, an anmutige Engel, Fruchtbarkeitsgöttinnen, doch kein Kunstwerk hatte bisher diese gleißende Hitze in ihm aufsteigen lassen.

Oh ja, diese Frau gehörte ihm.

„Das erspart mir, hineinzugehen und nach Ihnen zu fragen.“ Sie kam auf ihn zu und streckte die Hand aus. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Úr Rohan.“

Sie sprach akzentfrei Ungarisch, aber irgendetwas sagte ihm, dass sie Amerikanerin war.

Er ergriff ihre Hand und zog sie näher zu sich.

„Ich bin Rozalia Toth. Haben Sie einige Minuten Zeit für mich?“

Viktor Rohan ließ ihre Hand los, als hätte er sich verbrannt.

Rozalia spürte noch immer den Schock seiner Berührung. Hatten seine Fotos sie schon fasziniert, ließ die Begegnung mit ihm ein Feuer in ihrem Inneren auflodern. Sie wollte alles über diesen Mann wissen.

„Nein“, antwortete er. Er sah plötzlich so finster aus wie auf dem Strandfoto – als fände er sie ärgerlich und lästig. Sogar abstoßend. „Wie können Sie es wagen, mir aufzulauern?“

Im echten Leben wirkte er wesentlich dynamischer und gefährlicher. Seine intensive männliche Ausstrahlung mischte sich mit einem befehlsgewohnten unbarmherzigen Auftreten.

Rozi musste ihre ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um ruhig zu antworten: „Ich war mit Ihrer Mutter verabredet. Sie hatte versprochen, mir einen antiken Ohrring zu zeigen, der einmal meiner Großmutter gehörte. Aber sie hat in letzter Minute abgesagt.“

„Ich habe ihr von dem Treffen abgeraten. Und Sie sind nicht diejenige, mit der sie verabredet war. Wie können Sie es wagen, hier ohne Entschuldigung aufzutauchen?“ Er wandte sich um und wollte in den Wagen einsteigen.

„Sie haben recht. Es tut mir leid. Ich hätte klarstellen sollen, dass ich an Gisellas Stelle komme.“

Er wirbelte herum und starrte sie an. Sie war froh, dass Blicke nicht töten konnten. „Ich meinte eine Entschuldigung Ihrer Großmutter. Dafür, dass sie unser Familienerbe gestohlen hat.“

„Was? Großmutter hat diese Ohrringe nicht gestohlen. Warum in aller Welt denken Sie so etwas?“

Seine Augen wurden schmal. „Ich denke es nicht, ich weiß es.“ Er klang so sicher, als wäre das eine bewiesene Tatsache. Dann stieg er in den Wagen.

„Warten Sie! Das stimmt nicht.“ Sie stellte sich zwischen die geöffnete Autotür und den Wagen, sodass sein Fahrer die Tür nicht schließen konnte. Dann beugte sie sich zu Viktor hinunter. „Ihr Großonkel hat ihr die Ohrringe anstelle eines Verlobungsrings gegeben.“

„Unmöglich! Er war schon tot, bevor sie verschwunden sind. Joszef!“, sagte er scharf.

Der Fahrer, der sich noch vor wenigen Minuten fast überschlagen hatte, ihr zu gefallen, legte seine Hand auf ihren Arm.

Schon vor langer Zeit hatte Rozalia in der U-Bahn gelernt, eine tatschende Männerhand abzuschütteln. Sie warf dem Fahrer einen warnenden Blick zu, der ihn einen Schritt zurücktreten ließ.

Und sie wusste ganz genau, dass man nicht zu fremden Männern ins Auto steigen sollte. Aber genau das tat sie jetzt. Sie ließ sich ins Auto gleiten und wollte sich an ihm vorbeischieben, als würde sie im Theater versuchen, den Platz am Ende der Reihe zu erreichen.

Ihr Verhalten war so unhöflich, dass es Viktor aus der Fassung brachte. Unwillkürlich griff er nach ihrer Taille, um ihr Halt zu geben. Dabei landete sie fast auf seinem Schoß. Sie erstarrte unter seiner Berührung. Einen Moment lang berührten sich um ein Haar ihre Nasenspitzen, und sie sahen sich in die Augen. Fast, als wollten sie sich gerade küssen.

Seine Augen waren grau wie der Himmel vor dem Regen, dunkel und bedrohlich, ohne eine Spur von Blau.

Und, großer Gott, was für ein erotischer Mund!

Ihre Hand lag auf dem Ledersitz neben seinem Oberschenkel, aber sie sehnte sich danach, seine muskulöse Schulter anzufassen. Seinen warmen Hals zu berühren. Er duftete nach Hölzern und Gewürzen, teurer Wolle und einem Hauch von Brandy.

All das, zusammen mit dem Aufblitzen seiner sturmdunklen Augen, ließ Schmetterlinge in ihrem Bauch aufflattern. Ihr war schwindelig, als würde sie von einem hohen Gebäude hinunterschauen, kurz davor, in die Tiefe zu fallen.

„Sir?“, fragte Joszef.

Mit einer Bewegung schob Viktor sie neben sich auf den Sitz. „Schließ die Tür“, sagte er.

Die Tür fiel ins Schloss, und er wandte sich Rozalia zu. Was jetzt? fragte er sich im Stillen.

Rozi holte tief Luft. Sie war gefangen. Der geräumige Wagen wirkte plötzlich unerträglich klein und stickig. Sie fühlte sich, als wäre sie mit einem Panther eingesperrt. Einem hungrigen Panther. Ihre Beine waren noch immer mit seinen verschlungen, und vorsichtig zog sie die Füße auf ihre Seite.

„Sind Sie für heute fertig mit der Arbeit? Kann ich Sie zu einem Drink einladen?“, fragte sie. „Ich würde die Angelegenheit gerne klären. Ich war immer der Meinung, dass Istvan erst gestorben ist, nachdem er Großmutter die Ohrringe geschenkt hat.“

Sie drückte sich bewusst versöhnlich aus. Nicht umsonst war sie in der Familie als Diplomatin Nummer eins bekannt.

„Sie irren sich.“ Er klang kompromisslos. „Sie ist nach seinem Tod in unser Haus gekommen, hat die Ohrringe meiner Urgroßmutter gestohlen und einen davon verkauft, um nach Amerika zu fliehen. Nach ihrer Ankunft in New York hat sie dann den zweiten verkauft.“

Jetzt wurde Rozalia langsam ärgerlich. „Meine Großmutter ist ein liebenswürdiger und ehrlicher Mensch. Sie würde niemals stehlen, und ganz bestimmt würde sie nicht lügen. Ich weiß nicht, wie ihre Geschichte so verdreht werden konnte. Wie sind Sie überhaupt an den einen Ohrring gekommen? Wie lange haben Sie ihn schon?“

„Meine Großmutter Dorika hat mit Kunst gehandelt“, erklärte Viktor. „Als sie auf den Ohrring gestoßen ist, hat sie sofort begriffen, wie wertvoll er ist, auch wenn es nur noch einen davon gab.“

Rozalia runzelte die Stirn. „Hat sie ihn nicht als den Ohrring ihrer Mutter erkannt?“

„Sie war meine Großmutter väterlicherseits. Meine Mutter stammt von den Karolyis ab. Aber ja, Dorika wusste sofort, dass es der Ohrring von Cili Karolyi war. Darum hat sie den Ohrring auch nicht weiterverkauft, sondern als Ass im Ärmel behalten.“

„Was meinen Sie damit?“

„Als Anreiz für meine Mutter. Dorika hat die Ehe zwischen meinem Vater und meiner Mutter arrangiert, und sie wusste, meine Mutter würde gern den Ohrring haben. Diese Ohrringe wurden seit Generationen an die Frauen unserer Familie weitergegeben.“

„Die Ehe Ihrer Eltern war arrangiert? Ich wusste nicht, dass so etwas hier üblich war.“

„Der Erfolg unserer Familie kommt nicht von ungefähr“, sagte Viktor trocken. „Er entstammt Generationen strategischer Verbindungen. Nicht daher, einem betrügerischen Bauernmädchen unbezahlbare Juwelen und die Ehe zu versprechen.“

Nach der Beleidigung starrte Rozalia ihn mit offenem Mund an. „Ich verstehe, warum Ihre Mutter nicht aus Liebe in so eine charmante Familie eingeheiratet hat.“ Bei seinem eisigen Blick verstummte sie.

„Was haben Sie sich von Ihrem Besuch hier versprochen, Miss Toth? Sie verschwenden meine wertvolle Zeit.“

„Ich wollte Ihnen ein Angebot für den Ohrring machen“, sagte sie so ruhig sie konnte.

„Nein.“

„Lassen Sie mich ihn wenigstens ansehen!“

„Nein.“

„Warum nicht? Selbst wenn Großmama ihn gestohlen hätte – was sie nicht getan hat –, warum wollen Sie mich dafür bestrafen?“

„Warum wollen Sie ihn sehen?“

„Um Fotos zu machen“, sagte sie so vernünftig und professionell wie möglich.

Er hob die Brauen.

„Ich bin qualifizierte Gemmologin und Goldschmiedin.“ Sie hatte bei ihrem Onkel Ben gelernt, in dem Geschäft, das ihr Großvater nach seiner Ankunft in Amerika aufgebaut hatte. „Ich würde gern die Steine vermessen und klassifizieren, einige Skizzen anfertigen. Wenn ich das Original nicht kaufen kann, würde ich die Ohrringe gern für meine Großmutter nachbilden. Es würde sie sehr glücklich machen, wenn ich wenigstens das tun könnte.“

„Abgesehen davon, dass ich nicht das geringste Interesse am Glück Ihrer Großmutter habe – habe ich richtig verstanden, dass Sie die Ohrringe kopieren wollen? Meine Mutter hat oft darüber nachgedacht, sich den fehlenden Ohrring neu anfertigen zu lassen, aber die Einzigartigkeit der Ohrringe sind Teil ihres Wertes. Ich bin gerade dabei, den anderen zu kaufen.“

„Ach, wirklich? Meine Cousine macht in diesem Moment dem Verkäufer ein Angebot.“ Sie hielt seinem Blick stand, obwohl sein deutlich spürbarer Ärger ihr fast das Blut in den Adern erstarren ließ.

„Sie sollten ihr raten, mir nicht in die Quere zu kommen.“

Rozalia sah ihn mit einem fröhlichen Lächeln an. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, damit er nicht sah, wie sie zitterte. „Die Frauen in unserer Familie sind sehr überzeugend.“

„Darauf wette ich.“

„Wir sind außerdem sehr hartnäckig.“ Sie reckte stolz das Kinn. „Sicher könnte ich sie anrufen und warnen, aber Gisella ist genauso fest entschlossen wie ich. Und sie hat Karolyi-Blut in den Adern. Ich würde sagen, das gibt ihr genauso viel Recht auf den Ohrring wie Ihnen.“ Sie blinzelte unschuldig.

„Ist sie auch genauso draufgängerisch wie Sie und stellt sich so einflussreichen Männern wie mir in den Weg?“

Rozalia ließ sich die seltsame Mischung aus Angst und prickelnder Erregung, die sie erfüllte, nicht anmerken. „Wenn der Ohrring Ihrer Mutter gehört, sollte sie entscheiden, ob sie ihn mir verkaufen will oder nicht. Ich bin heute nur hergekommen, weil sie ihre Verabredung mit mir nicht eingehalten hat. Warum rufen Sie sie nicht an und vereinbaren einen neuen Termin? Wir Frauen können die Sache unter uns regeln.“

„Meine Mutter musste nach Visegrád reisen. Sie wird frühestens in einer Woche zurückkommen.“

„Trifft sie sich mit Ihrer Großtante Bella? Istvans Schwester?“

„Mischen Sie sich nicht in meine Familienangelegenheiten, Miss Toth! Oder Sie werden es bereuen.“

„Ich bin nicht hergekommen, um einen Krieg mit Ihnen anzuzetteln.“ Es wurde Zeit, ihn versöhnlich zu stimmen. „Ist es denn so schwer zu verstehen, dass ich neugierig bin? Ihre Mutter war bereit, mit mir zu reden. Warum kann ich nicht Sie an ihrer Stelle auf einen Drink einladen und Ihnen ein paar Fragen stellen?“

„Weil ich Lügner nicht leiden kann, Miss Toth.“

„Wann habe ich Sie angelogen? Ich habe nie versucht, Sie zu täuschen. Ich bin nur eine verloren geglaubte Verwandte …“

„Sie sind nicht meine Verwandte“, stellte er mit so viel Nachdruck fest, dass sie zwei Zentimeter zurückwich.

Im ersten Moment hörte sich das wie eine Zurückweisung an. Ein Teil von ihr war verletzt, weil er nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden wollte.

Sie suchte nach einer arroganten Antwort, als ihr Blick seinen traf. Plötzlich war die Luft so spannungsgeladen, dass sie fast das Knistern hören konnte, und seine Worte bekamen eine neue Bedeutung. Er hatte die Wahrheit gesagt.

Nicht ein Tropfen Karolyi-Blut floss in ihren Adern.

Damit war es in Ordnung, von seiner Unterlippe zu träumen. Besser gesagt, es war dumm, aber wenigstens nicht moralisch verwerflich.

Sie starrte seine Lippen an und sehnte sich danach, seinen Geschmack zu entdecken, das Gefühl, wenn sein Mund ihren bedeckte und …

Ein seltsames Leuchten stieg in seinen Augen auf.

Ihr wurde bewusst, dass sie sich vorgebeugt hatte. Sie schnappte hörbar nach Luft und wich zurück, aber er blieb genau dort, wo er war, und bewegte nur seine Augen.

Ganz langsam ließ er seinen Blick über ihr sauberes, aber zerknittertes T-Shirt hinunter zu der ausgebleichten Jeans gleiten. Ihr Atem ging schneller, ihre Brustspitzen verhärteten sich, und in ihrem Schoß glühte ein Feuer.

Schließlich kehrte sein Blick zu ihrem Gesicht zurück. „Wo wohnen Sie?“ Der Klang seiner Stimme hatte sich von Sandpapier in Whisky verwandelt.

„Ähm.“ Sie schluckte. Eine Sekunde lang konnte sie sich wirklich nicht erinnern. Dann schaffte sie es, ihm den Namen ihres Hotels zu nennen.

Er verzog verächtlich den Mund. „Also bei mir. Abendessen. Dann können Sie mir zeigen, ob Ihre Überredungskünste so groß sind, wie Sie behaupten.“

2. KAPITEL

Viktor sah zu, wie die forsche Miss Toth sich aufrichtete und ihn misstrauisch ansah, während sie noch vor einem Augenblick sehr … empfänglich gewirkt hatte. Ihr zarter Duft hatte ihn eingehüllt und mit Noten von Vanille und frischer, klarer Luft verführt.

„Zeigen Sie mir dann den Ohrring?“

„Ich werde Ihnen zumindest die Gelegenheit geben, mir zu erklären, warum ich das tun sollte.“

Nach einer kurzen Pause nickte sie. „Na gut.“

Er klopfte an die Trennscheibe zur Fahrerkabine und gab seinem Fahrer Anweisung, nach Hause zu fahren. Dann fragte er sich, was zum Teufel er da tat. Eine Rucksacktouristin aufzugabeln wäre schon schlimm genug gewesen. Aber diese Frau war gefährlich.

Nicht, dass sie so aussah. Mit ihrer lässigen Kleidung und dem ungeschminkten Gesicht wirkte sie auf den ersten Blick unschuldig. Jetzt kaute sie auf ihrer Lippe, als wäre sie gerade dabei, es sich wieder anders zu überlegen.

Naives Getue war normalerweise nicht sein Ding, aber irgendetwas in der Art, wie sie nervös über ihre Lippen leckte, ließ Verlangen durch seinen Körper schießen.

Nicht, weil er eine Vorliebe für hilflose Frauen besaß. Sondern eher, weil er spüren konnte, dass sie sich bemühte, nicht zu zeigen, wie sehr er sie anzog. Mit genau demselben Gefühl hatte er selbst zu kämpfen.

In den Sekunden, als sie seine Lippen angestarrt und ihn stillschweigend gebeten hatte, sie zu küssen, hätte er fast seinem Verlangen nachgegeben … Zum Teufel, hatte er jemals so ein Verlangen nach einer Fremden verspürt?

Seine Gefühle waren zusammen mit seinem Bruder begraben worden, um nie wieder zum Leben erweckt zu werden. Aber bei dem Verlangen in ihrem Blick, als sie seine Lippen ansah, hatte er plötzlich mehr gespürt als nur Zynismus.

Seltsamerweise hatte er eine offene Tür zur Freiheit gesehen, während andere Frauen ihm nur wie ein Lockvogel im Käfig erschienen. Dazu gehörte auch Trudi, eine österreichische Erbin, mit der seine Mutter ihn nur allzu gern verkuppeln wollte.

Zweimal war er mit ihr ausgegangen. Es waren nette Abende gewesen, die in einem nicht besonders spektakulären Kuss endeten. Und dennoch setzte seine Mutter bereits Gerüchte über eine bevorstehende Verlobung in die Welt.

Gerüchte, die Trudi – sehr zu seinem Missfallen – nur allzu gern vorantrieb.

Aber er durfte nicht vergessen, dass auch diese Tür am Ende in die Gefangenschaft führen konnte. Sie stammt aus einer betrügerischen Familie, erinnerte er sich. Dazu passte die Art und Weise, wie sie sich den Termin bei ihm erschlichen hatte. Sie war eindeutig die Enkelin jener Frau, die seine Familie bestohlen hatte.

Ihre rehäugige Unschuld konnte nur eine Masche sein.

Er sah praktisch vor sich, wie ihre Großmutter seinen Großonkel reingelegt hatte. In der Familie wurde erzählt, dass Istvans diebische Geliebte damals behauptet hatte, einen Karolyi-Bastard unter dem Herzen zu tragen, um Zugang zum Haus zu bekommen.

Nur darum hatte auch seine Mutter dem Treffen zugestimmt. Sie wollte einem Skandal aus dem Weg gehen – und unrechtmäßigen Ansprüchen auf das Anwesen. Es gab DNA-Tests, und seine Mutter hatte vorgehabt, darauf zu bestehen.

War darum Rozalia anstelle der Frau gekommen, die behauptete, blutsverwandt zu sein? Was wollte sie wirklich? Jedenfalls bestimmt nicht nur einen Blick auf den Ohrring werfen.

„Wow“, sagte Rozalia, als sie vor der Villa aus dem Wagen stiegen und die breite Treppe hinaufgingen.

Sobald sie die große Halle betraten, lächelte sie ihn aufgeregt an. „Das ist, als würde man ein Museum betreten.“

Normalerweise bemerkte er die Pracht kaum noch, aber jetzt betrachtete er den Marmorboden mit den kunstvollen Einlegearbeiten plötzlich mit neuem Interesse. Enorme Spiegel in goldenen Rahmen prangten an den Wänden, und von der mit Wandbildern und Stuck verzierten Decke hingen kristallene Kerzenleuchter.

„Offensichtlich gebaut, um Besucher zu beeindrucken“, murmelte Rozalia. Sie hob den Blick zu der gewaltigen Treppe. „Ich kann die Ballkleider und gepuderten Perücken genau vor mir sehen. Können Sie sich vorstellen, wie es damals gewesen sein muss?“ Sie schmunzelte über sich selbst. „Vielleicht wissen Sie ja genau, wie es ist. Veranstalten Sie viele Bälle?“

„Das Übliche“, erwiderte er.

Sie sah ihn an, dann lachte sie schallend. Es war schlicht und einfach das schönste Lachen, das er je gehört hatte. Er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er zum letzten Mal jemanden in diesem Mausoleum hatte lachen hören.

Nicht seit seiner Kindheit. Ihr Lachen erfüllte die Halle, und er war so gefangengenommen von dem Laut, von dem Licht und der Lebendigkeit in ihrer Miene, dass er spürte, wie ein Lachen in seiner eigenen Brust aufstieg. Was ganz bestimmt seit seiner Kindheit nicht mehr passiert war.

Sein Butler Endre trat mit ernster Miene zu ihnen und bot an, Rozalia den schon recht mitgenommen aussehenden Rucksack abzunehmen.

Sie blinzelte überrascht, dann lächelt sie Endre strahlend an. „Ich behalte ihn.“

Als sie den Salon betraten, legte sie den Schandfleck auf das Sofa. Endre machte ein Gesicht wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten hatte.

Als er fragte, was sie trinken wollten, bat Rozalia um pálinka, den ungarischen Obstschnaps. „Wir trinken ihn zu Hause bei Familienfeiern. Und einen Schnaps kann ich jetzt gut brauchen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sein muss, in einem solchen Haus zu leben. Ich wünschte, Gisella wäre hier und könnte alles sehen.“

In diesem Moment fühlte Rozalia sich wieder wie die arme Cousine, die sie immer gewesen war, stets im Schatten der glamourösen Gisella. Natürlich war dieses prächtige Haus Gisellas Erbe.

Sie liebte ihre Cousine von ganzem Herzen. In mancherlei Hinsicht war sie ihr näher als ihren leiblichen Schwestern. Sie waren gleichaltrig und teilten dieselbe Leidenschaft für Metalle und Edelsteine. Und sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, Großmamas Ohrringe aufzuspüren und der Frau zu schenken, die sie beide über alles liebten.

Aber die gertenschlanke, wunderschöne und atemberaubende Gisella war ein verwöhntes Einzelkind. Sie würde an einem Ort wie diesem nicht in Gelächter ausbrechen. Sie würde davon ausgehen, dass sie hierher gehörte – was sie auf eine gewisse Weise auch tat.

Autor

Dani Collins

Dani Collins verliebte sich in der High School nicht nur in ihren späteren Ehemann Doug, sondern auch in ihren ersten Liebesroman! Sie erinnert sich heute immer noch an den atemberaubend schönen Kuss der Helden. Damals wurde ihr klar, dass sie selbst diese Art von Büchern schreiben möchte. Mit 21 verfasste...

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