In den starken Armen des Tycoons

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Reid Chamberlain lädt sie zum Dinner in sein Luxus-Apartment ein? Überraschend - und aufregend! Früher war der freche Bad Boy Noras bester Freund, bis sie Chicago verließ. Doch jetzt ist sie zurückgekehrt. Und natürlich hat Reid, inzwischen steinreicher Tycoon mit besten Verbindungen, davon erfahren. Viel zu heftig klopft Noras Herz, als sie ihrem einstigen Traummann gegenübersteht! Seine Blicke geben keine Gefühle preis. Aber vielleicht hilft ihr das raffinierte Cocktailkleid dabei herauszufinden, was Reid von ihr will?


  • Erscheinungstag 05.09.2017
  • Bandnummer 1993
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723897
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Falls es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit gab, dann lernte Sutton Lazarus Winchester sie jetzt kennen.

Nora lehnte sich gegen die Wand im Krankenzimmer, um etwas Halt zu finden. Sie hatte Mühe, den Tatsachen ins Auge zu sehen: Ihr scheinbar unbesiegbarer Vater starb an Lungenkrebs.

Sie hätte erleichtert sein sollen. Sein tyrannisches Regime neigte sich dem Ende zu. Der Mann, der sich nicht bereitgefunden hatte, sie bei ihrer Hochzeit zum Traualtar zu führen, lag bleich und eingefallen im Krankenbett. Ein Teil von ihm schien bereits Richtung Hölle unterwegs zu sein, um dort auf den Rest zu warten.

Doch die Erleichterung wollte sich nicht einstellen. Nora war zurück nach Chicago gekommen in der Hoffnung, sich in seinen letzten Tagen noch mit ihrem Vater aussöhnen zu können. Und jetzt, wo sie hier war, drohte diese Aufgabe sie zu erdrücken.

„Ich musste es selbst sehen“, flüsterte Nora ihren Schwestern Eve und Grace zu, die neben ihr standen und ebenfalls zu ihrem Vater hinübersahen. Keine von ihnen war nahe an das Bett herangetreten, obwohl ihr Vater im Moment zu schlafen schien.

Früher hatte Nora ihn immer mit einer Schlange verglichen: Sutton Winchester wartete, bis jemand so leichtsinnig war, ihm eine verwundbare Stelle zu bieten, dann schlug er zu, verspritzte sein Gift und weidete sich an den Schmerzen, die er verursachte. So hatte er schon immer gehandelt, und Nora hatte keinen Zweifel daran, dass er es auch noch vom Grab aus tun würde.

„Das ging uns auch so“, flüsterte Eve zurück. „Die Ärztin war nicht sehr glücklich, als ich sie bat, die Diagnose von einem anderen Arzt bestätigen zu lassen. Aber ich wollte sichergehen.“

Eve war schon immer in allem sehr gründlich gewesen. Als die älteste der drei Winchester-Töchter hatte sie stets alles im Griff und war bekannt dafür, Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

„Ihr wolltet das Todesurteil schwarz auf weiß haben, was?“ Nora sagte es ohne Bosheit.

Sutton hatte alle drei Töchter drangsaliert, aber Nora war die Einzige, die schließlich die Konsequenzen gezogen hatte und nach Colorado gegangen war, fast zweitausend Kilometer weit weg. Dafür hatte sie auf das Geld ihres Vaters verzichtet und auf das Leben im Luxus, das sie bis dahin geführt hatte.

Eve runzelte die Stirn. „Ich wollte nur sichergehen, dass es mit der Diagnose seine Richtigkeit hat. Ich würde es diesem Newport durchaus zutrauen, einen Arzt zu bestechen, damit er etwas Falsches in seinen Bericht schreibt.“

„Glaubst du tatsächlich, Carson könnte jemanden finden, der dazu bereit wäre?“ Frage und Ton machten klar, dass Grace nichts gegen den Mann hatte, der sich unlängst als ihr Halbbruder erwiesen hatte.

Im Gegensatz zu Eve sah Gracie immer nur das Beste in den Menschen. Noras jüngere Schwester hatte ein großes Herz, und daran änderte auch der Riesenskandal nichts, in den die Familie seit Neuestem verwickelt war. Es hatte sich herausgestellt, dass Sutton aus einer seiner vergangenen Affären einen Sohn hatte – und zwar niemand anderen als seinen Konkurrenten Carson Newport.

Jetzt, wo Nora ihren Vater gesehen hatte, konnte sie den zweiten Punkt ihres Plans für Chicago angehen: Carson. Suttons Geld war ihr einerlei und auch die Streitfrage, ob Carson Newport irgendeinen Anspruch darauf hatte. Den Kampf konnten Eve und Grace ausfechten. Aber der Mann war ihr Halbbruder. Sie war neugierig auf ihn.

„Menschen sind bereit, für Geld alles zu tun, auch Ärzte. Und vor allem Newports“, sagte Eve und warf ihr blondes Haar ungeduldig über die Schulter. Es war länger, als Nora es in Erinnerung gehabt hatte, aber sie sahen sich ja auch selten. Ihr letzter längerer Besuch war noch vor Seans Tod gewesen.

Der Gedanke daran ließ die Trauer, die immer dicht unter der Oberfläche wartete, wieder in ihr hochsteigen. Verbunden mit dem Schock über den Anblick ihres todkranken Vaters war es einfach zu viel.

Eins, zwei, drei … Nora zählte stumm bis zehn. Mehr Zeit durfte nicht sein für Selbstmitleid. Sean war nicht mehr da. Sie hingegen lebte, und wenn sie am Leben teilhaben wollte, dann durfte sie sich nicht in eine Ecke verkriechen und trauern, wie sie es anfangs getan hatte, nachdem der grimmig dreinblickende Verbindungsoffizier der Army bei ihr aufgetaucht war, um ihr die Nachricht zu überbringen, dass ihr Mann in Afghanistan gefallen war.

Sean hatte seinen Sohn nie kennengelernt. Das war die grausamste Seite dieser wirklich grausamen Umstände. Aber in ihrem kleinen Sohn hatte Nora immer noch einen Teil ihres Mannes bei sich, und kein schießwütiger Terrorist würde ihr das nehmen.

Eine Frau im weißen Kittel mit einem strengen Haarknoten erschien an Suttons Bett – Dr. Wilde, die Ärztin ihres Vaters.

„Stimmt es wirklich? Sie können nichts mehr machen?“, fragte Nora.

Dr. Wilde senkte einen Moment den Kopf. „Ich gebe mich nur ungern geschlagen, aber das ist richtig. Der Tumor liegt so ungünstig, dass wir nicht operieren konnten. Zudem hat er so schnell gestreut, dass es für jede Chemotherapie zu spät ist. Ihr Vater hat maximal noch fünf Monate. Es tut mir leid.“

Fünf Monate. Wie sollte sie es in der kurzen Zeit schaffen, die Kraft aufzubringen, ihrem Vater zu verzeihen, dass er sie nie geliebt hatte?

„Es muss Ihnen nicht leidtun“, sagte Nora zur Ärztin. „Es war seine eigene Schuld. Wir haben ihm immer wieder gesagt, er soll aufhören zu rauchen, aber er dachte wohl, sein Pakt mit dem Teufel würde ihm ewiges Leben garantieren.“

Sie hatte gewusst, wie das medizinische Urteil aussah. Aber es war dann doch etwas anderes, die Worte noch einmal so deutlich zu hören. Es war mit einer der Gründe für sie gewesen, nach Chicago zu fliegen, auch wenn das Reisen mit einem Zweijährigen mühsam war.

Und nun stand es wohl fest: Sutton Winchester würde das neue Jahr nicht mehr erleben.

Suttons persönliche Assistentin, Valerie Smith, steckte den wie immer makellos frisierten Kopf zur Tür herein. „Ist Ihr Vater schon wach?“, fragte sie. „Ich würde dann Declan hereinbringen, wenn es Ihnen recht ist.“

Das war der dritte Punkt, den sich Nora vorgenommen hatte: Sie wollte ihrem Vater seinen Enkelsohn vorstellen.

„Nein, er schläft noch.“ Nora war dankbar für den Aufschub. „Aber ich nehme Declan jetzt, damit Sie eine Pause machen können.“

Valerie hatte sich erboten, mit dem quengeligen, da gelangweilten Zweijährigen in die Cafeteria zu gehen auf der Suche nach Jell-O-Götterspeise oder Salzcrackern, dem Einzigen, was er im Moment aß. Er weigerte sich, die Früchteriegel und Bananenchips auch nur anzusehen, die Nora für ihn eingepackt hatte. Logik war in seinem Denken noch nicht vorgesehen, es nützte also wenig, ihn daran zu erinnern, dass er zuvor auf eben diesen beiden Leckereien bestanden hatte.

Der kleine Junge stürzte ins Zimmer. Noras Herz machte einen Satz, wie immer, wenn sie sein lockiges rotes Haar sah. Er sah ganz aus wie Sean, und es war Fluch und Segen gleichermaßen, in ihm eine ständige Erinnerung an den Mann zu haben, den sie verloren hatte.

„Hey, Butterbean. Hast du Jell-O gefunden?“ Nora löste sich mit einem entschuldigenden Lächeln von ihren Schwestern. Sie hatte Gewissensbisse, weil sie sich zuerst lieber um ihren Sohn gekümmert hatte, statt hier bei der Familie zu sein. Ihre Schwestern waren immer an Suttons Seite gewesen, hatten einander beigestanden und Einheit gegenüber Außenstehenden demonstriert, aber Nora hatte es einfach nicht gekonnt.

Declan nickte. „Jell-O.“

Die blinkenden Maschinen im Krankenzimmer weckten sein Interesse, und er steuerte mit ausgestreckten Fingern schnurstracks darauf zu. Nora fing ihn ab und gab ihm einen Kuss aufs Haar. „Nicht so schnell, Mr. Neugierig. Habe ich dir schon die Geschichte von der Katze erzählt?“

„Katze.“ Declan versuchte, das Miauen einer Katze nachzumachen. Er war so witzig und süß. Es schmerzte sie, dass sein Vater nicht sehen konnte, wie er gewachsen war und wie schnell er lernte. Wenn er schlief, steckte er immer einen Fuß unter der Decke hervor – genau wie Sean es getan hatte.

So schnell sie konnte verließ Nora mit dem Kleinen das Krankenzimmer. Niemand sollte ihre Tränen sehen. Sean war vor fast zwei Jahren gestorben. Sie sollte allmählich über seinen Tod hinweg sein. Sollte sich wieder mit Menschen treffen und jemanden finden, der ihre Einsamkeit vertrieb. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, mit einem anderen Mann als mit Sean zusammen zu sein. Er war die große Liebe ihres Lebens gewesen. Der Mann, der sofort ihr Herz erobert hatte, als sie ihn bei einem Footballspiel im College kennengelernt hatte.

Auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen, wo sie sich wieder fangen konnte, entdeckte sie auf dem Krankenhausflur eine Nische mit zwei Stühlen. Sie setzte sich. Den Kleinen hielt es vielleicht vier Sekunden auf dem Stuhl, bevor er sich zu Boden gleiten ließ und losrannte. Nora lachte.

„Hast du Feuer in der Hose, Butterbean?“

Das war sofort Seans Spitzname für den Jungen gewesen, als er das Ultraschallbild sah, das sie beim Skypen vor die Kamera gehalten hatte. Sie hatte den Kosenamen auch nach der Geburt des Kleinen beibehalten, weil seine Pausbäckchen förmlich dazu einluden.

Declan antwortete nicht, weil er zu beschäftigt war, mit seinem Po den Boden blank zu polieren. Okay, noch dreißig Sekunden, dann würde sie ihm die Hände mit Desinfektionsmittel abwischen, bevor er sie sich in den Mund steckte. Das Midwest Regional war ein gepflegtes Krankenhaus, aber natürlich waren überall Kranke, da konnte eine Mutter nicht vorsichtig genug sein.

„Miss Winchester?“ Eine junge Krankenschwester, dem Namensschild nach Amanda, blieb neben Declan stehen.

„Mrs. O’Malley“, verbesserte Nora sie. „Vormals Winchester.“

Die Schwester lächelte. „Wir haben einen Extraraum für Ihre Familie reserviert. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen den Weg.“

„Ja, gern.“

Wie hatte es ihr entgehen können, dass Suttons Einfluss sich bis in dieses Krankenhaus erstreckte? Es war lange her, dass Nora im Luxus gelebt hatte, und noch länger, dass er ihr wichtig gewesen war. Aber im Moment hatte die Vorstellung von einem ruhigen Ort abseits der Hektik des Krankenhauses durchaus etwas Verlockendes.

Amanda gab einen Code an der Tür ein und versprach, ihn ihr aufzuschreiben. Wie benommen sah Nora sich um. Auf einem langen Tisch an der Wand war so viel Essbares aufgefahren, dass es für vier Familien gereicht hätte. Die leeren Transportbehälter unter dem Tisch trugen das Label von Iguazu, einem neuen argentinischen In-Restaurant, das sich sogar bis Colorado herumgesprochen hatte. Zwei Angestellte waren noch dabei, die Warmhalteplatten aufzustellen, offenbar war alles gerade erst gebracht worden.

„Was ist denn das?“, fragte Nora die Schwester verblüfft.

„Jemand hat es für die Familie geschickt. Oh …“ Amanda suchte in ihrer Tasche. „Da war auch ein Umschlag. Für Sie.“

Erstaunt nahm Nora ihn entgegen, während sie gleichzeitig Declan auf den Arm hob, der die blauen Flammen unter den Platten höchst interessiert beäugte. „Vielen Dank.“

Amanda notierte den Code der Tür und drückte Nora den Zettel in die Hand, bevor sie zusammen mit den Catering-Leuten verschwand. Nora nahm in einem Sessel Platz und hielt Declan so fest, dass er ihr nicht entwischen konnte, während sie den Umschlag aufriss.

Die getippte Nachricht war kurz und auf den Punkt gebracht.

Gutes Essen kann alles erträglicher machen.

Hochachtungsvoll.

Als Unterschrift nur Hochachtungsvoll? Nachdenklich überflog Nora die Karte noch einmal. Irgendetwas kitzelte ihre Erinnerung – und plötzlich fiel es ihr wieder ein. Dieses Hochachtungsvoll war eine Art Privatwitz gewesen zwischen ihr und ihrem Freund Reid Chamberlain.

Wow! An ihn hatte Nora schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Reid, sein Bruder Nash und seine Schwester Sophia hatten dieselben Privatschulen besucht wie die Winchester-Mädchen. Reid und Nora waren gleich alt und daher in derselben Klasse gewesen. Ihre Eltern verkehrten in den ersten Kreisen Chicagos, es war also nur natürlich, dass sie miteinander Kontakt hatten. Was blieb den Kindern bei den langweiligen Veranstaltungen für Erwachsene auch anderes übrig, als sich zusammenzutun?

Es wäre vielleicht naheliegender gewesen, wenn Nora sich mit Sophia angefreundet hätte, aber sie war von Anfang an fasziniert von Reid gewesen.

Sie waren zusammen durch die Küche getobt, bis die Hausangestellten sie entnervt vor die Tür setzten, oder sie hatten im riesigen Garten der Chamberlains Verstecken gespielt. Nora hatte es geliebt, wenn Reid und sie sich auf den Ästen desselben Baums versteckten und sich ins Fäustchen lachten, weil Nash oder Gracie direkt unter ihnen standen und frustriert waren, weil sie sie nicht finden konnten. Eine Zeit lang war sie sogar in Reid verliebt gewesen.

Aber das war, bevor sein Körper einen Wachstumsschub tat und sein gutes Aussehen ihn zum Schwarm aller höheren Töchter von Chicago gemacht hatte. Dabei war Nora irgendwie aus seinem Blickfeld verschwunden. Reid gab sich bald nur noch mit einer Gruppe ab, der es ausschließlich um Geld, Prestige und schnelle Autos ging. Sie machte ihm keinen Vorwurf. Neunundneunzig Prozent der Menschen in ihrem Umfeld huldigten der alten Weisheit: „Je mehr er hat, je mehr er gilt.“

Ihre Wege hatten sich getrennt. So etwas kam vor. Das Letzte, was Nora von Reid Chamberlain gehört hatte, war, dass er mit Hotels sehr reich geworden war.

Es konnte nicht sein, dass Reid dieses Essen geschickt hatte. Sie hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr gehabt, und dieses Hochachtungsvoll war einfach nur ein Scherz gewesen. Etwas, das sie sagten, wenn sie Erwachsene nachmachten, die versuchten, andere Erwachsene zu beeindrucken. Viele Menschen verwendeten die Floskel sicher ganz selbstverständlich.

Nora schickte Eve eine SMS, und kurze Zeit später stürmten die beiden anderen Winchesters herein, um das ominöse Geschenk mit eigenen Augen zu sehen. Da Nora seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen hatte, machte sie Declan einen Teller mit ein paar Pommes frites fertig. Die aß er sehr gern, und das war wahrscheinlich auch das Einzige aus dem Angebot, was sie ihm schmackhaft machen konnte. Dann bediente sie sich selbst bei den lukullischen Leckereien.

Sie nahm ein wenig von allem und beschloss, sich von dem, was ihr am meisten zusagte, noch einmal nachzuholen. Eve und Grace taten es ihr gleich, während sie Mutmaßungen über ihren anonymen Gönner anstellten. Auch nachdem sie sich alle noch ein zweites Mal bedient hatten, schien die Fülle auf den Platten nicht abgenommen zu haben.

„Das Essen ist wirklich köstlich“, bemerkte Nora. „Aber es hält sich nicht ewig, und es ist so unglaublich viel da. Vielleicht sollten wir die Schwestern und Ärzte einladen.“

„Eine gute Idee.“ Grace war begeistert. „Sie arbeiten alle so schwer. Ich frage mich, wie oft sie die Chance haben, im Iguazu zu essen. Man muss schon jemanden kennen, um dort einen Tisch zu bekommen. Ich bin erst ein einziges Mal dort gewesen, und dafür musste ich etliche Strippen ziehen. Ich sage Amanda Bescheid, dann kann sie die anderen informieren.“

Man brauchte Beziehungen, um ins Iguazu zu kommen? Noras Neugier verstärkte sich. Wer würde ihnen ein solches Geschenk aus einem derart exklusiven Restaurant machen? Einer von Suttons Geschäftspartnern? Die Menschen tolerierten Sutton, weil er mächtig war, und im Laufe der Jahre hatten auch viele das eine oder andere Geschenk geschickt, aber niemals etwas, das derart aufwendig und gleichzeitig durchdacht gewesen wäre. Nora konnte es nicht leugnen: Sie war beeindruckt von der Geste. Gedankenverloren spielte sie mit der Karte in ihrer Tasche.

Schwestern, Ärzte und andere Angestellte der Station strömten herein, betrachteten die Delikatessen und bedankten sich bei den Winchesters für ihre Großzügigkeit. Der Lärmpegel stieg, als sich mehr und mehr Gäste einen Platz suchten und sich beim Essen gut gelaunt unterhielten. Nora verspürte bald pochende Kopfschmerzen. Der lange Tag mit der anstrengenden Reise forderte seinen Tribut.

Auf der anderen Seite des Raums war Declan auf Gracies Schoß geklettert. Sie lachte, als er ihr ein paar Pommes vom Teller stahl. Offenbar hatte er noch nicht genug. Declan war bei seiner Tante gut aufgehoben. Das bot Nora die perfekte Gelegenheit, einen Moment allein zu sein.

Sie machte Gracie ein Zeichen, dass sie für fünf Minuten verschwinden wollte. Ihre Schwester verstand und winkte ihr lächelnd zu.

Dankbar verzog Nora sich in den Waschraum und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Zu spät begriff sie, dass es in dem Privatbereich, den sie gerade verlassen hatte, sicher auch einen Waschraum gegeben hätte. Es war schon eine Weile her, seit sie solchen Luxus erlebt hatte. Der privilegierte Lebensstil hatte ihr nie wirklich zugesagt. Sehr zum Kummer ihrer Mutter hatte sie sich sogar entschlossen, sich wie alle normalen Sterblichen an der University of Michigan einzuschreiben. Dort hatte sie dann Sean kennengelernt. Sie betrachtete es als Schicksal.

Aus heiterem Himmel fiel ihr Reid wieder ein. Er war auf die Eliteuniversität Yale gegangen, wenn sie sich recht erinnerte. Nicht, dass sie viel Zeit darauf verwendet hätte, seinen weiteren Lebenslauf zu verfolgen, aber die Privatschule, die sie zusammen besucht hatten, war so klein gewesen, dass jeder jeden kannte und alle über alles auf dem Laufenden blieben.

Nora drehte die Karte gedankenverloren zwischen den Fingern. War es wirklich Reid gewesen, der all das Essen geschickt hatte? Falls ja, dann sollte sie sich bei ihm bedanken. Gracie und Eve kannten Reid natürlich auch, aber sie waren mit keinem der Chamberlains so eng befreundet gewesen wie Nora mit Reid.

Plötzlich drängte es sie, herauszufinden, ob der Freund ihrer Kindheit tatsächlich hinter dieser Aktion steckte. Kurz entschlossen holte sie sich die Website des Restaurants auf ihr Smartphone und rief die dort angegebene Nummer an. Eine Frauenstimme meldete sich.

Iguazu. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Hier ist … Mrs. O’Malley aus dem Büro von Mr. Chamberlain.“ Nora hasste Lügen, aber diese war sicher verzeihlich. „Mr. Chamberlain hätte gern die Bestätigung, dass das Essen geliefert wurde, das er für die Winchesters ins Midwest Regional bestellt hat.“

„Natürlich. Lassen Sie mich nachsehen.“

Nora wurde in eine Warteschleife gelegt. Nach kurzer Zeit meldete sich die Frau zurück. „Mrs. O’Malley? Ja, es wurde alles wie bestellt geliefert, und der Umschlag wurde wie gewünscht Nora Winchester übergeben. Bitte richten Sie Mr. Chamberlain aus, dass wir seinen Auftrag gern ausgeführt haben und ihm jederzeit wieder zur Verfügung stehen.“

Irgendwie brachte Nora noch ein „Danke“ hervor. Wie, das war ihr selbst schleierhaft, denn ihre Zunge fühlte sich vollkommen taub an.

Reid hatte nicht nur das Essen geschickt, er hatte auch noch explizit darauf bestanden, dass sie den Umschlag erhielt? Wieso? Dann handelte es sich bei dem Hochachtungsvoll also doch um ihren alten Gag! Er ging eindeutig davon aus, dass sie ihn verstand. Sie musste den Grund dafür herausfinden.

Nach der langen Reise und dem niederschmetternden Anblick ihres Vaters im Krankenbett hätte Nora den Wunsch verspüren sollen, nach Hause zu fahren und die Welt zu vergessen. Aber das hatte sie nun seit zwei Jahren getan, und es hatte ihr nichts weiter eingebracht als deprimierende Einsamkeit.

Es wurde Zeit, wieder die Initiative zu ergreifen. Zum Beispiel konnte sie sich bei Reid für seine Freundlichkeit bedanken.

2. KAPITEL

Auf dem Weg zum Büro von Reid Chamberlain suchte Nora in ihrem Smartphone nach ein paar Informationen über den Mann. Wenn sie ihn schon ohne Anmeldung überfallen wollte, sollte sie zumindest ansatzweise eine Vorstellung haben, was er im Laufe der vergangenen Jahre getrieben hatte.

Gracie hatte sich erboten, Declan mit in die Winchester-Villa zu nehmen, in deren Gästehaus Nora während ihres Aufenthalts in Chicago wohnte. Gracie hatte auch darauf bestanden, einen Wagen für sie zu bestellen, der sie zu ihrer geheimnisvollen Mission fahren sollte. Geheimniskrämerei war an sich nicht Noras Art, aber sie wollte das Gespräch nicht auf Reid bringen, solange sie nicht wusste, was hinter seiner Geste steckte.

Die Artikel über ihn ließen eine Persönlichkeit erahnen, die so ganz anders war als erwartet. Es gab so gut wie keine Fotos von ihm, abgesehen von einer grobkörnigen Aufnahme, die ihn zeigte, wie er von einer dunklen Limousine zum Eingang eines seiner Hotels eilte. Er hatte das Gesicht von der Kamera abgewandt, sodass er nur im Profil zu sehen war – trotzdem war sein Ärger über den Fotografen zu erkennen.

Die Bildunterschrift lautete: „Der pressescheue Milliardär Reid Chamberlain.“

Pressescheu? Reid? Solange Nora denken konnte, war er stets der Mittelpunkt jeder Party gewesen. Deswegen hatten sich ihre Wege ja überhaupt getrennt: Er war so beliebt gewesen, dass er ständig unterwegs war.

Noras Neugier auf den Mann wuchs. Sie sah auf, als der Wagen hielt und der Chauffeur ihr die Tür öffnete. Sie befand sich vor dem brandneuen Hotel Metropol im Zentrum Chicagos.

Eine Fassade aus Glas und Stahl ragte über ihr in den Himmel. Großer Gott! Hier war Reids Büro? Sie hatte gelesen, dass Reids Bruder Nash Chamberlain das Metropol entworfen hatte. Das Gebäude war wirklich atemberaubend. Es schien mehrere Dutzend Stockwerke zu haben und wirkte, als drehe es sich um sich selbst. Es gehörte sicher einiges an architektonischem Sachverstand dazu, eine solche Idee umzusetzen.

Beeindruckt betrat Nora die Lobby. Sie war froh, dass sie sich am Morgen für High Heels und einen klassisch geschnittenen Hosenanzug entschieden hatte. Der Herr an der Rezeption empfing sie mit einem freundlichen Lächeln.

Nora hatte so etwas wie einen Blackout. Am Telefon zu lügen, war das eine, aber zu lügen, wenn man den anderen direkt vor sich hatte, war eine ganz andere Sache. Das hätte sie sich vorher überlegen sollen.

Was, wenn Reid gar nicht da war? Oder wenn ihm nichts daran lag, dass sie ihn aufsuchte? Sie hatte ja nur vermutet, dass er sie auf seine Spur bringen wollte.

Aber war das nicht egal? Es ging hier um mehr als um ein simples Dankeschön. Sie wollte wieder die Initiative in ihrem Leben übernehmen. Nora drückte die Schultern durch. Keine Ausflüchte mehr!

„Ich bin hier, um Mr. Chamberlain zu sprechen. Sagen Sie ihm bitte, Nora O’ … Winchester ist hier. Er wird sicher Zeit für mich haben.“ Wow! Wenn das nicht ein Zeichen von Selbstsicherheit war!

Der Angestellte nickte. „Natürlich, Miss Winchester. Er erwartet Sie.“

Vor Verblüffung vergaß Nora für einen Moment, den Mund zu schließen. „Vielen Dank.“

Der Portier betätigte eine Klingel, und ein junger Mann in einer diskreten Pagen-Uniform in den Farben des Hotels tauchte wie aus dem Nichts neben Nora auf.

„William wird Sie zum Fahrstuhl begleiten und dafür sorgen, dass Sie das Büro von Mr. Chamberlain erreichen“, versicherte der Portier ihr.

Noras Absätze versanken in dem dicken Teppich, der den dunkel glänzenden Holzfußboden bedeckte. Am Fahrstuhl hielt der Page eine Karte an das Lesefeld über den Knöpfen und drückte die siebenundvierzigste Etage.

„Die Etagen siebenundvierzig und achtundvierzig sind grundsätzlich gesperrt“, erklärte er. „Nur VIPs werden zu Mr. Chamberlain vorgelassen. Es ist ziemlich lange her, seit wir diesen Fall hatten.“

Nur für VIPs. Und Nora Winchester zählte dazu. Was wäre passiert, wenn sie sich als Nora O’Malley vorgestellt hätte? Hätte der Portier sie dann freundlich lächelnd vor die Tür gesetzt?

Sie war plötzlich nervös. Diskret kontrollierte sie ihr Haar und das Make-up im Spiegel des Fahrstuhls. Sie hatte sich das Haar am Morgen vor dem Flug zu einem Knoten gebunden. Jetzt hatten sich einige Strähnen gelöst und fielen lockig zu beiden Seiten ihres Gesichts herunter. Nicht übel.

Das ist doch albern. Was spielte es schon für eine Rolle, wie sie aussah? Reid hatte sie einfach nur ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht, indem er den Portier wissen ließ, er erwarte sie.

Ein Ping ertönte, und Sekunden später führte William sie in einen Empfangsbereich, über den eine stattliche Frau mit stahlgrauem Haar zu herrschen schien. Sie schloss augenblicklich ihren Laptop, als Nora hereinkam.

„Sie müssen Miss Winchester sein“, erklärte sie. „Mr. Chamberlain hat darum gebeten, dass Sie sofort zu ihm gebracht werden.“

Ehe Nora sichs versah, hatte die Dame sie durch ein paar Glastüren zu einer offenen Tür am Ende des Korridors geführt und verschwand diskret.

Der Mann hinter dem großen gläsernen Schreibtisch sah auf, als Nora sein Büro betrat.

Die Zeit schien stehen zu bleiben, als ihre Blicke sich trafen.

Nora vergaß für einen Moment zu atmen. Sie spürte, wie die Persönlichkeit von Reid Chamberlain jeden Nerv ihres Körpers vor Spannung vibrieren ließ.

Wortlos erhob er sich und kam zu ihr herüber. Je näher er kam, desto stärker fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Er war jetzt ganz Mann – beeindruckend professionell in seinem dunkelgrauen Anzug, ein wenig verwegen mit dem braunen, leicht gewellten Haar. Und umwerfend attraktiv mit seinen markanten Zügen, die von dem leichten Bartschatten am Kinn noch betont wurden.

Autor

Kat Cantrell
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