Julia Best of Band 222

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WIE DAMALS - NUR VIEL SCHÖNER von SHARON KENDRICK
Seit der Eröffnung ihrer Teestube in der romantischen Altstadt von Winchester ist Donna glücklich wie nie. Und als dann auch noch Marcus, ihre erste große Liebe, sie darum bittet, eine Nacht mit ihm zu verbringen, schwebt sie wie auf Wolken. Hat er sie auch nie vergessen?

MIT DEN WAFFEN EINER FRAU von SHARON KENDRICK
Viele Jahre sind seit Dimitris Sommerflirt mit der lebenslustigen Molly vergangen. Doch als er nun zufällig in das Apartment neben ihrem in London einzieht, erwacht das Verlangen erneut. Und mit einem Mal erkennt der stolze Grieche: Ein Leben ohne Molly kann er sich nicht mehr vorstellen!

EIN NEUER ANFANG? von SHARON KENDRICK
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  • Erscheinungstag 17.01.2020
  • Bandnummer 222
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714642
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Kendrick

JULIA BEST OF BAND 222

1. KAPITEL

Der Rechtsanwalt – glatt, elegant und attraktiv – besaß so tadellos manikürte Hände, wie sie Donna noch nie gesehen hatte.

„Also gut, Donna, wenn Sie bitte hier unterzeichnen würden.“ Er tippte auf den Vertrag. „Sehen Sie? Genau hier.“

Donna unterdrückte ein Schmunzeln. „Sie meinen, da wo Ihre Sekretärin freundlicherweise schon ein Kreuz eingezeichnet hat?“

„Oh, ja. Entschuldigen Sie“, setzte er schnell hinzu. „Ich wollte nicht gönnerhaft wirken.“

Die Anspannung der vergangenen Wochen löste sich allmählich. „Schon gut, das war nicht der Fall.“ Sie unterschrieb schwungvoll. „Ich bin bloß froh, dass alles vorbei ist.“

Tony Paxman sah nicht so aus, als ob er ihre Gefühle teilte. „Ich werde die Termine mit Ihnen vermissen“, seufzte er. „Aber das Lokal gehört Ihnen, und Sie haben jetzt auch Ihre Schanklizenz. Jetzt sind Sie an der Reihe. Herzlichen Glückwunsch, Donna!“ Er streckte die Hand aus. „Und ich wünsche Ihnen viel Erfolg für die Zukunft.“

„Danke“, sagte Donna.

Sie griff nach ihrer cremefarbenen Seidenjacke und schenkte Tony Paxman ein dankbares Lächeln. Durch all den offiziellen Papierkram, der mit dem Erwerb des Lokals verbunden gewesen war, hatte er sie mit der Sorgfalt eines Soldaten hindurchgelotst, der ein gefährliches Minenfeld überquerte. Und vor allem hatte er Stillschweigen über die ganze Angelegenheit bewahrt. Donna war ihm etwas schuldig.

„Hätten Sie Lust, zur Feier des Tages mit mir zum Lunch auszugehen?“

Tony blinzelte überrascht. „Lunch?“, wiederholte er schwach.

Sie zog die Augenbrauen empor. „Oder habe ich mit meiner Einladung vielleicht irgendein ungeschriebenes Gesetz übertreten?“

Hastig schüttelte er den Kopf. „Oh, nein, nein! Ich gehe oft zum Lunch mit meinen Mandanten.“

„Das habe ich mir gedacht.“ Sie schaute auf die Uhr. „Sollen wir sagen, ein Uhr? Im New Hampshire?“

„Im New Hampshire?“ Tony lächelte bedauernd. „Liebend gerne, aber wir werden dort bestimmt keinen Tisch bekommen. Jedenfalls nicht so kurzfristig, fürchte ich. Keine Chance.“

„Das weiß ich“, erwiderte Donna lächelnd. „Deshalb habe ich auch schon vor Wochen reserviert.“

Tony runzelte die Stirn. „Waren Sie so sicher, dass der Vertrag zustande kommt?“

„Ziemlich. Ich wusste, dass die Verhandlung für meine Schanklizenz für heute angesetzt war, und ich habe keine Probleme erwartet.“

„Sie sind eine Frau mit sehr viel Selbstvertrauen, Donna King“, meinte er sanft. „Und eine außerordentlich schöne dazu.“

„Bitte kommen Sie nicht auf falsche Ideen, Tony“, erwiderte sie. „Das ist ein reines Geschäftsessen, meine Art, mich bei Ihnen für all Ihre harte Arbeit zu revanchieren. Das ist alles.“

„Sicher.“ Er schob verschiedene Unterlagen auf seinem Schreibtisch hin und her. „Dann sehen wir uns um eins im New Hampshire, ja?“

„Ja.“ Donna nahm ihre Tasche und erhob sich. Mit den hohen Absätzen ihrer braunen Wildlederpumps wirkte sie viel größer als sonst. „Ich freue mich drauf.“

„Ich auch“, antwortete Tony in etwas wehmütigem Ton.

Als Donna aus dem Rechtsanwaltsbüro hinaustrat, atmete sie tief die frische Aprilluft ein. Sie konnte es kaum glauben, dass sie wieder in der Stadt war, die sie so liebte. Ihre Besuche in den letzten Wochen hatten eher heimlich stattgefunden, aber jetzt bestand kein Grund mehr für Heimlichkeiten. Sie war hier, und sie würde bleiben.

Es war ein perfekter Tag – blauer Himmel, goldener Sonnenschein, und die weißen wachsartigen Blüten der Magnolien glänzten. Eine Kirche aus grauem Sandstein, deren Turm wie die Spitze eines Bleistifts aussah. Und das Tüpfelchen auf dem i war der Vertragsabschluss.

Man hatte ihr gesagt, dass sie verrückt sei, einen Teesalon in einer Stadt wie Winchester zu eröffnen, wo es ohnehin schon mehr als genug Lokale gab. Und das war auch nicht ganz falsch. Aber eins dieser Restaurants war wie das andere, und die meisten waren Teil irgendeiner großen, gesichtslosen Kette. Nur ein Restaurant hob sich dagegen ab, und das gehörte Marcus Foreman.

Donna schluckte ihre Aufregung hinunter. Aber es war nicht nur Aufregung, sondern auch noch etwas anderes, ein Gefühl, das sie schon so lange nicht mehr gehabt hatte, dass sie bereits geglaubt hatte, es sei für immer verschwunden. Ein vergessenes, verloren gegangenes Gefühl. Doch es war da – stark und beharrlich, ausgelöst allein durch den Gedanken, dass sie Marcus bald wieder sehen würde.

„Oh, verdammt!“, sagte sie laut vor sich hin. Dann klappte sie den Kragen ihres Mantels gegen den scharfen Wind empor und begann die Straße entlangzugehen, um sich die Zeit bis zum Mittagessen mit einem Schaufensterbummel zu vertreiben.

Langsam schlenderte sie an den Geschäften vorüber, wobei sie nur einen halben Blick für die Kleider in den teuren Boutiquen übrig hatte. Exklusive Kleidungsstücke aus Naturfasern wie Seide, Baumwolle und Kaschmir, die sie normalerweise gerne anschaute.

Aber heute war eben kein normaler Tag. Nicht nur, weil man nicht jeden Tag seine gesamten Ersparnisse in ein Projekt steckte, dem mehrere Leute vorausgesagt hatten, dass es von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Nein, heute war ein besonderer Tag, weil Donna nicht nur vorwärts strebte, sondern auch zurückkehrte. Zurück an den Ort, wo sie und Marcus einander begegnet waren und miteinander Liebe und Verlust erfahren hatten und noch einiges mehr.

Kurz nach eins betrat sie den Empfangsbereich des New Hampshire, in der Hoffnung, dass sie selbstsicherer wirkte, als ihr zumute war. Das Lokal war völlig verändert. Als Donna noch hier gearbeitet hatte, war alles mit Chintz bezogen, gerüscht und geblümt gewesen.

Doch Marcus war offensichtlich mit der Zeit gegangen. Der Teppichboden war verschwunden, ebenso wie der Chintz. Jetzt bestand der Fußboden aus glänzend poliertem Holzparkett, und an den großen Fenstern hingen schlichte Vorhänge. Die Einrichtung war sparsam, einfach gehalten und bequem. Keine üppigen Polstersofas mehr!

Donna erinnerte sich, wie überwältigt sie gewesen war, als sie das erste Mal durch diese Türen gekommen war. Sie hatte sich wie in einer anderen Welt gefühlt. Aber damals war sie gerade erst achtzehn gewesen. Das war neun Jahre und eine ganze Ewigkeit her.

Auf dem Empfangstresen stand eine große Glaskugelvase mit duftenden Lilien. Ein herrliches Arrangement, aber Marcus hatte schon immer einen erlesenen Geschmack besessen.

Die Rezeptionistin blickte auf. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Madam?“

„Ja, hallo. Ich habe einen Tisch zum Lunch reserviert“, antwortete Donna lächelnd.

„Ihr Name, bitte?“

„King. Donna King.“ Sie fand, dass ihre Stimme unnatürlich laut klang. „Und ich bin hier mit einem Mr. Tony Paxman verabredet.“

Die Empfangsdame überflog ihre Liste und hakte Donnas Namen ab, ehe sie erneut aufsah. „Ah ja, Mr. Paxman ist bereits eingetroffen. Haben Sie schon einmal im New Hampshire gegessen?“, erkundigte sie sich höflich.

Donna schüttelte den Kopf. „Nein.“

Sie hatte im Hotel oben als Zimmermädchen gearbeitet, gelegentlich ein paar übrig gebliebene Leckerbissen in der Küche gegessen, und einmal hatte sie in dem privaten Salon gegessen, als Marcus zusammen mit seinen Mitarbeitern eine hervorragende Zeitungskritik feierte. In dem fabelhaften Restaurant hatte Donna jedoch noch nie eine Mahlzeit eingenommen.

„Dann werde ich sie an Ihren Tisch führen lassen.“

Donna folgte einem der Kellner, fest entschlossen, sich auf keinen Fall eingeschüchtert zu fühlen. Immerhin hatte sie schon in vielen Hotels in der ganzen Welt gegessen und gearbeitet.

Dennoch hatte sich ihr Herzschlag rasant beschleunigt bei dem Gedanken, dass sie möglicherweise Marcus über den Weg laufen würde, auch wenn sie nicht genau wusste, wieso. Denn sie war über Marcus hinweg. Schon seit Jahren.

Das Restaurant war fast voll besetzt, und Tony Paxman erhob sich, als sie an den Tisch kam.

„Ich hatte beinahe befürchtet, dass Sie mich versetzen würden!“

„Oh, ihr Kleingläubigen!“, scherzte sie und lächelte den Kellner an. „Bitte die Champagner-Hausmarke. Wir haben etwas zu feiern!“

„Selbstverständlich, Madam.“

Erst als Tony bei seinem zweiten Glas angekommen war, bemerkte er: „Hoffen wir, dass Sie in einem halben Jahr immer noch etwas zu feiern haben.“

„Inwiefern?“

Er zuckte die Achseln. „Nun, Marcus Foreman wird nicht gerade überglücklich darüber sein, wenn er herausfindet, dass Sie ein Lokal in derselben Stadt eröffnen.“

„So?“ Donna kaute nachdenklich an einer grünen Olive. „Jeder weiß, dass er einen ausgezeichneten Ruf als Gastronom genießt. Er wird ja wohl Manns genug sein, ein wenig Konkurrenz zu vertragen, oder?“

„Ich nehme an, er ist Manns genug für fast alles“, erklärte Tony trocken. „Nur vielleicht nicht unbedingt ausgerechnet in derselben Straße.“

Donna legte den Olivenkern in das kleine Schälchen vor ihrem Teller. „Aber ich werde ja wohl kaum eine ernsthafte Konkurrenz für ihn darstellen. Sein Hotel serviert seinen Gästen schließlich nur einen Nachmittagstee.“

„Schon, aber was ist, wenn sie es stattdessen vorziehen, zu Ihnen zu gehen?“

Achselzuckend erwiderte Donna: „Das hier ist ein freies Land, und gute Qualität findet immer ihre Kunden.“ Mit einem breiten Lächeln hob sie ihr Glas. „Mag der Beste gewinnen!“

„Oder die Beste“, ergänzte Tony.

Donna betrachtete die Speisekarte. „Sollen wir bestellen? Ich bin am Verhungern!“

„Klingt gut. Und dann können Sie mir Ihre Lebensgeschichte erzählen.“ Er zog die Brauen zusammen. „Wissen Sie, Ihr rotgoldenes Haar ist wirklich erstaunlich. Ich wette, als Sie klein waren, haben Sie sich immer als Prinzessin verkleidet!“

„Nein, ich war diejenige mit dem langen Gesicht, die immer die Lumpen anhatte“, entgegnete Donna scherzend, obwohl es eigentlich gar kein Scherz war.

Sie hatte eine Kindheit hinter sich, in der sie ständig unterwegs gewesen war, und von ihrer liebevollen, aber törichten Mutter hatte sie schon von klein auf die Kunst der Übertreibung und des Ausweichens erlernt und erst später begriffen, dass dies nur andere Worte für Lügen waren. Und Lügen konnten immer größer und größer werden, bis sie einen in einer riesigen Woge überschwemmten und unter sich begruben.

Mit einem Lächeln meinte sie zu Tony: „Reden wir lieber über Sie. Und außerdem können Sie mir alles über Winchester erzählen.“

Er ließ sich nicht zweimal bitten, und Donna bemühte sich sehr, sowohl das Essen als auch seine Gesellschaft zu genießen und geistreichen Small Talk zu machen. Doch sie war zu abgelenkt von ihrer Umgebung. Selbst auf das Essen konnte sie sich nicht recht konzentrieren. Seltsam, sie hätte nicht gedacht, dass Marcus noch immer eine derartige Wirkung auf sie auszuüben vermochte.

Er hatte immer die besten Köche verpflichtet, selbst anfangs, als er ihnen nur wenig zahlen konnte. Sein Standard war offenbar so hoch wie eh und je. Donna betrachtete ihre perfekte Mousse au Chocolat in einer Bananensauce.

Vielleicht bin ich ja wirklich vollkommen wahnsinnig, mich in Konkurrenz zu einem Mann zu begeben, der im Gewerbe als einer der ganz Großen gilt, dachte sie dabei.

„Donna“, sagte Tony da plötzlich.

Sie schob das Dessert unberührt von sich. „Hmm?“

„Wieso wollten Sie heute mit mir Mittag essen?“ Er trank einen Schluck Wein und füllte sein Glas auf. „Denn ganz sicher nicht deshalb, weil Sie unsere Beziehung weiter vertiefen wollten.“

„Aber das habe ich Ihnen doch schon in Ihrem Büro gesagt.“

„Wahrscheinlich schon.“ Er hob die Schultern. „Vielleicht habe ich gehofft, dass ich Sie umstimmen könnte.“

„Tut mir leid“, sagte sie leise und lehnte sich zurück, um ihn anzusehen. „Mit dem Lunch wollte ich mich lediglich bei Ihnen bedanken.“

„Wofür?“

„Dafür, dass Sie den Deal ohne Komplikationen durchgezogen und ihn geheim gehalten haben.“

„Ah, ja.“ Aufmerksam sah er sie an. „Das wollte ich Sie sowieso noch fragen. Wozu ein so großes Geheimnis? Warum durfte niemand etwas davon erfahren?“

„Jetzt ist es kein Geheimnis mehr.“ Sie lächelte. „Sie können es jedem erzählen.“

Er beugte sich über den Tisch. „Sie haben gesagt, dass Sie noch nie hier gegessen haben.“

„Das stimmt auch.“

„Aber Sie sind nicht zum ersten Mal hier, nicht wahr?“

Donna kniff die Augen zusammen. So viel Wahrnehmungsvermögen hatte sie ihm gar nicht zugetraut. „Wie kommen Sie darauf?“

„Durch Ihre Körpersprache. Ich verbringe mein ganzes Leben damit, Körpersprache zu beobachten. Das gehört zum Job.“

„Ich habe früher mal hier gearbeitet“, antwortete sie. „Vor vielen Jahren. Als ich jung war.“

„Sie sind doch noch nicht alt.“

„Ich bin siebenundzwanzig!“

„Alt genug, um Bescheid zu wissen?“, neckte er.

„Oh, das glaube ich nicht“, sagte da eine seidenweiche Stimme hinter Donnas rechter Schulter. „Nicht, wenn man nach Erfahrung urteilt. Meinst du nicht auch, Donna?“

Sie drehte sich nicht um. Das brauchte sie nicht. Diese Stimme hätte sie überall wiedererkannt. Ganz leicht neigte sie den Kopf nach hinten und konnte seine Gegenwart beinahe körperlich spüren, obwohl sie ihn nicht sah.

„Hallo, Marcus.“

Er kam in ihr Blickfeld, doch der Himmel wusste, wie lange er sich bereits in Hörweite befand. Doch anstatt Donna blickte er zunächst Tony an, sodass sie ihn unbemerkt anschauen konnte.

Sie wusste, dass sie ihn wieder sehen würde, und im Geiste hatte sie für genau diesen Moment geübt. Sie hatte sich gefragt, ob sich sein Haar wohl gelichtet hätte, ob inzwischen ein Bauchansatz an ihm bemerkbar wäre.

Aber natürlich war dies nicht der Fall. Marcus Foreman war noch immer ein Mann, für den die meisten Frauen ihre Familie verlassen würden.

„Tony“, meinte er leichthin.

Der Anwalt grüßte mit einem Nicken. „Marcus.“

„Ihr kennt euch?“, fragte Donna Tony überrascht.

„Oh, jeder kennt Marcus“, erwiderte er mit einem nicht ganz überzeugenden Achselzucken.

Schließlich wandte Marcus sich Donna zu. Sie behielt ihr höfliches Lächeln und hoffte, dass man ihr nicht ansehen konnte, dass ihr Pulsschlag sich gerade verdoppelt hatte und dass ihre Handflächen schwitzten.

„Also, Donna“, sagte Marcus langsam, und sie begegnete seinen dunkel bewimperten Augen zögernd und zugleich fasziniert. Eisblau und durchdringend glitt sein Blick über sie.

„Also, Marcus“, gab sie schwach zurück. Nun gut, er war weder glatzköpfig noch fett oder hässlich geworden, aber er hatte sich verändert, sehr sogar.

„Willst du es sagen, oder soll ich?“ Seine Stimme klang spöttisch.

„Was denn?“

„Lange nicht gesehen“, meinte er gedehnt. „Sagt man das nicht normalerweise nach einer so langen Zeit?“

„Vermutlich“, stimmte sie zögernd zu. Neun ganze Jahre waren vergangen, seitdem sie ihn zuletzt gesehen hatte. Wie war das möglich? „Aber du hättest auch sagen können: ‚Hi, Donna, schön dich wieder zu sehen!‘, aber das wäre eine gewaltige Lüge gewesen, nicht wahr, Marcus?“

„Du sagst es.“ Er lächelte. „Und du bist die weltgrößte Expertin, wenn es ums Lügen geht, Donna, oder?“

Ihre Blicke trafen sich, und sie ertappte sich dabei, wie sie jedes winzige Detail seines Gesichts in sich aufnahm. Ein Gesicht, das sie einst geliebt hatte.

Sie hatte ihn zu Beginn seines rasanten Aufstiegs kennengelernt, ehe der Erfolg für ihn so selbstverständlich geworden war wie das Atmen. Bevor er die Chance gehabt hatte, nach seinen eigenen Vorstellungen zu leben anstatt nach jenen, die von seiner Familie an ihn weitergereicht worden waren.

Verschwunden war der saubere, ordentliche Look, die auf Hochglanz polierten Lederschuhe und die perfekt geknotete Krawatte. Auch der Anzug war verschwunden. Jetzt trug Marcus eine helle Hose und ein Hemd, aber natürlich ein Seidenhemd, bei dem die beiden obersten Knöpfe leger offen standen. Er sah sexy und einfach sensationell aus.

Früher hatte ein klassischer Kurzhaarschnitt seine stolze Kopfhaltung betont. Nun jedoch reichte ihm das dunkle, wellige Haar hinten bis zum Kragen. Er wirkte so zerzaust, als sei er gerade aus dem Bett eines schönen Mädchens gestiegen.

Vielleicht stimmte das ja auch.

Donnas Lächeln wurde starr, da sie sich die Szene nur allzu lebhaft vorstellen konnte: Marcus mit einem jener langbeinigen, kultivierten Wesen, mit denen er wilden Sex hatte.

Krampfhaft suchte sie nach einer kühlen, möglichst neutralen Bemerkung. Da fiel ihr Blick auf seine Schuhe.

„Du arbeitest offensichtlich gerade nicht.“

Leichtes Erstaunen zeigte sich in seinem Blick, als habe er eine solche Reaktion von ihr nicht erwartet. Er sah auf die dunkelblauen Segeltuchschuhe hinab, in denen seine bloßen Füße steckten.

„Wieso? Was stimmt denn damit nicht?“, wollte er wissen.

„Nun ja, eigentlich nichts. Aber man würde es nicht unbedingt als das konventionellste Schuhwerk bezeichnen, habe ich recht?“, meinte sie trocken. „Du siehst eher aus, als wolltest du segeln gehen, anstatt ein Hotel zu betreiben.“

„Aber ich betreibe kein konventionelles Hotel“, knurrte er ungeduldig. „Und ich habe es nicht mehr nötig, mich hinter Anzug und Krawatte zu verstecken.“

„Du liebe Güte! Was ist doch für ein kleiner Rebell aus dir geworden, Marcus!“, entgegnete Donna in mildem Tonfall, wobei ihr keineswegs entging, dass sich seine Augenfarbe verdunkelte.

Vom Tisch kam ein höfliches Hüsteln, und sowohl Donna als auch Marcus blickten verblüfft zu Tony Paxman, der sie beide beobachtete. Donna biss sich verärgert auf die Lippen.

Sie hatte Tony völlig vergessen! Wie unhöflich von ihr!

„Äh … Sollen wir den Kaffee bestellen, Tony?“, fragte sie schnell.

Doch dieser sah aus, als habe er genug Zurückweisungen für einen Tag eingesteckt. Er schüttelte den Kopf und stand auf, während er einen Blick auf seine Armbanduhr warf.

„Oh je! Schon so spät? Ich muss los! Um drei treffe ich mich einem Mandanten.“ Er hielt Donna seine Hand entgegen, und sie ergriff sie schuldbewusst. „Vielen Dank für die Lunch-Einladung. Hat Spaß gemacht.“

Auf einmal fühlte Donna sich sehr unbehaglich. „Vielen herzlichen Dank für alles, was Sie für mich getan haben, Tony! Vielleicht können wir das hier ja noch einmal wiederholen.“

„Äh, ja. Gut. Auf Wiedersehen, Marcus.“ Er schüttelte Marcus scheinbar enthusiastisch die Hand. „Super Lunch. Fantastisches Essen! Wie immer.“

„Danke sehr“, murmelte Marcus.

Schweigend schauten sie Tony nach, als der sich seinen Weg an den Tischen vorbei bahnte. Dann wandte Marcus sich Donna zu.

„Meinen Glückwunsch, Donna“, bemerkte er trocken. „Da hast du dir einen der wohlhabendsten und erfolgreichsten jungen Anwälte der Stadt an Land gezogen.“

„Sein Bankkonto und sein hübsches Gesicht interessieren mich nicht. Ich habe ihn genommen, weil er der Beste ist.“

Er zog die Brauen hoch. „Worin?“

„Nicht, was du anscheinend denkst! Er wurde mir empfohlen“, sagte sie seufzend. Doch dann wurde ihr bewusst, dass sie Marcus keinerlei Rechenschaft schuldig war. Er war nicht mehr ihr Chef. Er war nichts weiter als der Mann, der ihr einen katastrophalen Einstieg in die Liebe beschert hatte. Und sie dann fallen gelassen hatte.

„Und hat derjenige, der ihn dir empfohlen hat, dir auch erzählt, dass er gerade eine höchst unappetitliche Scheidung hinter sich hat? Dass er zwar bereit und frei ist, aber nur, wenn es dir nichts ausmacht, dass die Hälfte seines Einkommens an seine Exfrau und seine beiden Kinder geht. Ich weiß, dass ein finanzieller Engpass manche Frauen abschreckt.“ Plötzlich lächelte er kopfschüttelnd. „Meine Güte“, murmelte er. „Ich klingt ja fast, als wäre ich eifersüchtig.“

„Stimmt“, bestätigte Donna honigsüß. „Aber dazu besteht wirklich kein Anlass, Marcus. Meine Beziehung mit Tony Paxman ist rein geschäftlich.“

„Mir könnte es nicht gleichgültiger sein, mit wem du welche Beziehung hast!“ Mit anmaßendem Blick betrachtete er ihre Finger, an denen kein Ring steckte. „Aber ich nehme an, dass du noch immer auf dem Heiratsmarkt zur Verfügung stehst?“

Sie starrte ihn an. „Ich bin Single, falls es das ist, was du mit deiner so überaus charmanten Frage meinst. Und wie ist es mit dir?“

„Ja“, erwiderte er sanft. „Immer noch Single.“ Seine blauen Augen verengten sich. „Also, was tust du hier, Donna? Hast du vor, in der Gegend zu bleiben?“

„Das würde ich dir liebend gerne erzählen, Marcus“, erwiderte sie lächelnd. „Schade nur, dass ich momentan nicht die Zeit dazu habe.“

Etwas in ihrem Verhalten sagte ihm, dass dies nicht stimmte. Aber das überraschte ihn nicht. Hatte sie ihn nicht schon früher angelogen? Nur war er damals zu jung und zu sehr von seiner Lust geblendet gewesen, um es zu merken.

„Ich wette, es ist nicht dringend“, erklärte er mit seidenweicher Stimme. „Nichts, das nicht warten könnte.“

„Aber es könnte doch sein, dass ich einen dringenden Termin habe“, wandte sie ein.

„Könnte sein, ist aber nicht der Fall.“ Seine Stimme klang belegt, als er an die verschwendete Gelegenheit der einen Nacht dachte, die er mit ihr zusammen verbracht hatte. „Du besitzt die Ausstrahlung einer Frau, die sich den ganzen Tag freigenommen hat.“

Er zog den Stuhl ihr gegenüber unter dem Tisch hervor. „Was hältst du also davon, wenn ich mit dir zusammen Kaffee trinke, nachdem dein Süßholz raspelnder Anwalt geflüchtet ist?“, schlug er vor. „Dabei kannst du mir dann in aller Ruhe erzählen, was genau du hier machst.“

2. KAPITEL

Donna fühlte sich hin und her gerissen. Einerseits wollte sie bleiben, denn wenn Marcus in einem Raum war, war es, als habe jemand die Lichter angeknipst. Selbst heute noch. Andererseits wollte sie aus dem Restaurant fliehen, so schnell sie ihre Füße trugen.

Aber würde ihm das nicht nur beweisen, dass sie emotional noch immer wie ein Teenager reagierte, was ihn betraf?

Daher strich sie sich das cremefarbene Seidenkleid glatt und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Also gut“, meinte sie kühl.

Marcus stieß triumphierend den Atem aus. Der Puls an seiner Schläfe begann zu pochen. Die Würfel waren gefallen. Ein beinahe grausames Lächeln umspielte seine Lippen, als er auf dem Stuhl Platz nahm.

Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung nickte er einer aufmerksamen Kellnerin zu, und damit war der Kaffee bestellt. Danach fand er sich einem Augenpaar ausgesetzt, das so grün war wie frisch gemähter Rasen. Augen, deren Wimpern heute dunkel getuscht waren und nicht mehr so hell wie damals, als er sie deshalb gerne geneckt hatte.

„Du siehst vollkommen anders aus, Donna“, sagte er langsam.

Ungläubig erwiderte sie seinen Blick. „Natürlich! Immerhin bin ich neun Jahre älter geworden. Menschen verändern sich. Besonders Frauen. Aber so anders kann ich auch wieder nicht aussehen. Schließlich hast du mich sofort erkannt.“

„Ja.“ Das hatte ihn selbst überrascht. Vielleicht war es das unvergessliche Feuer ihrer Haare gewesen. Oder die Linien ihrer Figur. Oder der Strang Bernsteinperlen an ihrem Hals – goldene Perlen so groß wie Kieselsteine. Marcus schluckte bei der Erinnerung an das eine Mal zuvor, als er diese an ihr gesehen hatte. „Vielleicht hast du dich mir einfach unauslöschlich eingeprägt“, meinte er gedehnt.

„Tja, ich scheine diese Wirkung auf andere Leute zu haben“, bestätigte sie leicht ironisch. Sie konnte erkennen, dass er über ihr kühl-elegantes Auftreten erstaunt war.

Auch wenn Marcus es nicht wusste, war er doch zum großen Teil mitverantwortlich für Donnas Verwandlung vom Zimmermädchen zur Geschäftsfrau. Wie oft hatte sie sich geschworen, ihn umzubringen, wenn sie ihm noch einmal begegnete? Und nun saß er gerade mal einen halben Meter von ihr entfernt. War er ihr gegenüber tatsächlich so gleichgültig, wie es den Anschein hatte?

„Und inwiefern habe ich mich verändert, Marcus?“, erkundigte sie sich.

Auf seinem Stuhl zurückgelehnt, ließ er sich Zeit bei seiner Musterung. Donna King hatte sich zu einer Frau entwickelt, nach der man sich umdrehte, trotz ihres unkonventionellen Aussehens und ihrer noch unkonventionelleren Herkunft.

Er bewegte sich schon lange genug in der Welt exklusiver Restaurants, um zu erkennen, dass das täuschend schlichte Seidenkleid, das sie trug, so viel kostete, wie die meisten Menschen in einem ganzen Monat verdienten. Ebenso wie die sexy Schuhe mit den hohen Absätzen, die er unterm Tisch gesehen hatte. Schuhe wie diese kosteten viel Geld.

Erwartungsvoll sah Donna ihn an, und er erinnerte sich an ihre Frage.

„Du hast früher billig ausgesehen“, sagte Marcus ehrlich, wobei er ihre erstarrte Miene nicht zu bemerken schien. „Jetzt siehst du teuer aus. Eine Karrierefrau. Mit einem teuren Geschmack“, fügte er hinzu. „Wer zahlt dafür, Donna? Wer ist der Glückliche?“

Ihr sträubten sich die Nackenhaare. „Himmel, bist du hinterm Mond!“, spottete sie. „Frauen haben es heutzutage nicht mehr nötig, sich ihre Garderobe von Männern bezahlen zu lassen. Alles, was ich anhabe, ist selbst bezahlt.“

Er schluckte. Dann war das Geld in der Tat gut angelegt.

Ein cremefarbenes Satinband war in ihre rotgoldenen Haarsträhnen geflochten. Und ihre Brüste wurden durch die raffiniert geschnittene Jacke teilweise verdeckt, sodass in einem Moment ihre verführerische Wölbung sichtbar wurde, nur um im nächsten wieder verdeckt zu werden, sobald sie sich ein wenig vorbeugte. Marcus spürte, wie sich Verlangen in ihm regte, versuchte jedoch, es zu unterdrücken.

„Außerdem trägst du Make-up“, bemerkte er beinahe vorwurfsvoll. „Das hast du früher nie getan!“

Donna lachte. „Natürlich nicht! Wenn man morgens um sechs aufsteht, um Betten abzuziehen, ist Make-up das Letzte, woran man denkt. Glaub mir, das Leben als Zimmermädchen ist nicht gerade glamourös.“

„Es sei denn, man hat Glück beim Boss.“

Sie starrte ihn an. „Aber ich hatte kein Glück, stimmt’s? Tatsächlich war es mein größtes Glück, dass ich den Mut hatte, ohne einen Blick zurück von hier wegzugehen.“

„Trotzdem bist du heute hier“, gab er zurück. „Warum?“

„Ich habe etwas zu feiern.“

„Wie interessant“, murmelte er. „Soll ich raten, oder wirst du es mir erzählen?“

Er würde es ohnehin bald genug erfahren, ob sie es ihm nun sagte oder nicht. Und dann würde vielleicht auch dieses selbstgefällige Grinsen aus seiner Miene verschwinden und er würde auch von etwas anderem Notiz nehmen als nur ihrem Körper.

Donna wollte gerade antworten, da kam eine wunderschöne Frau in einem eng anliegenden schwarzen Kleid mit einem Tablett an ihren Tisch. Donnas Blick ruhte auf dem glänzend schwarzen Haar der Frau, als diese die winzigen Tässchen und das Kaffeekännchen vor sie hinstellte, ebenso wie einen Teller mit feinen Mandelplätzchen.

„Sonst noch etwas, Marcus?“, fragte sie dann in einem weichen französischen Akzent, und das Begehren in ihren dunklen Augen war offensichtlich.

„Nein, danke!“ Er schaute der jungen Frau nach.

„Sie scheint sehr tüchtig zu sein“, bemerkte Donna.

„Ja, das ist sie.“

„Und sehr attraktiv.“

Marcus hob die Augenbrauen. „Ja, sehr.“

„Aber keine Kellnerin, nach ihrem Kleid zu urteilen.“

Er lächelte verblüfft. „Möchtest du mit mir über meine Angestellten reden, Donna?“

„Natürlich nicht.“

Er schenkte den Kaffee ein und reichte ihr dabei automatisch den Zucker. Ein leicht nostalgisches Gefühl überkam sie, als sie sich fragte, ob Marcus sich womöglich noch an ihre Vorliebe für Süßes erinnerte.

„Nein, danke. Ich nehme keinen Zucker mehr in den Tee oder Kaffee.“

„Was, sogar wenn du etwas Geheimnisvolles zu feiern hast?“

„Es ist nicht geheimnisvoll.“ Sie nippte an ihrem Kaffee und lächelte. „Das war auch der Grund, weshalb ich mit Tony Paxman zum Lunch hier war, wenn du’s unbedingt wissen willst. Ich habe nämlich gerade einen Deal abgeschlossen.“

„Was für einen Deal?“

Donna hörte die Herablassung in seinem Tonfall. „Ein Geschäft“, antwortete sie kühl.

Stirnrunzelnd blickte er sie an, als habe sie gerade verkündet, dass sie sich als Kandidatin für die Bürgermeisterwahl aufstellen lassen wollte. „Du meinst, du arbeitest für jemand anderen?“

„Wie vorhersehbar und wie ärgerlich, dass du gleich so voreilige Schlüsse ziehst! Nein, ich arbeite für mich selbst.“ Erneut lächelte sie. „Ich bin der Boss.“

Er nahm ein Stück Würfelzucker, tauchte es in seinen Kaffee und biss hinein. „Und als was?“

Sie genoss den Moment wie ein heißes Bad am Ende eines langen, harten Tages.

„Als Eigentümerin eines Restaurants“, antwortete sie heiter.

„Wo?“

„Hier in Winchester.“

Marcus’ Interesse war geweckt. Das konnte doch ein Zufall sein, oder? Wollte sie Rache für das, was damals geschehen war? Oder beruhte ihr Entschluss zurückzukommen auf einem wesentlich tiefer sitzenden Bedürfnis? Hatte jene letzte Nacht einen dunklen, hartnäckigen Fleck in ihrem Gedächtnis hinterlassen, so wie bei ihm?

Wollte sie…? Er spürte, wie langsam und süß die sexuelle Erregung in ihm zu pochen begann. Wollte sie jene Szene noch einmal durchspielen, nur diesmal mit einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis?

„Nun, du musst weit gekommen sein, Donna“, sagte er nachdenklich, „wenn du ein Unternehmen mit dem Gehalt eines Zimmermädchens planst.“

„Sehe ich etwa aus wie ein Zimmermädchen?!“, fuhr sie auf.

In seinen Lenden regte sich schmerzhaft die Begierde. Nein. Im Augenblick sah sie aus, wie er es sich nie hätte träumen lassen – schön, stolz, kultiviert und … sie besaß einfach Klasse.

„Nein“, brummte er. „Aber das warst du, als ich dich das letzte Mal gesehen habe.“ Er kniff die Augen zusammen. „Und ich frage mich, was du in der Zwischenzeit gemacht hast, dass du jetzt in der Lage bist, ein Restaurant zu kaufen.“

„Was glaubst du wohl, was ich getan habe? Zufälligerweise habe ich außerordentlich hart gearbeitet, seit du mich damals auf die Straße gesetzt hast!“

„Verschone mich mit der Theatralik“, seufzte Marcus. „Ich habe dir eine großzügige Abfindung angeboten und dir einen Job in London vermittelt. Es war deine Entscheidung, ihn nicht anzunehmen.“

„Ich wollte nichts mehr mit dir zu tun haben!“, entgegnete sie bitter.

„Das war dein gutes Recht“, meinte er achselzuckend. „Aber ich weigere mich, mir die Rolle des Schurken zuschieben zu lassen, nur weil es dir in deine Geschichte passt.“

Wütend starrte Donna ihn an. „Vielen Dank, ich bin auch sehr gut allein klargekommen, ich war in Neuseeland und habe auf einer Schafzuchtstation gekocht. Ich habe in einer Bar in Manhattan gearbeitet – und auf einem Kreuzfahrtschiff! Ich kenne die Hotel- und Gastronomiebranche in- und auswendig. Ich habe hart gearbeitet …“

„Und hart gespielt, nehme ich an?“, warf er ein.

„Das wirst du nie erfahren!“

„Nun, ich werde deshalb wohl kaum schlaflose Nächte haben“, erklärte er trocken und rührte seinen Kaffee um. „Es ist eine schwierige Branche. Ich sehe ständig, wie irgendwelche neuen Restaurants Pleite gehen.“

„Herzlichen Dank für deine Worte der Ermutigung!“

„Das sind Tatsachen, kein Abschreckungsmanöver.“ Er lächelte ein wenig. „Willst du es mir jetzt alles erzählen, Donna, oder hast du Angst?“

„Ich habe nur Angst, dass ich mich vergesse!“

Er lachte. „Bitte, nur zu.“

Den anzüglichen Unterton in seiner Stimme überhörend, legte Donna eine wirkungsvolle Pause ein, ehe sie verkündete: „Ich habe das ‚Buttress Guest House‘ gekauft!“

Marcus zog die Brauen zusammen. So, also nicht nur in derselben Stadt, sondern auch in derselben Straße. Nachbarn und Konkurrenten zugleich? Er verbarg ein Lächeln. Wohl kaum. Niemand, der halbwegs bei Verstand war, würde eine heruntergekommene Gästepension mit einem Fünf-Sterne-Hotel vergleichen.

„Du machst eine Gästepension auf?“

„Das habe ich nicht gesagt“, widersprach sie. „Ich habe es gekauft und umgebaut.“

Das „Buttress Guest House“ war vor einigen Jahren bankrott gegangen und hatte keinen Käufer gefunden. Es war klein, abgenutzt, hatte viel zu kleine, unpraktische Zimmer und vor allem keine Parkplätze.

Kürzlich jedoch war fast einen Monat lang der Wagen eines Klempners vor der Tür gesehen worden. Es war tapeziert, gestrichen und geschliffen worden. Man hatte Hammer- und Bohrgeräusche gehört, und interessante Möbelstücke waren in das schöne alte Haus geliefert worden.

Wie die meisten anderen Leute in der Stadt, hatte auch Marcus geglaubt, dass das Gebäude wieder in ein privates Wohnhaus umgewandelt wurde, bevor es verkauft werden sollte.

„Du hast es umgebaut?“ Prüfend sah er Donna an. „In was?“

„Eine Teestube.“

„Eine Teestube?“

„Allerdings!“

Beinahe hätte er laut aufgelacht. „Wie niedlich“, murmelte er.

„Ich nehme das als Kompliment.“

„Es war aber nicht als Kompliment gemeint.“ Anstatt Ärger spürte Marcus, wie sich sein Beschützerinstinkt regte. „Hast du eine Standortanalyse machen lassen, Donna?“

„Wenn du wüsstest, wie beleidigend diese Frage ist! Selbstverständlich habe ich das getan. Und ich habe Betriebswirtschaft in Abendkursen studiert.“ Argwöhnisch sah sie ihn an. „Wieso?“

„Weil es dort keine Parkplätze gibt. Darum!“, brauste er auf. „Ist es dir eigentlich nie in den Sinn gekommen, dich zu erkundigen, weshalb das Haus so lange zum Verkauf gestanden hat? Oder hast du etwa gedacht, es wäre ein Schnäppchen, das nur auf dich gewartet hat?“

„Nur zu deiner Information – ich brauche keine Parkplätze!“

„Ach ja?“

„Ja! Das Haus liegt direkt an zwei offiziellen Winchester-Rundgängen. Die Touristeninformation weiß von mir, und sie werden mir zu einem guten Start verhelfen. Und ich hoffe, dass Mundpropaganda den Rest dazu tut. Die Leute brauchen keine Autos. Und das sind genau die Gäste, die ich haben will! Leute, die sich für Geschichte und die Sehenswürdigkeiten interessieren und bereit sind, für Tee und Kuchen in einer schönen Umgebung ein paar Schritte zu Fuß zu gehen, anstatt die Luft zu verpesten!“

Schweigen trat ein.

„Du bist verrückt!“, sagte Marcus schließlich. „Verrückt und impulsiv!“

„Was ist los?“ Donna warf ihm einen kühlen Blick zu. „Glaubst du, mein eigener Chef zu sein passt nicht zu jemandem mit meiner Herkunft?“

„Was deine Mutter getan hat, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, war mir egal“, gab er kalt zurück. „Aber nicht, dass du mich hintergangen hast. Andererseits war unsere ganze Beziehung auf einem Netz voller Lügen aufgebaut, nicht wahr?“

„Beziehung?“, höhnte sie. „Marcus, ich bitte dich! Das, was wir hatten, als Beziehung zu bezeichnen wäre eine Beleidigung für alle ernsthaften Beziehungen!“

Er setzte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte sie, die eisblauen Augen so kühl wie eh und je. „Sag mal, ist dieses Unterfangen vielleicht irgendein naiver Plan, um dich an mir zu rächen?“

Ehrlich erstaunt sah Donna ihn an. „Rächen?“

„Das wäre nur natürlich“, meinte er. „Dass du versuchen willst, mich dafür zu bestrafen, was zwischen uns passiert ist.“

Einen Moment lang war sie sprachlos, und es dauerte einige Sekunden, bis sie ihre Stimme wieder gefunden hatte. „Marcus, bitte gestehe mir etwas mehr Intelligenz zu. Ich bin nicht so dumm, mich mit aller Gewalt ins Unglück zu stürzen. Und eine Art Rachefeldzug gegen dich würde jeden unglücklich machen.“

„Vielleicht wäre es diesen Preis ja wert. Kommt darauf an, wie sehr dir daran gelegen ist, es mir zurückzuzahlen.“

Offenbar kannte er sie überhaupt nicht.

„Was für ein widerwärtig aufgeblasenes Ego du doch besitzt, Marcus! Glaubst du wirklich, ich würde alles, was ich habe, in ein solches Unternehmen stecken, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass ich damit Erfolg habe?“

„Keine Ahnung. Vielleicht habe ich dich falsch eingeschätzt.“ Doch das klang so, als glaubte er dies ganz und gar nicht. „Aber wenn das so ist, wie hast du es geschafft, die Sache so lange geheim zu halten? Und aus welchem Grund?“

Donna lächelte. „Ich habe einen guten Anwalt engagiert. Du hast selbst gesagt, dass Tony Paxman teuer ist. Er ist gut, und man kriegt immer das, wofür man bezahlt. Das habe ich mittlerweile gelernt. Und was den Grund betrifft …“ Ruhig hielt sie seinem Blick stand. „Ich befürchtete, dass du den Kauf womöglich blockiert hättest, wenn du gewusst hättest, wer dahinter steckt.“

Recht hatte sie, verdammt noch mal! Und nicht etwa, weil er die Konkurrenz fürchtete. Damit hatte er schon immer umgehen können. Nein, es hatte vielmehr mit ihrer Wirkung auf ihn zu tun…

Schweigend holte Marcus tief Luft. Er spürte, wie eine unwillkommene Hitze seinen Körper durchflutete.

Die Sekunden vergingen, während sein Herz hämmerte, und die feinen Härchen in seinem Nacken fühlten sich an wie winzige Nadelstiche. Marcus wagte es nicht, zu sprechen, ehe er sicher war, dass er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte.

„Also offener Krieg, Donna?“, meinte er dann sarkastisch.

„Natürlich nicht! Ich bin sicher, es gibt genug Platz für uns beide. Die Leute werden eben wählen, wo sie essen wollen.“

„So wie du heute“, gab er zurück. „Aber vielleicht hattest du ja deine speziellen Gründe dafür, dass du hier essen wolltest.“

Sie hielt den Atem an. „Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel meinetwegen.“

„Deinetwegen?“

„Hmm. Es gibt eine Menge anderer Lokale, wo du mit deinem Anwalt hättest hingehen können. Womöglich konntest du es kaum erwarten, mich wieder zu sehen.“

Zum Teil stimmte dies, allerdings nicht aus dem Grund, den er andeutete, nämlich dass Donna ihm gegenüber noch immer verletzlich war. Das Wiedersehen mit Marcus sollte der letzte Beweis dafür sein, dass sie ihr Leben nicht nur erfolgreich gemeistert hatte, sondern es ihr auch gelungen war, den Mann zu vergessen, der ihr so viel Schmerz bereitet hatte.

Ohne zu überlegen sprudelte sie heraus: „Und weshalb hätte ich dich wohl wieder sehen wollen, Marcus? Warum hätte ich die Bekanntschaft mit einem Mann erneuern sollen, der mir nichts als Kummer eingebracht hat? Dem Mann, der hereinmarschiert ist, sich das genommen hat, was er wollte, und dann festgestellt hat, dass er damit nicht umgehen kann! War das nicht der wahre Grund dafür, dass du mich gefeuert hast, Marcus? Nicht weil ich dich angelogen habe, sondern weil ich dich daran erinnerte, was du getan hast? Hattest du Schuldgefühle, weil du eine arme kleine Jungfrau verführt hast?“

„Du redest, als seiest du das Opfer gewesen, Donna, aber ich versichere dir, dass du das ganz bestimmt nicht warst. Für ein unschuldiges Mädchen hast du dich ausgesprochen provokativ verhalten.“ Er presste den Mund zusammen und senkte die Stimme. „Und was die so genannte Verführung angeht … das ist ein viel zu nettes Wort für einen rundum äußerst bedauerlichen Vorfall.“

„Ein äußerst bedauerlicher Vorfall?“, wiederholte sie fassungslos. „Meine Güte, es wird mir eine Freude sein, das beliebteste Esslokal in der Stadt zu führen! Ich hoffe, alle deine Gäste kommen in Scharen zu mir gelaufen!“

Traurig schüttelte Marcus den Kopf und erhob sich. „Ach, Donna“, seufzte er. „Du magst zwar älter geworden sein, aber du scheinst dir in der Zeit nicht allzu viel Klugheit angeeignet zu haben. Dein hirnrissiges Vorhaben wird nicht funktionieren. Glaub mir.“

„Das wird sich zeigen!“

Sein Lächeln war ironisch. „Ich werde mir große Mühe geben, meine Schadenfreude zu zügeln, wenn meine Voraussage eintrifft.“

„Und ich werde auf dem Weg zur Bank aus vollem Herzen lachen, wenn sie nicht eintrifft!“

„Wir werden ja sehen.“ Er riss den Blick von dem fesselnden Ansatz ihrer Brüste los und verließ das Restaurant, und nicht nur Donna, sondern alle weiblichen Wesen im Raum schauten ihm mit großen Augen nach.

3. KAPITEL

Donna beglich ihre Rechnung und verließ dann ebenfalls das Restaurant.

Es war nicht das Treffen mit Marcus gewesen, das sie sich ausgemalt hatte. Sie war naiv und dumm gewesen. Zu glauben, dass alle Funken jener ungeheuren sexuellen Anziehung zwischen ihnen im Laufe der Jahre ausgelöscht worden seien!

Draußen wurde die Nachmittagssonne allmählich schwächer, und ein Wind kam auf, der Donna in ihrer Seidenjacke frösteln ließ.

Sie drehte sich um und ging mit klappernden Absätzen die Straße hinunter in ihre neu erworbene zukünftige Wirkungsstätte. Vor „The Buttress“ blieb sie stehen und sah an dem Gebäude hinauf – die abgenutzte hölzerne Tür und das alte Backsteinmauerwerk, dem das Licht der untergehenden Sonne einen warmen, rötlich-braunen Ton verlieh – es gehörte ihr.

Das neue Schild würde morgen aufgehängt werden und eine Notiz in sämtlichen Handelsblättern erscheinen. Lange hatte die Teestube Donnas Gedanken beherrscht, aber das Wiedersehen mit Marcus heute hatte ihr gezeigt, dass dieser noch immer eine Wirkung auf sie ausübte, wie es bei keinem anderen Mann je der Fall gewesen war.

Ihr Herz pochte, als sie daran dachte, wie er aussah. Anders. Älter und rauer und mit der Ausstrahlung einer Sinnlichkeit, von der sie wusste, dass sie ihr nicht gewachsen war.

Bei ihrer ersten Begegnung war Marcus nett und freundlich zu ihr gewesen.

Donna war an einem verregneten Tag im Dezember in Winchester angekommen, bekleidet mit Jeans, einem Pullover und einer abgetragenen Tweedjacke, die sie auf dem Flohmarkt erstanden hatte und die zu dünn gewesen war, um den stetigen Nieselregen abzuhalten …

Sie war bis auf die Haut durchnässt. Ihr Gesicht war ungeschminkt, an den Wimpern hingen die Regentropfen, und ihre Haare fielen ihr in einer wild zerzausten Mähne über den Rücken hinunter.

Es war eine Woche vor Weihnachten, und überall glitzerten die weihnachtlichen Lichterketten an den Geschäften, Gasthäusern und in den kahlen Ästen der Straßenbäume durch das Grau des anhaltenden Regens.

Als sie um eine Ecke in die Westgate Street ging, sah Donna das einladende Licht des New Hampshire Hotel. Es war ein Gebäude, wie man es normalerweise nur von Bildern kannte – ein schönes, elegantes altes Haus, vor dem zwei Lorbeerbäume standen. Die Fenster funkelten vor Sauberkeit, und der Anstrich glänzte. Hier roch es nach Geld, das konnte man schon von weitem sehen. Und in solchen Häusern wurden immer Saisonarbeiter gesucht.

Mit kalt gefrorenen Fingern presste Donna ihre Umhängetasche an sich, stieß die Glastür auf und betrat das Foyer, wo ein Mann oben auf einer Leiter stand und im Begriff war, einen riesigen Silberstern an der Spitze des Weihnachtsbaumes zu befestigen, der bis zur Decke reichte.

Leise stellte Donna ihre Tasche auf dem dicken Teppich ab und beobachtete den Mann. Er trug eine dunkle, frisch gebügelte Hose und ein teures Hemd.

Sie wartete, bis der Stern sicher befestigt war, und rief dann: „Bravo!“

Stirnrunzelnd schaute der Mann über die Schulter und kletterte dann langsam die Leiter wieder hinunter.

Das dichte dunkle Haar war kurz geschnitten, und seine Augen waren von der ungewöhnlichsten Farbe, die Donna je gesehen hatte – eisblau und klar.

Forschend musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Haben Sie ein Zimmer?“

Der überraschte Ausdruck in seinen Augen war beinahe ebenso schnell wieder verschwunden, wie er erschienen war, und er hob die Schultern.

„Tut mir leid. Ich fürchte, wir sind komplett ausgebucht. Es ist bei uns die belebteste Zeit des Jahres, und …“

„Eigentlich will ich gar kein Zimmer“, unterbrach Donna ihn schnell. Er redete, als könnte sie sich ein Hotelzimmer leisten, obwohl es offensichtlich war, dass dies nicht stimmte. „Ich suche Arbeit.“

Er kniff die Augen zusammen. „Was für Arbeit?“

„Alles. Sagen Sie, was Sie brauchen, und ich mache es. Ich kann servieren …“

Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Wir beschäftigen ausschließlich hoch qualifiziertes Bedienungspersonal“, sagte er höflich.

„Oder Kartoffeln schälen?“

Er lächelte. „Unser Küchenpersonal ist voll besetzt.“

„Oh.“ Donna presste die Lippen zusammen, um zu verhindern, dass sie zitterten, und griff nach ihrer Tasche. „Okay. Schon gut. Frohe Weihnachten!“

Der Mann seufzte. „Jetzt fühle ich mich wie Scrooge aus Dickens’ Weihnachtsmärchen.“

„Sie sehen aber nicht aus wie Scrooge“, meinte sie schmunzelnd. Dazu war er viel zu attraktiv.

Wie schmal ihre Wangen aussehen, dachte er bei sich. Und wie blass. „Haben Sie schon mal als Zimmermädchen gearbeitet?“

„Nein. Aber ich lerne schnell.“

„Wie alt sind Sie?“

„Beinahe zwanzig.“ Die Worte waren ihr entschlüpft, ehe sie sich zurückhalten konnte. Aber eigentlich war es ja keine Lüge, nur eine kleine Übertreibung. Denn vermutlich würde der Mann sie nach Hause schicken, wenn er wüsste, dass sie gerade erst achtzehn geworden war.

Und wo sollte sie dann hin?

„Sie waren auf Reisen?“, erkundigte er sich mit einem raschen Blick auf ihre Tasche und die abgeschabten Ellbogen ihrer Jacke.

„Sozusagen.“

Donna war fast ihr ganzes Leben lang immerzu unterwegs gewesen. Es gefiel ihr so. Das bedeutete, dass sie nirgendwo allzu viel von sich preisgeben musste. Doch sie merkte, dass der Mann sie neugierig ansah und sie irgendetwas sagen sollte.

„Ich bin ein bisschen so etwas wie eine Nomadin“, erklärte sie mit einem Lächeln und fügte dann unerklärlicherweise hinzu: „Meine Mutter war Schauspielerin. Wir sind oft umgezogen, als ich klein war.“

„Ach so.“ Er nickte, wobei er sich fragte, worauf er sich da wohl einließ. Doch durch die Glastür konnte er sehen, dass der Regen draußen inzwischen heftig herunterprasselte und sich riesige Pfützen auf dem Gehweg bildeten. Bei diesem Wetter würde man nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen. „Ich nehme Sie bis Neujahr. Aber nicht länger, verstehen Sie?“

„Oh, vielen Dank!“, flüsterte Donna, und einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie ihm die Arme um den Hals werfen.

Hastig trat Marcus einen Schritt zurück.

Mit ihrem krausen rotblonden Haar, den hellen Wimpern und den Sommersprossen gehörte sie nicht zu der Sorte Frau, die er normalerweise attraktiv fand. Klein, zäh und tapfer wirkte sie, als würde sie sich durch nichts unterkriegen lassen. Sie hatte etwas Lebhaftes an sich, das seltsam anziehend war und ein eigenartig warmes und erregendes Gefühl in ihm auslöste.

„Keine Ursache“, brummte er. „Wie ist Ihr Name?“

„Donna. Donna King. Und Ihrer?“

„Marcus Foreman.“

Fragend sah sie ihn an. „Soll ich Sie Mr. Foreman nennen?“

„Sie sind nur ein Jahr jünger als ich.“ Er lächelte und merkte nicht, dass sie dabei unwillkürlich zusammenzuckte. „Marcus reicht vollkommen aus.“

„Marcus“, sagte sie schüchtern. „Sind Sie der Chef?“

Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete. „Ja“, meinte er dann abrupt.

Noch immer hatte er sich nicht recht daran gewöhnt, dass das Hotel nun ihm gehörte. Aber sein Vater war auch erst vor etwa einem Jahr gestorben. Marcus schaute auf Donna hinunter, und seine Züge wurden weicher.

Ihr Gesicht war so blass, dass ihre Sommersprossen wie kleine braune Sternchen davon abstachen, und ihre Wangenknochen waren viel zu auffällig sichtbar. Ein bisschen Fleisch auf den Rippen würde ihr gut tun.

„Haben Sie schon etwas gegessen?“

Ein argwöhnischer Ausdruck trat in ihre Augen. Konnte er ihr etwa ansehen, dass sie seit einer Woche nichts Anständiges mehr zu essen gehabt hatte?

Er beobachtete ihre Reaktion, die ihn an eine streunende Katze erinnerte, bei der seine Mutter ihm erlaubt hatte, sie zu behalten. Die Katze war furchtbar hungrig gewesen und dennoch stur. Sie misstraute allen freundlichen Bemühungen, und Marcus hatte gelernt, dass die einzige Möglichkeit, mit diesem Tier umzugehen, darin bestand, dass man es scheinbar ignorierte.

Achselzuckend sagte er daher: „Wir haben jede Menge zu essen, falls Sie etwas möchten.“

„Okay.“ Sie hob ebenfalls die Schultern. „Kann ich ja machen.“

Er brachte sie hinunter in die Küche, stellte sie dem Personal vor, suchte sich dann etwas, womit er sich beschäftigen konnte, und sah ihr aus den Augenwinkeln zu, während sie aß.

Marcus hatte noch nie jemanden so begierig essen sehen, und schon gar keine Frau. Dennoch aß sie auf anmutige Weise. Jeden Bissen kostete sie lustvoll aus, und als sie schließlich fertig war, tupfte sie sich vornehm den Mund ab, wie eine Prinzessin, und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu.

Und dieses Lächeln durchbohrte Marcus’ Panzer wie ein Sonnenstrahl, der auf eine Eisscholle traf.

Es wurde Frühling und Frühsommer, und Donna war noch immer da. Sie war froh darüber, denn sie liebte die Stadt und das Hotel und wollte bleiben.

Sie liebte die grauen Mauern der alten Häuser, den Klang der Chorsänger, deren reine süße Stimmen den Platz an der Kathedrale erfüllten. Sie liebte das üppige Grün und die kristallklaren Bäche der Feuchtwiesen, wo man meilenweit laufen konnte und das Gefühl hatte, in ein früheres Jahrhundert eingetaucht zu sein.

Es war der erste Ort, an dem sie sich richtig zu Hause fühlte.

Donna machte sich unentbehrlich, indem sie so hart arbeitete, wie es ihr nur irgend möglich war. Und Donna konnte arbeiten. Wenn sie eines in ihrer Kindheit gelernt hatte, dann, dass man im Leben nichts geschenkt bekam.

Ihre Mutter war Striptänzerin gewesen, war abends in schäbigen Clubs an der Küste aufgetreten und hatte tagsüber meistens geschlafen. Donna hatte sich mehr oder weniger selbst erzogen und sich so unsichtbar wie möglich gemacht, denn ein kleines Mädchen passte nicht besonders gut in das Leben, das ihre Mutter führte.

Sie wusste mittlerweile, dass Marcus’ Vater vor einem Jahr gestorben war, und eines Tages fasste sie genügend Mut, um ihn zu fragen, was mit seiner Mutter geschehen war.

Misstrauisch kniff er die eisblauen Augen zusammen. „Wieso?“

„Ich … dachte nur …“

„Sie ist schon lange tot“, schnappte er.

Das hörte sich an, als sei mit dem Tod seiner Mutter ein Kapitel seines Lebens zu Ende gegangen.

„Wie alt waren Sie da?“, fragte Donna.

Seine Miene verfinsterte sich. „Ich war neun, und es war schrecklich. Okay? Und ich möchte nicht darüber sprechen, okay?“

Damit war das Thema beendet. Aber Donna war auch ein wenig erleichtert. Menschen, die nicht gerne von sich erzählten, stellten normalerweise auch nicht allzu viele Fragen.

Manchmal allerdings merkte sie, dass Marcus sie beobachtete, wenn er glaubte, dass sie es nicht mitbekam.

Eines Tages fand er sie im Aufenthaltsraum beim Kartenspielen mit einem der Kellner und forderte sie zu einem Spiel heraus. Doch es gelang ihr, ihn bei jedem Spiel zu schlagen, das er je erlernt hatte.

Marcus bewunderte fachmännisches Können, gleichgültig auf welchem Gebiet, und danach schien er Donna mit völlig anderen Augen zu sehen. Er sagte ihr, ihr beim Kartenmischen zuzusehen sei wie ein Gedicht in Bewegung, und Donna freute sich über das Lob.

„Wo haben Sie bloß so spielen gelernt?“, fragte er.

„Ach, hier und da“, gab sie leichthin zurück. „Sie würden es nicht wissen wollen.“

„Nein, da haben Sie recht. Das will ich nicht!“, erwiderte er lachend.

In solchen Augenblicken musste Donna sich ermahnen, dass es Männer gab, zu denen man sich gar nicht erst hingezogen fühlen sollte. Und Marcus Foreman war einer davon.

Er hatte einen jüngeren Bruder namens Lucas, der beinahe ebenso attraktiv war wie er, aber blond, nicht dunkel, und der als Fotograf viel auf Reisen war.

Als Donna ihm zum ersten Mal begegnete, lag sie auf den Knien und fegte Staub hinter einem Blumentopf auf dem Treppenabsatz der ersten Etage hervor. Da hörte sie plötzlich einen leisen Pfiff. Sie fuhr herum und erblickte einen Mann mit blauen Augen, der aussah wie ein gefallener Engel. Die Ähnlichkeit war unverkennbar.

„Sie müssen Lucas sein!“, rief Donna aus.

„Und Sie eine Fata Morgana“, murmelte er. „Wow! Stehen Sie auf. Los.“

Da er der Bruder des Chefs war, tat Donna wie geheißen, doch sein Lächeln, als er sie von Kopf bis Fuß betrachtete, als habe er noch nie eine Frau gesehen, gefiel ihr nicht.

„Oh, du lieber Himmel“, sagte er dann leise. „Kein Wunder, dass mein Bruder nicht scharf darauf war, dass ich nach Hause komme. Anscheinend wollte er eine lebendige Barbie-Puppe ganz für sich allein haben!“

„Lass Sie in Ruhe, Lucas, verstanden?“ Geräuschlos war Marcus hinter seinem Bruder erschienen, wobei er sich zugleich dafür verfluchte, dass er Donna King eingestellt hatte.

Die abgetragenen Kleider, in denen sie hier angekommen war, hatten ihre Figur verborgen. Aber durch regelmäßige Mahlzeiten und gesunden Schlaf hatte sich ihr Körper verwandelt. Sie besaß eine rasche Auffassungsgabe, arbeitete hart, war freundlich und hilfsbereit.

Obwohl Marcus ehrlich genug war, sich selbst einzugestehen, dass er Donna begehrte, war er doch auch ehrlich genug, um zu wissen, dass sie aus vollkommen unterschiedlichen Welten kamen.

Lucas warf Donna einen gespielt unschuldigen Blick zu. „Marcus spielt gerne mal den Macho“, sagte er fröhlich grinsend.

„Hören Sie auf damit, Donna, ja?“, fuhr Marcus sie an, da sie sich gebückt hatte, um noch die letzten Staubflocken aufzufegen.

„Aber …“

„Lassen Sie es sein!“

Donna richtete sich auf, zog die hellgrüne Uniform glatt, die so fürchterlich über ihrer Brust spannte, und lächelte zu Marcus auf.

„Sind wir nachher noch zum Spielen verabredet?“

Lucas’ Augen weiteten sich. „Was für ein Spiel?“

„Heute Abend nicht“, antwortete Marcus angespannt. „Bitte, gehen Sie einfach, Donna, ja? Ich möchte unter vier Augen mit Lucas sprechen!“

Später wurde Marcus bewusst, dass es vermutlich das Dümmste war, was er hatte tun können, seinen Bruder davor zu warnen, sich mit dem hübschen Zimmermädchen einzulassen. Denn für Lucas gab es nichts Schöneres als verbotene Früchte.

Donna erkannte bald, wie verschieden die beiden Brüder waren. Marcus war der Ernsthaftere, auf dessen Schultern die gesamte Verantwortung für das Hotel lag. Lucas hingegen war leichtsinnig und verwegen. Während Marcus wenig Interesse daran zu haben schien, etwas über sie herauszufinden, wollte Lucas alles über sie wissen.

Seine Neugier wurde jedoch durch seine Offenheit wieder wettgemacht. Er war so freimütig, ganz anders als sein Bruder. Von Lucas erfuhr Donna alles über Marcus’ und seine Kindheit, über ihre schöne Mutter, die so ganz anders gewesen war als ihr ruhiger, fantasieloser Vater.

Lucas’ Offenheit grenzte schon fast an Indiskretion. Es schien ihn nicht zu stören, Donna von der Untreue seiner Mutter und den darauf folgenden Krächen zu erzählen. Er erklärte, dass sein Vater seiner außergewöhnlichen Frau zu sehr verfallen war, als dass er sie je verlassen hätte.

Vielleicht war das der Grund, dass Donna Lucas auch die Wahrheit über ihre Mutter anvertraute.

Er wirkte in keinster Weise schockiert, sondern musterte sie lediglich von oben bis unten und sagte: „Ja, ich kann gut verstehen, warum sie als Stripperin gearbeitet hat, wenn sie so eine Figur hatte wie Sie.“

Am liebsten hätte Donna sich die Zunge abgebissen. „Aber Sie werden Marcus nichts davon sagen, nicht wahr?“, bat sie.

Er warf ihr einen listigen Blick zu. „Wieso nicht?“

„Bitte!“

„Also gut“, erwiderte er leichthin. „Wir wollen schließlich meinen verklemmten großen Bruder nicht unnötig schockieren, stimmt’s?“ Der listige Blick kehrte zurück. „Er mag Sie, nicht wahr?“

„Nur als Partner beim Kartenspielen“, meinte sie.

„Das glaube ich nicht“, entgegnete Lucas. „Er hat früher immer mit dem Pastor Bridge gespielt, und den hat er nie so angeschaut!“

Donna war nicht entgangen, dass Marcus tatsächlich etwas für sie übrig zu haben schien. Dieser Ausdruck in seinen Augen manchmal … eine Art sehnsüchtigen Verlangens, sodass sie sich fragte, weshalb er nicht einfach alle Bedenken über Bord warf, sie in seine Arme zog und …

Aber sie wusste genau, weshalb. Sie waren einander nicht gleichgestellt. Er war der Chef und sie das Zimmermädchen, und das durfte sie nie vergessen.

Das Hotel wurde immer beliebter. Jedermann wollte dort essen, und es wurde allmählich zu einem Ort zum Sehen und Gesehen-Werden. Schauspieler und Medienstars kamen oft aus London zu einem guten Essen und einer luxuriösen Übernachtung hierher.

Eines Abends kam ein berühmter Restaurantkritiker von einer überregionalen Zeitung zu ihnen, um das Restaurant zu testen. Alle Angestellten gaben ihr Bestes, und sie alle warteten gespannt auf das Erscheinen des Artikels, in dem zu lesen war, dass das Hotel das bestgehütete Geheimnis in ganz Südengland sei.

Allerdings nicht mehr lange.

Das Telefon hörte gar nicht mehr auf zu klingeln, und Marcus kündigte an, dass er ein Festessen für die Mitarbeiter veranstalten wollte, um ihnen allen für ihre hervorragende Arbeit zu danken.

Donna besaß nur ein einziges Kleid, das diesem Anlass angemessen war – ein schwarzes Samtkleid, das sie auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Es war eigentlich viel zu streng für sie, betonte ihre Figur jedoch auf atemberaubende Weise. Dazu trug sie eine Kette mit großen Bernsteinperlen, die ganz genau zu ihrer Haarfarbe passten.

Fröhlich trank sie Sekt, gesellte sich zwischen den einzelnen Gängen des Menüs zu den Köchen und den Kellnern und tanzte zu der leisen Hintergrundmusik durch den Raum, in dem Wissen, dass Marcus sie beobachtete.

Donna war die Tochter ihrer Mutter. Das Tanzen lag ihr im Blut.

Marcus konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Noch nie hatte er etwas oder jemanden so sehr begehrt, und als der Kaffee serviert wurde, gab er seinen Widerstand schließlich auf und setzte sich neben sie.

„Hallo, Donna.“ Er lächelte.

„Hallo.“

Sie sahen einander an.

„Amüsieren Sie sich gut?“

„Hmm!“ Jetzt ja!

Mit der Fingerspitze berührte Marcus eine der kieselsteingroßen Bernsteinperlen. „Die sind wunderschön“, meinte er leise. „Von wem haben Sie die bekommen?“

„Von meiner Mutter.“

„Sie hat einen exzellenten Geschmack.“

Donna lächelte. „Sie glaubte, sie wären aus Plastik, deshalb hat sie sie mir geschenkt. Eigentlich schon komisch, denn es war der einzige wirklich wertvolle Schmuck, den sie besaß, wenn sie es bloß gewusst hätte. Sie war es ganz zufrieden, Modeschmuck zu tragen.“

„Und wo ist Ihre Mutter jetzt?“, erkundigte er sich zu seiner eigenen Überraschung. „Spielt sie irgendwo Shakespeare?“

Sie krauste die Nase, da sie gar nicht reden wollte, und besonders ungern über die Geschichten, die sie erfunden hatte. Sie wollte nur, dass er sie küsste.

„Ach, sie hat die Schauspielerei aufgegeben. Jetzt betreibt sie eine Frühstückspension an der Küste.“

„Wo denn ungefähr?“

Donna lachte ironisch. „Jedenfalls nirgendwo, wo Sie jemals hingehen würden, Marcus.“

Auf einmal erhaschte Marcus einen Blick in eine völlig andere Welt. Er konnte es genau vor sich sehen – Felsen am Meer, fettige Spiegeleier, Riesenräder und den alles überlagernden Geruch nach Pommes frites. Und mit dieser Welt wollte er nichts zu tun haben. Wenn er nur Donna nicht so sehr gewollt hätte …

„Sie sehen …“ Seine Augen wanderten über den eng anliegenden schwarzen Samt, und er verstummte.

Sie sah ihn über ihr Glas hinweg an. „Wie sehe ich aus, Marcus?“, fragte sie in provokativem Tonfall.

„Fantastisch“, sagte er aufrichtig.

„Oh, ist das gut?“ Donna wollte ihn, sehnte sich nach ihm, und sie war verliebt in ihn. Sie wusste, dass sie nie wieder eine solche Chance bekommen würde. Sie beugte sich vor und drückte ihm sanft einen Kuss auf die Lippen.

Beinahe hätte er sie da auf der Stelle in seine Arme gezogen, doch gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass sein gesamtes Personal sie beobachtete.

„Das heben wir für später auf“, flüsterte er.

„Was denn aufheben?“, neckte Donna, die wie von selbst in das Flirt-Geplänkel verfiel, mit dem sie aufgewachsen war.

In ihm regten sich Empfindungen, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß. „Kommt darauf an. Wir können ja mit einem Kuss anfangen und schauen, wie es dann weitergeht.“

„Hmm“, sagte sie kichernd. „Geben Sie Bescheid, wenn Sie so weit sind!“

„Oh, das werde ich“, murmelte er, und ihre Blicke trafen sich sekundenlang. „Darauf können Sie wetten, Schätzchen!“

Als Donna zur Toilette flüchtete, stellte sie fest, dass ihr Gesicht gerötet war und ihre Augen wie Diamanten glänzten. Sie ließ sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen, strich sich die wilden roten Haare halbwegs glatt und war gerade auf dem Weg zurück ins Partyzimmer, als sich eine Gestalt aus dem Schatten löste.

„Donna!“

Donna fuhr zusammen. „Lucas!“, rief sie aus. „Sie haben mich aber erschreckt!“

In dem dämmrigen Licht sah er verschlagener aus denn je. „Sie sind ziemlich nervös, oder?“, bemerkte er. „Mein Bruder hat sie ja schon den ganzen Abend wie ein Hund beschnüffelt.“

Sie zog die Brauen zusammen. „Lucas, sind Sie betrunken?“

„Nicht betrunken genug.“ Mit finsterer Miene blickte er hoch zu der geschnitzten Decke. „Ich muss hier raus. Leihen Sie mir etwas Geld, Donna.“

„Oh, nein! Sie haben mir ja das vom letzten Mal noch nicht zurückgezahlt!“

Sie wollte weitergehen, doch er hielt sie zurück.

„Glauben Sie nicht, es würde die Sache ruinieren, wenn er die Wahrheit über Sie herausfände?“, fragte er lässig.

Sie erstarrte. „Wovon reden Sie?“

Lucas hob die Schultern. „Zum Beispiel davon, dass Sie nicht wissen, wer Ihr Vater ist. Dass Ihre Mutter sich ihren Lebensunterhalt durchs Strippen verdient hat. Dass Sie ständig umhergezogen sind.“ Er legte eine wirkungsvolle Pause ein. „Marcus ist sehr konventionell, Donna. Er wäre nicht bloß schockiert, er wäre entsetzt. Soll ich fortfahren?“

„Wollen Sie mich etwa erpressen, Lucas?“

Er lachte. „Seien Sie doch nicht so melodramatisch! Ich bitte Sie lediglich um einen kleinen Gefallen, das ist alles. Genau wie Sie von mir Diskretion erwarten!“

Ihr sank das Herz. „Wie viel wollen Sie?“

„Nicht viel. Ein Zwanziger reicht.“

„Warten Sie.“ Sie seufzte, da sie wusste, dass sie das Geld vermutlich nie wiedersehen würde. Aber im Augenblick war ihr das nicht wichtig. Nichts war wichtig außer Marcus. „Ich hole mein Portemonnaie.“

Als sie zu den anderen zurückkehrte, sah sie Marcus allein an einem Tisch sitzen. Er sah sie an, während sie auf ihn zukam. Und sie verschwendete keinen Gedanken mehr an Lucas.

Marcus kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen sein Gewissen, und am Ende gab er auf. Er ging in Donnas Zimmer, und der Anblick des engen Quartiers verstärkte seine Schuldgefühle nur noch. Doch als er Donna nackt auf dem Bett ausgestreckt sah, wurde er fast verrückt vor Verlangen.

Aber es war ein Desaster – schmerzhaft und unangenehm für sie und viel zu schnell vorbei für ihn.

In der Dunkelheit wach liegend, starrte er an die Decke. Er vermutete, dass Donna neben ihm so tat, als ob sie schliefe, doch er brachte es nicht über sich, mit ihr zu sprechen. Es hatte ein kleines Abenteuer sein sollen, weiter nichts. Weshalb zum Teufel hatte sie ihm ihre Jungfräulichkeit verschwiegen? Marcus wäre meilenweit gelaufen, wenn er davon gewusst hätte.

Er rollte vom Bett, schlüpfte in seine Kleider und ging zur Küche hinunter, um ein Glas Wasser zu trinken. Lucas war auch dort und öffnete gerade eine weitere Flasche Bier.

Er grinste. „Und, bist du bei ihr gelandet?“

„Bei wem?“

„Bei Donna. Vorsicht, Marcus, sie ist fast noch minderjährig!“

Marcus erstarrte. „Sie ist zwanzig.“

„Sie ist gerade mal achtzehn.“ Lucas setzte die Flasche an den Mund und trank. Dann fragte er mit hinterhältigem Blick: „Wusstest du, dass ihre Mutter eine Stripperin gewesen ist?“

Das war der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte und der Vorwand, nach dem Marcus gesucht hatte.

Gleich am folgenden Tag entließ er Donna.

Donna steckte den Schlüssel ins Schloss und schaute die Straße hinunter. Von hier aus konnte sie deutlich die Lichter des New Hampshire sehen, so hell und einladend wie an jenem ersten Tag, als es wie ein Märchenschloss im Regen vor ihr aufgetaucht war.

Falls Marcus am Fenster seines Büros gestanden hätte, hätten sie einander beinahe zuwinken können. Allerdings würde dies wohl kaum passieren.

Für Donna war es eine vollkommen vernünftige Entscheidung gewesen, hierher zurückzukommen – der ideale Ort und die ideale Gelegenheit. Und dennoch wunderte sie sich darüber, wie sie einen solch schwer wiegenden Faktor wie Marcus Foreman hatte außer Acht lassen können.

Sie hatte geglaubt, dass die Anziehung zwischen ihnen im Laufe der Jahre nachgelassen habe. Nun, das war ein Irrtum gewesen, und zwar ein großer Irrtum.

Wie sollte sie nun damit umgehen? Ihn ignorieren? So tun, als sei er nicht vorhanden?

Eine Wolke verdunkelte die Sonne, und Donna schloss fröstelnd die Haustür auf. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass noch etwas Unerledigtes über ihr schwebte.

4. KAPITEL

In der nächsten Woche war Donna so beschäftigt mit den Vorbereitungen für die Eröffnung ihrer Teestube, dass sie im Stande war, Marcus aus ihren Gedanken zu verbannen. Es gab so viel zu organisieren. Blumen mussten bestellt, die Angestellten eingearbeitet und Werbung gemacht werden. Und ständig klingelte das Telefon.

Donna saß in ihrem winzigen Büro, das eher einer Besenkammer ähnelte, und zeichnete kleine Teekannen auf die Speisekarte, da klopfte es an der Tür, und ein Mädchen mit einem dunklen Lockenschopf steckte den Kopf herein.

„Donna?“

„Ja, Sarah. Komm rein.“ Donna lächelte ihre neueste Mitarbeiterin an. „Ich kann es gar nicht fassen, dass wir morgen eröffnen. Sag mir, dass ich nicht träume!“

„Du träumst nicht“, sagte Sarah gehorsam. „Ach, und Mrs. Armstrong …“

„Wer?“, fragte Donna erstaunt.

„Die Frau des Bürgermeisters. Sie hat gerade angerufen, um zu sagen, dass sie gerne beide morgen kommen werden. Also habe ich sie auch noch auf die Liste gesetzt.“

„Gut. Hoffen wir, dass wir sie alle unterbringen!“

Sarah kam noch näher, lehnte sich über den Schreibtisch und sagte mit gedämpfter Stimme: „Und außerdem … da ist ein Mann an der Rezeption, der zu dir möchte.“

„Das wird der Fotograf von der ‚Hampshire Times‘ sein“, meinte Donna zerstreut, während sie registrierte, wie schick die junge Kellnerin in ihrer hellen muschelfarbenen Uniform aussah.

Sarah Flowers war hungrig und ohne Geld gewesen und zeigte sich eifrig und lernbegierig. Genau wie ihre Chefin damals vor vielen Jahren. Und Donna hatte absichtlich in einem der Gratis-Anzeigenblätter und in Schaufenstern nach Personal gesucht, was bedeutete, dass sie Bewerber bekam, die die Arbeit wirklich brauchten. Und Leute, die Arbeit brauchten, arbeiteten bekanntlich am härtesten. Niemand wusste dies besser als Donna.

Stirnrunzelnd schaute sie auf ihre Uhr. „Er ist ein bisschen früh dran, oder? Ich dachte, er wollte erst nach dem Mittagessen kommen.“

„Es ist nicht der Fotograf“, sagte Sarah.

„Wer dann?“

„Irgendein Marcus Soundso.“ Sarah überlegte angestrengt, dann fiel es ihr wieder ein, und sie lächelte, sodass Grübchen in ihren Wangen erschienen. „Marcus Foreman!“

Donnas Gelassenheit war schlagartig verschwunden. „Sag ihm, ich bin beschäftigt. Wir eröffnen morgen.“

„Ich weiß, das habe ich ihm schon erklärt. Aber er sagt, er geht nicht, ehe du ihn empfängst.“

„Ach ja?“ Donna stand auf, gereizt und aufgeregt zugleich.

Rasch überprüfte sie ihr Aussehen im Spiegel an der Tür und ging dann nach vorne zum Foyer, wo Marcus lässig auf einem der Ledersofas saß und die Wirtschaftsseite einer der ausliegenden Zeitungen las. Er ließ das Blatt jedoch sofort sinken, als Donna hereinkam und sich mit verschränkten Armen vor ihn hinstellte.

Er saß nur da und betrachtete sie mit der Aufmerksamkeit eines Zuchtexperten, der zum ersten Mal ein Rennpferd in Augenschein nahm.

Marcus hatte sich gefragt, weshalb er das unwiderstehliche Bedürfnis verspürt hatte, herzukommen und sich das Lokal persönlich anzusehen. Nun wusste er, dass der Grund dafür direkt vor ihm stand. Teufel noch mal, sie war aber auch sexy! Gouvernantenhaft sexy in ihrem bis oben zugeknöpften, schlichten schokoladebraunen Kleid und lediglich der Bernsteinkette um den Hals.

Hatte sie schon immer so lange Beine gehabt? Oder lag das an den hohen Absätzen? Und sogar das straff zurückgekämmte Haar sah gut aus.

Verflixt, dachte Marcus, er hatte Donna King ja schon begehrenswert gefunden, als sie mit wirren Locken und ohne Make-up im Hotel herumgeeilt war.

„Hallo, Marcus“, begrüßte sie ihn äußerlich ruhig. „Welch unerwartetes Vergnügen.“

„Sag das noch mal, und zwar mit mehr Gefühl“, spöttelte er.

Sie lächelte kurz. „Ich fürchte, ich habe momentan keine Zeit für dich. Wirklich.“

Er erhob sich, und trotz ihrer hohen Absätze überragte er sie noch. „Dann nimm dir die Zeit“, meinte er sanft.

Sie hielt seinem herausfordernden Blick stand. „Sonst?“

„Sonst bleibe ich hier sitzen und lenke dich den ganzen Tag ab.“

„Ich würde dich einfach ignorieren.“

„Versuch’s doch mal.“

Vermutlich würde sie kläglich scheitern. Einen Mann wie Marcus zu ignorieren war so gut wie unmöglich. Heute trug er schwarze Jeans und dazu ein anthrazitfarbenes Seidenhemd. Er gehörte nicht zu jenen Männern, die nie gut in Jeans aussahen, sobald sie älter als einundzwanzig waren. Wahrscheinlich würden die meisten Einundzwanzigjährigen alles tun für einen Körper wie seinen!

„Komm schon, Donna“, meinte er. „Nenn es einfach professionelles Interesse. Ich möchte doch nur sehen, was du anzubieten hast.“

Wieso hörte sich eigentlich alles, was er sagte, wie eine sexuelle Anspielung an? Donna heftete die Augen irgendwo auf seine Brust.

„Morgen machen wir auf“, erklärte sie. „Und es gibt eine Eröffnungsparty. Hast du meine Einladung nicht bekommen?“

„Doch, vor zwei Tagen.“ Diese hatte Marcus’ Neugier erst recht geweckt, sich einmal anzusehen, was Donna aus dem Lokal gemacht hatte. Und nach dem Foyer zu urteilen, würde es ein Volltreffer werden.

„Hat es dich überrascht, dass du eingeladen wurdest?“, erkundigte sie sich.

„Ein bisschen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Nummer Eins auf deiner Gästeliste bin …“

„Warst du auch nicht“, bestätigte sie ungerührt. „Eher die Nummer Einhundertundeins.“

„Also warum hast du’s dann getan?“

„Weil ich annahm, dass du dir andernfalls wahrscheinlich trotzdem Zutritt verschafft hättest. Oder dich als gewöhnlicher Kunde verkleidet hättest, um dich hier umzuschauen. Also dachte ich, ich erspare dir diese Mühe.“

„Wie außerordentlich entgegenkommend von dir.“

„Nicht wahr?“

„Oder war es vielleicht deswegen, weil du es mir zeigen wolltest?“, fragte Marcus. „Um mich zu ärgern, indem du mir vorführst, wie gut es dir gelungen ist?“

„Zum Teil vielleicht auch das“, gab Donna zu. „Das kannst du mir wohl kaum übel nehmen.“

„Nein.“ Langsam ließ er den Blick umherschweifen. „Wohl nicht.“

„Also, kommst du zur Eröffnung?“

Ihr geheimnisvolles Lächeln löste in ihm Gefühle aus, die nicht für die Öffentlichkeit geeignet waren. „Ich denk drüber nach.“

„Dann hast du die perfekte Gelegenheit, dir alles ganz genau anzusehen.“

„Nein“, widersprach er. „Dann wirst du nämlich von all den wichtigen und bedeutenden Persönlichkeiten umringt sein, kaum zehn Worte mit jedem Gast wechseln, und ganz bestimmt wirst du nicht in der Lage sein, irgendjemandem deine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken.“ Marcus machte eine Pause. „Und ich möchte deine ungeteilte Aufmerksamkeit, Donna.“

„So? Und kriegst du immer, was du willst?“

„Meistens schon.“ Sein Blick wurde hart. „Aber natürlich nicht immer. Beispielsweise Ehrlichkeit bei jemand anderem zu finden ist bekanntlich schwer, nicht wahr? Vor allem bei Personal.“

„Oh!“, rief sie sarkastisch aus. „Sollte diese spitze Bemerkung etwa gegen mich gerichtet sein?“

Achselzuckend erwiderte Marcus: „Sagen wir’s mal so: Ich hätte sicherlich ein Problem damit, dir ein gutes Zeugnis auszustellen.“

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

Sharon träumte davon, Journalistin zu werden, doch...
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