Julia Best of Band 255

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IM SCHLOSS DER TRÄUME
Carrie hat sich in den attraktiven Leone di Montecrespi verliebt! Dabei weiß sie genau, dass sie sich keine Illusionen machen darf – ein gemeinsames Leben im Herzogtum San Rinaldo scheint ausgeschlossen. Leones zärtliche Küsse verraten ihr jedoch, dass er ihren Traum teilt …

IM PALAST DER LIEBE
Spielt der erfolgreiche Architekt Matthew Allenby nur mit Lady Caterinas Gefühlen? Am Hof von San Rinaldo und bei der gemeinsamen Projektarbeit für ein Kinderheim zeigt er ihr, dass er sie hinreißend findet. Dabei scheint er mit einer anderen eine Affäre zu haben!

EIN KÖNIGREICH FÜR DIE LIEBE
Damiano, der Herzog von San Rinaldo, ist Sofias Traummann, wird es immer sein! Doch obwohl sie bereits seit drei Jahren verheiratet sind und einen kleinen Sohn haben, hat Damiano noch nie über seine Gefühle gesprochen. Sofia ahnt nicht, was ihn davon abhält, ihr seine Liebe zu gestehen …


  • Erscheinungstag 05.08.2022
  • Bandnummer 255
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511711
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Howard

JULIA BEST OF BAND 255

1. KAPITEL

„Du hast vielleicht ein Glück, Carrie Dunn! Ich wünschte, ich könnte ein paar Monate in diesem kleinen Paradies verbringen!“

Carrie lächelte ihrer Freundin Louise zu. Sie saßen ganz vorn auf der Terrasse des exklusiven Restaurants, in dem sie zu Abend aßen. Da es auf einem Hügel lag, hatte man einen fantastischen Ausblick. Weiter unten funkelten die Lichter der Stadt, deren rote Ziegeldächer sich deutlich gegen den Sternenhimmel abzeichneten. In der Ferne sah man die beleuchteten Ecktürme des Palazzo Verde, eines rosaroten alten Steingebäudes, und ganz unten den kleinen Yachthafen, wo die Boote auf dem glitzernden Wasser schaukelten.

„Nein, es ist nicht schlecht“, bestätigte Carrie. „Ich glaube, ich werde mich damit abfinden.“ Als sie Louises Blick begegnete, warf sie den Kopf zurück und lachte. „Kannst du mir sagen, wie es eine junge Frau aus Boulder in Colorado hierher verschlagen hat?“

Die Antwort darauf kannten sie beide. Sie, Carrie Dunn, die älteste Tochter eines Filialleiters und seiner Frau, war in das glanzvolle Herzogtum San Rinaldo am Mittelmeer gereist, um dort hart zu arbeiten. Allerdings hatte sie es vor noch nicht allzu langer Zeit nur dem Namen nach gekannt. Sie hatte darüber in Hochglanzmagazinen gelesen, denn San Rinaldo war bekannt für seinen Wein und das wunderschöne Porzellan, als Tummelplatz des Jetset und für die schillernde herzogliche Familie, die es regierte.

Die Montecrespi, die im Palazzo Verde residierten – der Herzog Damiano und seine Frau, sein Bruder Graf Leone, ein notorischer Playboy, und ihre jüngere Schwester Lady Caterina –, machten nämlich ständig Schlagzeilen. Sogar Carrie, die sich normalerweise nicht für derartige Dinge interessierte, hatte schon einiges über den flotten Grafen und seine zahlreichen Eroberungen gehört.

Was Carrie in das sonnenverwöhnte Herzogtum verschlagen hatte, waren jedoch nicht der Klatsch darüber und der Glanz, der ihm anhaftete. „Keine Angst, ich verspreche dir, dass es mir nicht zu Kopf steigen wird“, versicherte sie nun ihrer Freundin. „Du kannst morgen ganz beruhigt nach New York zurückkehren. Ich bin nur hergekommen, um zu arbeiten.“

„Oh, ich weiß, dass es dir nicht zu Kopf steigen wird.“ Louise blickte sie offen an. „Du bist nicht der Typ.“ Sie kannte Carrie sehr gut. Nachdem sie sich ebenfalls umgeschaut hatte, lachte sie. „Ich frage mich bloß, wie du an einem Ort wie diesem überhaupt an Arbeit denken kannst.“

Carrie wollte gerade erwidern, dass sie ständig an ihre Arbeit dachte, doch das laute Stimmengewirr, das sich in diesem Moment am Ende der Terrasse erhob, lenkte sie ab. Als sie sich neugierig umwandte, sah sie, dass ein besorgt wirkender Kellner auf ihren Tisch zueilte.

Händeringend blieb er vor ihnen stehen und wandte sich an Carrie.

„Verzeihung, Signorina, aber uns ist ein sehr bedauerlicher Irrtum unterlaufen. Dieser Tisch hier … Den hätte man Ihnen nicht geben dürfen. Er war bereits reserviert, wissen Sie …“ Unglücklich schaute er zu der lärmenden Gruppe junger Leute am Ende der Terrasse. „Ihr Tisch und der daneben … Diese Leute haben ihn bereits vor einiger Zeit reserviert. Es tut mir wirklich sehr leid, aber Sie müssen sich woanders hinsetzen …“

„Und was ist, wenn wir das nicht wollen?“

Eigentlich war es nicht ihre Art, so unhöflich zu reagieren, doch in dieser Situation fühlte Carrie sich im Recht.

„Meine Freundin und ich essen gerade“, protestierte sie. „Es käme uns wirklich sehr ungelegen.“

Außerdem passte es ihr nicht, ausgerechnet diesen jungen Leuten zuliebe umgesetzt zu werden, die den Tisch ganz sicher nicht reserviert hatten. Offenbar handelte es sich um Prominente, denn sie wirkten ziemlich aufgeblasen. Ihre Haut begann zu prickeln, als Carrie einen jungen Mann auf Englisch an den Kellner gewandt rufen hörte: „Na los, worauf warten Sie? Sagen Sie ihnen, dass sie hinten auf der Terrasse sitzen können.“

Was für ungehobelte Typen! Wütend blickte Carrie in ihre Richtung. „Vielleicht sollten die sich hinten auf die Terrasse setzen“, sagte sie leise.

„Komm, lass uns aufstehen“, drängte Louise. „Wir sind sowieso fast fertig, und ich möchte kein Theater haben.“

Louise hasste derartige Situationen, das wusste Carrie. Außerdem hatte sie sich mit diesem Restaurantbesuch bei ihrer Freundin bedanken wollen. Louise war nämlich geschäftlich in Rom gewesen und hatte auf dem Rückweg in die Staaten einen Abstecher hierher gemacht, um sie zu besuchen. „Okay“, sagte Carrie daher widerstrebend zu dem Kellner. Als Louise und sie sich an den ihnen zugewiesenen etwas versteckt liegenden Tisch hinten auf der Terrasse setzten, schwor sie sich jedoch, dieses Restaurant nie wieder zu betreten.

Ungefähr zwanzig Minuten später – sie hatten bereits Kaffee getrunken, und Louise war gerade auf der Toilette – beschloss Carrie, die Rechnung zu verlangen. Als sie dem Kellner ein Zeichen gab, sah sie aus den Augenwinkeln, dass ein Mann von dem Tisch, den sie gerade frei gemacht hatten, aufstand und auf sie zukam. Du aufgeblasener Mistkerl! dachte Carrie und beschloss, ihn keines Blickes mehr zu würdigen.

Einen Moment später stellte sie jedoch verblüfft fest, dass er neben ihr stehen geblieben war. „Dürfte ich kurz mit Ihnen sprechen, Signorina?“ fragte er dann.

Noch bevor sie sich ihm zuwandte, zuckte sie zusammen, und der Klang seiner Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Erschrocken über ihre Reaktion, schaute sie schließlich zu dem Mann auf.

Daraufhin begann ihr Herz wie wild zu klopfen.

Da die Beleuchtung an diesem Ende der Terrasse etwas schummrig war, konnte Carrie sein Gesicht nicht richtig erkennen. Trotzdem war sie wie elektrisiert, denn er sah einfach umwerfend aus.

Und da war noch etwas. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie ihn irgendwo schon einmal gesehen hatte. Sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen, dem sinnlichem Mund und den geheimnisvoll blickenden Augen, das von welligem schwarzem Haar umrahmt war, kam ihr nämlich bekannt vor.

All das ging ihr durch den Kopf, bevor sie sich zusammenriss und ruhig erwiderte: „Mit mir sprechen?“ Worüber hätte dieser Mann mit ihr reden sollen?

„Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen“, erklärte der Fremde.

Carrie blinzelte verwirrt. „Entschuldigen?“

„Für die Unannehmlichkeiten, die Sie wegen Ihres Tisches hatten.“

Ach ja, der Tisch! Da sie so fasziniert von seiner Ausstrahlung gewesen war, hatte sie den Ärger mit dem Tisch vorübergehend ganz vergessen. Dass der Fremde sie daran erinnert hatte, brachte sie allerdings auf den Boden der Tatsachen zurück. Wie hatte sie nur so dumm sein können, auf sein attraktives Gesicht hereinzufallen! Er war einer dieser ungehobelten Typen, die ihnen den Tisch weggenommen hatten!

Nun, da sie sich wieder gefangen hatte, sprach sie betont kühl: „Ich finde, dafür ist es eigentlich ein bisschen zu spät.“

„Das ist es, da stimme ich Ihnen zu. Trotzdem möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen.“

Während er sprach, musterte er sie unverhohlen – das cremefarbene Top und die gleichfarbige Hose, die ihre schlanke weibliche Figur und ihre leichte Sonnenbräune vorteilhaft zur Geltung brachten, das leicht herzförmige Gesicht und das kurze goldblonde Haar. Dann hielt er inne, um ihre großen braunen Augen zu betrachten, die leichte Stupsnase und die sanft geschwungenen Lippen.

Wie kann dieser Kerl es wagen, mich so anzustarren? dachte Carrie ärgerlich. Allerdings wirkte er so offen, dass sie es ihm kaum übel nehmen konnte. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass sie ihn insgeheim genauso eingehend musterte.

Er war sehr groß, über einsachtzig, schätzungsweise Anfang Dreißig und wie ein Athlet gebaut. Er trug ein blaues Leinenjackett, das seine breiten Schultern betonte, und eine dunkelblaue Hose. Seine Körperhaltung drückte eine unbändige Energie aus. Ja, er war beängstigend sexy!

Nein, das ist er nicht, verbesserte sich Carrie. Er war irgend so ein arroganter Promi, der sich einen Spaß daraus machte, sich bei ihr zu entschuldigen. Zweifellos erwartete er von ihr, dass sie ihm dankbar war, weil er ihr dieses Privileg zuteil werden ließ.

Während der Fremde sie weiterhin ein wenig amüsiert betrachtete, erklärte sie mit zusammengekniffenen Augen: „Da Sie sich jetzt bei mir entschuldigt haben, können Sie ja zu Ihren Freunden zurückkehren.“

„Sie sind immer noch wütend, nicht?“ Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Na ja, ich kann es Ihnen nicht verdenken. Dieser Tisch ist wesentlich schlechter. An Ihrer Stelle würde ich mich wahrscheinlich auch ärgern.“

Wie konnte er bloß so herablassend sein! Wer immer er auch sein mochte, Prominente wie er gerieten vermutlich nie in derart unangenehme Situationen. Stattdessen brachten sie normale Sterbliche wie sie, Carrie, in Schwierigkeiten.

Noch immer versuchte Carrie, ihn einzuordnen. Ob er ein Sänger war oder ein Schauspieler? Jedenfalls wirkte er ziemlich nobel.

Doch ob nobel oder nicht, er brachte sie auf die Palme! „Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich geweigert, an diesen Tisch zu kommen“, entgegnete sie daher. „Aber ich bin mit einer Freundin hier, und die wollte keine Szene. Nur deswegen haben Sie und Ihre Freunde unseren Tisch bekommen.“

„Ach so.“ Der Fremde lächelte. „Sie kämpfen für Ihre Rechte, stimmt’s? Das ist sehr lobenswert.“

„Und wohl auch nötig, wenn es so viele Leute gibt, die …“ Sie blickte viel sagend zu seinen Freunden hinüber. „Die sich um die Rechte der anderen nicht scheren.“

Wieder zog er die Augenbrauen hoch. Sein Lächeln war so unwiderstehlich, dass sie es beinahe erwidert hätte. Aber sie widerstand hartnäckig der Versuchung.

„Sie sind also der Meinung, man müsste meinen Freunden Manieren beibringen“, bemerkte er. „Vielleicht haben Sie recht. Deswegen möchte ich mich auch bei Ihnen entschuldigen.“

„Das ist sehr nett von ihnen“, konterte sie sarkastisch, „aber wie ich bereits sagte, ist es dafür zu spät, denn Sie haben uns bereits den Abend verdorben.“

Seine glühenden Blicke gingen ihr unter die Haut. Carrie ärgerte sich über sich selbst, weil er sich offensichtlich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst war.

Sie kam gerade zu dem Ergebnis, dass dies noch ein Grund war, ihn nicht zu mögen, als der Fremde überraschend fragte: „Aus welchem US-Staat kommen Sie? Ich kann Ihren Akzent nicht ganz einordnen.“

Dass das Gespräch so persönlich werden würde, hatte sie nicht erwartet. „Colorado“, erwiderte sie kurz angebunden und verschwieg somit, dass sie in den letzten drei Jahren in New York gewohnt und gearbeitet hatte, was natürlich auch auf ihren Akzent abgefärbt hatte. Falls er versuchte, sie anzumachen, würde er sein blaues Wunder erleben!

Um ihn zu ärgern – denn nichts ärgerte einen Promi mehr, als nicht erkannt zu werden –, fügte sie betont desinteressiert hinzu: „Und woher kommen Sie?“

Seine Augen funkelten belustigt. „Ich? Oh, ich bin nur ein Einheimischer.“ Während sie überlegte, ob das stimmte – schließlich war San Rinaldo nicht gerade bekannt für seine Stars aus dem Showbusiness –, fuhr er fort: „Ich bin noch nie in Colorado gewesen. Aber ich habe von Freunden gehört, dass es dort sehr schön sein soll.“

„Das stimmt.“ Wie überaus herablassend, ging es ihr durch den Kopf. Selbst wenn ich ihm erzählt hätte, ich würde aus irgendeinem Loch kommen, würde er mir noch weismachen, er hätte von Freunden gehört, dass es dort sehr schön sein soll.

„Sind Sie zu Besuch hier?“

„So ungefähr“, meinte sie ausweichend. Versuchte er jetzt etwa, sie zu erobern, indem er Interesse an ihrem bescheidenen Dasein heuchelte?

Wieder betrachtete sie ihn. Wenn sie sein Gesicht deutlicher gesehen hätte, hätte sie ihn vermutlich sofort erkannt.

„Was soll das heißen: ‚So ungefähr‘?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Machen Sie hier Urlaub?“

„Nicht direkt.“

„Nicht direkt.“ Dass sie so einsilbig war, schien ihn nicht im Mindesten aus der Fassung zu bringen.

Carrie atmete einmal tief durch. Warum sollte sie es ihm nicht sagen? So konnte sie ihm dieselbe Frage stellen und würde endlich erfahren, wer er war.

„Zufällig bin ich hier, um zu arbeiten“, informierte sie ihn.

„Und um welche Art Arbeit handelt es sich?“

„Ich arbeite an einem Buch.“

„Ein Buch? Wie faszinierend. Darf ich fragen, was für ein Buch es ist?“

„Ein Buch über Castello-Porzellan.“ Überflüssigerweise, da er es vermutlich ohnehin wusste, fügte sie hinzu: „Es wird in San Rinaldo hergestellt und ist weltberühmt. Im Lauf der Jahrhunderte hat es die Tafeln aller königlichen Familien in Europa geschmückt, ganz zu schweigen von der Tafel im Weißen Haus.“

„Sie sind also tatsächlich in der Lage, mehrere Sätze aneinander zu reihen. Ich dachte schon, Sie hätten ernsthafte Kommunikationsschwierigkeiten.“

Wirklich sehr amüsant! Doch sie erwiderte sein Lächeln nicht, zumal sie befürchtete, bereits zu viel ausgeplaudert zu haben. Durch ihre Begeisterung hatte sie sich einen Moment hinreißen lassen, denn dieses Buch war zweifellos eines der aufregendsten Projekte, an denen sie je gearbeitet hatte. Sie lieferte nicht nur den Text dafür, sondern auch die Fotos. Seit ihr Herausgeber in New York das Projekt vor zwei Monaten genehmigt hatte, hatte sie kaum an etwas anderes denken können. Und sie liebte es, allen, die es interessierte, davon zu erzählen.

Allerdings hatte sie nicht vorgehabt, diesem arroganten, dunkelhaarigen Fremden davon zu berichten. Für ihren Geschmack wusste er ohnehin schon zu viel über sie, zumal sie nichts über ihn wusste!

Es war höchste Zeit, das zu ändern. Kühn erwiderte sie seinen Blick. „Aber jetzt haben wir genug über mich gesprochen. Erzählen Sie mir etwas über sich – zum Beispiel, was Sie beruflich machen.“

„Ich?“

Er lächelte immer noch, zögerte aber, als müsste er sich die Antwort erst zurechtlegen. Vielleicht wunderte es ihn, dass sie keine Ahnung hatte. Oder er war beleidigt. Allerdings sah er nicht so aus, er wirkte eher fasziniert.

„Es scheint so, als hätten Sie jetzt Kommunikationsschwierigkeiten“, stellte Carrie nach einer Weile fest.

Nun musste er lachen. „Eins zu null für Sie! Also, um Ihre Frage zu beantworten …“

Er kam jedoch nicht dazu, den Satz zu beenden, da in diesem Augenblick ein Mann in einem dunklen Anzug neben ihm auftauchte und leise etwas auf Italienisch zu ihm sagte, das Carrie nicht verstand. Verdammt! dachte sie, als der Fremde ihr höflich zunickte und sich dem anderen Mann zuwandte. Das war ja wirklich schlechtes Timing!

Schließlich drehte er sich wieder zu ihr um. „Ich muss leider gehen, denn es sieht so aus, als werde ich woanders gewünscht.“

Zu ihrer Überraschung schüttelte er ihr zum Abschied die Hand. „Es war sehr interessant, Sie kennen zu lernen. Und ich möchte mich nochmals bei Ihnen entschuldigen. Ich hoffe, dass dieses unerfreuliche Erlebnis Ihnen nicht den Aufenthalt hier verdirbt.“

„Bestimmt nicht“, erwiderte sie leise, und kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wandte er sich ab und ging ins Restaurant.

Während sie ihm nachschaute, machte sie sich allerdings klar, dass sie auch nicht viel mehr über die Lippen gebracht hätte. Sein Händedruck hatte sie nämlich elektrisiert, und es war, als hätte sie sich bei der Berührung verbrannt. Obwohl der Kontakt nur kurz gewesen war, war Carrie heftig erschauert.

Wer immer dieser Typ war, er sah einfach umwerfend gut aus!

In diesem Moment erschien der Kellner am Nachbartisch, und sie war froh, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren zu können. Da ihr einfiel, dass der Kellner ihr immer noch nicht die Rechnung gebracht hatte, gab sie ihm ein Zeichen. „Die Rechnung bitte“, rief sie, doch er kam schon auf sie zu.

„Es gibt keine Rechnung, Signorina.“ Lächelnd zuckte er die Schultern. „Sie ist bereits beglichen.“

„Beglichen?“

„Ja, Signorina.“

„Wer hat das getan?“ fragte sie, obwohl sie den leisen Verdacht hatte, die Antwort bereits zu kennen.

Er machte eine Geste, als würde er die Information nur ungern preisgeben. Dann sagte er in verschwörerischem Tonfall: „Der Gentleman, mit dem Sie eben gesprochen haben.“

„Aber er hatte kein Recht dazu!“ Wütend stand sie auf. „Ich bin durchaus in der Lage, meine Rechnungen selbst zu bezahlen.“

Bevor der Kellner sie davon abhalten konnte, hatte sie sich ihre Handtasche geschnappt und schlug hoch erhobenen Hauptes die Richtung ein, in die ihr vermeintlicher Wohltäter gegangen war. Für wen hielt dieser Kerl sich eigentlich?

Im Restaurant war er nirgends zu sehen, aber er konnte nicht weit gekommen sein. Carrie ging auf die Tür zu, die zum Eingangsbereich auf der Vorderseite führte. Als sie sie aufstieß, lächelte sie triumphierend in sich hinein. Er war ihr also nicht entkommen. Sie hatte ihn gerade rechtzeitig noch erwischt!

Er stand vor der geöffneten Tür und war offenbar im Begriff, das Restaurant zu verlassen. Da er Carrie den Rücken zugewandt hatte, konnte er sie nicht sehen. Auf dem Bürgersteig stand der Mann in dem dunklen Anzug. Er hielt ihm die Tür einer schwarzen Limousine auf, die nur wenige Schritte entfernt parkte.

Hübsch, dachte Carrie ironisch, als sie auf ihr Opfer zusteuerte. Kein Wunder, dass er glaubt, mich so von oben herab behandeln zu können, wenn er immer so hofiert wird!

Der Gedanke daran stachelte sie noch weiter an. „Einen Moment bitte! Ich habe noch ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen!“ rief sie, während sie auf ihn zueilte. „Wie können Sie es wagen, meine Rechnung zu bezahlen …“

Plötzlich versagte ihr die Stimme, denn er hatte sich zu ihr umgedreht. Carrie wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken, denn hier, im hellen Foyer, hatte sie ihn sofort erkannt.

Wie konnte ich bloß so dumm sein? schalt sie sich. Wieso habe ich ihn nicht früher erkannt? Und warum musste ich so unhöflich zu ihm sein?

Ihr war furchtbar elend zu Mute. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz wäre stehen geblieben, und war wie erstarrt. Ich und meine große Klappe, ging es ihr durch den Kopf. Jetzt werde ich Schwierigkeiten bekommen.

Noch sah es jedoch nicht danach aus.

Er warf ihr einen Blick zu, den sie nicht zu deuten vermochte. „Es tut mir leid, aber ich habe es eilig“, erklärte er schließlich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ein andermal vielleicht. Ich muss jetzt los.“

Dann wandte er sich ab, eilte nach draußen und nahm im Fond der schwarzen Limousine Platz. Als der Wagen kurz darauf leise davonfuhr, stand Carrie immer noch reglos da und blickte ihm nach.

„Da bist du ja! Der Kellner hat gesagt, du wärst weggegangen. Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich habe eine Bekannte getroffen.“

Langsam drehte Carrie sich zu Louise um, die gerade neben ihr aufgetaucht war. Ihr schwirrte der Kopf.

„Sie macht hier Urlaub, und sie wohnt nur zwei Straßen weiter in Queens. Kaum zu glauben, nicht? So ein Zufall! Jedenfalls haben wir uns unterhalten, und … He, Carrie, ist alles in Ordnung mit dir?“ Louise verstummte und betrachtete Carrie, die überhaupt nicht zugehört hatte. „Du machst so ein komisches Gesicht. Ist etwas passiert?“

„Ich bin nicht sicher, was passiert ist. Ich glaube, ich werde verrückt.“ Carrie riss sich zusammen und rang sich ein Lächeln ab. „Ich hatte selbst gerade eine sehr faszinierende Begegnung. Und ich fürchte, ich bin so richtig ins Fettnäpfchen getreten. Ich dachte, er wäre irgend so ein Märchenprinz. Aber das war er nicht. Er war echt.“ Seufzend drehte sie sich zur Tür um, durch die der dunkelhaarige Fremde gerade verschwunden war. „Ich glaube, ich habe einen schrecklichen Fauxpas begangen. Ich habe gerade Graf Leone, den Thronfolger, beleidigt.“

„Hier, bitte, Sir. Das sind die Unterlagen, von denen ich gesprochen hatte. Der Herzog wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sie unterzeichnen könnten, sobald es Ihnen möglich ist.“

„Legen Sie sie auf den Tisch, Pierre.“ Leone drehte sich zu seinem Privatsekretär um, der wie jeden Tag mit der aktuellen Korrespondenz bei ihm erschienen war. „Ich werfe beim Frühstück einen Blick darauf. Sie können sie in einer halben Stunde wieder abholen.“

„Ja, Sir.“ Pierre nickte respektvoll. „Ist sonst noch etwas zu erledigen?“

„Im Moment nicht, danke.“ Als Pierre sich abwandte, rief Leone ihm nach: „Übrigens herzlichen Glückwunsch. Ich habe gehört, dass Sie endlich einen Termin für den bedeutungsvollen Tag festgesetzt haben. Meiner Meinung nach ist es auch Zeit, dass die reizende Margherita einen ehrbaren Mann aus Ihnen macht.“

Pierre lächelte erfreut. „Danke, Sir. Wir hoffen, dass Sie uns die Ehre erweisen, zu unserer Hochzeit zu kommen.“

„Ich würde es um keinen Preis verpassen. Sie wissen doch, wie ich Hochzeiten liebe.“ Leone lachte. „Natürlich nur, solange es nicht meine eigene Hochzeit ist.“

Es war kurz nach halb acht morgens, und Graf Leone Alberto Cosimo George di Montecrespi, Bruder des Herzogs von San Rinaldo und dessen Thronfolger, befand sich in seinen Privatgemächern im Palazzo Verde und bereitete sich auf den vor ihm liegenden Tag vor.

Wie immer wird es ein langer Tag, dachte er beim Frühstück. Zum Glück konnte er sich darauf verlassen, dass Pierre alles gut organisierte.

In dem Moment kam sein Kammerdiener aus dem angrenzenden Ankleidezimmer, wo er ihm die Sachen für diesen Tag bereitgelegt hatte.

Leone, der noch einen roten Seidenmorgenmantel trug, blickte ihn an. „Danke, Silvestro. Ich nehme an, dass Sie die Neuigkeit schon von Pierre gehört haben“, fügte er gut gelaunt hinzu. „Wissen Sie von der bevorstehenden Vermählung?“

„Ja, Sir, ich habe davon gehört. Und ich war darüber sehr erfreut.“

Leone lächelte den jungen Mann an. „Sie sind also auch ein Romantiker. Ich nehme an, dass Sie Pierres Beispiel bald folgen werden?“

„Das hoffe ich, Sir. Sobald Anna einundzwanzig ist, also in achtzehn Monaten.“

Leone schüttelte den Kopf. „Ihr seid alle verrückt, wenn ihr mich fragt. Es ist mir wirklich ein Rätsel, warum ein Mann unter vierzig heiraten sollte. Es gibt doch so viele schöne, ungebundene Frauen auf der Welt.“ Lächelnd widmete er sich wieder seinen Unterlagen.

Allerdings konnte er sich nicht so ganz auf seine Lektüre konzentrieren. Während er die Unterlagen durchging, hier und da einige Zeilen überflog und die erforderlichen Unterschriften leistete, musste er immer wieder an das Erlebnis denken, das ihm seit dem letzten Abend keine Ruhe mehr ließ. Da er vergeblich versucht hatte, die Erinnerung daran zu verdrängen, kam er zu dem Entschluss, dass er nun etwas unternehmen musste.

Warum auch nicht? überlegte er und lächelte bei der Vorstellung daran. Ein schöne Frau ist eine schöne Frau, selbst wenn sie unfreundlich ist.

Als Pierre nach einer halben Stunde zurückkam, reichte Leone ihm die Unterlagen mit den Worten: „Die scheinen alle in Ordnung zu sein.“ Dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und trank seinen Kaffee aus. „Ich möchte, dass Sie jemanden für mich ausfindig machen. Eine Frau. Eine Amerikanerin. Ich kenne ihren Namen nicht, aber sie ist blond, Mitte Zwanzig und atemberaubend schön. Anscheinend arbeitet sie gerade an einem Buch über Castello-Porzellan. Finden Sie heraus, wer sie ist und wo sie wohnt. Ich möchte alles wissen, was Sie über sie in Erfahrung bringen können.“

„Handelt es sich um eine dringende Angelegenheit, Sir?“ fragte Pierre mit unbewegter Miene. Einen Augenblick lang hatte er jedoch amüsiert gewirkt. Dies war nicht das erste Mal, dass er einen solchen Auftrag erhielt.

„Ja, es ist dringend, Pierre.“ Leone stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch. In seinen Augen lag ein entschlossener Ausdruck. „Diese junge Lady und ich haben noch eine alte Rechnung zu begleichen.“

2. KAPITEL

Das Haus, das Carrie für die Dauer ihres Aufenthalts in San Rinaldo gemietet hatte, lag etwa fünf Meilen von Rino entfernt, der Hauptstadt des kleinen Herzogtums, in einer kurvenreichen, von Bäumen gesäumten Straße. Von dort hatte man einen herrlichen Ausblick auf die Stadt.

Bei dem Haus handelte es sich um eine wunderschöne Villa aus dem 18. Jahrhundert mit einem roten Ziegeldach, und genauer gesagt hatte sie nur das Obergeschoss gemietet. Es war hell und geräumig und verfügte über einen separaten Eingang sowie je einem großen Balkon auf der Vorder- und Rückseite. Eine Schüssel mit Pfirsichen neben sich und einen Notizblock auf den Knien, saß Carrie in einem Rohrstuhl auf dem vorderen Balkon und genoss die warme Julisonne, während sie ihren Terminplan für die nächste Woche zurechtlegte. Es versprach eine ziemlich turbulente Woche zu werden mit vielen Besprechungen und Terminen. Obwohl sie, Carrie, erst ein paar Tage in San Rinaldo war, lief zu ihrer Zufriedenheit alles bestens.

Da sie sich immer voller Elan in ihre Arbeit stürzte, hatte sie sich innerhalb von nur drei Jahren einen ausgezeichneten Ruf erworben.

Sie konnte es selbst kaum glauben, aber erst vor drei Jahren war sie frisch vom College in New York eingetroffen, ohne jegliche Erfahrung in der Verlagswelt, allerdings sehr ehrgeizig und mit vielen guten Ideen. Natürlich hatte es ihr auch nicht an Entschlossenheit gemangelt, denn sie hatte die Verlage schon bald nicht mehr gezählt, an deren Türen sie geklopft hatte. Dann hatte man ihr den ersten Auftrag erteilt. Da ihr Heimatstaat Colorado früher ein Paradies für Goldsucher gewesen war, hatte sie ein Buch darüber geschrieben. Dieses Buch war ein großer Erfolg gewesen, und seitdem konnte sie auf eine steile Karriere zurückblicken.

Im Anschluss an ihr erstes Buch hatte sie eines über indianische Kunst verfasst, dann eines über das Guggenheim-Museum in New York und außerdem zahlreiche Zeitschriftenartikel. Ihr neuestes Projekt, das Buch über Castello-Porzellan, für das sie nun in San Rinaldo recherchierte, war jedoch ihr bisher ehrgeizigstes. Dieses Buch würde etwas ganz Besonderes werden.

Lächelnd lehnte Carrie sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete eine Weile das friedliche Panorama. Vor ihr erstreckten sich mit Zypressen bewachsene Hügel, auf denen vereinzelt Villen standen. Was für ein wunderschöner Ort! Sie würde die nächsten drei Monate in vollen Zügen genießen. Sie seufzte zufrieden und nahm einen Pfirsich aus der Schale.

In diesem Moment hörte sie unten das Motorengeräusch eines Wagens, der in die kiesbestreute Auffahrt einbog. Während sie von dem saftigen Pfirsich abbiss, widmete sie sich wieder ihren Notizen. Sicher bekam Signora Rossi Besuch. Sie war Carries Vermieterin, eine Witwe, und hatte häufig Gäste.

Carrie hörte, wie eine Wagentür zugeknallt wurde und dann jemand die Auffahrt entlangging, an der Treppe vorbei, die zu ihrem Balkon hinaufführte. Allerdings nahm sie es nur nebenbei wahr, da sie gerade ihren Terminplan betrachtete und sich fragte, ob sie sich für den folgenden Tag nicht zu viel vorgenommen hatte. Deshalb blickte sie auch nicht einmal auf, als kurz darauf Stimmen unter ihrem Balkon zu hören waren. Signora Rossi und ihr Besucher unterhielten sich miteinander auf Italienisch. Umso überraschter war Carrie, als ihre Vermieterin sie plötzlich rief: „Signorina Carrie! Sie haben Besuch!“

Wie seltsam! Stirnrunzelnd legte Carrie ihren Notizblock beiseite, stand auf und ging zur Balkonbrüstung. Wer, in aller Welt, konnte das sein? Sie kannte niemand, der sie hier besuchen würde.

„Danke, Signora Rossi“, rief sie über die Brüstung gelehnt.

Anschließend fragte sie sich wieder, wer der Besucher sein mochte und was wohl in ihre Vermieterin gefahren war. Die Arme blickte nämlich wie gebannt auf die Treppe, die nach oben führte.

Neugierig drehte Carrie sich um und folgte ihrem Blick. Dann blinzelte sie verblüfft und betrachtete den Besucher genauso überrascht wie ihre Vermieterin. Es handelte sich nämlich um keinen Geringeren als den Grafen Leone Alberto Cosimo George di Montecrespi, den Thronfolger von San Rinaldo, den sie zwei Tage zuvor so beleidigt hatte.

Carrie merkte, wie sie blass wurde. Du meine Güte, ging es ihr durch den Kopf, er kommt persönlich, um mich des Landes zu verweisen!

Er war mittlerweile oben angelangt und blieb jetzt stehen. „Nun sehen wir uns also wieder, Miss Carrie Dunn aus Colorado“, begrüßte er sie lächelnd. Dann betrachtete er ihr blasses Gesicht. „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.“

„Überhaupt nicht. Natürlich nicht.“

Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte. Daher rührte sie sich nicht vom Fleck. In den knappen pinkfarbenen Shorts und dem T-Shirt fühlte sie sich schrecklich. Unwillkürlich wünschte sie, sie wäre wenigstens passend angezogen. Allerdings war Leone auch ziemlich lässig gekleidet, denn er trug eine cremefarbene Baumwollhose, ein Hemd mit offenem Kragen und leichte Leinenschuhe. Dennoch war er ein Graf, der Bruder des Herrschers von San Rinaldo, und entstammte einem der ältesten Adelsgeschlechter Europas. Carrie war völlig verwirrt. Muss ich jetzt einem Hofknicks vor ihm machen oder was? dachte sie.

Leone war ein wenig amüsiert. Sie war noch attraktiver, als er sie in Erinnerung hatte – eine natürliche Schönheit, schlank und anmutig, mit tollen langen Beinen. Als er in ihr Gesicht mit den großen braunen Augen, den sanft geschwungenen Lippen und der Stupsnase blickte, fiel ihm auf, wie sehr sie einem der Engel auf dem gemalten Fries in der familieneigenen Kapelle ähnelte.

Bei der Vorstellung daran musste er lächeln. Den Engel hatte er nämlich immer am liebsten gemocht.

Jetzt allerdings musste er dem armen Engel, der vor ihm stand, erst einmal aus seiner Verlegenheit helfen. Sie war wie erstarrt, hatte einen angebissenen Pfirsich in der Hand und sah aus, als wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.

Er schaute sich um. „Wie schön es hier ist! Sie haben ja eine fantastische Aussicht von hier.“

„Ja, die Aussicht ist wirklich herrlich.“

Ihre Stimme klang seltsam, als würde sie nicht ihr gehören. Was macht er hier? fragte Carrie sich immer wieder. Es war komisch, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er von ihr wollte. Einerseits hatte sie Angst, andererseits hätte sie am liebsten laut gelacht. Wenn ihre Familie oder Louise sie in diesem Moment hätten sehen können! Sie stand mit dem Thronfolger da und stand mit ihm auf Du und Du.

Na ja, nicht gerade auf Du und Du, verbesserte sie sich, und dieser Gedanke ernüchterte sie sofort. Wenn ihre Familie sie jetzt hätte sehen können, hätte sie sie für einen Waschlappen gehalten. Carrie straffte die Schultern und hob das Kinn. Als sie merkte, dass sie noch den angebissenen Pfirsich in der Hand hatte, legte sie ihn auf den kleinen Tisch hinter sich. Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, zwang sie sich, ihrem Besucher in die Augen zu sehen.

„Verzeihen Sie“, sagte sie höflich, aber bestimmt, „ich würde gern wissen, was Sie zu mir führt.“ Ein wenig erstaunt, doch sehr zufrieden mit sich selbst, weil sie die Initiative ergriffen hatte, hielt sie den Atem an und wartete auf eine Antwort.

Leone lächelte. Seit ihrer ersten Auseinandersetzung wusste er bereits, dass sie Courage hatte, aber zu dem Zeitpunkt hatte sie noch nicht gewusst, wer er war. Dass sie sich nun, da sie es wusste, ihm gegenüber offenbar noch genauso verhielt, machte sie umso interessanter.

„Eigentlich müsste ich Sie um Verzeihung bitten.“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin hier einfach eingedrungen und habe mich noch nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Leone. Leone Montecrespi.“

Carrie hielt seinem Blick stand. „Ja, ich weiß.“ Widerstrebend schüttelte sie ihm die Hand, denn sie erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sehr sein Händedruck im Restaurant sie aus der Fassung gebracht hatte.

Auch jetzt hatte sie das Gefühl, in Flammen zu stehen, als Leone sie berührte. Allerdings hatte sie sich diesmal besser unter Kontrolle. „Ich muss gestehen, dass ich Sie bei unserer ersten Begegnung nicht erkannt habe.“ Sie zog die Hand zurück und versuchte, das Prickeln zu ignorieren. „Die Beleuchtung war an dem Teil der Terrasse ziemlich schummrig.“

Carrie fragte sich, ob das als Erklärung reichte. Vielleicht erwartete er von ihr, dass sie sich richtig bei ihm entschuldigte, womöglich sogar vor ihm zu Kreuze kroch? Doch das war nicht mehr zeitgemäß, und sie konnte ohnehin vor niemandem zu Kreuze kriechen. Außerdem war es ihr gutes Recht gewesen, ihm genau die Dinge zu sagen, die sie gesagt hatte. Schließlich hatten er und seine Freunde sich sehr anmaßend verhalten.

„Ja, die Beleuchtung war ziemlich schlecht“, erwiderte er lächelnd und musterte sie dann. „Jetzt ist mir auch klar, dass Sie viel schöner sind, als ich angenommen hatte.“

„Tatsächlich?“ entgegnete sie wegwerfend, um ihm zu zeigen, dass seine Schmeicheleien ihm nichts nützen würden. Aus welchem Grund er auch gekommen sein mochte, so würde er sie nicht einwickeln. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie von ihm dasselbe gedacht hatte.

Bei Tageslicht sah er noch fantastischer aus, und er war wesentlich attraktiver als auf den Fotos in den Hochglanzmagazinen, obwohl sie es kaum für möglich gehalten hätte.

Er hatte eine sehr starke Ausstrahlung, was nicht zuletzt an seinem schwarzen Haar und den tiefblauen Augen lag. Carrie spürte, wie ihr Körper von Hitzewellen durchflutet wurde, und versuchte, es zu unterdrücken.

Schnell wandte sie sich ab und deutete auf die Sitzgruppe. „Möchten Sie sich setzen?“

Pass bloß auf, dachte sie. Bereits im Restaurant hatte sie den Eindruck gehabt, dass Leone ein Herzensbrecher war. Jetzt, da sie wusste, wer er war, wusste sie auch, dass sie recht gehabt hatte.

Auf den Fotos in den Hochglanzmagazinen sah man ihn stets in Begleitung irgendeines attraktiven Püppchens mit Schmollmund, und es war jedes Mal eine andere. Vielleicht war er hergekommen, um sie, Carrie, zu verführen. Allerdings hielt sie es für ziemlich unwahrscheinlich, da sie überhaupt nicht sein Typ war.

Sie schaute ihm in die Augen. Vielleicht brauchte Seine Hoheit mal eine Abwechslung. Womöglich hatte er seine übliche Kost satt und wollte stattdessen mal eine berufstätige Amerikanerin vernaschen. War er hergekommen, weil er sie ins königliche Schlafgemach einladen wollte?

Zu ihrer Bestürzung wurde ihr Körper wieder von Hitzewellen durchflutet. Schäm dich, sagte sie sich, und versuchte, es zu ignorieren. Egal, wie umwerfend attraktiv Leone war, bei ihr würde er nicht landen können. Sie war nicht nach San Rinaldo gekommen, um die Gespielin eines adligen Playboys zu werden!

Leone kam ihrer Aufforderung nach und ging über die Terrasse. Er nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem sie vorher gesessen hatte, und streckte die langen Beine aus. „Sie haben mich gefragt, was mich zu Ihnen führt.“ Lächelnd schaute er ihr in die Augen. „Wir haben noch eine alte Rechnung zu begleichen.“

„Eine alte Rechnung?“

Was, in aller Welt, meinte er damit? Carrie ging ebenfalls zur Sitzgruppe und setzte sich ihm gegenüber. Sie schlug die Beine übereinander und achtete dabei sorgfältig darauf, seinen nicht zu nahe zu kommen.

Schließlich erwiderte sie seinen Blick und zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen.“

„Das war vielleicht etwas übertrieben“, lenkte er lächelnd ein. Das ist ja sehr viel versprechend, dachte er. Carrie Dunn ist offenbar nicht so leicht zu haben. Es würde eine nette Abwechslung sein, denn sonst gelang es ihm immer sofort, eine Frau zu erobern.

Er streckte die Beine noch ein bisschen weiter aus und lehnte sich zurück, während er Carrie betrachtete. „Nachdem ich das Restaurant verlassen habe, sind Sie hinter mir hergelaufen, weil Sie mir noch etwas sagen wollten. Ich hatte leider keine Zeit, aber vielleicht möchten Sie es mir jetzt mitteilen?“

„Sind Sie deshalb hergekommen? Nur um mich zu fragen, warum ich hinter Ihnen hergelaufen bin?“

Carrie wusste nicht, ob sie ihm glauben sollte. Sie war ziemlich sicher gewesen, dass er genau gehört hatte, wie sie von der Rechnung gesprochen hatte.

Andererseits war es möglich, dass er es doch nicht gehört hatte und tatsächlich deswegen gekommen war – um zu erfahren, was sie gesagt hatte, und sie vielleicht wegen ihres unhöflichen Verhaltens zurechtzuweisen. Vielleicht hatte er überhaupt nicht vor, sie zu verführen.

Dann kam ihr ein anderer Gedanke. Leone musste alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um ihren Namen in Erfahrung zu bringen und sie ausfindig zu machen. Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Sie haben wirklich ganze Arbeit geleistet.“

„Ich bin eben sehr gründlich.“ Er schaute auf die Schale mit den Pfirsichen, die neben ihm auf dem Tisch stand. „Darf ich einen Pfirsich essen?“

Carrie nickte. „Bedienen Sie sich.“

Fasziniert beobachtete sie, wie er einen Pfirsich nahm. Er hatte wunderschöne gebräunte Hände mit langen Fingern, die sehr sinnlich wirkten. Als er die Frucht einen Moment in der Hand hielt, stellte sie sich unwillkürlich vor, wie es wäre, wenn er ihr mit diesen Händen über die nackte Haut strich.

Was war bloß in sie gefahren? Entsetzt verdrängte sie diese Vorstellung und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch, denn Leone fuhr fort: „Ich hasse es, wenn Dinge nicht geklärt sind.“

Wieder atmete sie tief durch. „Dann sage ich Ihnen, warum ich hinter Ihnen hergelaufen bin.“ Nun war sie auch daran interessiert, die Dinge zu klären, und zwar dahingehend, ihn so schnell wie möglich hinauszukomplimentieren. Seine Nähe brachte sie nämlich völlig durcheinander.

Carrie straffte die Schultern. „Ich wollte nicht, dass Sie meine Rechnung bezahlen. Dazu bestand kein Anlass. Ich bin durchaus in der Lage, meine Rechnungen selbst zu bezahlen.“

Leone kniff die Augen zusammen. „Genau das glaubte ich auch verstanden zu haben. Aber Sie waren so aufgeregt, dass ich dachte, ich hätte mich geirrt.“

„Natürlich war ich aufgeregt. Sie hatten kein Recht dazu.“

„Es war eine Art Wiedergutmachung, weil Sie den Tisch verlassen mussten.“

„In meinen Augen haben Sie das Ganze damit nur noch schlimmer gemacht. Es war eine Beleidigung.“ Sie errötete, als sie sich daran erinnerte. Für sie war es tatsächlich eine Beleidigung gewesen. „Ich bin hinter Ihnen hergelaufen, um mich bei Ihnen zu beschweren und darauf zu bestehen, Ihnen das Geld zurückzugeben.“ Carrie beugte sich vor, weil sie aufstehen wollte. „Und genau das werde ich jetzt tun.“ In den letzten Tagen hatte ihr der Vorfall keine Ruhe gelassen, und sie hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie man seine Schulden bei einem Thronfolger begleichen sollte. Steckte man das Geld einfach in einen Umschlag und schickte diesen zum Palast? Woher wusste man, dass der Betreffende es auch erhielt? Sie hatte vorgehabt, sich bei der Bank zu erkundigen, doch nun konnte sie das Problem so lösen.

„Ich hole das Geld“, erklärte sie daher.

Leone bedeutete ihr mit einer Geste, sitzen zu bleiben. „Sie können es mir geben, bevor ich gehe.“ Er biss von dem Pfirsich ab. „Das heißt, wenn Sie darauf bestehen, was mir nicht recht wäre.“

„Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.“

Noch immer war sie im Begriff aufzustehen. Es ging ihr nämlich gegen den Strich, seiner gebieterischen Geste Folge zu leisten, zumal es für ihn offenbar selbstverständlich war, dass alle ihm gehorchten. Allerdings war ihr klar geworden, dass sie über seine ausgestreckten Beine steigen musste, wenn sie ins Haus gehen wollte. Es sei denn, er zog sie zurück, doch darauf konnte Carrie sich nicht verlassen.

Also lehnte sie sich wieder in ihrem Stuhl zurück. „Na gut, ich gebe es Ihnen, bevor Sie gehen.“ Und das wird hoffentlich bald der Fall sein, dachte sie.

Einen Moment schwiegen sie beide, und Leone betrachtete Carrie genauer. Je besser er diese Frau kennen lernte, desto faszinierender fand er sie. Sie war ganz anders als die Frauen, denen er normalerweise begegnete.

„Sie sind also der unabhängige Typ“, meinte er schließlich herausfordernd. „Bringt man Ihnen das in Colorado bei?“

„Vermutlich. Ich wurde jedenfalls zur Unabhängigkeit erzogen.“

Carrie vermutete, dass er sich über sie lustig machte. Ihre Eltern hatten ihr von klein auf eingebläut, aufrichtig zu sein, und diese Eigenschaft fand er sicher unwichtig, kleinbürgerlich und langweilig. Leute aus seiner sozialen Schicht verhielten sich anders. Sie hielten es für selbstverständlich, anderen den Tisch im Restaurant wegzunehmen.

Trotzig hob sie das Kinn. „Meine Eltern haben mir beigebracht, meine Mitmenschen zu respektieren und sie nicht zu übervorteilen.“ Als sie ihm in die Augen sah, war ihr klar, dass er den Wink verstanden hatte. „Außerdem haben sie mich dazu erzogen, finanziell unabhängig zu sein und immer meine Schulden zu begleichen – kurzum, nichts zu nehmen, was mir nicht zusteht.“

Leone musterte sie interessiert. „Und was steht Ihnen Ihrer Meinung nach zu?“

„Das, was ich mir durch meine Arbeit selbst verdiene.“

Carrie senkte den Blick und fragte sich schuldbewusst, ob sie nicht ein wenig übertrieb. Schließlich redete sie mit einem Adligen, der sicher wie alle anderen Adligen auch dem Müßiggang frönte. Außerdem war sie dazu erzogen worden, nie jemanden grundlos zu beleidigen.

Leone wirkte allerdings nicht im Mindesten beleidigt. „Eine sehr gute Lebensphilosophie“, bemerkte er, nachdem er erneut von seinem Pfirsich abgebissen hatte.

Natürlich meinte er das nicht ernst. Er konnte es sich leisten, nachsichtig zu lächeln und sich einen Dreck darum zu scheren, was Leute wie sie von ihm hielten. Wir kommen beide aus völlig verschiedenen Welten, dachte Carrie, während sie ihm in die blauen Augen schaute. Bestimmt würde keiner von ihnen den anderen je verstehen können.

„So bin ich erzogen worden, und daran glaube ich auch“, erwiderte sie.

Leone betrachtete sie weiterhin, was sie ziemlich nervös machte. Mal schien er sich über sie lustig zu machen, und dann sah es wieder so aus, als würde er versuchen, ihre Persönlichkeit zu ergründen. Das passte nicht zusammen.

Sie fragte sich, was in ihm vorgehen mochte und warum er gekommen war. Dass er lediglich wissen wollte, was sie ihm hinterhergerufen hatte, glaubte sie ihm nicht ganz. Was sie allerdings am meisten beunruhigte, war die Tatsache, dass er keine Anstalten machte zu gehen.

Nun kreuzte er die Beine und neigte den Kopf. „Also, was hat Sie nun ins dekadente Europa verschlagen? Ich dachte, Sie würden einen großen Bogen um die Leute machen, mit denen Sie jetzt zu tun haben.“

Jetzt amüsierte er sich ganz bestimmt über sie, denn seine blauen Augen funkelten übermütig. „Wäre es nicht besser gewesen, Sie hätten sich ein anderes Thema für Ihr Buch gesucht? Eines, bei dem Sie sich auf dem sicheren Boden der hehren Prinzipien von Colorado bewegen können?“

Dieser arrogante Kerl! dachte Carrie, erwiderte jedoch ruhig seinen Blick. „Ich lebe nicht mehr in Colorado.“

Sie hatte es nur der Ordnung halber erwähnt, um ihm zu beweisen, dass er doch nicht so schlau war.

„Seit drei Jahren wohne ich in New York“, fuhr sie fort. „Wie Sie sehen, habe ich also die sicheren Gefilde meines Heimatstaates verlassen.“

„Das muss ein ziemlicher Schock für Sie gewesen sein“, sagte er lächelnd. „Wie schaffen Sie es nur, unter den Großstadthaien zu überleben?“

„Indem ich mich unauffällig verhalte und arbeite, so wie Millionen anderer New Yorker auch. Ich hatte noch nie Probleme damit, zu überleben, wie Sie es nennen.“ Und das stimmte auch. Sie hatte sich schnell im Big Apple eingelebt. „Die meisten New Yorker arbeiten nämlich sehr hart.“

Leone zog die Augenbrauen hoch. „Da wären wir wieder beim Thema. Allmählich habe ich den Eindruck, dass sie immer wieder auf Ihre Arbeit zu sprechen kommen.“

„Vermutlich schon, mehr oder weniger. Meine Arbeit ist ein wichtiger Teil meines Lebens.“ Carrie konnte der Versuchung nicht widerstehen hinzuzufügen: „Eine solche Einstellung ist Ihnen zweifellos fremd.“

„Total.“ Wieder biss er von seinem Pfirsich ab. „Ich genieße einfach mein Leben.“

Was er damit meinte, konnte sie sich nur allzu gut vorstellen! Leone Montecrespi verbrachte seine Zeit mit der Suche nach sexuellen Abenteuern.

Sie bedachte ihn mit einem herablassenden Blick. „Jedem das Seine. Ich ziehe allerdings ein etwas sinnvolleres Dasein mit fest umrissenen Aufgaben vor.“

„Wer sagt denn, dass es meinem Leben an Substanz mangelt? Meiner Meinung nach hat es mehr als das.“

„Das kommt wohl darauf an, was man unter Substanz versteht.“ Carrie zuckte viel sagend die Schultern. „Wie ich bereits erklärte, jedem das Seine.“

„Allerdings.“ Leone betrachtete sie forschend. „Ist es wirklich wahr?“ Er aß den letzten Bissen vom Pfirsich und warf den Kern auf den Tisch. „Ist Arbeit das Einzige, was Sie anturnt?“

So hätte sie es vielleicht nicht gerade formuliert. Andererseits überraschte es sie nicht, dass er es so ausgedrückt hatte, denn er wollte sie offensichtlich provozieren.

„Ich finde meine Arbeit sehr anregend.“ Wenn er glaubte, er könne sie nervös machen, hatte er sich getäuscht. Nach drei Jahren in New York konnte sie so leicht nichts aus der Ruhe bringen. „Die meisten Leute, denen ihr Job Spaß macht, würden mir da zustimmen. Arbeit kann einem viel Befriedigung verschaffen.“

Diesmal machte sie sich nicht die Mühe hinzuzufügen, dass ihm eine solche Einstellung zweifellos fremd war, denn es lag auf der Hand. Sie hatte zwar irgendwo gelesen, dass er einen Job hatte – es hatte irgendetwas mit Formel-1-Rennen zu tun –, aber es war sicher nur der Zeitvertreib eines reichen Mannes. Ein angenehmer Zeitvertreib, der ihm noch genügend Gelegenheit gab, das Leben zu „genießen“.

„Das habe ich auch gehört“, meinte Leone sichtlich amüsiert. „Viel Befriedigung ist allerdings eines, totale Befriedigung etwas anderes. Und ich glaube, dass auf Sie Letzteres zutrifft.“

„Ach, tatsächlich?“

„Ja. Und, habe ich recht?“

Carrie sah ihn fest an. Spielte er damit etwa auf ihr Liebesleben an? Darüber würde sie sich jedenfalls ausschweigen, selbst wenn es ohnehin nicht viel zu erzählen gab. Sie hatte ein paar Romanzen erlebt und mit einigen Männern geflirtet, mehr nicht. Mit seinen Erfahrungen konnte sie zumindest nicht mithalten.

„Das werde ich nie verraten“, erklärte sie.

„Streng geheim, stimmt’s?“

„Es geht nur niemanden etwas an.“

„Schade. Ich dachte, ich würde einige intime Details über Sie erfahren.“

„Dann muss ich Sie leider enttäuschen.“

„Ich ertrage es nicht, von einer Frau enttäuscht zu werden“, behauptete er lächelnd.

Darauf fiel ihr nichts ein, was auch kein Wunder war, denn ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Von wegen, er macht mich nicht nervös, ging es ihr durch den Kopf. Natürlich war ihr die Doppeldeutigkeit ihres Wortgeplänkels nicht entgangen, und sie fühlte sich schuldig, weil sie körperlich darauf reagierte. Mittlerweile war die Atmosphäre äußerst spannungsgeladen.

„Sie sind also nach San Rinaldo gekommen, weil Sie auf der Suche nach Befriedigung sind? Beruflich, meine ich natürlich.“ Seine blauen Augen funkelten. „Schließlich scheint Arbeit in Ihren Augen die einzige erstrebenswerte Befriedigung zu sein.“

Carrie schluckte mühsam, während sie sich fragte, wie das Gespräch derart persönlich hatte werden können. Allerdings hatte sie den Verdacht, dass sie selbst nicht ganz unschuldig daran war. Daher nahm sie sich vor, ihm gegenüber in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein. Doch sie würde ihm wohl kaum wieder begegnen.

Der Gedanke daran ließ sie aufatmen, und sie straffte sich. Vielleicht schaffte sie es nun, Leone hinauszukomplimentieren.

Sie schaute ihn an, vermied es dabei aber, ihm zu tief in die Augen zu sehen, und lächelte höflich. „Da Sie mir nun gesagt haben, warum Sie hergekommen sind, und ich Ihnen mein Verhalten im Restaurant erklärt habe, haben wir die offene Rechnung wohl beglichen.“

Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Höflich wartete sie darauf, dass Leone aufstand. Dann konnte sie ihm das Geld geben und ihn verabschieden.

Tatsächlich beugte er sich vor, die Hände auf die Lehnen gestützt. „Sie haben recht. In dieser Hinsicht ist unsere Rechnung beglichen.“ Daraufhin fügte er jedoch hinzu: „Das war aber nicht der einzige Grund, warum ich gekommen bin.“

Carrie verspannte sich und fragte sich unwillkürlich, ob ihr anfänglicher Verdacht doch begründet gewesen war. Wollte Leone sie verführen? Als sie ihm in die Augen sah, erschauerte sie. Wie sollte sie sich bloß aus der Affäre ziehen?

„Oh“, erwiderte sie nur und machte sich auf das Schlimmste gefasst.

„Ich verspreche Ihnen, dass es Ihnen gefallen wird.“

Ganz bestimmt nicht, dachte sie unbehaglich.

Nun lächelte er wieder. „Ich weiß, dass es Ihnen gefallen wird. Es betrifft nämlich Ihre Arbeit.“

„Meine Arbeit?“

„Ja. Ich kann Ihnen vielleicht helfen.“

„Inwiefern?“ erkundigte sie sich misstrauisch. „Ich glaube nicht, dass ich Hilfe brauche. Ich habe nämlich schon mit Dr. Lamberti gesprochen, dem Leiter der Castello-Werke. Er hat mir gestattet, Interviews mit den Mitarbeitern zu führen und Fotos zu machen, und außerdem habe ich Zutritt zum Firmenarchiv. Ich beherrsche ganz gut Italienisch, so dass ich das meiste verstehen müsste, aber wenn ich Probleme habe, stellt er mir einen Dolmetscher zur Verfügung.“

Auf keinen Fall wollte sie noch mehr mit ihm zu tun haben.

Leone, der schweigend zugehört hatte, zuckte die Schultern. „Ich schätze, Sie haben recht. Sie brauchen meine Hilfe nicht.“ Daraufhin stand er auf.

Erleichtert erhob sich Carrie ebenfalls. Sie konnte es kaum erwarten, dass er endlich ging.

Er wandte sich ab, doch kurz bevor er die Treppe erreichte, blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. „Dann wissen Sie also nichts von der Existenz des Tafelservice der Montecrespi?“

Da sie ihm gefolgt war, wäre sie beinahe mit ihm zusammengestoßen, als er so unvermittelt stehen geblieben war. Nun blinzelte sie ihn verwirrt an.

„Doch, natürlich weiß ich davon.“

Jeder, der sich auch nur entfernt für Castello-Porzellan interessierte, wusste von der Existenz des sagenhaften Tafelservice, das am Ende des 17. Jahrhunderts anlässlich der Hochzeit des ersten Herzogs hergestellt worden war.

Während sie Leone ansah, überlegte sie, worauf er hinauswollte. „Es befindet sich in der Privatsammlung des Herzogs im Palazzo Verde.“ Sie konnte den sehnsüchtigen Unterton nicht verbergen, denn sie hatte sich mit der Bitte, darüber in ihrem Buch berichten zu dürfen, an das Pressebüro des Herzogs gewandt. Die ablehnende Antwort hatte sie postwendend erhalten.

„Aber niemand darf das Service sehen, geschweige denn fotografieren“, fuhr Carrie fort. Es war ein schwacher Trost gewesen, dass das Service immer unter Verschluss gehalten wurde. Neugierig schaute sie Leone an. „Warum haben Sie es erwähnt?“

„Ich habe mich nur gefragt, ob es Sie interessieren würde …“

„Interessieren? Was?“

„In Ihrem Buch darüber zu berichten.“

Ihr blieb fast das Herz stehen. Er hatte denselben Ausdruck in den Augen wie jemand, der einem Kind einen Schokoriegel hinhielt. Und sie wollte diesen Schokoriegel unbedingt haben!

Wieder schluckte sie. „Aber ich sagte gerade, dass niemand das Service zu sehen bekommt. Ich habe es versucht, und man hat es abgelehnt.“

„Ah, ja. Da habe ich Ihnen allerdings noch nicht geholfen.“

„Das heißt?“

„Das heißt, Sie hätten vielleicht einen positiven Bescheid bekommen, wenn ich Ihnen geholfen hätte.“

„Und warum sollten Sie mich unterstützen?“

„Muss ich denn unbedingt Hintergedanken haben?“ Sein Lächeln war unschuldig, aber seine Augen funkelten mutwillig. „Vielleicht möchte ich Ihnen bloß helfen.“

Das glaubst du doch selbst nicht, ging es ihr durch den Kopf. Allerdings waren seine Motive jetzt zweitrangig, denn sie hatte Wichtigeres im Sinn.

„Meinen Sie das ernst?“ fragte sie. „Würden Sie mir wirklich helfen?“

„Vielleicht. Und wenn ich es tue, dann vermutlich auch mit Erfolg. Ich habe nämlich einen gewissen Einfluss auf meinen Bruder.“

„Das wäre wundervoll!“ Carrie war nicht sicher, ob sie das sagen sollte. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Hals bereits in der Schlinge stecken. Aber Leone bot ihr etwas an, wovon sie schon lange träumte. „Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar“, fügte sie unwillkürlich hinzu.

„Tatsächlich? Das werde ich nicht vergessen.“ Er musterte sie anzüglich. „Die Dankbarkeit einer Frau ist etwas sehr Erstrebenswertes. Und mir wird sicher etwas einfallen, wie Sie sich mir gegenüber erkenntlich zeigen können, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.“

Carrie spielte mit dem Gedanken, vor ihm zurückzuweichen und ihm an den Kopf zu werfen, er solle das Ganze vergessen. Sie spürte bereits, wie die Schlinge sich zuzog.

Leone kam ihr jedoch zuvor, denn er wandte sich zum Gehen. „Ich werde mich bei Ihnen melden. Danke für den Pfirsich.“

Daraufhin eilte er die Treppe hinunter, und kurz darauf hörte Carrie seinen Wagen fortfahren. Worauf habe ich mich bloß eingelassen? fragte sie sich.

Vier Tage vergingen, ohne dass Leone sich meldete.

Carrie kam zu dem Ergebnis, dass er es entweder vergessen oder nur leere Versprechungen gemacht hatte. Doch im Grunde hatte sie es auch nicht anders erwartet, und es war womöglich am besten so. Graf Leone war nämlich so gefährlich wie eine Zeitbombe.

Es sah also ganz so aus, als hätte er sie, Carrie, nur besucht, um sich für eine halbe Stunde zu amüsieren. Das war ziemlich merkwürdig in Anbetracht der Tatsache, dass er in der Zeit etwas viel Aufregenderes hätte tun können wie zum Beispiel für die Paparazzi zu posieren und für neue Schlagzeilen zu sorgen. Vielleicht hatte er auch bloß Lust auf ein stilles Intermezzo gehabt – für einen arbeitsscheuen Adligen nichts Ungewöhnliches.

Allerdings war sie enttäuscht wegen der verpassten Chance. Für sie wäre es ein absoluter Glückstreffer gewesen, in ihrem Buch über das Tafelservice der Montecrespi berichten zu können, und sie hatte sich bereits ausgemalt, ein Foto davon als Cover zu nehmen. Wirklich schade, dachte sie, es war ein netter Traum. Sie hatte jedoch schon mit dem Gedanken gespielt, sich noch einmal an das Pressebüro zu wenden.

Carrie beschloss, noch drei Tage zu warten. Wenn sie bis dahin nichts von Leone gehört hatte, wollte sie sich noch einmal mit dem Pressebüro in Verbindung setzen. Schließlich hatte sie nichts zu verlieren.

Dann würde sie ihm auch das Geld schicken, und zwar als Zahlungsanweisung. Als Leone sich von ihr verabschiedet hatte, hatte sie nämlich ganz vergessen, es ihm zu geben.

In der Zwischenzeit war sie mit ihren Recherchen in den Castello-Werken beschäftigt. Dr. Lamberti, der ihr sogar ein eigenes kleines Büro zur Verfügung gestellt hatte, war ausgesprochen hilfsbereit, und sie hatte bereits mehrere Filme verknipst. Selbst wenn sie nicht über das legendäre Tafelservice schreiben konnte, hatte sie genügend Material für ein erstklassiges Buch.

Am nächsten Tag erlebte sie eine Überraschung.

Als sie nach Hause kam, erwartete ihre Vermieterin sie bereits. „Das ist für Sie“, erklärte Signora Rossi und überreichte ihr einen Brief. „Er wurde heute Nachmittag von einem Boten überbracht.“ Sie deutete auf das geprägte Emblem in der Ecke des Umschlags und schaute Carrie bewundernd an. „Anscheinend kommt er vom Palazzo Verde.“

Carrie lief nach oben und setzte sich im Schlafzimmer aufs Bett, bevor sie den Umschlag ungeduldig aufriss. Er enthielt einen cremefarbenen Pergamentbogen, den sie vorsichtig auseinander faltete. Der Text war in einer kräftigen Handschrift verfasst:

Liebe Carrie,

ich habe mit meinem Bruder gesprochen. Bitte kommen Sie Freitagabend in den Palast, wenn Sie noch an meinem Angebot interessiert sind. Wenn nicht, rufen Sie die oben angegebene Nummer an. Falls ich nichts von Ihnen höre, lasse ich Sie um zwanzig Uhr dreißig abholen.

Der Brief war schlicht und einfach mit „Leone“ unterzeichnet.

Na also! Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Der Playboy hatte tatsächlich sein Versprechen gehalten, und es sah aus, als würde sie kurz vor dem Ziel stehen.

Carrie sprang vom Bett und stieß einen Freudenschrei aus. Ich habe es geschafft! dachte sie. Sie hatte den Coup ihres Lebens gelandet!

In ihre Aufregung mischte sich jedoch noch ein anderes Gefühl, und zwar Angst. Carrie erinnerte sich nämlich noch genau daran, was Leone über die Dankbarkeit der Frauen gesagt hatte und dass er sich etwas einfallen lassen würde, wie sie sich ihm gegenüber zu gegebener Zeit erkenntlich zeigen könnte.

Diesmal hat er sich getäuscht, sagte sie sich entschlossen. Alles, was er von mir bekommen wird, ist ein höfliches Danke – und vielleicht eine Flasche Brandy.

Trotz ihrer guten Vorsätze konnte sie aber nicht die Gefühle unterdrücken, die sie jedes Mal verspürte, wenn sie an das bevorstehende Wiedersehen mit ihm dachte.

3. KAPITEL

Leone schob den Plastikvorhang beiseite und ging unter die Dusche. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und genoss es nun, den kühlen Wasserstrahl auf dem Rücken zu spüren.

Er hatte fast die ganze Zeit am Steuer des teameigenen Rennwagens gesessen und Runde um Runde in der prallen Sonne gedreht, um das neue Getriebe zu testen, das sie gerade entwickelten. Es war sehr anstrengend gewesen, doch er war sehr zufrieden mit seiner Arbeit.

Leone verbrachte den größten Teil seiner Zeit in der Werkstatt, die er zusammen mit den anderen fünf Mitgliedern seines Teams benutzte. Entweder stand er am Reißbrett, oder er saß im Cockpit eines der Rennwagen.

Leider konnte er nicht jeden Tag dort verbringen, weil er seinen Repräsentationspflichten als Bruder des Herzogs nachkommen musste. Obwohl er diese auf ein Minimum zu reduzieren versuchte, musste er gelegentlich an Empfängen teilnehmen oder offizielle Besucher empfangen. Allerdings holte er die verlorene Zeit immer nach, indem er entweder frühmorgens noch einmal zur Werkstatt fuhr oder spätabends und dann bis weit nach Mitternacht dort blieb. Da er seine Arbeit liebte, machte es ihm nichts aus.

Zum Teil gefiel sie ihm deswegen so gut, weil er hier ungestört war und es ausgesprochen locker zuging. Da nur sehr wenige Menschen von seiner heimlichen Leidenschaft wussten, war er hier sicher vor den Paparazzi. Und für seine Mitarbeiter war er Ingenieur, kein Graf. Es gab kein Zeit raubendes Protokoll, alle machten einfach ihren Job.

Leone drehte sich um, so dass das Wasser ihm über Gesicht und Schultern lief. An diesem Tag hatte er viel geschafft, auch wenn er sich nicht so ganz auf seine Arbeit hatte konzentrieren können. Er lächelte unwillkürlich. Es überraschte ihn, wie oft er an Carrie denken musste und welche Gefühle sie in ihm hervorrief. Doch es hatte ihn umso mehr beflügelt.

Carrie. Wieder sah er sie vor sich. ihr attraktives Gesicht mit den funkelnden Augen, der sexy Kurzhaarschnitt, die scheinbar endlos langen Beine … Er musste diese Frau einfach haben.

Zügig verteilte er den Seifenschaum mit den kräftigen sonnengebräunten Händen auf seinem muskulösen Körper. Er dachte zwar nicht darüber nach, aber durch sein Hobby hatte er eine Statur bekommen, um die ihn viele Männer beneideten. Und die zahlreichen Frauen, die ihn begehrten, taten es nicht zuletzt wegen seines perfekten Äußeren.

Nachdem er den Seifenschaum abgespült hatte, trat er aus der Dusche und nahm das Handtuch, das hinter ihm an der Wand hing. Während er sich abtrocknete, dachte er an den Brief, den Silvestro Carrie am Vortag in seinem Auftrag überbracht hatte.

Bisher hatte sie nicht angerufen, um abzusagen. In der kurzen Mittagspause hatte er im Palast nachgefragt. Es sah also ganz so aus, als würde sie an diesem Abend kommen und als würde sein Plan funktionieren.

Leone warf das nasse Handtuch in den Wäschekorb zu seinen schmutzigen Overalls und ging zu der Bank, auf der seine sauberen Sachen lagen. Beim Anziehen dachte er ein wenig schuldbewusst daran, dass seine Methode, Carrie in den Palast zu locken, vielleicht nicht ganz in Ordnung war. Aber er hatte sofort gemerkt, dass Carrie anders war und er mit plumpen Annäherungsversuchen bei ihr nichts erreicht hätte.

Sobald er angezogen war, fuhr er sich schnell mit den Fingern durchs Haar und verließ den Umkleideraum. Dabei warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. In wenigen Stunden würde er Carrie wiedersehen. Bei der Vorstellung verspürte er ein Prickeln.

Seine Gewissensbisse verdrängte er schnell. Er musste Carrie haben, das war das Wichtigste. Und manchmal heiligte der Zweck die Mittel.

Carrie hatte mehr als anderthalb Stunden gebraucht, um sich anzuziehen.

Das entsprach überhaupt nicht ihrer Art, denn normalerweise war sie nicht so unentschlossen. Gewöhnlich machte sie ihren Schrank auf, nahm etwas Passendes heraus, zog es an und dachte nicht mehr darüber nach. Doch was sollte man tragen, wenn man einen Termin im Palast eines Herzogs hatte? Keines der Outfits, die sie dafür probierte, schien ihr dafür angemessen.

Was Leone ihr geschrieben hatte, war auch nicht sehr aufschlussreich gewesen. Ob sie dem Herzog persönlich begegnen würde? Ob noch andere Leute anwesend sein würden, oder würde sie mit Leone allein sein? Handelte es sich um ein zwangloses Treffen oder um einen offiziellen Anlass? Würde man sie bitten, zum Abendessen zu bleiben?

Schließlich entschied sie sich für etwas Schlichtes, ein cremefarbenes Kleid, das sie mit einem marineblauen Gürtel und marineblauen Pumps kombinierte. Damit machte sie bestimmt nichts falsch.

Signora Rossi, ihre Vermieterin, war jedenfalls ganz begeistert.

„Wie schön Sie aussehen! So schick, Signorina!“ Dann erklärte sie, warum sie bei ihr angeklopft hatte. „Unten wartet ein Wagen auf Sie, Signorina.“ Wieder trat dieser bewundernde Ausdruck in ihre Augen, als sie hinzufügte: „Es ist eine Limousine. Ich glaube, sie kommt vom Palast.“

„Danke, Signora Rossi.“

Carrie spürte, wie ihr Magen sich zusammenkrampfte. Eigentlich hatte sie vorgehabt, rechtzeitig fertig zu sein und auf dem Balkon zu warten, wenn der Wagen eintraf. Doch als sie Signora Rossis Klopfen gehört hatte, war sie völlig aufgelöst auf einem Schuh durch die Wohnung gelaufen, den anderen noch in der Hand.

Jetzt allerdings schaffte sie es, sich ganz ruhig zu geben. „Würden Sie mir bitte einen Gefallen tun?“ fragte sie Signora Rossi. „Richten Sie bitte dem Fahrer aus, dass ich gleich komme?“

Während Signora Rossi davontrippelte, sichtlich erfreut darüber, als Vermittlerin zwischen ihrer Untermieterin und dem Palast fungieren zu können, eilte Carrie ins Schlafzimmer, um einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Nicht perfekt, aber auch nicht schlecht, dachte sie. Es muss genügen.

Nachdem sie sich noch einmal Mut zugesprochen hatte, schnappte sie sich ihre Handtasche und eilte zur Tür.

Die Fahrt zum Palazzo Verde dauerte ungefähr zwanzig Minuten. Zuerst ging es die kurvenreiche Straße hinunter, dann an der Bucht entlang, die im Mondlicht glitzerte, und schließlich wieder bergauf zu dem atemberaubenden Kap, an dem der dreihundert Jahre alte Palazzo Verde lag.

Als sie darauf zufuhren, hielt Carrie den Atem an. Sie war mittlerweile nicht mehr ängstlich, sondern furchtbar aufgeregt. Nie hätte sie es sich träumen lassen, einmal den Palast zu betreten, noch dazu als Gast der herzoglichen Familie. Sicher würde es ein unvergesslicher Abend werden, zumal sie in ihrem Buch über das streng bewachte Tafelservice der Montecrespi schreiben durfte.

Der Chauffeur stoppte die Limousine in dem großen gepflasterten Hof, in dem zahlreiche schlanke Palmen und Terrakottakübel mit Pflanzen standen. Dann stieg er aus und ging um den Wagen herum, um Carrie den Schlag zu öffnen.

Prego, Signorina“, murmelte er.

Als Carrie ausstieg, versuchte sie, sich ihre Begeisterung über den herrlichen Anblick nicht anmerken zu lassen. Aus der Nähe war der historische Palast mit seinen Ecktürmchen, den Giebeldreiecken und den elegant geschwungenen Bögen wirklich atemberaubend! Im Schein der Strahler schimmerten die Mauern rotgolden.

„Grazie“, erwiderte Carrie leise. Dann blickte sie sich glücklich um. Sie betrachtete es als Privileg, hier sein zu dürfen.

Hinter einer hohen hölzernen Flügeltür, die offen stand, konnte man die luxuriöse Innenausstattung des Palasts erkennen. Die große runde Eingangshalle hatte einen Marmorboden, auf dem kostbare Teppiche lagen. Im Schein der zahlreichen Kristalllüster glänzte er wie ein Spiegel. Unwillkürlich dachte Carrie daran, wie bescheiden dagegen ihr Elternhaus und sogar ihr kleines Apartment in New York wirkten. Das hier war echte Lebensart!

Als Carrie die Eingangshalle betrat, erschien eine Frau in einem dunklen Kostüm, die sie freundlich anlächelte. „Miss Carrie Dunn?“ fragte sie höflich. Als Carrie nickte, fuhr sie fort: „Ich bin Flavia. Bitte kommen Sie mit.“

Carrie folgte ihr durch die Halle und schließlich mehrere breite Korridore entlang. Überall standen antike Möbel mit kostbarem Porzellan und antiken Skulpturen, und an den Wänden hingen alte Gemälde. Alles war so fantastisch, dass ihr der Kopf schwirrte.

Schließlich blieb Flavia vor einer geöffneten Tür stehen und bedeutete Carrie hineinzugehen. Carrie war, als würde ihr Herz einen Schlag aussetzen.

„Sie sind also gekommen. Es freut mich, Sie zu sehen.“

Vor ihr stand Leone in einem Raum, der ganz in Blau und Silber gehalten war. Es war jedoch nicht der Anblick der herrlichen Ausstattung, der sie so aus der Fassung brachte, sondern der Leones. Er trug einen dunklen Anzug und sah einfach umwerfend gut aus. Kein Sterblicher hatte das Recht, so auszusehen!

Leone kam auf sie zu und küsste sie auf beide Wangen. „Setzen Sie sich und machen Sie es sich bequem. Ich bringe Ihnen gleich einen Drink.“

Obwohl ihr Herzschlag sich wieder normalisiert hatte, war Carrie dankbar dafür, sich setzen zu können, denn sie hatte ganz weiche Knie. Sie zwang sich, den Blick von Leone abzuwenden, und nahm auf dem nächsten Sessel Platz.

Sei doch nicht so albern, sagte sie sich. Na gut, er sieht toll aus, aber reiß dich bloß zusammen! Vergiss nicht, dass alles nur äußerlich ist.

„Was möchten Sie trinken?“

Leone stand so dicht vor ihr, dass sie den Duft seines Aftershaves wahrnahm. Sofort begann ihr Herz schneller zu klopfen.

Entschlossen, sich von ihm nicht aus der Fassung bringen zu lassen, blickte sie zu ihm auf. „Mineralwasser bitte.“ Erleichtert atmete sie auf. Ihr Herz klopfte wieder langsamer.

„Nur Mineralwasser? Möchten Sie nichts Stärkeres zu sich nehmen?“ Er ging zu einem Tisch, auf dem zahlreiche Flaschen und Gläser standen. Seine Bewegungen waren so geschmeidig wie die eines Panters.

Schnell verdrängte Carrie den Gedanken. „Nein danke, ich bleibe beim Mineralwasser. Ich trinke nur selten Alkohol.“

„Ich auch“, erwiderte er lächelnd. „Ich behalte gern einen klaren Kopf. Aber ich hatte einen harten Tag. Deshalb genehmige ich mir ein Glas Champagner.“

„Einen harten Tag.“ Sie verkniff sich eine Bemerkung, obwohl sie sich lebhaft vorstellen konnte, wie sein Tag verlaufen war. Am Vormittag hatte Leone einige Besprechungen mit seinen Hofschranzen gehabt, um Anordnungen zu erteilen. Dann hatte er vermutlich in irgendeinem Privatklub zu Mittag gegessen und am Nachmittag mit Freunden auf der faulen Haut gelegen.

Skeptisch beobachtete sie ihn. Sie war überrascht, dass er die Drinks selbst einschenkte, denn sie hatte angenommen, derart niedere Arbeiten würde er seinen Bediensteten überlassen.

Doch es war nirgends ein Bediensteter zu sehen. Plötzlich kam ihr ein anderer Gedanke. Vielleicht wollte Leone jetzt niemanden dabeihaben. Hatte er alle Angestellten weggeschickt, weil er mit ihr allein sein wollte? Auch Flavia war sofort verschwunden und hatte diskret die Tür hinter sich geschlossen.

Als er sich nun zu ihr umdrehte, erinnerte Carrie sich daran, was er während seines Besuchs bei ihr gesagt hatte. Er wollte sich etwas überlegen, wie sie sich ihm gegenüber erkenntlich zeigen konnte. Lief ihr kleines Beisammensein etwa darauf hinaus?

Er kam zu ihr und reichte ihr ein gefülltes Kristallglas. „Ihr Mineralwasser.“ Dabei streifte er flüchtig ihre Hand.

„Danke.“

Carrie widerstand dem Drang, ihre Hand zurückzuziehen. Schließlich wollte sie nicht ihr Wasser verschütten und sich zur Närrin machen. Außerdem brauchte sie sich nicht zu sorgen. Leone hatte sein Versprechen noch nicht eingelöst, und wenn er es tat, würde sie sich bei ihm bedanken und ihm eine Flasche Brandy zukommen lassen. Falls er sie verführen wollte, würde er eine herbe Enttäuschung erleben.

Erfreut über diese Vorstellung, trank sie einen Schluck Wasser und schaute sich anschließend um.

„Dies ist ein sehr schöner Raum. Der ganze Palast ist wundervoll – zumindest der Teil, den ich gesehen habe.“

Sie war nämlich der Meinung, dass sie ein wenig höfliche Konversation machen musste, bevor sie zum Geschäftlichen kam. Außerdem stimmte es. Der Palast war wirklich fantastisch.

Leone folgte ihrem Blick. „Ja, es ist schön. Erst vor etwas über zwei Jahren wurden alle Räume renoviert. Es war ein Projekt meiner Mutter. Sie hat es kurz vor ihrem Tod vollendet.“

Sein Tonfall veranlasste sie, sich zu Leone umzudrehen und ihn anzusehen. Er hatte sich zwar beherrscht, aber ihr war nicht entgangen, wie traurig seine Stimme geklungen hatte. Das überraschte sie.

Sie wusste, dass seine Mutter vor über einem Jahr unerwartet gestorben war, und zwar kurz nach dem Tod seines Vaters, des alten Herzogs. Der plötzliche Verlust beider Elternteile war natürlich für jeden Sohn sehr schmerzhaft, doch Carrie hatte angenommen, dass es dem Playboy Leone nichts ausgemacht hatte. Jetzt stellte sie fest, dass es nicht der Fall war. Leone verspürte also tatsächlich menschliche Regungen.

Er setzte sich auf einen der Sessel ihr gegenüber und lächelte ihr zu, bevor er einen Schluck Champagner trank. „Und? Finden Sie, dass sie es gut gemacht hat?“

Carrie ignorierte seinen spöttischen Unterton. Wahrscheinlich machte er sich wieder über sie lustig und fand es amüsant, dass sie glaubte, derartige Dinge beurteilen zu können. Aber es war ihr egal. Schließlich hatte sie ein Recht auf eine eigene Meinung.

„Ich finde, dass sie es ausgezeichnet gemacht hat“, erwiderte sie daher. „Wie ich bereits sagte, ist der Palast wunderschön.“

„Ich könnte Sie irgendwann einmal herumführen – das heißt, wenn Sie gern alte Häuser besichtigen.“

Alte Häuser! Beinahe hätte sie laut gelacht. So konnte man es natürlich auch nennen. Andererseits verstand sie, dass es für ihn wohl nur ein Haus war – das Haus, in dem er aufgewachsen war, das Haus, in dem er immer noch wohnte.

„Sehr gern.“ Wieder betrachtete sie ihn skeptisch. Noch ein Gefallen, ging es ihr durch den Kopf. Ich frage mich, wie ich mich seiner Meinung nach dafür erkenntlich zeigen soll.

In diesem Moment fiel ihr ein, dass sie ihm noch etwas geben wollte. „Ich habe das Geld dabei, das ich Ihnen schulde. Neulich bin ich nicht mehr dazu gekommen, es Ihnen zurückzuzahlen.“

Leone lächelte. „Ich hatte es ganz vergessen, aber Sie offenbar nicht. Wie umsichtig von Ihnen!“

Carrie musste ebenfalls lächeln. „Ich bin eben sehr gründlich.“ Genau das hatte er auch zu ihr gesagt. Doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute sie es. Es hatte ziemlich kokett geklungen, und sie wollte auf keinen Fall mit ihm flirten.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, als Leone die Augenbrauen hochzog und sagte: „Wir haben also etwas gemeinsam? Das ist zumindest ein Anfang.“

Daraufhin sah er ihr so durchdringend in die Augen, dass sie plötzlich Panik verspürte und den Blick senkte. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich in den Tiefen seiner blauen Augen verlieren.

Schnell wechselte sie das Thema. „Ich möchte Ihnen jetzt das Geld geben.“ Sie nestelte an ihrer Handtasche und suchte nach ihrer Brieftasche.

Dabei überlegte sie, ob das klug war. Schließlich wollte sie Abstand zu ihm halten, was allerdings schlecht möglich war, wenn sie aufstand, zu ihm ging und ihm das Geld in die Hand drückte.

Unwillkürlich stellte sie sich vor, was dann passieren könnte. Leone würde ihr Handgelenk umfassen und sie an sich ziehen. Sie spürte förmlich, wie er sie in die Arme nahm und die Lippen auf ihre presste.

Wieder begann ihr Herz zu schlagen, und ihr stockte der Atem. Das durfte sie auf keinen Fall riskieren. Sie musste völlig verrückt sein. Angespannt blieb sie sitzen und spürte dabei Leones Blicke auf sich.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen.

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme. Ich habe im Stau gesteckt. Junge, ich brauche einen Drink! Sei so gut, Leone.“

Als Carrie aufschaute, sah sie, dass eine junge Frau zwischen ihnen stand. Sie hatte schulterlanges hellbraunes Haar und war ziemlich außer Atem. Carrie, die über ihr Erscheinen sehr erleichtert war, erkannte sie sofort.

Es war Lady Caterina, Leones Schwester, die Jüngste der drei, und sie war noch viel schöner als auf den Fotos. Sie hatte blaue Augen und eine makellose Haut, war gertenschlank und genauso dynamisch wie ihr Bruder, gleichzeitig jedoch sehr weiblich. Carrie mochte sie auf Anhieb.

Nun kam Caterina auf sie zu, um sich vorzustellen. „Bitte entschuldigen Sie. Ich hätte Sie eigentlich in Empfang nehmen sollen, aber Sie wissen ja, wie es manchmal ist … Ich habe mich heute den ganzen Tag verspätet.“

Carrie stand auf, um ihr die Hand zu schütteln, und erwiderte ihr Lächeln. „Das kenne ich. Es passiert mir auch oft.“

Aus den Artikeln, die Carrie über sie gelesen hatte, wusste sie, dass Caterina im Gegensatz zu ihrem Bruder hart arbeitete, weil sie sich für verschiedene karitative Organisationen engagierte. Die beiden waren so verschieden wie Tag und Nacht.

Caterina setzte sich ebenfalls in einen Sessel. „Ich habe gehört, dass Sie Amerikanerin sind. Ich liebe Amerika. Es ist eines meiner Lieblingsländer. Und ich mag die Menschen dort. Sie sind so offen und freundlich.“

Zwei Dinge waren Carrie sofort aufgefallen. Caterina hatte gerade gesagt, dass sie sie hätte in Empfang nehmen sollen. Das bedeutete, dass Leone doch nicht geplant hatte, mit ihr, Carrie, allein zu sein, um sie zu verführen. Sie hatte es sich anscheinend bloß eingebildet.

Das andere war seine Reaktion auf die Bitte seiner Schwester, er solle ihr einen Drink geben. Er war sofort aufgestanden, und nun brachte er ihr den gewünschten Drink, als wäre es ganz selbstverständlich. Vielleicht ist es das auch für ihn, räumte Carrie widerstrebend ein. Vielleicht ist er doch kein Taugenichts.

„Hier, ein sehr trockener Martini.“ Nachdem er Caterina das Glas gereicht hatte, wandte Leone sich an Carrie. „Soll ich Ihnen etwas Wasser nachschenken?“

Carrie hatte es vermieden, ihn anzusehen, weil ihr noch etwas aufgefallen war – etwas, das sie zutiefst beunruhigte. Jetzt ließ es sich allerdings nicht vermeiden. „Nein, danke“, erwiderte sie.

Ein flüchtiger Blick in seine Augen hatte genügt, um sie wieder aus der Fassung zu bringen. Sie hatte nämlich gerade an das gedacht, was ihr kurz vor Caterinas Erscheinen durch den Kopf gegangen war. Da er seine Schwester erwartet hatte, hatte ihm vermutlich nichts ferner gelegen, als sie, Carrie, zu verführen. Sie hatte diese schamlose Fantasie gehabt!

Carrie zuckte zusammen und fragte sich, warum das so war. Sie musste sich zusammenreißen.

„Kommt Damiano auch?“ erkundigte sich Caterina. „Ist er schon von der Besprechung zurück?“

„Ja, er wollte auch vorbeischauen.“ Leone setzte sich wieder in seinen Sessel. „Aber ich weiß nicht, ob er schon zurück ist. Manchmal dauern diese Besprechungen ziemlich lange.“

„Heißt das, er kommt hierher?“ Carrie schaute ihn erwartungsvoll an. Anscheinend würde sie den Herzog höchstpersönlich kennen lernen. Du meine Güte, dachte sie, was für ein Glückstreffer!

Autor

Stephanie Howard
Stephanie Howard studierte Sozialwissenschaft an der Harding University im Bundesstaat Arkansas. Außerdem ist sie ein Tausendsassa: Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Fitnesstrainerin, Raumausstatterin und viel beschäftigte Mutter von zwei Kindern. Engagiert setzt sie sich für Frauen ein.
Stephanie Howard schreibt in ihren Romanen gern über emanzipierte Frauen, die Familie,...
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