Julia Best of Band 282

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STUNDEN DER VERSUCHUNG

Abby hat ihrem attraktiven Boss Nick so viel zu verdanken! Dass er nicht nur ihr berufliches Können schätzt, sondern sich kaum ihrer erotischen Ausstrahlung entziehen kann, ahnt sie nicht. Als er sie für ein Wochenende in seine Berghütte einlädt, beginnen sinnliche Stunden der Versuchung …

HERZ VERLOREN, GLÜCK GEFUNDEN

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  • Erscheinungstag 31.08.2024
  • Bandnummer 282
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526081
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Teresa Southwick

JULIA BEST OF BAND 282

1. KAPITEL

„Keine Küsse, Nick.“

Abigail Ridgeway eilte in der Technikabteilung des Kaufhauses an der Wand mit den vielen Fernsehschirmen vorüber, auf denen das sonntägliche Footballspiel übertragen wurde.

„Ach, komm schon, Abby, ein kleiner Kuss ist doch harmlos.“

Sie blieb stehen und drehte sich um. Nick Marchetti war ihr Chef und außerdem ein Freund. „Darüber diskutiere ich nicht“, erklärte sie. „Kein Techtelmechtel und damit basta.“

„Deine Erwartungen sind unrealistisch.“

„Kann sein, aber du hast mich schon dazu überredet, eine Party zum sechzehnten Geburtstag meiner Schwester zu geben. Dann sollte ich wenigstens die Regeln festlegen können.“

„Na gut, aber ich warne dich. Jungs wollen immer das haben, was sie nicht haben können.“

„Ah, sprichst du etwa aus eigener Erfahrung? Du, der du immer alles hattest? Hast du jemals ein Nein gehört?“

Nicks Blick verfinsterte sich. Er fuhr sich durch sein dichtes dunkelbraunes Haar. Abby überlegte, ob sie wohl einen wunden Punkt berührt hatte. Da Nick sehr selbstbewusst war, reizte es sie, seine Schwächen zu entdecken. Er sah bemerkenswert gut aus, war intelligent, kräftig gebaut und hatte eine Menge Geld. Es konnte also nicht schaden, wenn er gelegentlich mal in die Enge getrieben wurde!

„Es geht nicht um mich, Abby, sondern um Sarah. Man wird nur einmal sechzehn. Das ist ein Meilenstein auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, der besonders gefeiert werden sollte. Du willst doch auch, dass es ein Erfolg wird.“

Damit hatte er Abbys Frage umgangen und das Gespräch wieder auf sie gelenkt. In den fünf Jahren, die sie sich kannten, war ihr aufgefallen, dass er sehr geschickt darin war, auszuweichen. „Das schon, aber ich habe die Verantwortung für Sarah. Selbst wenn unsere Eltern noch lebten und auch der Meinung wären, dass man bei einer Teenagerparty unbedingt Flaschendrehen spielen muss, würde ich Nein dazu sagen.“

„Vielleicht hast du recht, vorsichtig zu sein. Es ist bekannt, dass sechzehnjährige Jungs eine Schwäche für ‚ältere Frauen‘ haben, und das wärst du in dem Fall.“ Er tippte ihr auf die Nase.

„Woher hast du denn das? Aus dem Managerseminar?“

„Ach, du glaubst mir nicht?“

„Nein. Du magst es für albern halten, aber ich bin der Meinung, dass Kussspiele unter Teenagern einfach zu riskant sind.“

„Vielleicht hast du recht.“ Nick steckte die Hände in die Hosentaschen seines Anzugs. Dabei öffnete sich das Jackett, und das feine weiße Hemd wurde sichtbar.

„Übrigens“, fuhr Abby fort, „für einen Sonntagnachmittag bist du reichlich elegant angezogen. Arbeitest du heute, oder hast du noch eine Verabredung?“

„Beides.“

Nick Marchetti war regelrecht arbeitswütig. Als Mitbesitzer der Firma Marchetti’s Inc., einer Restaurantkette, war er Abbys Chef. Sie arbeitete in einem seiner Lokale, wo er jedoch nur unregelmäßig auftauchte.

Abby spiegelte sich auf einer riesigen Bildschirmfläche und strich unwillkürlich ihren zerknautschten Rock glatt. Dabei hatte sie ja heute frei und musste nicht wie sonst makellos aussehen. „Ich wusste nicht, dass du Pläne für heute Abend hattest. Bist du vorbeigekommen, weil du etwas Besonderes brauchst?“

Nick zögerte kurz. „Nein, nur das Übliche.“

„Ich bin froh, dass du dir Zeit genommen hast, mit mir einkaufen zu gehen. Aber ich muss jetzt ins Restaurant zurück. Über die Party können wir ein anderes Mal sprechen. Im Augenblick brauche ich dein technisches Know-how, mit diesem elektronischen Kram kenne ich mich nicht aus.“

„Hör mal, ich fühle mich richtig degradiert.“ Nick tat beleidigt. „Bei der Elektronik fragst du mich um meine Meinung, aber wenn es um eine Teenagerparty geht, dann nicht!“

Abby hätte am liebsten gelacht und ihn freundschaftlich in die Seite geknufft. Sie hatte sich jedoch vorgenommen, sich immer an ihre Stellung zu erinnern und sich nicht allzu vertraulich zu geben. Das Problem war nur, dass sie nicht genau wusste, wo die Grenzen waren. Das lag wohl an der besonderen Situation.

Als sie achtzehn war, waren ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ihre Schwester Sarah war damals elf, und es gab keine Verwandten, die hätten einspringen können. Auf einmal war Abby für sie beide allein verantwortlich und musste bei Sarah Mutter und Vater vertreten. Obgleich Nick sie nicht kannte, gab er ihr gleich einen Job als Bedienung in einem der Restaurants, und Abby hatte sich vorgenommen, ihn so gut wie möglich zu machen. Bislang hatte das auch geklappt. Inzwischen war sie sogar zur stellvertretenden Geschäftsführerin aufgestiegen. Nie würde sie vergessen, was Nick alles für sie getan hatte.

Dazu gehörte, dass sie immer eine gewisse Distanz einhalten wollte. Aber manchmal sagte oder tat er irgendetwas Verrücktes, und sie vergaß, dass er ihr Chef war. Er schien es normal zu finden, dass sie eine Art Freundschaft hatten, aber Abby wusste es besser.

„Die Party ist erst in einem Monat“, sagte sie und verkniff sich die scherzhafte Antwort, die ihr auf der Zunge lag. „Also haben wir noch Zeit genug, über das Flaschendrehen zu reden. Ich habe Sarah allerdings einen CD-Player zum Geburtstag versprochen, und das möchte ich heute entscheiden. Hilfst du mir nun dabei …“, sie schaute zu den Verkäufern hinüber, „oder überlässt du mich diesen Haien?“

Er nahm sie am Ellbogen und zog sie in die Abteilung, in der es CD-Player und Lautsprecher gab. „Du kannst froh sein, dass es noch so etwas wie Ritterlichkeit gibt.“ Als Abby nicht antwortete, hakte er nach: „Na? Keine freche Bemerkung dazu?“

„Nein. Wenn du recht hast, hast du recht. Ich freue mich über deine Hilfe. Aber wenn du mir vorhin gesagt hättest, dass du eine Verabredung zum Abendessen hast, hätte ich mich nicht aufgedrängt.“

„Du drängst dich nicht auf.“

„Bist du sicher, dass du Zeit für mich hast?“

„Ganz sicher.“

Abby blickte auf die ausgestellten Geräte. „Soll ich einen billigen, oder einen teuren oder etwas in der Preislage dazwischen nehmen? Sollte ich mehr auf das Design oder mehr auf die Qualität achten? Oder ein preiswertes Anfangsgerät nehmen?“

Nick zeigte auf einen CD-Player. „Das ist von einer guten Firma und hat alles, was Sarah braucht – es sei denn, sie ist technisch so ahnungslos wie du. Der Preis ist ganz vernünftig.“

Abby sah entsetzt auf das Preisschild. „Vielleicht für einen Marchetti, aber für ein Ridgeway-Portemonnaie ist der viel zu teuer, selbst wenn die mir vierzig Prozent Rabatt gäben.“

„Ich könnte …“

„Nett von dir, Nick, aber das möchte ich nicht.“

„Lass mich doch mal aussprechen.“

„Entschuldige. Sag, was du sagen möchtest, und dann lehne ich dein Angebot ab, es für Sarah zu kaufen.“

„Ich wollte dir vorschlagen, etwas dazu beizusteuern. Ich wüsste sonst nicht, was ich ihr schenken könnte, also würdest du mir damit einen Gefallen tun.“

Das war typisch Nick. Er versuchte zu helfen, ohne dass es nach Hilfe aussah. Dank seiner Kreativität hatte er es unter anderem geschafft, aus den ersten Restaurants eine ganze Kette zu machen. Abby wusste nicht recht, wieso seine Großzügigkeit sie auf einmal störte. Vielleicht weil sie kurz vorm Abschluss ihrer Ausbildung stand und schon die kommende Unabhängigkeit spürte? Ihre leise Tendenz zu fehlender Dankbarkeit sollte sie wohl mal untersuchen …

Nick war für sie da gewesen, als sie dringend jemanden gebraucht hatte. Sie versuchte, immer mit allem selbst fertig zu werden, aber wenn sie mal Hilfe brauchte, lehnte er die nie ab. Wieso hatte sie auf einmal das Gefühl, dass es besser wäre, wenn sie alles allein machte?

„Ich nehme lieber einen billigeren“, erklärte sie und zeigte auf ein Modell derselben Firma. „Das Geschenk sollte von mir als der großen Schwester allein kommen.“

„Aber was schenke ich ihr? Ich weiß nicht viel über sechzehnjährige Mädchen.“

„Ich weiß, dass sie unbedingt eine Party haben möchte.“

„Alle Teenager lieben Partys, das ist nichts Besonderes. Das hat sie mir auch schon gesagt. Aber ein Geschenk für sie zu finden …“

„Ich bin sicher, dass Madison dir gern beim Aussuchen helfen wird.“ Madison Wainright. Nicks Freundin. Ein passender Name für eine elegante Frau, die auch noch ausgesprochen schön war.

Abby hatte die beiden schon öfter zusammen gesehen. Neben der gemeinsamen Arbeit brachte Nick Madison manchmal mit zum Essen in das Restaurant, in dem Abby arbeitete. Er meinte, dort könnte er sich immer darauf verlassen, dass Service und Qualität des Essens gut seien. Abby hatte das Gefühl, dass er sich gern mit der schönen, kultivierten Frau zeigte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er je länger mit jemandem zusammen gewesen war als mit ihr.

„Magst du sie nicht?“, fragte er. „Ich finde, Madison hat Klasse.“

Seit wann kann Nick meine Gedanken lesen? dachte Abby. Sie mochte Madison, fühlte sich neben ihr aber irgendwie minderwertig. Madison hatte alles, was Abby nicht besaß.

Sie beugte sich über einen Stapel Kartons und studierte die Modellnummern, um den CD-Player herauszunehmen, den sie ausgewählt hatte. „Ich sage ja nicht, dass ich sie nicht mag.“

„Nein, aber der Ton macht die Musik. Würdest du mir bitte erklären, was du ihr gegenüber empfindest?“

„Das steht mir nicht zu.“

„Glaubst du vielleicht, sie passt nicht zu mir?“

„Ja.“

„Das heißt also, dass ich keine Klasse habe?“ Nick zog eine seiner dunklen Augenbrauen hoch.

„Du drehst mir das Wort im Munde um.“

„In den sechs Monaten, in denen ich mit Madison zusammen bin, war sie immer sehr nett. Außerdem ist sie hübsch, klug und äußerst erfolgreich. Eigenschaften, die jedem Mann gefallen.“

Womit sie theoretisch die perfekte Partnerin für Nick wäre. Abby konnte nicht sagen, warum, aber sie fand, dass Madison Wainright trotzdem nicht zu ihm passte.

Sie hatte sich schon oft gefragt, warum ein so attraktiver Mann wie Nick Marchetti, der von den schönsten Frauen begehrt wurde, dennoch unverheiratet war. Da er mit dem Thema angefangen hatte, wagte sie es, ihn danach zu fragen.

„Wieso hast du Madison eigentlich noch keinen Heiratsantrag gemacht?“

„Gibt es irgendwo eine Regel, die besagt, dass ein Mann, sobald er eine Frau bewundert, sie gleich heiraten muss?“

„Huh, wieso reagierst du denn so scharf?“

„Tu ich doch gar nicht. Na ja, vielleicht doch. Aber meine Mutter und meine Schwester nerven mich dauernd mit demselben Thema.“

„Seitdem Rosie verheiratet ist und ein Baby hat, findest du das Thema allerdings nicht mehr so abwegig wie früher, oder? Ich habe den Eindruck, dass du öfter darüber nachdenkst, selbst eine Familie zu gründen.“

„Ja, gelegentlich.“

„Also, was ist mit Madison?“

Nick lehnte sich gegen ein Regal, verschränkte die Arme vor der Brust und reagierte mit einer Gegenfrage: „Und wann heiratest du?“

„Ich habe seit meinem achtzehnten Lebensjahr meine Schwester zu versorgen. In weniger als zwei Jahren wird Sarah den Schulabschluss machen und aufs College gehen. Dann bin ich frei und ungebunden. Ich sehe also schon Licht am Ende des Tunnels.“

„Aber du hast keinen Freund, oder?“

Abby fragte sich, woher er das wissen konnte, da sie ihr Privatleben für sich zu behalten pflegte. Wenn Nick nicht im Restaurant aufgetaucht wäre und sie wegen Sarahs Geburtstag gedrängt hätte, wäre sie nicht einmal mit ihm zum Einkaufen gefahren. Woher wusste er wohl, dass sie keinen Freund hatte?

Dann fiel es ihr auf einmal ein. Sarah arbeitete ja nicht für ihn und hatte deshalb keinerlei Hemmungen, ihn privat anzurufen und ihm alles zu erzählen, was ihr in den Kopf kam. Soweit Abby wusste, machte ihm das nichts aus. Sonst hätte er, als viel beschäftigter Firmenchef, dem Teenager das schon gesagt, denn Sarah redete gern. Wäre Plaudern eine olympische Disziplin, bekäme sie garantiert die Goldmedaille dafür.

„Schließlich kann ich nicht mit den Fingern schnipsen, und – husch – fällt der richtige Mann vom Himmel“, meinte Abby. Sie hörte sich nun genauso schroff an wie Nick kurz zuvor.

„Du willst mir doch nicht erzählen, dass Männer sich nicht für eine so attraktive Frau wie dich interessieren.“

Abby freute sich insgeheim über das Kompliment. „Das ist mir noch nicht aufgefallen“, behauptete sie.

„Ah, so, ich verstehe. Du weist sie also noch immer ab. Lass dir mal einen Ratschlag geben, Mädchen: Männer brauchen auch ein bisschen Ermutigung.“

„Sieh mal, Nick.“ Abby holte tief Luft. Da Nick ihr Chef war, hielt sie es für besser, sich diplomatisch zu verhalten. „Zwischen der Arbeit, dem Studium und Sarah bleibt mir fürs Ausgehen keine Zeit. Doch sobald Sarah auf dem College ist und ich meinen Abschluss habe, komme ich dran. Vielleicht gründe ich dann auch eine eigene Familie.“

Na, so was. Das mit dem Gründen einer Familie hatte Abby doch ihm geraten! Sie hatte gar nicht gemerkt, dass Nick sie in die Ecke gedrängt hatte! Er war ausgesprochen geschickt darin, anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben.

„Nur Arbeit und bloß keinen Spaß“, rügte er.

„Na gut, vielleicht bin ich eine langweilige Person.“ Abby ärgerte sich über die Wendung des Gesprächs. „Sag mal, bringst du Madison mit zu Sarahs Party?“, versuchte sie ihn wiederum abzulenken.

„Ist sie denn eingeladen? Ich weiß nicht mal, ob ich willkommen bin.“

„Selbstverständlich bist du das! Nick, ich habe dir schon erklärt, dass ich dich nur nicht gebeten hatte, mir bei der Party zu helfen, weil du selbst so beschäftigt bist.“

„Ist das alles?“

„Ja, das ist alles. Also, was ist mit Madison? Möchtest du sie nicht mitbringen?“

„Hört sich beinahe so an, als hättest du nichts dagegen.“

„Es wäre sicher interessant zu beobachten, wie sie sich beim Flaschendrehen benimmt mit einem Haufen sechzehnjähriger Jungs, die Pickel und feuchte Hände haben.“

„Anstandsdamen spielen nicht, sie passen nur auf.“ Nick zog eine Braue hoch. „Du magst sie doch, oder?“

„Ja“, sagte Abby ehrlich. Sie wusste nicht, wieso er darauf kam, aber es stimmte. Sie bewunderte Madison.

„Madison ist also auch eingeladen?“

„Sie muss nicht extra eingeladen werden. Du kannst selbstverständlich in Begleitung kommen.“

„Das tue ich, wenn du es auch tust.“

„Rechne lieber nicht damit.“

Einige Stunden später, nachdem sie zusammen eingekauft hatten, stand Nick in Abbys Haustür. Er war mit der Arbeit früher als geplant fertig geworden und wollte nicht nach Hause fahren, um dort bis zu der Verabredung mit Madison zu warten.

Eigentlich wusste er nicht recht, wieso er hier war. Zum Teil gab es noch Berufliches zu besprechen, aber ihm ließ auch Abbys Bemerkung keine Ruhe, dass sie zur Party ihrer Schwester niemanden für sich einladen wollte. Eine hübsche Person wie Abby sollte von Männern umschwirrt sein. Doch Nick schien der Einzige in ihrer Umgebung zu sein.

Ihre Wohnung lag in einem großen Gebäudekomplex inmitten einer Grünanlage mit Büschen und kleinen Wegen.

Nick hatte Abby, nachdem er ihr zum Verkauf ihres Elternhauses geraten hatte, geholfen, diese Wohnung zu finden. Das erschien ihm das Vernünftigste, denn sie war nicht in der Lage gewesen, das Haus weiter abzuzahlen. Und von ihm wollte sie keine finanzielle Hilfe annehmen. Der Erlös wurde auf ein Sparkonto für die beiden Schwestern eingezahlt. Abby hatte eine große Verantwortung zu tragen, und der Verkauf befreite sie von der Last, ein Haus finanzieren zu müssen. Gleichzeitig gewährte er ihr ein bisschen finanzielle Sicherheit.

Das war nützlich, denn wie Nick wusste, hatte Abby viel Stolz, ließ sich nur ungern helfen und tat nur das, was sie selbst für richtig hielt.

Kaum hatte Nick auf die Klingel gedrückt, öffnete Abby auch schon. Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen überrascht an.

„Ich dachte, du wärest mit Madison zum Essen verabredet.“

„Bin ich auch. In etwa einer Stunde.“

„Von der Gegend, wo sie wohnt, bis hierher ist es ziemlich weit. Wieso bist du dann hier?“

„Ich wollte die Zeit totschlagen. Darf ich hereinkommen?“

„Ja, natürlich.“ Abby trat zurück und ließ ihn eintreten.

Nick schaute sich im Wohnzimmer um, während Abby hinter ihm die Tür schloss. Der Raum war nicht groß, aber sehr gemütlich. In der Mitte standen ein beigefarbenes Sofa und ein dazu passender Sessel. An einer Wand war die Musikanlage aufgestellt, die Nick günstig für sie erstanden hatte – eins der wenigen Male, wo Abby ihn mal um Hilfe gebeten hatte, da sie von Technik wenig verstand. Neben der kleinen Küche gab es einen Essbereich, außerdem zwei Schlafzimmer, ein Bad sowie einen Arbeitsraum mit Waschmaschine und ähnlichem.

An der Wand hingen Familienfotos und schlichte Drucke sowie ein metallenes Schild. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker stand darauf.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Abby.

Nick schüttelte den Kopf. „Ist Sarah da?“

„Nein, sie ist mit ein paar Freundinnen ins Kino gegangen.“

„Keine Jungs dabei?“, wollte Nick wissen.

„Wenn es so wäre, hätte ich mich verkleidet, wäre heimlich mitgegangen und nicht mehr in Arbeitskleidung wie jetzt.“

Abby trug noch immer das blaue Kostüm, das sie tagsüber angehabt hatte. Allerdings hatte sie die Pumps abgestreift, und die Jacke war locker geöffnet. Ihre Seidenbluse war nicht vollständig ins Rockbündchen gesteckt, ihr blondes Haar hing leicht zerzaust um ihr ovales Gesicht. Eigentlich sah sie aus, als hätte sie gerade mit einem Mann geknutscht und wäre dabei unterbrochen worden.

Dass er an so etwas dachte, überraschte Nick. Vor allem aber, dass ihm der Gedanke, dass Abby sich mit einem Mann vergnügen könnte, irgendwie nicht behagte!

Seit dem Tag, an dem er sie kennengelernt hatte – sie war achtzehn Jahre jung und gab sich Mühe, sich wie eine Dreißigjährige zu verhalten –, fühlte Nick sich verantwortlich für sie. Er hatte die Ridgeway-Schwestern sozusagen unter seine Fittiche genommen, Abby ihren ersten Job gegeben und ihrer beider Entwicklung seither verfolgt. Da war es ganz natürlich, dass er sich als eine Art Beschützer fühlte. Wenn Abby sich für einen Mann interessierte, wäre das nur allzu normal! Er ermutigte sie ja sogar dazu, sich mal zu verabreden! Wieso reagierte er dann gleichzeitig so seltsam?

Sie schaute auf die Armbanduhr. „Ist es nicht ein bisschen spät, jetzt noch essen zu gehen?“

Nick zog sein Jackett aus und hängte es über die Sessellehne, bevor er sich setzte. „Madison bereitet sich auf eine große Gerichtssache vor, die diese Woche stattfindet, und braucht noch ein bisschen Zeit. Du vertrittst doch Rebecca, oder?“

Abby nickte. „Ja, sie ist noch im Mutterschaftsurlaub. Ich muss zugeben, die hochhackigen Schuhe einer Managerin öffnen einem wirklich die Augen.“

„Wieso?“ Dabei wusste Nick es eigentlich genau. Das war der Grund, warum er am Nachmittag im Restaurant vorbeigefahren war. Er wollte jedoch nicht selbst mit dem Thema anfangen. „Du bist etwas früher als sonst zu Hause, nicht?“

Sie nickte und schob sich eine Strähne hinters Ohr. „Der große Ansturm war heute ziemlich früh zu Ende, da konnte ich eher weg.“

Ihre hängenden Schultern und der verkrampfte Mund zeigten, dass Abby etwas auf dem Herzen hatte. „Erzähl mir, was los ist.“

Abby setzte sich seufzend aufs Sofa – weit genug weg, sodass ihre Knie sich nicht berühren konnten –, schaute Nick nicht an, sondern mehr in die Ferne. Komm mir nicht zu nahe! drückte ihre Körpersprache aus.

Bei der Arbeit pflegte sie immer eine berufliche Distanz einzuhalten. In letzter Zeit hatte Nick jedoch das Gefühl, dass sie diese Distanz noch vergrößern wollte. Dabei war sie hier doch zu Hause, hier waren sie doch Freunde und nicht Angestellte und Chef! Hier konnte sie doch darüber sprechen, was bei der Arbeit vorgefallen war!

„Heute war so wenig los, dass ich einen Kellner und eine Aushilfe vorzeitig nach Hause schicken musste.“ Sie schaute ihn an. „Deshalb bist du auch ins Restaurant gekommen, nicht? Um nach dem Rechten zu sehen.“

„Ja.“ Das leugnete Nick nicht. Er hatte schon befürchtet, dass Abby heute wegen zu weniger Gäste vorzeitig nach Hause gefahren war. „Es macht dir Sorgen, dass du die Leute nach Hause schicken musstest, stimmt’s?“

„Ja, natürlich. Dabei verstehe ich das Konzept natürlich.“

„Das weiß ich.“

„Ich kenne die Geschäftsprinzipien. Wenn nicht genug Geld reinkommt, muss man das Personal reduzieren, damit es keine Verluste gibt.“

„Richtig.“

„Und der, der zuletzt eingestellt wurde, muss als Erster wieder gehen. Dabei sind es meistens die, die das Geld am dringendsten brauchen.“

„Ich verstehe.“

„Jack, der Kellner, hat eine Frau und ein Baby. Und Larry geht nebenbei zur Schule.“ Abby rang nervös die Hände.

Ein höherer Rang bedeutet Privilegien, dachte Nick. Dem am unteren Ende der Leiter ging es am schlechtesten. Doch diese Erkenntnis half nicht, einem Angestellten mit Familie zu erklären, dass er nicht so viel verdienen konnte, wie er hoffte. Nick wusste, dass Abby damit Schwierigkeiten hatte. Sie wusste ja am besten, wie es war, wenn man mit wenig Geld auskommen musste.

Einmal war es ihm ähnlich gegangen. Tom Marchetti, sein Vater, war der Ansicht gewesen, dass man Dinge am besten durch die Praxis lernte. Er war der Meinung, dass eine Collegeausbildung nur dazu befähigte, theoretisch zu denken. So hatte jeder der vier Söhne das Geschäft von der Pike auf lernen müssen.

Nick hatte am meisten gelernt, als sein Vater ihn nach Phoenix schickte, wo er sich um das erste Restaurant außerhalb Kaliforniens kümmern sollte. Aber seine größte Lektion fürs Leben hatte nichts mit dem Geschäft zu tun gehabt. Durch sein Interesse für eine der Angestellten hatte er sozusagen die höheren Weihen im Betrogen werden erhalten.

Aber das ging nur ihn etwas an, nicht Abby. Das Restaurant, in dem sie arbeitete, war das erste Lokal, mit dem die Marchetti-Kette vor zwanzig Jahren gegründet wurde. Inzwischen hatte sich viel geändert, Infrastruktur und neue Essgewohnheiten beeinflussten vieles. Genau darum war er heute auch vorbeigekommen, wie Abby richtig vermutet hatte. Sie war eine intelligente und zartfühlende Person, und dass sie den jungen Vater hatte nach Hause schicken müssen, war sicher schrecklich für sie gewesen.

„Was schlägst du vor?“

Abby blickte ihn überrascht an. „Ich? Ich bin doch nur für den Einsatz der Ersatzkräfte zuständig.“

„Ist derjenige nicht auch für den gesamten Ablauf verantwortlich?“

Abby schaute Nick nachdenklich an. „Angestellte zu bezahlen, auch wenn sie gerade Däumchen drehen müssen, ist sicher nicht akzeptabel, oder?“

„Nein. Damit verschenkt man Geld. Aber was könnte das Management sonst noch tun?“

„Na ja, darüber nachdenken, wie man mehr Gäste ins Restaurant lockt.“

„Richtig. Du hast doch ein paar Seminare besucht, was hast du dort gelernt?“

„Botschaften, Visionen, Philosophie“, antwortete sie.

„Gut, das ist Terminologie. Aber was bedeutet es für die Firma Marchetti konkret?“

Abby dachte einen Augenblick nach. „Für eine hohe Qualität sorgen, echtes italienisches Essen zu vernünftigen Preisen bieten und dafür sorgen, dass die Gäste sich wohlfühlen“, zählte sie auf.

Endlich mal jemand, der die Firmenmemos gelesen hat, dachte Nick.

„Also gut, daran erinnerst du dich. Aber was davon ist das Wichtigste?“

„Was meinst du?“

„Was ist mit den Gästen. Welcher Typ Publikum kommt zu uns?“

„Im Moment sind es viele junge Paare, die sich gerade das erste Haus gekauft haben. Einige sind schon Eltern, und die meisten haben wenig Geld.“

„Ah, ja. Was kann man also tun, damit die ihr schwer verdientes Geld für ein Essen im Restaurant ausgeben?“

„Man könnte sie eventuell mit Gutscheinen, Werbung und Rabatten dazu bringen. Durch einen Extra-Kinder-Abend, zum Beispiel. An Tagen, an denen immer wenig los ist, könnte man vielleicht das Angebot machen: ‚Für einen Festpreis so viel essen, wie man kann‘.“

„Das sind gute Ideen“, fand Nick.

„Allerdings weichen sie von der Firmenmaxime ab, dass alle Marchetti-Restaurants gleich sein sollen, inklusive der Speisekarte.“

„Das war der Wunsch meines Vaters, aber die Zeiten ändern sich. Also müssen wir uns auch ändern und eine neue Philosophie mit einbringen.“

„Nach dem Motto: Lass die Manager managen?“

„Genau.“ Nicks Brüder waren ebenfalls alle in der Firma tätig. Joe war verantwortlich für das Personal. „Laut Joe sollte jedes Restaurant einen tüchtigen Manager haben, dem man auch die Möglichkeit gibt, individuell neue Dinge einzuführen und Veränderungen vorzunehmen.“

„Wenn also jeder Standort anders ist, müsste man auch, der unterschiedlichen Kundschaft entsprechend, Änderungen einführen können.“

„Warum nicht.“ Wenn jeder Angestellte so mitdenken würde wie Abby, wäre ich eigentlich überflüssig, dachte Nick. „Lass dir das mal durch den Kopf gehen.“

„Das mache ich.“

Sie schauten sich zufrieden an. Nick war so froh wie schon seit Langem nicht. Abby schien es ähnlich zu gehen, denn ihre Augen blitzten, und – was selten bei ihr war – sie lächelte.

Doch schnell wurde sie wieder ernst. Sie schaute auf die Uhr. „Oh je, du kommst zu spät.“

Auf einmal hatte Nick eine Idee. „Komm doch mit zum Essen.“

„Ich?“, fragte sie erschrocken.

Er schaute sich um. „Hier ist doch sonst niemand, oder? Natürlich, dich meine ich.“

„Nein, das geht nicht.“

„Selbstverständlich geht das. Madison mag dich, und du hast gesagt, du magst sie auch. Nenne mir einen triftigen Grund, wieso du nicht mitkommen kannst.“

„Na gut, aber ich nehme meinen eigenen Wagen.“

„Wieso denn?“

„Sarah und ihre Freunde sind von April Petersens Mutter ins Kino gebracht worden, und ich soll sie abholen.“

Nick dachte daran, was Abby wohl alles verpasst haben mochte, indem sie mit achtzehn zur „Mutter“ geworden war. Jetzt wollte er ihr helfen, aus Sarahs Geburtstag etwas Besonderes zu machen. Hatte jemand das irgendwann auch bei ihr getan?

„Was hast du eigentlich gemacht, als du einundzwanzig wurdest?“

Abby schaute überrascht drein. Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube nichts Besonderes: Schule, Sarah und Arbeit.“

„Das ist gesetzwidrig.“

„Wie bitte?“

„In meiner Familie gibt es eine Reihe von Traditionen, wenn man erwachsen wird. Zum Beispiel ging man irgendwo hin, wo man seinen Ausweis vorzeigen musste. Eine unvergessliche Erfahrung.“

„Das ist sicher ganz lustig, aber ich verstehe nicht ganz …“

Nick lächelte vielversprechend. „Ich glaube, ich muss mit dir noch mal die Volljährigkeit feiern.“

2. KAPITEL

Abby staunte. Wieso fühlte Nick sich für ihren einundzwanzigsten Geburtstag so verantwortlich? Wie kam er darauf?

„Abgesehen davon, dass der schon zwei Jahre her ist, wieso glaubst du, mir das schuldig zu sein?“

„Als du bei uns anfingst, wurdest du Teil der Familie Marchetti. Ich weiß gar nicht, wieso ich damals nicht daran gedacht habe.“

Seine Miene deutete darauf hin, dass der Gedanke ihn irgendwie betrübte. Nick zeigte selten seine Gefühle, und jetzt wurde Abby bewusst, dass es heute schon das zweite Mal war. Welche schlechte Erinnerung hatte wohl diesen Ausdruck auf sein Gesicht gebracht? Sie hatte merkwürdigerweise sofort das Bedürfnis, ihn wieder wegzuzaubern.

„Na hör mal, das war doch ganz in Ordnung. Du hast vor allem ans Geschäft gedacht.“

„Vielleicht. Tatsache ist aber, dass du mündig wurdest, und das wurde von niemandem richtig gewürdigt.“

„Es ist ja schon ziemlich lange her, und mir ist es egal.“

„Aber mir nicht!“, entgegnete Nick im Ton eines Chefs, der keinen Widerspruch duldet.

„Es ist nett von dir, dass du daran denkst, Nick, aber der Geburtstag ist längst vorbei. Auch mit aller Gewalt können wir die Zeit nicht zurückdrehen.“

Abby dachte nicht gern an ihre Vergangenheit, sie hatte vorwiegend negative Erinnerungen. Die Zukunft dagegen war voller Möglichkeiten – sobald sie Gelegenheit hätte, sie zu nutzen.

Nick schaute auf seine Armbanduhr, erhob sich und nahm seine Jacke. „Ich habe keine Zeit, jetzt darüber zu diskutieren. Aber irgendwann holen wir deinen einundzwanzigsten Geburtstag nach.“

„Wenn Papierhüte und Flaschendrehen dazugehören, rechne nicht mit mir.“

Nick lachte. Er öffnete die Haustür. „Keine Sorge, ich kümmere mich darum.“

Abby schaute ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwunden war. Bestimmt würde sie keine Kussspiele oder etwas Ähnliches mehr spielen. Auch Nick würde noch herausfinden, dass Abby die täglichen Dinge wichtiger waren als Träume.

Dennoch hatte der Gedanke an eine kleine Überraschung seinen Reiz – einige Sekunden lang gestattete sie es sich, ihm nachzuhängen.

Nach dem Essen fuhr Nick seine Freundin Madison nach Hause. Kavaliersmäßig brachte er sie bis zur Tür. Sie wohnte in einem eleganten Viertel der Stadt. Das sorgfältig abgesicherte Gebäude war genau die Art Wohnung, in die eine Anwältin ihrer Klasse hineingehörte. Manchmal vergaß Nick, dass Madison eine so wichtige Position innehatte.

Sie war klein, zierlich und rothaarig. An diesem Abend trug sie ein schwarzes Strickensemble, das sich weich um ihre Kurven schmiegte. Sie hoffte, dass es sie etwas größer erscheinen ließ, doch das half wenig. Nick schaute, selbst wenn sie hochhackige Pumps trug, von oben auf ihr Haar hinunter.

Ihm gefielen blauäugige Blondinen besser. Aber noch wichtiger als die Haarfarbe war ihm, dass eine Frau Humor besaß. Er musste an Abbys drollige Bemerkung über ihre Ahnungslosigkeit in technischen Dingen denken und lächelte. Hinter ihrem sonst so professionellen Verhalten steckte bestimmt eine Frau, mit der man viel Spaß haben konnte.

Bei Madison war es ähnlich, meistens jedenfalls. An diesem Abend war sie allerdings nicht besonders guter Laune. Vielleicht dachte sie an einen schwierigen Fall, an dem sie gerade arbeitete. Oder es lag daran, dass er sie so spät abgeholt oder sonst irgendetwas falsch gemacht hatte.

Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, stand Nick eine Treppenstufe unter ihr. Im Licht der Außenlampe schimmerten ihre grünen Augen. „Hast du nicht Lust, noch auf einen Drink mit hereinzukommen?“, fragte sie.

„Ich wollte, ich könnte, aber ich habe morgen früh einen wichtigen Termin.“

„Na gut. Dann vielen Dank fürs Abendessen.“ Ihre Stimme klang etwas spitz. Sie drückte die Tür auf und wollte schon hineingehen.

„Was ist los, Madison?“

„Nichts. Gute Nacht, Nick.“

Er trat neben sie und legte ihr die Hand auf den Arm. „Irgendetwas hast du doch. Was ist es?“

„Wir müssen miteinander reden.“

Oh, wie das klang. Auf diesen Satz reagieren Männer wohl oft ähnlich, dachte Nick. Aber er hatte gute Gründe, ihn nicht zu mögen, denn das letzte Mal, dass eine Frau das zu ihm gesagt hatte, war sein Leben völlig aus den Fugen geraten!

Er holte tief Luft und sagte: „Also gut, schieß los.“

Sie drückte ihre schwarze Handtasche an die Brust. „Du wirst vermutlich allem widersprechen, was ich dir sagen werde, aber ich muss es einfach sagen. Du hast nicht die Art Gefühle für mich, die ich mir bei dir wünsche. Heute Abend, als du mich abholtest, hatte ich zuerst die Hoffnung, dass ich mich getäuscht hätte.“

„Was meinst du?“

„Du warst irgendwie freudig erregt, so, wie ich dich seit Wochen nicht erlebt habe.“

„Meistens bin ich total erschöpft, Madison, aber ich mag dich sehr.“

„Siehst du? Ich wusste doch, dass es zu Ende ist.“

Nick schob die Hände in die Hosentaschen. „Nein, das ist es nicht. Ich verstehe nur nicht ganz, worauf du hinaus willst.“

„Wir hatten noch nicht mal unseren Salat aufgegessen, als der alte Nick wieder da war. Der, den ich nicht erreichen kann, weil er nur ans Geschäft denkt.“

Merkwürdig. Etwas Ähnliches hatte auch Abby am Nachmittag zu ihm gesagt. „Das hört sich bei dir an, als wenn ich ungenießbar sei.“

„Das bist du auch, jedenfalls jetzt. Als wir uns kennenlernten, warst du sehr aufmerksam. Du hast mir den Hof gemacht. Deshalb habe ich mich auch …“ Sie reckte sich auf und sah ihm in die Augen. „Jetzt kommst du mir wie ein gespaltener Mensch vor. Einer ist fröhlich und locker, und einer denkt seit einem Jahr nur an Gewinne und Verluste. Letzteren erlebe ich eigentlich nur noch, und ich glaube, den mag ich nicht so gern.“

„Als Nächstes wirst du behaupten, ich hätte einen bösen Zwilling.“

„So kommt es mir auch vor.“

„Du übertreibst …“

„Wirklich? Denk mal darüber nach, Nick.“

Er versuchte es, kam aber zu keinem Ergebnis. Als er die Hand an ihre Taille legte, verkrampfte Madison sich. „Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“

„Schon gut. Es war vermutlich nicht der richtige Zeitpunkt, damit anzufangen.“

„Ich habe das Gefühl, dass du noch irgendetwas zurückhältst.“

Madison lächelte traurig. „Wenn du willst, bist du sehr sensibel. Ich frage mich seit einiger Zeit, ob wir uns nicht vielleicht für eine Weile trennen sollten.“

„Meinst du das ernst?“

„Ja, denn ich habe den Ausdruck in deinen Augen gesehen, als du mir erklärtest, dass Abby der Grund für dein Zuspätkommen sei.“

„Das stimmt. Abby und ich hatten noch etwas Geschäftliches zu besprechen.“

„So kam es mir nicht vor. Ich habe den Eindruck, du hast Gefühle für sie, die nichts mit dem Geschäft zu tun haben.“

„Mit dir geht wohl die Fantasie durch“, erwiderte er etwas schroff.

„Tatsächlich?“ Sie hob das Kinn. „Wann hast du mich das letzte Mal so geküsst, als wolltest du es auch wirklich?“

Der Gedanke erschreckte ihn. Er überlegte. Dann machte er Anstalten, Madison in die Arme zu nehmen. „Das könnten wir bestimmt wieder in Ordnung bringen“, meinte er.

Aber sie sträubte sich. „Wenn ich dich schon daran erinnern muss, ist der Zauber längst vergangen.“

„Entschuldige, ich war mit den Gedanken woanders …“

Madison schüttelte den Kopf. „Wie ich schon sagte, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin auch ziemlich müde und muss morgen früh im Gericht sein.“

„Also gut.“ Nick zögerte. „Wie wäre es denn demnächst mit einem verlängerten Wochenende? Dann könnten wir mal über alles reden.“

„Nein, ich glaube nicht.“

Nick küsste sie auf die Wange. „Ich rufe dich an.“

„Das brauchst du nicht. Gute Nacht.“ Und schon war sie im Haus verschwunden. Nick hörte noch, wie sie den Riegel vorschob.

Langsam ging er die Treppe hinunter zu seinem Wagen zurück. Das Gespräch mit Madison hatte ihn irgendwie durcheinandergebracht. Er sollte Gefühle für Abby haben? Das war doch absurd. Sie waren nichts als gute Freunde!

Er war völlig zufrieden mit Madison und der Situation, so wie sie war. Sie war eine intelligente Partnerin, auf die er stolz war, wenn sie ihn zu beruflichen Anlässen begleitete. Wenn er ehrlich war, konnte er sich allerdings kaum noch daran erinnern, wann er sie das letzte Mal geküsst hatte …

Und Madison wollte mehr. Sie war eine großartige Frau und verdiente etwas anderes.

Nick war auf einmal zumute wie jemandem, der vor drei Türen steht. Hinter Tür Nummer eins befand sich ein Fragezeichen. Hinter Tür Nummer zwei stand Madison. Er achtete und verehrte sie. Sie war schön, klug, eine Frau, um die viele Männer ihn beneideten. Auch seine Eltern bewunderten sie. Mehr als einmal hatte seine Mutter darauf angespielt, dass es gefährlich sei, zu lange zu zögern. „Angespielt“ war nicht das richtige Wort. Flo Marchetti kannte so etwas wie Taktgefühl überhaupt nicht. Sie hatte ihn direkt gefragt, ob er sich denn nicht beeilen wolle.

Nick hatte sich damit herausgeredet, dass er noch nicht bereit sei, eine Familie zu gründen. Wenn er und Madison richtig zusammen wären, würde es nicht schaden, noch zu warten. Zu dem Zeitpunkt glaubte er das auch, aber er spürte, dass Madison und er gerade einen entscheidenden Moment miteinander erlebt hatten. Er würde seine silbergraue Corvette darauf verwetten, dass sie lieber eine Familienlimousine wollte. Und sie wollte heiraten, das spürte er.

Das Einzige, was er dazu sagen konnte, war „vielleicht“. Nachdem seine Schwester seinen besten Freund geheiratet hatte und seine Nichte geboren worden war, hatte er begonnen nachzudenken. Wie würde es sein, jeden Tag zu derselben Frau zurückzukehren? Kinder zu haben? Schließlich arbeitete er ja nicht umsonst so schwer! Er hatte sogar daran gedacht, Madison zu heiraten, aber dann ergriff ihn meistens das Gefühl, fliehen zu müssen.

Tür Nummer drei war das Leben, wie er es kannte. Seine Karriere lief großartig. Das Familienunternehmen zusammen mit den Brüdern weiter auszubauen machte großen Spaß. Nick musste an Abby denken. Sie waren richtig gute Freunde. Und Madison irrte sich, wenn sie glaubte, dass es etwas Romantisches zwischen ihnen gab. Hatte er Abby nicht gerade vor ein paar Stunden gesagt, dass sie so etwas wie Familie für ihn bedeutete? Dass sie eine Art jüngere Schwester für ihn war?

Über die Jahre hatte er versucht, immer für sie da zu sein, war regelmäßig vorbeigefahren, um nach Sarah und ihr zu schauen. Abby gab sich immer ziemlich selbstständig. Nur wenn etwas anzuschließen war, wie die Stereoanlage zum Beispiel, dann meldete sie sich mal. Nick hatte die Rolle des großen Bruders übernommen. Abby wahrte immer einen gewissen Abstand. Sarah dagegen hatte keine Scheu, ihn anzurufen. Ohne sie hätte er keine Ahnung, wie Abby zum Beispiel ihre Freizeit verbrachte.

Er neckte sie damit, dass sie nie ausging, wusste aber nicht, was sie davon abhielt. Und nun nagte noch etwas anderes an ihm. Er hatte ihr gesagt, dass sie praktisch mit zur Familie gehörte. Aber Verwandte würden doch niemals einen so wichtigen Geburtstag wie den einundzwanzigsten vergessen! Um das wiedergutzumachen, würde keine Glückwunschkarte reichen, da musste er sich schon etwas Besonderes einfallen lassen!

Und danach wollte er versuchen, mit Madison wieder ins Reine zu kommen. Nick öffnete die Wagentür und glitt hinters Lenkrad.

Abby hörte, dass es an der Tür klingelte. Da es ihr freier Tag und erst neun Uhr morgens war, fühlte sie sich gestört. Sie war beim Putzen und hatte gerade Seifenwasser in einen Eimer gelassen, um alles gründlich auszuwischen. Vermutlich wollte mal wieder irgendjemand etwas Unnötiges verkaufen.

Sie öffnete und sagte sofort: „Ich bin nicht interessiert …“

Nick grinste. „Hallo! Aber vielleicht bin ich interessiert?“

„Ich dachte, mir wollte jemand was verkaufen.“

„Nicht unbedingt. Darf ich reinkommen?“

„Nick, hier sieht es schlimm aus.“

„Na, und?“

„Sarah und ich sind daran gewöhnt, aber andere …“ Abby lächelte. „Na ja, komm rein, aber auf eigene Verantwortung.“

„Danke.“

Sie setzte sich auf die Sessellehne. „Wieso kommst du so früh am Morgen hierher? Ist irgendetwas passiert? Ist das Restaurant etwa heruntergebrannt?“

Nick runzelte die Brauen. „Hey, hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine blühende Fantasie hast?“

„Ja, und deshalb erklärst du mir auch besser schnell, was los ist, bevor die Vorstellungskraft mit mir durchgeht.“

„Ich bin so früh gekommen, weil ich dich zum Essen einladen möchte.“

„Zum Essen?“ Abby war völlig verblüfft. Wie kam er dazu, mit einer seiner Angestellten essen gehen zu wollen? Für eine Midlife-Crisis war er zu jung. Seltsam war auch, dass er keinen Anzug trug. Es war zwar Samstag, aber Nick war dafür bekannt, dass er sieben Tage die Woche arbeitete. Sie sah ihn also praktisch nie in Freizeitkleidung.

Ein Glück, denn in den engen Jeans und mit dem weißen Hemd, dessen Ärmel aufgerollt waren, sah er verdammt gut aus! Beunruhigend gut. Normalerweise hielt die Arbeitsatmosphäre Abby von solchen Gedanken ab. Nick war ihr Chef, und private Gedanken über seinen Körperbau gestattete sie sich nicht. Davor hütete sie sich lieber.

Abby strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Hör zu, Nick, ich muss weitermachen.“

„Ich will dich auch gar nicht unterbrechen.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Wäre es dir recht, wenn ich dich heute Abend so um halb acht abhole? Ich finde, du brauchst mal etwas Abwechslung, Abby.“

„Nein.“ Das hatte so schroff geklungen, dass Abby seufzte. „Ich möchte nicht unhöflich sein, Nick, aber wieso verstehst du es nicht?“

„Ich akzeptiere kein Nein.“ Er lächelte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir hätten das auch am Telefon besprechen können.“

„Ich ahnte, dass du ablehnen würdest und dass ich dich überzeugen müsste. Und das geht persönlich besser.“

Abby seufzte. Ihr freier Tag hatte doch so gut begonnen! Sie hatte einen festen Plan dafür gehabt. Und mit festen Plänen funktionierte das Leben besser. Wenn sie davon abwich, würde der nächste Tag durcheinandergeraten. Und sie hatte keine Zeit, Nick davon zu überzeugen, dass ihre Pflichten vorgingen.

„Lass es mich dir erklären“, begann sie. „Ein Nein ist die negative Antwort auf einen Vorschlag oder eine Situation. Und dieses Nein bedeutet, dass ich nicht mitkommen kann. Dennoch weiß ich die Einladung sehr zu schätzen.“

„Sieh mal, wenn du eines Tages frei und ungebunden bist, brauchst du etwas Erfahrung. Du siehst schon das Licht am Ende des Tunnels, wie du selbst gesagt hast. Jemanden in die Freiheit zu entlassen erfordert Übung, Entschlossenheit, Praxis und Opferbereitschaft.“

„Mit dir zum Essen zu gehen, ist also die erste Lektion im Verhalten für ‚Frei und ungebunden‘?“

„Genau.“ Er lächelte. „Und die Vorbedingung dafür ist Spontaneität.“

„Nett von dir, Nick, aber ich muss mich dringender um die Wollmäuse kümmern“, sagte Abby und schaute sich im Wohnzimmer um.

„Wieso?“

„Ich habe Pflichten. Wenn ich die vernachlässige, gerät mein kleines Boot ins Schwanken. Ich habe zu viel zu tun.“

„Nenne mir drei Dinge, die dich ins Unglück stürzen, wenn du sie nicht tust und stattdessen heute Abend ausgehst.“

Es war nicht leicht, mit Mr. Perfekt zu diskutieren, und Abby sann fieberhaft nach einer guten Erklärung.

„Ich warte“, sagte er. „Drei Gründe, warum du nicht mal fünf grade sein lassen kannst.“

Abby wusste, dass er ahnte, was sie sagen würde, und versuchte es andersherum. „Mein Studium zum Beispiel.“

„Es ist Samstag, da gibt es keine Vorlesungen.“

„Aber ich stecke bis über beide Ohren in einer schriftlichen Hausarbeit, und Sarah hat bestimmt Pläne und muss irgendwo hingefahren werden.“

„Dann mach deine Hausarbeit heute Nachmittag, und ich bitte Ma, sich heute Abend um Sarah zu kümmern. Welche Ausrede hast du sonst noch?“

„Das Gesundheitsamt.“

„Wie bitte?“

„Die werfen mich aus der Wohnung, wenn ich sie nicht sauber mache.“

Nicks dunklen Augen wurden schmal. „Sag mal, Abby, wovor hast du eigentlich Angst. Etwa vor mir?“

„Natürlich nicht.“ Das stimmte nur zur Hälfte. Abby hatte durchaus Angst davor, mit Nick auf privater Ebene zu tun zu haben.

Was er vorschlug, erinnerte an eine Aschenputtelszene. Mit ihm essen zu gehen, wäre, wie zu einem Ball zu gehen. Mit ihm Spaß zu haben, würde ihr zeigen, wie andere Menschen lebten. Aber um Mitternacht wäre das Märchen zu Ende. Nick hatte recht: Sie hatte Angst, die andere Seite zu sehen. Denn gleich danach würden sich die Pferde und die goldene Kutsche wieder in einen Kürbis und in Wollmäuse verwandeln.

Nick Marchetti war der Prinz im Geschäftsanzug. Er sah gut aus, war witzig und musste sich keine Gedanken darüber machen, ob die Stromrechnung bezahlt werden konnte, wenn er während einer Kälteperiode zu viel verbrauchte. Er lebte Welten von ihr entfernt. Aber irgendwann würde auch sie dazu kommen, sich zu amüsieren, auszugehen und Freundschaften zu pflegen.

Der Anfang würde schwierig werden. Darum wollte Abby erst mal abwarten, bis ihr Leben sich vereinfachte und sie überhaupt Zeit für einen Mann hätte. Sie hatte genug innere Narben, um davon überzeugt zu sein, dass alles schief gehen würde, wenn sie nicht geduldig auf ihre Stunde wartete. Sobald sie mehr Raum hätte, würde sie es versuchen. Auch wenn andere Männer nicht mit Nick zu vergleichen waren.

Am meisten beunruhigte sie, wie sie das heikle Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatem einhalten sollte. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Abby große Verantwortung übernommen. Sie wusste nicht, wie man mit gerichtlichen Dingen umging und wie sie mit dem Elternhaus verfahren sollte. Nick hatte ihr damals mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Neben ihrer Schwester war die Beziehung zu ihm der positivste Aspekt ihres Lebens. Das Bewusstsein, dass es ihn gab, ob sie ihn nun gerade brauchte oder nicht, half ihr durch schwere Zeiten. Das wollte sie keinesfalls aufs Spiel setzen!

„Hör mal, ich rede nur von ein paar Stunden, von einem einzigen Abend. Einem verspäteten Geburtstagsessen zur Volljährigkeit. Damit tätest du mir einen Gefallen.“

„Dir? Wieso denn das?“ Abby liebte es, Nick Marchetti, den Manipulierer, in Aktion zu sehen. Wie würde er diese Verspätung von zweieinhalb Jahren wohl begründen?

„Ich werde es dir erklären.“ Er hob den Zeigefinger. „Erstens würde dadurch mein schlechtes Gewissen entlastet. Und zweitens würde ich meine beste Angestellte damit vielleicht glücklich machen, und ein zufriedener Mitarbeiter ist ein guter Mitarbeiter.“

„Also das alles hast du davon.“

„Nicht nur. Du weißt Nummer drei noch nicht.“

„Also?“

Er hob drei Finger und wackelte damit hin und her. „Wenn du nicht endlich mal ein bisschen Spaß hast, gerätst du in eine Persönlichkeitskrise von astronomischen Ausmaßen. Als Ehrenmitglied der Familie Marchetti hast du das Recht auf ein vollständig bezahltes, elegantes Dinner, bei dem du erfahren kannst, wie man einen wichtigen Geburtstag angemessen feiert. Und gleichzeitig bekommst du damit eine dringend nötige Lektion im Spaßhaben.“

Die Versuchung war da, Abby hatte das Gefühl, dass etwas tief in ihr Schlummerndes geweckt wurde. Sie bekam große Lust, mal etwas Aufregendes, etwas ganz Besonderes zu erleben. Allein die Vorstellung, einen ganzen Abend mit dem begehrten Nick Marchetti zu verbringen, war Stoff für Träume!

Aber dann gewann die Vernunft wieder die Oberhand und brachte sie dazu, skeptisch zu reagieren. „Ich weiß nicht recht, Nick …“ Sie mochte ihrem Gefühl einfach nicht gehorchen.

„Du kannst gar nicht Nein sagen, denn sonst werfe ich dich über meine Schulter und trage dich einfach davon. Ich dachte, du wüsstest, dass man sich lieber nicht mit einem Marchetti anlegt.“ Nick seufzte. „Ich habe schon befürchtet, dass Körperkraft über die Vernunft siegen wird.“

Abby neigte dazu, zuzustimmen, aber nicht, weil er mit Gewalt drohte. Eigentlich konnte sie nicht gut ablehnen. Nick wollte es offenbar absolut und hatte auch schon eine Idee, wie er es gestalten wollte. Da wäre sie doch dumm, seine Einladung nicht anzunehmen.

„Also gut, um meine Würde zu wahren, bin ich einverstanden.“ Gleich danach sagte sie: „Oh je, was ziehe ich denn bloß dazu an?“

„Das Feinste, was du hast. Das ist mal eine Gelegenheit, so etwas zu tragen. Ich habe nämlich schon ein bestimmtes Lokal im Auge.“

Abby berührte seinen Arm. „Danke, Nick.“

„Kein Grund, mir zu danken. Einen meiner Gründe habe ich noch vergessen. Ma findet, ich arbeitete zu viel und sollte mich endlich auch mal amüsieren. Vielleicht ist sie nun endlich zufrieden.“

Abby blickte ihn ernst an. „Du solltest froh sein, eine solche Mutter zu haben.“

„Na ja, das war scherzhaft gemeint. Aber jetzt überlasse ich dich deinen Pflichten.“ Er tippte ihr auf die Nase. „Also, ich hole dich um halb acht ab. Sei pünktlich. Und Ausreden lasse ich nicht gelten.“

3. KAPITEL

„Oh, Nick …“ Abby fehlten die Worte.

Sie hatten sich gerade in einem exklusiven Restaurant oberhalb des San Fernando Valley, von wo aus man die Lichter der Stadt sehen konnte, an einen Fenstertisch gesetzt.

„Na, gefällt dir die Aussicht?“, fragte Nick.

Abby lächelte. „Sie ist wirklich atemberaubend!“

„Das finde ich auch.“

Abby bemerkte, dass er nicht nach draußen sah, sondern sie anschaute. Sein Blick war so, dass es ihr kurz den Atem nahm. So hatte er sie noch nie angesehen!

„Ist irgendetwas?“, fragte sie. „Habe ich Lippenstift auf den Zähnen? Ist die Wimperntusche verschmiert? Sitzt das Kleid nicht?“

„Nein, du siehst wunderbar aus.“

„Warum starrst du mich dann so an?“

„Es ist nur …“ Er zuckte die Achseln. Nick Marchetti gingen eigentlich nie die Worte aus, eine solche Situation gab es nicht. Das war bemerkenswert.

„Was denn?“, hakte sie nach. Ein Kompliment von ihrem Chef war gegen ihre Vorsätze, na und? Den Rest des Abends könnte sie sich doch noch entspannen.

„So wie jetzt siehst du bei der Arbeit nie aus“, versuchte Nick es zu erklären.

„Heißt das, ich bin unpassend gekleidet?“ Abby trug das einzig elegante Kleid, das sie besaß. Ein langärmeliges schwarzes Kleid mit knielangem weiten Rock und einem spitzengesäumten Ausschnitt. Sie hatte es schon vor einem Jahr zur Weihnachtsfeier angehabt, aber daran erinnerte Nick sich offenbar nicht.

In diesem Augenblick kam der Kellner. „Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?“

Nick bestellte einen Scotch, Abby ein Glas Weißwein.

Der Kellner räusperte sich verlegen. „Miss, dürfte ich Ihren Ausweis sehen?“

Überrascht nahm Abby ihre Handtasche. Sie war froh, dass sie ihren Führerschein bei sich hatte, und reichte ihm das Dokument. Der Kellner nickte und sagte: „Ich bringe die Getränke sofort.“

Nick schien sich diebisch zu freuen.

„Ah, ich verstehe. Das hast du dem Empfangschef zugeflüstert, als wir ankamen“, meinte Abby.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

„Nun komm schon, Nick, du hast ihn doch dazu gebracht, mich nach meinem Ausweis zu fragen, oder?“

„Wenn das jetzt wirklich dein einundzwanzigster Geburtstag wäre, hätten die das von allein getan. Du siehst kaum älter aus als Sarah.“

Abby wusste nicht recht, ob ihr das gefiel. „Dafür muss ich mich wohl bedanken“, meinte sie etwas ungehalten. Trotzdem gefiel es ihr, dass er es getan hatte.

Der Kellner kam erneut und stellte die Getränke auf den Tisch. Dann verschwand er wieder, während Nick und Abby ausgiebig die Speisekarte studierten.

Nachdem er sich für ein Gericht entschieden hatte, nippte er an seinem Whisky, legte die Ellbogen auf den Tisch und schaute Abby an. „Nun erklär mir mal, wieso du eigentlich nie ausgehst?“

Abby überlegte, ob sie die Frage beantworten wollte. „Woher weißt du denn, ob ich es tue oder nicht?“, stellte sie eine Gegenfrage.

„Sarah erzählt mir regelmäßig, was bei den Ridgeway-Schwestern so los ist. Sie findet, du lebst wie eine Nonne.“

„Sie ist aber auch ganz verrückt nach Jungs.“ Abby schüttelte lachend den Kopf. „Ihrer Meinung nach ist man reif fürs Kloster, wenn man nicht ausschließlich mit dem anderen Geschlecht beschäftigt ist. In ihrem Alter war ich vermutlich genauso.“

„Sarah sagt, sie müsse erst sechzehn werden, bevor du ihr erlaubst, mit einem Jungen auszugehen. In welchem Alter hast du es denn gemacht?“

„Mit sechzehn. Aber da durfte ich noch nicht allein ausgehen, sondern nur in einer Gruppe.“ Abby spielte mit dem Fuß des Weinglases und drehte es, sodass das Kerzenlicht sich darin brach. „Zu der Zeit fand ich allerdings, dass meine Eltern wie aus dem Mittelalter waren. Nun sehe ich, dass sie nur klug waren. Aber die Zeiten haben sich geändert, heute werden die Jugendlichen schneller erwachsen. Ich mache mir große Sorgen um Sarah und fürchte, sie hört nicht wirklich auf mich. Ich wollte, Mom und Dad wären noch da.“

„Beide Eltern, die sich dann auch noch einig sind, sind bestimmt das Beste, besonders wenn man ein Teenager ist.“

„Selbst wenn die Eltern nicht immer einer Meinung sind“, fügte Abby hinzu.

Wenn es den Unfall nicht gegeben hätte und sie die Gelegenheit gehabt hätten, ihre Probleme auszudiskutieren, wären ihre Eltern vielleicht zusammengeblieben. Nun würde man das nie mehr erfahren. Inzwischen hatte Abby gelernt, mit dem bitteren Gefühl zu leben, dass auch sie indirekt schuld war an dem Unfall, aber es kam noch immer gelegentlich in ihr hoch.

„Was heißt das?“, fragte Nick und schaute Abby erstaunt an.

„Nichts. Ich liebe meine Schwester und möchte, dass sie all das hat, was ich nicht gehabt habe. Ich gebe mir große Mühe, mich um alles zu kümmern.“

„Du hast mich als Freund, das verspreche ich. Wähle einfach das große M wie Marchetti, und schon bin ich da.“ Er lächelte. „Ich werde dir helfen, Sarah in Schach zu halten. Aber du hast das Thema gewechselt. Wieso gehst du nie aus?“

„Ich habe keine Zeit.“ Abby fingerte an dem Papierdeckchen herum, das unter dem Weinglas lag. „Seit dem Tod von Mom und Dad habe ich einfach zu viel zu tun.“

„Du bist nie ausgegangen?“, fragte Nick, und sein entsetztes Gesicht brachte Abby beinahe zum Lachen. „Aber du warst doch erst achtzehn!“

„Ich habe es ein paar Mal probiert, aber es funktionierte nicht. Es war zu kompliziert.“ Sie blickte zum Fenster hinaus und überlegte, wie sie das Thema wechseln könnte. „Hör mal, ich würde gern mit dir über den Plan für das Restaurant sprechen …“

„Warte bitte.“ Nick hob die Hand, um Abby zum Schweigen zu bringen. „Habe ich dir nicht die Regeln für heute Abend erklärt?“ Abby schüttelte den Kopf. „Dann lass es mich jetzt tun. Wir sind Freunde, die heute Abend zusammen sind, um es sich gut gehen zu lassen. Von der Arbeit wird nicht geredet. Ist das klar?“ Er nahm einen kleinen Schluck. „Und nun erzähl mir, wieso du es schwierig fandest, mit jemandem auszugehen.“

Abby versuchte sich zu erinnern. Das Problem dabei war, dass sofort Dinge hochkamen, die besser im Dunkeln blieben. Dinge wie der Schmerz. Aber sie wusste, dass Nick keine Ruhe geben würde. Wenn er etwas wollte, war er wie ein Hund, der seinen Lieblingsknochen nicht hergab. Also brachte sie es lieber schnell hinter sich.

„Erstens brauchte ich zu viel Zeit für mich, was meinen jeweiligen Verehrern nicht passte.“

„Was noch?“

„Dann musste ich jemanden finden, der auf Sarah aufpasste und den ich bezahlen konnte.“

„Ah, ja.“ Nicks Stimme klang sachlich, aber seine Stirn war gefurcht, als sei dieser Gedanke neu für ihn. „Ich habe allerdings das Gefühl, da ist noch mehr“, vermutete er.

„Ich arbeitete, ging zur Schule und kümmerte mich um meine Schwester. Allein das kostete viel Zeit. Und beide Eltern auf einmal zu verlieren ist eine ziemlich traumatische Erfahrung.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Nick legte eine Hand auf ihre, streichelte sie und drückte sie aufmunternd.

Abby hätte diese Berührung am liebsten länger genossen, aber das sollte sie besser nicht zulassen. Nick konnte sich einbilden, dass sie einfach Freunde waren, die mal zusammen essen gingen. Sie dagegen durfte nicht vergessen, dass er der Chef des Unternehmens war, für das sie arbeitete. Nicht dass sie Angst um ihren Job haben musste. Nick würde sie niemals hinauswerfen, es sei denn, sie würde total durchdrehen. Doch sie hatte Angst davor, dass ihre Beziehung sich möglicherweise ändern könnte. Bis sie mehr Zeit hätte, war es sinnlos, Energie für so etwas zu verschwenden, erst recht, sich wirklich für jemanden zu begeistern.

Doch trotz dieser Bedenken schaffte sie es nicht, ihre Hand wegzuziehen. Diesen Abend wollte sie einfach mal genießen, denn er würde sich bestimmt nicht wiederholen. Und es konnte ja nicht schaden, wenn Nick mal ihre Hand hielt …

„Sarah wurde immer fast hysterisch, sobald sie mich aus den Augen verlor“, fuhr Abby fort und entspannte sich ein bisschen. „Es gab einfach nicht den richtigen Zeitpunkt fürs Ausgehen. Die wenigen Jungs, die den Mut hatten, mich zu fragen, verloren die Geduld, bis ich endlich alles geregelt hatte, um mal zu einem Fast Food-Dinner oder mit ihnen ins Kino zu gehen.“ Abby lächelte, um den Schmerz zu vertreiben, den sie empfand. „Schließlich ließen sie es ganz.“

Es war Zeit vergangen, aber offenbar nicht genug. Die Erinnerung tat noch immer weh. Erst der Schock über den Verlust der Eltern. Dann die Einsamkeit, als ihre Freunde langsam aufhörten, bei ihr anzurufen, weil sie nie Zeit für sie hatte. Dann die Arbeit im Restaurant. Dort musste sie junge Pärchen bedienen, Verliebte. Das Bewusstsein, dass sie das nicht erlebte!

Abby hatte sich vorgenommen, sich erst um ihr Liebesleben zu kümmern, wenn Sarah auf dem College wäre. Das war jedoch noch eine Weile hin.

Ihre Haut prickelte, als Nick erneut ihre Hand drückte.

„Es lohnt sich, auf die schönen Dinge im Leben zu warten, Abby. Diese Jungs waren jung und unerfahren.“

Entweder lag es an seiner Berührung oder daran, dass ihr der Wein zu Kopfe stieg. Jedenfalls fühlte Abby sich auf einmal wie beschwipst. Sie löste ihre Finger aus seinem Griff und legte sie auf den Tisch. „Warst du eigentlich jemals jung und unerfahren, Nick?“

Er schaute sie düster an. „Ist das anfangs nicht jeder?“

Sein Tonfall weckte Abbys Neugier. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du jemals in deinem Leben eine Dummheit begangen hast.“

„Wie kommst du denn darauf?“

Wieder eine Frage statt einer Antwort. „Das ist mein Eindruck. Du wirkst so reif und selbstbewusst. Als der Älteste von euch fünf, kümmerst du dich immer um alles. Männer wie du fällen keine spontanen, unüberlegten Entscheidungen.“

„Wirklich?“

Die dritte Gegenfrage! Das wurde ja allmählich seltsam. „Dein Leben ist perfekt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du jemals etwas Unüberlegtes getan hast.“

„Doch, ich habe mal geheiratet.“ Nick erschrak beinahe, dass ihm dieses Geständnis herausgerutscht war.

Und Abby war ebenfalls völlig erstaunt. „Du bist verheiratet?“

„Nicht mehr.“ Nick erwartete, dass ihn der Zorn und der Schmerz über die Demütigung erneut überkommen würden.

„Erzählst du mir davon, oder möchtest du es einfach so stehen lassen?“

Nick wusste nicht mehr, wieso er es überhaupt gesagt hatte, aber nun glaubte er, Abby eine Erklärung schuldig zu sein. „Es war vor etwa fünf Jahren, kurz bevor wir beide uns kennenlernten und ich das Restaurant in Phoenix eröffnete. Ich stellte eine Empfangschefin ein, die mir sehr empfohlen wurde, und verliebte mich auf Anhieb in sie.“

„Was ist mit ihr?“

„Sie war mit jemandem liiert, aber der verließ sie, als sie feststellte, dass sie schwanger war.“

„So ein Mistkerl.“

„Allerdings. Sie vertraute sich mir an, und ich war so verrückt nach ihr, dass ich mich um sie und das Kind kümmern wollte. Ich machte ihr einen Heiratsantrag, sie nahm ihn an, und wir heirateten in Las Vegas.“

„Und was geschah dann?“

„Der Ex-Freund tauchte wieder auf.“

„Zu spät und ohne einen Penny“, vermutete Abby.

„So ähnlich, aber sie hat ihn wieder zurückgenommen.“ Als Abby etwas sagen wollte, hob Nick abwehrend die Hand. „Sie wollte ihm noch eine Chance geben, immerhin war er ja der Vater ihres Kindes.“

„Ihr habt euch also scheiden lassen.“

Nick schüttelte den Kopf. „Schlimmer. Sie ließ die Ehe annullieren, so als hätte sie nie stattgefunden.“

Abby versuchte zu verdauen, was sie da gehört hatte. „Gut.“

„Gut?“

„Absolut. Wenn sie zu dumm war zu begreifen, was für ein wunderbarer Mann du bist – schon deshalb, weil du das Kind eines anderen akzeptiert hättest –, bin ich froh darüber, dass sie sich von dir getrennt hat. Sie hätte dich gar nicht verdient.“

„Ich weiß nicht recht …“

„Sie hat dir einen Gefallen getan! Und die Annullierung bedeutet, dass du, wenn du noch mal heiratest, es auch kirchlich tun kannst.“

„Das werde ich niemals tun, ich bin jetzt überzeugter Junggeselle.“

„Ah, so. Ist das der Grund, warum du Madison nicht heiraten willst?“

Donnerwetter, Abby redete nicht lange um den heißen Brei herum.

„Kannst du das nicht verstehen? Denselben Fehler zwei Mal zu machen wäre doch der Gipfel von Dummheit“, sagte Nick bitter. Wann immer ihn der Gedanke streifte, eine Familie zu gründen, wurde ihm durch die Erinnerung an diese Blitzheirat geradezu übel. „Erst hat sie mich benutzt und dann br...

Autor

Teresa Southwick
<p>Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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