Julia Collection Band 181

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Auf dem Barrington-Gestüt entsteht ein Film über das Familienoberhaupt. Doch was abseits der Dreharbeiten geschieht, ist weit aufregender als alles, was auf der Leinwand zu sehen sein wird …

MINISERIE VON JULES BENNETT

HALT MICH, WENN ICH FALLE
Auf den ersten Blick ist Ian von Cassies natürlichem Sex-Appeal verzaubert. Dabei steht Cassie für alles, was für den Hollywood-Agenten niemals infrage kommt: Sie lebt auf dem Land, auf einem Gestüt. Sie ist alleinerziehende Mutter. Und sie glaubt tatsächlich an die Liebe für ein ganzes Leben …

EINE ALLZU VERLOCKENDE HERAUSFORDERUNG
Sexy, selbstbewusst und scharfzüngig: Tessa Barrington ist die größte Herausforderung, der Grant Carter jemals begegnet ist! Solange er über diese zierliche Schönheit, ihre aufregende Karriere und ihre einflussreiche Familie eine Doku dreht, hat er Zeit, sie von sich zu überzeugen!

NUR DIR BIN ICH VERFALLEN
Der Liebe verfallen! Ein neuer Filmtitel? Nein, diesmal muss Hollywood-Star Lily Beaumont ihre Gefühle nicht spielen. Denn während der Dreharbeiten auf einem Gestüt wird sie von dem gut aussehenden Pferdepfleger Nash in eine sinnliche Welt entführt, in der nur eines zählt: echte Gefühle und pures Verlangen!


  • Erscheinungstag 03.02.2023
  • Bandnummer 181
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519366
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jules Bennett

JULIA COLLECTION BAND 181

1. KAPITEL

Ups!

Wie aus heiterem Himmel landete plötzlich eine Frau in Ian Shaffers Armen. Eine zierliche Frau mit Rundungen an genau den richtigen Stellen. Ein Teil ihres Gesichts wurde von ihrem seidigen roten Haar verborgen. Als sie einige der widerspenstigen Strähnen beiseitestrich und den Kopf hob, blickte Ian in die wohl faszinierendsten blauen Augen, die er jemals gesehen hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Ian. Er besuchte die Ställe von Stony Ridge Acres heute zum ersten Mal – und schon fiel ihm diese Schönheit wortwörtlich in die Hände. Perfektes Timing.

Auffordernd drückte sie gegen seine Schulter. Ian dachte jedoch gar nicht daran, sie loszulassen. Ihre sinnlichen Kurven schmiegten sich geradezu perfekt an seinen Körper. Obendrein spürte er, dass sie zitterte.

Von Pferden mochte er wenig Ahnung haben, doch was Frauen anbelangte … Oh ja, mit Frauen kannte er sich hervorragend aus.

„Danke, dass Sie mich aufgefangen haben.“

Beim heiseren Klang ihrer Stimme war Ian froh über seinen Entschluss, hierherzukommen. Er wollte dem Filmset auf dem Gestüt einen Besuch abstatten, um sich höchstpersönlich um die Bedürfnisse seines Klienten Max Ford zu kümmern … und um seiner wachsenden Riege an Topstars eine weitere Schauspielerin hinzuzufügen – so hoffte er zumindest.

Im Gegensatz zu Ian machte sich kaum ein Agent so häufig die Mühe, Drehorte zu besuchen. Doch er wusste, dass sich ihm hier eine einmalige Chance bot: Er konnte Max bei Laune halten und seiner potenziellen neuen Klientin Lily Beaumont zugleich demonstrieren, dass er ein unglaublich guter und engagierter Agent war.

Ian schaute zur Leiter, die auf den Heuboden des weitläufigen Stalles hinaufführte. Eine Sprosse hatte sich offensichtlich gelöst und den Sturz dieser entzückenden Lady verschuldet.

„Sie sollten Ihre Leiter reparieren“, bemerkte er und blickte erneut in ihre großen, ausdrucksvollen blauen Augen.

„Das hatte ich vor“, erklärte sie ihm. Ian fiel auf, wie sie dabei sein Gesicht und seinen Mund musterte. „Sie können mich jetzt übrigens absetzen.“

Allmählich wurde sie merklich nervös. Kein Wunder, er hielt sie ja bereits eine ganze Weile in den Armen. Trotzdem ließ Ian sich nicht aus der Ruhe bringen und stellte sie betont bedächtig wieder auf die Beine.

Zwar war er eigentlich aus rein beruflichen Gründen hier. Das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass er nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen und die Vorzüge dieser verlockenden Frau ein wenig genießen durfte.

Ian hielt weiterhin ihren Arm und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. So wollte er mögliche Anzeichen einer Verletzung entdecken – jedenfalls redete er sich das halbherzig ein. Tatsächlich wollte er diese Frau jedoch ganz genau in Augenschein nehmen. „Sind Sie verletzt?“

„Nur mein Stolz.“ Sie trat zurück, löste sich von ihm und zupfte ihr kariertes Hemd zurecht. „Ich bin Cassie Barrington. Und Sie?“

Er streckte ihr die Hand hin. „Ian Shaffer. Ich bin Max Fords Agent.“

Und wenn alles gut ging, hatte er sehr bald auch Max’ Ko-Star Lily unter Vertrag. Seiner Konkurrenz würde er sie nicht überlassen – wenigstens nicht kampflos. Vielleicht würde sein schwer zu beeindruckender Vater dann endlich anerkennen, dass Ian etwas von seinem Job verstand. Er galt inzwischen nicht umsonst als Topagent und wichtiger Mann in der Filmindustrie.

Ians Leben in der Glitzerwelt von L. A. – mit jeder Menge Partys und Frauen – war durchaus nicht zu verachten. Dennoch genoss er es, dem Glamour hin und wieder den Rücken zu kehren und sich an den verschiedenen Drehorten seiner Klienten aufzuhalten. Und die zusätzliche Mühe zahlte sich aus: Am Filmset konnte er nicht nur Beziehungen zu den Produzenten aufbauen und die Drehbuchautoren und Schauspieler besser kennenlernen; er konnte seinen Klienten zudem die Rollen sichern, die am besten zu ihnen passten.

Die Rolle, die Max diesmal spielen sollte, war perfekt für ihn. In diesem Film sollte er den dynamischen Damon Barrington verkörpern, einen berühmten Pferdezüchter und ehemaligen Jockey.

„Ach ja! Max erwähnte, dass Sie kommen würden“, erwiderte die Frau nun. „Tut mir leid, dass ich auf Sie gefallen bin.“ Sie musterte ihn schnell. „Ich habe Ihnen hoffentlich nicht wehgetan, oder?“

Ian schob die Hände in die Taschen und schenkte ihr ein Lächeln. Es störte ihn keineswegs, von ihr begutachtet zu werden. „Aber nein“, versicherte er. „Mir gefiel diese Art der Begrüßung sogar recht gut.“

Etwas trotzig streckte sie ihr Kinn vor. „Ich bin für gewöhnlich nicht so ungeschickt … Oder werfe mich Männern in die Arme.“

„So?“, fragte er und unterdrückte ein Lachen. „Wie schade!“

„Und Sie? Schnappen Sie sich für gewöhnlich jede Frau, der Sie begegnen?“

Einer solch provokanten Frage konnte Ian nicht widerstehen. Er ging einen Schritt auf Cassie zu – und stellte zufrieden fest, dass sich ihre Augen weiteten. „Eigentlich nicht“, antwortete er. „Aber in Ihrem Fall mache ich eine Ausnahme.“

„Na, da kann ich mich glücklich schätzen“, entgegnete sie ironisch. „Max müsste in seinem Wohnwagen sein. Sein Name steht außen an der Tür. Soweit ich weiß, wurde auch ein eigener Wohnwagen für Sie gebracht.“

Offenbar hatte sie es eilig, ihn loszuwerden. Ian dagegen gefiel ihre Gesellschaft immer besser. Er fand Cassie geradezu erfrischend. Zur Abwechslung traf er hier mal jemanden, der sich nicht um seinen Rang in Hollywood scherte und der sich von seiner Macht oder seinem Reichtum unbeeindruckt zeigte. Und dass es sich bei diesem Jemand um eine Frau mit ausdrucksstarken himmelblauen Augen und einer herrlichen Figur handelte, war das Tüpfelchen auf dem i.

Auf seinem Rücken spürte Ian das warme Sonnenlicht, das durch die geöffneten Tore in den Stall fiel. Der Frühling neigte sich dem Ende, der Sommer stand unmittelbar vor der Tür – und mit ihm der Start der Blockbuster-Saison. Sobald dieser Film abgedreht war und Ian Lily unter Vertrag genommen hatte, würde seine Agentur ihren Platz an der Spitze behaupten. Dann müsste er sich keine Gedanken mehr um seinen Expartner machen, der mittlerweile zu einem Rivalen geworden war.

Direkt nach dem Collegeabschluss hatte Ian auf Empfehlung eines seiner Professoren hin die Gelegenheit erhalten, in eine Firma einzusteigen. Einige glückliche Zufälle und kluge geschäftliche Entscheidungen hatten es ihm bald darauf ermöglicht, seine eigene Agentur zu gründen. Leider hatte er sich dabei jedoch auf einen Geschäftspartner eingelassen, der ihm bei erster Gelegenheit in den Rücken gefallen war: Heimlich hatte er ihre gemeinsamen Klienten abwerben wollen, um sie exklusiv für sich zu gewinnen.

Ian musste Lily unbedingt von sich überzeugen und unter Vertrag nehmen. Das verlangte sein gekränkter Stolz. Aber wie um alles in der Welt sollte er sich auf seine Arbeit konzentrieren, wenn diese sinnliche Frau hier ihn mit ihren prachtvollen Kurven ablenkte?

„Also sind Sie die Trainerin, und Ihre Schwester ist die berühmte Reiterin?“, erkundigte er sich.

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, gab sie zurück. „Beeindruckend, dass Sie über mich und meine Schwester Bescheid wissen.“

„Ich recherchiere stets gründlich. Man könnte durchaus behaupten, dass ich als Agent meine Augen und Ohren überall habe.“

„Und Ihre Hände offenbar auch.“

Oh, was für eine vielsagende Anspielung … die er nur allzu gern in die Tat umsetzen würde. Ohne die Augen von ihr abzuwenden, trat er noch näher an sie heran. Sie hielt seinem Blick stand, blinzelte nicht einmal. An ihrem Hals bemerkte er jedoch, dass ihr Puls sich sofort beschleunigte.

Im Stillen verfluchte Ian seine beruflichen Verpflichtungen. Andererseits würde ein netter Flirt – oder eine kleine Affäre – diesen Abstecher bestimmt noch spannender für ihn machen.

„So ist es“, flüsterte er. „Falls Sie es testen möchten, lassen Sie es mich wissen.“

Sie betrachtete seine Lippen. Ian musste sich zusammenreißen, um sie nicht an sich zu ziehen und zu küssen. Nein, es blieb noch genügend Zeit für … alles, zu dem sie bereit war. Außerdem gehörte die Jagd für ihn zum Vergnügen.

„Sie wissen ja, wo mein Wohnwagen steht“, fügte er hinzu. Mit diesem moralisch nicht ganz einwandfreien Angebot wandte er sich ab und verließ den Stall. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, wie sie ihm mit offenem Mund nachstarrte.

Dieser Trip erwies sich schon jetzt als sein bisher aufregendster Besuch bei einem Filmdreh. Dabei hatte er noch gar nicht mit seinem Klienten gesprochen.

Cassie packte Macduffs Führleine fester. Das Pferd hatte sich noch nicht auf dem Gestüt eingelebt und gebärdete sich scheu und launenhaft. Sie arbeitete jedoch Tag für Tag mit ihm, und langsam machte Macduff Fortschritte. Hin und wieder ließ er sich sogar von Cassies Vater reiten. Allerdings verfügte Damon Barrington auch über ein wirklich außergewöhnlich gutes Gespür für Pferde.

Mittlerweile versuchte Macduff immerhin nicht mehr, vor Cassie zu flüchten. Nun musste sie es nur noch schaffen, dass er ihren wortlosen Kommandos gehorchte. Damit zeigte Cassie den Tieren zum Beispiel, dass sie sich ihrer Führung und ihrer Geschwindigkeit anzupassen hatten.

Die Arbeit mit Macduff und den anderen Pferden war einer der Gründe, die zum Scheitern ihrer Ehe geführt hatten. Ihrem Exmann Derek zufolge hatte sie zu viel Zeit mit ihren „Findelkindern“ verbracht. Es hatte ihn gestört, dass sie jedem in Not geratenen Tier helfen wollte.

Doch Tiere zu retten, würde Cassie niemals aufgeben. Insbesondere, nachdem es ihr nicht gelungen war, ihre Ehe zu retten. Ihrem Mann hatte mehr an anderen Frauen und an Alkohol gelegen als an ihr und ihrem Baby. Sein Pech. Trotzdem saß der Schmerz über die Trennung noch immer tief.

Sie rief sich zur Ordnung und konzentrierte sich wieder auf die Trainingsroutine. Heute war sie mit ihrer Arbeit ein wenig im Rückstand.

Seit dem frühen Morgen und dem Sturz vom Heuboden in die Arme dieses gut aussehenden Fremden war Cassie völlig durcheinander. Für den Bruchteil einer Sekunde hätte sie sich beinahe sogar seiner kraftvollen Umarmung hingegeben. Aber dann hatte sie die Erkenntnis wie eine Ohrfeige getroffen: Schon einmal war sie auf einen Schwätzer hereingefallen. Sie war ihm nicht nur auf den Leim gegangen, sondern hatte ihn auch noch geheiratet und ein Kind von ihm bekommen – und seitdem nichts mehr von ihm gehört oder gesehen.

Nie wieder wollte sie sich von einem Mann zum Narren halten lassen. Das hatte sie sich geschworen. Ganz bestimmt würde sie sich nicht durch ein hübsches Lächeln einwickeln oder sich von erregenden Berührungen die Sinne verwirren lassen.

Dummerweise waren all diese guten Vorsätze schlagartig vergessen gewesen, als sie unvermittelt in Ians Armen gelandet war. Dafür konnte man ihr allerdings kaum einen Vorwurf machen, oder? Bei diesem Prachtkerl wäre es wahrscheinlich jeder Frau so ergangen.

Schluss damit! Sie musste auch an ihre Tochter denken. Die kleine Emily war vor Kurzem ein Jahr alt geworden und definitiv das Wundervollste, was aus Cassies Ehe mit Derek hervorgegangen war. Wenn Emilys Vater sein eigenes Kind nicht sehen wollte, war das seine Entscheidung.

Also: keine sexy Männer mehr, die sich für Gottes Geschenk an die Menschheit hielten. Dennoch musste Cassie sich eingestehen, dass es zwischen Ian und ihr geknistert hatte. Er war so stark, sein Duft war so männlich. Und er hatte sie angesehen, als hielte er sie tatsächlich für eine schöne, begehrenswerte Frau.

Sie selbst fühlte sich seit Emilys Geburt eher reizlos und pummelig. Die Schwangerschaftspfunde wollten einfach nicht verschwinden. Dass ihr Mann sie für eine andere Frau verlassen hatte, setzte ihrem Selbstbewusstsein zusätzlich zu.

Sich auf einen attraktiven Kerl mit wundervollen Augen und einer beeindruckenden Ausstrahlung einzulassen, war vor allem zurzeit keine gute Idee: Sie musste ihrer Schwester Tessa helfen. Schon fast ihr ganzes Leben arbeiteten die beiden eng zusammen. Gemeinsam träumten sie davon, eines Tages die drei wichtigsten Rennen des Landes und damit die Triple Crown zu gewinnen. Wem das gelang, der schrieb nämlich Geschichte – so wie ihr Vater.

Einen der drei Wettbewerbe hatten sie bereits gewonnen, zwei weitere standen noch aus.

Und gerade jetzt sollte das Gestüt der Barringtons als Schauplatz für einen Film dienen. Das Drehbuch erzählte die Lebensgeschichte von Cassies Vater, von seiner Karriere als Reiter und seiner legendären Siegesserie. Das Filmprojekt hatte die Topstars von Hollywood auf den Plan gerufen. Plötzlich standen überall auf dem Grundstück Scheinwerfer herum. Es wimmelte von Beleuchtern, Tontechnikern, Komparsen und Sicherheitskräften.

Cassie freute sich, dass der attraktive Schauspieler Max Ford ihren Vater verkörpern würde. Cassies verstorbene Mutter sollte von Lily Beaumont dargestellt werden, einer echten Südstaatenschönheit. Bisher lieferten die beiden wirklich hervorragende Arbeit ab. Cassie konnte es kaum erwarten, den fertigen Film zu sehen.

Um ihr Glück komplett zu machen, stand Cassie zudem kurz vor der Eröffnung ihrer eigenen Reitschule für behinderte Kinder. Seit sie selbst ein Kind hatte, verspürte sie den Wunsch nach einem etwas ruhigeren Leben. Die Reitschule ins Leben zu rufen wäre nach dem traurigen Ende ihrer Ehe ein großer Schritt nach vorne. Nun musste sie nur noch das nötige Geld zusammensparen. Ihren Vater oder sonst jemanden um die Summe zu bitten, kam für sie nicht infrage.

„Träumst du?“

Ohne den Griff um die Führleine zu lockern, blickte Cassie über die Schulter hinweg zu Tessa. Ihre Schwester näherte sich mit langsamen Schritten. Macduff wurde von allen noch immer wie ein rohes Ei behandelt. Doch eines Tages würde er begreifen, dass die Menschen hier seine Freunde waren.

„Ein bisschen vielleicht“, gestand Cassie und brachte das Pferd behutsam dazu, in leichten Trab zu verfallen. „Gib mir noch ein paar Minuten. Dann können wir anfangen.“

Tessa schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans. „Ich würde lieber wissen, wo meine große Schwester heute Morgen mit ihren Gedanken ist“, meinte sie schmunzelnd.

Cassie verdrehte die Augen. Sie führte Macduff ein paar Meter, blieb stehen und ging wieder zurück. Zufrieden stellte sie fest, dass sich der Hengst nicht gegen sie auflehnte. Das Tier folgte ihr anstandslos.

Er lernte. Endlich.

„Es verwundert mich jedes Mal aufs Neue, wie sie dir irgendwann gehorchen“, sagte Tessa sanft. „Du bist so geduldig und behutsam mit ihnen. Sie scheinen fast zu wissen, dass du ihnen nur helfen willst.“

„So ist es ja auch.“ Cassie tätschelte Macduff lobend den Hals. „Er wurde einfach verkannt. Niemand hat sich die Mühe gemacht, richtig mit ihm zu arbeiten.“

„Er wurde misshandelt.“

Cassie schluckte und führte den Hengst zurück zu den Ställen. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass jemand ihn geschlagen hatte – bloß, weil er nicht richtig trainiert worden war. Bereits bei seiner Ankunft auf dem Hof hatte sie geahnt, dass er von seinem Vorbesitzer schlecht behandelt worden sein musste. Sie hatte es an seinen weit aufgerissenen Augen und seinem nervösen Verhalten erkannt. Als Tessa auf seinen Rücken geklettert war, hatte er sie sofort abgeworfen.

Neue Pferde wurden auf Stony Ridge Acres behandelt, als seien sie von edelstem Geblüt; ihre Abstammung spielte dabei keine Rolle. Viele der Tiere errangen daraufhin zahllose Siege. Eigentlich ging es bei der Pferdehaltung jedoch nicht um Siege. Wirklich von Bedeutung waren die Liebe und die Fürsorge für die Pferde. Und zum Glück war Stony Ridge Acres sehr weitläufig. So konnte Cassie problemlos all die Findelkinder aufnehmen, an die sie ihr Herz verlor.

Schon von klein auf hatte sie den Trainern gern zugesehen, die ihr Vater für seine Pferde engagiert hatte. Noch vor einigen Jahren waren weibliche Trainer misstrauisch beäugt worden. Ihr Vater hatte allerdings stets darauf beharrt, dass Frauen von Natur aus sanfter waren als Männer und ihr Konkurrenzdenken weniger stark ausgeprägt war. Eben aus diesem Grund hatte er Frauen immer bevorzugt: Ihre Arbeit brachte Tiere mit ausgeglichenerem Temperament hervor – und Sieger.

„Du hast heute Morgen nicht zufällig diesen Traumtypen gesehen, der neu am Set eingetroffen ist?“, erkundigte sich Tessa, während sie den Putzkasten holte. Sie wollte helfen, Macduff zu striegeln.

Cassie musterte ihre Schwester über den Rücken des Pferdes hinweg. „Bist du nicht verlobt?“

„Verlobt schon, aber nicht tot, Cass.“ Tessa bürstete das Tier mit weiten, kreisförmigen Bewegungen. „Anscheinend willst du mir keine Antwort geben. Ich werte das mal als Bestätigung dafür, dass du ihn gesehen hast.“

Ja, sie hatte ihn gesehen. Sie war in seinen Armen gelandet – und hatte sich in seinen wundervollen Augen verloren, die eine Frau ihre schlechten Erfahrungen glatt vergessen lassen konnten. Möglicherweise hatte sie sich ein wenig zu lange von ihm im Arm halten lassen …

„Du musst zugeben, dass er ein äußerst attraktiver Mann ist“, fuhr Tessa fort.

„Ja, das stimmt.“ Cassie legte den Striegel weg und nahm eine steife Bürste. „Es könnte sogar sein, dass es heute Morgen zu einem kleinen Zwischenfall gekommen ist. Neben mir waren die lockere Sprosse der Heubodenleiter und Mr. Shaffer daran beteiligt.“

Tessa ging um das Pferd herum und ließ die Bürste in den Putzkasten fallen. „Okay, nun spuck aus, was passiert ist“, forderte sie Cassie auf. „Du kennst seinen Namen, und du hast ‚Zwischenfall‘ gesagt. Ich will Details hören.“

Cassie lachte. „Das war keine große Sache, Tess. Ich bin von der Leiter gefallen. Ian war zufällig zur Stelle und fing mich auf.“

„Oh, jetzt heißt er nicht mehr Mr. Shaffer, sondern Ian.“

„Er ist Max’ Agent und hat offenbar die Angewohnheit, seine Klienten am Drehort zu besuchen. Wir haben uns einander vorgestellt“, verteidigte sich Cassie. „Da er mich in den Armen hielt, schien mir das durchaus angemessen.“

„Diese Wendung der Geschichte gefällt mir sehr gut.“ Tessa strahlte.

Erneut musste Cassie lachen. Sie legte ebenfalls die Bürste weg. „Es gibt keine Wendung. Das war im Grunde schon die ganze Geschichte.“

„Liebes, seit Du-weißt-schon-wer weg ist, hast du keinen Mann auch nur namentlich erwähnt und …“ Tessa hob abwehrend die Hand, als Cassie sie unterbrechen wollte. Ungerührt fügte sie hinzu: „Als du seinen Namen ausgesprochen hast, sahst du fast ein bisschen glücklich aus.“

„Das stimmt nicht“, protestierte Cassie.

Ihre Schwester schenkte ihr ein wissendes Lächeln. „Von mir aus, streite es ruhig ab. Aber er ist ein heißer Kerl, und du zeigst endlich mal wieder zumindest ein Fünkchen Interesse für einen Mann. Darum werde ich mich weiterhin an die Hoffnung klammern, dass du die Liebe noch nicht ganz aufgegeben hast. Oder dass du dir wenigstens eine kleine Affäre gönnst.“

„Bei dir klappt es mit der Romantik ja wunderbar, das weiß ich. Doch das bedeutet nicht, dass es bei mir so sein muss“, erwiderte Cassie genervt. „Ich habe es versucht – und es hat nicht funktioniert. Außerdem habe ich neben Emily und dem Training mit dir überhaupt keine Zeit für die Liebe oder auch nur für eine Verabredung.“

„Dafür ist immer Zeit. Es muss ja nicht gleich eine Romanze daraus werden. Trotzdem kannst du ein bisschen Spaß haben. Eine kleine Affäre mit einem gut aussehenden Fremden ist vielleicht gerade genau das Richtige für dich“, erklärte Tessa forsch. „Immerhin hast du mich im letzten Monat dazu genötigt, ein paar Tage freizunehmen. Du musst dir auch Zeit für dich selbst gönnen.“

Damals hatte Cassie sich mit dem Filmproduzenten und Tessas jetzigem Verlobten Grant Carter abgesprochen. Er hatte Tessa dazu bringen wollen, sich eine Auszeit vom Training und ihrem vollen Terminkalender zu nehmen. Und Cassie hatte ihm allzu gern bei diesem Unterfangen geholfen: Ihr war klar gewesen, dass ihre Schwester ein wenig Urlaub bitter nötig gehabt hatte.

Tess hatte den perfekten Mann für sich gefunden. Cassie dagegen hegte ernsthafte Zweifel daran, dass es auch für sie den Richtigen gab. Sie brauchte jemanden, der sie und ihre Tochter liebte und den ihre Liebe zu Pferden nicht störte. Jemanden, der ihrem Leben Stabilität verlieh und bei dem sie sich begehrenswert fühlte. War das etwa zu viel verlangt?

„Ich bin nicht an einem Liebhaber interessiert“, beharrte Cassie. Insgeheim hatte sie es sich jedoch bereits ausgemalt, wie es wohl wäre, sich mit Ian auf eine heiße Affäre einzulassen.

„Aber vielleicht interessiert sich dein potenzieller Liebhaber für dich“, entgegnete Tessa augenzwinkernd.

„Ich habe diesen Mann eben erst kennengelernt. Außerdem bezweifle ich, dass wir uns sehr häufig begegnen werden, was die Chance auf einen Flirt stark vermindert. Tut mir leid, dass ich deinen Hoffnungen einen Dämpfer verpassen muss.“

„Vielleicht solltest du Ian einmal das Anwesen zeigen“, schlug Tessa vor und nahm die Satteldecke und den Sattel ihres Rennpferdes Don Pedro zur Hand.

Seufzend schloss Cassie die Tür von Macduffs Box. „Ich will ihn nicht herumführen. Max ist sein Klient. Er kann das übernehmen.“

„Max wird dazu keine Zeit haben, denn er muss mit Lily die Szene unten beim Weiher drehen. Da müssen wir übrigens unbedingt dabei sein.“

Cassie nickte lächelnd. Sie sah den Schauspielern gern dabei zu, wie sie in ihre Rollen schlüpften. Und sie beobachtete ebenso gern die Reaktionen ihres Vaters, wenn er seine Vergangenheit durch die Augen des Regisseurs noch einmal durchlebte. Keinesfalls würde sie sich die monumentale Szene entgehen lassen, in der Max Lily einen Heiratsantrag machte.

„Ich bemühe mich, damit wir rechtzeitig zu Beginn des Drehs fertig sind“, versicherte Cassie. „Noch ein Grund mehr, weshalb ich keine Zeit für eine Führung mit Ian habe.“

„Also, das ist echt ein Jammer.“

Cassie und Tessa drehten sich gleichzeitig nach der männlichen Stimme um. Und genau wie bei ihrem vorherigen Zusammentreffen verspürte Cassie bereits bei Ians Anblick Schmetterlinge im Bauch. Diesmal konnte sie das Gefühl jedoch nicht auf den vom Sturz ausgelösten Schrecken schieben.

„Wenn Sie Zeit hätten, würde ich mich sehr über eine Tour über das Anwesen freuen“, meinte er und schaute ihr direkt in die Augen. Tessa schien er gar nicht zu bemerken.

Cassie stemmte die Hände in die Hüften – und verfluchte sich im nächsten Moment für diese Geste, denn Ian verfolgte jede ihrer Bewegungen aufmerksam. Wunderbar, jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit auf ihre Hüften gelenkt. Diesen Bereich ihres Körpers sollte er nicht unbedingt so genau begutachten.

„Ich dachte, Sie wollten Max einen Besuch abstatten“, erwiderte sie und überging schlichtweg seine Bitte.

„Ich habe ihn kurz gesprochen und ihm mitgeteilt, dass ich hier bin. Er war gerade mit Grant und Lily in eine Unterhaltung vertieft.“

Cassie sah flüchtig zu ihrer Schwester und bemerkte das breite Grinsen auf ihrem Gesicht. Verflixt.

Mit einer Anmut, die ihrer verstorbenen Mutter sicher gefallen hätte, wandte Tessa sich an Ian und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. „Ich bin Tessa Barrington, Cassies Schwester. Wir freuen uns sehr, Sie hier auf dem Gestüt begrüßen zu dürfen.“

Ian schüttelte Tessa die Hand, und sie tauschten einige Höflichkeiten aus. Gleich darauf betrachtete er allerdings wieder Cassie. Verfügten seine Augen etwa über eine Art Zauberkraft? Warum um alles in der Welt verspürte sie dieses seltsame Ziehen in der Magengegend, wann immer dieser Mann sie ansah?

„Na los, führ Ian ein bisschen herum“, forderte Tessa sie auf. „Ich komme schon allein zurecht.“

Am liebsten hätte Cassie ihre Schwester auf der Stelle mit der Führleine erwürgt. Stattdessen erklärte sie Ian: „Wenn ich Ihnen das Anwesen zeigen soll, müssen wir das leider auf heute Abend oder morgen verschieben.“ Oh, sie hätte auch sofort Zeit gehabt. Aber keinesfalls würde sie sich von diesem Schönling aus Hollywood herumkommandieren lassen. „Sobald ich ein paar Minuten übrig habe, komme ich auf Sie zurück.“

„Also, ich gehe mit Don Pedro nach draußen“, verkündete Tessa. „Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Ian. Wir sehen uns später, Cass.“

Na toll, nun waren sie beide allein. Für diesen hinterhältigen Trick würde Cassie ihrer Schwester auf jeden Fall später den Hals umdrehen.

Ian kam näher, doch Cassie wich nicht zurück. Das hier war schließlich ihr Revier. Ganz egal, wie charmant und sexy und …

Verflixt, er duftete so gut! So männlich … Ian brachte sie vollkommen durcheinander. Wie lange war Cassie schon nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen?

Zu lange. Aber warum fand sie ausgerechnet diesen Typen mit dem übergroßen Ego so aufregend? Konnte sie sich nicht wenigstens ein einziges Mal einen anständigen Kerl aussuchen?

„Ich kann bis morgen warten“, gab er zurück. Er musterte sie, und ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Ich bin ein recht geduldiger Mensch.“

Cassie wollte ihn bremsen, indem sie eine Hand auf seine Brust legte. Keine gute Idee. Sofort durchfuhr sie ein Prickeln. Seine Kraft, seine Muskeln unter ihren Fingern … Oh Himmel, dieser Ian Shaffer hatte eine verdammt sinnliche Ausstrahlung. „Reizend von Ihnen“, antwortete sie spitz, nachdem sie sich zur Ordnung gerufen hatte. „Aber machen Sie sich nicht die Mühe, Ihren Charme bei mir spielen zu lassen. Ich habe keine Zeit für Spielchen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich deutlich älter bin als Sie.“

Ian zuckte mit den Schultern. „Über Ihr Alter habe ich noch gar nicht nachgedacht.“

Cassie lachte. „Nun, ich glaube, ich weiß genau, an was Sie stattdessen gedacht haben.“

Wieder trat er einen Schritt vor, und diesmal musste Cassie zurückweichen. Sie kam jedoch nicht weit: Eine Boxentür versperrte ihr den Weg.

Ian stellte sich vor sie und stützte sich mit beiden Händen neben ihrem Kopf ab. „Dann wissen Sie sicher auch, dass ich Sie attraktiv finde.“ Für einen Moment betrachtete er ihren Mund. „Ich kann die Besichtigungstour mit Ihnen kaum noch erwarten, Cassie.“ Und damit stieß er sich von der Boxentür ab und verließ den Stall.

Wie lange war es her, dass ein Mann ihr Verlangen so schnell geweckt hatte? Cassie spürte die Lust in ihrem Innern pulsieren. Kein Zweifel: Ian konnte ihr gefährlich werden.

Doch sie musste realistisch bleiben. Sie war nichts Besonderes. Wenn sie diesen neuen und intensiven Empfindungen tatsächlich nachgab und sich auf Ian einließ, würde er sich ein paar Monate später wahrscheinlich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern.

Nein, Cassie durfte seinem Charme unter keinen Umständen erliegen.

2. KAPITEL

Cassies Eltern waren zwanzig Jahre lang verheiratet gewesen, bis ihre Mutters eines Tages durch einen Autounfall aus dem Leben gerissen worden war. Cassie hatte stets bewundert, wie liebevoll ihre Eltern miteinander umgegangen waren. Sie hatte sich gewünscht, eines Tages selbst eine so erfüllte Ehe zu führen.

Bedauerlicherweise war Cassie keine glückliche Ehe beschieden gewesen. Rückblickend hatte sie Derek, den ehemaligen Stallknecht der Barringtons, wahrscheinlich einfach zu vorschnell geheiratet. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, eine solche Liebe wie die ihrer Eltern zu finden. Deshalb war sie blindlings davon ausgegangen, dass Derek ihre Vorstellungen von der Ehe teilte. Doch er hatte die Ehe nicht als dauerhaften Bund angesehen.

Wie könnte ich mich nach diesem Verrat jemals wieder auf einen Mann einlassen? fragte sich Cassie traurig und wischte sich eine Träne von der Wange. Sie befand sich auf dem Weg zum Stall. Die Sonne versank bereits langsam hinter den Hügeln, die das Anwesen umgaben. Der Frühling ging stetig in den Sommer über, und die Abende wurden länger.

Die Filmarbeiten waren für den heutigen Tag abgeschlossen. Cassie hatte den Dreh verfolgt und fühlte sich danach aufgewühlt und zugleich von einer unbestimmten Hoffnung erfüllt.

In der Szene hatten Max Ford und Lily Beaumont den Moment perfekt nachgestellt, in dem Cassies Vater ihrer Mutter einen Antrag gemacht hatte. Cassie hatte viele Geschichten über die junge Liebe ihrer Eltern gehört und Fotos aus jener Zeit gesehen. Aber diesen Augenblick selbst mitzuerleben … Sie konnte unmöglich in Worte fassen, wie viel ihr das bedeutete.

Gemeinsam mit Tessa hatte sie das Geschehen beobachtet. Obwohl der Regisseur und die Produzenten die Arbeiten ständig unterbrochen und neu begonnen hatten, war es ein überwältigendes Erlebnis gewesen.

Und wann immer sie verstohlen zu Ian hinübergespäht hatte, waren seine dunklen Augen auf sie gerichtet gewesen. Er hatte sich dabei nicht einmal bemüht, die Hitze in seinem Blick zu verbergen. Irgendwann hatte er zwar seine Sonnenbrille aufgesetzt. Dennoch hatte seine kraftvolle Präsenz sie nicht losgelassen … und ihre Hormone in Aufruhr versetzt.

Schon beim Gedanken an ihn überkam sie prickelnde Lust. Doch sie durfte es nicht zulassen, sich von seinem sexy Körper und seinem unglaublichen Lächeln verwirren zu lassen. Sie musste sich ja bloß daran erinnern, was beim letzten Mal passiert war, als sie sich von ihrem Verlangen hatte leiten lassen. Nein, sie bereute ihre Ehe nicht – schließlich war Emily daraus hervorgegangen. Trotzdem war diese Zeit in ihrem Leben mit Schmerz verbunden. Schmerz darüber, zurückgewiesen worden zu sein. Schmerz darüber, dass ihre Liebe mit Füßen getreten worden war. Es tat noch immer so weh.

Eigentlich war Cassie in der Absicht zum Stall zurückgekehrt, weiter mit Macduff zu arbeiten. Jetzt sah sie jedoch die defekte Sprosse, die noch immer senkrecht von der Leiter herabhing.

Sie hatte den neuen Stallknecht Nash bitten wollen, sich darum zu kümmern. Wegen des emotionalen Filmdrehs hatte sie es allerdings schlichtweg vergessen. Ein weiterer Grund war natürlich ein ganz bestimmter gut aussehender Agent, der ihr permanent durch den Kopf ging …

Nun, dann würde sie eben in den sauren Apfel beißen und die Leiter selbst reparieren. Dadurch könnte sie sich wenigstens von Ian ablenken … Hoffentlich. Es entsprach Cassies Wesen, stets alles in Ordnung zu bringen und ihr Leben nicht aus den Fugen geraten zu lassen. Diesen inneren Drang würde sie mit der Reparatur der Leiter befriedigen. Das „Ian-Problem“ würde vorerst warten müssen.

Cassie nahm einen Hammer und einige lange Nägel aus dem Werkzeugkasten. Danach stieg sie mit den Utensilien langsam die Leiter zum Heuboden hinauf.

Die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten alles in ein weiches Licht. Cassie hörte das Wiehern der Pferde, das Stampfen ihrer Hufe. Die Geräusche im Stall, die vielen Gerüche – niemals würde sie ihrer überdrüssig werden. Sie liebte das Gestüt. Eine tiefe Freude erfüllte sie bei der Vorstellung, dass ihre Tochter in solch einer wunderschönen, friedvollen Umgebung aufwachsen würde. Cassie genoss das Leben im Gästehaus, das sie nach dem Ende ihrer Ehe bezogen hatte. Sie brauchte die Nähe der Pferde und die Gewissheit, dass ihre Familie bei ihr war.

Sie schluchzte erneut, doch die Tränen waren zum Glück versiegt. Cassie mochte es nicht zu weinen. Wut passte so viel besser in ihr Leben. Immerhin war sie nur zwei Monate nach der Geburt ihres Babys sitzen gelassen worden. Tränen hatten ihren verlogenen Ehemann nicht zurückgebracht – der ihr ohnehin gestohlen bleiben konnte. Und sie halfen ihr auch nicht dabei, ihre Tochter großzuziehen oder nach vorne zu blicken und ihrem Kind eine starke Mutter zu sein.

Cassie verharrte mitten auf der Leiter. Sie begutachtete die defekte Sprosse und schob sie behutsam zurück in die Halterung. Um besseren Halt zu finden, stellte sie sich so breitbeinig wie möglich hin. Sie hielt den Hammer fest umklammert und tastete in ihrer Gesäßtasche nach einem Nagel.

„Ich kann Ihnen gern dabei helfen.“

Über die Schulter hinweg schaute Cassie nach unten. Ian stand am Fuß der Leiter und musterte sie. Sie spürte seinen intensiven Blick auf sich. Na super. Ihr Gesicht war bestimmt ganz rot. Manche Frauen mochten verweint gut aussehen, sie jedoch nicht. Ihr lief immer furchtbar die Nase. Außerdem bekam sie jedes Mal hässliche rote Flecken und verquollene Augen.

Cassie zog einen Nagel aus der Tasche und wandte sich wieder um, um ihn einzuschlagen. „Danke für das Angebot, aber ich habe alles im Griff.“

Trotz ihrer Abfuhr blieb Ian unten stehen. Ohne ein weiteres Wort machte Cassie sich nun daran, die Leiter zu reparieren. Schnell hatte sie die Arbeit erledigt und stieg wieder hinab. Als sie die unterste Sprosse erreicht hatte, drängte Ian sich urplötzlich von hinten an sie. Cassie war zwischen der Leiter und seiner beeindruckenden breiten Brust gefangen. Wellen aus Hitze durchfuhren sie. Ein derart intensives Verlangen hatte Cassie nie zuvor empfunden, nicht einmal bei ihrem Ex.

Himmel, dieser sexy Fremde würde ihr noch zum Verhängnis werden.

Sie schluckte und schloss die Augen. Dank Ian wurde Cassie sich ihrer Weiblichkeit deutlich bewusst. Wie lange war es her, dass sie sich begehrenswert gefühlt hatte? War es denn verwerflich, sich zu wünschen, dass ein Mann sie attraktiv fand? Sein muskulöser Körper schmiegte sich geradezu perfekt an ihren. Sein warmer Atem kitzelte sie sacht am Hals. Sein maskuliner Duft hüllte sie ein.

„Warum sind Sie hier?“, wisperte sie, während sie weiterhin die Leiter umklammert hielt.

Ian legte seine Hände über ihre. „Ich habe gesehen, wie Sie hier hineingegangen sind. Sie wirkten bedrückt.“

Empfand er etwa wirklich etwas für sie? Nein, unmöglich. Nicht nach so kurzer Zeit. Nicht für sie. Es war bloß sexuelle Begierde, die ihm die Sinne vernebelte. Und ihr selbst offenbar ebenso: Viel zu sehr genoss sie die Hitze seiner Berührungen …

Welcher Mann folgte schon einer Frau in einen Stall, weil sie bedrückt zu sein schien? Nein. Er war ihr nur aus einem einzigen Grund nachgegangen. Und Cassie fühlte sich dafür noch nicht bereit.

„Es geht mir gut“, erwiderte sie, auch wenn es nicht stimmte.

Ian vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Oje … Cassie hatte sich fest vorgenommen, sich nicht mit einem derart von sich selbst überzeugten Kerl einzulassen. Sie hatte sich selbst davor gewarnt, sich vor lustvollen Gefühlen und gut aussehenden Charmeuren zu hüten. Doch all diese guten Vorsätze waren in diesem Moment vergessen.

„Du bist eine sehr schöne Frau, Cassie“, sagte Ian. Der weiche Klang seiner Stimme verstärkte das Zittern, das sie ohnehin immer in seiner Nähe überfiel. „Ich habe versucht zu ignorieren, dass ich mich zu dir hingezogen fühle. Als ich dich vorhin bei den Dreharbeiten wiedergesehen habe, erwies sich das allerdings als äußerst schwierig. Wie schaffst du es nur, einem Mann so den Kopf zu verdrehen?“

Ähm … Cassie hatte offen gestanden keine Ahnung. Männer um den Finger zu wickeln hatte bislang nicht zu ihren besonderen Fähigkeiten gehört. Sonst wäre sie sicherlich noch immer verheiratet. „Ian, wir kennen uns doch kaum und …“

Er nahm ihr den Hammer aus der Hand. Der schlug dumpf auf dem Betonboden auf.

„Und ich bin älter als du“, fuhr sie fort. „Ich bin vierunddreißig. Du dagegen bist bestimmt noch nicht einmal dreißig.“

Er legte ihr einen Arm um die Taille, hob sie von der Leiter und drehte sie zu sich herum. Sie sahen einander direkt in die Augen – und ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

„Ich bin neunundzwanzig und damit nicht nur alt genug, um zu wissen, was ich will“, antwortete er, „sondern auch, um dementsprechend zu handeln.“ Und damit verschloss er ihren Mund mit seinen Lippen.

Schnell, kraftvoll, gierig war sein Kuss. Cassie blieb keine Zeit, um nachzudenken oder zu widersprechen. Ehe sie sich versah, sank sie auch schon an seine Brust.

Seine Leidenschaft befeuerte ihr eigenes Verlangen noch mehr. Cassie umfasste seine starken Arme. Sich ein wenig ihren Sehnsüchten hinzugeben konnte doch nicht schaden, oder?

Sie spürte, wie Ian eine Spur heißer Küsse auf ihren Hals hauchte. Was machte er nur mit ihr? Cassie legte genüsslich den Kopf in den Nacken und hielt den Atem an. Jede Faser ihres Körpers reagierte auf seine Zärtlichkeiten, verlangte kribbelnd nach mehr.

Halt! Das war falsch. Sie durfte das nicht tun.

Rasch schob sie Ian von sich weg und bedeckte mit der Hand die entblößte Haut im Ausschnitt ihres Hemdes. Die Haut, die er eben mit seinen Lippen erforscht hatte. „Ian, ich kann das nicht … Wir können das nicht …“, setzte sie an. Herrje, ihr Körper wollte etwas komplett anderes als ihr Verstand. „Ich kenne dich doch kaum.“

„Du fühlst dich zu mir hingezogen.“

Keine Frage. „Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich meinen Gefühlen nachgeben muss. Ich küsse für gewöhnlich keine wildfremden Männer.“

Seine dunklen Augen blieben unablässig auf sie gerichtet. Er strahlte Kraft aus. Autorität. Er war das genaue Gegenteil von Derek.

Und Cassie musste sich wohl oder übel eingestehen, dass sie das umso mehr erregte.

„Du bist nur vorübergehend hier“, fügte sie hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir können nicht einfach … Na ja …“

„Miteinander Sex haben?“, ergänzte er unverblümt.

Du liebe Güte! Nun waren die Worte ausgesprochen. Ians schiefem Lächeln nach zu urteilen, fühlte er sich in dieser Situation allerdings bei Weitem nicht so unwohl wie sie selbst.

Sie fasste sich ein Herz und antwortete: „Ja, genau.“ Herrje. Es war ja nicht so, als ob sie nie Sex gehabt hätte. Verdammt, sie hatte immerhin ein Baby. Aber auch wenn es kindisch und albern war: Sie konnte mit ihm unmöglich über dieses Thema sprechen. „Normalerweise lasse ich mich nicht von meinen sexuellen Trieben leiten.“

Das war eine glatte Untertreibung. Sie hatte nur mit einem einzigen Mann geschlafen: mit ihrem Ehemann. Was würde geschehen, wenn sie ihre Zurückhaltung über Bord warf? Wenn sie sich auf eine schmutzige, kleine Affäre einließ?

Was dachte sie da eigentlich? Zog sie so etwas ernsthaft in Betracht? Sie war eine Mutter – die Mutter eines kleinen Mädchens. Was für ein Vorbild würde sie ihrer Tochter sein, wenn sie sich so gehen ließ?

„Du machst dir zu viele Gedanken“, meinte Ian und kam auf sie zu.

Als Cassie die Hand hob, blieb er stehen. „Nicht. Ich kann nicht klar denken, wenn du mich berührst.“

„Das fasse ich mal als Kompliment auf.“

Cassie verdrehte die Augen. „Das sieht dir ähnlich.“

„Siehst du? Du kennst mich schon sehr gut.“

Zumindest einer von ihnen beiden musste vernünftig bleiben. Und diese Rolle fiel offenbar ihr zu. Sie schob sich an ihm vorbei. „Du wirst deine Hände bei dir behalten müssen.“

„Du bist eine Spielverderberin.“ Er lächelte sie an.

„Ich habe keine Zeit für Spiele, Ian.“

In L. A. hatte er bestimmt immer eine Menge Spaß. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie er von einer Party zur anderen tingelte, mit wunderschönen Frauen an seiner Seite. Und in seinem Bett.

Cassie schaltete die Beleuchtung im Verbindungsgang zwischen den Boxen ein. Das Licht der alten, hufeisenförmigen Kronleuchter verscheuchte blitzschnell das schummrige Dunkel aus dem Stall und damit auch jegliche Spur von Romantik.

Als sie sich nun zu Ian umdrehte, hatte er die Hände in die schlanken Hüften gestemmt. Noch immer schaute er sie durchdringend an. In seinen Augen loderte eine Gier, die sie nie zuvor bei einem Mann gesehen hatte.

Ohne ein weiteres Wort ging er plötzlich mit schnellen Schritten auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand. Cassies Herz begann sofort wieder zu rasen.

Er umfasste ihr Gesicht, und sein Mund berührte fast ihre Lippen. „Eine Frau, die so küsst wie du, verbirgt aufgestaute Leidenschaft in sich. Und die muss befreit werden.“

Damit ging Ian um sie herum und ließ sie mit seinem männlichen Duft und dem Nachhall seiner erregenden Worte zurück.

Cassie kannte diesen Mann seit zwölf Stunden. Ian würde noch zwei weitere Monate auf dem Gestüt bleiben. Das konnte sie unmöglich aushalten. Sie war eine Frau – eine Frau mit Bedürfnissen.

Und insgeheim stellte sie sich eine Frage: Was würde wohl passieren, wenn sie zur Abwechslung mal ihre eigenen Bedürfnisse an die erste Stelle setzte?

3. KAPITEL

Zwei Tage waren seit dem intimen Zusammenstoß mit Ian vergangen. Dennoch war Cassie sich seiner Gegenwart auf dem Anwesen, seiner unaufdringlichen und doch intensiven Ausstrahlung überdeutlich bewusst. Einmal hatte sie ihn von Weitem gesehen, als er sich gerade mit Max unterhalten hatte. Später hatte sie beim Dreh einer weiteren Szene zugeschaut und dabei Ian nur knapp verpasst. Im Stillen überlegte Cassie ständig, wie sein Tagesablauf aussah. Wann sie ihm wiederbegegnen würde. Wann sie seinen Körper wieder spüren würde. Doch sie weigerte sich standhaft, sich diese Gedanken einzugestehen.

Nein. Er mochte ihre Hormone in Wallung bringen, doch sie würde sich nicht in ihn verlieben. Und eine Affäre? Sollte sie sich darauf einlassen?

Cassie stöhnte auf, verließ den Stall und schlug den Weg zum Haupthaus ein. Die Sonne versank bereits hinter den Bergen. Emily übernachtete heute, wie sie es einmal wöchentlich tat, bei Tessa und Grant.

Seit dem Dreh der Verlobungsszene musste Cassie wieder und wieder an die Vergangenheit denken. Sie vermisste ihre Mutter schrecklich. Dass aus Roses Leben nun ein Film wurde, hatte eine starke Sehnsucht in ihr geweckt: Sie wollte ihrer Mutter nahe sein. Und da Emily über Nacht bei Tessa und Grant sein würde, ergab sich nun eine perfekte Gelegenheit. Cassie konnte sich in aller Ruhe auf den Speicher zurückziehen, dort die Besitztümer ihrer Mutter durchstöbern und ein wenig in Erinnerungen schwelgen.

Roses plötzlicher Tod hatte die Familie tief erschüttert. Für Tessa und Cassie, die damals noch Teenager gewesen waren, war es besonders schwer gewesen. Alle Familienmitglieder hatten sich jedoch gegenseitig beigestanden und einander gestützt. Die Tragödie hatte sie enger zusammengeschweißt. Trotzdem vermisste Cassie das liebevolle Lächeln ihrer Mutter, ihre aufmunternden Worte und ihre Geduld. Rose war stets für alle da gewesen.

In ihrer momentanen Situation hätte Cassie einen mütterlichen Rat gut gebrauchen können. Ian warf sie komplett aus der Bahn. Als er sie vor zwei Tagen im Stall zurückgelassen hatte, war sie so zerrissen, so zwiegespalten wie nie zuvor in ihrem Leben gewesen. Doch seit jenem Abend hatte er sich ihr nicht mehr genähert. Was bedeutete das? Hatte er es sich anders überlegt? War es ihm zu mühsam geworden, um sie zu werben?

Und warum grübelte sie eigentlich darüber nach? Für gewöhnlich verkehrte Ian sicher mit absolut makellosen, chirurgisch perfektionierten Frauen. Sie dagegen hatte ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften. Warum sollte er also darauf aus sein, ausgerechnet mit ihr … ja, was? Eine Affäre zu haben? Aus welchem Grund flirtete er überhaupt mit ihr?

Er hatte von Sex geredet, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Cassie wusste genau, worauf er aus war.

Sie ließ die Tür zum Speicher offen und stieg die schmale Holztreppe hinauf. Oben schaltete sie die kleine Lampe ein. Das schwache Licht reichte gerade aus, um die gegenüberliegende Wand zu beleuchten. Doch das genügte, denn an dieser Wand waren die Hinterlassenschaften ihrer Mutter aufgestapelt.

Die Stille des Abends umfing sie. Cassie war allein mit ihren Gedanken, ihren Erinnerungen. Schon als sie den Deckel der ersten Kiste abnahm, kämpfte sie mit den Tränen.

Wie konnte es sein, dass vom Leben eines Menschen nur wenige Kisten blieben? Ihre Mutter war so wunderschön, so liebevoll, so temperamentvoll gewesen. Ihr Lächeln, ihre tröstliche Art – so viele Erinnerungen waren einfach verschwunden. Übrig waren lediglich einige Gegenstände, säuberlich in Kunststoffbehältnissen verstaut.

Cassie musste unwillkürlich lächeln. Ihre stets ordentliche und durchorganisierte Mutter hätte das sicherlich so gewollt.

Nachdem Cassie die alten Fotos von der schlichten Hochzeitsfeier ihrer Eltern betrachtet hatte, suchte sie nach Roses Brautkleid. Sie wusste, dass es noch da sein musste. Tessa plante ja, es bei ihrer eigenen Hochzeit zu tragen. Cassie konnte kaum erwarten, ihre kleine Schwester darin zu sehen. Allein von der Vorstellung wurden ihre Augen wieder feucht.

Diese Dreharbeiten ließen ihre Gefühle wirklich Achterbahn fahren.

Cassie warf einen Blick in den schmalen, antiken Kleiderschrank. Tatsächlich: Dort hing ein weißer Kleidersack. Behutsam zog sie den Reißverschluss auf, schlug die Hülle zurück und zog die elegante Robe hervor.

Sie war hervorragend erhalten, der cremefarbene Stoff war noch immer makellos. Tessa würde eine ebenso schöne Braut sein, wie ihre Mutter es gewesen war.

Cassie hatte das Kleid bei ihrer Heirat ebenfalls tragen wollen, doch ihr Ex hatte auf einer standesamtlichen Trauung bestanden. Damals hätte sie eigentlich ahnen müssen, dass er nicht der Richtige war. Zwar war an einer kleinen Zeremonie auf dem Standesamt im Grunde nichts auszusetzen. Aber Derek hatte genau gewusst, was Cassie sich gewünscht hatte: in der kleinen Kirche zu heiraten, in der auch ihre Eltern getraut worden waren. Seit jeher hatte sie sich ausgemalt, wie sie das spitzenbesetzte Kleid trug, wie sie nach der Eheschließung mit Reiskörnern im Haar und ihrem Ehemann an der Hand auf die wartende Limousine zulief … und wie sie die ganz besondere Hochzeitsnacht erlebte.

Doch keiner dieser Jungmädchenträume hatte sich erfüllt.

Cassie konnte nicht widerstehen: Sie schlüpfte aus ihren Jeans, den Stiefeln, dem Hemd und dem BH und zog das schulterfreie, bodenlange Kleid über. Der gerade Schnitt und die dezenten Spitzen wirkten etwas schlicht, aber in Cassies Augen war das Kleid einfach perfekt.

Verträumt strich Cassie über den Stoff und trat vor den antiken Spiegel, der in einer Ecke stand. Ohne die zusätzlichen Schwangerschaftspfunde hätte ihr das Kleid wie angegossen gepasst. Bedauerlicherweise war ihre Oberweite allerdings derzeit so füllig, dass ihre Brüste aus dem engen Mieder fast herausquollen. In dem zarten Material kamen Cassies übrige Rundungen zudem sehr … prominent zur Geltung.

Hinter ihr klickte die Dachbodentür. Cassie fuhr herum, die Hand vor die Brust gepresst. Ihr Herz raste. Jemand kam die Treppe herauf.

„Hallo?“, rief sie.

Ian erschien in der Öffnung – und blieb wie angewurzelt stehen. Natürlich heftete sich sein Blick sofort auf die Stelle, die sie mit ihrer Hand zu bedecken versuchte.

So viel zu einem gemütlichen Abend allein mit ihren Erinnerungen! Das Schicksal war wirklich gemein. Warum setzte es ihr schon wieder diesen begehrenswerten Fremden vor die Nase?

„Was tust du hier?“, fragte sie und bemühte sich, ruhig zu bleiben – was nicht ganz leicht war. Immerhin stand sie halb entblößt vor ihm, und schon allein von seinem Anblick pochte ihr Herz wie wild.

„Ich wollte mich für das, was im Stall passiert ist, entschuldigen“, erklärte er und erklomm die letzten Stufen. „Es ist nicht meine Art, mich einer Frau aufzudrängen. Ich will keinen falschen Eindruck erwecken. Da ich mich hier noch eine Weile aufhalten werde, sollten zwischen uns klare Verhältnisse herrschen.“

Cassie seufzte. „Na, jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt für ein klärendes Gespräch. Wenn die Tür unten zugefallen ist, sind wir hier nämlich eingesperrt.“

„Eingesperrt?“

„Die Tür lässt sich nur von außen öffnen. Darum hatte ich sie offen gelassen.“

Cassie hob den Rocksaum des Hochzeitskleides an, hielt mit der anderen Hand das Mieder fest und marschierte an Ian vorbei die Treppe hinab. Unten zog sie versuchsweise am Knauf. Die Tür war ins Schloss gefallen.

„Das wusste ich nicht“, hörte sie Ians leise Stimme hinter sich.

Cassie wandte sich um. Ian stand am Treppenabsatz. Wie er dort oben thronte, wirkte er ein wenig einschüchternd – auf diese ihm ganz eigene, sinnliche Art. Unter seinem langärmeligen Shirt zeichneten sich seine Muskeln und seine breiten Schultern deutlich ab, und seine dunklen, engen Jeans betonten seine schlanken Hüften.

Sie erinnerte sich lebhaft, wie wundervoll sich Ians Körper anfühlte. Und wie er sie geküsst hatte. Dieser Mann konnte eine Frau so küssen, dass sie all ihre moralischen Bedenken über Bord warf.

Das Haus war groß. Nur ihr Vater wohnte noch dort, doch sein Schlafzimmer lag im ersten Stock. Selbst wenn sie um Hilfe riefen, würde sie niemand hören. Sie saßen fest.

Cassie schaute noch einmal zu Ian. Sie steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. Nie zuvor hatte sie sich so stark zu einem Mann hingezogen gefühlt wie zu ihm. Dabei war es nicht das hitzige Knistern zwischen ihnen, das sie ängstigte; vielmehr war es die Schnelligkeit, mit der es entstanden war. Vollkommen hilflos trieb sie in die Arme dieses faszinierenden Mannes. Wie konnte sie ihren eigenen Empfindungen noch trauen? Seit ihrem Ex war Ian der erste Mann, der ihr signalisierte, dass er sie begehrenswert fand. War er nur eine sexy Ablenkung, oder gingen ihre Gefühle für ihn tiefer?

Vor ein paar Stunden hatte sie mit der Idee geliebäugelt, sich auf eine kleine Affäre einzulassen. Aber nachdem Ian nun tatsächlich vor ihr stand und sie obendrein hier mit ihm eingesperrt war, hatte sie Herzflattern und verspürte ein nervöses Kribbeln in der Magengegend.

Sie sah ihm in die Augen. Prickelnde Spannung erfüllte den schummrigen Raum.

Eine lange Nacht lag vor ihr. Genug Zeit, um zu entscheiden, wie sie mit ihrer Sehnsucht und Ians heißen Blicken umgehen sollte.

Ian betrachtete Cassie, war absolut fasziniert von ihren zarten, nackten Schultern. Das alte Hochzeitskleid brachte ihre Kurven wundervoll zur Geltung. Er bemerkte, wie sie mit dem Oberteil zu kämpfen hatte: Sie bemühte sich, es davon abzuhalten, der Schwerkraft zu folgen und hinunterzurutschen. Dennoch hatte Ian von seinem Standort am Treppenabsatz aus einen ausgezeichneten Blick auf ihre vollen Brüste und ihr beeindruckendes Dekolleté.

Mit Cassie auf dem Dachboden festzusitzen würde sicherlich erfreulich werden. Er hatte ja bereits ein Fünkchen der Leidenschaft zu sehen bekommen, die sich unter ihrer Verletzlichkeit verbarg. Zweifellos rührte ihr innerer Konflikt von einem Schmerz her, der ihr in der Vergangenheit zugefügt worden war.

Cassie versuchte, die Arme vor der Brust zu verschränken. Das misslang jedoch gründlich, und sie gewährte ihm nur noch verlockendere Einblicke in ihren Ausschnitt. Warum quälte sie ihn so? Wollte sie ihn bestrafen?

„Schick Max eine SMS. Er soll am Haupthaus klingeln“, wies sie ihn an. „Vater ist bestimmt noch nicht zu Bett gegangen.“

Ian schüttelte den Kopf. „Ich bin bloß hergekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Mein Telefon hängt im Wohnwagen am Ladegerät.“

Stöhnend ließ Cassie sich gegen die Tür sinken. Sie legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Unfassbar, dass mir das passiert“, murmelte sie. „Das kann alles nicht wahr sein.“

Ian musste lächeln. Er hatte sich auf dem kurzen Weg vom Wohnwagen hierher durchaus Gedanken über den weiteren Verlauf des Abends gemacht. Doch dass er für Stunden mit einer sexy Frau im Hochzeitskleid auf einem Dachboden festsitzen würde – damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.

Cassie raffte das Kleid, stieg die Treppe hinauf und stürmte an ihm vorbei. „Spar dir das alberne Grinsen, Ian. Das ist nicht witzig.“

„Was ist mit deinem Handy? Kannst du nicht jemanden verständigen?“, fragte er und drehte sich nach ihr um.

Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Nein. Ich bin hier, weil ich allein sein wollte. Ich wollte in Ruhe nachdenken.“

Verflixt! So wütend war Cassie Barrington sogar noch attraktiver. Doch es war nicht ungefährlich, sich mit ihr einzulassen. Sie war keine Frau, die sich in eine oberflächliche Affäre stürzte. Er hätte sie im Stall nicht so sehr bedrängen dürfen. Hätte sie seinen Avancen nachgegeben, hätte sie es im Nachhinein sicherlich bereut.

Ian musste das Richtige tun, das wurde ihm nun klar. Er musste die Finger von ihr lassen. Schließlich war er nur aus zwei Gründen hier: um Max bei Laune zu halten und um Lily unter Vertrag zu nehmen, bevor sein Konkurrent sie ihm wegschnappte. Ende.

Allerdings wussten seine Hormone davon offenbar nichts: Je öfter er Cassie sah, desto stärker fühlte er sich von ihr angezogen. Und nachdem er zumindest einen flüchtigen Blick auf ihre verführerischen Rundungen erhascht hatte, wollte er mehr. Dieses Kleid … Sie sah darin aus wie ein Pin-up-Girl aus den Fünfzigerjahren – teuflisch sexy, mit Kurven an den richtigen Stellen. Ihre vor Zorn geröteten Wangen machten sie bloß noch schöner.

In den vergangenen Tagen hatte er sie beim Training mit ihrer Schwester und den Pferden beobachtet. Ihren wundervollen Körper in den engen Jeans zu sehen hatte ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben. Er musste sich unbedingt zusammenreißen und sich endlich für seine Höhlenmenschen-Manieren entschuldigen.

Leider übernahmen jedoch genau in diesem Moment wieder seine Hormone die Kontrolle, schalteten seinen Verstand aus und ließen ihn keinen klaren Gedanken mehr fassen.

„Woher wusstest du, dass ich hier oben bin?“, wollte sie wissen. „Ich dachte, alle Mitglieder der Filmcrew wären um diese Zeit in den Wohnwagen oder im Hotel.“

„Auf dem Weg zum Gästehaus bin ich Grant begegnet. Er hat mir erzählt, dass du hier bist. Und an der Hintertür des Haupthauses traf ich eure Köchin Linda, die sich gerade auf den Nachhauseweg machte. Sie meinte, du hättest erwähnt, dass du auf den Speicher gehen wolltest.“

„Und all diese Mühen nur, um dich bei mir zu entschuldigen? Das hättest du doch auch morgen tun können.“

Ian schob schulterzuckend die Hände in die Hosentaschen. „Im Grunde schon. Aber morgen wären wir sicherlich nie allein. Und ich ging davon aus, dass du mit mir nicht vor allen über dieses Thema sprechen willst. Trotzdem, es knistert nun mal zwischen uns. Deshalb finde ich, wir sollten darüber reden und entscheiden, was wir tun wollen. Schließlich werde ich noch einige Wochen hier sein.“

„Könntest du dich vorher wenigstens kurz umdrehen, damit ich mich umziehen kann?“, fragte Cassie gereizt.

Erneut musterte er rasch ihren Körper. Dann bemerkte er ihre Kleider auf dem Boden – und den BH mit dem Leopardenmuster, der obenauf lag.

„Selbstverständlich“, erwiderte er. Angestrengt schob er die Vorstellung von Cassie in diesem BH beiseite, bevor er darüber noch den Verstand verlor.

Dabei hatte das Schicksal nicht nur dafür gesorgt, dass er hier oben mit der entzückenden Ms Barrington festsaß; es hatte ihm außerdem ein Dachfenster geschickt, in dessen Scheibe er klammheimlich verfolgen konnte, wie Cassie sich umzog. Natürlich gehörte sich das nicht. Doch welcher Mann konnte diesem atemberaubenden Anblick schon widerstehen? Der Abend entwickelte sich wirklich erfreulich.

Am liebsten wollte er Cassie mit dem Reißverschluss helfen … Höchstwahrscheinlich würde sie jedoch lieber tot umfallen, als ihn darum zu bitten. Und so verkniff Ian es sich, ihr seine Unterstützung anzubieten. Als das Kleid schließlich zu Boden glitt, wurden Ian die Knie weich.

Sie als üppig zu bezeichnen wurde ihr nicht einmal annähernd gerecht. Ihre vollen Brüste, ihr leichter Bauch und ihre rundlichen Hüften waren eine unwiderstehliche Kombination.

„Wie gesagt“, fuhr er nun fort und verfluchte sich selbst dafür, dass seine Stimme kippte wie bei einem Teenager, „mir ist klar, dass keiner von uns beiden mit dieser starken körperlichen Anziehung gerechnet hat …“

„Du bist ja verrückt“, murmelte sie, während sie die Jeans hochzog. Ihr Höschen hatte dasselbe Muster wie ihr BH.

„Du bist einfach unfassbar attraktiv. Doch das heißt nicht, dass ich mich nicht beherrschen könnte“, setzte Ian hinzu.

Gerade hakte Cassie den BH ein, als sie innehielt. Seine Worte hatten offenbar ihr Misstrauen geweckt. Sie schaute auf – und entdeckte sein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Erwischt.

„Also wirklich“, meinte sie schmunzelnd. „Warum hast du dich denn überhaupt umgedreht?“

„Ich wusste ja nichts von dem Fenster.“ Das entsprach der Wahrheit.

„Und du hattest nicht vor, etwas darüber zu sagen?“

Ian fuhr herum. Sinnlos, noch weiter Zurückhaltung zu heucheln. „Wundert dich das? Ich bin ein Mann.“

Cassie verdrehte entnervt die Augen, schlüpfte rasch in ihr Hemd und knöpfte es hastig zu.

Ian widerstand dem Drang, zu ihr hinüberzugehen und ihr die Sachen sofort wieder auszuziehen. „Ich finde, du bist eine umwerfende Frau. Warum überrascht dich das?“

Die meisten Frauen in Hollywood hätten nun entweder sein Kompliment zurückgewiesen oder versucht, ihm weitere Schmeicheleien zu entlocken. Doch Cassie war anders. Sie hielt sich wahrhaftig nicht für schön. Wahrscheinlich hatten ihre Unsicherheit und ihre große Verletzlichkeit denselben Ursprung.

Verdammt. Er hatte keine Zeit, sich mit den Nöten einer Frau herumzuschlagen. Andererseits verspürte er den starken, geradezu überwältigenden Drang, Cassie Barrington näher zu kommen – und zwar nicht nur körperlich.

Erschreckend.

„Du musst mir nicht schmeicheln, Ian“, entgegnete Cassie. „Auch wenn du mich belügst oder mich umgarnen willst: Es wird nichts zwischen uns passieren.“

„Ich habe nicht gelogen, Cassie“, gab er zurück und ignorierte ihren skeptischen Gesichtsausdruck. „Ich finde dich attraktiv. Man müsste schon blind sein, um das nicht zu erkennen.“

Cassie ging nicht darauf ein. Stattdessen verpackte sie das Kleid wieder in dem weißen Kleidersack. Danach ging sie zu den Kisten zurück, setzte sich mit dem Rücken zu ihm auf den Boden und öffnete einen der Kartons.

Still wartete Ian darauf, dass sie noch etwas sagen würde. Aber Cassie schwieg. Sie schien vollkommen in ihren Erinnerungen und den alten Fotos vor ihr versunken zu sein. Hatte sie vergessen, dass er hinter ihr stand, oder war es ihr egal?

Dann fragte sie unvermittelt: „Kennst du das auch: Du siehst dir ein Foto an, und plötzlich erinnerst du dich so deutlich an diesen Moment, dass du ihn geradezu fühlst?“

Ian fasste ihre Worte als Einladung auf, sich neben sie zu setzen. Sie hielt ein Foto in der Hand. Darauf war ein junges Mädchen zu sehen – vermutlich Cassie. Sie saß auf dem Rücken eines Pferdes. Die Führleine hielt eine wunderschöne Frau mit dunklem Haar, bei der es sich wohl um Cassies Mutter handelte.

„Das war mein erstes Pferd“, erzählte Cassie, ohne die Augen vom Foto abzuwenden. „Schon von klein auf bin ich gemeinsam mit meinem Vater geritten und habe in den Ställen geholfen. Doch dieses Tier gehörte nur mir allein. Ich habe es mir bei einer Auktion ausgesucht. Meine Eltern hatten mir das unter der Bedingung erlaubt, dass ich mich selbst um ihn kümmere.“

„Wie alt warst du damals?“

„Acht. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass ich ihn haben wollte. Er war launisch und scheute vor Männern zurück. Obwohl mein Vater mir abgeraten hatte, habe ich mich dem Pferd genähert. Es kam sofort auf mich zu und schnupperte interessiert an mir.“

„Ich bin noch nie geritten“, gestand Ian.

Cassie legte das Bild in die Kiste zurück. „Wirklich?“, fragte sie ungläubig. „Dann müssen wir deinen Aufenthalt nutzen, um das zu ändern.“

„Das sollte keine Aufforderung sein“, antwortete er lachend. „Ich wollte es nur erwähnen.“

Sie schaute ihm in die Augen. Ihr Schenkel drückte gegen seinen. Ob sie überhaupt ahnte, dass sie mit dem Feuer spielte? Sie war zwar etwas älter als er, trotzdem hatte Ian den Eindruck, dass sie deshalb nicht unbedingt erfahrener war.

Und er würde ihren Horizont nur zu gern erweitern.

„Ich gebe sehr gern Reitunterricht“, erklärte sie. Offenbar hatte sie keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging. „Es macht mich glücklich.“

Cassie strahlte. Im weichen Licht der Wandleuchte sah sie wunderschön aus. Ian konnte ihren vollen Lippen nicht länger widerstehen.

Ohne Vorwarnung vergrub er die Hände in ihrem Haar und presste seinen Mund auf ihren. Bereitwillig erwiderte sie seine Zärtlichkeiten, genau wie bei dem Kuss im Stall.

Ian vertiefte den Kuss, genoss ihren Geschmack. Er wollte mehr … so viel mehr. Er wollte ihre Finger auf seinem Körper spüren. Doch sie berührte ihn nicht. Lag es an ihrer Unerfahrenheit?

Nun zog Ian sich ein wenig zurück. Mit einem versonnenen Lächeln betrachtete er ihre geschwollenen Lippen, ihre halb geschlossenen Lider, ihre geröteten Wangen. „Also mich macht das hier glücklich.“

Wieder knisterte erotische Spannung zwischen ihnen. Die ganze Nacht lag vor ihnen. Würde Ian es schaffen, sein Verlangen unter Kontrolle zu halten?

Cassie löste sich von Ian und sprang auf. Dieser Kerl war einfach unglaublich – und das wusste er auch.

„Glaubst du ernsthaft, dass ich mit dir schlafe – bloß weil wir uns ein paarmal geküsst haben und zufällig hier oben eingeschlossen sind?“ Ärgerlich stellte Cassie fest, dass sie zitterte. Wieso ließ sie sich nur so schnell von ihm und seinen Küssen aus der Fassung bringen? „Ich weiß ja nicht, was du in L. A. treibst. Aber ich bin für so etwas nicht zu haben.“

Ian schaute sie an, in seinen dunklen Augen noch immer ein lustvoller Ausdruck. „Willst du etwa behaupten, dass du diese Küsse nicht genauso erregend findest wie ich?“

„Ja, es gefällt mir, dich zu küssen. Doch das bedeutet nicht, dass auf diese Küsse automatisch Sex folgen muss“, konterte sie. „Meine Güte, im Grunde kenne ich dich kaum. Ich weiß nichts über dich.“

Ian erhob sich. Gemächlich wie ein Panther auf der Jagd kam er auf sie zu. „Du weißt, was meine Berührungen bei dir auslösen. Dass dein Herz schneller schlägt, wenn du mich siehst. Und du weißt, dass du verzweifelt gegen das Knistern zwischen uns ankämpfst.“

„Das hat nichts mit dir persönlich zu tun, Ian Shaffer“, gab sie betont gelangweilt zurück. „Das ist eine rein körperliche Anziehung.“

„Also bestreitest du nicht, dass du mich begehrst?“, fragte er schmunzelnd.

„Jetzt geht offenbar dein Ego mit dir durch“, entgegnete Cassie. „Mit diesen Worten hast du gerade bewiesen, wie wenig wir uns kennen. Dich stört es vielleicht nicht, mit Fremden zu schlafen. Mich dagegen sehr wohl.“

„Na schön“, meinte Ian belustigt. „Was willst du über mich wissen?“

„Bist du verheiratet?“

„Lieber Himmel, nein“, antwortete Ian schockiert. „Und ich habe auch nicht vor zu heiraten.“

Er hatte also Bindungsängste? Hervorragend. Gerade erst hatte sie eine Beziehung mit einem Mann vom gleichen Kaliber hinter sich gebracht.

Andererseits gab es keine Ehefrau, die Ian zu betrügen beabsichtigte. Das sprach zumindest ein wenig für ihn. Na schön, es war nicht das einzig Gute an ihm. Auch die prickelnden Küsse, bei denen sie nur so dahinschmolz, waren eindeutig ein Pluspunkt – aber das hätte Cassie niemals offen zugegeben.

„Auch keine Freundin?“, hakte sie nach.

„Meinst du, ich würde sonst so mit dir flirten?“

„Manchen Männern wäre das durchaus egal.“

Wieder musterte Ian sie mit diesem hitzigen Blick. Sie spürte ihn auf ihrem Körper – fast wie eine Berührung.

Schließlich erklärte er: „Ich bin aber nicht wie andere Männer.“

Er war stark und sexy, und er wollte ihr an die Wäsche. Das unterscheidet ihn von den meisten Männern, dachte Cassie und musste lächeln. „Unglaublich“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Ich veranstalte hier ein Quiz mit dir, nur damit ich mit dir schlafen kann.“

„Schätzchen, wenn ich mit dir schlafen darf, beantworte ich dir gern noch hundert Fragen.“

Herrje, es war ganz schön heiß hier oben. Und das lag nicht daran, dass ihr Körper mit geradezu lächerlicher Heftigkeit auf Ian reagierte. Es war tatsächlich heiß, und die stickige Wärme auf dem Dachboden wirkte geradezu erdrückend.

Cassie öffnete die beiden oberen Knöpfe ihres Hemdes und krempelte die Ärmel hoch. Sie brauchte Luft. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Ian jede ihrer Bewegungen aufmerksam verfolgte.

„Freu dich nicht zu früh“, meinte sie. „Ich muss mich bloß ein bisschen abkühlen.“

Schweißtropfen perlten ihr zwischen den Schulterblättern den Rücken hinab. Hätte sie sich nur die Haare hochgebunden! Aber hier oben musste es doch irgendetwas geben, mit dem sich das bewerkstelligen ließ. Sie durchsuchte die Kisten nach einem Gummiband oder etwas Ähnlichem und bemühte sich, dabei möglichst nicht über Ian nachzudenken. Oder darüber, ob seine muskulöse Brust unter seinem Shirt ebenfalls schweißnass war.

Bedauerlicherweise funktionierte das jedoch nicht. Sie konnte an nichts anderes denken als an glänzende, gebräunte Haut. Zwar hatte sie ihn noch nie ohne Hemd gesehen, aber sie verfügte über eine äußerst lebhafte Fantasie.

„Was suchst du denn?“, erkundigte sich Ian amüsiert. „Kann ich helfen?“

„Ich brauche etwas, womit ich mir die Haare hochbinden kann. Ich schwitze.“

So, das sollte seinen Trieben einen Dämpfer versetzen! Welcher Mann fand schon eine verschwitzte Frau attraktiv? Bestimmt kräuselten sich ihre feuchten roten Haare inzwischen schon wie die eines Clowns.

„Wozu muss ein Agent eigentlich am Drehort mit dabei sein?“, wollte sie nun wissen. Einerseits interessierte es sie wirklich. Andererseits wollte sie dadurch seine Gedanken auf ein neutrales Thema lenken.

„Max gehört zu meinen wichtigsten Klienten.“ Ian knöpfte sich ebenfalls das Hemd auf. „Ich statte den Schauspielern oft beim Dreh einen Besuch ab. So kann ich mich vergewissern, dass sie sich wohlfühlen. Das Drehbuch zu diesem Film hat mich außerdem sehr beeindruckt. Ich wusste sofort, dass ich bei den Aufnahmen dabei sein muss. Darum habe ich auch einen längeren Aufenthalt auf Stony Ridge eingeplant.“

Ja, genau das hatte sie hören wollen. Mr. Verführerisch beabsichtigte also, „einen längeren Aufenthalt“ auf dem Gestüt einzulegen. Das fehlte ihrem nicht existenten Sexleben noch: die personifizierte Versuchung direkt vor ihrer Nase.

„Na also!“, rief Cassie nun und griff erfreut nach einem Gummiband, das einen Stapel Papiere zusammengehalten hatte. „Soweit ich es beurteilen kann, ist Max ein netter Kerl“, meinte sie, während sie ihr Haar zu einem Knoten band. „Er und Lily spielen ihre Rollen großartig. Lily scheint ein richtiger Schatz zu sein.“

Ian nickte. „Frauen wie sie gibt es in der Filmindustrie nur wenige. Sie ist nicht abgestumpft, sondern sie selbst geblieben. Am Anfang ihrer Karriere hatte sie mit einem unangenehmen Skandal zu kämpfen, doch den hat sie hinter sich gelassen. Sie ist schon etwas Besonderes.“

„Und du hast bestimmt versucht, sie ins Bett zu kriegen.“

Ian brach in schallendes Gelächter aus. Machte er sich etwa über sie lustig? „Ich habe nie mit Lily geschlafen“, erklärte er. „Ich habe mich ihr nicht einmal genähert. Aber ich hoffe, sie für meine Agentur unter Vertrag nehmen zu können. Ich respektiere meine Klienten, und meine Klienten respektieren mich. Eine Affäre dieser Art ist in meinem Geschäft viel zu riskant. In Hollywood gibt es keine Geheimnisse.“

„Und du hast nur deshalb nichts unternommen? Weil die Öffentlichkeit davon erfahren könnte?“

Ian richtete sich zu seiner vollen Größe auf und ging einen Schritt auf sie zu. Super. Sie hatte das Sexmonster wieder aufgeweckt.

„Ich habe nichts unternommen“, sagte er und kam weiterhin langsam näher, „weil ich mich nicht zu ihr hingezogen fühle – auch wenn sie natürlich wunderschön ist. Zudem möchte ich eine berufliche Beziehung mit ihr eingehen, aber keine sexuelle. Wäre ich auf der Suche nach einer Frau fürs Bett, stünde sie nicht auf der Liste der Kandidatinnen. So einfach ist das.“

Mittlerweile stand er so dicht vor ihr, dass Cassie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht zu sehen. Glücklicherweise berührte er sie nicht. Ihre Selbstbeherrschung hing an einem seidenen Faden. Wenn er sie noch einmal anfassen oder – Gott bewahre – küssen würde …

Cassie fuhr sich mit der Hand über den feuchten Nacken. „Geht es dir bei allem immer bloß ums Geschäft?“

„Keineswegs. Jetzt denke ich zum Beispiel ganz und gar nicht ans Geschäft.“ Dabei sah er sie an, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt, die ihn interessierte …

Vielleicht war sie naiv oder durch die Trennung von Derek verzweifelt. Trotzdem: Wäre eine kleine Affäre so falsch? Sie hatte aus Liebe geheiratet – zumindest hatte sie das gedacht; sie hatte sich sogar für ihren Ehemann aufgespart. Und was hatte es ihr gebracht?

„Wenn du ein paar Kleidungsstücke loswerden willst, dann tu das ruhig. Ich verspreche auch, dich nicht anzufallen“, beteuerte er mit einem vielsagenden Lächeln. „Außerdem habe ich in meinem Leben schon einige nackte Frauen gesehen.“

Ach ja? Aber sie hatte er bisher nicht nackt gesehen. Und nachdem sie sich noch immer mit einigen hartnäckigen Schwangerschaftspfunden herumärgerte, würde sie sich sicherlich nicht vor seinen Augen entblättern. Sie konnte zwar selbst kaum glauben, dass sie eine Affäre ernsthaft in Betracht zog. Doch selbst wenn sie sich auf den sexy Agenten einließ: Sie hatte nicht vor, es ihm so leicht zu machen. Wo blieb denn da der Spaß?

Sie würde ihm eine Lektion erteilen. „Wie rücksichtsvoll von dir“, erwiderte sie ironisch und tätschelte seine Wange.

Hier oben auf dem Dachboden mussten noch einige Kisten mit den alten Kleidern ihrer Mutter stehen. Womöglich war ja etwas dabei, das luftiger war und zugleich Ian ins Schwitzen brachte.

Während Cassie sich auf die Suche machte, forderte sie Ian auf: „Erzähl mir ein bisschen mehr über Lily.“ Sie nahm den Deckel einer rechteckigen Kiste ab. Treffer. Darin lagen mehrere farbenfrohe Sommerkleider. „Sie ist ja ein sehr markanter Typ und hat große Ähnlichkeit mit meiner Mutter.“

„Als das Drehbuch auf meinem Schreibtisch landete, wusste ich sofort, dass Max für den Film vorsprechen musste. Und ich hoffte von Anfang an, dass man ihm Lily zur Seite stellen würde. Die Rolle war wie für sie geschaffen. Sie verfügt von Natur aus über den gleichen Südstaatencharme wie deine Mutter, und sie spricht mit einem leichten Näseln, wie es alle Barringtons tun.“

Cassie, die sich gerade ein trägerloses Sommerkleid anhielt, fuhr abrupt herum. „Ich näsele nicht.“

„Oh doch. Besonders, wenn du dich aufregst. Es klingt übrigens sehr süß und verflixt sexy.“

Cassie wandte sich entnervt ab und legte den Deckel wieder auf die Kiste. „Ich ziehe mich jetzt um. Könntest du versuchen, mich nicht wieder im Fenster zu begaffen?“

„Na klar“, erwiderte Ian lässig.

Cassie wartete darauf, dass er sich umdrehte. Stattdessen rührte er sich jedoch nicht und lächelte breit. Verdammter Kerl. Sie hätte ihn nicht daran erinnern sollen, dass er sie quasi schon nackt gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte sie damit nur Öl ins Feuer gegossen.

„Willst du dich nicht umdrehen?“, fragte sie schließlich.

„Oh, du hast mich doch gebeten, dich nicht im Fenster beim Umziehen zu beobachten. Deshalb ging ich davon aus, dass es dir lieber ist, wenn ich mir die Vorstellung direkt ansehe.“

„Ich gedenke nicht, dir eine ‚Vorstellung‘ zu liefern.“ Cassie widerstand der Versuchung, ihm das Lächeln aus dem Gesicht zu küssen. Er wusste offenbar genau, welche Wirkung er auf sie ausübte. „Dann ziehe ich mich eben woanders um.“ Sie lief an ihm vorbei und trat hinter einen Stapel Kisten. „Und wage es ja nicht, mir zu folgen.“

„Das würde ich niemals tun“, entgegnete er schmunzelnd. „Aber dir ist hoffentlich klar, dass du das Unvermeidbare bloß hinauszögerst.“

Hastig schlüpfte Cassie aus ihren Sachen und zog das trägerlose Kleid über ihre aufgeheizte Haut. Sofort wurde ihr kühler.

„Ich zögere überhaupt nichts hinaus“, erklärte sie und kam wieder hinter den Kisten hervor. „Ich kenne Männer wie dich sehr gut, Ian. Meiner Ansicht nach sollte Sex nicht zum Zeitvertreib dienen, sondern bedeutsam sein. Die Partner sollten etwas füreinander empfinden.“

„Oh, ich empfinde durchaus etwas für dich. Und ich beabsichtige, auch dich einiges empfinden zu lassen.“

Warum sprang ihr Körper dermaßen heftig auf ihn an? Und warum musste sie immer so brav und vernünftig sein?

„Ich hoffe, du siehst nicht meinetwegen so zerknirscht aus.“ Ian war näher gekommen, etwas zu nah für ihren Geschmack. Der Blick aus seinen dunklen Augen war auf ihren Mund gerichtet, und Cassie versuchte, sich mit aller Kraft daran zu erinnern, weshalb sie seinen Avancen widerstehen musste.

Hatte ihr Ehemann sie jemals auf diese Weise angeschaut? Als ob sie ihn über alle Maßen erregen würde und nichts anderes zählte als sie beide? Hatte sie bei ihm jemals ein erotisches Prickeln empfunden? Hatte er ihr jemals das Gefühl geben, sexy und feminin zu sein?

Nein.

Cassie schluckte. Sollte sie es wagen? Aber nur, wenn sie die Kontrolle in der Hand behielt. Ihr Ehemann war immer dominant gewesen. Sie wollte etwas ganz Neues erleben. Sie wollte Sex, und sie wollte Ian.

Also nahm Cassie all ihren Mut zusammen, schenkte Ian ein strahlendes Lächeln und sagte: „Ausziehen.“

4. KAPITEL

Ian war schockiert – und das kam nicht oft vor, denn schließlich lebte er in Hollywood. Doch Cassies knappe Aufforderung erwischte ihn eiskalt, und es verschlug ihm glatt für einen Moment die Sprache.

„Wie bitte?“

„Ich sagte ‚ausziehen‘“, wiederholte sie herausfordernd. „Du willst ein Abenteuer? Das kannst du haben – aber nur zu meinen Bedingungen.“

„Ich lasse mir normalerweise beim Sex nichts vorschreiben.“

„Und ich lasse mich normalerweise nicht auf Affären ein“, entgegnete Cassie ungerührt. „Wir werden eben beide über unseren Schatten springen müssen.“

Verflixt, sie war so heiß. Nie im Leben hätte er erwartet, dass diese zurückhaltende, ruhige Frau zu so etwas imstande war. Allerdings hatte sie selbst eingeräumt, über den eigenen Schatten springen zu müssen. Diese offensive Sinnlichkeit war bestimmt Neuland für sie. Eins musste er ihr zugestehen: Sie war ein Naturtalent.

Ian ergriff den Kragen seines Shirts, zog es sich über den Kopf und warf es achtlos zu Boden. Dann stemmte er grinsend die Hände in die Hüften. „Jetzt du.“

Cassie lachte auf. „Du bist doch noch gar nicht fertig.“

„Das nicht, aber ich habe einen gewissen Vorsprung“, konterte er. „Ich warte.“

Ian sah ihr unablässig in die Augen. Dennoch entging ihm nicht, dass ihre Hände zitterten. Sie griff unter ihren Rock und streifte ihr Höschen ab.

Sein Herz raste bereits beim Anblick des seidigen Stückchens Stoff, das neben ihren Füßen landete. Sein gesamter Körper geriet in Aufruhr.

Nun war es an ihr, ihn auffordernd anzusehen.

Ohne zu zögern, schleuderte er die Schuhe davon und zerrte die Socken von seinen Füßen. „Dir bleibt nur noch ein Kleidungsstück“, stellte er fest und betrachtete ihr Kleid. Gleich würde es hier oben deutlich heißer werden.

In dem Moment setzte Cassie sich in Bewegung. Sie steuerte die Lampe an.

„Nicht!“, rief er ihr nach. „Lass das Licht an.“

„Vertrau mir“, sagte sie über die Schulter hinweg. „Du willst nicht, dass das Licht anbleibt.“

„Und warum?“

Sie wandte sich zu ihm um. „Es ist dir vielleicht noch nicht aufgefallen, aber ich bin keine dieser ausgehungerten, spindeldürren Hollywoodschönheiten.“

Ian trat zu ihr, strich mit beiden Händen über ihre nackten Arme und hakte schließlich die Finger in den Gummibund, der ihr Oberteil an Ort und Stelle hielt. „Oh, das ist mir durchaus aufgefallen.“ Mit einem Ruck zog er ihr das Kleid herunter und ließ es zu Boden gleiten. Cassie stand nun nackt vor ihm. „Und genau aus diesem Grund möchte ich, dass das Licht eingeschaltet bleibt.“

Er spürte, dass sie zitterte. Sie durfte sich ihrer Kurven nicht schämen oder auch bloß eine Sekunde lang daran zweifeln, dass er vollkommen verrückt nach ihr war. Hastig schlüpfte er aus seiner Hose und seinen engen Boxershorts.

Der sehnsuchtsvolle Ausdruck in Cassies Augen erregte ihn. Er hatte das Gefühl, darin zu versinken. Fast war es so, als würde sie ihn mit ihren Händen berühren. Ian sehnte sich danach, sie zu spüren, sie überall zu liebkosen. Er umfasste ihre Taille und zog Cassie dicht an sich. „Ich würde nur zu gern jeden Zentimeter deines wundervollen Körpers erkunden. Allerdings befürchte ich, dass ich nicht mehr so lange durchhalte“, gestand er. Dann küsste er sie voller Leidenschaft.

Cassie schlang die Arme um seinen Nacken. Ihre schweißnassen Körper verschmolzen geradezu miteinander.

Autor

Jules Bennett
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