Julia Exklusiv Band 181

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WAR ES NUR EIN SPIEL FÜR DICH? von DONALD, ROBYN
Welch wunderbare Überraschung! Der aufregende Unternehmer Kear Lannion, der auf einer Party so heiß mit ihr flirtete, ist ihr neuer Nachbar. Begeistert nimmt Jane seine Einladung an, bei ihm zu Gast zu sein. Doch dann erfährt sie, warum er ihre Nähe sucht…

GOLD, JUWELEN UND DEINE LIEBE von MAYO, MARGARET
In seiner Nähe schlägt Tamaras Herz wie verrückt, und sein Blick weckt sehnsüchtige Wünsche! Eigentlich ist der berühmte Juwelier Kevin Kramer ihr Traummann - und in Wirklichkeit ihr ärgster Feind. Alles spricht dafür, dass er sie um ihr Erbe betrogen hat …

UND DANN DER ERSTE KUSS von DONNELLY, JANE
Traurig fährt Kate allein in den Urlaub. Ihr Verlobter wollte sie nicht mit auf seine Geschäftsreise nehmen. Doch dann lernt sie am Meer den Starfotografen Mark kennen. Plötzlich ist sie froh, hier zu sein. Denn Marks Kuss weckt Gefühle, die sie bisher nicht kannte …


  • Erscheinungstag 19.11.2008
  • Bandnummer 181
  • ISBN / Artikelnummer 9783863495428
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

MARGARET MAYO

GOLD, JUWELEN UND DEINE LIEBE

Die hübsche Schmuckdesignerin Tamara Wilding ist wütend! Warum hat ihr Vater dem Juwelier Kevin Kramer seine Firma vererbt? Sie ahnt nicht, dass er damit einen ganz bestimmten Plan verfolgte. Obwohl sie sich zu Kevin hingezogen fühlt, zeigt sie ihm die kalte Schulter. Schließlich ist er ein Erbschleicher – oder etwa nicht?

JANE DONNELLY

UND DANN DER ERSTE KUSS

Sie ist zauberhaft und absolut sein Typ: Kate Kershaw, die junge Reporterin, die er im Urlaub am Meer kennenlernt. Doch Mark muss annehmen, dass sie unerreichbar für ihn ist. Trotzdem geht er aufs Ganze und raubt ihr einen Kuss – den sie hingebungsvoll erwidert. Ist ihr Herz doch noch frei?

ROBYN DONALD

WAR ES NUR EIN SPIEL FÜR DICH?

Was für ein Mann! Obwohl sie eigentlich von der Liebe nichts mehr wissen wollte, wird Jane bei dem attraktiven Kear Lannion schwach. Doch als sie ihm mitteilt, dass sie ihm ihren geerbten Besitz, der direkt an sein Anwesen grenzt, nicht verkaufen will, zieht Kear sich zurück. Waren seine Gefühle nur gespielt, um so an ihr Land zu kommen?

1. KAPITEL

Der unerwartete Tod ihres geliebten Vaters hatte Tamara schwer getroffen. Doch als sie erfuhr, dass er die Leitung der Firma an Kevin Kramer übertragen hatte, brach für sie eine Welt zusammen.

„Warum hat Vater das getan?“, fragte Tamara ihre Mutter. „Er wusste doch, dass ich das Geschäft übernehmen wollte.“

Tamara Wilding war eine außergewöhnlich hübsche junge Frau mit feingeschnittenen Gesichtszügen, braunen Mandelaugen und langem schwarzem Haar. Sie wusste, dass die Männer sie sehr attraktiv fanden, und entsprechend selbstbewusst ging sie mit ihnen um.

An diesem Morgen trug sie ein kurzes schwarzes Baumwollkleid, das ihre weiblichen Rundungen besonders vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie saß neben ihrer Mutter auf dem Sofa und hatte die schlanken Beine übereinandergeschlagen, aber ihre Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen.

„Mutter, kannst du mir das vielleicht erklären?“, fragte sie. „Wieso hat er mir das angetan? Ausgerechnet Kevin Kramer. Ich kann es nicht fassen.“

„Meine liebe Tammy.“ Mrs. Wilding strich ihrer Tochter zärtlich über das Haar. „Du weißt doch selbst, dass du eine hervorragende Schmuckdesignerin bist. Dein Vater glaubte, du solltest dein Talent nicht an anderer Stelle vergeuden.“

„Ich könnte sehr gut beide Aufgaben ausführen“, widersprach Tamara.

„Ben war jedenfalls anderer Meinung.“

„Dann hast du gewusst, dass ich seine Firma nicht erben würde?“, fragte Tamara vorwurfsvoll. „Ich wünschte, du hättest es mir früh genug gesagt. Dann wäre ich vorbereitet gewesen.“

„Dein Vater wollte nur das Beste für dich, Tamara“, erwiderte ihre Mutter ruhig. „Er hat sich seine Entscheidung sehr gründlich überlegt.“

„Ich hasse Kevin“, fuhr Tamara auf.

Mrs. Wilding schüttelte traurig den Kopf. „Du wirst sehen, dass es für alle Beteiligten das Beste sein wird.“

„Für mich bestimmt nicht“, beharrte Tamara. „Hat Kevin das Geschäft bereits übernommen?“

Tamara war zu einem Studienaufenthalt in Japan gewesen, als ihr Vater gestorben war. Sie war zu seiner Beerdigung zurückgekehrt und hatte bereits fest damit gerechnet, die Firma zu übernehmen, als ihre Mutter ihr die schlechte Nachricht übermittelte. Tamara konnte es immer noch nicht richtig glauben.

Ihre Mutter nickte. „Kevin leitet die Firma bereits seit zwei Wochen. Er hat sich bisher sehr geschickt angestellt. Das Personal mag ihn, und das Geschäft läuft unter seiner Führung anscheinend sehr gut. Dein Vater hatte nie Bedenken, ihm die Leitung zu überlassen.“

„Wusste Vater etwa, dass er sterben würde?“ Tamara sah ihre Mutter misstrauisch an.

„Er hat sich seit Langem nicht besonders wohlgefühlt“, sagte ihre Mutter bitter. „In den letzten Monaten hat ihm immer wieder sein Herz Schwierigkeiten gemacht. Er hat mehrfach daran gedacht, sich aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen.“

„Und du hast mir nie etwas davon erzählt!“, antwortete Tamara vorwurfsvoll.

„Wir wollten nicht, dass du dir Sorgen machst.“ Mrs. Wilding streichelte zärtlich Tamaras Hand.

„Dann war es deine Idee, dass Kevin statt meiner das Geschäft übernimmt?“, fragte Tamara, ohne die letzte Bemerkung ihrer Mutter zu beachten. Sie stand abrupt auf. „Es tut mir leid, Mutter, aber ich kann mich nicht damit abfinden. Ich werde zu Kevin gehen. Wir werden diese Sache auf der Stelle klären.“

„Es ist bereits alles geklärt.“ Mrs. Wilding erhob sich ebenfalls. „Meine Güte, ich hätte nicht geglaubt, dass alles so schwierig sein würde.“

„Und ich hätte nicht gedacht, dass dieser Mann mir das Geschäft vor der Nase wegschnappt. Aber wenn du glaubst, ich würde mir das gefallen lassen, dann hast du dich in mir getäuscht.“

Ihre Mutter schüttelte besorgt den Kopf. „Du kannst überhaupt nichts machen. Tamara. Warum wartest du nicht wenigstens bis morgen, bis du etwas Abstand gewonnen hast? Ein Streit mit Kevin wird dir überhaupt nicht weiterhelfen.“

„Das ist mir egal“, beharrte Tamara. In ihrem Zorn wirkte sie fast noch attraktiver als sonst. „Diese Situation ist einfach unmöglich. Wie kann ich für Kevin Kramer arbeiten, wenn ich ihn auf den Tod nicht leiden kann?“

„Ich wünschte, ihr würdet euch vertragen“, erwiderte Mrs. Wilding besorgt. „Kevin ist ein feiner Kerl.“

„Aber nur in deinen und in Vaters Augen. Tut mir leid, Mutter. Ich werde heute Nacht kein Auge zutun, wenn ich vorher nicht mit ihm geredet habe.“

Die Edelsteinmanufaktur ihres Vaters lag im Stadtteil Hockley, dem berühmten Schmuck- und Edelsteinviertel von Birmingham. Nachdem Tamara ihren Wagen auf dem Firmenparkplatz abgestellt hatte, eilte sie in das Bürogebäude, wo sie jedoch enttäuscht feststellen musste, dass Kevin Kramer nicht im Hause war.

„Er wird nicht lange weg sein“, erklärte Carol, die langjährige Sekretärin von Tamaras Vater.

„Wir vermissen Ihren Vater sehr“, fügte die junge Frau hinzu. „Sein Tod hat uns alle völlig überrascht, obwohl Kevin Kramer seine Sache sehr gut macht.“

Carol war fünfunddreißig und lebte allein. Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen hatte sie sich bereits Hals über Kopf in Kevin Kramer verliebt.

„Tatsächlich?“, fragte Tamara kühl. „Ich hatte erwartet, die Aufgabe würde ihn überfordern.“

Carol runzelte die Stirn. „Sie scherzen.“

Tamara erkannte, dass sie zu weit gegangen war, und zwang sich zu lächeln. „Natürlich“, sagte sie. „Ich werde im Büro meines Vaters auf ihn warten.“ Es widerstrebte ihr, es als Kevins Büro zu bezeichnen. „Sagen Sie Kevin bitte nicht, dass ich hier bin. Es soll eine Überraschung sein.“

„Kann ich Ihnen eine Tasse Tee bringen?“

Tamara schüttelte den Kopf. „Nein danke.“

Ben Wildings Büro war ihr immer bequem und gemütlich vorgekommen. Als Kind hatte Tamara oft auf dem Sessel hinter dem Schreibtisch gesessen, die Füße baumeln lassen und davon geträumt, irgendwann einmal die Chefin dieser Firma zu werden.

Doch jetzt war alles anders gekommen. Ungläubig schaute Tamara sich in dem Zimmer um. Es war, als befände sie sich plötzlich auf einem anderen Planeten. Der antike Eichentisch ihres Vaters war verschwunden und ebenso der gemütliche Ledersessel und der altmodische Teppich. Stattdessen war kühle, anonyme Technik eingezogen.

Die Möbel waren sämtlich aus Stahl und Glas. Der Schreibtisch hatte eine blank polierte Glasplatte, und dahinter stand ein ungemütlich wirkender Stuhl mit grauem Stoffbezug. Die Behälter für Federhalter und Bleistifte waren aus nacktem Chrom, und an den Wänden hingen so gut wie keine Bilder. Es war ein kalter, nüchterner Arbeitsraum, weiter nichts.

Tamaras Vater war immer stolz auf das entspannte Verhältnis zu seinen Angestellten gewesen. Wenn sie irgendwelche Sorgen oder Klagen hatten, dann konnten sie jederzeit kommen und sich bei ihm aussprechen. Dieses Zimmer gab jedoch jedem Besucher unmissverständlich zu verstehen: Sag, was du zu sagen hast, und dann geh!

„Und? Wie findest du es?“

Tamara zögerte einen Moment, bevor sie sich umdrehte und in das wohlbekannte Gesicht mit den kalten grauen Augen blickte. „Ich muss gestehen, dass ich es nicht besonders ansprechend finde“, sagte sie langsam. „Es ist jedenfalls nicht mein Geschmack. Und vom Stil meines Vaters hast du so gut wie nichts übrig gelassen.“

„Was geschehen ist, das ist geschehen“, antwortete Kevin Kramer ungerührt. Er ging zum Schreibtisch und warf sein Jackett über die Stuhllehne. Nein, dieser Mann hatte sich nicht verändert. Er war immer noch so anmaßend und arrogant wie früher.

Tamara hatte ihn kurz bei der Beerdigung ihres Vaters gesehen, nachdem sie ihm seit dem Tod seiner Schwester vor gut einem Jahr absichtlich aus dem Weg gegangen war. In diesem Jahr war sein Gesicht jedoch erstaunlich gereift. Kevin wirkte erwachsener und entschlossener als zuvor, und die sexuelle Anziehungskraft, die er immer schon auf Frauen ausgeübt hatte, schien ebenfalls gewachsen zu ein. Allerdings bemühte Tamara sich, diesen Anteil seiner Persönlichkeit geflissentlich zu ignorieren.

Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten und erschien Tamara ebenso kontrolliert wie sein übriges Leben. Die kräftige, gerade Nase und der schmale Mund spiegelten Tatkraft und Entschlussfreude. Die Kinnpartie wirkte ebenfalls auf beinahe aggressive Weise männlich, und als er jetzt vor ihr stand, kam in seiner ganzen Haltung eine Überlegenheit zum Ausdruck, die Tamara äußerst verunsicherte.

„Ich habe dich erwartet“, sagte er und ließ den Blick langsam über ihr knappes Baumwollkleid gleiten, unter dem sich ihre femininen Formen abzeichneten.

Tamara ertrug seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Dann kann ich ja auch gleich zur Sache kommen“, erwiderte sie kühl. „Ich will, dass du hier verschwindest. Mein Vater hat dir zwar das Geschäft übertragen, aber ich werde es mir zurückholen. Es war schon immer abgemacht, dass die Firma irgendwann einmal mir gehören würde, und ich verstehe nicht, warum Ben seine Meinung am Ende noch geändert hat. Es sei denn, jemand hat ihn unter Druck gesetzt.“

Sie sah Kevin herausfordernd an, und die Spannung zwischen ihnen war beinahe physisch spürbar.

„Du glaubst also, dass du gleichzeitig das Geschäft führen und deiner Arbeit als Designerin nachgehen kannst?“

„Ich will es jedenfalls versuchen“, antwortete Tamara fest.

„Nach meiner Ansicht braucht die Firma uns beide“, sagte Kevin ruhig.

„Das hier ist ein Familienunternehmen, Kramer.“ Jedenfalls war es das gewesen, bis ihr Vater diese seltsame Entscheidung getroffen hatte. Tamara war sich inzwischen fast sicher, dass Kramer irgendetwas damit zu tun hatte.

„Gehöre ich denn nicht so gut wie zur Familie?“

Sein überhebliches Lächeln machte Tamara nur noch wütender. Allerdings musste sie zugeben, dass er zumindest im letzten Punkt recht hatte. Kramer gehörte zu ihrem Leben, seit sie denken konnte – auch wenn sie sich immer dagegen aufgelehnt hatte.

„Du kannst jedenfalls sicher sein, dass ich mir von dir nichts befehlen lasse“, bekräftigte Tamara.

„Ach ja?“ Er kam um den Schreibtisch und lehnt sich gegen die Tischplatte, ohne Tamara aus den Augen zu lassen. „Dagegen werde ich die Genugtuung haben, eine alte Rechnung zu begleichen.“ Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: „Kannst du dir nicht vorstellen, was ich deinetwegen erlitten habe?“

„Glaubst du etwa immer noch, ich sei für Annas Tod verantwortlich?“ Tamara sah ihn überrascht an.

„Bis zu meinem eigenen Tod“, versicherte er hart.

Tamara wandte sich betroffen ab. Sie hatte ihm nie die Wahrheit erzählt, denn so sehr sie Kevin auch verachtete, sie wollte das ideale Bild nicht zerstören, das er von seiner Schwester gehabt hatte.

Anna war zehn Jahre alt gewesen, als ihre Eltern gestorben waren, und seit dieser Zeit waren sie und ihr Bruder unzertrennlich gewesen. Kevin, der zehn Jahre älter war als Anna, hatte eine Rolle übernommen, die nur wenige junge Männer seines Alters angenommen hätten. Er hatte seine Schwester erzogen, er hatte sie beschützt und sie auf den rechten Weg gebracht. Vielleicht hatte er sie am Ende zu sehr umsorgt.

Tamara schob sich ungeduldig eine Haarsträhne aus der Stirn. „Das ist eine leere Drohung“, sagte sie. „Ich glaube dir kein Wort.“

Er hob die Brauen. „Das wäre allerdings ein Fehler.“

Tamara presste die Lippen zusammen. „Du kannst mich nicht einschüchtern, Kevin. In dieser Firma ist nicht Platz genug für uns beide. Ich werde einen Weg finden, dich loszuwerden.“

Kevin lächelte überlegen. „Dann wird es eben zum Kampf kommen.“ Er ging wieder hinter den Tisch und tat, als sei er mit wichtigen Papieren beschäftigt. „Wenn du alles gesagt hast, dann wäre ich dir dankbar, wenn du jetzt gehst. Ich habe zu tun.“

Tamara musste daran denken, dass er sich mit der Arbeit beschäftigte, die jetzt eigentlich ihre Aufgabe hätte sein sollen. Sie ging zur Tür und musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. „Ich werde morgen Punkt neun hier sein, und nur einer von uns kann dann die Arbeit machen.“

Kevins Drohung weckte bei Tamara unglückliche Erinnerungen. Der Tod seiner Schwester vor einem Jahr war ein tragischer Unfall gewesen, und danach hatte Tamara lange gebraucht, bevor sie sich wieder an das Steuer eines Wagens gesetzt hatte.

Hinterher hatte sie bereut, mit Anna zu jener Party gefahren zu sein. Wenn Anna sich damals nicht widersetzt hätte, als Tamara versucht hatte, sie von ihrem Verhalten abzubringen, wäre sie vielleicht noch am Leben. Ja, wenn …

Tamara wartete vor einer roten Ampel und sah in Gedanken wieder jene Szene vor sich, als der Unfall passierte. Der Alleebaum, der immer näher kam, das Geräusch knirschenden Metalls, Annas Schrei, als sie durch die Windschutzscheibe flog. Dann die Stille. Diese furchtbare Stille.

Tamara hatte den Gurt angelegt, aber Anna hatte sich geweigert. Tamara hatte mit dem Schneidbrenner aus dem Wagen befreit werden müssen, aber sie hatte überlebt. Anna war noch an der Unfallstelle gestorben.

Hinter ihr hupte jemand, und erschrocken stellte Tamara fest, dass die Ampel auf Grün gesprungen war. Zitternd legte sie den Gang ein und fuhr los. Als sie endlich zu Hause war und aus dem Wagen stieg, fühlte sie sich elend und schwach.

Bevor sie das Haus betrat, blieb sie einen Augenblick stehen. Es war verrückt, sich von Kevin Kramer derart unter Druck setzen zu lassen. Allerdings wusste Tamara auch, dass es nicht allein seine Schuld war. Schließlich wusste Kevin nichts von den Albträumen, die sie noch Monate nach dem Unfall gehabt hatte.

Und in dieser Nacht kehrten die bösen Träume zurück. Schweißgebadet wachte Tamara auf und knipste die Nachttischlampe an. Erneut hatte sie den Hergang des Unfalls vor sich gesehen, hatte gesehen, wie Anna gestorben war. Es war grausam. Sie hielt es nicht aus.

Tamara stand an diesem Morgen früh auf, denn sie war entschlossen, vor Kramer im Büro zu sein. Das Viertel, in dem die Firma ihres Vaters lag, war wie ein Labyrinth mit alten, engen Straßen durchzogen, die von endlosen Reihen viktorianischer Häuser gesäumt wurden. Die meisten von ihnen waren in Werkstätten und Verkaufsräume umgewandelt worden, aber es gab auch eine Goldschmiedeschule, eine Halle, in der Messen und Versteigerungen stattfanden, mehrere Banken sowie einen eigenen Zeitungsverlag. Das Ganze war fast eine eigene kleine Stadt, in der sich alles um das Goldschmiedehandwerk drehte.

An prominenter Stelle befand sich die Chamberlain-Uhr, die im Jahre 1903 zu Ehren des Abgeordneten Chamberlain errichtet worden war, auf dessen Initiative die Schmucksteuer abgeschafft worden war. Als Tamara in den Firmenparkplatz bog, war es genau Viertel vor neun, aber sie erkannte sofort, dass Kramer bereits da war. Sein roter Mercedes stand genau an der Stelle, an der ihr Vater immer seinen Wagen geparkt hatte, und von Brenda, dem Portier, erfuhr Tamara, dass Kevin bereits seit acht im Büro war.

Die Firma Wilding war in einem Eckhaus untergebracht. Drei Stufen führten zu einer großzügigen Glastür, durch die man in einen Empfangsbereich trat, der mit einem taubengrauen Teppichboden ausgelegt war. In Schaukästen waren exklusive Schmuckstücke ausgestellt. Zu den Hauptkunden der Firma gehörten exklusive Juweliergeschäfte in London und anderen großen Weltstädten. Die meisten Stücke wurden als Auftragsarbeiten ausgeführt.

Eine Tür führte aus dem Empfangsbereich in die Werkstätten, während sich die Verwaltung im oberen Stockwerk befand. Es gab auch noch eine Hintertür zum Parkplatz, aber Tamara benutzte sie nur selten. Sie zog es vor, durch den Haupteingang zu gehen, denn sie liebte den Anblick der Schmuckstücke, die sie so sorgfältig entworfen hatte.

Die Handwerker waren bereits bei der Arbeit, denn sie begannen gewöhnlich um acht. Es war gut möglich, dass Kevin aus diesem Grunde ebenfalls um acht gekommen war.

Von den Büroräumen im obersten Stockwerk konnte man hinunter in die Werkstätten sehen. Kevins Büro lag am Ende des Korridors und konnte ebenfalls über eine zweite Treppe erreicht werden. Daneben lag Carols Zimmer, dann kam Tamaras Büro und schließlich ein kleineres Büro, in der eine junge Angestellte den Empfang der Kunden und Geschäftspartner besorgte.

Als Tamara über den Flur ging, erschien Kevin im Eingang zu seinem Büro, als habe er bereits auf ihre Ankunft gewartet.

„Wenn du den Mantel abgelegt hast, würde ich gern mit dir sprechen“, sagte er kurz und verschwand in seinem Zimmer.

Tamara spürte, dass sie wütend wurde. Er hatte offenbar keine Hemmungen, ihr Befehle zu erteilen. Sie hängte den Mantel an die Garderobe und ging schnurstracks in sein Büro.

Kevin stand am Fenster und blickte in die Werkstätten, in denen die Männer ihrer Arbeit nachgingen. Tamara fragte sich, wie viel Zeit er damit verbrachte, den Angestellten zuzusehen. Sie wusste, dass sie davon sicher nicht begeistert wären.

Es dauerte einen Moment, bevor er sich zu ihr umdrehte. Sein Blick war kühl und ausdruckslos.

„Etwas soll von Anfang an klar sein. Ich bin hier der Chef.“

Tamara wollte etwas erwidern, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Es interessiert dich vielleicht, dass sich einige neue Kunden für besondere Einzelstücke interessieren. Anscheinend hast du dir als Designerin einen guten Namen gemacht. Du wirst so viel zu tun haben, dass du für andere Dinge gar keine Zeit mehr haben wirst.“

Tamara sah ihn feindselig an. „Das hast du mit Absicht getan, nicht wahr?“

„Ja. Ich habe versucht, Aufträge zu bekommen“, erwiderte er verbindlich. „Ich verfüge über einige gute Kontakte. Es wäre ein Jammer, sie nicht zu nutzen.“

„Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe“, entgegnete sie giftig.

„Du solltest dich darüber freuen, dass das Geschäft blüht. Ich weiß, dass Ben ein ziemlich lukratives Unternehmen hatte, aber es hat bei Weitem noch nicht sein volles Potenzial erreicht. Einige Geschäftsmethoden sind ziemlich altmodisch.“

„Das brauchst du mir nicht zu erzählen. Ich habe in der Vergangenheit oft Verbesserungsvorschläge gemacht, aber mein Vater hat mir nie zugehört.“ Sie wartete darauf, dass er eine ironische Bemerkung einfügen würde, aber stattdessen nickte er nur verständnisvoll.

„Wenn du in Zukunft noch mehr solcher Ideen hast“, fuhr Tamara fort, „dann wäre ich dir dankbar, wenn du sie vorher mit mir besprechen würdest. Mein Vater hat dir zwar die Firma überschrieben, aber ich bin immer noch seine Tochter und kann genauso mitbestimmen wie du.“

„Dann willst du dir also vorbehalten, gegen jede meiner Entscheidungen dein Veto einzulegen?“

„Nur wenn ich nicht damit einverstanden bin.“

„Was wohl die Regel sein wird“, kommentierte er trocken. „Ich mache mir keine Illusionen über dich.“

Tamara hob stolz den Kopf. „Ich kann schließlich nichts dafür, dass du Zeit meines Lebens mein Konkurrent gewesen bist.“

„Es hätte nicht so sein müssen.“

„Ach nein?“ Sie blickte ihn kühl an. „Sollte ich dich etwa als meinen Ersatzbruder akzeptieren? Hätte ich mich nicht darüber beklagen sollen, dass mein Vater dir mindestens ebenso viel Zuneigung entgegenbrachte wie mir?“

„Jetzt übertreibst du aber, Tamara.“

„Du weißt nicht, wie sehr mich das verletzt hat“, beharrte sie. Vielleicht hatte sie als Kind mehr hineingelesen, als tatsächlich da war, aber jetzt war es zu spät, ihre Meinung über Kevin zu ändern. Ihre Abneigung wurzelte so tief, dass sie sich nicht vorstellen konnte, jemals Frieden mit ihm zu schließen.

„Es ist nicht meine Aufgabe, mich für das Verhalten deines Vaters zu entschuldigen“, sagte Kevin. „Ich bin ihm sehr dankbar für alles, was er für mich getan hat. Aber ich habe ihn nie darum gebeten.“

Trotzdem hat er es bekommen, dachte Tamara bitter und ging zur Tür. Es ärgerte sie maßlos, dass sie ihn als Chef des Unternehmens anerkennen musste, aber sie konnte nichts dagegen ausrichten. Es sah wirklich so aus, als hätte Kevin sie gemeinsam mit ihrem Vater ausgebootet. Sie fragte sich nur, wie lange die beiden an diesem Coup gearbeitet hatten.

In ihrem Büro schob Tamara den Stapel mit Notizen und Zeichnungen, die sie in Japan gemacht hatte, zur Seite und blätterte die Nachfragen durch, die während ihrer Abwesenheit auf dem Schreibtisch gelandet waren. Das Geschäft war nach dem vorweihnachtlichen Rummel ziemlich ruhig gewesen, und deshalb hatte Tamara auch kein schlechtes Gewissen gehabt, als sie sich für einen längeren Auslandsaufenthalt entschieden hatte. Jetzt sah es allerdings so aus, als sei sie in den nächsten Monaten reichlich mit Arbeit eingedeckt. Es ärgerte sie nur, dass sie die neuen Aufträge einzig und allein Kevin zu verdanken hatte.

In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Carol trat ein. „Ich habe Kevin gerade eine Tasse Kaffee gemacht. Möchten Sie auch eine?“

Tamara nickte. „Ja, bitte.“

Wenig später kam Carol mit zwei Tassen Kaffee zurück und setzte sich zu Tamara an den Schreibtisch. Offenbar stand ihr der Sinn nach einem gemütlichen Plausch, was für die junge Frau eigentlich recht ungewöhnlich war. Carol war äußerlich zwar sehr attraktiv, sie neigte aber dazu, das Leben ein wenig zu ernst zu nehmen.

Heute Morgen spiegelten ihre Augen jedoch einen Glanz, den Tamara noch nie zuvor an Carol gesehen hatte. Sie wirkte wie eine Frau, die sich gerade verliebt hatte. Tamara ahnte, dass es sich eigentlich nur um Kevin handeln konnte.

„Was können Sie mir über Kevin sagen?“, fragte Carol dann auch ohne große Umschweife. „Sie kennen ihn doch sehr gut, nicht wahr? Ist er nicht ein Freund Ihrer Familie?“

Tamara zuckte die Schultern. „Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang, aber er war mehr der Freund meines Vaters. Was wollen Sie über ihn wissen?“

„Zum Beispiel, ob er verheiratet ist.“

„Nein.“

Es war Carol anzusehen, dass sie über diese Antwort sehr erleichtert war. „Hat er denn eine feste Freundin?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Das kann ich kaum glauben“, sagte Carol. „Er sieht doch wirklich großartig aus. Jede Frau muss ihn attraktiv finden.“

„Er hat sich bis vor Kurzem hauptsächlich um seine Schwester gekümmert. Ich nehme an, dass er einfach zu wenig Zeit hatte.“

Carol trank einen Schluck Kaffee. „Was glauben Sie, wie ich ihn auf mich aufmerksam machen könnte? Er scheint nicht einmal zu bemerken, dass ich da bin. Ich bin für ihn nicht mehr als ein Stück seiner verfluchten Büroeinrichtung.“

„Dann hassen Sie sie auch?“, erkundigte Tamara sich lächelnd.

Carol nickte.

„Ich finde sie scheußlich. Ich frage mich, wer ihn dazu überredet hat.“

„Er hat sie sich selbst ausgesucht“, berichtete Carol. „Er hat die verschiedenen Sachen in einem Katalog ausgewählt und mich dann beauftragt, sie zu bestellen.“

„Ich wünschte, Sie hätten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er einen schweren Fehler macht. Die Einrichtung ist so unpersönlich.“

„Genau wie Kevin“, ergänzte Carol.

Nicht immer, dachte Tamara und erinnerte sich an das einzige Mal, bei dem Kevin sie in den Armen gehalten und geküsst hatte. Es war nur ein flüchtiger Kuss gewesen, aber trotzdem hatte Tamara in den letzten Jahren häufig daran zurückgedacht.

In Carols Büro klingelte das Telefon, und widerstrebend stand die junge Frau auf. Als Tamara allein war, rief sie sich die Situation mit Kevin wieder in Erinnerung.

Tamara war damals achtzehn gewesen und hatte Kevin fast drei Jahre nicht gesehen, weil er im Ausland gewesen war. Sie wollte an diesem Abend gerade auf eine Party gehen, als er ins Haus getreten war, bevor sie ihn daran hindern konnte.

„Meine Eltern sind ausgegangen“, sagte sie abweisend und folgte ihm ins Wohnzimmer.

„Wie schade. Ich habe leider nicht viel Zeit.“

„Du hättest vorher anrufen sollen. Ich bin sicher, dass mein Vater zu Hause geblieben wäre, wenn er gewusst hätte, dass du kommst.“ Tamara konnte ihren Sarkasmus nur mühsam verbergen.

„Ja, du hast recht.“ Kevin wandte sich um und sah Tamara aufmerksam an.

„Und ich hoffe, dass du nicht mehr allzu lange bleibst, denn ich will jetzt auch ausgehen.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“ Er ließ den Blick langsam über ihr schulterfreies Kleid wandern, unter dem sich deutlich ihre festen, vollen Brüste abzeichneten.

„Du bist erwachsen geworden, Tamara“, stellte er sachlich fest. „Vor drei Jahren warst du noch ein Kind, aber jetzt bist du eine junge Dame. Allerdings gefällt mir deine Frisur nicht besonders. Sie steht dir nicht.“

Tamara hatte fast eine Stunde damit zugebracht, ihr langes Haar in kunstvolle Locken am Kopf hochzustecken. Sie war mit dem Ergebnis sehr zufrieden gewesen, denn sie hatte geglaubt, sie würde nun erwachsener und reifer aussehen als mit langem Haar.

„Ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt“, erwiderte sie knapp.

Er kam näher, und bevor Tamara ihn daran hindern konnte, hatte er zwei Haarnadeln herausgezogen. In langen Locken fielen ihr die Haare auf die Schultern.

„Das ist besser“, sagte er sanft. „Machst du den Rest allein, oder soll ich dir helfen?“ Er hatte ihr die Hand auf den Nacken gelegt, und plötzlich spürte Tamara eine körperliche Erregung wie noch nie zuvor.

Einen Moment sah sie ihn verwirrt an. So hatte sie Kevin Kramer noch nie kennengelernt. Was hatte er vor?

Er zog sie langsam zu sich. „Du bist eine sehr attraktive Frau, Tamara“, sagte er leise, während er die Hand langsam über ihre nackten Schultern gleiten ließ.

Tamara wusste, dass sie sich wehren sollte, aber sie war unfähig, sich zu bewegen. Und dann beugte er sich plötzlich vor und küsste sie.

In diesem Moment war der Bann gebrochen. Sie drückte ihn zurück und begann laut zu schreien. „Lass mich los, du gemeiner Kerl. Was machst du denn da? Vater wird dich umbringen, wenn er davon erfährt.“

„Ich werde ihm nichts davon erzählen, wenn du es nicht tust“, erwiderte er belustigt. „Was ist schon dabei? Bist du denn noch nie geküsst worden?“

„Nicht von einem alten Mann“, erwiderte Tamara.

„Ich bin gerade erst sechsundzwanzig, Tamara.“ Er lächelte.

„Das ist alt“, gab sie zurück. „Geh endlich fort. Ich hasse dich.“

Kevin lachte. „Eines Tages wirst du deine Meinung ändern.“

Doch Tamara hatte ihn von da an noch distanzierter behandelt als vorher. Und als er sie später für den Tod seiner Schwester verantwortlich machte, war sie froh, dass sie ihm ihre wahren Gefühle nie gezeigt hatte.

Tamara stürzte sich in ihre Arbeit und blickte nicht eher auf, bis Kevin ins Büro kam und ihr sagte, dass es Zeit zum Mittagessen sei. „Es gibt einiges, über das ich mich mit dir unterhalten will“, sagte er. „Beim Essen.“

Tamara runzelte die Stirn. „Ich werde nicht mit dir ausgehen.“

„Wir werden hier essen“, erwiderte er. „Ich habe bereits einige Sandwiches bestellt. Komm in fünf Minuten in mein Büro.“

Sie hätte seine Bitte am liebsten ignoriert, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, worüber er mit ihr diskutieren wollte. Doch schließlich siegte die Neugier.

„Setz dich“, forderte Kevin sie auf und stellte einen Teller mit Krabbensandwiches vor sie hin. Er hatte die Ärmel seines Hemdes bis zum Ellbogen aufgerollt, und im gedämpften Sonnenlicht, das durch die halbgeschlossenen Jalousien hereinfiel, wirkte er noch attraktiver als sonst.

Eine Zeit lang schwiegen sie beide. Kevin biss in sein Vollkornbrot und betrachtete Tamara dabei ungeniert von oben bis unten. Verärgert spürte sie, wie seine überwältigende Kraft und Männlichkeit auf sie zu wirken begannen.

„Wozu hast du mich kommen lassen?“, fragte sie irritiert, ohne die Sandwiches anzurühren.

„Ich habe eine ziemlich attraktive Anfrage, aber bevor ich den Auftrag vergebe, möchte ich mit dir darüber sprechen.“

Tamara sah ihn überrascht an. „Du fragst mich um Rat?“

Er lächelte. „Nicht ganz. Aber das hast du doch auch nicht erwartet, oder? Ich will nur wissen, ob du dir die Sache zutraust.“

Tamara holte tief Luft. „Es gibt nichts, was ich mir nicht zutrauen würde.“

„Gut.“ Er reichte ihr ein Schriftstück. „Dann lies das hier.“

Tamara überflog das Papier, und ihr Erstaunen wuchs von Zeile zu Zeile. Sie sollte eine Halskette sowie Ohrringe für die Comtessa Margherita Maria von Italien anfertigen!

2. KAPITEL

„Das ist ja unglaublich“, sagte Tamara beeindruckt. „Wodurch hat die Comtessa von uns erfahren?“ Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Vater jemals ein solches Geschäft an Land gezogen hatte.

„Zufällig kenne ich einige Leute an den richtigen Stellen“, erwiderte Kevin. „Ich habe dort erwähnt, dass ich nun die Firma deines Vaters leite und du eine hervorragende Designerin bist. Offenbar hat das gewirkt. Was meinst du?“

„Es hört sich wunderbar an“, gestand Tamara. „Es ist die beste Gelegenheit, die wir jemals gehabt haben.“ Ihr missfiel lediglich, dass Kevin einen solchen Erfolg verbuchen konnte und nicht ihr Vater. „Allerdings kenne ich die Vorlieben der Comtessa nicht. Genauso wenig den Schmuck, den sie normalerweise trägt. Es könnte sein, dass ich etwas entwerfe, was absolut nicht zu ihr passt.“

„Soll das etwa heißen, dass du den Auftrag nicht annehmen willst?“ Kevin fixierte sie scharf.

„Nein, das ist es nicht“, antwortete Tamara schnell. „Natürlich werde ich die Sache übernehmen.“

Kevin nickte. „Das habe ich auch nicht anders erwartet.“

Trotzdem würde sehr viel Vorbereitung notwendig sein, um genau herauszufinden, was die Comtessa mochte und was nicht. Doch das Ansehen, das mit dem Auftrag verbunden war, würde für alle Mühen entschädigen.

„Ich habe keinen Appetit“, sagte Tamara und schob den Teller weg. „Ich muss zurück an die Arbeit.“

Sie hatte sowieso schon genug zu tun, und jetzt kam auch noch dieser Auftrag hinzu. Wahrscheinlich würde sie in den nächsten Monaten kaum Zeit zum Atmen haben. In Gedanken machte sie bereits die ersten Entwürfe. Vielleicht konnte sie einige der Ideen verwenden, die sie in Japan aufgegriffen hatte.

„Unsinn“, meinte Kevin. „Du musst essen, damit du bei Kräften bleibst. Magst du keine Krabben? Soll ich etwas anderes holen lassen?“

„Nein, ich mag sie schon“, entgegnete Tamara. „Nur …“

„Dann iss“, befahl er.

Und Tamara musste notgedrungen die Sandwiches essen, während Kevin sie dabei beobachtete. Tamara fühlte sich äußerst unbehaglich. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, wie stark sie seine sexuelle Anziehungskraft empfand, wenn er so nahe bei ihr stand. Beinahe hätte sie sogar vergessen, wie verächtlich er sie gewöhnlich behandelte.

Nach dem Essen ging Tamara in ihr Büro, um Kaffee zu kochen. Als sie in Kevins Zimmer zurückkehrte, stand er am Fenster, und wieder einmal beobachtete er die Arbeiter.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihnen das gefällt“, sagte Tamara spontan.

Er drehte sich um. „Dass ihnen was nicht gefällt?“

„Dass du sie bei der Arbeit beobachtest.“

„Ich habe eine neue Maschine bestellt und will wissen, wann sie endlich eintrifft.“

„Was hast du getan?“, fragte Tamara entsetzt. Sie stellte die zwei Kaffeetassen ab und sah ihn mit ungläubiger Miene an. „Es war immer der Stolz meines Vaters, dass jedes Stück Schmuck, das unser Haus verließ, reine Handarbeit war. Hast du etwa vor, in Zukunft nur noch massenweise Billigware zu produzieren?“

Kevin schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Man kann aber mit modernen Maschinen viel sauberer und vielleicht sogar schneller arbeiten.“

Tamara wusste, dass er recht hatte. Sie hatte in der Vergangenheit oft versucht, ihren Vater zu einigen Änderungen bei der Produktion zu überreden. Jetzt ärgerte sie sich, dass Kevin diese Veränderungen von einem Tag auf den anderen einführte.

„Was sagen Bill und die anderen dazu?“ Bill Pearce hatte mit ihrem Vater zusammengearbeitet, seit das Geschäft bestand. Er war der Meister des Betriebes.

Kevin zuckte die Schultern. „Ich bin auf einigen Widerstand gestoßen.“

„Wahrscheinlich hast du ihnen gesagt, es wäre nur zu ihrem Besten, nicht wahr?“

„Natürlich. Und als ich ihnen außerdem noch eine kleine Gehaltserhöhung angeboten habe, gab es keine Einwände mehr.“

„Hast du bedacht, dass du wertvolle Zeit damit verlierst, die Arbeiter in die Bedienung der neuen Maschinen einzuweisen?“

„Ich habe bereits eine Schulungsmaßnahme organisiert.“

Tamara blickte ihn feindselig an. „Du hast anscheinend an alles gedacht.“

„Das hoffe ich jedenfalls.“

Er sagte das mit so viel Überlegenheit, dass sie ihm am liebsten die Kaffeetasse an den Kopf geworfen hätte. „Offenbar hast du bereits eine Menge erreicht in der kurzen Zeit, in der du hier bist“, bemerkte sie spitz.

„Es gibt immer noch eine Menge zu tun“, erwiderte Kevin ungerührt.

Tamara trank ihren Kaffee aus und wandte sich zum Gehen. „Vielen Dank für das Mittagessen. Ich werde jetzt an meine Arbeit zurückkehren.“

Wahrscheinlich war es nur der Neid auf seinen Erfolg, der sie so wütend machte. Kevin tat genau die Dinge, die sie an seiner Stelle wohl ebenfalls getan hätte. Doch der Gedanke, dass sie seine Position genauso gut ausfüllen könnte, machte alles nur noch schlimmer. Vielleicht zeigte Kevin ihr nur deshalb seine Erfolge, weil er sie damit eifersüchtig machen wollte.

In den nächsten beiden Stunden probierte Tamara mehrere Entwürfe für verschiedene Schmuckstücke, beschloss dann jedoch, hinunter zu Bill zu gehen und sich mit ihm zu beraten. Sie wusste natürlich selbst, was technisch machbar war und was nicht, denn sie hatte eine Ausbildung als Goldschmiedin gemacht. Bevor sie ihre Ideen jedoch endgültig zu Papier brachte, sprach sie gewöhnlich immer erst mit Bill.

In der Werkstatt trat sie neben Bill und sah zu, wie er eine kleine Goldplatte zurechtbog, die er bereits auf die Größe geschnitten hatte, die er brauchte. Das Plättchen lag auf einem kleinen Amboss, über dem Bill eine Presse in Position hielt, mit der er dem Goldplättchen ein bestimmtes Muster einprägen konnte.

Als er fertig war, blickte Bill auf. Er war ein schmaler, energischer Mann mit schütterem grauem Haar und freundlichem Gesicht. „Schön, dass du wieder da bist“, begrüßte er Tamara. „Wir vermissen deinen Vater sehr. Er war der Beste, den wir haben konnten.“

„Ich vermisse ihn auch, Bill. Aber sag mir, was du von Mr. Kramer hälst.“

„Er ist in Ordnung“, erwiderte Bill ruhig. „Einige Kollegen mögen ihn allerdings nicht besonders. Er ist wie der sprichwörtliche neue Besen, der das Unterste zuoberst kehrt. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass du das Geschäft übernimmst.“

„Das habe ich auch gedacht.“ Tamara schaute betreten zu Boden. „Doch offenbar kann ich der Firma an anderer Stelle noch eher nutzen.“

„Das stimmt“, Bill lachte. „Wie ich höre, haben wir so viele Aufträge wie noch nie. Vielleicht war die Entscheidung deines Vaters am Ende doch nicht so schlecht.“

„Das wird die Zeit zeigen“, antwortete Tamara zurückhaltend.

Bill sah sie überrascht an. „Dir gefällt sein Stil nicht besonders?“ Er nickte in die Richtung von Kevins Büro.

Tamara fragte sich, ob er wieder am Fenster stand und sie beobachtete, aber sie wagte nicht hinaufzusehen. „Eigentlich nicht besonders“, gestand sie. „Aber wie du schon sagtest: Es sieht aus, als wäre es für die Firma das Beste. Was hältst du von seiner Idee, neue Maschinen anzuschaffen?“

Bill zuckte die Schultern. „Ich schätze, wir werden uns daran gewöhnen müssen.“ Er zögerte, bevor er Tamara fragte: „Wer ist dieser Kevin Kramer eigentlich? Die Leute behaupten, er sei ein enger Freund deines Vaters gewesen. Ich denke, dafür ist er ein wenig jung.“

„Er ist das Patenkind meines Vaters“, erwiderte Tamara. „Er hat sozusagen die Stelle des Sohnes eingenommen, den Ben nie gehabt hat.“ Erst als Bill sie neugierig ansah, merkte sie, wie bitter diese Worte klangen. „Es ist die Wahrheit“, bekräftigte sie. „Als Kevins Eltern starben, hat mein Vater ihn bis auf den Namen an Sohnes Statt angenommen.“ Sie lächelte gezwungen. „Und jetzt würde ich mich freuen, wenn du einen Blick auf diese Entwürfe werfen könntest.“

Als Tamara an diesem Abend im Bett lag, musste sie wieder an die Geschichte denken, die ihr Vater ihr kurz vor der Abreise nach Japan erzählt hatte.

„Als ich ein junger Mann war“, hatte ihr Vater begonnen, „und deine Mutter noch nicht kannte, habe ich mich in eine wunderbare Frau verliebt.“ Er lächelte bei dem Gedanken an die Vergangenheit. „Doch bevor ich den Mut fand, um ihre Hand anzuhalten, verließ sie mich und heiratete meinen besten Freund.“

„Oh wie furchtbar“, erwiderte Tamara voller Mitgefühl.

„Sie hieß Kathy“, fuhr ihr Vater langsam fort. „Der Name meines Freundes war Alan Kramer.“

„Kevins Eltern?“, fragte Tamara erstaunt.

„Ja. Ich war wie am Boden zerstört. Erst nach und nach kam ich wieder zur Besinnung. Wenn Kathy glaubte, dass sie Alan mehr liebte als mich, dann musste ich es akzeptieren. Ich wollte, dass sie glücklich wurde, und stellte mein eigenes Glück dafür zurück.“

„Oh Vater.“ Tamara setzte sich zu ihm und nahm seine Hände. „Wie musst du gelitten haben.“

Er nickte und schwieg einen Moment. „Nach langen Monaten sah ich mich endlich wieder in der Lage, sie zu treffen und den beiden meine Freundschaft anzubieten. Als nach einem Jahr Kevin geboren wurde, baten sie mich, sein Pate zu werden, und ich war darüber sehr glücklich. Ich gebe zu, dass ich dem Jungen außergewöhnlich viel Aufmerksamkeit zuwandte. Ich musste immer daran denken, dass es mein eigener Sohn hätte sein können, wenn ich Kathy geheiratet hätte.“

Tamara nickte. „Ich wünschte, du hättest mir das schon früher erzählt.“

„Ich glaubte, du seist noch zu jung, um es zu verstehen.“

„Nein“, widersprach sie. Dann fragte sie: „Was war mit Mutter? Weiß sie von Kathy?“

„Ja“, bestätigte er. „Ich habe ihr nie etwas verheimlicht. Tatsächlich hatte ich nach der Trennung von Kathy geglaubt, ich würde mich niemals mehr verlieben. Kevin war fast drei Jahre, als ich deine Mutter kennenlernte, und ich sah seiner Entwicklung mit beinahe elterlichem Stolz zu. Hilary war natürlich ganz anders als Kathy, aber trotzdem merkte ich, dass ich mich in sie verliebt hatte. Wir haben geheiratet, und vier Jahre später wurdest du geboren. Damals war Kevin gerade acht.“

„Und du hättest es lieber gehabt, wenn ich ein Junge gewesen wäre?“, fragte Tamara leise.

Ihr Vater schloss einen Moment die Augen. „Das kann ich nicht abstreiten, Tamara. Ich war zuerst furchtbar enttäuscht, aber dann tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass das nächste Kind vielleicht ein Junge sein würde. Doch wie du weißt, kamen keine Kinder mehr. Glaub jedoch niemals, dass ich dich nicht geliebt hätte, Tamara. Du hast mir sehr viel Freude gemacht.“

Er fasste ihre Hand so fest, dass es beinahe wehtat. „Als du zwei Jahre alt warst, wurde Anna geboren. Ich glaube, die beiden wollten nicht mehr Kinder. Kathy hatte eine schwierige Schwangerschaft, und wie du weißt, war Anna nicht gerade ein gesundes Kind.“

Tamara nickte.

„Und Kevin wollte nichts mit ihr zu tun haben“, fuhr ihr Vater fort. „Du kannst dir vorstellen, was ein zehnjähriger Junge über eine kleine Schwester denkt. Was danach passiert ist, weißt du selbst. Kathy und Alan kamen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Ich wollte, dass Kevin und Anna bei uns wohnten, aber Kevin weigerte sich. Als er zwanzig war, fühlte er sich erwachsen genug, den Haushalt zu führen und sich um seine Schwester zu kümmern. Die Gefühle für sie veränderten sich beinahe über Nacht.“

„Er hat sie zu sehr behütet“, meinte Tamara.

Ben nickte. „Das kann man gut verstehen.“

Allerdings war seine übertriebene Fürsorge indirekt auch für den Tod seiner Schwester verantwortlich. Jedenfalls war Tamara jetzt klar, warum er sie so hasste.

„Ich bin froh, dass du mir das alles erzählt hast“, sagte sie zu ihrem Vater. Doch obwohl sie seitdem verstand, warum ihr Vater Kevin so sehr liebte, sah sie immer noch nicht ein, warum er ihm das Geschäft übertragen hatte. Wenn er sie beide wirklich gleich gern gehabt hätte, dann hätte er ihnen die Firma auch zu gleichen Teilen übertragen.

In den nächsten Tagen ließ Kevin Tamara allein. Sie wusste nicht, ob er es mit Absicht tat, aber sie empfand es als wahren Segen.

Sie sah ihn häufig mit den Männern in den Werkstätten sprechen, und als er dabei einmal hochblickte, konnte er sehen, dass sie ihn durch ihr Fenster beobachtete. Sein ironischer Salut war Tamara ausgesprochen peinlich, und sie sorgte dafür, dass er sie nicht mehr am Fenster entdecken konnte.

Tamara freute sich sehr auf das Wochenende. Sie hatte sich für Samstag mit ihrer Freundin Patti verabredet, die sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Zu ihrer Enttäuschung teilte ihre Mutter ihr am Samstagmorgen jedoch mit, dass sie am Abend eine kleine Gesellschaft veranstaltete und Tamara gern dabei hätte.

„Eine Gesellschaft?“, fragte Tamara überrascht, denn immerhin befand sich ihre Mutter offiziell noch in Trauer.

„Ja“, erwiderte Mrs. Wilding. „Ich werde für einige Wochen verreisen, und ich habe Bill eingeladen, weil er in all den Jahren so treu zu deinem Vater gestanden hat. Außerdem wird Kevin kommen, denn ich denke, dass die beiden Männer sich ein wenig näher kennenlernen sollten. Dein Vater hätte sicher ebenso gehandelt.“

„Dann soll ich die Runde wohl ergänzen?“, fragte Tamara resigniert. „Dabei wollte ich heute Abend selbst ausgehen.“

„Es ist doch nur Patti“, erwiderte ihre Mutter. „Du kannst ihr ohne weiteres absagen. Bitte, Tamara. Tu es mir zuliebe.“

„Natürlich.“ Sie schwieg einen Moment und fragte dann: „Du sagtest, du willst verreisen? Wohin denn? Ich habe das Gefühl, das kommt alles sehr plötzlich.“

Hilary Wilding schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht. Ich habe es schon lange vorgehabt.“ Sie wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. „Ich werde Ida besuchen. Ich brauche jetzt dringend eine andere Umgebung.“

„Ich verstehe“, sagte Tamara leise. Ida Bronsey war die Schwester ihrer Mutter und bereits vor einigen Jahren Witwe geworden. Sie würden sich wahrscheinlich gut verstehen. „Ich werde dich vermissen.“

In Japan hatte Tamara ein schwarzes Seidenkleid im Kimonostil gekauft, das am Rocksaum mit silbernen Pailletten verziert war. An diesem Abend trug sie es mit schwarzen Seidenstrümpfen und roten Pumps. Als Ohrringe wählte sie lange filigrane Stücke mit winzigen Onyxverzierungen, die sie selbst entworfen hatte. Wie damals als Teenager frisierte sie ihr Haar hoch.

Kevin traf als Erster ein. Er erwiderte Tamaras Begrüßung mit einem kühlen Lächeln, und sie führte ihn sofort ins Esszimmer. Vergeblich versuchte sie, sich einzureden, wie wenig sein blendendes Aussehen ihr imponierte. Dabei wirkte Kevin in seinem hellen Seidenjackett und der eleganten Leinenhose tatsächlich umwerfend.

Der Tisch war mit dem besten Familienporzellan und teuerstem Silberbesteck gedeckt. In der Mitte befand sich ein aufwendiges Blumenarrangement aus dunkelblauen Hyazinthen und hellgelben Primelchen, die Tamaras Mutter erst vor einer Stunde im Garten geschnitten hatte.

„Sind die Blumen nicht wunderbar?“, fragte Tamara, die das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen.

Kevin warf lediglich einen kurzen Blick auf die Blumen. „Sehr hübsch. Allerdings können sie kaum mit deiner Schönheit mithalten. Soll ich annehmen, dass du dich nur meinetwegen so angezogen hast?“

Tamara lächelte zuckersüß. „Aber selbstverständlich. Und natürlich auch für Bill. Wo ist er nur? Er müsste eigentlich längst hier sein.“

In diesem Moment klingelte es an der Tür, und Tamara entschuldigte sich, um zu öffnen. Bill war ebenfalls sehr elegant gekleidet und hatte einen Strauß Blumen mitgebracht, den er der „Hausherrin“ überreichen wollte. „Das ist heute Abend eine seltene Ehre“, sagte er, als Tamara die Blumen an sich genommen und versprochen hatte, sie ihrer Mutter weiterzugeben.

„Meine Mutter dachte, du hättest es verdient.“

„Es wäre aber nicht nötig gewesen“, erwiderte Bill.

„Kevin ist übrigens auch da.“

Bill hob die Brauen, und Tamara wusste, dass er sich an die Unterhaltung erinnerte, die sie wenige Tage zuvor geführt hatten.

„Meine Mutter ist der Meinung, ihr beide solltet euch auch persönlich näher kennenlernen. Komm mit, ich mache dir einen Drink.“ Tamara fand es wesentlich einfacher, sich mit Bill zu unterhalten.

Inzwischen war auch ihre Mutter erschienen, und zu viert unterhielten sie sich über mehr oder weniger belanglose Themen. Tamara fand Gelegenheit, Kevin unauffällig zu beobachten, während er mit ihrer Mutter sprach. Sein attraktives Äußeres verwirrte sie mehr, als sie zugeben wollte. Obwohl sie seine Anziehungskraft auch in den Jahren zuvor gespürt hatte, war sie doch noch nie so stark gewesen wie in den vergangenen Tagen. Oder war sie bisher vielleicht nur zu naiv gewesen, ihre eigenen Gefühle zu verstehen?

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Kevin plötzlich.

Tamara spürte, dass sie errötete. „Nein, wieso?“

„Weil du mich anstarrst, als hättest du mich noch nie zuvor gesehen.“

Tamara hätte gern gesagt, dass sie ihm am liebsten wirklich nie begegnet wäre, aber mit Rücksicht auf Bill und ihre Mutter lächelte sie nur. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich dich anstarre.“

Es sollte zwar ein geselliger Abend werden, aber schon bald drehte sich das Gespräch nur noch um ein einziges Thema – den Juwelenhandel und die neuen Maschinen, die Kevin installieren wollte. Tamara hörte den Männern schweigend zu, denn die geschäftliche Seite begann sie an Kevin immer mehr zu hassen. Er hatte an ihrer Stelle die Führung der Firma übernommen, und das würde sie niemals akzeptieren.

Tamara hatte allerdings Mühe, die verräterischen Reaktionen ihres Körpers zu verbergen, die sich immer dann einstellten, sobald Kevin sie ansah. Er saß ihr am Tisch gegenüber und behandelte sie so zuvorkommend wie noch nie. Tamara wusste jedoch, dass er das alles nur aus Rücksicht auf ihre Mutter tat. Spätestens am Montag würden sie wieder Feinde sein.

„Was meinst du dazu, Tamara?“

Tamara sah Kevin betroffen an. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich war in Gedanken ganz woanders. Was hast du gesagt?“

„Kevin hat vorgeschlagen, dass wir einen neuen Schmucksetzer einstellen“, half Bill aus.

Mit einem Schlag war Tamara wieder hellwach. „Warum das denn?“, fragte sie misstrauisch.

„Weil die neue Maschine die Fassung wesentlich schneller herstellt als bisher“, erklärte Kevin.

„Sollten wir nicht lieber abwarten, wie Paul und die anderen zurechtkommen?“ Tamara war froh, dass Bill sie wieder ins Gespräch gebracht hatte. Ihm schien Kevins Idee mindestens ebenso unangenehm zu sein wie ihr.

„Wenn wir zu lange warten, werden die Verluste zu groß sein“, erwiderte Kevin. „Sam könnte sofort anfangen. Gute Schmucksetzer sind heutzutage rar.“

Tamara dachte im Stillen, dass Kevin sich wohl ein wenig übernahm, aber andererseits war ihre Meinung sowieso nicht ausschlaggebend. Sie zuckte gleichgültig die Schultern. „Das ist wirklich nicht mehr meine Sache.“

„Das ist allerdings wahr“, erwiderte Kevin mit entwaffnendem Lächeln. Und obwohl Tamara wusste, dass er es ironisch gemeint hatte, entging ihr nicht, dass sein Gesichtsausdruck plötzlich weicher und sympathischer wirkte als sonst. Plötzlich wünschte sie sich, sie wäre ihm unter anderen Umständen begegnet. Es gab eine Seite an ihm, die sie bisher noch nicht entdeckt hatte, und sie fragte sich unwillkürlich, wie Kevin wohl als Liebhaber sein würde. Doch im nächsten Moment bereute sie diesen Gedanken. Natürlich war diese Idee völlig absurd. Zwischen ihr und Kevin würde es niemals etwas anderes als Feindschaft geben.

Nach dem Dessert schlug Tamaras Mutter vor, den Kaffee im Salon einzunehmen. „Die jungen Leute können ja schon einmal vorgehen“, meinte sie. „Bill, willst du mir mit dem Kaffee helfen?“

Bill nickte und stand auf. Trotz Hilarys guten Absichten schien er mit Kevin nicht richtig warm zu werden. Tamaras Vater hatte Bill auch in geschäftlichen Dingen oft um Rat gefragt, und Bill hatte seinerseits mit seiner Meinung nie hinter dem Berg gehalten. Bei Kevin war das anders. Er machte allen von Anfang an klar, dass er seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte.

Als Kevin sich im Salon neben Tamara auf das Sofa setzte, stand sie abrupt auf. Kevin hielt sie jedoch zurück und zwang sie, sich wieder hinzusetzen. „Ich habe deiner Mutter zuliebe alles getan, um Streit zu vermeiden. Glaubst du nicht, du solltest es ebenso tun?“

Tamara sah ihn feindselig an. Sie wollte ihm etwas Passendes erwidern, aber dann hielt sie sich zurück. Ihrer Mutter zuliebe.

„Ich würde dich morgen gern zum Mittagessen ausführen.“

Tamara warf ihm einen überraschten Blick zu. „Um meiner Mutter einen Gefallen zu tun? Nein danke. Ich kenne angenehmere Beschäftigungen.“

Kevin ließ sich nicht beirren. „Ich werde dich gegen zwölf Uhr abholen. Wir werden irgendwo zu Mittag essen und anschließend …“

„Spar dir die Mühe“, unterbrach Tamara ihn wütend. „Ich bin morgen schon verabredet.“

Er hob die Brauen. „Ein Geliebter? Ich wusste gar nicht, dass du liiert bist.“

„Ich denke, das geht dich nichts an“, erwiderte Tamara kühl. „Im Übrigen ist es kein Geliebter. Es ist Patti Woods. Du kennst sie wahrscheinlich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.“

Kevin lächelte. „Ja, ich kann mich an sie erinnern. Fetti Patti. Das war doch ihr Spitzname, nicht wahr?“

Tamara beugte sich ein wenig vor. „Du würdest sie nicht wiedererkennen. Sie ist ebenso schlank wie ich und mindestens genauso hübsch.“

„Tatsächlich? Wie erstaunlich! Vielleicht sollte ich mir diese Verwandlung wirklich einmal näher ansehen.“

„Ich bezweifle, dass sie etwas mit dir zu tun haben will“, antwortete Tamara verärgert, obwohl sie wusste, dass diese Behauptung sicher nicht zutraf. Patti hatte mit Kevin noch nie direkten Kontakt gehabt, aber sie hatte ihn einmal aus der Ferne gesehen und im Übrigen viel über ihn erzählen gehört. Und als Tamara ihr telefonisch berichtet hatte, dass er der neue Eigentümer der väterlichen Firma sei, war ihre Freundin beinahe aus dem Häuschen geraten.

In diesem Moment kamen ihre Mutter und Bill herein. Hilary Wilding runzelte die Stirn, als sie Tamaras verärgertes Gesicht sah. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie besorgt.

„Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit“, erwiderte Kevin. „Aber jetzt verstehen wir uns wieder. Nicht wahr, Tamara?“

Er lächelte und legte seine Hand auf die ihre. Tamara spürte, wie ihr ein Schauer der Erregung über den Rücken lief. Kevin hatte wirklich sehr hübsche Augen, wenn er lächelte. Warum war ihr das eigentlich noch nie aufgefallen? Lag es vielleicht daran, dass sie gewöhnlich so kalt wie Eis wirkten?

„Soll ich den Kaffee eingießen?“, fragte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Wie machte er es nur, so widersprüchliche Gefühle in ihr auszulösen? Hatte sie sich nicht vorgenommen, sich von diesem Mann in Zukunft nicht mehr beeindrucken zu lassen? Tamara wusste nicht, was in sie gefahren war.

„Schon gut. Ich mache es“, sagte ihre Mutter. „Gib Kevin den Zucker und die Milch.“

Als Tamara ihm das Tablett reichte, berührte er wie zufällig ihre Hände. Das ging jetzt wirklich zu weit. Was hatte er vor? Tamara zog schnell das Tablett weg und bot es Bill an.

Danach zog sich die Unterhaltung etwas mühsam dahin, und früher, als Tamara erwartet hatte, brach Kevin auf. „Sie brauchen mich nicht zur Haustür zu bringen, Hilary. Tamara kann mich verabschieden. Wie steht es mit Ihnen, Bill? Soll ich Sie mitnehmen?“

„Falls Hilary nichts dagegen hat, bleibe ich noch etwas länger“, erwiderte Bill.

Tamaras Mutter nickte. „Natürlich habe ich nichts dagegen.“

„Mir hat der Abend sehr gut gefallen“, sagte Kevin höflich. „Und das Essen war ausgezeichnet. Sie haben sich wirklich sehr viel Mühe gegeben.“

„Und Sie haben mir geholfen, auf andere Gedanken zu kommen“, gestand Hilary. Lächelnd ließ sie sich von Kevin zum Abschied in die Arme nehmen.

Danach führte Tamara ihn zur Haustür. Als sie die Tür öffnen wollte, hielt Kevin sie jedoch zurück und zwang sie, ihn anzusehen. „Kevin, was …“

„Entschuldige bitte, Tamara“, sagte er freundlich. „Ich möchte nur ein Experiment wiederholen, das ich zum ersten Mal vor ungefähr zehn Jahren gemacht habe.“

3. KAPITEL

Bevor Tamara wusste, was geschah, hatte Kevin sie in die Arme genommen und küsste sie.

Mit achtundzwanzig war Tamara kein unerfahrener Teenager mehr, und trotzdem hatte sie noch nie einen leidenschaftlicheren Kuss erlebt. Kevin hatte ihr eine Hand um die Taille gelegt, während er mit der anderen ihren Kopf umfasste. Tamara wollte sich wehren, aber als Kevin seine Hand sanft und langsam zu ihrem Nacken gleiten ließ, erstarb ihr Widerstand. Diese Zärtlichkeit wollte sie voll und ganz genießen.

Unwillkürlich öffnete Tamara den Mund, und Kevin drang mit der Zunge in sie ein. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und dann begann sie, seinen Kuss zu erwidern.

Einen Moment vergaß Tamara völlig, dass sie diesen Mann eigentlich abgrundtief hasste, und gab sich nur dem Vergnügen dieses Augenblicks hin. Sie ahnte zwar, dass sie das alles morgen wahrscheinlich bereuen würde, aber dieser eine Moment war viel zu wunderbar, um ihn mit Gedanken an später zu zerstören.

Doch dann zog Kevin sich plötzlich zurück. Er hielt sie immer noch in den Armen, und sie konnte sehen, dass ihn dieser Kuss mindestens ebenso erregt hatte wie sie selbst. „Vielen Dank, Tamara“, sagte er leise.

„Wofür?“, fragte Tamara überrascht. Mit einem Male ahnte sie, dass es für ihn nur ein Spiel gewesen war.

„Dass du mir gezeigt hast, dass ich dir doch nicht so gleichgültig bin, wie du immer tust. Vor zehn Jahren hat dir mein Kuss noch Angst gemacht, aber heute Abend war es etwas anderes. Du hast sozusagen instinktiv reagiert. Beinahe so, als wolltest du geküsst werden. Du bist eine erwachsene Frau geworden, Tamara. Du kennst deinen Körper und seine Wünsche.“

Tamara sah ihn wütend an. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“

„Das denke ich doch. Du hast einen wunderbaren Körper, und ich kann nicht leugnen, dass ich mit all meinen männlichen Instinkten darauf reagiere.“ Er fuhr mit der Hand durch das Haar und zog sie sanft, aber bestimmt an sich. „Es ist wirklich schade, dass wir uns menschlich so schlecht verstehen. Ich habe das Gefühl, dass ich mit dir sehr viel Spaß im Bett haben würde.“

Tamara traute ihren Ohren nicht. Dieser Mann, der ihr ins Gesicht gesagt hatte, dass er sie hasste, wollte wirklich mit ihr ins Bett gehen? Was war er nur für ein Scheusal!

Allerdings musste Tamara zugeben, dass ihr in der Vergangenheit bereits ähnliche Gedanken gekommen waren – auch wenn sie nie verstanden hatte, warum ihr Körper so heftig auf Kevins Nähe reagierte. Sie hielt nichts davon, mit jedem x-beliebigen Mann ins Bett zu gehen, aber warum reagierte sie bei Kevin dann so impulsiv? Lag es etwa daran, dass sie bisher nie richtig sehen wollte, wie attraktiv er war? Trotzdem: Nur um des Vergnügens willen würde sie nie mit ihm ins Bett gehen.

„Lass mich jetzt los“, befahl sie. „Du musst schon Gewalt anwenden, wenn du mich haben willst.“

„Das würde mir keinen Spaß machen“, erwiderte er. „Ich will, dass die Frau in meinen Armen auf meine Zärtlichkeiten reagiert. So wie du vorhin.“

Tamara wünschte sich, sie könnte ihre Reaktion verleugnen. Doch stattdessen musste sie sich darauf beschränken, Kevin nur verächtlich anzusehen.

„Eines Tages wird es so weit sein“, sagte er und ließ Tamara los.

Erleichtert trat sie vor und öffnete die Tür. „Gute Nacht, Kevin.“

Er lächelte amüsiert. „Dann wirst du deine Meinung bezüglich des Mittagessens nicht ändern?“

„Nicht einmal, wenn du bezahlen würdest.“

„In diesem Fall sehe ich dich am Montag wieder. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

Tamara war versucht, die Tür hinter ihm laut ins Schloss zu werfen, aber aus Rücksicht auf ihre Mutter unterließ sie es.

Im Salon saßen Hilary und Bill noch immer zusammen und unterhielten sich angeregt über Ben. Es tat Tamaras Mutter offensichtlich gut, mit jemand zu sprechen, der ihren Mann so lange gekannt und respektiert hatte. „Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich zu Bett gehe?“, fragte Tamara und lächelte.

„Natürlich nicht“, erwiderte ihre Mutter. „Worüber hast du dich mit Kevin gestritten? Ich hatte gehofft, du würdest dich heute Abend ein wenig anstrengen.“

Tamara kam plötzlich ein Verdacht. War dieser Abend am Ende nur ihretwegen arrangiert worden? Vielleicht hatte ihre Mutter nur einen Vorwand benutzt, als sie gesagt hatte, sie wolle Kevin und Bill zusammenbringen.

„Er wollte sich für morgen mit mir verabreden, aber ich hatte keine Lust“, erklärte Tamara und zuckte gleichgültig die Schultern.

„Oh Tamara“, sagte ihre Mutter sofort. „Du hättest einwilligen sollen. Vielleicht will Kevin jetzt, wo ihr beide zusammenarbeitet, eine bessere Beziehung zu dir aufbauen. Er schien heute Abend jedenfalls sehr viel Interesse für dich zu zeigen.“

„Ich habe Patti bereits einmal versetzt“, beharrte Tamara. „Ich kann sie nicht noch einmal sitzen lassen. Gute Nacht, Mutter. Gute Nacht, Bill.“

„Ich kann es kaum glauben“, sagte Patti, nachdem sie Tamara ins Haus gebeten hatte. „Du hast meinetwegen eine Verabredung mit Kevin ausgeschlagen?“

„Du hättest an meiner Stelle wahrscheinlich genauso gehandelt“, erwiderte Tamara. „Wie kann ich nett zu einem Mann sein, der mir das Unternehmen meines Vaters unter der Nase weggeschnappt hat? Im Übrigen beruht die Abneigung auf Gegenseitigkeit. Er kann mich auf den Tod nicht leiden.“

Obwohl Patti ihre beste Freundin war, hatte Tamara ihr nie erzählt, dass Kevin sie vor vielen Jahren einmal geküsst hatte. Und auch die Tagträume, die sie seitdem verfolgten, hatte sie für sich behalten.

„Das ist sehr schade“, meinte Patti. „Er wäre genau der Richtige für dich. In unserem Alter gibt es nicht mehr viele vorzeigbare Männer.“

„Soll das etwa heißen, dass wir mit unseren achtundzwanzig dazu verdammt sind, unverheiratet zu bleiben?“ Tamara lachte.

„Manchmal befürchte ich das“, bestätigte Patti. „Ich habe die besten Jahre meines Lebens in einem anderen Körper zugebracht.“

„Aber wenn ich dich jetzt so ansehe, finde ich dich eigentlich recht attraktiv.“

„Ja, sieh mich nur an“, antwortete Patti. „Ich habe ein eigenes Haus, einen guten Job, eine nette Figur. Und trotzdem bin ich immer noch allein. Ich will wirklich nicht als alte Tante enden, Tamara. Warum stellst du mir eigentlich Kevin nicht einmal vor?“

„Du machst Witze. Ich würde ihn nicht einmal meiner schlimmsten Feindin wünschen.“

„Oh, so schlimm kann er nun auch wieder nicht sein. Ich sollte morgen vielleicht einmal bei dir im Büro vorbeischauen. Dann kann ich mir selbst ein Urteil bilden. Wird er um die Mittagszeit da sein?“

Tamara nickte. „Er ist ein regelrechtes Arbeitstier. Er fängt eine Stunde vor den anderen an und bleibt lange, nachdem der Letzte gegangen ist.“

Patti lachte, aber dann schlug sie ein anderes Thema an, und Kevin war vergessen.

Als Tamara am nächsten Morgen feststellte, dass es sich bei dem neuen Schmucksetzer um eine Frau handelte, traute sie zuerst ihren Augen nicht. Heutzutage machten zwar viele junge Frauen eine Lehre als Goldschmiedin, aber ihr Vater wäre niemals auf den Gedanken gekommen, für dieses Handwerk eine Frau einzustellen. Und natürlich war auch Tamara davon ausgegangen, dass Sam ein Mann wäre.

Kevin stellte die Neue als Samantha Sheldon vor. „Alle nennen sie nur Sam“, fügte er lachend hinzu, und Tamara war klar, dass er sie mit Absicht aufs Glatteis geführt hatte.

Samantha Sheldon war eine wohlproportionierte Blondine mit tiefblauen Augen und äußerst selbstbewusstem Auftreten. Sie trug einfache Jeans und ein T-Shirt, aber das genügte, um ihre weiblichen Reize voll zur Geltung zu bringen. Und dessen schien sie sich nur zu bewusst zu sein.

„Ich glaube, mir wird die Arbeit hier sehr gefallen“, sagte sie zu Tamara, warf dabei aber vor allem Kevin einen verstohlenen Blick zu. Für Tamara stand von da an fest, dass sie in ihn verliebt war. Und sie wunderte sich auch nicht mehr darüber, dass Kevin sie für den Job vorgeschlagen hatte.

Tamaras Miene verhärtete sich. „Entschuldigt mich bitte“, sagte sie kühl. „Ich habe zu tun.“

Kevin folgte ihr ins Büro. „Stimmt etwas nicht? Du bist doch nicht etwa eifersüchtig? Samantha ist ein außergewöhnlich guter Goldschmied. Sie arbeitet schnell und präzise. Sie wird ein großer Gewinn sein.“

„Für wen?“, fragte Tamara ironisch. „Ich werde jedenfalls abwarten, was sie wirklich kann.“

„Das ändert auch nichts an der Tatsache, dass sie ab jetzt für uns arbeiten wird“, antwortete Kevin hart.

Seine Bemerkung war eine Ohrfeige, und Tamara hatte Mühe, die Beherrschung zu wahren. Allerdings wurde im Verlauf des Arbeitstages deutlich, dass auch die anderen Mitarbeiter Samantha nicht mochten. Kevin hatte ihre Fähigkeiten zwar richtig eingeschätzt, aber nachdem sie Paul erzählen wollte, wie er seine Arbeit zu verrichten hätte, kam es zu ernsten Schwierigkeiten.

Paul war der erste Schmucksetzer und arbeitete fast ebenso lange für die Firma wie Bill. Allerdings hatte er nicht so viel Geduld wie Bill. Als Tamara unten war, um mit Bill über ein bestimmtes Design zu reden, kam Paul hinzu.

„Was glaubt diese Ziege eigentlich, wer sie ist?“, fragte er aufgebracht. „Will sie vielleicht meine Arbeit übernehmen?“

„Lass ihr bitte Zeit, Paul“, bat Tamara beruhigend.

„Ich weiß nicht, weshalb man sie eingestellt hat“, beharrte er. „Wir brauchen sie nicht. Es gibt nicht genug Arbeit.“

„Es wird bald genug Arbeit da sein“, erklärte Tamara. „Mr. Kramer hielt es für besser, die neue Angestellte schon jetzt einzuarbeiten.“

„Sie ist wahrscheinlich eine enge Freundin von ihm, nicht wahr?“, fragte Paul verächtlich. „Ich habe die beiden zusammen gesehen. Was geht vor sich? Warum hat dieser Kramer die Firma übernommen? Wir waren alle davon ausgegangen, dass Sie eines Tages das Geschäft führen würden.“

„Ich habe mit dem Design genug zu tun“, antwortete Tamara fest. Während sie zu Bill Pearce absolutes Vertrauen hatte, musste sie bei Paul vorsichtig sein. Bei Bill wusste sie, dass er den Mund halten würde. Paul dagegen würde sofort weitererzählen, was er von ihr hörte.

„Mr. Kramer macht gute Arbeit“, fügte sie hinzu. „Wir hatten noch nie so viele Aufträge wie jetzt.“

Paul stimmte widerstrebend zu. „Trotzdem kommen wir auch allein zurecht. Wir brauchen keine neuen Angestellten.“

„Im Moment nicht“, gab Tamara zu. „Aber die Nachfrage wächst ständig. Mr. Kramer ist der Meinung, dass wir immer einen Schritt voraus sein müssen. Ich bin sicher, dass Samantha Sheldon sich bald eingelebt hat. Geben Sie ihr Zeit, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.“

Paul zog sich brummend zurück, und es war klar, dass er nicht einverstanden war. Als Tamara wenig später in ihr Büro zurückkehrte, wartete Kevin bereits auf sie. „Worüber hast du dich mit Paul unterhalten?“ Sie hätte wissen müssen, dass er sie beobachtete. „Über Samantha Sheldon“, erwiderte sie und sah ihn herausfordernd an. Er runzelte die Stirn. „Stimmt etwas nicht?“

„Sie macht sich bei den Männern nicht gerade beliebt.“

„Und sie beschweren sich bei dir über sie?“

„Eigentlich nicht. Ich war nur gerade unten und …“

„Ich nehme an, du hast Paul gesagt, er soll zu mir kommen, wenn er irgendwelche Probleme hat.“

„Nein.“ Sie sahen sich einen Moment schweigend an, und die Spannung zwischen ihnen war geradezu physisch spürbar.

„In Zukunft wirst du alle Klagen direkt an mich weiterleiten“, sagte Kevin schließlich. „Du solltest nicht vergessen, dass dies jetzt mein Unternehmen ist, Tamara. In Sachen der Geschäftsleitung hast du dich von nun an nicht mehr hineinzumischen.“

Als Patti um die Mittagszeit in ihr Büro kam, schaute Tamara überrascht von der Arbeit auf. „Meine Güte, dich habe ich ganz vergessen.“

„Soll das etwa heißen, dass du mich deinem netten Chef nicht vorstellen wirst?“, fragte Patti lächelnd.

„Genau“, erwiderte Tamara trocken. „Am liebsten würde ich ihn nämlich für den Rest meines Lebens nicht mehr sehen.“

„Ist es so schlimm?“ Patti sah ihre Freundin mitfühlend an. „Wo ist sein Büro? Ich könnte ja vielleicht wie zufällig eintreten und …“

„Er wird dir den Kopf abreißen“, unterbrach Tamara sie ungeduldig. „An deiner Stelle würde ich mit offenen Karten spielen. Er ist es jedenfalls nicht wert, dass man sich seinetwegen große Mühe macht. Mein Vater muss nicht klar bei Verstand gewesen sein, als er sein Testament gemacht hat. Kramer die Geschäftsleitung zu übertragen war der schwerste Fehler, den er machen konnte.“

Sie ging zum Fenster und sah hinunter in die Werkstätten. Samantha Sheldon saß dort allein und aß ihr Pausenbrot. Das war recht ungewöhnlich, denn normalerweise saßen die Arbeiter in der Mittagspause alle beisammen. Offenbar wollten die anderen mit der Neuen nichts zu tun haben.

„So schlecht können die Dinge doch gar nicht stehen“, sagte Patti und blickte ebenfalls hinunter. „Dein Vater muss davon überzeugt gewesen sein, dass ihr beide gut miteinander auskommt.“

Tamara rümpfte die Nase. „Mein Vater hat geglaubt, Kevin sei ein netter Kerl. Er ist wohl nie auf die Idee gekommen, dass wir beide uns nicht ausstehen können.“

„Vielleicht hat er es auch einfach nur ignoriert.“

Beim Klang der männlichen Stimme drehten die beiden Frauen sich abrupt um.

„Klatschst du mit allen Freundinnen über mein Privatleben?“ Kevin stand mit arroganter Miene in der Tür und sah Tamara provozierend an.

„Patti hat den Fehler gemacht, sich für dich zu interessieren“, erwiderte Tamara feindselig. „Kevin, das ist Patti Woods. Patti, Kevin Kramer.“

Er hob die Brauen, und Tamara wusste, dass vor seinem geistigen Auge das Bild der plumpen, dicklichen Patti auftauchte, über die sich früher alle lustig gemacht hatten.

„Ich nehme an, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen“, sagte er und drückte Pattis Hand. Er lächelte, und plötzlich wirkte er attraktiver als je zuvor.

Patti schien wie vom Donner gerührt und war offensichtlich unfähig, den Blick von ihm abzuwenden. Tamara dagegen wurde klar, dass Kevin anscheinend jede Frau haben konnte, wenn er nur nett zu ihr war. Und sie selbst machte da keine Ausnahme!

„Ich habe Ihre Verabredung am Samstagabend verdorben“, erinnerte er Tamaras Freundin.

„Oh, das meinen Sie.“ Patti lachte verlegen. „Aber das macht doch nichts.“

„Vielleicht kann ich Sie und Ihre Freundin zur Entschädigung heute zum Mittagessen einladen?“

Tamara warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Nein danke“, sagte sie kühl. „Ich habe zu tun.“

„Ich würde gern“, meinte Patti beinahe zur gleichen Zeit. Dann lachte sie verlegen. „Es tut mir leid, ich …“

„Es sieht so aus, als ob nur wir beide übrig bleiben.“ Kevin lächelte gewinnend, und Patti wandte sich mit fragender Miene an Tamara.

„Du kannst doch bestimmt eine Stunde frei machen?“, drängte sie.

„Nein, tut mir leid. Ich habe wirklich sehr viel zu tun. Geh nur mit ihm, Patti. Es ist okay.“

Als die beiden gegangen waren, stürzte Tamara sich wieder in die Arbeit. Es war fast drei, als Kevin zurückkam. Tamara hörte ihn auf dem Flur pfeifen und wartete darauf, dass er zu ihr hereinkam. Er ging jedoch geradewegs in sein Büro, und für den Rest des Tages sah sie ihn nicht mehr.

Patti rief sie an diesem Abend ebenfalls nicht an, was Tamara höchst seltsam fand. Sie hatte fest damit gerechnet, dass ihre Freundin ihr alles erzählen würde. Und je länger sie darüber nachdachte, umso seltsamer fand sie die ganze Geschichte. Hatten die beiden etwa eine gegenseitige Anziehung verspürt? Ob sie inzwischen vielleicht schon wieder zusammen ausgegangen waren?

Tamara wählte Pattis Nummer, und als niemand abnahm, wusste sie, dass sie richtig vermutet hatte. Doch anstatt über diese Entwicklung zufrieden zu sein, spürte Tamara, dass sie eifersüchtig wurde.

Als Kevin Tamara am anderen Morgen in sein Büro bestellte, blickte sie ihn aufmerksam an. Sie wollte herausfinden, ob seine Miene bereits erste Zeichen einer neuen Liebe widerspiegelte.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte er. „Habe ich etwa noch Reste meines Frühstückseis im Gesicht?“

Tamara versuchte, nicht zu lachen. „Natürlich nicht.“

„Warum siehst du mich dann an, als hättest du mich noch nie gesehen? Du denkst doch nicht etwa daran, bei uns zu kündigen?“ Er lächelte verbindlich.

„Das würde dir gefallen, nicht wahr?“, fragte Tamara herausfordernd.

„Es würde manches vielleicht einfacher machen“, gestand er. „Andererseits würde ich eine exzellente Designerin verlieren.“

„Ich bezweifle nicht, dass du noch andere Designerinnen kennst. Oder Schmucksetzerinnen.“ Tamara lächelte zuckersüß. „Ist das dein Plan, Kevin? Willst du mich hier loswerden?“

„Das würde ich Ben niemals antun“, erwiderte er ernst. „Ich weiß, dass er von mir erwartet hätte, dich solange in der Firma zu behalten, wie du möchtest.“

„Und das ist der einzige Grund, warum du dich noch mit mir abgibst, nicht wahr?“ Tamara machte eine ungeduldige Handbewegung. „In Wirklichkeit hasst du es, mit mir zusammenzuarbeiten. Genauso, wie du mich dafür hasst, dass ich angeblich für den Tod deiner Schwester verantwortlich bin.“ Sie holte tief Luft. „Vielleicht sollte ich dir sagen, dass du nicht nur mich unglücklich machst, sondern auch die anderen Angestellten. Und wenn Samantha Sheldon so weitermacht wie bisher, wirst du noch viel mehr Klagen zu hören bekommen.“

Tamara spürte, wie sie sich in Erregung geredet hatte. Kevin sah sie jedoch nur gelassen an. „Sam hält ihre Kritik nicht gern zurück“, erwiderte er. „Aber du solltest nicht vergessen, dass sie eine verdammt gute Setzerin ist.“

„Zählt das etwa mehr als der Arbeitsfrieden?“, fragte Tamara erregt. „Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, was du aus seiner Firma machst.“

„Und was mache ich deiner Meinung nach aus seiner Firma?“ Er sah sie scharf an. „Meine Güte, Sam ist gerade mal einen Tag bei uns. Meinst du nicht, du übertreibst ein wenig?“

„Ich weiß genau, was geschehen wird.“

„Ich glaube, da täuschst du dich.“

Tamara hob stolz den Kopf. „Die Zeit wird es an den Tag bringen. Weshalb hast du mich gerufen?“

Er schwieg einen Moment, bevor er erwiderte: „Ich erwarte Yves Delattre von der Firma Elegant in Paris. Es könnte ein exzellentes Geschäft daraus werden. Ich will, dass du dabei bist. Er interessiert sich für ein komplettes Juwelensortiment in Gold und Email. Hast du dich in Japan nicht mit Emailarbeiten befasst?“

Tamara nickte. „Ja. Allerdings weiß ich nicht, ob ich jetzt noch dazu Zeit habe. Ich habe die Kollektion für die Comtess Margherita noch nicht einmal angefangen. Es ist natürlich schön, wenn das Geschäft läuft, aber wir können nur das schaffen, wozu wir auch wirklich in der Lage sind.“

Kevin fixierte sie scharf. „Soll das etwa heißen, dass du mit der zusätzlichen Arbeit überfordert bist?“

„Nicht nur ich“, antwortete Tamara. „Wir alle.“

„Das ist eine geschäftsschädigende Einstellung.“

Tamara wurde wütend. „Nur weil du rund um die Uhr arbeitest, bedeutet das noch lange nicht, dass die anderen das auch tun müssen.“

„Ich habe dich nicht um Überstunden gebeten“, gab er zurück.

„Was soll ich denn tun? Etwa zaubern?“

Er zögerte einen Moment mit der Antwort. „Wenn es dir zu viel wird, werde ich einen zweiten Designer einstellen.“

Tamara seufzte resigniert. „Was hast du vor, Kevin? Willst du aus der Firma einen multinationalen Konzern machen? Unser Ruf als Juwelenmanufaktur beruht auch auf unserer Eigenschaft als Familienunternehmen. Viele Kunden fühlen sich bei uns besser behandelt als in den anonymen Großbetrieben. Du bist dabei, diesen guten Ruf zu ruinieren.“

Kevin winkte ab. „Wenn ich deine Meinung hören will, dann werde ich dich danach fragen.“

Tamara hatte Mühe, sich zu beherrschen. „Wann erwartest du Monsieur Delattre?“, fragte sie in eisigem Tonfall.

„Gegen zehn.“

„Ich werde hier sein.“ Sie ging zur Tür, und Kevin wartete, bis sie die Hand auf die Klinke gelegt hatte. Dann rief er ihren Namen. Sie wandte sich um und sah ihn an.

Autor

Margaret Mayo
Margaret Mary Mayo wurde am 7. Februar 1935 in der Grafschaft Staffordshire, England, geboren und hat diese Region noch nie verlassen. Sie hatte nie vor Autorin zu werden, obwohl sie das Lesen liebte. Nachdem ihre beiden Kinder, Adrian und Tina, geboren waren und schließlich zur Schule gingen, nahm sie ihre...
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