Julia Exklusiv Band 314

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GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH ... AUS? von BLAKE, ALLY
Mit Handschellen kettet die unkonventionelle Wynnie sich im Geschäftsgebäude der mächtigen Kellys an - jetzt muss Dylan Kelly, Big Boss und Playboy, ihr einfach zuhören! Doch dabei knistert es wie verrückt. Könnte etwas an der Redensart dran sein: Gegensätze ziehen sich … aus?

VERFÜHRT VON EINEM TRAUMPRINZEN von SHAW, CHANTELLE
Um Erin ist es geschehen! Unter dem blassen Sichelmond von Qubbah gibt sie sich Scheich Zahir hin. Doch was hat er mit ihr vor? Will er sie zu seiner privaten Haremsgeliebten zu machen - oder sieht er sie etwa als zarte blonde Königin an seiner Seite?

VORSICHT PLAYBOY! von BROWNING, AMANDA
Die Computerspezialistin Kathryn Templeton kennt sehr wohl den Ruf, den Joel Kendrick in der High Society Londons genießt: Keine schöne Frau ist vor ihm sicher. Trotzdem erliegt auch sie seinem Charme und wird seine Geliebte - in dem Wissen, sicher bald ihrer Nachfolgerin weichen zu müssen …


  • Erscheinungstag 16.08.2019
  • Bandnummer 0314
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713263
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ally Blake, Chantelle Shaw, Amanda Browning

JULIA EXKLUSIV BAND 314

1. KAPITEL

„Mr. Kelly?“

Dylan, der in seinem Büro im 30. Stock des Kelly-Towers am Schreibtisch saß, blickte auf. Sein Assistent Eric stand zitternd im Türrahmen. „Was gibt’s?“

Mit leicht bebender Stimme begann Eric: „Ich … da ist … ich weiß nicht, wie …“

Dylan schob seinen Stuhl zurück und stützte das Kinn auf seine ineinander verschränkten Finger. „Atmen Sie tief durch, stellen Sie sich Ihren Lieblingsort vor oder zählen Sie bis zehn. Hauptsache, Sie denken daran, dass ich ein viel beschäftigter Mann bin. Kommen Sie also bitte zur Sache.“

Eric gehorchte, und zwar so schnell, dass Dylan befürchtete, der junge Mann würde hyperventilieren. „Ich muss mal kurz an Ihren Computer“, brachte sein Assistent heraus.

„Lassen Sie sich nicht abhalten.“ Dylan machte ihm Platz.

Eric setzte sich und tippte mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf der Tastatur herum, als wäre er bereits mit einem Laptop auf dem Schoß zur Welt gekommen. „Ein Freund von mir arbeitet für ein Online-Nachrichtenmagazin und hat mir gesagt, ich müsste mir das hier unbedingt ansehen.“

Um Dylans Mund zuckte es. „Mal im Ernst, wenn diese ganze Aufregung nur damit zu tun hat, dass in irgendeinem Blog Fotos von mir veröffentlicht wurden, wie ich diese schicke kleine Turmspringerin mit Spaghetti füttere, die ich letzte Woche in Luxemburg kennengelernt habe …“

Er unterbrach sich und schob sich mit seinem Stuhl so schnell wieder an den Schreibtisch, dass Eric ihm mit einem Satz ausweichen musste.

Denn auf dem Bildschirm waren keine Fotos von ihm zu sehen, und auch nicht von der kleinen Turmspringerin. Ebenso wenig von Spaghetti. Die Live-Übertragung mit Digitalkamera ließ ihn das alles vergessen und brachte ihm seine Lebensaufgabe – das Familienunternehmen, für das er sich tagtäglich einsetzte – schlagartig wieder in Erinnerung.

Zum Kelly-Tower gehörte ein 2000 Quadratmeter großer Platz unweit der belebten George Street im Zentrum von Brisbane. In seiner nördlichen Ecke stand eine sechs Meter hohe silberne Skulptur in Zickzackform – ein Symbol für den beeindruckenden Vermögenszuwachs, den die Zusammenarbeit mit der Kelly-Investmentgruppe gewährleistete.

Normalerweise stand die Skulptur einsam und stolz da, und nur gelegentlich ließen sich ein paar besonders mutige Tauben auf ihren glatten Zacken nieder. Doch heute drängten sich Kamerateams und Reporter mit Mikrofonen und Aufnahmegeräten um sie und hatten noch etwa zehnmal so viele Schaulustige angelockt.

Soweit Dylan es trotz seiner plötzlichen heftigen Kopfschmerzen, Erics nervösem Spiel auf der Computertastatur und der aufgeregten Stimme des Reporters beurteilen konnte, hatte sich eine Frau mit Handschellen an die Skulptur gefesselt – offenbar eine verrückte Art von Protest.

Gegen Handschellen hatte Dylan nichts einzuwenden, im Leben männlicher Singles hatten sie durchaus ihren Platz. Nur nicht unbedingt mitten an einem hektischen Arbeitstag und nicht vor seinem Gebäude! Zudem würde es als Leiter des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit seine Aufgabe sein, die Aktion als wesentlich uninteressanter darzustellen, als sie es in Wirklichkeit war.

Die Menschenmenge teilte sich, und Erics Freund ermöglichte Dylan mit seiner Kamera einen besseren Blick auf die Person, die ihm den Nachmittag verdorben hatte. Sie hatte einen hellen Teint, dunkle Augen und langes, dunkles, welliges Haar, das sie sich wegen des Winds immer wieder aus dem Gesicht schütteln musste. Ihr geblümtes Oberteil betonte ihre Figur an genau den richtigen Stellen und verhieß genau die geschwungenen Kurven, die einen Mann mit schwächerem Willen sehr ablenken konnten. Dazu trug die junge Frau eine weiße wadenlange Hose, die ihren äußerst betrachtenswerten Po betonte, und ein Paar knallrosa Sandaletten mit geradezu absurd hohen Absätzen. Und dann natürlich die Handschellen.

„Was machen wir denn jetzt?“, flüsterte Eric.

Dylan zuckte zusammen, denn die junge Frau hatte ihn seinen Assistenten fast vergessen lassen.

Er griff nach der Maus und wollte die Website schließen, als eine Windböe der Frau das Haar aus dem Gesicht blies und sie plötzlich direkt in die Kamera sah.

Dylan hielt mitten in der Bewegung inne und blickte starr in ein Paar braune Rehaugen: große, wunderschöne, tiefbraune Augen mit langen Wimpern, die ihnen ein verletzliches, reumütiges Aussehen verliehen …

Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog und ihn eine plötzliche Hitze überkam, gefolgt von einem Adrenalinstoß. Warum, konnte Dylan nicht genau sagen, aber er wollte diese Frau beschützen. Mit geballten Händen stand er auf, um sich auf denjenigen zu stürzen, der an diesem verletzlichen Ausdruck schuld war.

In diesem Moment fuhr sich die junge Frau mit der Zunge über ihre sinnlichen rosa Lippen und lächelte dem Mann hinter der Kamera kokett zu.

Dylan fluchte leise, schloss die Website und ohrfeigte sich in Gedanken, denn normalerweise war er, was seinen Beschützerinstinkt betraf, äußerst wählerisch. Die einzigen Menschen, die er rigoros verteidigte, hießen ebenfalls Kelly und waren mit ihm verwandt. Weiter reichte sein Vertrauen nicht.

Seine Familie jedoch musste unbedingt zusammenhalten. Denn der Nachteil daran, reicher als der sagenumwobene König Midas und bekannter als der Ministerpräsident zu sein, bestand darin, dass Dylan und seine Familie immer erst als „die Kellys“ gesehen wurden. Egal, wie betörend eine Frau sein mochte, wie angesehen ihre Familie und wie echt ihre Aufrichtigkeit – alle hatten es auf etwas abgesehen: auf Dylans Reichtum, seine Verbindungen oder seinen Namen.

Deshalb vergnügte er sich nur noch mit denen, die seinen Körper begehrten und sonst nichts. Diese Strategie funktionierte schon seit einer Weile recht gut. Dass keine einzige seiner Gespielinnen seinen Beschützerinstinkt so heftig angesprochen hatte wie die junge Frau mit den sanften braunen Augen – darüber konnte und wollte Dylan jetzt nicht nachdenken.

Er stand auf und eilte aus dem Büro zu den Aufzügen.

„Sir!“, rief Eric, als dieser ihn völlig außer Atem einholte. „Was soll ich tun?“

„Hierbleiben“, erwiderte Dylan. „Und sagen Sie Ihrer Mutter, dass Sie heute spät nach Hause kommen. Ich habe das Gefühl, der Tag könnte noch ziemlich lang werden.“

Wynnie taten die Handgelenke weh.

Selber schuld, dachte sie. Das kommt davon, wenn man neue Handschellen nicht vor dem ersten Einsatz ausprobiert.

Professionell wie immer ließ sie sich die Schmerzen jedoch nicht anmerken und lächelte der Horde Reporter zu, die noch nicht ahnten, dass sie bald ihre besten Freunde sein würden.

„Was hat KInG Ihnen getan?“, rief jemand.

Wynnie wandte sich der nächsten Kamera zu und erwiderte: „Sie haben mich nicht ein einziges Mal zurückgerufen. Typisch, oder?“

Einige Frauen in der Menschenmenge stimmten ihr zu.

Wynnie blickte jeder einzeln in die Augen und fuhr fort: „In der vergangenen Woche habe ich mit führenden Männern und Frauen lokaler und bundesstaatlicher Regierungen darüber gesprochen, was wir gemeinsam tun können, um die Umweltschäden zu reduzieren, die jeder Bewohner dieser Stadt anrichtet. Diese Beamten, anständige Menschen mit Familien und mittleren Einkommen, waren begeistert, motiviert und voll guter Ideen. Aber die Kelly Investment Group, das größte Unternehmen der ganzen Stadt, das mehrere Hundert Mitarbeiter hat und über jede Menge Kapital verfügt, hat es immer wieder abgelehnt, sich auch nur mit mir bei einer Tasse Tee zu unterhalten – mit einer jungen Frau, die neu in der Stadt ist und Freunde finden möchte.“

Wieder war Gemurmel zu hören, diesmal schon etwas lauter.

„Was muss ein Unternehmen denn tun, damit es mit Ihnen Tee trinken darf?“, rief eine tiefe Stimme.

Wynnie biss sich auf die Lippe, um nicht zu lachen. Denn diese Frage kam von ihrer guten Freundin Hannah, die mit ihr zusammen für die Clean Footprint Coalition arbeitete und jetzt einen Radioreporter so ansah, als hätte dieser die Frage gestellt.

„Leute, versucht euch einmal an die eindrucksvollen Bilder aus den Achtzigern zu erinnern: an die Umweltschützer, die sich an Bulldozer gekettet haben, um die Abholzung von Urwäldern zu verhindern“, sagte Wynnie energisch. „Und nun betrachtet mit kritischem Blick das 21. Jahrhundert mit seinen Riesenunternehmen wie die Kelly Investment Group. Das sind die Bösewichte der Gegenwart, Bösewichte mit Macht, Einfluss und vielen Ressourcen, die einfach weitermachen wie bisher, während wir anderen einen Beitrag leisten: Wir duschen kürzer, um Wasser zu sparen, recyceln Altpapier und stöpseln Geräte aus, wenn wir sie nicht benutzen. Stimmt’s?“

Viele ihrer Zuhörer nickten. Hätte jetzt jemand eine Faust hochgehalten, wäre Wynnie nicht überrascht gewesen. Die deutlich spürbare Solidarität ließ ihr Herz heftig klopfen, und ihre schmerzenden Handgelenke waren fast vergessen.

Sie sprach leiser weiter, damit ihrer Zuhörer näher kommen mussten. „Wusstet ihr, dass diese Skulptur rund um die Uhr beleuchtet wird? Sogar mitten an einem hellen sonnigen Tag wie jetzt sorgen dreißig Leuchten dafür, dass sie schön glänzt!“

Als die Menschen finster das silberne Gebilde hinter ihr betrachteten, konnte Wynnie ihren Unmut förmlich spüren. Das allein war schon ein Triumph angesichts des Goliaths, den sie herausforderte.

Ihre Chefs hatten lange recherchiert und überlegt, auf wen sie ihre Lobbyarbeit ausrichten sollten. Immer wieder waren sie bei den Kellys gelandet, der bekanntesten, angesehensten und faszinierendsten Familie der Stadt. Sie hatten unglaublich viel Einfluss. Sollte es Wynnie gelingen, sie als erstes Unternehmen für eine Partnerschaft mit der Clean Footprint Coalition zu gewinnen, würde das für ungeheuer viel Aufmerksamkeit sorgen – und Brisbane würde ihr praktisch zu Füßen liegen.

„Ich mache mir Gedanken über die Umwelt“, fuhr Wynnie fort. „Wie ihr alle hier und auch die Umweltgruppen, die sich zur CFC, zur Clean Footprint Coalition, zusammengeschlossen haben. Und die Kelly Investment Group mit ihren mehreren Hundert gleichgültigen Firmenkunden, die sie vertreten, ist der größte Umweltzerstörer, den man je gesehen hat.“

„Genau!“, schrie Hannah, und die Menge stimmte mit ein, bis der Ruf auf dem ganzen Platz widerhallte.

Wynnie unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Wenn sie Menschen dazu bringen konnte, sich Gedanken über ihre Rolle im großen Geschehen der Welt zu machen, hatte sie das Gefühl, sie könnte die ganze Welt verändern. Diese Momente wirkten stärker als eine Piña Colada auf leeren Magen und waren sogar besser als Sex. Zum Glück, denn Wynnie arbeitete so viel, dass sie sich an Letzteres kaum noch erinnerte.

Als Wynnie in diesem Moment hinter sich etwas hörte, drehte sie sich abrupt um und spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter, der Wynnie kurzeitig den Atem nahm. Hoffentlich hatte das niemand mitbekommen! Doch alle Kameras und Mikrofone schwenkten ohnehin nach links zum Kelly-Tower. Wynnie konnte sich schon denken, woran das lag. Die Handschellen und ihr Auftritt vor den Medienvertretern von Brisbane als deren neuer Racheengel waren nur der Auftakt gewesen, denn für einen berichtenswerten Auftritt brauchte jeder Engel als persönliches Gegenüber auch einen Teufel.

Wer das wohl in ihrem Fall sein würde – vielleicht ein übergewichtiger Sicherheitsmann ohne Autorität und ohne Plan? So ein rotgesichtiger Lakai, der sie wegscheuchen sollte?

„Kelly!“, rief ein Radioreporter.

„Hierher!“, meldete sich ein anderer.

Kelly? War etwa einer der Götter aus dem Turm zu ihnen hinabgestiegen? Wynnie ging in Gedanken die Mitglieder der Familie Kelly durch, über die sie in den vergangenen Tagen etwas gelesen hatte. Bestimmt war es nicht der Chef höchstpersönlich, Quinn Kelly. Er hatte Menschenansammlungen immer gemieden und lebte sehr zurückgezogen. Darüber war Wynnie froh, denn Quinns Fähigkeit, sogar die hartnäckigsten Gegner mit einem einzelnen Blick niederzustrecken, war legendär.

Dann vielleicht Brendan Kelly? Er war der Anwärter auf den KInG-Thron, aber nicht allzu freundlich gegenüber der Presse. Wenn es einer von den beiden ist, esse ich meine Schuhe, dachte Wynnie. Allerdings liebte sie ihre Schuhe. Sie gehörten zu den wenigen Dingen, die sie aus Verona mitgebracht hatte. Vielleicht konnte sie stattdessen Rosenkohl essen, den sie hasste – es war also ein fairer Kompromiss.

Wenn es weder Quinn noch Brendan war, und da weder der jüngere Bruder Cameron, ein Ingenieur, noch die jüngste Schwester Meg, für KInG arbeiteten – dann blieb nur noch der Mann, dessen Foto Wynnie sich mit einem großen roten Reißnagel durch die Stirn innen an die Bürotür gehängt hatte. Der Mann, an den sie hoffentlich irgendwann nach mehreren Wochen des Verhandelns, Drängens und Nervens herankommen würde. Denn sie hoffte, dass er ihr dabei helfen könnte, den Traum der Clean Footprint Coalition wahr werden zu lassen.

Es war Dylan Kelly, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, der Zweite in der Erbfolge und das repräsentative Gesicht von KInG. Seinem Charme erlag jede Frau, die ihn im Fernsehen sah. Ständig wurde er dabei fotografiert, wie er die hübschesten Frauen zu Benefizfeiern, Sportveranstaltungen und anderen Events ausführte und die nach Tratsch lechzende Stadt in Atem hielt.

Wie Wynnie vermute, war es nicht von Nachteil, dass auch Dylan zu den schönsten Männern gehörte, die die Erde je mit ihrer Gegenwart beehrt hatten. Wäre er kein Geschäftsmann, hätte sie unentgeltlich für ihn gearbeitet, um ihn zu einer schützenswerten Art erklären zu lassen.

„Ladies und Gentlemen“, ertönte nun eine Stimme von irgendwo hinter ihr. „Wie schön, dass Sie an diesem sonnigen Tag alle hier vorbeigekommen sind. Hätte ich gewusst, dass hier eine Party stattfinden würde, hätte ich Kanapees und Weinschorle für alle bestellt.“

Vereinzeltes Lachen, ein paar weibliche Seufzer und Journalisten, die ihre Mikrofone sinken ließen, sagten Wynnie, dass sie ihr Publikum verlor. Sie atmete tief ein, schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht und beschloss, ihrem charmant-glatten Gegenüber den Garaus zu machen.

In diesem Moment teilte sich die Menge, und ein Mann kam auf sie zu. Er trug ein hellblaues Hemd, eine dezent gestreifte Krawatte und einen dunklen Anzug. Mit dem Teufel, wie sie ihn sich vorstellte, hatte er wenig gemeinsam.

Als er näher kam, sah sie, dass sein maßgeschneiderter Anzug seinen durchtrainierten Körper perfekt betonte, der auf subtile Art Kraft und Macht ausdrückte. Seine markanten Gesichtszüge wirkten wie aus Granit gemeißelt. Sein dunkelblondes Haar war kurz, aber verwuschelt genug, dass jede Frau sich wünschte, mit den Fingern hindurchzugleiten und es zu zähmen – ihn selbst zu zähmen. Doch am meisten faszinierten sie seine unter halb geschlossenen Lidern verborgenen blauen Augen.

Und plötzlich stellte sie fest, dass Dylan Kelly sie mit seinen himmelblauen Augen ansah. Er schien sogar in sie hineinzublicken, als suche er die Antwort auf eine Frage, die nur ihm bekannt war. Sie spürte, wie sich ihr die Kehle zusammenzog. Und wie die Frage auch lauten mochte, Wynnie konnte nur „Ja“ denken.

Während sie versuchte, aufrechter zu stehen, wurde sie von ihren Handschellen zurückgerissen und stellte fest, dass sie eine sehr schutzlose Haltung innehatte: den Hals entblößt, die Brust vorgeschoben.

„Also, worum geht es hier?“, fragte Dylan Kelly und ließ den Blick zu den anderen Menschen gleiten.

Jemand wies mit dem Daumen auf sie. Unwillkürlich wandte er sich wieder zu ihr um und täuschte gekonnt Erstaunen vor. Sie straffte sich, sah ihm in die Augen und zog eine Braue hoch.

Er kam langsam zwei Schritte auf sie zu. Man hätte es für gemächliches Schlendern halten können, doch Wynnie erkannte das Raubtier, das sich seiner Beute näherte.

„Was haben wir denn hier?“

Als die Kameras über seine Schulter hinweg filmten, gab Wynnie sich einen Ruck. Der Mann vor ihr mochte noch so sehr ihrer verkümmerten Libido einheizen, doch sie durfte nicht vergessen, dass er ihr Gegner war – allerdings ein Gegner mit ausreichend Einfluss, um etwas zu verändern.

„Hallo“, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab.

„Hallo.“ Er schob sich die Hände in die Hosentaschen, sodass sein Hemd sich über seiner Brust spannte und Wynnies Blick unwillkürlich zu seinem Reißverschluss glitt. „Wie geht’s?“

„Super“, erwiderte sie und ließ den Blick wieder nach oben gleiten. „Wirklich tolles Wetter, stimmt’s?“

Um seinen Mund zuckte es, und Dylan Kelly blieb stehen – so dicht vor ihr, dass ihr seine Körperhaltung verriet, wie verärgert er war. Die weiter entfernt stehenden Kameras jedoch fingen nur sein attraktives Gesicht ein.

Einen Moment lang wandte er den Blick ab, und sie konnte endlich wieder einatmen. Er betrachtete ihre High Heels und schien zu beschließen, sich außer Trittweite zu halten. Diese Feststellung gab Wynnie ihr Selbstvertrauen zurück – bis er noch näher kam. Sie konnte die winzigen Bartstoppeln auf seinen Wangen sehen und die Muskeln an seinen Oberarmen, die sich unter dem Hemd abzeichneten. Es überraschte sie selbst, wie heftig und unmittelbar sie auf diesen Mann reagierte.

„Sie haben hier ja eine ganz schöne Menschenmenge um sich versammelt.“

Wynnie betrachtete die vielen Reporter und Kameras und rief sich in Erinnerung, warum sie hier war. Sie klimperte kokett mit den Wimpern und erwiderte fröhlich lächelnd: „Ja, nicht wahr?“

Die Zuschauer ließen ein zustimmendes Murmeln hören. Doch dass Wynnies Wangen von einer sanften Röte überzogen wurden, es in ihrem Magen kribbelte und ihre Knie sich weich anfühlten – das hatte nur mit dem teuflischen Funkeln in Dylan Kellys himmelblauen Augen zu tun.

Durch eine hastige Bewegung zerrten die Handschellen heftig an ihren Armen, und Wynnie wäre vor Schmerz fast zusammengezuckt. Stolz darauf, wie gut sie sich hielt, versprach sie sich selbst zur Belohnung zwanzig Minuten extra Meditieren, wenn sie wieder zu Hause wäre. „Die Handschellen haben die Aufmerksamkeit der Menschen erregt, aber geblieben sind sie, weil ich etwas zu sagen habe.“

„Und das wäre?“

„Dass Sie sich ziemlich verantwortungslos verhalten und es an der Zeit ist, Ihnen Beine zu machen“, erwiderte Wynnie unverblümt.

Bevor sie fortfahren konnte, zog Dylan Kelly seine Hose ein wenig hoch und hob das Bein. Der Anblick seiner sonnengebräunten muskulösen Wade ließ die mehrheitlich weiblichen Anwesenden erbeben. „Wie Sie sehen, verfüge ich bereits über Beine“, sagte er lächelnd.

Dann ließ er das Bein wieder sinken und sah sie an, doch seine Worte waren an die Zuschauer gerichtet. „Sie sollten nicht alles glauben, was die Presse schreibt. So schlimm bin ich nämlich gar nicht. Meine Mutter hat mir beigebracht, immer saubere Socken anzuziehen. Und als ich zwölf Jahre alt war, versuchte mein Vater, mir die Sache mit den Blumen und den Bienen zu erklären. Dabei hat er mir eine solche Angst eingejagt, dass ich zum verantwortungsbewusstesten Menschen auf der ganzen Welt geworden bin.“

Die anwesenden Frauen lachten leicht hysterisch, als stellten sie sich vor, wie es wäre, sich mit Dylan mal ein bisschen unverantwortlich zu benehmen. Aber die Männer in der Menschenmenge waren auch keinen Deut besser. Wynnie konnte ihre Gedanken förmlich lesen: Sie hätten ihm am liebsten ein Bier ausgegeben und sich möglichst lange in seiner Nähe aufgehalten, damit etwas Glanz von ihm auf sie abfiel.

„Mr. Kelly“, begann Wynnie, die unbedingt die Aufmerksamkeit der Zuhörer zurückgewinnen wollte. „Vielleicht sollte ich mal deutlicher sagen, worum es mir geht.“

Dylan Kelly sah sie an, und wieder hatte Wynnie das Gefühl, er würde tief in ihr Inneres blicken. Da sie weder die Hände in die Hüften stützen noch die Arme verschränken konnte – beides in ihrer Wirksamkeit stark unterschätzte Gesten –, stand Wynnie nur da und erwiderte Dylan Kellys Blick.

Mit leiser, fast ein wenig drohender Stimme forderte er sie auf: „Ja, sagen Sie mir doch bitte, was Sie von mir möchten.“

„Ich möchte, dass Sie die Sorgfalt, mit der Sie neue Schuhe kaufen, auch in Geschäftsdingen walten lassen. Ich möchte, dass Ihr Unternehmen seinen Teil tut und seine schädliche Auswirkung auf die Umwelt eingrenzt.“

„Honey, in meinem Unternehmen sitzen wir am Computer, und wir telefonieren. Regenwälder fällen wir viel seltener, als Sie glauben.“

„Das macht keinen Unterschied, solange Sie sich nicht so grün verhalten, wie Sie könnten.“

Wynnie blickte ihm weiter fest in die Augen und sagte nachdrücklich: „Lassen Sie mich einfach ausreden, dann können Sie nachts bestimmt besser schlafen.“

Dylans markantes, attraktives Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Eigentlich schlafe ich ausgezeichnet.“

Unwillkürlich stellte Wynnie sich vor, wie er ausgebreitet auf einem Doppelbett lag und die edle Decke seinen nackten Körper kaum bedeckte – den Körper, der nun leider in einem teuren Anzug steckte.

Sie blinzelte und rief sich in Erinnerung, dass sie bereits seit einer Stunde an eine scharfkantige Metallstatue gekettet in der heißen Sonne stand. „Möchten Sie denn, dass der Name Ihrer Familie für etwas Großartiges steht?“

Endlich schienen ihre Worte etwas zu bewirken: Seine Gesichtszüge wirkten plötzlich versteinert, und in seinen blauen Augen blitzte nicht mehr der Schalk.

Unwillkürlich stellte Wynnie ein weiteres Mal fest, wie atemberaubend er war. Sein durchdringender Blick schien sie stärker festzuhalten als die Handfesseln. Errötend spürte sie, wie ihr Herz schneller schlug und sich ihr Magen zusammenzog.

Seine Stimme klang rau, war jedoch laut genug für die Mikrofone. „Sowohl KInG als auch die Familie Kelly investieren jedes Jahr mehrere Millionen in den Umweltschutz, zum Beispiel in die Erforschung erneuerbarer Energien und in Wiederaufforstungsprojekte. Mehr als alle anderen Unternehmen in diesem Bundesstaat.“

„Das ist toll, aber Geld ist nicht alles“, entgegnete Wynnie und hielt seinem Blick stand, während die Kameras auf sie gerichtet waren. „Menschen zählen durch ihre Handlungen. Und durch die Handlungen, die in dem Gebäude hinter uns stattgefunden haben, sind monatlich über vierzigtausend Einweg-Pappbecher angefallen, der Wasserverbrauch ist höher als in meinem Vorort, und wegen des hier verbrauchten Papiers wurden mehrere Hektar Urwald gefällt. Ich möchte, dass Sie mir etwas versprechen: dass Sie künftig die Lösung sein werden und nicht mehr das Problem.“

Dylan Kelly schien keine passende Antwort parat zu haben, und Wynnie wurde von einem wilden Triumphgefühl erfasst. „Also, was sagen Sie dazu?“ Sie schenkte ihm ein freundliches, leicht kokettes Lächeln. „Wenn Sie mich auf einen Kaffee einladen, werde ich morgen jemand anders nerven – versprochen.“

Alle Menschen auf dem Platz schienen vor Spannung den Atem anzuhalten.

Als Dylan Kelly schließlich antwortete, war Wynnie fast froh über ihre Handschellen. Denn seine faszinierenden blauen Augen drückten so viel Selbstbewusstsein, Provokation und mühsam unterdrücktes Begehren aus, dass ihre Knie beinah wieder weich geworden wären.

„Sie möchten in meinem Büro einen Kaffee mit mir trinken?“, fragte er mit einer Stimme, die an geschmolzene Zartbitterschokolade erinnerte. „Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?“

2. KAPITEL

Genau in diesem Moment tauchten Sicherheitsmänner auf, um die Menge diskret vom Platz zu komplimentieren. Touristen und Passanten hatten großartige Gratisunterhaltung bekommen und die Presse eine super Story. Wynnies Kampagne für ein größeres Umweltbewusstsein war erfolgreich gestartet. Alle waren also zufrieden – bis auf Dylan, der Wynnie ansah, als wäre sie ein unter seinem Schuhe klebendes Kaugummi.

„Das war ein ziemlich billiger Trick“, sagte er leise.

Wynnie schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht. „Ich ziehe es vor, als furchtlos, einfallsreich und unbeugsam bezeichnet zu werden.“

Sie versuchte, die hintere Tasche ihrer Caprihose zu erreichen, die für den Herbst in Verona ideal gewesen war, doch in der warmen Frühlingssonne von Brisbane an ihr klebte wie ein Taucheranzug.

Dylan beobachtete, wie sie die Hüften wand, um trotz des geringen Spielraums, den die Handschellen ihr ließen, bequem stehen zu können.

„Ich hätte Sie festnehmen lassen können“, stellte er fest. „Immerhin ist das hier ein Privatgrundstück.“

„Nein“, entgegnete Wynnie. „Die Erde gehört uns allen.“

Als Dylan näher kam, wehte der Wind einen Hauch seines Aftershaves zu ihr herüber, einen frischen, dunklen und teuren Duft.

Dylans Blick schien durch ihre Kleidung zu dringen und ihre Haut zu verbrennen.

Es gelang Wynnie, die Finger in ihre enge Hosentasche zu schieben, doch diese war leer. Siedend heiß fiel ihr dann ein, dass sie den winzigen Schlüssel in die Brusttasche ihrer Bluse gesteckt hatte – an die sie natürlich nicht herankam.

Wynnie schloss die Augen, atmete tief ein und fragte: „Könnten Sie mir einen Gefallen tun?“

Sie hörte Dylan mit seiner tiefen Stimme antworten: „Eins muss man Ihnen lassen, Sie haben keine Probleme damit, um das zu bitten, was Sie möchten.“

Sie schloss die Augen noch fester. „Der Schlüssel für die Handschellen ist in meiner rechten Brusttasche. Wenn Sie also nicht möchten, dass ich Ihre Statue dauerhaft verziere …“

Wynnie öffnete die Augen und stellte fest, dass sie ihre Bitte kein zweites Mal aussprechen musste, denn Dylan hatte ihr bereits die Hand in die Tasche geschoben. Sie spürte seine Finger durch den weichen Baumwollstoff über ihrem BH. Seine Bewegung war langsam genug, um ihr Gänsehaut zu verursachen – aber auch so schnell, dass sie ihm nicht vorwerfen konnte, er würde die Situation ausnutzen.

Viel zu schnell hatte er den Schlüssel zutage befördert. „Ist das der richtige?“

Wynnie sah Dylan an und nickte. Aus der Nähe betrachtet, hatten seine Augen dieselbe Farbe wie der Himmel in ihrer Heimat, der Wildnis von Nimbin: Ein solches Blau gab es nur in den unberührten Teilen der Welt. Doch unter der Oberfläche bemerkte Wynnie ein aufgebrachtes Brodeln.

Sie biss die Zähne zusammen, als sie ihm mühsam den Rücken zudrehte.

Dylan schloss die Handschellen auf, ohne Wynnie auch nur ein einziges Mal zu berühren. Sie stellte fest, dass sie enttäuscht war. Dabei war bei keinem Menschen die Wahrscheinlichkeit, dass er gegen ihre Interessen handeln würde, größer als bei diesem Mann, zu dem sie sich aus irgendeinem Grund so hingezogen fühlte.

Kopfschüttelnd beschloss sie, Hannah zu bitten, ihr so schnell wie möglich ein Blind Date zu vermitteln. Vielleicht sollte sie auch einfach mal wieder tanzen gehen oder mit Joggen anfangen. Irgendwas musste jedenfalls geschehen.

Sie streifte sich die Handschellen ab und atmete vor Schmerz heftig ein.

„Alles in Ordnung?“, fragte Dylan.

Überrascht stellte sie fest, dass sein Blick einen Moment lang besorgt wirkte. Dann war es auch schon wieder vorbei. Sie versteckte ihre geröteten Handgelenke hinter dem Rücken und erwiderte: „Ja. Wie sieht’s jetzt mit Kaffee aus?“

„Zuerst das Wichtigste.“ Er kam noch näher, sodass sein Duft Wynnie einhüllte. Sie erschauerte und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.

„Ich trinke nie Kaffee mit einer Frau, ohne zumindest ihren Namen zu erfahren.“ Er reichte ihr die Hand. „Dylan Kelly.“

Wynnie schüttelte ihm die Hand und versuchte das Kribbeln zu ignorieren, das sich bei der Berührung in ihrem ganzen Körper ausbreitete. „Wynnie Devereaux.“

Dylan zog die Augenbrauen hoch. „Sie sind Französin?“

„Nein, Australierin.“

Seine Augenbrauen senkten sich wieder, und dann lächelte er leicht, denn ihm wurde klar, dass sie dies offenbar nicht weiter erklären wollte.

In Wirklichkeit war Devereaux der Mädchenname ihrer Großmutter, die sie nie kennengelernt hatte. Und ihr jüngerer Bruder Felix hatte als kleiner Junge ihren Namen nicht aussprechen können und sie deshalb Wynnie genannt.

Felix. An ihn zu denken tat furchtbar weh und erinnerte Wynnie daran, wie sehr man sich in den Menschen täuschen konnte, denen man vertraute.

„Gut, kommen wir zum nächsten Punkt“, sagte Dylan nun. „Ist diese Sache nur auf Ihrem Mist gewachsen, oder treten Sie als Botschafterin für Ihresgleichen auf?“

Angesichts seiner abschätzigen Wortwahl zog Wynnie die Augenbrauen hoch. Dann nahm sie eine Visitenkarte aus der flachen Reisebrieftasche, die sie unter ihrer Bluse trug, und reichte sie ihm, wobei ihr noch eine Handschelle vom Handgelenk baumelte.

Dylan lächelte kaum merklich, doch ihr ganzer Körper schien wieder zu vibrieren. Das war einfach verrückt, denn Dylan machte keinen Hehl daraus, wie wenig begeistert er von der Aussicht war, sich mit ihr zu befassen. Aber es war, als hätte sie keinen Einfluss auf ihre Empfindungen.

Wynnie löste die Handschellen und schob sich die eine Hälfte in die hintere Hosentasche.

Dylan betrachtete die Visitenkarte. „Sie machen Lobbyarbeit?“

„Haben Sie etwas Besseres oder etwas Schlimmeres erwartet?“

„Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht sicher“, antwortete er, bedeutete ihr aber immerhin mit einer Geste, ihm zum imposanten Kelly-Tower zu folgen.

Wynnie tat es. Sie war ein wenig fassungslos, dass die Aktion tatsächlich funktioniert hatte. Das Image ihrer Arbeitgeber, das bisher etwas brav und langweilig gewirkt hatte, würde sich drastisch ändern. Die CFC würde zur besten Sendezeit in den Nachrichten auftauchen, und Wynnie hatte auch Kontakte zu einigen Reportern hergestellt, die auf dem Laufenden gehalten werden wollten.

Und nun war sie auf dem Weg ins feindliche Lager und somit der Planung ein paar Schritte voraus. Deshalb hatte sie auch keine der mit viel Sorgfalt erarbeiteten Faltblätter über das Imperium der Kellys dabei, die wichtige Kostenhochrechnungen und Zeitpläne enthielten. Aber sie würde eben einfach improvisieren. Wynnie war bei alternativ geprägten Eltern in Nimbin aufgewachsen, dem australischen Hippie-Mekka. Grüne Reden zu schwingen war also eine ihrer leichtesten Übungen.

Sie warf ihrem schweigsamen Begleiter einen Blick zu und fand, dass sein Profil von der Seite betrachtet noch imposanter wirkte als von vorn. Dylans dichtes dunkelblondes Haar wurde leicht vom Wind zerzaust. Seine faszinierenden blauen Augen versteckten sich unter markanten Augenbrauen, sodass es wirkte, als würden sie die Welt ein wenig von oben herab betrachten. Und dann war da noch dieser Mund …

Wer war wohl die Glückliche, die ihn küssen durfte, wann immer sie wollte? Welche Frau durfte mit dem Finger über diese Lippen streichen und sie betrachten, während sie redeten, lächelten und lachten? Allein ihr Anblick ließ Wynnies eigene Lippen prickeln.

Plötzlich erschien ein Grübchen in Dylans Wange. Er hatte also bemerkt, dass Wynnie ihn betrachtete. Schnell tat sie so, als würde sie die Fassade des beeindruckenden Wolkenkratzers studieren, der nach der nicht minder beeindruckenden Familie benannt war. Um ihre Augen vor dem gleißenden Sonnlicht zu schützen, das von der Glasfassade der oberen Stockwerke reflektiert wurde, hob sie die rechte Hand. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihre Schulter. Wynnie zuckte zusammen und schrie leise auf.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte er und wollte sie stützen.

Doch Wynnie hielt sich lieber an der Klinke einer Glastür fest. „Ja, mir geht es gut. Und wenn Sie mit mir in unzählige Kameras blicken und den Bürgern von Brisbane erklären, wie Sie und Ihr Unternehmen mithilfe der Clean Footprint Coalition den Schaden eingrenzen, den Sie der Umwelt zufügen, und allen Zuschauern zu Hause sagen, wie leicht sie Ihrem Beispiel folgen können – dann wird es mir einfach fantastisch gehen. Bis dahin ist mein Zustand vermutlich eher mittelmäßig.“

Mit hoch erhobenem Kopf zog sie die Tür auf und ging hinein.

Hinter sich hörte sie Dylan lachen und spürte, wie ihr ganzer Körper heftig auf diesen zutiefst erotischen Klang reagierte.

Wynnie runzelte die Stirn. Nein, Dylan Kelly brauchte nicht zu einer schützenswerten Art erklärt zu werden. Stattdessen sollte man ihm ein Schild an die Stirn nageln. Achtung: Gefahr eines heftigen Anstiegs Ihres sexuellen Appetits! Mindestabstand von drei Metern einhalten!

Wynnie blieb stehen und sah sich im Eingang des Kelly-Towers um: goldener Marmorboden mit aufwendigen Einlegearbeiten aus schwarzem Marmor, so weit das Auge reichte. Säulen, die sich über zwei Stockwerke in die Höhe schraubten und in der lang gestreckten Eingangshalle Wache zu halten schienen. Sie wurden von nachgebildeten antiken Gaslaternen beleuchtet. Durch unzählige Bogenfenster im nächsten Stockwerk fiel Sonnenlicht ins Innere. Eine riesige Uhr, zweimal so groß wie Wynnie, tickte leise, bis der Banktag vorbei wäre. Noch nie hatte sie einen so beeindruckenden Raum gesehen.

Die Strategen der Clean Footprint Coalition hatten absolut richtiggelegen: Dieser Ort und diese Familie waren genau die richtige Wahl. Wenn sich nicht alle Unternehmen und Geschäftsleute in Brisbane insgeheim wünschten, wie die Kellys zu sein, wenn nicht alle Bürger genau das tun wollten, was sie taten – dann hätte Wynnie ebenso gut in Verona bleiben können.

„Sie können übrigens bei dem Zeitschriftenstand an der Ecke Postkarten kaufen, auf denen das Foyer abgebildet ist“, hörte Wynnie eine tiefe Stimme hinter sich sagen.

Sie wandte sich um und erwiderte: „Nicht nötig, danke.“

„Würden Sie mich dann bitte nach oben begleiten?“

Wynnie nickte, atmete tief ein und folge Dylan in den großen Aufzug im Art-déco-Stil. Mit Honig fängt man Fliegen, dachte sie und lächelte ihm im Spiegel zu. „Täusche ich mich, oder bin ich nicht die erste Frau, die Sie auf einen Kaffee in Ihr Büro einladen?“

Dylans Miene blieb undurchdringlich, doch in seinen Augen flackerte es kurz auf – der einzige Hinweis darauf, dass er vielleicht eines Tages eine weniger ablehnende Haltung haben würde. Zum Glück war es keineswegs unangenehm, in diese Augen zu blicken.

Er brauchte nicht zu erfahren, dass Wynnie ihre Aufgabe unbedingt erfolgreich erledigen wollte. Noch nie zuvor war ihr etwas so wichtig gewesen. Er brauchte auch nicht zu wissen, dass ihr Körper so heftig auf seinen reagierte wie ein Wetterhahn auf ein heraufziehendes Gewitter.

Dylan setzte sich an seinen Schreibtisch aus poliertem Eichenholz, ein wertvolles Einzelstück, während Eric seinem unerwarteten Zweiuhrbesuch einen Chai Latte und ihm selbst einen schwarzen Kaffee mit Zucker servierte.

Dylan krempelte sich die Ärmel hoch und fragte sich, was an diesem Nachmittag noch alles über ihn hereinbrechen würde.

Im Türrahmen blieb Eric stehen, angstvoll und zugleich ganz hin und weg von der jungen Frau, die durch das Büro schlenderte. Offenbar wäre er gern geblieben, aber Dylan schüttelte den Kopf, schloss die Tür und wies mit der Hand auf die Couch gegenüber seinem Schreibtisch.

Wynnie blieb jedoch stehen und blies über den Rand ihres Bechers, um den Tee abzukühlen. Fasziniert beobachtete Dylan, wie ihre Lippen einen Kreis formten. Denn warum sollte er diesen Termin, der ihm so ungelegen kam, nicht auch ein wenig genießen?

Als Wynnie Devereaux auf seinem Bildschirm erschienen war, hatte sie genau wie jene Frauen gewirkt, die er nach einem langen Arbeitstag gern vernaschte: zart, leidenschaftlich und mit samtweichem Teint. Schon nach einer halben Stunde in ihrer Gegenwart wusste er, dass ihn außerdem noch nie ein Mensch so wütend gemacht hatte. Ausgerechnet Lobbyistin musste sie sein – eine Frau, die von Berufs wegen ihren Charme spielen ließ und sich seine Familie als Zielobjekt ausgeguckt hatte. Sie musste neu in der Stadt sein, denn ansonsten wäre sie schlau genug gewesen, sich jemand anders auszusuchen.

Und dennoch hatte ihn einen Moment lang auf dem großen Platz vor dem Kelly-Tower etwas in ihren braunen Augen betört. Und wegen dieses Risses in der eisernen Rüstung, mit der er sich normalerweise umgab, hatte sie ihm die Worte im Mund herumgedreht und ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen – all das auch noch, während sie an eine Statue gekettet gewesen war.

Dylan ließ den Blick von ihrem Mund zu ihren kleinen Händen gleiten, deren Gelenke so gerötet und wundgescheuert waren, dass ihm aus Mitgefühl fast die eigenen Hände wehtaten. Und wieder wurde er von dem heftigen Wunsch erfüllt, ihr den Schmerz abzunehmen und ihn zu seinem eigenen zu machen.

Unruhig rutschte er ein wenig hin und her, denn alle Teile seines Körpers waren angespannt – aus unterschiedlichen Gründen. „Falls Sie die Keulen suchen, mit denen ich zum Spaß Babyrobben erschlage – die sind leider in meinem Büro zu Hause.“

Wynnie lächelte. „Neben den Fässern Rohöl, die Sie zum Spaß nachts in den Fluss gießen?“

„Sie scheinen sich ja gut informiert zu haben. Was haben Sie denn gemacht, bevor Sie zur CFC gekommen sind?“

Sofort blickte sie ihn wieder an, und Dylan versuchte unwillkürlich, dort die Verletzlichkeit wiederzufinden, die ihn nicht losließ. Doch er sah nur leidenschaftliche, lebhafte Intelligenz, was der heftigen Anziehung leider keinen Abbruch tat, die Wynnie auf ihn ausübte.

„Es tut nichts zur Sache, wo ich herkomme“, erwiderte sie.

„Doch, das tut es – vorausgesetzt, Sie möchten Ihren Tee austrinken, bevor mein Sicherheitsdienst Ihren niedlichen kleinen Hintern hinauswirft.“

Sie blickte ihn ausdruckslos an, doch er sah, dass sie schluckte. Dann setzte sie sich, stellte ihren nur halb getrunkenen Chai auf seinen Schreibtisch, schlug die Beine übereinander und legte los.

Um sein Lächeln zu verbergen, tat Dylan so, als würde er etwas aus der obersten Schreibtischschublade heraussuchen. Dabei stellte er sich unwillkürlich noch einmal vor, wie Wynnie ihm den Rücken zuwandte, damit er die Handschellen lösen konnte. Ihm wurde heiß. Unter dem Stoff, der sich an die Rundungen ihres „niedlichen kleinen Hinterns“ schmiegte, hatten sich schwach die Umrisse eines geblümten Stringtangas abgezeichnet. Und zwischen Hosenbund und Bluse hatte cremefarbene, samtweiche Haut hervorgeblitzt. Wie war es ihm nur gelungen, sich zurückzuhalten und sie nicht zu berühren?

Mach dir nichts vor, dachte Dylan. Dieser kurze, fast schmerzliche Moment bewusster Selbstbeherrschung war der Höhepunkt seiner ganzen Woche gewesen.

Er schob die Schublade zu, lehnte sich zurück und beschloss herauszufinden, wie die CFC Wynnie gefunden hatte.

Wynnie atmete ein, wobei ihre Nasenflügel leicht bebten. „Mr. Kelly, was ich früher getan habe, ist bei Weitem nicht so wichtig wie der Grund, aus dem ich jetzt hier bin. Meine Art und Weise, die Clean Footprint Coalition in aller Munde zu bringen, ist vielleicht etwas unkonventionell, dennoch ist mein Anliegen sehr ernst. In der CFC haben sich eine Reihe angesehener fortschrittlicher und hoffnungsvoller Menschen zusammengeschlossen. Und uns allen ist klar, dass KInG unbedingt grüner werden muss, und zwar schnell.“

Sie beugte sich vor, rutschte mit ihrem süßen kleinen Hintern zum vorderen Stuhlrand und umfasste die Schreibtischkante.

„Ich brauche Sie“, sagte sie.

Ihre leicht rauchige Stimme klang bittend und verletzlich, fast flehend. Dylan hatte plötzlich das Gefühl, sprach- und machtlos zu sein.

Wynnie Devereaux machte ihre Sache gut. Sehr gut sogar. Eine Sirene mit einer Mission. Aber als sie ihn genau da hatte, wo sie ihn doch sicher haben wollte, schien ihr klar zu werden, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Sie ließ den Schreibtisch los und sank langsam gegen die Lehne ihres Stuhls. Was für eine verwirrende Frau!

„Meine Organisation braucht KInG“, sagte sie noch nachdrücklicher. „Und KInG braucht uns. Wenn wir uns vereinigen, würden wir alle davon profitieren.“

Angesichts des Wortes „vereinigen“ wurde Dylan noch unruhiger. So langsam gingen ihm die Positionen aus, in denen er bequem aufrecht sitzen konnte.

„Es wäre wirklich für beide Seiten von Nutzen“, fuhr Wynnie fort. „Wir möchten etwas verändern, und KInG würde gratis jede Menge tolle PR bekommen – wenn Sie ein vorbildliches, umweltbewusstes Unternehmen werden.“

Auf Dylans Computerbildschirm erschien ein Hinweis von Eric, der ihn darüber informierte, dass ein Klient wartete. „Sie haben noch zwei Minuten Zeit. Was genau wollen Sie?“

„Ich will, dass Sie mit der CFC eine Kooperation eingehen.“

Dylan musste lachen, woraufhin Wynnie auf geradezu entzückende Weise die Stirn runzelte.

Er beugte sich vor. „Honey, ich weiß wirklich nicht, wer Sie auf die Idee gebracht hat, dass unser Unternehmen den Wunsch hat, mit irgendjemandem gemeinsame Sache zu machen.“

Auch Wynnie beugte sich vor und sah ihm fest in die Augen. „Aber das tun Sie doch schon. Ihre größten Unternehmenskunden kommen aus den Bereichen Autobau, Ölproduktion und Transportwesen, den größten Umweltverschmutzern überhaupt. Sollen wir uns in unseren Veröffentlichungen lieber auf diese Aspekte konzentrieren?“

Dylan wurde klar: So entzückend Wynnie auch die Stirn runzeln mochte, sie war mit einer ganz bestimmten Absicht hier. Wenn sie ihn noch weiter in die Ecke drängte, blieb ihm keine andere Wahl, als sich mit Zähnen und Klauen seinen Weg zu bahnen.

Mit scharfer Stimme fragte er: „Warum haben Sie sich dann nicht vor deren Gebäuden an eine Statue gekettet?“

Das kleine Biest schien die drohende Gefahr nicht zu bemerken. Ihre Augen glänzten warm wie Honig, während sie erwiderte: „Weil mir Ihre besser gefällt.“

Dylan gab einen knurrenden Laut von sich und ballte unter dem Schreibtisch die Hände. In diesem Moment sprach Wynnie weiter, und ihre Stimme war wie eine heiße Schokolade an einem kalten Abend. „Mr. Kelly, dass ich morgen jemand anders nerven werde, war geschwindelt. Ihr Unternehmen ist das einzige, auf das ich es abgesehen habe. Und ich werde meine gesamte Energie darauf setzen, Sie zu überzeugen. Sie könnten beiden Seiten eine Menge Zeit und Ärger ersparen. Laden Sie einfach meine Leute ein, damit sie Ihr Unternehmen im Hinblick auf Energieverbrauch, Verbrauchsmaterial und Müll auseinandernehmen und wieder zusammenbauen. Die Kosten werden kaum bemerkbar sein, und Sie werden abends in dem Bewusstsein schlafen gehen, dass es der Erde dank Ihrer geringen Bemühungen besser geht.“

„Warum ausgerechnet KInG?“

„Weil alle anderen Unternehmen in diesem Land Ihnen nacheifern. Der Erfolg von KInG ist geradezu legendär, und deshalb haben Sie unglaublich viel Einfluss. Wenn Sie vorangehen, werden die anderen Ihnen folgen – und genau das wollen wir.“

Ihm wurde noch heißer, als Wynnie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. „Also, was sagen Sie dazu?“, fragte sie.

Dylan hielt den Blick fest auf sie gerichtet. „Ich sage Folgendes: Ich mag es nicht, wenn man mir droht. Ich mag es auch nicht, wenn irgendwelche Emporkömmlinge mein Unternehmen oder meine Familie öffentlich angreifen. Über Ihre Aktion werden die Medien vielleicht eine Weile berichten, aber mit mir als Gegner haben Sie sich ein bisschen übernommen. Sie sollten Ihr Glück lieber anderswo versuchen, bevor es Sie für immer verlässt.“

Wynnie blinzelte, und ihre braunen Augen verrieten nicht, was in ihr vorging. Schließlich stand sie auf und strich sich den Rock glatt. Als Dylan sah, dass ihre Hände zitterten, zog sich ihm der Magen zusammen.

Wynnie nickte kurz und sagte: „Also gut. Das ist wohl mein Stichwort, Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit zu danken und Sie wieder Ihrer Arbeit zu überlassen.“

Als sie hinausgehen wollte, stand Dylan ebenfalls auf und legte ihr die Hand auf den Rücken, um sie zur Tür zu führen. Er hielt seine Hand ganz still und konnte spüren, wie sich die Muskeln von Wynnies Rücken und Hüfte in einem sehr sinnlichen Rhythmus bewegten. Im Flur wandte sie sich noch mal zu ihm um. Seine Hand glitt zu ihrer Taille. Ihre Bluse verrutschte, und er zog schnell die Hand zurück, als er ihre zarte, warme Haut spürte.

Wynnie schien nicht zu bemerken, wie aufgewühlt er innerlich war. „Vielen Dank, dass Sie der CFC Zeit gewidmet haben.“

Plötzlich gefiel ihm die Vorstellung nicht, dass sich ihre Wege nun trennen würden. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sagte: „Ich danke Ihnen. Es war der ereignisreichste Dienstag seit dem Tag des Melbourne Cup.“

„Sind da die Aktienkurse um dreistellige Zahlen gestiegen?“

Dylan lachte laut. „Nein. Ein paar Angestellte der Rechtsabteilung haben sich als Pferde und Jockeys verkleidet und zur Unterhaltung das Rennen nachgespielt.“

„Na, dann hoffe ich, dass Sie dem Vorstand von unserem Treffen genauso begeistert berichten, wie Sie dem kleinen Späßchen Ihrer Mitarbeiter zugesehen haben“, erwiderte Wynnie sarkastisch. Und als sie so auf dem glänzenden Holzfußboden stand und sich ihre Hände um ihre kleine Brieftasche krampften, da wurde Dylan plötzlich schlagartig etwas klar: Sie wollte nicht nur, dass sein Unternehmen mit ihrer Organisation zusammenarbeitete. Sie wollte ihn.

In Gedanken versunken malte er sich aus, wie er ihr durchs Haar strich, sie an sich zog und leidenschaftlich küsste. Das machte ihm zu schaffen, denn normalerweise ließ er sich nicht leicht von Verlangen überwältigen. Nur besonders gelassene, gleichgültig wirkende Frauen bekamen seine Aufmerksamkeit. Und Wynnie Devereaux schien weder gelassen noch gleichgültig zu sein. Nach außen hin wirkte sie zwar temperamentvoll und unnachgiebig, doch Dylan spürte, dass sie innerlich genauso zerbrechlich und wunderschön war wie die Schmetterlingsspange an ihrer Brieftasche.

Allerdings betrieb sie auch Lobbyarbeit für die Gegenseite.

Dylan sah ihr in die Augen, aber nicht so lange, dass die merkwürdige lockende warme Falle nicht zuschnappte. „Ich werde dieses Wochenende einen Baum pflanzen und dabei an Sie denken“, versprach er.

Wynnies volle Lippen verzogen sich langsam zu einem Lächeln. „Pflanzen Sie lieber gleich ein Dutzend und denken Sie dabei an Ihre Kinder.“

„Ich habe keine Kinder, soweit ich weiß“, entgegnete er augenzwinkernd. „Auf Wiedersehen, Wynnie.“

„Bis zum nächsten Mal, Mr. Kelly“, erwiderte sie vielsagend, wandte sich um und ging.

Dylan musste lächeln, als er ihr nachblickte und die Handschellen sah, die ihr aus der hinteren Tasche hingen und leicht gegen ihren süßen kleinen Hintern schlugen.

3. KAPITEL

Wynnie streifte sich die High Heels ab und ließ sie unter ihren Barhocker fallen. Dann schloss sie die Augen und presste die Finger auf ihre Lider.

„Was machst du da?“, wollte Hannah wissen.

„Ich versuche, einige Teile des heutigen Tages für immer zu vergessen.“

Ihre Freundin lachte. „Ach hör schon auf. Du hast das doch toll gemacht! Viel besser, als irgendjemand zu hoffen wagte! Du warst in den Nachrichten um halb fünf und bist sogar bis ins Gebäude gekommen. Für die CFC bist du geradezu eine Regenmacherin.“

„Es war nicht gerade eine Glanzleistung, eine Kampagne zu beginnen, indem man dem einflussreichsten Unternehmen der ganzen Stadt vorwirft, die Erde auf dem Gewissen zu haben.“

Wynnie ließ den Kopf auf den glänzenden roten Tresen des flippigen Biergartens in Eagle St. Pier im Stadtzentrum sinken. Doch auch der unsanfte Aufprall vertrieb die Bilder von Dylan Kelly nicht aus ihrem Kopf.

Sein atemberaubendes leichtes Lächeln, als sie mit ihm geflirtet hatte. Sein leicht düsteres, aber nicht minder aufregendes Lächeln, als sie einen Schritt zu weit gegangen war. Und vor allem jenes überwältigende Lächeln bei ihrem Abschied. Einen Moment lang hatte Wynnie geglaubt, dass sie nur nach außen hin ein geschäftliches Gespräch, innerlich aber ein sehr persönliches geführt hatte.

Hannah trank ihren Cocktail aus und bestellte im selben Atemzug einen neuen. „Ich persönlich fand die Sache mit der Nickelallergie am besten.“

Wynnie hob den Kopf und strich sich über die Verbände an ihren Handgelenken. „Das finde ich nicht witzig.“

Hannah lachte so laut, dass sich ein Dutzend Gäste zu ihnen umdrehte. „Ach komm schon. Du hast Kontakt zu jemandem bekommen, an den noch niemand bei der CFC herangekommen ist – und dann stellt so ein frischgebackener Arzt fest, dass du zu geizig warst, um hochwertige Handschellen zu kaufen.“

„Ich wollte nicht das Geld einer gemeinnützigen Organisation für so etwas verschwenden.“

Als Hannah sich vor Lachen den Bauch hielt, musste Wynnie ihre Freundin an der Gürtelschlaufe festhalten, damit sie nicht vom Hocker fiel.

Während Hannah weiterkicherte, atmete Wynnie den Geruch nach Bier und das zitronige Aroma der Banksien ein, einem Silberbaumgewächs, das in großen Tontöpfen auf dem Boden stand. Sie war überrascht, wie sehr dieser für Australien typische Geruch sie nach den vielen Jahren im Ausland tröstete. Ebenso wie die letzten Strahlen der Frühlingssonne von Brisbane, die durch die riesigen Oberlichte und die deckenhohen Fenster fielen. Langsam ließ die Anspannung des Tages ein wenig nach.

„Ich weiß nicht, ob eine Überdosis Nickel durstig macht, aber ich muss unbedingt noch etwas trinken.“

Leider musste sie wegen ihrer Handgelenke Kortison nehmen und durfte keinen Alkohol trinken. Umso schwerer fiel es ihr, Dylan Kellys muskulöse Unterarme zu vergessen, sein dichtes kurzes Haar, dessen Farbe oberhalb der Ohren von Gold zu Braun wechselte – und seine faszinierenden blauen Augen.

Als der Barkeeper die Getränke brachte, hatte er Wynnies Ananassaft mit einer Erdbeere und einem Papierschirmchen verziert und lächelte sie an.

Er war wirklich süß. Und Wynnie war chronischer Single. Noch dazu konnte sie etwas männliche Gesellschaft nach diesem Nachmittag gut gebrauchen. Doch der junge Mann hatte etwas Sanftes an sich, das an einen Welpen erinnerte, und Wynnie wusste, sie entsprach einfach nicht dem Typ Frau, den der nette Barkeeper brauchte. Also nickte sie ihm nur kurz zu und drehte sich dann zu Hannah um, die sie über ihren Cocktail hinweg angrinste.

„Wynnie hat einen neuen Verehrer!“, zog diese sie auf. „Ich wette, dass er spätestens in fünf Minuten mit einer Rose zwischen den Zähnen und mit einer Mandoline wieder auftaucht. Wenn du die nächste Runde bestellst, sparen wir zwanzig Dollar.“

„Ach hör auf damit.“

„Warum denn? Neue Stadt, neuer Mann. Außerdem hast du dir nach all der Arbeit wirklich eine Belohnung verdient – und warum nicht in Form männlicher Gesellschaft?“

„Die hatte ich heute schon, und du weißt ja, wozu das geführt hat“, entgegnete Wynnie.

„Jetzt fange ich an zu verstehen, warum du trotz deines grandiosen Erfolgs so niedergeschlagen bist“, sagte Hannah scharfsinnig.

„Das liegt daran, dass ich noch nicht beim vierten Cocktail bin.“

„Erst hat mein kleiner Schützling, den ich für die CFC angeheuert habe, ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt und damit auch mich gut dastehen lassen – und dann hat sie sich in den unwiderstehlichen Dylan Kelly verguckt. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!“

Allein die Erwähnung seines Namens ließ Wynnie erbeben. Sie wollte alles abstreiten, war jedoch zu erschöpft, um sich die Mühe zu machen. „Es wäre nett gewesen, wenn du mir vorher gesagt hättest, wie toll er ist – dass er aussieht wie ein Filmstar, ein Highschool-Idol und männliches Model in einem.“

„Hat deine Stimme gerade gebebt?“

„Nein!“, stritt Wynnie heftig ab. „Aber es geht nicht nur um sein Aussehen. Er ist intelligent und äußerst konzentriert, sehr clever und witzig, wenn man gar nicht damit rechnet.“

„Und, wirst du ihn um ein Date bitten?“, fragte Hannah neugierig.

„Wozu sollte ich das tun?“

„Na ja, um mit ihm essen oder ins Kino zu gehen oder vielleicht etwas Matratzensport zu betreiben.“

„Hannah! Er ist der entscheidende Ansatzpunkt für uns. Von ihm allein hängt ab, ob die Sache ein Erfolg wird oder nicht!“

„Das ist der Grund, warum du dich nicht mit ihm verabreden willst?“

„Nein. Doch!“, verbesserte Wynnie sich schnell. „Außerdem stehen bei ihm bestimmt Hunderte von Frauen Schlange. Und ich habe beruflich gerade viel zu viel zu tun, um irgendetwas mit einem Mann anzufangen.“

„War’s das?“, fragte ihre Freundin sarkastisch.

„Nein. Er scheint außerdem ein ziemlicher Schwerenöter zu sein. Er hat mit mir geflirtet, mit sämtlichen Journalistinnen in seiner Nähe, einigen der Männer und einer Topfpflanze auf dem Weg in sein Büro. Es wirkt schon fast zwanghaft.“

„Endlich mal etwas, das ich verstehe! So etwas steht nicht in den Informationen, die du vorher bekommen hast. Also … man sagt, dass Dylan Kelly … wie soll ich es ausdrücken?“ Hannah blickte nach oben und tippte sich gegen das Kinn. „Er hat nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne.“

„Und was soll das heißen?“

„Dass er offenbar nie mit derselben Frau zweimal ausgeht. Seine Begleiterinnen sind übrigens alle bildschön und strahlen so viel Wärme aus wie Eisskulpturen.“

Wynnie blinzelte überrascht. „Ich weiß nicht, was ich beleidigender finde: dass du meinst, ich wäre gern eine dieser ‚Frauen der Woche‘ – oder dass du denkst, die Beschreibung würde auf mich zutreffen.“

Hannah schlug ihr leicht auf den Arm. „Denk doch mal drüber nach, anstatt beleidigt zu sein. Du hattest diesen Monat Zeit, um mit mir zu bowlen, etwas trinken zu gehen und mehrere Filme zu sehen. Ich wäre bereit, zugunsten deines Liebeslebens auf einen Teil dieser Zeit zu verzichten – bevor du am Ende anfängst, im Büro zu nächtigen, damit du noch früher mit der Arbeit anfangen kannst und ununterbrochen Statistiken zum Kohlendioxidausstoß vor dich hin murmelst, ohne es zu merken.“

Wynnie schüttelte den Kopf. „Ich habe das Gefühl, dass zum ersten Mal seit langer Zeit alles passt. Ich glaube mit ganzer Seele an die CFC und ihre Philosophie und empfinde es als Ehre und Verpflichtung zugleich, für sie tätig zu sein. Mit jeder Stunde Arbeit kann ich einen Beitrag leisten, helfen und wiedergutmachen …“

Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf.

Von allen Menschen, die sie kannte, war Hannah geradezu prädestiniert dafür, mit ihr über das übermächtige Bedürfnis zu reden, das Geschehene wiedergutzumachen. Denn sie war bei Wynnie gewesen, als Felix verschwunden war, und hatte ihr über einen ihrer Professoren sogar einen tollen Anwalt besorgt. Doch auch jetzt noch, nach all dieser Zeit, konnte Wynnie nicht darüber sprechen.

„Ich werde Dylan Kelly nicht um eine Verabredung bitten, okay?“

All ihre Einwände waren plausibel, doch der Hauptgrund war ein ganz anderer. Mehr als einmal hatte Wynnie sich für Männer aufgeopfert, von denen sie viel hielt. Und sie wollte gar nicht erst riskieren, dass ihr so etwas noch einmal passierte. Denn sie konnte nicht unbegrenzt ihre Frisur und ihren Namen ändern und in eine andere Stadt ziehen. Erotische Spannung auszuhalten war dagegen ein Kinderspiel.

Hannah stützte einen Ellbogen auf den Tresen, legte ihr Kinn in die Hand und sah ihre Freundin an. „Das heißt, es würde dir nichts ausmachen, wenn Dylan Kelly und ich uns … näherkämen?“

Wynnie biss auf ihren Strohhalm. „Nein, überhaupt nicht“, schwindelte sie.

„Und was wäre mit mir und dem Barkeeper?“

Wynnie wäre fast auf ihrem Hocker auf und ab gehüpft. „Superidee! Er wirkt unheimlich lieb und wäre der ideale Ausgleich für deine zynische Art. Außerdem könnte er dir jeden Abend Cocktails mixen – er passt wirklich perfekt zu dir!“

Sie hielt abrupt inne, als ihr klar wurde, dass Hannah sie nur in Bezug auf den Casanova Kelly auf die Probe stellen wollte. Und leider war ihre Reaktion sehr eindeutig gewesen.

„Ich muss los“, sagte Wynnie und schlüpfte wieder in ihre Schuhe. „Der Markt geht nur bis acht Uhr, und ich habe keine Kumquats mehr.“

Sie nahm ihre alte Reisebrieftasche vom Tresen, glitt vom Hocker und bahnte sich ihren Weg durch die Menge.

„Kumquats? Na, die Ausrede habe ich ja noch nie gehört.“ Hannah, die auch in flachen Schuhen fast acht Zentimeter größer war als Wynnie, hatte ihre Freundin schnell eingeholt. „Übrigens: Nur weil du Felix für den tollsten Menschen überhaupt gehalten hast und er dann totalen Mist gebaut hat, heißt das nicht, dass alle Männer so sind.“

Nein, dachte Wynnie. Felix hatte nicht nur Mist gebaut. Ihr kleiner Bruder und ihr einziger noch lebender Verwandter, der bildhübsche Junge, der noch nicht einmal einer Spinne etwas zuleide tun konnte, weil er so im Einklang mit seiner Umwelt war – dieser Junge hatte etwas so Schreckliches, absolut Untypisches getan und Menschen verletzt, weil er die Erde hatte retten wollen. Und dann hatte er es auch noch ihr überlassen, das Durcheinander zu beseitigen. Wynnie, für die das Wort „Vertrauen“ seitdem einen bitteren Beigeschmack besaß, hatte ihn nie mehr gesehen.

Draußen angekommen, sah sie sich nach einem Taxi um.

„Hast du eigentlich inzwischen von ihm gehört?“, hörte sie Hannah plötzlich neben sich fragen.

Wynnie schüttelte so heftig den Kopf, dass sich die Schmetterlingsspange löste, die sie ihm Haar trug. Doch zum Glück konnte sie das Schmuckstück auffangen, bevor es auf den Boden fiel. Mit klopfendem Herzen hielt sie das einzige Erinnerungsstück an ihre wunderbaren, fortschrittlich denkenden Eltern fest. Zum Glück hatten sie nicht mehr miterlebt, was mit Felix passiert war.

„Er wird sich melden, Sweetie“, sagte Hannah tröstend. „Irgendwann lässt er ja immer von sich hören. Allerdings bin ich der Meinung, er sollte dich ein für alle Mal in Ruhe lassen.“

Als Wynnie Hannah aufgebracht ansah, hob diese beschwichtigend die Hände.

„Schon gut, ich werde nichts mehr zu dem Thema sagen. Aber sollte ich ihm jemals in einer dunklen Gasse über den Weg laufen, wird er von mir einen ordentlichen Tritt in den Hintern bekommen und sonst gar nichts.“

Als ein Taxi neben ihnen hielt, schob Wynnie die Spange in ihre Brieftasche und öffnete die hintere Wagentür. „Das verstehst du also unter ‚nichts mehr zu dem Thema sagen‘?“

„Von jetzt an wirklich, versprochen.“ Hannah wechselte das Thema. „Ein süßer Barkeeper, der mir Drinks spendiert, oder der berüchtigte Dylan Kelly, der mir die ganze Bar kaufen könnte. Wirklich eine schwere Entscheidung …“

Wynnie streckte ihrer Freundin die Zunge heraus, stieg ins Taxi und gab die Adresse des Cottages in Spring Hill an, das sie durch Vermittlung der CFC bekommen hatte.

Nachdem sie gesehen hatte, wie Hannah ins nächste Taxi stieg, ließ Wynnie sich gegen den Sitz sinken, atmete langsam aus und schloss die Augen. Sofort sah sie wieder Dylan Kelly vor sich. Doch anstatt das Bild zu verdrängen, ließ sie es eine Weile auf sich wirken.

Sie verspürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen in der Brust, wo er sie berührt hatte – und in ihrem Po, wo er sie nicht berührt hatte. Doch sie wusste nur zu gut, dass der imposante, geradezu widerlich reiche Geschäftsmann Dylan Kelly und sie, die kühne Hippie-Umweltschützerin, in zwei verschiedenen Welten lebten und nichts miteinander gemeinsam hatten. Und eigentlich sollte sie darüber sehr froh sein.

Gut gesättigt lehnte Dylan sich in seinem Stuhl zurück. Wieder hatte er ein Dinner im Kreise der Familie hinter sich gebracht.

Kaum hatte er am langen Esstisch im übertrieben dekorierten Speisezimmer seiner Eltern Platz genommen, hatte er angefangen zu essen wie ein Verhungernder. Karamellisiertes Schweinefilet mit grünem Papayasalat, Entenbrust mit Marmelade aus Blutorangen und Quitten, Baklava mit Ziegenkäse – Dylan hatte nichts ausgelassen und den Hunger zu stillen versucht, der ihn schon seit dem Nachmittag erfüllt hatte.

Wynnie Devereaux hatte ihn zwar Nerven gekostet, ihn aber auch mit einer unerklärlichen Sehnsucht erfüllt. Ständig hatte er das Gefühl gehabt, den Blick ihrer warmen braunen Augen auf seinen Wangen zu spüren – bis er es schließlich nicht mehr ausgehalten und sich rasiert hatte. Die Hand, mit der er ihre Hüfte berührt hatte, kribbelte heftig, also hatte er sich absichtlich mit heißem Kaffee verbrannt. Und obwohl er unglaublich viel zu tun hatte, musste er ständig an sie denken.

Zu allem Überfluss riefen unzählige Medienvertreter an, die ein Zitat zu seiner Beziehung zur CFC und seiner Ansicht zur Frau der Stunde brauchten. Natürlich hatte Dylan schlecht sagen können, dass er sich Wynnie Devereaux am liebsten über die Schulter gelegt und ihr den Hintern versohlt hätte.

Nach einer reichlichen guten Mahlzeit fühlte er sich nun ein wenig besser und klopfte sich zufrieden auf den wohlgefüllten Bauch. Er durfte es nur nicht zur Gewohnheit werden lassen, seine sexuellen Sehnsüchte mit Essen zu bekämpfen.

„Bist du ganz sicher schon satt, Brüderchen?“, neckte ihn seine jüngere Schwester Meg. „Wenn du mir fünf Dollar gibst, darfst du meinen Teller ablecken.“

Dylan lächelte. „Solltest du irgendwann einmal einer anständigen Arbeit nachgehen, wirst du verstehen, warum manche Menschen abends viel essen müssen: weil wir das Mittagessen oft auslassen, anstatt es zum wichtigsten Ereignis des Tages zu machen.“

Meg streckte ihm die Zunge heraus und ging mit dem Handy am Ohr ins nächste Zimmer.

„Sie ist immerhin fast dreißig, stimmt’s?“, wandte Dylan sich an seinen Vater, doch Quinn Kelly war bereits auf dem Weg nach draußen. Dylan nickte James, dem Butler seiner Eltern, unauffällig zu, damit dieser sicherstellte, dass der alte Mr. Kelly nicht heimlich draußen eine Zigarre rauchte.

Dylan hatte immer geglaubt, dass die Mitglieder seiner Familie sehr vertraut miteinander waren. Doch dann wurden sie vor wenigen Monaten am siebzigsten Geburtstag seines Vaters mit einer Wahrheit konfrontiert, die ihnen fast den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.

Sein Vater, unbestrittenes Oberhaupt der Kelly Investment Group und die treibende Kraft, die seine Familie zur einflussreichsten von ganz Brisbane gemacht hatte, war schwer herzkrank. Ausgerechnet der scheinbar unverwüstliche alte Herr, von dem alle glaubten, er würde ewig leben, hatte zweimal wiederbelebt werden müssen.

An jenem Abend hatte die Familie sich beraten und beschlossen, niemandem etwas zu sagen, um weder die finanzielle Stabilität des Unternehmens noch die Gesundheit von Quinn Kelly zu gefährden.

Dylans Aufgabe, die Bereiche des Familienlebens zu schützen, über die die Öffentlichkeit nichts erfahren sollte, hatte über Nacht entscheidende Bedeutung bekommen. Er kam dieser Aufgabe sehr gern nach – schon seit jenem Tag vor langer Zeit, als die Zeitungen im Detail über die unschönen Umstände seiner geplatzten Verlobung berichtet hatten, die niemanden interessiert hätten, wäre er kein Kelly gewesen. Damals war ihm bewusst geworden, wie angreifbar seine Familie war. Und so hatte er es sich zum Ziel gesetzt, sie vor Bedrohungen, Bloßstellung und Gerüchten zu schützen.

Als James berichtete, dass Quinn sich an die ärztlichen Anweisungen hielt, konnte Dylan sich entspannen. Sein jüngster Bruder Cameron und dessen frisch angetraute Ehefrau Rosie saßen bei einem Glas Wein zusammen und schienen nicht einmal bemerkt zu haben, dass alle anderen aufgestanden waren.

Von allen Familienmitgliedern verstand Dylan sich mit Cam am besten – einem jungen Mann mit wachem Verstand, dem er nur Gutes wünschte.

„Sind die beiden nicht ein süßes Paar?“, fragte Dylans Mutter, die plötzlich hinter ihm stand und selig lächelte.

Dylan wandte sich zu ihr um. „So süß, dass einem die Zähne davon wehtun. Übrigens musst du für uns kein Staatsbankett inszenieren. Das nächste Mal kannst du also das Wedgwood-Service im Schrank lassen und einfach das IKEA-Geschirr nehmen.“ Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und entfernte sich unauffällig.

Im Salon traf er Brendan an, der am Tisch irgendeinen Vertrag durchging. Er war schon immer ein Workaholic gewesen, doch nun leitete er insgeheim auch noch KInG, während Quinn gezwungen war, in seinem Büro Däumchen zu drehen. Viel lieber hätte der alte Mann sich um das milliardenschwere Unternehmen gekümmert, das ihn sicher zehn Lebensjahre gekostet hatte.

Dylan schob die Hände in die Hosentaschen und betrachtete seinen Bruder. Auch Brendan hatte einmal eine langjährige Beziehung gehabt und war danach zutiefst verzweifelt und einsam gewesen. Als Chrissy damals ganz unerwartet gestorben war, hatte Brendan ein wenig Trost in der Sorge um seine zwei süßen Töchter gefunden. Dennoch verspürte Dylan tiefes Mitgefühl mit seinem Bruder.

„Was diese Störung heute betrifft“, sagte Brendan plötzlich, sodass Dylan zusammenzuckte. „Ich habe es in den Nachrichten gesehen. Hatte sie sich tatsächlich mit Handschellen angekettet?“

Dylan musste lächeln. Das Wort „Handschellen“ aus dem Wort seines konservativen älteren Bruders zu hören entschädigte ihn fast dafür, dass er den Gedanken an die Besitzerin eben jener Handschellen den ganzen Nachmittag lang nicht losgeworden war.

Dylan lehnte sich an ein über drei Meter hohes Bücherregal. „Sie heißt Wynnie und wollte, dass wir ihr dabei helfen, die Welt zu retten“, erwiderte er lächelnd und berichtete ausführlich – auch davon, dass Wynnie so bald nicht mehr ins Gebäude gelangen würde.

„Es lohnte sich also nicht, über ihre Vorschläge nachzudenken?“, wollte Brendan wissen.

„Ihr Konzept ist vermutlich völlig in Ordnung, aber ich werde nicht mit jemandem verhandeln, der mich dazu erpresst, mit ihm zu reden. Das wäre kein wünschenswerter Präzedenzfall für unser Unternehmen.“

Brendans Gesichtsausdruck wurde sanfter. „Sie sollte also merken, dass du der bessere PR-Berater bist.“ Als Dylan nichts erwiderte, nahm er wieder den Vertrag zur Hand und fügte hinzu: „Wenn du es für das Beste hältst, sie dir vom Leib zu halten … gut.“

Starr betrachtete Dylan seine Fingernägel. Ja, er würde sich Wynnie Devereaux vom Leib halten. Keine Besprechungen mehr mit ihr, kein Gedanke mehr an sie: an ihr zerzaustes Haar, ihre zart duftende Haut oder das heftige Verlangen, das ihn erfasst und nicht wieder losgelassen hatte. Auch die Tatsache, dass sie ihren Stolz und ihre eigenen Interessen zurückstellte, um allein für das zu kämpfen, von dem sie überzeugt war, sollte ihn einfach kaltlassen – selbst wenn es ihn tatsächlich beeindruckte.

Wynnie Devereaux hatte gesagt, dass sie noch nicht mit ihm fertig war; und Dylan fragte sich, welche Überraschungen sich noch unter ihrer harten Schale verbergen mochten. Unter der fast durchsichtigen Bluse und der engen weißen Hose, die der Fantasie nur wenig Spielraum ließ – unter dem zarten Stringtanga und …

„Wünschen die Herren noch einen Drink?“, fragte James.

Brendan schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken.

Dylan stand auf und erwiderte: „Für mich auch keinen, danke. Ich fahre nach Hause und gehe ins Bett.“

Beim Hinausgehen klopfte er James auf die Schulter und fügte hinzu: „Sie werden doch auf sie achtgeben, nicht wahr, James? Sicherstellen, dass sie das Anwesen nicht abbrennen, nackt in der Öffentlichkeit erwischt werden oder sonst eine Dummheit anstellen, die ich dann wieder ausbügeln muss?“

„Ich werde mich bemühen, Master Dylan.“

„Auf Sie ist Verlass, James.“

4. KAPITEL

Aufgeregt wippte Wynnie mit dem Knie. Sie blickte schon so lange starr auf die vor Sonnenlicht gleißende Glasfront des Cafés, dass ihr die Augen wehtaten.

Auch die Hand tat ihr weh, weil sie seit zehn Minuten heftig ihren Chai Latte umrührte. Da ihre Handgelenke noch immer verbunden waren, trug sie über ihrem schwarz-weiß gestreiften T-Shirt eine langärmelige Lederjacke.

Wynnie ließ den Blick über die in warmem Orange gestrichenen Wände, die bunt zusammengewürfelten Holzstühle und die lilafarbenen Sofas zum Flachbildfernseher hinter dem Tresen gleiten. Im Fernsehen lief ein Morgenmagazin, und die Anzeige in der rechten unteren Ecke zeigte Wynnie, dass sie bereits seit zwölf Minuten vor sich hin starrte, wartete und mit dem Knie wippte.

Das waren zwölf Minuten, die sie mit Schlafen hätte verbringen können. Sie hätte in dieser Zeit ihre völlig übermüdeten Augen mit dezentem Make-up auffrischen und irgendetwas mit ihrem Haar machen können, anstatt es im Taxi lediglich mit den Fingern zu kämmen.

Es lag an dem milden Wetter in Brisbane, dass sie in den letzten Nächten nicht gut geschlafen hatte. Nach den Jahren, die sie in Gegenden mit gemäßigtem Klima verbracht hatte, musste Wynnies Körper sich erst einmal an diese Umstellung gewöhnen. Sie hatte zugesehen, wie sich der Ventilator über ihrem Bett gedreht und in der nächtlichen Hitze lange Schatten auf die von Mondlicht erhellte Decke geworfen hatte. Kurz vor Sonnenaufgang war sie dann endlich eingeschlafen.

Ihre Schlafstörungen hatten natürlich nichts damit zu tun, dass sie heute Morgen um halb acht im Café auf Dylan Kelly warten würde.

Plötzlich sah Wynnie sich selbst im Fernsehen – mit Handschellen. Dylan Kelly bewegte sich um sie herum wie ein Löwe um seine Beute. Als Wynnie ihn betrachtete, wurde ihr heiß, und sie verspürte ein Ziehen in den Brüsten. Mit ihrem vom Wind gezausten Haar, der zart geblümten Bluse und dem Blick, den sie fest auf Dylan gerichtet hielt, wirkte sie im Fernsehen tatsächlich wie eine „kämpferische Umweltaktivistin“, wie sie in sämtlichen Medien bezeichnet wurde.

Das Wort „kämpferisch“, behagte Wynnie jedoch gar nicht, weil es Erinnerungen an rote Farbbomben, wütende protestierende Menschen und Tränengas wachrief. Und an Felix. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, mit siebzehn Jahren, hatten seine Augen kämpferisch geglänzt, weil er in Brisbane mit Freunden protestieren wollte. Wynnie war voller Stolz gewesen, wie leidenschaftlich er sich einsetzte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Felix im Rahmen seines Kampfes für die Umwelt so viel Unglück und Schaden anrichten würde.

Beim Gedanken daran tastete Wynnie nach der Schmetterlingsspange ihrer Mutter, die jetzt an ihrem Uhrarmband klemmte.

Eigentlich waren sie und Felix ganz anders erzogen worden. Ihren Eltern war es wichtig gewesen, von Land und Boden zu leben und auf diesem möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. Sie hatten sich eng mit ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen verbunden gefühlt. Und genau deshalb arbeitete Wynnie so hart: Sie wollte dem Rest der Welt einen Eindruck von dieser idyllischen Lebensweise vermitteln.

Als die Cafétür aufging, wurde Wynnie vom reflektierten Sonnenlicht geblendet. Trotzdem wusste sie sofort, dass der eingetretene Mann nicht der war, auf den sie wartete. Er war schmaler gebaut und jünger, und er sprach ununterbrochen in ein Handy. Erleichtert griff Wynnie nach ihrem Glas – und hielt dann mitten in der Bewegung inne.

Denn der junge Mann war nicht allein gekommen, sondern hielt einem zweiten Mann ehrerbietig die Tür auf: hellgrauer Anzug, weißgrau gestreiftes Hemd, keine Krawatte, Platinsonnenbrille, breite Schultern, kurzes dunkelblondes Haar, markante Wangen und geradezu sündhaft sinnliche Lippen. Es war Dylan Kelly, der in eine Zeitung vertieft war.

Hier im Café konnte Wynnie sich nicht mehr einreden, dass ihre heftige Erregung beim letzten Aufeinandertreffen mit ihm die Folge eines leichten Hitzschlags gewesen war. Nein, das hatte allein mit Dylan Kelly selbst zu tun. Doch bei dieser Besprechung sollte es um ihre Arbeit gehen, und sie würde sich zum zweiten Mal daranmachen, an dieser steinharten Fassade zu meißeln.

Als Dylan den Kopf hob, bedeutete Eric ihm, dass er Kaffee für sie beide holen würde. Nickend ließ Dylan den Blick durch den Raum gleiten.

Von nervöser Vorfreude und Beklommenheit erfüllt, wartete Wynnie ab, dass er sie entdecken würde. Denn Dylan rechnete nicht damit, ihr hier zu begegnen. Nach ihrem Versuch mit der Taktik „Heldin auf den Bahngleisen“, würde sie jetzt die Strategie „plötzlicher Angriff nach Verstecken hinter einem Baum“ anwenden.

Aber würde er sie überhaupt wiedererkennen? Vielleicht war ihr erstes Aufeinandertreffen für ihn ja kein einzigartiges sinnliches Erwachen gewesen, sondern lediglich eine von vielen Begegnungen mit verrückten Frauen?

Bei diesem Gedanken hätte Wynnie sich am liebsten unter dem Tisch versteckt, doch in diesem Moment sah Dylan sie an. Seine Hand ballte sich zu einer Faust und zerknüllte die Zeitung.

Wynnie atmete tief ein. „Los geht’s“, sagte sie leise zu sich und winkte ihm dann fröhlich zu.

Als Eric zurückkam und sie ebenfalls entdeckte, wurde der arme Kerl ganz bleich. Natürlich hatte Wynnie von Dylan keine herzliche Begrüßung erwartet, aber dass er so aufgebracht wirken würde … Obwohl es bisweilen zu ihrer Arbeit gehörte, anderen Menschen auf die Nerven zu gehen, hatte sie eine solche heftige Reaktion noch nie erlebt.

Als Dylan die Sonnenbrille abnahm, traf der Blick seiner blauen Augen sie wie ein Schlag.

Wynnie stand auf und wies auf den niedrigen Couchtisch, den sie sich für ihre „Besprechung“ gesichert hatte. Diesmal hatte sie zwei Tage Zeit gehabt, um sich vorzubereiten. Alle wichtigen Informationen waren zur Hand: Statistiken, Studien, Plankostenrechnungen.

Dylans Blick war starr, und Wynnie drehte sich der Magen um. Die Zeit schien plötzlich im Zeitlupentempo zu vergehen. Mach schon, flehte sie innerlich.

Und dann lächelte Dylan Kelly plötzlich. Sein Mund wurde breit, sodass seine geraden, strahlend weißen Zähne zu sehen waren und feine Lachfältchen um seine blauen Augen erschienen.

Aus dem Lächeln wurde ein Lachen, und Wynnie rief: „Was ist so komisch?“

Ohne zu antworten, schlängelte Dylan sich zwischen den unzähligen Tischchen hindurch, bis er vor ihrem stand.

„Was ist so komisch?“, fragte Wynnie noch einmal.

„Sie. Sie sind wirklich hartnäckig, Miss Devereaux“, stellte er lächelnd fest.

Wynnie hatte das Gefühl, in einem Meer von Himmelblau zu versinken. Ihre Anspannung ließ ein wenig nach, sodass es ihr gelang, sein Lächeln zu erwidern. „Gut, dass Ihnen das klar ist. Dann werden Sie hoffentlich bald aufhören, mich zu ignorieren.“

Fasziniert registrierte sie seinen durchtrainierten Körper, während Dylan lässig die Sonnenbrille aufs Sofa warf und dann sein Jackett abstreifte. „Ich fürchte, ich könnte Sie gar nicht ignorieren, selbst wenn ich wollte. Eric, wir sitzen heute hier“, fügte er an seinen Assistenten gewandt hinzu.

„Alles klar, Chef“, sagte dieser und ging zum Tresen.

Wynnie, die ihr Glück kaum fassen konnte, wartete ab, bis Dylan sich ihr gegenüber hingesetzt hatte. Als sie dann selbst Platz nahm und ihre Unterlagen zusammenschob, rieb sich der Stoff ihrer engen Jeans an ihren Beinen, sodass sie heiße Funken auf der Haut spürte. Mit der dicken Lederjacke, dem Chai Latte im Magen und Dylan Kelly nur einen knappen Meter entfernt war Wynnie erneut einem Hitzschlag gefährlich nahe.

Da sie sich lieber lächerlich machen als in Ohnmacht fallen wollte, streifte sie die Jacke ab und genoss das Gefühl der klimatisierten kühlen Luft auf ihren bloßen Armen.

„Was haben Sie denn angestellt?“ Dylan hielt ihre Hände fest, drehte sie vorsichtig in seinen großen Händen herum und strich mit seinen langen Fingern über die Verbände. Sein Gesicht war so ernst, dass ihr Herz einen Schlag lang aussetzte.

Wynnie erwiderte schnell: „Die Handschellen waren billig und haben meine latente Nickelallergie zum Ausbruch gebracht. Jetzt muss ich dreimal täglich so eine blöde Kortisoncreme aufragen. Zufrieden?“

Dylan brach in lautes Lachen aus, sodass die Hälfte der Gäste sich zu ihnen umblickte. Natürlich erkannten ihn alle sofort – wenn nicht als Dylan Kelly, dann als den Mann, der hier jeden Morgen um halb acht Kaffee trank. Diejenigen, die wussten, wer er war, blickten Wynnie an – die Frau, die ihn zum Lachen gebracht hatte.

Sie konnte förmlich spüren, wie sie von mehreren Seiten neidvoll betrachtet wurde. Wenn ihr wüsstet, dass er mich gerade ausgelacht hat, wärt ihr nicht mehr ganz so neidisch, dachte sie und entzog ihm ihre Hände. „Sind Sie fertig?“, fragte sie kühl.

„Erst einmal ja“, erwiderte Dylan und schlug leger ein Bein über das andere. „Welchem Umstand verdanke ich eigentlich dieses unerwartete Vergnügen? Oder ist unser erneutes Zusammentreffen reiner Zufall?“

„Mr. Kelly …“

„Bitte nennen Sie mich Dylan. Da wir ja nun schon das zweite Mal zusammen Kaffee trinken, sollten wir uns wohl langsam ein wenig … vertraut miteinander machen.“

Hätte er sie nicht schon so oft sehr genervt angesehen, hätte Wynnie fast glauben können, dass er in Wirklichkeit von etwas noch … Persönlicherem sprach. Denk an seine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne, ermahnte sie sich, nahm einige Papiere zur Hand und sagte: „Ich wollte Ihnen genau erklären, wie unsere Zusammenarbeit ablaufen würde.“

„Wirklich zu schade“, stellte Dylan fest.

Seine tiefe wohlklingende Stimme und ein plötzliches warmes Glimmen in seinen Augen ließen Wynnie das einen Moment lang tatsächlich glauben. Sie blinzelte verwirrt und atmete tief genug ein, um über den Geruch der Kaffeearomen hinweg seinen Duft wahrzunehmen …

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, riss eine fremde Stimme sie aus ihren Gedanken. „Die hatten wieder Ihren Zimt vergessen.“

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen.

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Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs.

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