Julia Exklusiv Band 342

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GESTOHLENE STUNDEN DES GLÜCKS von SARAH MORGAN
„Verlieb dich nie in einen Sizilianer!“ Jahrelang hat Fia sich an das eiserne Gesetz ihrer Familie gehalten und jeden Kontakt zu den berüchtigten Ferraras vermieden. Nur in jener folgenschweren Nacht vor drei Jahren nicht, als brennende Sehnsucht sie in Santo Ferraras Arme trieb …

GEHEIMNISVOLL – UND SO VERFÜHRERISCH von CAROLE MORTIMER
Heißes Verlangen weckt der charmante Luke Richmond in Leonora. Seit sie auf dem Landsitz seiner berühmten Mutter an deren Biografie schreibt, umgarnt er sie immerzu. Trotzdem wird sie das Gefühl nicht los, dass er sie nicht wirklich erobern, sondern nur von einem Geheimnis ablenken will!

LASS MICH DEIN HERZ EROBERN von DAPHNE CLAIR
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  • Erscheinungstag 08.10.2021
  • Bandnummer 342
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501323
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan, Carole Mortimer, Daphne Clair

JULIA EXKLUSIV BAND 342

1. KAPITEL

Rund um den Konferenztisch herrschte schockiertes Schweigen.

Santo Ferrara lehnte sich amüsiert in seinem Stuhl zurück. „Sie werden mir sicher zustimmen, dass es sich hier um ein höchst interessantes Projekt handelt.“

„Du hast wohl den Verstand verloren.“ Es war sein älterer Bruder, der als Erster das Wort ergriff. Cristiano hatte vor Kurzem sein geschäftliches Engagement zurückgeschraubt, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. „Das ist nicht durchführbar.“

„Nur weil du es nicht geschafft hast? Nimm’s nicht so schwer. Es ist ganz normal, dass ein Mann seinen Biss verliert, wenn er von Frau und Kindern abgelenkt wird.“ Santo, der die kleine Abwechslung im harten Arbeitsalltag genoss, legte wohlmeinendes Verständnis in seine Stimme.

Schon möglich, dass er ein wenig eifersüchtig auf seinen Bruder war, dessen Privatleben sich nun ebenso erfolgreich gestaltete wie seine geschäftliche Karriere. Doch früher oder später, so tröstete er sich, würde ihm dasselbe Glück winken.

„Der tapfere Held tritt ab“, spöttelte er. „Mach dir nichts draus. Drei Frauen im Haus, da wird selbst der härteste Kerl weich.“

Die restlichen Vorstandsmitglieder wechselten nervöse Blicke, hielten aber wohlweislich den Mund, während Cristiano ihn scharf ansah.

„Ich bin immer noch Vorstandsvorsitzender dieser Firma.“

„Ganz recht. Du schiebst einen ruhigen Posten, damit du zu Hause Windeln wechseln kannst, also überlass die brillanten Geschäftsideen uns.“

Santos Provokation entlockte seinem Bruder ein halbherziges Lächeln. „Ich gebe ja zu, dass dein Vorschlag interessant klingt. Das Hotel zu vergrößern und das Sportangebot auszuweiten, um verstärkt junges Publikum anzuziehen, könnte sich durchaus lohnen. Aber um zu expandieren …“, ein Schatten legte sich über Cristianos Miene, „… brauchst du das Land der Baracchis, und der alte Baracchi jagt dir eher eine Kugel in den Kopf, als dass er dir seinen Besitz verkauft.“

Aus dem heiteren Geplänkel war bitterer Ernst geworden. Spannung lag in der Luft. Alle am Tisch hielten die Blicke gesenkt, denn jeder hier kannte die Geschichte der Familien Ferrara und Baracchi. Ganz Sizilien kannte sie.

„Lass das meine Sorge sein“, erwiderte Santo ungerührt, woraufhin Cristiano ärgerlich seinen Stuhl zurückschob und ans Fenster trat. Die riesige Glasfront zeigte direkt auf das in der Sonne glitzernde Mittelmeer hinaus.

„Seit du die Geschäfte übernommen hast, hast du großes Geschick bewiesen. Du hast Dinge umgesetzt, die mir nie eingefallen wären.“ Cristiano drehte sich um. „Aber an diesem Projekt wirst du scheitern. Du gießt Öl in ein Feuer, das seit Generationen schwelt. Lass es ruhen.“

„Ich werde den Ferrara Beach Club in unser erfolgreichstes Hotel verwandeln.“

„Das wird dir nicht gelingen.“

Santo lächelte. „Wollen wir wetten?“

Cristiano erwiderte sein Lächeln nicht. „Wir reden hier nicht von einem kleinen Familienstreit. Ich meine es ernst. Lass die Finger davon.“

„Es wird höchste Zeit, dass wir den alten Groll begraben.“

„Das“, sagte sein Bruder düster, „kommt ganz auf den Groll an.“

Santo verlor allmählich die Geduld, obwohl auch er mit dem Namen Baracchi dunkle, unheilvolle Erinnerungen verband. „Ich kann nichts dafür, was Baracchis Enkel passiert ist. Du kennst die Wahrheit.“

„Hier geht es nicht um Wahrheit oder Vernunft, hier geht es um Emotionen und tief verwurzelte Vorurteile. Ich habe dem alten Baracchi ein großzügiges Angebot unterbreitet, aber er würde seine Familie lieber verhungern lassen, als den Ferraras sein Land abzutreten. Die Verhandlungen sind gescheitert.“

„Höchste Zeit, sie wieder aufzunehmen.“

Jemand am Tisch räusperte sich. „Als Ihr Anwalt ist es meine Pflicht, Sie warnend darauf hinzuweisen …“

„Keine kleinkarierten Einwände, bitte“, winkte Santo ab, ohne seinen Bruder aus den Augen zu lassen. „Das heißt, deine Bedenken sind nicht geschäftlich begründet, sondern beziehen sich nur auf die Konfrontation mit den Baracchis. Hältst du mich für einen Feigling?“

„Nein, das ist ja das Problem. Du setzt deinen Mut und deinen Verstand ein, aber Barachi besitzt keins von beidem. Du bist mein Bruder, Santo.“ Cristianos Stimme klang ehrlich besorgt. „Guiseppe Baracchi hasst dich. Er ist ein jähzorniger alter Mann.“

„Und ein verängstigter alter Mann, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt.“

„Nicht tief genug, um Geld von den Ferraras anzunehmen. Verängstigte alte Männer sind gefährlich. Wir haben das Hotel nur unserer Mutter zuliebe behalten, weil es Vaters erstes Haus war. Aber ich habe mit ihr gesprochen, und sie …“

„Das Hotel wird nicht verkauft. Ich baue es aus, und dafür brauche ich das angrenzende Land. Alles. Die komplette Bucht“, erklärte Santo, ohne von dem wild gestikulierenden Anwalt Notiz zu nehmen. „Ich brauche Platz für Wassersportangebote. Und ich will das Strandlokal haben. Ich will keine alte Feindschaft anheizen, ich schütze nur unsere Geschäftsinteressen. Wenn uns die Gäste davonlaufen, um am Strand zu essen und den Sonnenuntergang zu bewundern, gehen uns Einnahmen verloren.“

„Womit wir beim zweiten Problem wären. Baracchis Enkelin betreibt das Strandlokal.“ Cristiano musterte ihn scharf. „Was glaubst du, wie Fia reagiert, wenn sie von deinen Plänen erfährt?“

Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, es sich vorzustellen.

Fia würde ihn mit allen Mitteln bekämpfen. Sie würden so heftig aneinandergeraten, dass die Funken flogen.

Und in die aktuelle Auseinandersetzung würde sich die brodelnde Spannung vergangener Tage mischen.

Nicht nur die langjährige Fehde um das Land, sondern ihrer beider ganz private Geschichte. Denn Santo hatte seinem Bruder nicht alles erzählt. In einer Familie, in der es keine Geheimnisse gab, hütete er ein dunkles Geheimnis. Er hatte es tief in sich vergraben, damit es nur ja nie ans Licht kam.

Es überraschte ihn, wie sehr die Erinnerung ihn aufwühlte. Stirnrunzelnd blickte er zum Fenster hinaus, sah aber weder den Strand noch das Meer. Alles, was er sah, war Fiammetta Baracchi, die Frau mit den langen schlanken Beinen und dem feurigen Temperament.

Cristiano musterte ihn unverwandt. „Sie hasst dich.“

War es Hass?

Sie hatten damals nicht über Gefühle gesprochen. Sie hatten überhaupt nicht miteinander gesprochen. Auch nicht, als sie einander die Kleider vom Leib gerissen hatten, weil sie so heiß aufeinander waren. Während dieses ganzen wilden, erotischen Abenteuers hatten sie kein einziges Wort miteinander gewechselt.

Sein Instinkt sagte ihm, dass Fia ihr Geheimnis ebenso streng gehütet hatte wie er. Umso besser für die anstehenden Verhandlungen.

„Unter ihrer Leitung hat sich der Schuppen von einer Ansammlung wackliger Holztische am Strand zu einem der angesagtesten Restaurants in ganz Sizilien gemausert. Es heißt, sie sei eine begnadete Köchin.“ Cristiano schüttelte sorgenvoll den Kopf. „Du öffnest ein Pulverfass, Santo. Das gibt Mord und Totschlag.“

Carlo, der Firmenanwalt, stützte stöhnend den Kopf in die Hände.

Santo ignorierte die beiden, wie er auch die prickelnde Erregung zu ignorieren versuchte, die ihn bei dem Gedanken an Fia überkam. „Diese alte Fehde dauert schon viel zu lange an. Damit muss endlich Schluss sein.“

„Wie stellst du dir das vor?“ Cristianos Stimme war schroff vor Unmut. „Guiseppe Baracchi hat seinen Enkel, seinen einzigen männlichen Erben, verloren, weil der sich mit einem Auto um einen Baum gewickelt hat. Deinem Auto, Santo. Erwartest du, dass er dir die Hand schüttelt und dir sein Land verkauft?“

„Baracchi ist Geschäftsmann. Ich mache ihm ein lohnendes Angebot.“

„Wann willst du es ihm unterbreiten, bevor er dich erschießt oder danach?“

„Er schießt nicht.“

„Muss er auch nicht“, meinte Cristiano grimmig. „Weil Fia ihm zuvorkommen wird.“

„So, das ist der letzte Red Snapper.“ Fia nahm den Fisch vom Grill und legte ihn auf einen Teller. Ihre Wangen glühten von der Hitze des Feuers. „Gina?“

„Gina ist draußen und lauert dem Fahrer eines Lamborghini auf, der gerade vorgefahren ist. Du weißt, sie hat ein Faible für Luxus. Komm, gib her.“ Ben lud sich mehrere Teller gleichzeitig auf den Arm. „Wie geht’s deinem Großvater?“

„Nicht so gut. Er hat nicht mal genug Energie, um wie üblich an allem herumzumeckern.“ Fia machte sich Sorgen um ihn. Sobald sie eine Atempause hatte, würde sie nach ihm sehen. „Kommst du klar da draußen? Sag Gina, sie soll arbeiten anstatt die Gäste zu belästigen.“

„Sag du es ihr. Ich trau mich nicht.“ Geschickt wich Ben der jungen Frau aus, die in die Küche gestürmt kam. „Hey, Gina, pass auf! Sonst darfst du aufs Meer rausfahren und neue Schnapper angeln.“

„Ihr glaubt ja nicht, wer gerade hier aufgekreuzt ist!“

„Servier das Essen, bevor es kalt wird, Ben.“ Fia beschloss, die aufgedrehte Gina erst einmal plappern zu lassen. Das sparte erfahrungsgemäß Zeit.

„Scheint ja jemand ganz Besonderes zu sein“, meinte sie amüsiert, während sie die fangfrischen Muscheln mit Olivenöl beträufelte. „So aus dem Häuschen habe ich dich noch nie erlebt, dabei hatten wir schon diverse Berühmtheiten hier.“ Für sie war ein Gast wie der andere. Die Leute kamen, um zu essen, und es war ihr Job, sie zu bewirten. Und zwar erstklassig. Gekonnt schwenkte sie die Muscheln in der Pfanne über dem offenen Feuer und fügte frische Kräuter und Kapern hinzu.

Gina spähte über die Schulter und seufzte verzückt. „In natura ist er noch viel umwerfender als auf den Fotos.“

„Wer immer es ist, er hat hoffentlich einen Tisch bestellt, sonst müssen wir ihn abweisen. Wir haben volles Haus.“

„Den weist niemand ab“, meinte Gina ehrfürchtig. „Es ist Santo Ferrara höchstpersönlich …“

Fia stockte der Atem. Die Pfanne rutschte ihr aus der Hand und fiel in die Glut, mitsamt den kostbaren Muscheln.

„Unmöglich. Er würde nie einen Fuß in mein Restaurant setzen.“ Er würde es nicht wagen.

„Äh … warum nicht?“ Gina musterte sie neugierig. „Seiner Familie gehört das Hotel nebenan, und du servierst großartiges Essen.“

Gina war keine Einheimische, sonst hätte sie von der jahrzehntealten Familienfehde gewusst. Jeder wusste davon. Außerdem war der Ferrara Beach Club das kleinste und unbedeutendste Hotel der ganzen Ferrara-Gruppe. Warum sollte Santo sich hierherbemühen?

Fia war so verwirrt, dass sie sich den Arm am Grillrost verbrannte. Der Schmerz brachte sie zur Räson. Hastig klaubte sie die Muscheln auf und richtete sie liebevoll auf zwei Tellern an. „Hier, die sind für das ältere Paar auf der Terrasse. Sie feiern heute Hochzeitstag, also sei nett zu ihnen.“

Gina starrte sie fassungslos an. „Willst du denn nicht …“

„Ist nur eine kleine Brandwunde, nicht weiter schlimm.“

„Ich meine nicht deinen Arm, ich meine Santo Ferrara! Jeden x-beliebigen Gast behandelst du wie einen König, aber taucht mal jemand wirklich Wichtiges auf, ist er Luft für dich. Weißt du nicht, wer das ist? Der Ferrara, von der Ferrara Hotelgruppe!“

„Ich weiß, wer er ist.“

„Aber Chefin, wenn er hier essen will …“

„Er will nicht hier essen.“ Kein Ferrara setzte sich an den Tisch eines Baracchi. Er müsste befürchten, vergiftet zu werden. Sie hatte keine Ahnung, was Santo hier wollte, aber zu ihrem Schrecken und ihrer Empörung über sein plötzliches Auftauchen gesellte sich ein böser Verdacht.

Wenn er so dreist war, zur besten Essenszeit in ihrem voll besetzten Restaurant aufzukreuzen, musste er einen sehr wichtigen Grund dafür haben.

Nackte Angst kroch in ihr hoch. Nein, nur das nicht!

Er weiß es nicht.

Er kann es nicht wissen!

Kopfschüttelnd eilte Gina davon, während Fia rasch ihren Arm kühlte und sich einzureden versuchte, dass Santos Besuch reine Routine war. Dass die Ferraras sich wieder einmal anschickten, mit dem Palmzweig der Versöhnung zu wedeln, den der alte Baracchi ihnen regelmäßig vor die Füße warf.

Seit Fias Bruder gestorben war, hatte es keine Annäherung vonseiten der Ferraras mehr gegeben. Bis jetzt.

Mechanisch zog sie eine Knolle Knoblauch aus dem Bund, der in Kopfhöhe über ihr hing. Sie pflanzte ihn selbst an, zusammen mit diversen Kräutern und Gewürzen. Das Gärtnern machte ihr fast so viel Spaß wie das Kochen. Es schenkte ihr ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit, das sie von zu Hause nicht kannte.

Routiniert hackte sie die frischen Knoblauchzehen, während sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte. Wenn sie keine Angst haben müsste, wie würde sie dann auf Santo Ferraras Erscheinen reagieren?

Kalt. Geschäftsmäßig.

Buonasera, Fia.“

Beim Klang der tiefen Männerstimme fuhr sie herum, das Messer wie eine Waffe gezückt. Seine Stimme hätte sie in einem Raum voller Menschen nicht wiedererkannt, seine Augen sofort. Wache dunkle Augen, fast schwarz, mit einem gefährlichen Glitzern darin. Die Augen eines Mannes, der wusste, was er wollte, und keine Hemmungen hatte, es sich zu nehmen.

Sie erinnerte sich an das brennende Verlangen in seinem Blick, als sie beide vor drei Jahren im Halbdunkel übereinander hergefallen waren.

Seine kräftigen Schultern waren noch eine Spur breiter und männlicher geworden, seine Muskeln ausgeprägter, doch sonst hatte er sich nicht verändert. Dasselbe unerschütterlich selbstsichere Auftreten des geborenen Siegers, dieselbe natürliche Eleganz, geschliffen und glatt poliert wie der Lack seines Lamborghini.

Ein Meter neunzig geballter männlicher Sex-Appeal, doch Fia empfand nur den einen übermächtigen Wunsch, ihm das attraktive Gesicht zu zerkratzen und mit den Fäusten auf ihn einzuschlagen. Sein Anblick ließ ihre Gefühle Amok laufen. Sie fühlte sich verletzlich und wehrlos, und das machte sie aggressiv.

Normalerweise hieß sie jeden, der ihre Küche betrat, herzlich willkommen. Kritiker lobten ihre Gastfreundschaft und die nette, persönliche Atmosphäre ihres Restaurants. Bei Santo konnte sie sich nicht einmal zu einem „Guten Abend“ durchringen. Weil sie ihm keinen guten Abend wünschte.

Er sollte zur Hölle fahren und dort bleiben.

Er war der größte Fehler ihres Lebens.

Seinem abschätzigen Blick nach zu urteilen sah er es umgekehrt genauso.

„Welche Überraschung. Die Ferrara-Brüder steigen doch sonst nicht aus ihrem Elfenbeinturm herab, um sich unter uns gewöhnliche Sterbliche zu mischen. Willst du die Konkurrenz ausspionieren?“ Mühsam versuchte sie, ihre wachsende Panik hinter kühler Ironie zu verbergen.

Wusste er Bescheid?

Hatte er es herausgefunden?

Die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen brachte sie einen Moment lang aus dem Konzept. Er hatte einen schönen, sinnlichen Mund. Der ganze Mann war auf raue Art attraktiv und sexy. Wie geschaffen dafür, Frauen in seinen Bann zu ziehen. Was er Gerüchten zufolge erschreckend oft tat.

Sie aber konnte er mit seinem lässigen Auftreten nicht täuschen. Santo Ferrara war der gefährlichste Mann, der ihr je begegnet war.

Ohne ein einziges Wort mit ihm gewechselt zu haben, war sie ihm damals verfallen. Selbst jetzt, Jahre später, konnte sie sich nicht erklären, was in jener Nacht passiert war. Sie war allein gewesen, in ihren Kummer versunken, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter gespürt hatte. Dann war alles ganz schnell gegangen.

Hatte sie bei ihm Trost gesucht? Vielleicht. Doch Trost klang nach Wärme und Zärtlichkeit, und beides war damals entschieden zu kurz gekommen.

Scheinbar ungerührt erwiderte er: „Ich habe so viel Gutes über dein Restaurant gehört, da wollte ich mich selbst überzeugen, ob es stimmt.“

Er weiß es nicht, dachte sie erleichtert, sonst würde er keine Zeit mit Geplänkel verlieren.

„Es stimmt, aber leider wirst du deine Neugier nicht befriedigen können, denn wir sind ausgebucht.“ Sie glaubte keine Sekunde, dass er nur hier war, um ihr Essen zu testen. Aber warum sonst?

„Wir beide wissen, dass du einen Tisch für mich frei hättest, wenn du nur wolltest.“

„Ich will aber nicht.“ Ihre Finger schlossen sich fester um den Messergriff. „Seit wann isst ein Ferrara am Tisch eines Baracchi?“

Der Blick, den er ihr unter halb gesenkten Wimpern zuwarf, ließ ihr Herz schneller schlagen. Er erinnerte sie daran, dass sie vor langer Zeit nicht nur am selben Tisch gegessen, sondern ihren Hunger auf ganz andere Weise gestillt hatten. Wild vor Verlangen, hatten sie einander voll ausgekostet. Sie spürte noch seinen Geschmack auf den Lippen, fühlte seinen starken, muskulösen Körper in ihren Armen erschauern.

Ihre Handflächen wurden feucht und ihre Knie weich, als sie nur daran dachte.

Er lächelte. Nicht freundlich, sondern siegessicher. „Setz dich mit mir an einen Tisch, Fia.“

Sein zwangloser Ton suggerierte eine Vertrautheit, die es nicht gab. Ein Mann wie er musste immer alles unter Kontrolle haben. Auch damals, als er sie mit seiner flammenden Leidenschaft überrascht hatte, hatte er die Oberhand behalten.

Sie hatte mit ihm geschlafen, weil sie sich verzweifelt nach Nähe gesehnt hatte.

Er hatte mit ihr geschlafen, einfach weil er die Möglichkeit dazu hatte.

„Es ist mein Tisch, von dem du sprichst. Und du bist nicht eingeladen.“ Sie musste ihn unbedingt loswerden. „Dein eigenes Restaurant ist nebenan, da wird man dich sicher gern bewirten, wenn auch nicht so gut wie hier.“

Er blieb erstaunlich ruhig, was sie nur noch nervöser machte.

„Ich muss deinen Großvater sprechen. Wo ist er?“

Deshalb also war er hier. Um eine neue Runde fruchtloser Verhandlungen einzuläuten. Ein Glück, dass er nicht tagsüber gekommen war. „Bist du lebensmüde? Du weißt, wie er zu dir steht.“

„Weiß er auch, wie du zu mir stehst?“

Seine Anspielung auf ihr lustvolles Abenteuer erschreckte sie. Sie hatten nie wieder ein Wort über diese Nacht verloren. Drohte er ihr jetzt damit, sie bloßzustellen? Vielleicht hatte er nur mit ihr geschlafen, um ein Druckmittel gegen sie in der Hand zu haben!

„Mein Großvater ist alt und fühlt sich nicht wohl. Sag mir, was du zu sagen hast. Ich leite das Restaurant.“

„Aber das Land gehört ihm.“ Sein sanfter Ton wirkte gefährlicher als jeder Zornausbruch. Zu ihrer Verärgerung schien sie ihn längst nicht so aus der Ruhe zu bringen wie er sie.

Ihr fiel ein, was sie über ihn gelesen hatte: dass er die großen Schuhe seines Bruders mehr als ausfüllte, seit er die Führung der internationalen Hotelkette übernommen hatte. Wie naiv von ihr, zu glauben, das Beach Club Hotel sei zu klein und unbedeutend, um den Big Boss höchstpersönlich zu interessieren. Im Gegenteil, gerade das machte den Reiz für ihn aus. Er wollte das Hotel vergrößern, und dafür …

„Du willst unser Land.“

„Das einmal unser Land war“, stellte er klar. „Bis einer deiner skrupellosen Vorfahren, von denen es entschieden zu viele gab, meinem Urgroßvater durch Erpressung den halben Strand abgeluchst hat. Im Gegensatz zu ihm bin ich bereit, einen fairen Preis dafür zu zahlen.“

Es geht um Geld, wie immer, dachte sie wütend. Die Ferraras glaubten, alles kaufen zu können.

Ihre Angst wuchs. Wenn Santo es auf das Land abgesehen hatte, wäre sie nie mehr sicher vor ihm.

„Mein Großvater verkauft nie im Leben an dich. Du verschwendest deine Zeit. Flieg zurück nach New York oder Rom oder wo immer du momentan wohnst und such dir ein anderes Projekt.“

„Ich wohne hier.“ Seine Mundwinkel zuckten. „Und ich kümmere mich persönlich um dieses Projekt.“

Schlechtere Nachrichten hätte es kaum geben können. „Wie gesagt, mein Großvater fühlt sich nicht wohl. Ich lasse nicht zu, dass du ihn aufregst.“

„Dein Großvater ist ein zäher Brocken. Er braucht deine Fürsorge nicht.“ Die oberste Lackschicht von Santos kultiviertem Auftreten begann zu bröckeln. Sein Ton wurde schärfer. „Weiß er, dass du mir die Gäste abspenstig machst?“

In dem großen, gut aussehenden, weltgewandten Mann brodelte ein hitziges Temperament. Niemand wusste das besser als Fia. Sie hatte sich die Finger daran verbrannt.

„Falls du meinst, dass ich köstliches Essen vor einer großartigen Kulisse serviere, bekenne ich mich schuldig im Sinne der Anklage.“

„Wegen dieser großartigen Kulisse bin ich hier.“

Nur deshalb also. Nicht wegen ihr oder dem, was damals geschehen war.

Wäre sie nicht so erleichtert gewesen, dass nichts Schlimmeres hinter seinem Besuch steckte, hätte sie allen Grund gehabt, über sein mangelndes Feingefühl empört zu sein. Immerhin hatte es damals einen Toten gegeben. Es war Blut geflossen.

Doch ein lästiger Todesfall am Rande konnte einen Ferrara auf seinem steilen Weg nach oben natürlich nicht aufhalten. Ihm lag nur daran, sein Imperium auszubauen.

„Unsere Unterhaltung ist beendet. Ich muss arbeiten.“ Er sollte endlich gehen.

Was er natürlich nicht tat. Ein Ferrara tat nur, was er tun wollte.

Lässig an den Türrahmen gelehnt, erkundigte er sich spöttisch: „Wozu das Messer, Fia? Hast du Angst, ich könnte dir gefährlich werden? Ich brauche keine fünf Sekunden, um es dir abzunehmen.“

„Und ich keine zwei, um es dir zwischen die Rippen zu stoßen.“ Ein Bluff. Sie wusste, wie stark er war.

„Begrüßt du deine Gäste immer so herzlich?“ Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd. Beim Kochen genügte eine winzige Prise des richtigen Gewürzes, um einem Gericht den entscheidenden Pep zu verleihen. In ihrem Verhältnis zu Santo war es der Hauch des Verbotenen, der für knisternde Spannung sorgte. Sie hatten das Unsagbare, das Unverzeihliche getan.

„Du bist kein Gast, Santo.“

„Koch für mich, dann bin ich einer.“

Koch für mich.

Dass er damals gegangen war, ohne sich noch einmal umzudrehen, konnte sie noch hinnehmen, denn außer heißem Sex war nichts gewesen. Es war nicht seine Schuld, dass sie seitdem ständig von ihm träumte. Doch nach all den Jahren hier hereinzuspazieren und zu erwarten, dass sie ihn bewirtete, als gäbe es etwas zu feiern, war so dreist, dass es ihr den Atem verschlug.

„Sorry, gemästetes Kalb zur Feier deiner Rückkehr steht heute nicht auf der Speisekarte. Und jetzt verschwinde aus meine Küche. Gina ist für die Reservierungen zuständig, aber wir haben nichts frei. Heute nicht und an keinem anderen Tag, an dem du auf die Idee kommen solltest, hier essen zu wollen.“

„Gina ist die hübsche Blonde, ja?“

Sie hätte sich denken können, dass Gina ihm aufgefallen war. Die kurvige Blondine passte in Santo Ferraras Beuteschema wie eine Antilope in das eines Löwen. Was sie überraschte, war der Stich, den es ihr versetzte. Es sollte ihr eigentlich egal sein, mit wem Santo ins Bett ging. Sie hatte nie vorgehabt, Gefühle für ihn zu entwickeln. Sie hatte schon als Kind gewusst, dass Liebe nur Schmerz bedeutete.

„Verlieb dich nie in einen Sizilianer“, hatte ihre Mutter ihrer achtjährigen Tochter mit auf den Weg gegeben, bevor sie für immer aus ihrem Leben verschwunden war.

Von Gefühlen überwältigt, wandte Fia sich ab, um weiter auf den Knoblauch einzuhacken.

„Du solltest nicht mit einem Messer hantieren, wenn dir die Hände zittern. Das ist gefährlich.“ Santos Stimme kam von dicht hinter ihr. Zu dicht. Sie spürte seine Nähe und seine Wärme und sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach ihm. Es war zum Verrücktwerden!

„Ich zittere nicht.“

„Nein?“ Seine kräftige sonnengebräunte Hand schloss sich um ihre. Sofort fühlte sie sich zurückversetzt in jene heiße Sommernacht, als seine Küsse auf ihren Lippen brannten und seine geschickten Finger sie zur Ekstase getrieben hatten. „Denkst du noch manchmal daran?“

Überflüssig, zu fragen, was er meinte.

Manchmal? Du meine Güte, wenn er wüsste!

„Lass mich los.“

Er drückte ihre Hand. „Die Küche schließt um zehn. Dann reden wir weiter.“

Sein Befehlston brachte sie auf die Palme. „Meine Arbeit endet, wenn alle Gäste weg sind, und dann gehe ich ins Bett.“

„Mit dem Jüngling mit dem Dackelblick, der für dich arbeitet? Gehst du jetzt auf Nummer sicher, Fia?“

Empört fuhr sie zu ihm herum und streifte dabei versehentlich seinen harten, muskulösen Oberschenkel. Sie zuckte zusammen, als hätte sie einen Stromstoß erhalten. Es war, als hätten ihre Körper einander wiedererkannt. „Es geht dich nichts an, mit wem ich ins Bett gehe.“

Ihre Blicke trafen sich, vermittelten einander eine stumme Botschaft, die sie beide nie aussprechen würden. Fia spürte, wie sich tief in ihr etwas regte. Etwas, das sie auf keinen Fall wahrhaben wollte.

Sie wusste nicht, was passiert wäre, wenn Gina nicht just diesen Moment gewählt hätte, um in die Küche zu platzen. Fia blieb fast das Herz stehen vor Schreck, als sie sah, wen die junge Frau mitgebracht hatte.

Ihr Glück hatte sie verlassen.

„Er hat schlecht geträumt, der Süße.“ Lächelnd tätschelte Gina dem schluchzenden Bündel auf ihrem Arm den Kopf. „Ich dachte, ich bringe ihn zu seiner Mama.“

Hilflos musste Fia mit ansehen, wie das Unglück seinen Lauf nahm.

Unter anderen Umständen hätte es ihr vielleicht Genugtuung bereitet, zu sehen, wie es einem Ferrara die Sprache verschlug. Jetzt verfolgte sie mit angehaltenem Atem, wie Santos Gesichtsausdruck von Verärgerung zu Verblüffung wechselte, als sein Blick auf den kleinen Jungen fiel, der sehnsüchtig die Arme nach ihr ausstreckte.

Sie nahm ihn entgegen. Selbstverständlich nahm sie ihn entgegen. Sein Wohlergehen war für sie das Wichtigste auf der Welt.

Zwei Dinge geschahen gleichzeitig.

Ihr Sohn starrte den Fremden an und hörte schlagartig auf zu weinen.

Der Fremde starrte den kleinen Jungen an, der dieselben dunklen Augen hatte wie er, und wurde kreidebleich.

2. KAPITEL

„Großer Gott …!“ Santo wich zurück und stieß einen Stapel Pfannen um, die scheppernd zu Boden fielen. Das Kind verzog erschrocken das Gesicht und schmiegte sich ängstlich an den Hals seiner Mutter. Santo riss sich zusammen, aber es kostete ihn enorme Anstrengung, seinen Zorn zu bändigen.

Schüchtern spähte der Kleine zu ihm auf, hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Bedürfnis, sich in den Armen seiner Mama zu verstecken.

Die aussah, als wollte sie sich ebenfalls verstecken, doch dafür war es jetzt zu spät. Ihr Geheimnis war gelüftet.

Die Sache war so eindeutig, dass er nicht einmal fragen musste. Selbst wenn er nicht auf den ersten Blick erkannt hätte, dass der Kleine sein Sohn war – die Panik in Fias Augen hätte es ihm verraten.

Er war gekommen, um Land zu kaufen. Damit hatte er nicht gerechnet.

Jetzt wusste er, warum sie versucht hatte, ihn abzuwimmeln. Er hatte geahnt, dass es mit ihrer gemeinsamen Nacht zusammenhing, aber nicht, in welcher Weise.

Er hatte das Gefühl, als schnürte ihm jemand das Herz zusammen.

Die Situation traf ihn völlig unvorbereitet. Nie gekannte Empfindungen stürmten auf ihn ein. Nicht nur Zorn, sondern auch der instinktive Wunsch, sein Kind zu beschützen.

Ich bin Vater.

Aber es war alles ganz anders, als er es geplant hatte.

Er hatte immer gewusst, dass er sich irgendwann verlieben, heiraten und Kinder haben würde. Ganz traditionell, wie sein Bruder und seine Schwester, die beide ihr Glück gefunden hatten. Er war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es bei ihm genauso ablaufen würde.

Was habe ich alles verpasst, dachte er voller Bitterkeit. Die Geburt, die ersten Schritte, die ersten Worte …

Er stieß einen zornigen Laut aus, was den Kleinen dazu brachte, verschreckt die Augen aufzureißen. Mühsam zwang er sich zur Ruhe.

„Um diese Zeit sollten kleine Jungen nicht mehr auf sein“, sagte er mit sanftem Tadel in der Stimme, mehr an das Kind als an die Mutter gerichtet. Er konnte den Jungen kaum ansehen, ohne den verzweifelten Wunsch zu verspüren, ihn an sich zu reißen und in seinem Lamborghini mit ihm davonzubrausen. „Du musst müde sein, chicco. Du gehörst ins Bett.“

„Er träumt manchmal schlecht“, meinte Fia steif, was ihn auch nicht versöhnlicher stimmte. Kein Wunder, dachte er wütend, bei der Familie!

„Gina … Sie sind doch Gina, oder?“ Er wandte sich Fias hübscher Mitarbeiterin zu und ließ das charmante Lächeln aufblitzen, das nie seine Wirkung auf Frauen verfehlte. Auch Gina strahlte ihn hingerissen an.

„Ja, Signor Ferrara?“

„Ich würde mich gern mit Ihrer Chefin unter vier Augen unterhalten.“

„Nein!“ Nackte Verzweiflung schwang in Fias Stimme mit. „Siehst du nicht, dass das ein ganz ungünstiger Zeitpunkt …“

„Oh, keine Sorge“, warf Gina hilfsbereit ein und errötete, als Santo ihr einen dankbaren Blick zuwarf. „Ich bringe ihn ins Bett, ich bin ja sein Kindermädchen.“

„Kindermädchen?“, wiederholte er irritiert. In seiner Familie brauchte man kein Kindermädchen, um den Nachwuchs großzuziehen. „Sie betreuen ihn?“

„Wir alle zusammen“, verkündete die junge Frau stolz. „Wie bei den Meerkatzen, wissen Sie? Deshalb ist er ja so verwöhnt. Ich kümmere mich um ihn, wenn Fia arbeitet, aber jetzt ist sie ja gleich fertig, deshalb hab ich ihn schnell auf einen Gutenachtkuss vorbeigebracht. Komm, mein Schatz, komm zu Tante Gina …“ Sanft nahm sie Fia das schläfrige Kind ab und bettete es in ihre Arme.

„Wir haben noch Gäste …“

„Die sind kurz vor dem Aufbruch, Chefin. Ben hat alles im Griff.“ Mit einem letzten schmachtenden Blick auf Santo entschwand Gina mit dem Kind durch die Tür.

Lastende Stille legte sich über den Raum.

Fias schmales Gesicht, umgeben von ein paar rotbraunen Locken, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, war erschreckend blass, die Augen dunkel umschattet.

Eine von Santos schärfsten Waffen, seine Wortgewandtheit, ließ ihn zum ersten Mal in seinem Leben im Stich. Alles, was er herausbrachte, war ein leises: „Und?“

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie angeschrien.

„Und was?“

„Versuch gar nicht erst, es abzustreiten. Die Mühe kannst du dir sparen.“

„Warum fragst du dann?“

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie offenbar auch nicht.

Die Situation war entsetzlich kompliziert. Sie hatten nie wirklich miteinander gesprochen, auch nicht während ihrer heißen Liebesnacht damals. Natürlich hatte es Geräusche gegeben – das Reißen von Stoff, feuchte Haut, die sich an feuchter Haut rieb, das atemlose Stöhnen zweier Liebender –, aber kein verständliches Wort. Von keinem von ihnen. Santo war nun wirklich kein unerfahrener Liebhaber, aber die Ereignisse jener Nacht waren ihm bis heute ein Rätsel.

Hatte der Reiz des Verbotenen wie ein Aphrodisiakum gewirkt? War die alte Familienfehde der Kick gewesen, der sie beide angefeuert hatte?

Vielleicht. Auf jeden Fall waren sie lichterloh füreinander entbrannt, hatten sich ohne Sinn und Verstand einander hingegeben. Er hätte wissen müssen, dass er einen Preis dafür zahlen musste. Und offensichtlich zahlte er ihn seit drei Jahren.

„Warum, zum Teufel, hast du mir nichts gesagt?“, fragte er heiser.

„Für einen intelligenten Mann wie dich ist das eine ziemlich dumme Frage.“

„Was immer zwischen unseren Familien vorgefallen ist, nichts, aber auch gar nichts hätte dich davon abhalten dürfen, mir das …“, er gestikulierte in Richtung der Tür, durch die Gina mit dem Kind verschwunden war, „… zu sagen.“

„Damit mein Sohn in die bittere Feindschaft verwickelt wird, die unser ganzes Leben geprägt hat? Damit du ihn in deinen Machtspielchen als Pfand benutzt? Davor wollte ich ihn bewahren.“

Unser Sohn“, korrigierte er grimmig. „Er ist auch mein Sohn, das Produkt …“

„Das Produkt einer einzigen Nacht, in der wir …“

„Ja?“

Sie wich seinem Blick nicht aus. „In der wir uns total unvernünftig verhalten haben. Es hätte nie passieren dürfen. Ich will nicht darüber reden.“

„Dein Pech. Du wirst darüber reden müssen, wie es schon vor drei Jahren deine Pflicht gewesen wäre. Sobald du merktest, dass du schwanger bist.“

„Ach, hör auf!“ Sie war jetzt ebenso zornig wie er. „Wir hatten keine nette kleine Romanze mit unerwarteten Folgen. Das Ganze war wesentlich komplizierter.“

„Was ist so kompliziert daran, einem Mann mitzuteilen, dass er Vater wird? Verdammt …“ Stöhnend rieb er sich den Nacken, als ihm klar wurde, vor welch schwerwiegenden Problemen sie standen. „Ich muss in Ruhe darüber nachdenken.“ Im Affekt getroffene Entscheidungen waren selten gut, und diese Sache wollte sehr gut überlegt sein.

„Was gibt es da nachzudenken?“

Seine Gedanken kehrten zurück zu jener Nacht vor drei Jahren, die er zu verdrängen versucht hatte, weil das Gute daran untrennbar mit dem Schlechten verbunden war. „Wie konnte das passieren? Ich habe doch Vorkehrungen …“

„Es gibt Dinge, die selbst ein Ferrara nicht kontrollieren kann“, versetzte sie kühl.

Er musterte sie ratlos. Seine Erinnerungen waren ein verschwommener Mix aus glühender Leidenschaft und heißem Sex. Mit Vernunft hatte das Ganze wirklich nichts zu tun gehabt. Nur mit Lust, purer, unstillbarer Lust, wie er sie weder vorher noch nachher jemals erlebt hatte.

Sie war unglücklich gewesen, er hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt.

Das hatte genügt, um den Funken überspringen zu lassen. Einen Funken, der in Windeseile zu einem lodernden Feuer geworden war.

Doch noch ehe die Hitze der Leidenschaft abgekühlt war, hatte sie jenen verhängnisvollen Anruf erhalten, bei dem sie erfuhr, dass ihr Bruder verunglückt war. Wie das Fallbeil einer Guillotine hatte die Nachricht ihre Liebesnacht jäh beendet. Und verheerende Folgen nach sich gezogen. Schuldzuweisungen, üble Gerüchte …

Der junge Kellner erschien im Türrahmen. „Alles okay, Fia? Ich habe Luca im Vorbeigehen nochmal kurz geknuddelt. Dann hörte ich laute Stimmen aus der Küche und dachte, ich sehe mal nach.“ Argwöhnisch musterte er Santo, der seinen Blick ebenso finster erwiderte.

Dass hier jeder außer ihm ungehindert mit seinem Sohn schmusen durfte, missfiel Santo gewaltig. Und dass er den Namen seines Sohnes aus dem Mund dieses Kellners erfahren musste, erst recht. Er fragte sich, wie Fia zu dem jungen Mann stand.

„Wir führen ein Privatgespräch. Machen Sie, dass Sie rauskommen“, herrschte er ihn an und hörte Fia scharf einatmen.

„Alles okay, Ben. Geh ruhig.“

Ben schien nicht zu wissen, was gut für ihn war. „Ich gehe erst, wenn ich sicher bin, dass hier alles in Ordnung ist“, beharrte er mutig.

Seine Tapferkeit war bewundernswert, aber Santo war nicht in der Stimmung, einen jungen Kerl zu bewundern, der die Mutter seines Kindes anschmachtete.

„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, werfe ich Sie eigenhändig raus.“

„Geh schon, Ben. Gib ihm keinen Grund, sich noch mehr aufzuspielen.“ Erst Fias gereizter Einwurf brachte Ben dazu, sich zögernd zurückzuziehen.

Als er gegangen war, herrschte beklemmende Stille im Raum. Die Atmosphäre war so aufgeladen, dass Santo Mühe hatte zu atmen. Auch Fia wirkte extrem blass und angespannt.

Wie war es ihr nur gelungen, den Vater ihres Kindes zu verheimlichen?

„Du hast mich aus deinem Leben verbannt, obwohl du von mir schwanger warst.“

„Du hast nie zu meinem Leben gehört, Santo. Und ich nicht zu deinem.“

„Wir haben zusammen ein Kind gezeugt!“ Sein schroffer Ton ließ sie zusammenzucken.

„Würdest du dich bitte beruhigen? Innerhalb von zehn Minuten hast du es geschafft, mein Kind zu erschrecken, meiner Angestellten den Kopf zu verdrehen, mich anzuschreien und jemanden, den ich sehr schätze, unverschämt grob zu behandeln.“

„Ich habe unseren Sohn nicht erschreckt.“ Dieser Vorwurf traf ihn am härtesten. „Außerdem hast du uns überhaupt erst in diese Situation gebracht. War es ein perfider Racheplan deines Großvaters, den Ferraras dieses Kind vorzuenthalten?“

„Nein!“ Ihre Brust hob und senkte sich heftig. „Er liebt den Kleinen.“

„Er liebt das Kind eines Ferrara?“ Ungläubig zog er die Augenbrauen hoch. „Willst du mir weismachen, er sei auf seine alten Tage noch mild und weise geworden?“ Etwas in ihrer Miene machte ihn stutzig. Ein haarsträubender Verdacht stieg in ihm auf. „Er weiß es nicht, oder?“

„Santo …“ Schuldbewusst senkte sie den Blick.

„Antworte!“ Seine Stimme war kalt vor Zorn. „Sag mir die Wahrheit. Er weiß es nicht, hab ich recht? Du hast es ihm nicht gesagt.“

„Wie hätte ich es ihm denn sagen können?“ Sie wirkte völlig aufgelöst. „Er hasst alles, was mit deiner Familie zu tun hat. Und dich hasst er am meisten von allen. Nicht nur, weil du ein Ferrara bist, sondern weil …“ Sie verstummte, und er hakte nicht nach. Es gab jetzt Wichtigeres, als den Tod ihres Bruders zu diskutieren.

Sie hatten ein gemeinsames Kind.

Ein Kind, das halb Ferrara, halb Baracchi war. Eine unmögliche Kombination. Gezeugt in einer Liebesnacht, die in einer Tragödie endete.

Und der alte Baracchi wusste von nichts.

Es war unvorstellbar. Wie hatte sie das nur ausgehalten? Sie musste in der ständigen Angst gelebt haben, dass ihr Geheimnis aufflog und die Ferraras Anspruch auf ihr Kind erheben würden.

Madre di Dio, ich fasse es nicht. Was wolltest du unserem Sohn denn sagen, wenn er irgendwann nach seinem Vater gefragt hätte? Nein, ich will es gar nicht hören.“

Er wusste, dass es im Leben nicht wie im Märchen zuging, aber die Familie war ihm heilig. Die Familie war das Schiff, das einen in stürmischen Zeiten sicher über das Meer trug. Der Anker, der einem Halt im Leben gab. Der Wind, der einen vorwärtstrieb.

Seine Eltern hatten eine harmonische Ehe geführt. Er hatte immer gedacht, dass auch er die große Liebe finden, heiraten und eine Familie gründen würde. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass er sich das Recht, seinem Sohn ein Vater zu sein, erst erkämpfen müsste.

Oder dass sein Sohn bei den Baracchis aufwachsen müsste. Ein Albtraum!

Fias Atem ging schnell und flach. „Bitte überlass es mir, meinem Großvater die Wahrheit zu sagen. Er ist alt und gebrechlich.“ Ihr flehender Ton überraschte ihn, doch er empfand kein Mitleid. Nur Bitterkeit, Zorn und Schmerz.

„Du hattest drei Jahre Zeit und hast es nicht getan. Jetzt nehme ich die Sache in die Hand. Glaubst du, ich lasse meinen Sohn bei euch aufwachsen? Ohne Vater? Ihr Baracchis wisst doch gar nicht, was eine richtige Familie ist.“ Er raufte sich verzweifelt das Haar. „Wenn ich mir vorstelle, was der Kleine durchmachen musste …“

„Luca ist glücklich und gut versorgt.“

„Ich weiß, wie deine Kindheit aussah. Und wie sehr du darunter gelitten hast. Was weißt du schon von einem glücklichen Familienleben?“

Sie war noch blasser geworden. „Lucas Kindheit verläuft völlig anders als meine. Gerade weil du meine Vergangenheit kennst, müsste dir eigentlich klar sein, dass ich alles tue, um meinem Kind dieses Schicksal zu ersparen. Ich verstehe deine Besorgnis, aber du irrst dich. Ich weiß, wie es in einer glücklichen Familie zugehen sollte. Ich habe es immer gewusst.“

„Woher denn? Bei euch zu Hause kannst du das wohl kaum gelernt haben.“ Dort hatten nur Chaos und Unsicherheit geherrscht. Nicht genug, dass die Baracchis mit sämtlichen Nachbarn im Streit lagen, sie stritten auch untereinander. Wenn eine Familie ein Schiff war, dann war ihre ein erbärmliches Wrack.

Bei ihrer ersten Begegnung war Fia acht Jahre alt gewesen. Sie hatte sich am hinteren Ende des Strandes versteckt, seinem Ende, wo kein Baracchi Zutritt hatte. In dem alten Bootsschuppen zwischen modrigen Planken, die nach Dieselöl rochen. Der vierzehnjährige Santo hatte nicht recht gewusst, was er mit dem Mädchen mit der wilden Mähne anfangen sollte, das in sein Revier eingedrungen war. Sollte er es gefangen nehmen? Lösegeld fordern? Natürlich hatte er nichts dergleichen getan. Er hatte Fia nicht verraten.

Fasziniert von ihrem Mut und ihrem Eigensinn, hatte er sie unbehelligt gelassen.

Erst Wochen später hatte er erfahren, warum sie an jenem Tag im Bootshaus Zuflucht gesucht hatte. Ihre Mutter war davongelaufen und hatte sie und ihren Bruder bei ihrem gewalttätigen Vater zurückgelassen.

Noch im Nachhinein war im aufgefallen, dass das Mädchen in seinem Versteck keine Träne vergossen hatte. Damals wusste er noch nicht, dass Fia niemals weinte. Sie behielt ihre Gefühle für sich, erwartete weder Trost noch Zuwendung. Weil es beides in ihrer Familie nicht gab.

Seine Lippen wurden schmal.

Sie mochte es gewöhnt sein, sich abzuschotten, aber bei ihm kam sie damit nicht durch. Diesmal nicht. „Du hast deine Entscheidung getroffen. Jetzt treffe ich meine.“ Er würde sich nicht erweichen lassen, und wenn sie ihn noch so flehend ansah.

„Du hörst von mir. Und komm nicht auf die Idee, dich aus dem Staub zu machen. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich dich und meinen Sohn nicht aufspüren würde.“

„Er ist auch mein Sohn.“

„Was die Sache umso schwieriger macht. Luca ist wohl das Einzige, was unsere beiden Familien gemeinsam haben. Ich melde mich.“

Während das Geräusch des aufheulenden Motors die nächtliche Stille zerriss und der Lamborghini davonbrauste, schaffte Fia es gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer. Ihr war so schlecht vor Aufregung, vielleicht auch vor Angst, dass sie sich übergeben musste. Sie hasste es, sich so schwach und verletzlich zu fühlen.

Ab jetzt würde Santo den Ton angeben, wie die Ferraras es immer taten. Und sich dabei von seinem Hass auf ihre Familie leiten lassen. Vielleicht hätte sie an seiner Stelle genauso gehandelt. Sie kannte das Gefühl, ihr Kind beschützen zu wollen.

Verzweifelt schlang sie die Arme um sich. Santo glaubte ihr nicht, dass Luca eine schönere Kindheit hatte als sie. Er hatte sich auf die Fahne geschrieben, seinen Sohn vor den Baracchis zu retten, und dieses Ziel würde er kompromisslos und mit aller Härte verfolgen.

Anstatt in einer friedlichen, liebevollen Umgebung aufzuwachsen, würde Luca von nun an die vergiftete Atmosphäre von Feindseligkeit und Vorurteilen zu spüren bekommen. Er würde in dieser emotional geführten Schlacht zum Spielball beider Parteien werden.

Genau das hatte sie verhindern wollen, als sie diesen steinigen und letztlich aussichtslosen Weg eingeschlagen hatte. Drei Jahre voller Lügen, Stress und Sorge hatte sie auf sich genommen, um ihren Sohn zu beschützen.

„Mama krank.“ Luca stand in der offenen Tür, ein Plüschtier im Arm, das dunkle Haar vom Schlaf zerzaust. Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem, denn sein Gesicht im grellen Licht des Badezimmers erinnerte sie mehr denn je an Santo. Dieselben schönen dunklen Augen, dasselbe schwarze Haar. Selbst sein Mund erinnerte an den seines Vaters. Ganz zu schweigen von seiner Dickköpfigkeit …

Früher oder später wäre die Wahrheit ohnehin ans Licht gekommen.

„Komm her. Ich hab dich lieb.“ Sie nahm ihren Sohn in die Arme, küsste ihn aufs Haar und drückte seinen warmen kleinen Körper an sich. „Ich werde immer für dich da sein, und Gina und Ben auch. Wir alle lieben dich. Du wirst nie allein sein.“

Sie umarmte ihn so zärtlich, wie sie selbst nie umarmt worden war. Kein Wunder, dass Santo sich Sorgen um ihn machte. Er konnte ja nicht ahnen, wie hart sie daran gearbeitet hatte, Luca vor einer Kindheit wie der ihren zu bewahren.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als der Junge sich vertrauensvoll an sie kuschelte. Was hatte sie falsch gemacht, dass ihre Mutter diese tiefe Verbundenheit zu ihr nicht gespürt hatte? Sie wusste nur eins: Nichts und niemand auf der Welt würde sie jemals dazu bringen, ihren Sohn im Stich zu lassen.

Sie würde nicht dulden, dass Santo ihn ihr wegnahm.

Luca, in seliger Unkenntnis der Gefahren, die seine friedliche kleine Welt bedrohten, befreite sich zappelnd aus ihrer Umarmung.

„Bett.“

„Gute Idee“, sagte sie heiser und trug ihn zurück ins Kinderzimmer.

„Mann kommt wieder?“

Ihr Magen zog sich zusammen. „Ja, der Mann kommt wieder.“ Niemand hinderte einen Ferrara daran, sich zu nehmen, was er wollte. Und Santo wollte seinen Sohn.

Sie saß an Lucas Bett, bis er eingeschlafen war. Ihr Herz floss über vor Liebe zu ihm. Sie musste zugeben, dass sie verstand, was in Santo vorging. Die Schuldgefühle, die sie all die Jahre hartnäckig verdrängt hatte, kamen wieder hoch.

Nicht, dass sie ihre Entscheidung bereute, aber sie hatte sich auch nie ganz wohl damit gefühlt. In langen, einsamen Nächten, wenn die Hektik des Alltags sie nicht mehr ablenkte, plagte sie sich manchmal mit einem schlechten Gewissen herum. Auch eine richtige Entscheidung konnte sich grundfalsch anfühlen.

Und dann diese Träume! Träume von einem Leben, das es nie geben würde.

Sie sah ihn vor sich, seine dunklen Augen unter dichten schwarzen Wimpern, seinen schönen, entschlossenen Mund … Energisch verbot sie sich jeden weiteren Gedanken an ihn und ging in die Küche, um fertig aufzuräumen.

Sie legte sich ins Zeug, bis alles vor Sauberkeit blitzte und sie so müde war, dass sie außer körperlicher Erschöpfung nichts mehr spürte. Dann holte sie sich ein Bier aus dem Kühlschrank und nahm es mit auf den hölzernen Anlegesteg vor dem Restaurant.

Die Fischerboote, die früh morgens wieder aufs Meer hinausfahren würden, schaukelten träge auf den dunklen Wellen. Normalerweise konnte sie sich hier nach getaner Arbeit entspannen, doch heute versagte ihr kleines Ritual.

Sie kickte die Schuhe von den Füßen, setzte sich an den Rand des Stegs und ließ die Zehen ins Wasser baumeln. Ihr Blick glitt zu den Lichtern des Ferrara Beach Club Hotels am gegenüberliegenden Ufer der Bucht. Achtzig Prozent der Leute, die bei ihr aßen, waren Gäste des Hotels. Sie kam mit den Reservierungen kaum nach. Nachdenklich setzte sie die Flasche an die Lippen und trank. Die Schattenseite ihres Erfolgs war, dass sie dadurch die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich gezogen hatte.

In ihrem Bemühen, für sich und ihren Sohn zu sorgen und ihn vor allem Unheil zu beschützen, hatte sie selbst für seine Entdeckung gesorgt.

„Fiammetta!“

Die scharfe Stimme ihres Großvaters riss sie aus ihren Gedanken. Sie sprang auf und ging zurück zu der massiven Villa aus grauem Stein, die seit Generationen ihrer Familie gehörte. „Come stai, nonno?“, fragte sie so unbefangen wie möglich. „Wie geht’s dir, Großvater?“

„Wie soll es mir schon gehen, wenn ich mit ansehen muss, wie meine Enkelin sich zu Tode schuftet?“ Grimmig musterte er die Bierflasche in ihrer Hand. „Männer mögen keine Frauen, die Bier trinken.“

„Gut, dass ich keinen habe, der mir deswegen Vorwürfe machen könnte.“ Immerhin war ihr Großvater wieder fit genug, um an ihr herumzumäkeln. Sie kannte es nicht anders. Es war seine spezielle Art, ihr seine Liebe zu zeigen. Jedenfalls redete sie sich das ein. „Warum bist du so spät noch auf?“

„Ich habe Luca weinen gehört.“

„Er hat schlecht geträumt und wollte noch mal in den Arm genommen werden.“

„Du solltest ihn weinen lassen“, knurrte ihr Großvater. „Wie soll ein Mann aus ihm werden, wenn du ihn so verhätschelst? Dauernd schmust irgendwer mit ihm herum.“

„Er wird ein toller Mann werden. Der beste, glaub mir. Ein Kind kann gar nicht genug Liebe bekommen.“

„Habe ich jemals so ein Getue um meinen Sohn gemacht?“

Nein. Und wir wissen ja, was aus ihm geworden ist.

„Geh schlafen, nonno.“

„Du hast mich damals gefragt, ob du ein paar Gäste bewirten darfst“, fuhr er missmutig fort, während er mit schmerzverzerrtem Gesicht über die Veranda in Richtung Meer schlurfte. „Und jetzt wimmelt es hier von Leuten, denen du gutes sizilianisches Essen bei Kerzenlicht servierst, obwohl sie frisch zubereitete Spezialitäten nicht von Fastfood unterscheiden können.“

„Die Leute kommen von weither, um hier zu essen. Mein Geschäft läuft gut.“

„Du solltest gar kein Geschäft führen.“ Schwerfällig ließ er sich auf seinem Lieblingsplatz nahe am Wasser nieder, wo er schon gesessen hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.

„Ich baue mir eine Existenz auf. Eine Zukunft für mich und mein Kind.“ Nur dass diese Zukunft jetzt ernsthaft bedroht war. Um nicht in Versuchung zu geraten, ihrem Großvater ihr Herz auszuschütten, bot sie an, ihm etwas zu trinken zu holen.

Irgendwann würde sie ihm gestehen müssen, dass sein heiß geliebter Urenkel das Kind des Mannes war, den er aus tiefstem Herzen hasste. Aber erst musste sie sich eine Strategie zurechtlegen. Seit Luca auf der Welt war, war der Name Ferrara im Hause Baracchi nicht mehr gefallen. Sie hatte ihren Großvater zum Schweigen verdonnert, Lucas wegen. Wenn er nichts Gutes über die Ferraras zu sagen hatte, sollte er lieber gar nichts sagen.

Zum Glück hatte er sich bis jetzt daran gehalten. Vielleicht hatte ihn das Alter tatsächlich milder gestimmt. Sie konnte es nur hoffen.

„Also, was hast du auf dem Herzen?“ Sie schenkte ihm einen Grappa ein.

„Abgesehen davon, dass du dich jeden Abend in der Küche abrackerst, während fremde Leute auf dein Kind aufpassen?“

„Luca tut es gut, auch mit anderen zusammen zu sein. Gina liebt ihn von ganzem Herzen.“ Sie konnte ihrem Sohn nicht die Familie bieten, die sie sich für ihn gewünscht hätte, also hatte sie für eine Ersatzfamilie gesorgt. Er würde nie so einsam sein, wie sie es als Kind gewesen war. Er würde immer Menschen um sich haben, die für ihn da waren. Ihn in den Arm nahmen, wenn das Leben hart zu ihm war.

„Liebe“, schnaubte ihr Großvater verächtlich. „Du machst ein Mädchen aus ihm. Das kommt davon, wenn ein Junge ohne Vater aufwächst.“

Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für ihr Geständnis gewesen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Es gibt auch Männer in seinem Leben“, erwiderte sie matt.

„Falls du den jungen Kerl meinst, der für dich arbeitet, da kann ich nur lachen. Ich habe mehr Testosteron in meinem kleinen Finger als dieser Ben im ganzen Körper. Luca braucht einen richtigen Mann als Vorbild.“

„Ich fürchte, in der Frage, was einen richtigen Mann ausmacht, gehen unsere Vorstellungen weit auseinander.“

Der alte Mann ließ die Schultern sacken. Tiefe Furchen hatten sich in seine Stirn eingegraben. Er schien in den letzten Monaten um Jahre gealtert zu sein. „Das ist nicht das Leben, das ich für dich gewollt habe.“

„Im Leben läuft nicht immer alles nach Plan, nonno. Schenkt das Leben dir Oliven, mach Olivenöl daraus.“

„Das tust du ja nicht! Du gibst die Oliven den Nachbarn, damit sie Öl daraus machen.“

„Das ich dann in meiner Küche verwende, ganz recht. Eine Küche, über die inzwischen ganz Sizilien spricht. Letzte Woche standen wir sogar in der Zeitung.“ Auch wenn die jüngsten Ereignisse ihre Freude über diesen Erfolg erheblich dämpften. „Und in einem beliebten Reiseblog wurden wir unter der Überschrift Sizilianische Geheimtipps erwähnt. Ich komme voran, Großvater. Ich leiste gute Arbeit.“

„Arbeit ist etwas für Frauen, die noch keinen Ehemann gefunden haben.“

„Sag das nicht. Ich will nicht, dass Luca mit solchen Ansichten aufwächst.“

„Wie viele Männer wollten schon mit dir ausgehen! Helle, dunkle, große, kleine, und du sagst immer Nein. Seit Lucas Vater kommt keiner mehr an dich heran.“

„Wenn ich einen treffe, der mich interessiert, sage ich Ja.“ Doch sie wusste, dass das nicht passieren würde. Für sie gab es nur einen Mann, und der schien eine Mordswut auf sie zu haben. Und, schlimmer noch, sie für eine schlechte Mutter zu halten.

Als sie sah, wie ihr Großvater sich geistesabwesend die Brust massierte, legte sie besorgt die Hand auf seine, doch er schüttelte sie ab. Sie versuchte, nicht verletzt zu sein. Er war eben kein Schmusetyp. Weder sie noch Luca hatte er je umarmt.

„Was ist?“, fragte sie. „Hast du wieder Schmerzen?“

„Lass das Theater.“ Er musterte sie so durchdringend, dass sie ganz nervös wurde. „Du hattest nicht vor, es mir zu sagen, oder?“

Vor Schreck fiel ihr fast die Flasche aus der Hand.

„Was denn?“ Ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust.

„Er war hier. Santo Ferrara.“ Er sprach den Namen aus, als hinterließe er einen schlechten Geschmack auf seiner Zunge.

„Nonno …“

„Ich weiß, ich soll nicht über ihn sprechen. Aber wenn ein Ferrara mein Land betritt, darf ich mich ja wohl dazu äußern. Warum hast du mir nichts davon gesagt?“

„Weil ich wusste, wie du reagieren würdest.“

Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich habe diesem Jungen verboten, jemals wieder einen Fuß auf mein Grundstück zu setzen.“

Fia sah Santos breite Schultern vor sich, sein kantiges, von einem dunklen Bartschatten bedecktes Kinn. „Er ist kein Junge, er ist ein Mann.“ Ein schwerreicher noch dazu, Chef eines internationalen Konzerns. Der die Macht hatte, ihr Leben von einem auf den anderen Tag völlig umzukrempeln. Und losgezogen war, um mit seinen Anwälten über die Zukunft ihres Sohnes zu entscheiden.

Ihres gemeinsamen Sohnes.

Himmel!

Die Augen ihres Großvaters blitzten vor Zorn. „Dieser Mann ist in mein Haus eingedrungen, in mein Haus! Ohne jeden Respekt vor meinen Gefühlen. Und er hat nicht mal den Mumm, mir persönlich unter die Augen zu treten.“

„Bitte beruhige dich, nonno.“ Wenn er jetzt schon so außer sich war, wie würde er dann erst reagieren, wenn er die Wahrheit erfuhr? Alles fing wieder von vorne an, nur diesmal würde Luca im Kreuzfeuer stehen. „Ich habe ihn nicht zu dir gelassen, weil ich wusste, wie sehr du dich darüber aufregen würdest.“

„Natürlich rege ich mich auf. Du weißt, warum.“ Das Gesicht des alten Mannes wirkte gespenstisch blass im flackernden Kerzenlicht.

„Du hast mir versprochen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.“

Ihr Großvater sah sie lange an. „Warum verteidigst du diesen Mann? Warum darf ich kein böses Wort über die Ferraras sagen?“

Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Ich will nicht, dass Luca mit diesem alten Feindbild aufwächst. Das ist grauenhaft.“

„Ich hasse die Ferraras.“

„Ich weiß.“ Sie atmete tief durch. Ja, sie wusste Bescheid. Seit sie das erste zarte Flattern in ihrem Bauch gespürt hatte, war kein Tag vergangen, an dem sie nicht daran gedacht hatte. Sie hatte daran gedacht, als sie ihren Sohn zur Welt gebracht und ihm zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte. Jeden Abend, wenn sie ihm einen Gutenachtkuss gab, dachte sie daran.

„Dieser Mann ist schuld, wenn du nach meinem Tod allein dastehst. Wer soll dann auf dich aufpassen?“

„Ich sorge schon für Luca und mich.“ Sie wusste, dass ihr Großvater Santo Ferrara die Schuld am Tod ihres Bruders gab. Und dass es sinnlos war, ihn darauf hinzuweisen, dass ihr Bruder nicht einmal auf sich selbst hatte aufpassen können, geschweige denn auf sie. Ihr Bruder war durch seinen eigenen bodenlosen Leichtsinn zu Tode gekommen, nicht durch Santo.

Der alte Mann erhob sich mühsam. „Wenn Ferrara es je wieder wagen sollte, einen Fuß auf mein Grundstück zu setzen …“

„Nonno!“

„… dann erwarte ich, dass er sich wie ein Mann verhält und für seine Handlungen geradesteht, sonst wird er es bitter bereuen.“

3. KAPITEL

Santo saß im Büro des Ferrara Beach Clubs, das der Hotelmanager in aller Eile für ihn geräumt hatte. Wenn er noch nach einem Grund gesucht hätte, warum dieses Hotel schlechter lief als alle anderen der Kette, dann brauchte er sich nur umzusehen. Chaos und Disziplinlosigkeit, wohin man blickte, von dem wüsten Durcheinander auf dem Schreibtisch bis zu der halb vertrockneten Pflanze auf der Fensterbank.

Scheinbar höhnisch lächelte der Hoteldirektor, umrahmt von Ehefrau und zwei Kindern, von einem großformatigen Porträt an der Wand auf ihn herab.

Eine glückliche sizilianische Familie.

Santo hätte das Bild am liebsten heruntergerissen. Er war kein Träumer, aber war es denn so unrealistisch, zu hoffen, dass auch er eines Tages eine Familie wie diese haben würde? Anscheinend schon.

Ungeduldig sah er auf seine Armbanduhr. Er wusste, sie würde kommen. Nicht aus Fairness, sondern weil sie wusste, dass er sie sonst holen käme.

Reglos starrte er aus dem Fenster, während draußen die Sonne aufging und ihre goldenen Strahlen über das spiegelblanke Meer warf.

Er hatte die Nachricht in aller Frühe abgeschickt, als die meisten Leute noch tief und fest schliefen. Er selbst hatte kein Auge zugetan. Sie vermutlich auch nicht.

Obwohl er todmüde war, arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. Er wusste jetzt, was zu tun war. Wenn nur die emotionale Seite nicht so kompliziert gewesen wäre!

Sein Handy zeigte eine Nachricht von seinem Bruder an. Sie bestand aus einem einzigen Satz: Was kann ich für dich tun?

Bedingungslose Unterstützung. Uneingeschränkte Loyalität. Das war es, was eine Familie ausmachte. Er selbst war beschützt und geliebt im Schoß seiner Familie aufgewachsen, sein Sohn aber hatte seine ersten Lebensjahre in einer Schlangengrube verbracht.

Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er durfte sich gar nicht ausmalen, wie übel es Luca ergangen sein musste. Wie viel Schaden konnte emotionale Kälte in einer Kinderseele anrichten! Schaudernd erinnerte er sich an die Gerüchte über die brutalen Erziehungsmethoden der Baracchis. Und an die blauen Flecke auf Armen und Beinen, mit denen Fia immer herumgelaufen war.

Das Klopfen an der Tür war so zaghaft, dass er es fast überhörte. Seine Augen verengten sich, sein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe.

Doch es war nur eine Serviererin von der Morgenschicht, die Kaffee brachte.

„Grazie.“

Die Kaffeetasse klirrte leise, als die junge Frau sie mit scheuem Blick und zittriger Hand vor ihm abstellte. Die Hotelangestellten hatten allen Grund, ihn zu fürchten. Sie wussten ja nicht, dass seine schlechte Laune derzeit ganz andere Gründe hatte als die Missstände im Hotel.

Kaum war er wieder allein, klopfte es erneut. Das musste sie sein.

Die Tür ging auf, und Fia trat ein. Ihre klaren grünen Augen glitzerten angriffslustig, doch ihre Haut, so zart und durchscheinend wie der Nebelschleier über dem Meer, zeugte von einer schlaflosen Nacht.

Quer durch den Raum trafen sich ihre Blicke, und wieder sprühten die Funken.

Sie waren ein Liebespaar gewesen. Sie waren einander so nahe gekommen, wie ein Mann und eine Frau sich nur kommen konnten. Doch im Grunde waren sie einander fremd. Alles, was sie miteinander verband, waren ein paar Zufallsbegegnungen und eine gestohlene Liebesnacht, eine flüchtige Kostprobe verbotener Genüsse.

Nichts, was ihnen in dieser heiklen Lage helfen konnte.

„Wo ist mein Sohn?“, fragte er schroff.

„Zu Hause in seinem Bett. Gina ist da, und mein Großvater.“

Bitterer Zorn durchfuhr ihn. „Und das soll mich beruhigen?“

„Er liebt Luca.“

„Dann haben wir sehr unterschiedliche Auffassungen davon, was Liebe bedeutet.“

„Nein, haben wir nicht.“

Er presste die Lippen zusammen. „Wird er ihn immer noch lieben, wenn er erfährt, wer sein Vater ist? Ich schätze, wir beide kennen die Antwort.“ Er erhob sich, sah, wie ihre Hand zur Türklinke glitt, und sagte warnend: „Wenn du jetzt gehst, setzen wir dieses Gespräch in aller Öffentlichkeit fort. Willst du das?“

„Ich will, dass du dich beruhigst und die Sache vernünftig betrachtest.“

„Ich bin sogar sehr vernünftig, tesoro. Ich sehe absolut klar, seit ich meinen Sohn zu Gesicht bekommen habe.“

„Was willst du denn hören? Dass es mir leid tut? Dass ich einen Fehler gemacht habe?“ Ihre leise, rauchige Stimme lenkte seinen Blick auf ihren Mund. Er hatte nur eine einzige Nacht mit ihr verbracht, doch er hatte sie nie vergessen. Er wusste, wie sie schmeckte, wie sie sich anfühlte. Ihre zarte Haut, ihr seidiges Haar, das ihr jetzt offen über Rücken und Schultern fiel und wie Feuer in der Morgensonne leuchtete.

Er erinnerte sich, wie ihr Vater ihr das prachtvolle Haar einmal in einem Anfall von Baracchi-Jähzorn mit dem Küchenmesser abgesäbelt hatte. Er war zufällig vorbeigekommen und hatte entsetzt versucht, einzugreifen, doch das hatte alles nur noch schlimmer gemacht.

Fia hatte keine Miene verzogen, während eine Locke nach der anderen in ihren Schoß fiel. Anschließend hatte sie sich im Bootshaus verkrochen. Ihre zornsprühenden Augen hatten ihn gewarnt, kein Wort über die Sache zu verlieren. Was er auch nicht getan hatte. Ihre Bekanntschaft ging nicht über stumme Blicke hinaus.

Im Bootshaus war es auch gewesen, wo sie ihre Bekanntschaft so unerwartet vertieft hatten. In jener Nacht, als ihr Bruder starb.

Mühsam unterdrückte er jetzt den Impuls, sie mit dem Rücken an die Tür zu drücken und die Antworten aus ihr herauszupressen. „Wann hast du gemerkt, dass du schwanger bist?“

„Was spielt das für eine Rolle?“

„Antworte.“

Müde schloss sie die Augen. „Ich weiß es nicht mehr genau. Ziemlich spät. Damals ging alles drunter und drüber. Das Krankenhaus, die Beerdigung …“ Sie unterbrach sich, atmete tief durch. „Es war alles so furchtbar. Ich kam gar nicht dazu, an mich selbst zu denken.“

Ja, es war eine Katastrophe gewesen. Auch für ihn. Ein grauenhafter Mix aus Vorwürfen, Schuldgefühlen, Reue und wild aufbrausenden Gefühlen. Das verzweifelte Ringen um ein Leben, das bereits verloren war.

Ihr Zusammensein war ein flüchtiger Moment intimer Nähe gewesen, der unterging in der Flut von negativer Berichterstattung und übler Nachrede, die auf den Tod ihres Bruders folgte.

„Also, wann wurde dir klar, dass du schwanger bist?“

„Keine Ahnung. Zwei, drei Monate später …“ Sie rieb sich nervös die Schläfen. „Es war eine schlimme Zeit. Mir war ständig übel, aber ich dachte, es wäre nur der Schock. Als ich merkte, was los war, war es für mich …“

„Ein weiterer Schock?“

„Nein!“ Sie schüttelte empört den Kopf. „Wie ein Wunder. Aus der schlimmsten Nacht meines Lebens war das Beste hervorgegangen, was mir je passiert war.“

Ihre Antwort verwirrte ihn. Damit hatte er nicht gerechnet. „Du hättest mich trotzdem informieren müssen.“

„Wozu?“, rief sie verzweifelt. „Damit mein Großvater und du euch gegenseitig zerfleischt hättet? Das wollte ich Luca nicht zumuten. Ich habe getan, was das Beste für mein Baby war.“

„Unser Baby“, verbesserte er scharf. „Von nun an entscheiden wir gemeinsam.“ Er sah Angst in ihren Augen aufflackern.

„Luca ist glücklich. Ich verstehe dich ja, aber …“

„Gar nichts verstehst du.“ Er verstand sich ja selbst nicht. „Glaubst du, ich lasse meinen Sohn bei einem Baracchi aufwachsen?“ Und endlich stellte er die Frage, die ihm nachts den Schlaf geraubt hatte: „Hat er ihn jemals geschlagen?“

„Nein“, erwiderte sie fest. „Das würde ich nie zulassen.“

„Wie willst du Luca denn beschützen? Du hast dich doch selbst nie gewehrt.“

„Ich war ein Kind!“, rief sie gequält. Plötzlich schämte er sich, weil er so auf ihr herumhackte. Das hatten schon zu viele Leute getan.

„Entschuldige“, sagte er leise.

„Schon gut. Ich nehme es dir nicht übel, dass du glaubst, Luca helfen zu müssen.“ Sie klang so resigniert, als hätte sie sich damit abgefunden, dass niemand Rücksicht auf ihre Gefühle nahm. „Ja, meine Kindheit war von Gewalt geprägt, aber die ging von meinem Vater aus, nicht von meinem Großvater. Ich versichere dir, dass Luca in keiner Weise gefährdet ist. Er wächst in einer sicheren, liebevollen Umgebung auf.“

„Aber ohne Vater.“

Sie nickte betroffen. „Ja.“

„Ich bin froh zu hören, dass es ihm so weit gut geht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass für mich die Familie im Mittelpunkt steht. Ich bin ein Ferrara. Wir kümmern uns umeinander. Ich denke nicht daran, mein Kind im Stich zu lassen.“ Wie Fias Mutter es getan hatte.

Jeder hier kannte die Geschichte von der englischen Touristin, die sich Hals über Kopf in den charmanten, gut aussehenden Pietro Baracchi verliebt hatte. Und schon bald nach der Hochzeit feststellen musste, dass sie auf einen unverbesserlichen Schürzenjäger mit einem Hang zu unkontrollierten Wutausbrüchen hereingefallen war. Nachdem er sie einmal zu oft verprügelt hatte, hatte sie Sizilien, ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern für immer den Rücken gekehrt. Pietro Baracchi war kurz darauf in betrunkenem Zustand tödlich mit seinem Boot verunglückt.

Fia sah ihn an. „Du bist sehr schnell bereit, mich zu verurteilen. Hast du dir jemals die Mühe gemacht, mal nachzufragen, ob die Nacht mit mir Konsequenzen hatte?“

„Ich hatte doch vorgesorgt.“

„Und das hat ja auch großartig funktioniert.“ Zornig warf sie ihr Haar in den Nacken. „Hast du dich jemals gefragt, wie es mir ergangen ist? Wie ich den Tod meines Bruders verkraftet habe? Hast du ein einziges Mal versucht, mich wiederzusehen?“

„Ich wollte nicht, dass die Situation eskaliert“, verteidigte er sich, doch er fühlte sich schuldig. Er wusste, er hätte sich bei ihr melden müssen.

„Und wenn ich dir gesagt hätte, dass ich ein Kind von dir erwarte, wäre die Situation dann nicht eskaliert?“

„Ein Kind hätte alles geändert.“

„Ein Kind macht die Dinge nicht leichter, höchstens schwieriger.“ Sie schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans. Ungeschminkt und mit offenem Haar sah sie unglaublich jung aus, fast wie ein Teenager, nicht wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau. „Verschwenden wir nicht unsere Zeit damit, über Vergangenes zu reden. Wenden wir uns der Zukunft zu. Ich verstehe, dass du mit Luca Kontakt haben möchtest. Ich denke, das lässt sich einrichten.“

„Wie bitte?“, fragte er zerstreut, den Blick auf ihre wohlgeformten Oberschenkel in der engen Jeans gerichtet.

„Ich meine, du kannst Luca gern sehen, wenn du dich an die Regeln hältst.“

Regeln? Wollte sie ihm die Regeln diktieren? „Und welche wären das?“, fragte er völlig perplex.

„Ich dulde nicht, dass du in Lucas Gegenwart auch nur ein schlechtes Wort über meinen Großvater oder meine Familie fallen lässt, mich selbst eingeschlossen. Wie sehr du dich auch über mich ärgern magst, du wirst dir nichts anmerken lassen. Was Luca betrifft, sind wir ein Herz und eine Seele. Er soll glauben, wir kämen gut miteinander aus. Wenn du das akzeptierst, kannst du ihn jederzeit sehen.“

Er konnte kaum fassen, wie gründlich sie ihn missverstanden hatte. „Ihn sehen?“, brauste er auf. „Glaubst du, mir geht es darum, eine nette kleine Besuchsregelung auszuhandeln, damit ich ab und zu etwas mit ihm unternehmen kann?“

„Willst du das nicht?“

„Natürlich will ich das. Ich will ihn sehen, und zwar immer und jederzeit“, erwiderte er barsch. „Wie ein ganz normaler Vater. Ich will ihn abends ins Bett bringen, ihn morgens wecken und so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen. Ich werde ihm zeigen, was eine richtige Familie ist. Ich habe meine Anwälte beauftragt, die nötigen Formalitäten zur Anerkennung der Vaterschaft in die Wege zu leiten, damit er als mein Sohn registriert wird. Mein Sohn.“

Sekundenlang herrschte Totenstille, dann explodierte Fia. Wutentbrannt stürzte sie sich auf ihn und trommelte mit den Fäusten auf ihn ein.

„Du nimmst mir meinen Sohn nicht weg! Das lasse ich nicht zu …“

Ihr Angriff kam so überraschend, dass Santo einen Moment brauchte, um ihre schmalen Handgelenke zu packen und ein paar ihrer rotbraunen Locken von seiner Schulter zu streifen, die sich dort verfangen hatten.

„Du hast ihn mir auch weggenommen.“ Kühl beobachtete er, wie sich das Entsetzen auf ihrer Miene ausbreitete.

„Ich bin seine Mutter …“, ihre Stimme bebte vor Angst, „… du darfst ihn mir nicht wegnehmen. Er braucht mich!“

Er schwieg gerade lange genug, um ihr einen Eindruck davon zu vermitteln, was er selbst durchmachte, seit er von der Existenz seines Sohnes erfahren hatte. Dann ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. „Falls du die treusorgende Mutter herauskehren willst, spar dir die Mühe. Immerhin hast du ein Kindermädchen engagiert.“

„Was hat Gina damit zu tun?“

„Du kümmerst dich nicht selbst um Luca.“

„Natürlich kümmere ich mich um ihn, aber ich kann …“

„Schon klar. Es ist mühsam, sich den ganzen Tag um ein Kind zu kümmern, ich weiß. Das fand deine Mutter wohl auch, als sie euch verließ. Ich gebe dir die Chance, ihrem Beispiel zu folgen.“

Ihre Augen weiteten sich. „Was soll das heißen?“

„Das heißt, dass ich bereit bin, die volle Verantwortung für Luca zu übernehmen.“

„Du drohst damit, ihn mir wegzunehmen?“

„Das ist keine Drohung, das ist ein Angebot“, erwiderte er ruhig.

Fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Du glaubst, ich würde ihn weggeben?“

„Du könntest dein früheres Leben wiederhaben. Ein sehr angenehmes Leben, denn ich wäre bereit, dir die Sache mit einer größeren Geldsumme zu versüßen. Greif zu, dann musst du nie wieder arbeiten.“

Fia legte die Hände an ihre blassen Wangen und lachte ungläubig. „Du kennst mich kein bisschen. Ich liebe meinen Sohn über alles und würde ihn dir für nichts auf der Welt überlassen.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich würde alles für ihn tun.“

Er nickte zufrieden. „Deine Mutter hätte das Geld genommen und das Weite gesucht. Es spricht für dich, dass du es nicht tust.“

„War das eine Art Test?“ Sie musterte ihn angewidert. „Das ist krank, weißt du das?“

„Die Zukunft unseres Sohnes steht auf dem Spiel. Auch ich würde alles für ihn tun. Wenn ich dich dafür beleidigen muss, dann nehme ich das in Kauf.“ Er schlug sie mit ihren eigenen Waffen. Hilflos schlang sie die Arme um ihren Körper.

„Ich bin nicht meine Mutter. Ich würde Luca niemals verlassen.“

„Dann müssen wir die Sache anders lösen.“ Auf die einzig mögliche Art. Immerhin war sie bereit, für ihr Kind zu kämpfen.

„Aber wie?“, fragte sie verzweifelt. „Ich will nicht, dass Luca zwischen die Fronten gerät. Bisher hatte er eine sehr harmonische Kindheit.“

„Da ich deinen Großvater kenne, fällt es mir schwer, das zu glauben.“

Nonno hat sich an meine Regeln gehalten.“

Santo runzelte die Stirn. „Noch mehr Regeln?“

„Ja. In unserem Haus darf niemand ein schlechtes Wort über die Ferraras sagen. Ich will nicht, dass Luca in derselben feindseligen Atmosphäre aufwächst wie ich.“

„Und wie hast du dieses Wunder bei deinem Großvater bewirkt?“

„Indem ich ihm angedroht habe, dass er Luca nicht mehr sehen darf, wenn er gegen die Regeln verstößt.“

„Genial.“ So viel Härte hatte er ihr gar nicht zugetraut.

„Auch du wirst dich daran halten müssen, wenn du mit Luca zusammen bist. Glaub nicht, dass ich es nicht erfahre, wenn du schlecht über uns redest. Er ist ein wandelndes Aufnahmegerät und plappert alles nach, was er irgendwo aufschnappt.“

Beeindruckt von der Willensstärke, die in dieser zierlichen Frau steckte, und ihrer energischen Weigerung, sich an der Familienfehde zu beteiligen, ließ er sich Zeit mit der Antwort.

„Erstens“, erwiderte er dann ruhig, „ging die Feindseligkeit von eurer Seite aus. Unsere Versöhnungsangebote wurden immer zurückgewiesen. Zweitens wirst du wissen, worüber ich mit Luca spreche, weil du dabei sein wirst. Drittens werden unsere Familien bald vereint sein, womit sich der alte Streit von selbst erledigt.“

„Vereint?“ Nervös strich sie sich eine Locke hinter das Ohr. „Du meinst, durch unseren Sohn.“

„Ich meine, durch unsere Heirat.“

Totenstille trat ein.

Nach ein paar Schrecksekunden flüsterte Fia entgeistert: „Ich soll dich heiraten? Soll das ein Witz sein?“

„Genieß es, tesoro, Schatz. Zahlreiche Frauen haben vergeblich auf einen Antrag von mir gehofft.“

Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Du machst mir allen Ernstes einen Heiratsantrag?“

„Einen formellen, keinen romantischen. Erwarte nicht, dass ich vor dir auf die Knie falle.“

Jetzt würde sich zeigen, wie sehr sie ihren Sohn liebte.

Zunächst einmal musterte sie ihn, als hätte er den Verstand verloren. „Abgesehen davon, dass wir uns seit drei Jahren nicht gesehen haben und uns kaum kennen, würden unsere Familien diese Heirat niemals akzeptieren.“

„Deine vielleicht. Meine wird mich vorbehaltlos unterstützen, wie es sich für eine Familie gehört. Was deine sagt, interessiert mich nicht.“ Er zuckte achtlos mit den Schultern. „Was das andere Problem betrifft, mach dir mal keine Sorgen. Du wirst mich bald genug kennenlernen. Ab jetzt lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.“

Verstört wandte sie sich zum Fenster. „Ich habe erst letzte Woche ein Bild von dir in der Zeitung gesehen, auf dem du Arm in Arm mit einer Frau über den roten Teppich stolzierst. Du bist ständig von Frauen umgeben.“

Autor

Daphne Clair
Daphne Clair, alias Laurey Bright lebt mit ihrem Ehemann einem gebürtigen Holländer auf einer kleinen Farm im wunderschönen Neuseeland. Gemeinsam zogen sie fünf wundervolle Kinder groß, eines davon ein Waisenkind aus Hong Kong. Sie hat nahezu 70 Liebesromane für Harlequin geschrieben. Als Daphne de Jong hat sie mehrere Kurzgeschichten und...
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Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 18 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen. Manchmal sitzt Sie...

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