Julia Exklusiv Band 377

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

VERBOTENE NÄCHTE IN DEINEN ARMEN von NINA MILNE

Wieder einmal erwacht Imogen schweißgebadet – weil sie erotische Träume von ihrem Boss hatte. Dabei weiß sie, dass Joe McIntyre sich niemals binden wird! Also Hände weg vom Chef – auch wenn sie sich danach sehnt, ihre Fantasien Wirklichkeit werden zu lassen ...

DAS EWIGE FEUER DER LIEBE von MAISEY YATES

Panisch läuft Alessia vor ihrer Hochzeit davon – und betet zum Himmel, dass der wahre Mann ihres Herzens ihr folgen möge: Matteo Corretti, der Hoteltycoon – und Cousin des Bräutigams! Wird er es wagen, wegen ihr mit seinem Familienclan zu brechen?

IMMER NUR AUF DICH GEWARTET von CAROLINE ANDERSON

Auch wenn Michael seit neun Jahren tot ist: Annie kann ihre große Liebe einfach nicht vergessen. Als er dann plötzlich vor ihr steht, glaubt sie erst an ein Wunder …


  • Erscheinungstag 22.06.2024
  • Bandnummer 377
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525800
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nina Milne, Maisey Yates, Caroline Anderson

JULIA EXKLUSIV BAND 377

PROLOG

Liebes Tagebuch, in meinem Leben geht es gerade alles andere als rosig zu. Zuerst einmal kann es gut sein, dass Joe McIntyre mich feuert. Er ist vorübergehend mein Chef, und was alles noch schlimmer macht, ist, dass er neuerdings in meinen Träumen auftaucht. Nackt.

Gestern Nacht war es besonders erotisch. Ich werde nicht ins Detail gehen, aber wir waren im Büro und es kamen mehrere Stellungen vor … und unterschiedliche Büromöbel, unter anderem ein gläserner Schreibtisch und ein roter Drehsessel …

Ich weiß, dass das total unangemessen und unprofessionell ist, aber zu meiner Verteidigung muss ich anmerken, dass er großartig aussieht. Er hat strubbeliges, dunkelbraunes Haar, und seine Augen sind zartbitterschokoladenbraun. Seine Nase ist markant, aber nicht zu groß, sein Gesicht schmal und gut geschnitten mit einem kantigen Kinn. Und dann erst sein Körper …

Das Problem ist nur – so toll ich den Mann in meinen Träumen finde, der echte John McIntyre ist ein knallharter Geschäftsmann. Man hat ihn damit betraut, Langley Interior Design zu restrukturieren, und wir müssen alle um unsere Arbeitsplätze fürchten. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass er mich schon morgen rauswirft – vor allem, nachdem ich mir kürzlich diesen Patzer erlaubt habe.

Doch das darf nicht sein. Es geht nicht, dass ich jetzt obendrein noch meinen Job verliere. Schlimm genug, dass ich keine Wohnung mehr habe, weil mich Steve, mit dem ich drei Jahre zusammen gewesen bin, aus der gemeinsamen Wohnung geworfen hat, nachdem er mich wegen Simone, seiner Ex, verlassen hat. Weshalb ich momentan bei meiner besten Freundin Mel wohne. Aber obwohl ich sie liebe wie die Schwester, die ich nie gehabt habe, kann ich nicht ewig auf ihrem Bettsofa schlafen. Ich habe Liebeskummer. Steve war genau so, wie ich mir meinen Traummann vorgestellt hatte. Ich dachte, es sei für immer. Dann bin ich auch noch pleite – mein letztes Geld habe ich für die Reise ausgegeben, die ich mit Steve machen wollte. Und nun fährt er mit Simone. Unfassbar. Welch eine Demütigung! Kein Wunder, dass ich da seltsames Zeug träume. Mein wahres Leben ist unerträglich.

1. KAPITEL

Joe McIntyre lehnte sich zurück und nahm den Lebenslauf von dem gläsernen Schreibtisch.

Imogen Lorrimer. Seit fünf Jahren Peter Langleys Sekretärin.

Imogen Lorrimer mit dem rabenschwarzen Haar und den großen graublauen Augen.

Niemals Arbeit und Vergnügen miteinander vermischen. Das gehörte zu seinen unumstößlichen Grundsätzen. Genau wie ‚niemals mehr als eine Nacht‘ und ‚niemals zurückblicken‘.

Seufzend wandte Joe sich seinem Laptop zu. Schon wieder eine E-Mail von Leila. Wenn er nur wüsste, wie er mit seiner Ex umgehen sollte! Noch immer hatte er ihr gegenüber ein so schlechtes Gewissen, dass er versprochen hatte, zu ihrer Hochzeit zu kommen. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, über dieses leidige Thema nachzudenken; er musste sich auf das bevorstehende Gespräch konzentrieren.

Imogen Lorrimer war ihm gleich aufgefallen, als sie vorgestern den Konferenzsaal betreten hatte, in dem er die Besetzung von Langley zu einem ersten Treffen zusammengerufen hatte. Als sie Platz genommen und zu ihm aufgesehen hatte, war er sofort von ihren großen graublauen Augen unter dem schwarzen Pony eingenommen gewesen. Einen Moment lang hatte er im Sprechen innegehalten, so sehr hatten ihn diese Augen gefangen genommen.

Anschließend war er ihr mehrere Male im Korridor begegnet, aber sie war mit gesenktem Kopf an ihm vorbeigelaufen und hatte jeden weiteren Blickkontakt mit ihm geflissentlich vermieden.

Doch er war es gewohnt, dass er die Menschen um sich herum nervös machte. Den Leuten war klar, dass er sie als Interim-Manager feuern konnte. Was er, wenn nötig, auch tat – wie heute Morgen zum Beispiel. Und wenn es gut für Langley Interior Design wäre, Imogen Langley zu feuern, dann würde er auch das tun. Ganz egal, wie attraktiv er sie fand.

Genau in diesem Moment klopfte es an der Tür; Joe sah auf. Es ärgerte ihn, dass er sich innerlich für die Begegnung wappnete. Imogen Lorrimer war nichts weiter als eine Angestellte, die er beurteilen musste.

Als sie einen Moment lang zögernd im Türrahmen stehen blieb, beschleunigte sich unwillkürlich sein Puls.

Wie erbärmlich von ihm! Mit dem perfekt geschnittenen dunkelblauen Kostüm und dem zu einem strengen Dutt frisierten dunklen Haar sah sie höchst professionell aus. Da war es doch das Mindeste, dass er wenigstens so tat, als wäre er ebenso professionell. Weshalb er aufhören musste, sie anzugaffen.

„Herein.“ Er erhob sich.

„Mr McIntyre“, sagte sie ein wenig angespannt.

„Sagen Sie ruhig Joe zu mir.“ Er setzte sich wieder und wies mit dem Kinn auf den Sessel ihm gegenüber. „Nehmen Sie Platz.“

Eigentlich wohl eine eher leicht zu befolgende Anweisung – sollte man denken. Doch Imogen zuckte zusammen, sah den roten Drehsessel an, dann Joe und dann wieder den Sessel. Sie gab einen erstickten Laut von sich und versuchte, diesen hinter einem gekünstelten Hüsteln zu verbergen.

Joe rieb sich den Nacken und betrachtete den offenbar hypnotisch wirkenden Sessel. Ein stylishes Modell aus rotem Leder, funktional, bequem und auffällig – eben wie man es im Büro eines Innenarchitekten erwarten würde.

Aber eben nur ein Sessel.

Und doch starrte Imogen unverwandt darauf. Ihre Wangen hatten mittlerweile dieselbe Farbe wie das Leder.

Als Joe anfing, ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, schien sie sich zu fangen.

Sie sah den Schreibtisch an, schloss die Augen, als bereite ihr etwas Schmerzen, und atmete tief ein.

„Gibt es ein Problem?“, fragte er. „Stimmt etwas nicht mit dem Sessel?“

„Nein, alles in Ordnung. Entschuldigung“, erwiderte sie, setzte sich und faltete die Hände im Schoß.

„Wenn es nicht der Stuhl ist, muss es wohl an mir liegen“, sagte er. „Ich verstehe, wenn Sie ein wenig nervös sind. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich beiße nicht.“

Sie sah ihn mit ihren großen blaugrauen Augen an und hielt sich an den Armlehnen des Sessels fest, als handele es sich um einen Achterbahnwagen. „Gut zu wissen“, antwortete sie. „Entschuldigung. Normalerweise bin ich nicht so nervös. Es ist nur so, dass … na ja … also …“ Sie kniff die glänzenden Lippen zusammen und schloss die Augen.

Joes Gereiztheit nahm zu. Das hier war die Frau, die Peter Langley als ‚eine Stütze des Unternehmens‘ bezeichnet hatte? Kein Wunder, dass der Laden nicht lief! Vielleicht war es das Beste, dieses Gespräch auf der Stelle zu beenden.

Als er den Mund öffnete, um genau das zu tun, öffnete sie die Augen, wand sich auf ihrem Stuhl und …

… ein Bild schoss ihm durch den Kopf – ein Bild von Imogen Lorrimer, die sich erhob, sich aus ihrem dunkelblauen Rock schälte, das Jackett auszog und langsam ihre weiße Bluse aufknöpfte. Und dann ihr dunkles Haar löste, um es über ihre Schultern fallen zu lassen, bevor sie sich wieder auf den verdammten roten Sessel setzte und die Beine übereinanderschlug.

Ein heiserer Laut entrang sich seiner Kehle. Wo um alles in der Welt kamen diese Fantasien auf einmal her?

Höchste Zeit, dass er sich und dieses Gespräch wieder in den Griff bekam. Als sie seufzte, sah er einem Moment lang ihren Mund an. Das hier ging gar nicht. Die Regel ‚Nie Berufliches und Vergnügen miteinander vermischen‘ war nicht verhandelbar. Seine beruflichen Grundsätze waren ihm heilig – allein der Gedanke, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen und sein Unternehmen zu ruinieren, wie sein Vater es getan hatte, machte ihn wild.

Also musste er die Anziehung, die Imogen Lorrimer auf ihn ausübte, ignorieren. Er brauchte dringend eine kalte Dusche oder eine wilde Nacht. Natürlich war ihm Letzteres lieber – aber nicht mit einer Frau, mit der er geschäftlich zu tun hatte.

Aber vorerst musste er sich auf seine beruflichen Angelegenheiten konzentrieren.

Was hatte Imogen als Letztes gesagt? „Es ist nur – wie?“, knurrte er.

Imogen biss sich auf die Unterlippe. Sie hätte sich ohrfeigen können.

Sie musste ihre Stelle behalten. Nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch, um alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um zu verhindern, dass dieser Mann Langley komplett dichtmachte.

Peter und Harry Langley waren immer mehr als gut zu ihr gewesen. Es war das Mindeste, dafür zu sorgen, dass dieser Typ die Firma der beiden nicht abwickelte, anstatt hier herumzudrucksen, weil sie in der vergangenen Nacht von Joe McIntyre geträumt hatte.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und versuchte zu lächeln.

Als sie in seine braunen Augen blickte, meinte sie einen Moment, etwas darin zu sehen – ein gewisses Funkeln, eine Art Interesse, das ihre Haut kribbeln ließ. Sein Blick war wie der, den der Joe aus ihrem Traum so gut draufhatte. Aber es dauerte nur eine Sekunde. Dann sah er sie wieder leicht gereizt und mit gerunzelter Stirn an.

Sie straffte ihre Schultern und zwang sich, ihm fest in die Augen zu sehen. „Entschuldigung, Joe. Die letzten Wochen waren ein bisschen viel. Meine Nerven sind wohl etwas mit mir durchgegangen. Jetzt ist alles wieder in Ordnung, und ich würde mich sehr freuen, wenn wir noch einmal von vorn beginnen könnten.“

„Einverstanden“, sagte er und wies auf ihren Lebenslauf. „Sie sind seit fünf Jahren Peters Sekretärin. Er hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen, darum verstehe ich Ihre Nervosität nicht.“

Da Joe schon seit zwei Tagen in der Firma war, wusste er sicher bereits von ihrem Patzer. Also wurde es Zeit, dass sie damit herausrückte. „Sie haben sicher von dem Anderson-Projekt gehört, Joe?“

„Ja, habe ich.“

„Dann wissen Sie auch, dass ich einen Riesenfehler gemacht habe.“ Beim bloßen Gedanken daran wurde ihr ganz flau im Magen. „Ich habe den falschen Stoff bestellt. Unmengen. Und ich habe es nicht gemerkt. Also ist der Stoff verwendet worden, und der Kunde hatte hinterher Gardinen und Überwürfe in dieser fiesen Senffarbe anstatt in dem Goldton, den er sich ausgesucht hatte. Es war schrecklich. Noch schlimmer als …“ Sie kniff die Lippen zusammen.

Er sah ihren Mund an, in ihrem Bauch begann es zu kribbeln. „Noch schlimmer als was?“

Toll gemacht, Imogen. Jetzt dachte er natürlich, dass sie eine ganze Spur der Verwüstung hinter sich herzog.

Als sie energisch den Kopf schüttelte, lösten sich ein paar Strähnen aus ihrem Dutt. „Unwichtig. Es hat nichts mit der Arbeit zu tun. Eine Geschichte aus Kindertagen.“

Joe sah sie skeptisch an. „Wollen Sie mir damit sagen, Imogen, dass Sie in Ihrer Kindheit irgendetwas angestellt haben, was mit dieser Fehlbestellung vergleichbar ist?“

Er glaubte ihr nicht. „Ja“, antwortete sie und unterdrückte einen Seufzer, als ihr klar wurde, dass sie ihm nun erzählen musste, was damals passiert war, wenn er nicht glauben sollte, dass sie eine Vollnull war. „Ich war zehn und bin mit einem äußerst schlechten Zeugnis nach Hause gekommen. Ich habe meiner Mutter das ganze Halbjahr lang vorgemacht, dass ich gut sei. Ja, ich habe sogar selbst fest daran geglaubt. Als sich dann rausgestellt hat, dass das nicht der Fall ist, war ich fast so entsetzt wie meine Mutter.“

Nie würde sie die tiefe Enttäuschung vergessen, die sich im Gesicht Eva Lorrimers gezeigt hatte. „Jedenfalls …“ Imogen strich sich über die Schläfe, wie um die Erinnerung wegzuwischen. „… jedenfalls habe ich mich genauso leer und kraftlos gefühlt, als ich das Senfdebakel gesehen habe.“

Joe musterte sie mit seinen braunen Augen, doch sie konnte seinen Blick nicht deuten. Wahrscheinlich hielt er sie für komplett bescheuert.

„Aber so ein Fehler wie bei dem Andersen-Projekt ist mir zum ersten Mal unterlaufen, und ich kann Ihnen versichern, dass es auch das letzte Mal war.“ Die Sache mit der Stoffbestellung war just an dem Tag passiert, nachdem Steve sie aus der gemeinsamen Wohnung gejagt hatte, damit seine Exfreundin wieder einziehen konnte. Tief erschüttert und verletzt hatte sie sich zur Arbeit geschleppt. Nicht, dass sie vorhatte, Joe davon zu erzählen. Es war zu vermuten, dass er von Leuten, die ihre Privatprobleme mit zur Arbeit brachten, nichts wissen wollte.

Ihr war ganz flau im Magen vor Angst. Die Langleys würden nicht wollen, dass Joe sie feuerte. Doch Peter hatte gerade einen Zusammenbruch erlitten, und Harry war nach seinem Herzinfarkt zwar wieder außer Lebensgefahr, aber immer noch auf der Intensivstation. Keiner von beiden hatte jetzt den Kopf dafür, sich um Imogen zu kümmern.

„Ich mache meine Arbeit gut“, sagte sie ruhig. „Und ich werde tun, was ich kann, damit hier alles rund läuft, bis Peter und Harry zurück sind.“ „Selbst wenn sie sich dafür mit dem Mann, der gerade vor ihr saß, anlegen musste.“

Einen Moment lang senkte er stirnrunzelnd den Blick, dann nickte er. „Ich werd’ es mir merken“, sagte er. „Also weiter. Ich habe eine Auflistung der laufenden Projekte und aktuellen Termine von Peter bekommen.“ Er reichte ihr ein Blatt. „Allerdings war er sich anscheinend nicht ganz sicher, ob sie vollständig ist, und er hat mich gebeten, Sie einmal drübersehen zu lassen.“

Imogen sah die Liste an und versuchte, sich auf die Buchstaben darauf zu konzentrieren anstatt auf Joes Hand. Diese Hand, die im Traum so wundervolle Dinge mit ihr angestellt hatte.

Sie schüttelte den Gedanken ab und nahm das Blatt. „Ich werde es mit meinem Kalender gegenchecken.“ Sie bückte sich nach ihrer Aktentasche – und zog die Brauen zusammen. War der sonderbare erstickte Laut von Joe gekommen? Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie, dass seine Wangen leicht gerötet waren.

Konzentrier dich! Imogen sah die Liste und dann ihren Kalender an. „Das Einzige, was hier fehlt, ist die Verleihung des Preises für Innenarchitektur. Sie findet diesen Mittwoch statt. Eigentlich wollte Peter mit Graham Forrester dort hingehen. Vielleicht hat er es sich anders überlegt, weil der Kunde nicht kommen wird.“

Jo runzelte die Stirn. „Darüber möchte ich mehr wissen.“

„Die Verleihung ist eine ziemlich prestigeträchtige Veranstaltung. Wir haben in der Luxuskategorie gewonnen – mit einer Wohnung, die wir für den IT-Milliardär Richard Harvey ausgestattet haben. Ein Liebesnest für ihn und seine siebte Frau.“

Joe hob die Brauen. „Seine siebte Frau? Der Kerl muss einen masochistischen Zug haben!“

„Er ist ein Romantiker“, erwiderte Imogen. „So viel Beharrlichkeit muss man bewundern.“

„Nein, das muss man nicht bewundern. Es ist hirnverbrannt. Man kann nicht ewig an unerfüllbaren Träumen festhalten.“

Er hatte gut reden – man konnte sich kaum vorstellen, dass ein knallharter Geschäftsmann wie er überhaupt Träume hatte.

„Nicht an allen, aber an manchen schon“, wandte sie ein. „Ich bin fest davon überzeugt, dass man irgendwann den Richtigen findet.“

Sie hatte die Hoffnung jedenfalls nicht aufgegeben, nur weil es mit ihr und Steve nicht geklappt hatte.

„Richard hatte es damit nur etwas schwerer als die meisten Leute.“ Als sie Joes spöttisches Lächeln sah, fügte sie hinzu: „Er ist mit Crystal in Paris, um dort mit ihr zu feiern, dass sie sich seit einem Jahr kennen. Das ist auch der Grund dafür, dass sie nicht zu der Verleihung kommen …“

„Ich würde gern mehr über das Projekt wissen. Wer hat daran gearbeitet?“

„Peter, Graham und ich. Peter holt bei gestalterischen Fragen gern auch meinen Rat ein.“

Joe musterte sie. „Was haben Sie zu dem Projekt beigetragen?“

„Ich habe die Badezimmer entworfen.“

„Dürfte ich die Entwürfe mal sehen?“

„Sicher“, antwortete sie in unbekümmertem Ton, obwohl sie furchtbar nervös war. Irgendetwas an seinem Blick beunruhigte sie. Imogen konnte förmlich sehen, wie es in seinem Hirn ratterte. „Ich hole schnell die Unterlagen.“

Das tat sie und legte zurück am Schreibtisch die Mappe auf die gläserne Tischplatte. Dann beugte sie sich vor, um sie zu öffnen. Dabei atmete sie ein – welch ein Fehler. Joe roch nach Sandelholz, gemischt mit etwas, das in ihr den Wunsch auslöste, an seinem Nacken zu schnuppern.

Reiß dich zusammen, Imogen! Das ist kein Traum – es ist Wirklichkeit.

Sie versuchte, flach zu atmen und sich zu konzentrieren. „Die Vorgabe war, etwas zu gestalten, das Crystal das Gefühl gibt, etwas ganz Besonderes zu sein.“

„Klingt kompliziert.“

„Mir hat es Spaß gemacht.“ Damals hatte sie noch im Wolkenkuckucksheim gelebt und fest damit gerechnet, dass Steve um ihre Hand anhalten würde, weshalb es ihr leichtgefallen war, sich in das Projekt hineinzufühlen. Es hatte ihr Spaß gemacht, sich mit Richard über ihre Ideen auszutauschen, und dass die Wohnung als Überraschung zur Hochzeit gedacht war, hatte ihr äußerst gut gefallen. „Das hier sind die Bäder.“ Sie reichte ihm ihre Zeichnungen.

„Sie sind gut“, sagte er.

Es klang ehrlich. Imogen wurde es warm ums Herz, und sie lächelte. „Danke. Die Hängematten-Badewanne ist einfach toll. Sie ist gerade groß genug für zwei und macht sich super in dem Raum.“ Sie stellte sich vor, wie sie mit Joe nackt in der Wanne lag. Weiterreden! „Beim zweiten Badezimmer wollte ich es dann etwas opulenter haben. Säulen und Marmor, dazu ein hölzerner Zuber mit einem Tisch für den Champagner in der Mitte.“ Sie hielt inne, als sie sich vorstellte, wie sie und Joe nackt unter dem Tisch füßelten. Los, red weiter. „Und darauf bin ich besonders stolz … Ich habe es geschafft, an Betttücher mit eingewebten 22-karätigen Goldfäden heranzukommen …“

Oh Gott. Es wurde Zeit, dass sie den Mund hielt. Sie klappte die Mappe zu und ging um den Tisch herum. Es kostete sie einige Mühe, nicht zu schnell zu dem verflixten Stuhl zurückzugehen. „Den Rest kann Graham Ihnen erläutern.“

„Nein, kann er nicht.“

„Wieso nicht?“ Imogen betrachtete sein ausdrucksloses Gesicht, dann fiel endlich der Groschen. „Sie haben ihn doch wohl nicht etwa gefeuert?“

Joe zuckte mit den Schultern. „Graham arbeitet nicht mehr für Langley.“

„Aber … das können Sie doch nicht machen“, erwiderte sie fassungslos und ekelte sich vor sich selbst. Wie konnte sie nur von einem so hartherzigen Mann träumen?

„Doch, das kann ich.“

„Graham Foster ist einer der besten Innenarchitekten in ganz London. Warum haben Sie ihn vor die Tür gesetzt?“

„Das geht Sie nichts an.“

Imogen ärgerte sich so sehr über sich, dass sie die Hände zu Fäusten ballte. Sie hatte sich so sehr über sein Lob gefreut und darüber ganz vergessen, dass es in seiner Macht stand, die Firma zu zerlegen. „Graham ist mein Freund und mein Kollege. Letzten Monat war ich auf seiner Hochzeit. Er braucht seinen Job. Also geht es mich schon etwas an. Und ich bin nicht die Einzige, die dieser Meinung sein wird. Wir sind hier wie eine Familie. Bitte denken Sie noch einmal darüber nach.“

„Nein, Imogen.“

„Dann werde ich …“

„Dann werden Sie was?“, wollte er wissen. „Ich denke, Sie sollten sich überlegen, was Ihnen wichtiger ist, Graham Foster oder Langley.“

„Ist das eine Drohung?“

„Es ist ein gut gemeinter Rat.“ Er rieb sich den Nacken und betrachtete sie. „Peter hat Sie als wichtigen Teil des Unternehmens beschrieben. Wenn Sie aus Solidarität mit Graham die Firma verlassen oder mich dazu zwingen, Sie ebenfalls fortzuschicken, wäre das ein Verlust für Langley.“

Zu gern hätte sie Joe ihre Meinung gesagt, aber sie durfte Peter und Harry nicht hängen lassen. Solange sie hier war, konnte sie zumindest versuchen, weiteres Unheil zu verhindern. Außerdem hatte sie momentan schon genug Sorgen – da musste sie nicht auch noch ihren Job aufs Spiel setzen. „Ich werde bleiben. Aber nur, damit das klar ist: Ich bin gegen die Kündigung von Graham.“

„Das nehme ich zur Kenntnis. So, und nun möchte ich, dass Sie mich bei dieser Preisverleihung anmelden.“

„Was?“ Imogen starrte ihn fassungslos an. „Sie wollen doch nicht allen Ernstes dort erscheinen?“

„Warum nicht?“

„Weil es seltsam wirken wird, dass Graham nicht da ist. Und wenn Sie dann stattdessen hingehen, sieht das so aus, als sei Langley in Schwierigkeiten.“

„Ja, und es zeigt, dass wir uns diese Schwierigkeiten eingestehen und etwas dagegen tun. Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken.“

„Vielen Dank für den Hinweis, aber das ist mir auch so klar.“

„Prima. Dann hören Sie mir gut zu: Ob Sie es glauben oder nicht, ich mache meine Arbeit gut. Und wenn ich bei dieser Preisverleihung auftauche, wird das alle davon überzeugen, dass Langley wieder Boden unter den Fußen hat und bald wieder richtig durchstarten wird.“ Er lehnte sich zurück und lächelte sie ernst an. „Aus diesem Grund werde ich dort hingehen. Und Sie begleiten mich.“

Imogen sah ihn entgeistert an.

Joe nickte. „Sie haben an dem Projekt mitgearbeitet und Kontakt zu dem Kunden gehabt. Es ist nur logisch, dass Sie dabei sind.“

2. KAPITEL

Imogen ging im Wohnzimmer ihrer besten Freundin, in dem sie vorübergehend ihr Lager aufgeschlagen hatte, auf und ab. „Logisch“, schnaubte sie und sah Mel mit zusammengekniffenen Augen an. „Logisch, ich glaub, es …“

Mel fing an, in ihrem Kosmetiktäschchen zu kramen. „Imo, Süße. Reg dich ab. Du hast eh keine Wahl – Joe ist der Entscheider.“ Sie hielt zwei Lippenstifte hoch und legte ihren blonden Kopf schief. „Vielleicht wird es ja sogar ganz nett.“

„Nett?“ Imogen sah ihre Freundin empört an und nahm ein wenig beschämt wahr, wie ihr ganz warm vor Vorfreude wurde. „Mich mit Joe abends im Büro zu treffen und dann mit ihm zu der Preisverleihung zu gehen, das soll nett sein? Ich empfinde das eher als Strafe.“

Mel hob ihre perfekt gezupften Brauen. „So? Ich glaube ja, dass du diesen Typen heiß findest.“

Da war es wieder, das schlechte Gewissen. Wie konnte sie auf diesen arroganten, unbarmherzigen Dreckskerl scharf sein? „Da irrst du dich wohl“, antwortete Imogen mit tonloser Stimme. „Und warum siehst du mich so an?“

„Erstens weil du unglaublich schlecht lügst, und zweitens, weil ich hoffe, dass du nicht vorhast, so zu der Preisverleihung zu gehen.“

Imogen sah an sich hinunter. „Wieso denn nicht? Steve mochte das an mir.“

„Süße. Das Kleid ist total lahm. Es ist grau und schlecht geschnitten und langweilig. Steve mochte so was an dir, weil er Angst hatte, dass du sonst womöglich die Aufmerksamkeit eines anderen erregst – so wie Simone.“

„Das ist nicht wahr. Ich habe das Kleid ausgesucht, weil …“ Sie verstummte. „Ich bin ehrlich gesagt ganz froh, wenn mich keiner bemerkt. Irgendwie finde ich es nicht richtig, zu der Verleihung zu gehen, obwohl Graham fast die ganze Arbeit gemacht hat.“

„Für mich klang es so, als hättest du auch einen guten Teil dazu beigetragen. Außerdem kann Graham nicht hingehen, weil er nicht mehr für Langley arbeitet. Also wirst du zu dieser Preisverleihung gehen und der Welt zeigen, dass es Langley gut geht. Aber das geht nicht mit diesem Kleid.“

Imogen seufzte. Wenn jemand Ahnung von Kleidung hatte, dann war es Mel – und sie hatte recht. „Okay. Wie wäre es mit dem kleinen Schwarzen mit …“

„Das eher eine Art riesiger Sack ist? Nein, ich habe eine bessere Idee. Ich leihe dir ein Kleid.“

„Ach, Mel. Du kennst mich doch. Ich mag nicht …“

„Im Mittelpunkt stehen? Und ob du das willst. Und ich habe das perfekte Outfit dafür. Bin gleich wieder da …“

Natürlich wollte Imogen das Beste für Langley, aber Mel hatte einen ganz anderen Geschmack als sie. Ihr eigener Geschmack war eher … ja, wie eigentlich? Entsetzt stellte Imogen fest, dass sie es nicht wusste. Ihr ganzes 26-jähriges Leben lang hatte sie bei der Wahl ihrer Kleidung immer nur darauf geachtet, es irgendjemand anderem recht zu machen.

Eva Lorrimer hatte relativ unverrückbare Vorstellungen davon gehabt, was ein junges Mädchen zu tragen hatte, und Imogen hatte sich den Wünschen ihrer Mutter gebeugt und lange Röcke und Rüschenblusen getragen – um sie einigermaßen bei Laune zu halten. Und um ihre Ruhe zu haben.

Und dann Steve … Lag Mel mit ihrer Vermutung doch nicht so falsch? Hatte Imogen sich unbewusst ihre Kleidung von ihm vorschreiben lassen? Steve hatte immer gesagt, dass er es hasste, wenn gebundene Frauen sich zur Schau stellten oder gar flirteten. Er hatte ihr gesagt, dass Simone genau das getan habe. Worauf Imogen sich nur Kleider gekauft hatte, die er an ihr mochte. Weil es sie glücklich gemacht hatte, ihn glücklich zu sehen. Und um ihre Ruhe zu haben.

Mel kam zurück. „Und, was meinst du?“

Imogen starrte das Kleid an, das Mel hochhielt. Wenn man das überhaupt Kleid nennen konnte. Sie hatte keine Ahnung, wo die Tüllspitze am Ende landen würde und ob das gute Stück überhaupt genug Haut bedeckte. Nur eines war ihr klar – die Farbe war ziemlich grell. „Es ist sehr … rot.“ Und wohl eher nicht das, was sie gewählt hätte. Aber wenn sie die Wahl hatte zwischen etwas, das ihre Mutter oder Steve ausgesucht hatten, und dem, was Mel gefiel, dann folgte sie lieber Mels Wahl. „Okay, ich zieh es an.“

Mel blinzelte. „Wirklich? Ich hatte mich schon auf Debatten eingestellt.“

„Wirklich. Keine Debatten. Aber ich fürchte, du musst mir beim Anziehen helfen.“

„Gern. Und dann werde ich dir gleich noch meine Schuhe leihen und dich schminken.“

„Danke, das ist total nett von dir“, antwortete Imogen, gespannt darauf, wie ihr neues Ich aussehen würde.

Eine Stunde später wusste sie es. Ungläubig starrte sie ihr Spiegelbild an. Ihre Mutter wäre in Ohnmacht gefallen, und Steve hätte sicher missbilligend den Mund verzogen, aber das war Imogen egal.

„Du siehst toll aus. Da wird Joe McIntyre aber Augen machen.“

„Ich mache das nicht für Joe.“ Von wegen. Sicher hatten auch die Schmetterlinge in ihrem Bauch nichts mit Joe zu tun. „Ich mache das für Langley.“

„Das hättest du wohl gern“, erwiderte Mel lächelnd und fügte hinzu: „Viel Spaß!“

Joe sah sich im Büro um und seufzte. Nicht, dass es ihm hier nicht gefiel. Er hatte schon an schmuckloseren Orten geweilt als in diesem Mekka der Gestaltungskunst, und es hatte ihm nichts ausgemacht. Aber ganz egal, wo er bisher gearbeitet hatte, nie zuvor hatte er diese unterschwellige Aufregung empfunden.

Und diese Aufregung ärgerte ihn. Sie gehörte hier nicht her. Es war einfach das Beste, wenn Imogen Lorrimer ihn auf diese Preisverleihung begleitete. Sie hatte an dem Projekt gearbeitet, das ausgezeichnet wurde, und kannte viele der geladenen Gäste. Da war es nur logisch, sie mitzunehmen.

Von wegen. Schnaubend griff er nach seiner Kaffeetasse. Jeder würde denken, dass er nur versuchte, vor sich selbst zu rechtfertigen, dass er andere Gründe dafür hatte, Imogen zu der Preisverleihung mitzunehmen. Was natürlich nicht so war. Und dass er sich darauf freute, mit ihr dorthinzugehen. Was völlig abwegig war. Die Frau konnte ihn nicht leiden, und außerdem fürchtete er, dass sie versuchen würde, ihn dazu zu bewegen, den Rauswurf von Graham Forrester rückgängig zu machen.

Allerdings hatte er sich in den vergangenen zwei Tagen mehr als einmal dabei erwischt, wie er Imogen angesehen hatte, ohne dass die Notwendigkeit dafür bestanden hätte.

Er unterdrückte die Gereiztheit, die wieder in ihm hochkam. Nur weil sie es ihm irgendwie angetan hatte, hieß das noch lange nicht, dass es irgendwelche Probleme geben musste. Joe wusste zu gut, dass es gefährlich war, Privates mit Geschäftlichem zu vermischen. Denn genau das hatte sein Vater getan, und es hatte direkt in die Katastrophe geführt – und Joe war derjenige gewesen, der den Schaden wieder hatte ausbügeln müssen.

Zu gut konnte er sich an die Pleite des Familienunternehmens erinnern, an die Gesichter der Mitarbeiter, die er hatte entlassen müssen, und die Kunden, deren Gelder veruntreut worden waren.

So etwas würde ihm nicht passieren.

Sein Rechner gab einen Signalton von sich. Joe warf einen Blick auf den Bildschirm und stöhnte. Schon wieder eine E-Mail von Leila. Er wusste einfach nicht, wie er reagieren sollte. Was zwischenmenschliche Beziehungen anging, war er kein Experte. Aber er war sich ziemlich sicher, dass es nicht normal war, wenn sich eine Ex nach sieben Jahren plötzlich wieder bei ihm meldete, um ihn zu ihrer Hochzeit einzuladen, und ihm seitdem mit E-Mails bombardierte, in denen sie ihm Ratschläge gab, um die er sie nicht gebeten hatte. Er kämpfte gegen den Wunsch an, mit dem Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, und sah auf, als sich die Tür öffnete und Imogen hereinkam.

Nein. Hineinkommen konnte man das nicht nennen – sie stürmte in den Raum. Ein umwerfender, feuerroter, wutentbrannter Tornado bewegte sich schnurstracks auf seinen Schreibtisch zu und schlug mit den flachen Händen auf die gläserne Tischplatte.

„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte Joe und versuchte zu übersehen, wie ihr glattes Haar in den Ausschnitt ihres Kleides fiel. Wobei dieses Kleid fast nur aus Ausschnitt bestand …

Er sah weiter an ihr hinunter, betrachtete ihre schmale Taille und den gerüschten Rock, der einige Zentimeter über dem Knie endete. Sie hatte unendlich lange, wohlgeformte Beine, und ihre Füße steckten in glitzernden Sandalen.

Sieh weg. Bevor du einen Herzinfarkt bekommst.

Er sah wieder an ihr hinauf. Sie funkelte ihn mit ihren graublauen Augen an.

„Allerdings stimmt etwas nicht.“

Sie atmete heftig, und Joe musste sich sehr anstrengen, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren.

„Ich weiß, dass ich lieber den Mund halten sollte. Ich weiß, dass ich meinen Job nicht aufs Spiel setzen dürfte. Aber ich war gerade bei Harry und Peter im Krankenhaus. Sie haben mir erzählt, dass Sie Maisey aus der Buchhaltung und Lucas aus der Verwaltung gefeuert haben. Wie konnten Sie nur? Das ist falsch!“

Die Wut, die in ihrer Stimme mitschwang, machte ihn zornig. „Nein, Imogen, das ist nicht falsch. Es ist traurig, aber es geht nicht anders. Wenn die Firma nicht untergehen soll, müssen Kosten eingespart werden. Mir ist es lieber, wenn ein paar Personen leiden, als wenn die ganze Firma kaputtgeht.“

Sie schüttelte den Kopf, ihr schwarzes Haar glänzte. „Aber wie kann Ihnen das so egal sein? Sind diese Menschen einfach nur Posten für Sie?“

Ihr fast schon verächtlicher Blick verletzte ihn. „Ich tue mein Bestes, so wenige Personen zu entlassen wie möglich, und ich kann Ihnen versichern, dass mir das keinen Spaß macht.“

Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Besonders darunter zu leiden scheinen Sie aber auch nicht.“

Ihre Worte trafen ihn. Aber er weigerte sich, das an sich herankommen zu lassen. Denn das war unangenehm, und es änderte nichts. Das wusste er zu gut. Wenn er dagegen unempfindlich war, dann war das gut so. Zumindest für seine Arbeit. Er zuckte mit den Schultern. „Wenn ich mir das zu nahe gehen lasse, kann ich keine vernünftigen Entscheidungen treffen. In meinem Beruf kann ich mir keine Sentimentalitäten leisten.“

„Und was, wenn Ihre Entscheidungen jemandem wehtun?“

„Ich treffe keine Entscheidungen, um jemandem wehzutun.“

„Das heißt aber nicht, dass es niemandem wehtut. Zum Beispiel Graham. Ich weiß, dass er ein Riesendarlehen abzubezahlen hat und seine Frau gerade schwanger ist. Und jetzt kommen Sie und bringen ihn um seinen Job. Macht Sie das nicht fertig?“

„Nein. Ich tue das, was für die Firma als Ganzes am besten ist. Und davon profitiert ein Großteil der Angestellten.“

„Aber sehen Sie es doch einmal so – dass Langley in Schwierigkeiten ist, liegt hauptsächlich an Harrys gesundheitlichen Problemen. Sobald er wieder auf den Beinen ist, wird alles wieder seinen normalen Gang gehen. Sollten Sie das nicht bedenken? Und überlegen, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gibt, alle Jobs zu erhalten?“

Ihr vorgerecktes Kinn und ihre funkelnden Augen verrieten, wie ernst sie es meinte, und obwohl Joe seine Entscheidungen nicht anzweifelte, fiel ihm auf, wie lange es her war, dass jemand anders sein Handeln infrage gestellt hatte. Abgesehen von seinen Schwestern, natürlich.

Das war irgendwie … anregend.

Und beunruhigenderweise war ihm ganz warm geworden vor Bewunderung: Imogen legte sich mit einer solchen Leidenschaft für andere ins Zeug, dass er an ganz andere Arten der Leidenschaft denken musste. Zu gern hätte er seine Finger in ihrem glänzenden schwarzen Haar vergraben und sie mit Küssen von seinem Standpunkt überzeugt …

Zum Kuckuck! Wenn er so weitermachte, konnte er gleich Bankrott anmelden. Er umfasste die Tischkante und zwang sich, ruhig zu sprechen. „Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Harry in eine überlebensfähige Firma zurückkehren kann. Ich bin nicht hier, um Langley zu zerstören. So gehe ich nicht vor.“

„Da habe ich aber ganz andere Sachen gehört.“

Ihr verächtlicher Tonfall versetzte ihm einen Stich.

„Imogen, es gibt Firmen, die selbst ich nicht mehr retten kann. Aber wenn Sie die Liste meiner Erfolge durchgehen, werden Sie sehen, dass es in den meisten Firmen wieder gut gelaufen ist, nachdem ich dort Klarschiff gemacht habe. Und sie nicht dichtmachen mussten. Man sagt, dass ich knallhart sei. Das liegt daran, dass ich die unliebsamen Entscheidungen treffe, denen die anderen aus dem Weg gehen, weil sie irgendwelche Skrupel haben.“

Sie runzelte die Stirn. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie kalt und herzlos sind, aber das erreichen, was Sie erreichen wollen?“

„Ja. Peter und Harry würden es nicht übers Herz bringen, Graham zu entlassen. Auch wenn euch meine Methoden nicht gefallen, Ihnen und Harry und Peter – ich werde Langley retten.“ Diese ganze Unterhaltung nervte ihn. Seit einer guten halben Stunde rechtfertigte er hier sein Handeln – und er hatte keine Ahnung, warum. Jeder würde denken, dass er nicht wollte, dass sie schlecht über ihn dachte. „Also gut. Würden Sie sich bitte setzen, damit wir noch ein paar Dinge erledigen können?“ So würde wenigstens ihre untere Hälfte seinem Blick verborgen sein und sein Blutdruck würde sich wieder normalisieren.

Imogen ließ sich auf den Stuhl fallen. Joes Worte hallten noch in ihrem Kopf nach. Es bestand kein Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Während sie ihn als Bösewicht in der Angelegenheit sah, empfand er selbst sich als Helden.

Sie fragte sich, ob er womöglich recht hatte. Doch dann dachte sie daran, wie Harrys Gesicht bleich wie das Laken des Krankenhausbettes geworden war. Wie er mit vor Wut zitternder Stimme geschworen hatte, die Dinge wieder zu richten.

Sie dachte an Grahams Darlehen und daran, wie froh er darüber gewesen war, dass seine Frau zu Hause bleiben und für das Kind da sein konnte, wenn sie wollte. Daran, wie Maisey geweint hatte, als Imogen sie von unterwegs aus angerufen hatte.

All diese Leute litten wegen des Mannes, der ihr gegenübersaß.

Und doch … Joe hatte so ehrlich geklungen, als er von der Notwendigkeit von Einschnitten gesprochen hatte, vom großen Ganzen, von seinem Anliegen, Langley zu retten. Aber das war noch lange kein Grund, ihn zu mögen. Allerdings …

„Imogen!“

Sein ungeduldiger Ton riss sie aus den Gedanken.

„Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?“

„Entschuldigung. Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass es sicher ganz schön hart ist, immer als der Böse wahrgenommen zu werden“, antwortete sie.

„Stört mich nicht.“ Er lächelte schief. „Fangen Sie jetzt an, Mitleid mit mir zu haben?“

„Natürlich nicht.“ Eine absurde Vorstellung – Joe McIntyre brauchte kein Mitleid. Was er brauchte, war, dass ihn jemand gründlich schüttelte, sodass er zur Vernunft kam. Und aus ihren Träumen verschwand.

„Für heute Abend sollten wir uns zumindest vertragen. Du tust ja fast so, als wäre ich irgendein Monster, das Langley zerstören will. Frieden?“

Es durchfuhr sie wie ein Schlag, dass er plötzlich zum persönlichen Du übergegangen war. „Du?“

„Warum nicht? Schließlich verbringen wir den heutigen Abend zusammen. Es sei denn …“

In der Hoffnung, dass es ein wenig verächtlich aussah, kräuselte sie die Nase und nickte. „Okay, Frieden.“ Auch wenn ihr Instinkt ihr sagte, dass ein Waffenstillstand mit diesem Mann gefährlich war, musste sie ihm recht geben – sie konnten nicht im Streit zu dieser Verleihung gehen. „Aber ich tu nur so.“

„Verstehe“, antwortet er trocken. „Es ist nur ein vorübergehender Waffenstillstand. Können wir dann mal loslegen? Ich habe für sieben ein Taxi bestellt, und vorher würde ich gern Peters Kundenliste mit dir durchgehen.“

Eine Stunde später legte Imogen ihren Stift beiseite. „Ich glaube, das war’s.“

Sie lockerte ihre Schultern und sah zu Joe hinüber. Ein großer Fehler. Denn ihr Blick fiel direkt auf seine breiten Schultern, seinen in einem schneeweißen Hemd steckenden Oberkörper – und auf das bisschen nackte Haut, das zu sehen war, weil Joe die obersten Knöpfe des Hemdes geöffnet hatte.

Als sie den raubtierhaften Ausdruck bemerkte, der über sein Gesicht huschte, lief ihr ein erregender Schauer über den Rücken.

Joe nahm den Bogen, den sie beschrieben hatte, und warf einen Blick darauf. „Das hast du sehr gut gemacht.“

„Danke. Ich werde die Liste gleich morgen früh abtippen. In den Anmerkungen steht, worum es bei den jeweiligen Aufträgen genau ging, wie oft ein Kunde uns beauftragt hat und ein paar Details zur Person. Nicht allzu persönlich, aber …“

Bla, bla, bla. Ein einziger Blick von ihm, den sie sich höchstwahrscheinlich nur eingebildet hatte, und sie fing an, Unsinn von sich zu geben.

„Ja, aber genau die Informationen, die ich brauche, um nicht mit allen den gleichen Small Talk zu führen.“ Er starrte auf das Blatt und räusperte sich. Ob er genauso angespannt war wie sie? „Hier sieht es ja so aus, als hättest du ziemlich viel entworfen.“

„Ja … wie gesagt, ich war oft am gestalterischen Prozess beteiligt.“

„Mir war nicht klar, wie weit das ging. Warum stehen die Projekte, an denen du beteiligt warst, nicht in deinem Lebenslauf? Und warum hast du nicht versucht, mehr daraus zu machen? Ich bin sicher, dass du mit Peters Unterstützung aufs College hättest gehen können.“

„Ich habe mir meine Berufslaufbahn anders vorgestellt.“ Ihr war es das Wichtigste, gut abgesichert zu sein. Sie wollte einen Job, der ihr Spaß machte, aber nicht ihr Leben beherrschte. Denn sie wusste nur zu gut, welche fürchterlichen Folgen es haben konnte, wenn die Arbeit jemanden zu sehr vereinnahmte.

„Wieso? Du bist sehr talentiert und kannst gut mit den Kunden umgehen. Jeder, mit dem ich bislang gesprochen habe, hatte nur lobende Worte für dich – sogar Mike Anderson.“

Seine Worte gingen ihr runter wie Butter. Verwundert lächelnd fragte sie: „Wirklich? Sogar Mike Anderson?“

„Wirklich.“

Er lächelte zurück – und was für ein Lächeln. Imogen vermutete, dass er es nicht besonders oft zeigte – was sicher das Beste für die Damenwelt war. Denn es war ein Lächeln, das für weiche Knie sorgte.

Der Moment zog sich in die Länge. Schließlich fragte Joe: „Und, was denkst du?“

„Worüber?“ Konzentrier dich, Imo.

„Über einen Berufswechsel? Innerhalb der Firma, soweit das möglich ist.“

Sie überlegte, wie das wäre – die neue Imogen Lorrimer, die rote Kleider trug und als Innenarchitektin arbeitete. Von wegen. Eine Imogen Lorrimer, die sich so weit vorwagte, gab es nicht. „Nein. Ich bin zufrieden mit dem Status quo.“ Mit einem Blick auf die Uhr erhob sie sich. „Es ist schon spät. Ich muss mich noch schick machen, bevor das Taxi kommt.“

Als ein geräuschvolles Einatmen die einzige Antwort blieb, blickte sie zu Joe auf und sah, wie er sie musterte. Unwillkürlich wurde ihr ganz warm, während sie unerklärlicherweise ein wenig enttäuscht über ihre Entscheidung war, von der sie wusste, dass sie richtig war.

„Also ich finde, du siehst schon ziemlich schick aus.“

Was war das denn? Flirtete er etwa mit ihr? „Soll ich das als Kompliment auffassen?“

„Wenn du willst.“

Da war er wieder, dieser schwelende Blick. Und diesmal war Imogen sich sicher, dass sie ihn sich nicht nur eingebildet hatte. Auch wenn sie nicht wusste, wie sie den Blick interpretieren sollte.

„Auf jeden Fall ist es eine Feststellung.“

Als er sich erhob und nach seiner schwarzen Krawatte griff, die über der Stuhllehne hing, musste Imogen schlucken. Da stand er in seiner ganzen Pracht, durchtrainiert und mindestens eins fünfundachtzig groß.

„Und da du schon vor einer Viertelstunde im Bad warst, vermute ich, dass du einfach nur diesem Gespräch aus dem Weg gehen willst. Liege ich da richtig?“

Wie hypnotisiert beobachtete sie seine Hände, als er sich die Krawatte band, bevor er sich umwandte und seine Jacke nahm.

„Nein …“ Sie wollte nicht dem Gespräch aus dem Weg gehen, sondern nur dieser Anziehungskraft, die er auf sie ausübte.

„So, so.“ Er warf seine Jacke über die Schulter und kam auf sie zu. „Eine Sache noch, Imogen.“

„Und zwar?“ Ach du Schreck – er kam immer näher! Wieso ging sie nicht zur Tür, raus zum Taxi, das auf sie wartete? Stattdessen stand sie mit heftig klopfendem Herzen wie angewurzelt da.

Was für eine Wärme sein Körper ausstrahlte, wie sein Blick sie hypnotisierte! Mit angehaltenem Atem sah sie zu, wie er seine Hand hob, und als er ihre Unterlippe berührte, schoss es ihr glühend durch den Körper.

Ein Schatten huschte über sein Gesicht, als er den Arm sinken ließ und einen Schritt zurücktrat. „Vergiss nicht zu lächeln.“

3. KAPITEL

Imogen verdrückte sich in ein ruhiges Eckchen. Sie brauchte nach einer Stunde Dauerlächeln und Small Talk eine kleine Atempause.

Das Fünfsternehotel war der perfekte Ort für eine Preisverleihung. Der Festsaal war mit üppigen Blumenarrangements in Rosa- und Schockfarben geschmückt, Kronleuchter funkelten über den schwarz gekleideten Kellnern mit den magentafarbenen Krawatten, die mit Tabletts herumgingen.

Verstohlen streifte Imogen einen ihrer Schuhe ab und reckte erleichtert ihren Fuß. Dabei ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und sah inmitten der vielen schicken Menschen Joe McIntyre aufragen. Wenn es wirklich Joe war – und nicht etwa irgendein Doppelgänger.

Denn seit sie das Hotel betreten hatten, war Joe ein anderer Mensch. Der schweigsame, grüblerische Mensch, mit dem sie eben noch im Taxi gesessen hatte, war verschwunden und hatte sich in einen charmanten, weltgewandten Gentleman verwandelt.

Das Schlimmste aber war seine ständige Nähe gewesen, die flüchtigen Berührungen, während er mit ihr von Person zu Person gegangen war, um beim Small Talk anzudeuten, dass es mit Langley bergauf ging, und dabei beeindruckende Fachkenntnisse an den Tag legte.

Kein Wunder, dass sich nun ein Grüppchen weiblicher Bewunderer um ihn scharte.

„Was ist los, Imo? Warum schaust du so finster? Denkst du an den Mann, der Langley zerstören wird?“

Imogen schob rasch den Fuß in den Schuh zurück, wandte sich um und setzte ihr bestes falsches Lächeln auf. Na bravo! Der Mann, dem sie den ganzen Abend lang aus dem Weg gegangen war, der Chef von IMID, dem Hauptkonkurrenten von Langley, stand vor ihr. „’n Abend, Ivan. Wie geht es dir?“

„Bestens. Ich platze fast vor Energie. Was man von Harry und Peter ja gerade nicht sagen kann. Wie geht es den armen alten Kerlen?“

Imogen lief ein Schauer über den Rücken, als Ivan Moreton sie mit fast schon reptilienhaftem Blick musterte. Ivan hatte weder moralische Prinzipien noch Skrupel, und er hatte so oft auf hinterlistige Weise versucht, Langley die Kunden wegzunehmen, dass sie aufgehört hatte, mitzuzählen.

Seine Methoden waren ruchlos, aber legal. Dass er jetzt hier stand und so tat, als würde er sich um Harry und Peter sorgen, brachte ihr Blut zum Kochen. Zumal er aussah, als müsste er sich sehr zusammenreißen, um sich nicht zufrieden die Hände zu reiben. „Sie sind auf dem Weg der Besserung, danke. Wenn ich ihnen sage, dass du dich nach ihnen erkundigt hast, kehren sie sicher noch schneller in die Firma zurück.“

„Wenn es dann noch eine Firma gibt“, antwortete Ivan mit einer Handbewegung in Joes Richtung. „Vielleicht hat Mr McIntyre sie ja bis dahin verkauft.“

„Das würde Joe nicht tun.“ Imogen kniff die Lippen zusammen, hatte ihre Stimme eben etwa ehrfürchtig geklungen? Oh Gott

Ivan hob die Brauen. „Selbst Joe McIntyre macht Fehler. Graham Forrester arbeitet jetzt für mich. Stell dir das vor, ihm eine Gehaltskürzung vorzuschlagen. Graham hat gesagt, dass man ihn nie zuvor so beleidigt hat.“

Imogen blinzelte. Tatsächlich konnte sich Graham keine Gehaltskürzung leisten. Aber Peter hatte Graham den Durchbruch ermöglicht. Konnte man da nicht von Graham erwarten, zumindest nicht direkt bei Langleys gefährlichstem Konkurrenten anzuheuern?

Imogen trat einen Schritt zurück. Während sie nachgedacht hatte, war Ivan ihr unangenehm nah gekommen. Schon spürte sie die kühle Wand am Rücken: Wenn er noch näher käme, müsste sie ihm wohl oder übel eins auf die Nase geben oder zutreten. „Joe wird die Firma nicht verkaufen“, erwiderte sie. „Es geht Langley sehr gut.“

„Träum weiter, Imo. Aber du gefällst mir.“

Als ihr sein nach Zigaretten und Alkohol riechender Atem entgegenschlug, drehte sie den Kopf weg.

„Wenn ich Langley kaufe, werde ich für dich ein Extra-Gebot einreichen.“

Uä. Lieber wäre es ihr gewesen, eine Szene zu vermeiden, aber das hier ging zu weit. Sie würde zutreten …

„Das wirst du mit mir besprechen müssen, Ivan.“

Als sie Joes Stimme hörte, atmete Imogen erleichtert auf.

Ivan wandte sich Joe zu und reichte ihm die Hand. „Joe, mein Freund! Wie geht es dir? Imogen und ich haben gerade …“

„Ich weiß genau, was du gerade gemacht hast, Ivan, und ich würde es sehr begrüßen, wenn du das künftig unterlassen könntest.“

Ivan sah zwischen ihnen hin und her. „Willst du sie für dich selbst, mein Freund?“

Imogen keuchte auf – und betete, dass es empört klang und nicht hoffnungsvoll.

„Nein“, erwiderte Joe und machte lächelnd einen Schritt auf Ivan zu. „Aber wenn du über Langley verhandeln willst, musst du schon zu mir kommen.“

Der Innenarchitekt warf sein blondiertes Haar aus dem Gesicht und trat einen Schritt zurück. „Das werde ich. Ich bin sehr interessiert.“ Damit wandte er sich um und ging.

„Alles okay?“

„Ja, alles okay“, antwortete Imogen. „Ivan Moreton ist ein widerlicher Kerl, und wenn du nicht aufgetaucht wärest, hätte er einen meiner Pfennigabsätze zu spüren bekommen.“

Diesmal war das Lächeln von Joe echt und ließ einen Schwarm Schmetterlinge in Imogens Bauch auffliegen.

„Gleich wird die Rede gehalten“, sagte Joe.

Was bedeutete, sie hatte keine Zeit, ihm zu sagen, dass es nicht infrage kam, Langley an IMID zu verkaufen. Aber es war wohl ohnehin besser, das nicht zu tun, solange Ivan in der Nähe war. „Ich schicke Richard eine SMS.“

„Warum? Ist er nicht mit seiner Liebsten in Paris?“

„Doch. Aber er würde uns gern unterstützen, und ich habe daher eine Videokonferenzschaltung organisiert.“

„Grandiose Idee. Kommt die von dir?“

Da war sie wieder, diese Wärme in seinen Worten. Sie musste sich abgewöhnen, so sehr nach Anerkennung zu lechzen. Nur, weil sie als Kind so selten gelobt worden war, brauchte sie nicht so überzureagieren, wenn sie ein positives Feedback bekam. „Danke“, antwortete sie so kühl wie möglich und beugte sich rasch über ihr Handy, um ihr Erröten zu verbergen.

Eine Minute später kam die Antwort-SMS. „Sehr gut.“

„Was?“

„Richard schreibt, dass er und Crystal eine Wohnung in Paris gekauft haben und wollen, dass Langley ihm ein Angebot macht.“ Sie scrollte herunter und las den Rest der SMS. „Er will uns – also mich und dich – Freitag in Paris treffen.“

Mit Joe nach Paris. Ach du liebe Zeit.

Um sie herum wurde applaudiert, als der erste Sprecher die Bühne betrat.

„Fantastisch. Dann solltest du wohl schleunigst Tickets für den Eurostar buchen.“

War das alles, was er dazu zu sagen hatte? War sie die Einzige, die das nervös machte? Natürlich. Sie war ja auch die Einzige, die komisches Zeug träumte.

Imogen wandte sich ab und versuchte, sich auf den Sprecher zu konzentrieren. Den Rest des Abends würde sie ausschließlich an Innenarchitektur denken. Und nicht mehr an den Mann, der neben ihr saß.

„Paris?“ Mel, schon im Pyjama, starrte Imogen ungläubig an. „Du fährst mit Joe McIntyre nach Paris?“

„Ja.“ Imogen saß auf dem Sofa und nippte an ihrer heißen Schokolade. „Ist das nicht absurd? Ich habe Steve regelrecht angebettelt, mit mir nach Paris zu fahren, aber Pustekuchen. Weil es ihn zu sehr an Simone erinnern würde.“ Nur ungern erinnerte sie sich daran, wie sie nach einer Kreuzfahrt gesucht hatte, bei der keine Ziele angefahren wurden, die ihn an Simone erinnert hätten. Und nun unternahm er die Reise, die Imogen mit ihrem sauer verdienten Geld bezahlt hatte, mit Simone. Unfassbar.

„Es ist doch viel besser, mit einem heißen Typen wie Joe nach Paris zu fahren als mit Steve“, bemerkte Mel.

„Na ja“, erwiderte Imogen. „Ganz egal, wie heiß er ist – es gibt wichtigere Eigenschaften an einem Mann.“ Freundlichkeit, Beständigkeit, Loyalität, Verlässlichkeit, das war es, was sie sich von einem Partner wünschte.

Mel schüttelte den Kopf. „Nicht für einen Ausflug nach Paris.“

„Das ist kein Ausflug. Es ist eine Geschäftsreise. Wir bleiben nicht einmal über Nacht. Morgen ist Joe nicht im Büro. Wir fahren am Freitag von St. Pancras und kommen sofort nach dem Treffen zurück.“

„Und? Warum buchst du nicht aus Versehen falsche Tickets? Dann würdet ihr in einem romantischen Hotel übernachten müssen und …“

„… und ich wäre meinen Job los.“ Allerdings war die Vorstellung verlockend … Imogen trank ihre Tasse leer. „Ich muss ins Bett.“

„Ach, vor lauter Paris habe ich ganz vergessen, dir zu sagen, dass deine Mutter angerufen hat“, rief Mel. „Sie meinte, es sei dringend. Nicht so dringend“, fügte sie rasch hinzu, als sie Imogens besorgten Gesichtsausdruck sah. „Aber du sollst sie zurückrufen, egal, wie spät es wird.“

Imogen seufzte. Darauf hatte sie jetzt gar keine Lust, aber Eva Lorrimer hasste es, wenn man sie warten ließ. Also griff Imogen nach ihrem Telefon und rief ihre Mutter an. „Hey, Mum. Ich bin’s.“

„Na endlich.“

„Tut mir leid. Die Preisverleihung hat lange gedauert.“

„Ich hoffe nur, dass deine Anwesenheit dort bedeutet, dass du deine Stelle behältst, Imogen. Sieh zu, dass du bei Joe McIntyre Eindruck machst. Egal wie. Gute Sekretärinnen gibt es wie Sand am Meer, und jetzt, wo du es geschafft hast, Steve zu vergraulen, musst du dich irgendwie selbst über Wasser halten, und …“

„Mum. Mel meinte, es sei dringend.“ Ihrer Tochter all ihre Fehler vorzuhalten konnte nicht so wichtig sein, dass es mitten in der Nacht passieren musste. Selbst für Eva nicht.

„Es ist dringend. Steve hat Simone auf dieser Kreuzfahrt einen Heiratsantrag gemacht.“

Imogen war wie vor den Kopf geschlagen. Das konnte doch nicht sein. „Woher weißt du das?“

„Clarissa hat angerufen und es mir erzählt.“

Das wurde ja immer besser. Imogen unterdrückte ein Stöhnen. Clarissa, Steves Mutter, war eine alte Schulfreundin von Eva. Wenn man das Freundin nennen konnte. Denn ganz sicher hatte sie aus lauter Schadenfreude angerufen.

„Es ist auch schon im Netz“, fügte Eva hinzu. „Simone hat sogar eine Nachricht gepostet, in der sie dir für die tolle Reise dankt.“

Na toll. Jetzt würde sie auch noch zum öffentlichen Gespött werden. Welch eine Erniedrigung!

Eva seufzte. „Du hättest jetzt an ihrer Stelle sein können, wenn du dich etwas geschickter angestellt hättest. Du hättest einen Mann, auf den du dich verlassen könntest, einen Mann, der dich unterstützen und dir Sicherheit geben würde. Du hättest dich mehr ins Zeug legen müssen, um ihn zu halten, Imogen.“

Und zwar wie? Sie hatte alles Erdenkliche getan, um Steve glücklich zu machen. Doch anstatt sich wie üblich Vorwürfe zu machen, spürte Imogen plötzlich Wut in sich aufsteigen. Der Dreckskerl hatte es tatsächlich gewagt, auf der Kreuzfahrt, die sie bezahlt hatte, einer anderen Frau einen Heiratsantrag zu machen? Was würde als Nächstes kommen? Würde er ihr die Rechnung für den Verlobungsring zusenden? „Nein, Mum, ich finde eher, dass ich froh sein kann, ihn los zu sein.“

„Steve war das Beste, was dir je passiert ist, Imogen. Natürlich, noch lieber wäre es mir gewesen, wenn du eine Blitzkarriere bei der Bank hingelegt hättest, aber das Zweitbeste wäre doch eine Ehe mit einem Mann gewesen, der …“

Imogen wartete einen günstigen Moment ab, um ihre Mutter zu unterbrechen. „Mum, ich verstehe ja, dass du enttäuscht bist, aber ich bin todmüde. Lass uns morgen darüber reden.“

Nach einem Blick auf die Uhr sah sich Joe um. Es ging ziemlich chaotisch zu am Bahnhof. Aber keine Spur von Imogen. Wo zum Kuckuck mochte sie sein?

Ah. Da war sie – mit einer Aktentasche in der einen Hand und einem Kaffee in der anderen kam sie auf ihn zu. Sie trug ein taubengraues Kostüm und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.

„Entschuldige die Verspätung.“

Joe runzelte die Stirn. Es klang nicht, als täte es ihr tatsächlich leid. Fast hätte er etwas gesagt, aber Imogen kam ihm so … Er warf einen Blick auf ihren Kaffee, als sie den Deckel löste – er war voll. Und doch wirkte sie irgendwie unter Strom – sie warf ihre Aktentasche mit zu viel Schwung auf einen Stuhl und wippte nervös mit dem Fuß. Irgendetwas musste passiert sein in den eineinhalb Tagen, die sie sich nicht gesehen hatten. Aber Imogens Privatleben ging ihn nichts an. Weshalb er nicht fragen würde, was los war – er würde sich ans Geschäftliche halten. „Macht nichts. Wir müssen ja erst in drei Minuten einsteigen.“

Den Blick auf ihren Rücken geheftet folgte er Imogen in den Eurostar.

Joe wartete, bis Imogen ihre Aktentasche neben sich verstaut hatte, bevor er sich ihr gegenübersetzte. Ihr Blick sagte noch immer deutlich, dass mit ihr gerade nicht zu spaßen war.

„Könntest du mir etwas mehr zu dem Treffen mit Richard Harvey erzählen? Hat er irgendetwas Näheres zu dem Projekt gesagt?“

„Nein. Ich weiß nur, dass es um ein Objekt in Paris geht. Und dass auch Graham sich um den Auftrag bewirbt.“ Sie hielt inne. „Apropos Graham – du hast doch nicht etwa vor, Langley an Ivan zu verkaufen, oder?“

Verdammt. Er hatte gehofft, dass sie das vergessen hatte. Vielleicht war das der Grund für ihre feindselige Haltung. „Darüber kann ich mit dir nicht reden.“

„Aber das kannst du doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen. Das würde Harry umbringen.“

„Wenn ich ein Kaufangebot bekomme, muss ich es in Erwägung ziehen.“

Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas einwenden, atmete aber nur tief ein. „Okay. Gut. Da es ja offenbar nichts bringt, an deine Herzensgüte zu appellieren, bitte ich dich, mir zu verraten, was ich tun kann, um einen Verkauf zu verhindern. Denn ich würde lieber verhungern, als für Ivan zu arbeiten.“

Das konnte er ihr kaum verdenken, auch ihm widerstrebte die Vorstellung. Aber wenn es das Beste für Langley wäre, die Firma zu verkaufen, dann würde er das tun. Und basta. „Das bleibt dir überlassen. Meine Entscheidung hängt allein davon ab, was das Beste für Langley als Unternehmen ist.“

Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an. „Wenn wir den Zuschlag für die Sache in Paris bekommen, würde das Langley vor Ivan bewahren?“

„Kommt drauf an, wie umfangreich der Auftrag ist. Aber es wäre auf jeden Fall hilfreich.“

„Und du wirst mich dabei unterstützen, den Auftrag an Land zu ziehen? Und hast nicht etwa schon entschieden, dass die Firma verkauft wird?“

Wieso begriff sie nicht, dass seine Entscheidung nichts mit ihr zu tun hatte? „Könnten wir das Thema Verkauf bitte fallen lassen und uns stattdessen darauf konzentrieren, den Zuschlag für das Projekt zu bekommen? Kannst du mir zum Beispiel ein wenig mehr über Richard Harvey erzählen? Bringt er Ehefrau Nummer sieben mit?“

„Ja. Wie ich dir bereits gesagt habe, ist ihr Name Crystal. Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du kein großes Ding daraus machen würdest, dass sie die Nummer sieben ist.“

Joe schnaubte. „Danke für den Hinweis. Ich hatte eigentlich vor, mir von all seinen Frauen erzählen zu lassen und sämtliche Hochzeitsbilder anzusehen.“ Er seufzte. „Nein, ich werde dem Thema ‚Hochzeit‘ tunlichst aus dem Weg gehen.“

„Das wird schwer werden. Richard redet sehr gerne über Hochzeiten. Wie gesagt – er ist ein hoffnungsloser Romantiker. Sein Traum ist endlich in Erfüllung gegangen – er hat die Richtige gefunden. Also hältst du dich auch besser mit deiner Theorie zurück, dass man nicht ewig an unerfüllbaren Träumen festhalten sollte.“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Obwohl ich anfange, mich zu fragen, ob du damit nicht doch recht hast.“

„Ich? Recht? Wunder geschehen.“ Jetzt war er doch zu neugierig geworden. „Wie kommst du darauf?“

„Ach, früher habe ich davon geträumt, Künstlerin zu werden, und habe mir vorgestellt, wie ich in Paris an der Staffelei stehe, an der Royal Academy studiere, in Italien auf den Spuren der alten Meister wandele, in Rom ausstelle …“ Sie hielt inne. „Absurd.“

Doch Joe wusste, wie es war, seine Träume aufzugeben. Einen Moment lang hatte er sich in die Zeit zurückversetzt gefühlt, als ihm noch alle Möglichkeiten offengestanden hatten. Er hatte die Meeresbrise gerochen, das Salzwasser geschmeckt und sich an das Hochgefühl erinnert, das ihn beim Wellenreiten stets ergriffen hatte. Diese unfassbare Freiheit, das Wissen, dass er die Meisterschaften gewinnen würde, gesponsert werden würde, dass er …

Doch dann war er mit Verlust, Entbehrungen und einem Berg von Verantwortung konfrontiert worden.

Aber er wurde nur ungern daran erinnert. Obwohl die Entscheidungen, die er damals getroffen hatte, richtig gewesen waren und es keinen Grund gab, irgendetwas zu bedauern. Seine Schwestern hatten ihn gebraucht, das war das Einzige, was gezählt hatte. Joe schob die Vergangenheit beiseite und konzentrierte sich auf Imogen – auf die dunklen Strähnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten und die ihr ovales Gesicht umrahmten. Auf ihre graublauen Augen, ihre gerade Nase und ihre vollen Lippen.

„Und? Was ist aus den Träumen geworden?“, fragte er ruhig. Waren sie wie seine eigenen Träume in Rauch aufgegangen?

Sie griff nach ihrer Tasse und sah seinen Mund an. „Die Vernunft hat gesiegt. Ich musste ja von irgendetwas leben … Egal, wie romantisch das Künstlerleben in einer Dachkammer auch sein mag – ich esse einfach zu gern. Darum habe ich beschlossen, Sekretärin zu werden. Und ich bin glücklich damit.“

Einen Moment lang war Joe versucht, ihr zu widersprechen. Denn sie wirkte nicht besonders glücklich. Aber das ging ihn nichts an.

„Gut“, antwortete er stattdessen. „Falls dir wegen Richard noch irgendetwas einfällt, was uns helfen könnte, lass es mich wissen.“

„Ich kann dir gern ein wenig mehr über ihn erzählen, wenn du meinst, dass das etwas nützt. Er ist sehr großzügig, fast schon zu großzügig. Er geht ziemlich verschwenderisch mit Geld um, das kann manchmal ein bisschen angebermäßig rüberkommen. Und er ist empfindlich und fühlt sich leicht persönlich angegriffen. Außerdem ist er ziemlich exzentrisch. Es gibt eine Geschichte, da hat er die Kreativdirektoren von drei verschiedenen Werbeagenturen zusammen in einen Raum gesperrt und ihnen eine Stunde Zeit gegeben, einen knackigen Slogan zu finden. Weil er es leid war, sich in stundenlangen Meetings Vorschläge und Statistiken präsentieren zu lassen.“

Das war immerhin schon einmal etwas. Joe trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Welche weiteren Informationen konnten hilfreich sein? „Warst du schon mal in Paris?“

„Nein.“

„Und Graham?“

Sie runzelte die Sti...

Autor

Nina Milne
<p>Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten. Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...
Mehr erfahren
Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
Mehr erfahren
Caroline Anderson
<p>Caroline Anderson ist eine bekannte britische Autorin, die über 80 Romane bei Mills &amp; Boon veröffentlicht hat. Ihre Vorliebe dabei sind Arztromane. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt und sie lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Suffolk, England.</p>
Mehr erfahren