Julia Extra Band 272

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DIE WEIHNACHTSBRAUT von JORDAN, PENNY
Für eine glamouröse Weihnachtsparty auf einem Schloss in den Bergen braucht Matilda einen Mann! Sie engagiert den attraktiven Silas Stanway: Er soll ihren Verlobten spielen. Doch in dem romantischen Turmzimmer mit einem Himmelbett für zwei erwacht plötzlich echte Leidenschaft ...

WINTERMÄRCHEN IN NEW YORK von MARTON, SANDRA
Winter in Vermont: Tally kann ihren Ex-Geliebten, den Millionär Dante Russo, nicht vergessen. Jedes Lachen ihrer kleinen Tochter erinnert sie an ihn ... Winter in New York: Dante schmiedet einen Plan, wie er Tally zurückerobern kann. Weihnachten in der City: ein Fest der Liebe?

GLAUB AN DAS WUNDER DER LIEBE von MCMAHON, BARBARA
Hat ihre Ehe mit Jake noch eine Chance? Viel zu oft lässt er sie allein. Über Weihnachten will Cath eine Entscheidung treffen und zieht vor-übergehend aufs Land. Doch kaum fallen die ersten Flocken und verwandeln die Welt in ein weißes Wintermärchen, da steht Jake vor der Tür ...

EIN NEUES JAHR - EIN NEUES GLÜCK? von MONROE, LUCY
Vier, drei, zwei, eins - frohes neues Jahr! Die Champagnergläser klingen, und dann spürt die schüchterne Hope die Lippen des faszinierenden Luciano di Valerio auf ihrem Mund. Nur ein Silvesterkuss ihres heimlichen Traummannes - oder der verheißungsvolle Beginn einer großen Liebe?


  • Erscheinungstag 12.09.2007
  • Bandnummer 272
  • ISBN / Artikelnummer 9783863490874
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton

Wintermärchen in New York

Schnee in New York, Schlittenfahrt im Central Park – bald ist Weihnachten! Doch noch immer weiß Tally nicht: Warum will ihr Ex-Geliebter Dante unbedingt, dass sie das Fest mit ihm verbringt?

Penny Jordan

Die Weihnachtsbraut

Tausend Kerzen brennen an dem großen Weihnachtsbaum in der Schlosshalle, als der attraktive Silas die zarte Matilda voller Leidenschaft küsst. Dabei sollte er nur ihren Verlobten spielen ...

Lucy Monroe

Ein neues Jahr – ein neues Glück?

Heimlich schwärmt die schüchterne Hope für den gut aussehenden Luciano di Valerio, der sie kaum beachtet. Bis er sie auf einer Silvesterparty heiß umwirbt. Erfüllt sich jetzt ihr größter Traum?

Barbara McMahon

Glaub an das Wunder der Liebe

Besinnlich und ganz allein will Cath das Weihnachtsfest verbringen – ihre Ehe mit Jake steht nach sechs Jahren vor dem Aus. Doch in der Stillen Nacht geschieht ein kleines Wunder ...

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Sandra Marton

Wintermärchen in New York

1. KAPITEL

Man hatte sich alle Mühe gegeben, den Ballsaal des Hotels in ein weihnachtliches Märchenland zu verwandeln.

Von der Decke hingen mit Lametta geschmückte immergrüne Girlanden, an künstlichen weißen Weihnachtsbäumen glitzerten unzählige goldene Lichter. Und für Mitternacht hatte sogar der Weihnachtsmann seinen Besuch angekündigt, um teuren Tand in die gut gekleidete, unverschämt reiche Menge zu werfen.

Der erste New Yorker Wohltätigkeitsball der Weihnachtssaison war das Ereignis.

Dante Russo kannte das alles. Und es langweilte ihn tödlich. Die vielen Menschen, der Lärm, die aufdringlichen Statussymbole … Obwohl ihn in letzter Zeit aus unerfindlichem Grund alles langweilte. Auch – und vielleicht sogar besonders – die Exaltiertheit seiner derzeitigen Geliebten.

Sie hing wie eine Klette an ihm und rief ständig: „Oh, Dante, Darling, oh, oh, oh … ist das nicht zauberhaft?“

Zauberhaft schien an diesem Abend überhaupt ihr Lieblingswort zu sein: für die Dekoration, das Orchester, den Tisch, an dem sie saßen, und die Gäste.

Vor einem Monat hatte er Charlottes Überspanntheiten noch ganz lustig gefunden, aber das war Geschichte. Eine Stunde musste er noch durchhalten, dann konnte er langsam den Aufbruch vorbereiten. Am besten war wohl, für den nächsten Tag eine frühmorgendliche Besprechung vorzuschützen, aber Charlotte würde natürlich trotzdem protestieren. Weil es bedeutete, dass sie den Weihnachtsmann verpassten. Dante würde sie damit trösten, dass ihr der Weihnachtsmann morgen eine ganz besondere Überraschung bringen würde: eine kleine Samtschatulle von Tiffany, wenn auch nicht vom Weihnachtsmann persönlich, sondern von einem Kurierdienst ins Haus geliefert.

Und ich werde dafür sorgen, dass diese Schatulle etwas ganz Zauberhaftes enthält, spöttelte Dante in Gedanken. Etwas, das nicht nur eine Entschädigung für einen vorzeitig beendeten Abend ist, sondern zugleich ein Abschiedsgeschenk.

Sein Interesse an Charlotte war verflogen. Er ahnte es seit Tagen, jetzt war er sich sicher. Blieb nur zu hoffen, dass er einen sauberen Abgang schaffte. Er hatte es sich zur Regel gemacht, bei seinen jeweiligen Partnerinnen von Anfang an nie einen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass er an einer dauerhaften Beziehung nicht interessiert war, allerdings gab es immer wieder Frauen, bei denen die Botschaft nicht ankam.

„Dante, Darling?“

Er schrak aus seinen Gedanken auf. „Ja, Charlotte?“

„Du hörst ja gar nicht zu!“

„Entschuldige. Ich … habe morgen früh eine wichtige Besprechung und …“

„Dennis und Eve erzählen gerade von ihrem Haus in Colorado.“

„Ja, ich weiß. In Aspen, richtig?“

„So ist es“, bestätigte Eve mit einem müden Aufseufzen. „Es ist zwar immer noch herrlich dort …“

„Zauberhaft“, pflichtete Charlotte eifrig bei.

„Trotzdem ist es nicht mehr das, was es mal war. Diese Touristenmassen …“

Dante gab sich redlich Mühe zuzuhören, trotzdem schweiften seine Gedanken immer wieder ab. Was war heute Abend bloß los mit ihm? Sich von seinen Gefühlen treiben zu lassen war grundsätzlich ein Fehler. Jeder, der das tat, war ein Idiot.

Diese Überzeugung hatte er sich schon frühzeitig zu eigen gemacht, und bisher war er stets gut damit gefahren. Immerhin hatte sie ihn von der Gosse in Palermo ins oberste Stockwerk eines Büroturms in Manhattan gebracht.

Mit zweiunddreißig Jahren leitete Dante ein internationales Imperium, besaß Häuser auf zwei Kontinenten, verfügte über einen Mercedes mit Chauffeur sowie ein Privatflugzeug, und jede Frau, die er wollte, bekam er auch.

Letzteres hatte allerdings weniger mit Geld zu tun als mit seiner Erscheinung und seinem Auftreten. Er war groß und schlank, hatte den durchtrainierten Körper eines Athleten und Gesichtszüge, die an Michelangelos David erinnerten. Darüber hinaus stand er in dem Ruf, im Schlafzimmer nicht weniger beeindruckend zu sein als im Konferenzraum.

Mit anderen Worten, Dante besaß alles, was sich ein Mann nur wünschen konnte, einschließlich der Gewissheit, dass sein Leben genauso gut ganz anders hätte verlaufen können. Das war eine Tatsache, der er sich stets bewusst war. Und das war gut so, denn nur so blieb er wachsam. Er lag immer auf der Lauer. Nichts, was sich um ihn her tat, entging ihm.

Normalerweise. Nur heute Abend war es anders. Heute Abend war er fahrig und unkonzentriert. Die Unterhaltung bei Tisch ging völlig an ihm vorbei, sie interessierte ihn schlicht nicht. Ab und zu nahm er von Charlotte ein Stichwort auf und reagierte automatisch, indem er nickte, lächelte, ja, sogar lachte, wenn es ihm angebracht erschien.

Es ärgerte ihn, dass er so zerstreut war. Obwohl … zerstreut war das falsche Wort. Er fühlte sich … wie? Rastlos … angespannt. Als würde bald etwas passieren. Irgendetwas, mit dem er nicht gerechnet hatte – was natürlich völlig unmöglich war. Er rechnete grundsätzlich immer mit allem.

Bis auf dieses eine Mal. Dieses eine …

„Dante, Darling, du lieber Himmel, wo bist du denn?“

Charlotte beugte sich zu ihm herüber und gewährte ihm dabei einen großzügigen Einblick in ihr Dekolleté. Sie lächelte, aber er sah ihr an, dass sie beunruhigt war.

„So ist er immer, wenn er wieder mal irgendeinen verheerenden geschäftlichen Coup plant“, erklärte sie gespielt munter. „Was ist es denn diesmal, Dante, Darling?“ Sie erschauerte leicht. „Irgendetwas ganz Schlimmes, Blutiges … und schrecklich Aufregendes?“

Dante stimmte in das allgemeine höfliche Lachen ein und gratulierte sich im Stillen zu seiner Entscheidung, Charlotte den Laufpass zu geben. In den letzten beiden Wochen hatte sich bei ihm ein Gefühl der Langeweile breitgemacht, während Charlotte immer mehr geklammert hatte. Warum hast du dich nicht gemeldet? Wo warst du, als ich angerufen habe? Sie hatte mit diesem törichten Dante, Darling angefangen, und jetzt versuchte sie sogar, den falschen Eindruck einer Intimität zwischen ihnen zu erwecken, die er niemals zugelassen hätte.

Weder mit ihr noch mit irgendeiner anderen Frau, nicht einmal mit …

„… schrecklich gern die Feiertage in Aspen verbringen, nicht wahr, Dante, Darling?“

Dante rang sich ein Lächeln ab. „Entschuldige … was?“

„Dennis und Eve haben uns nach Aspen eingeladen“, gurrte Charlotte. „Und ich habe zugesagt.“

Dante versuchte sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. „Aha.“

„Ja. Ich meine, wir sind doch Weihnachten zusammen, oder? Warum sollten wir es ausgerechnet an so einem Tag nicht sein?“

„Gute Frage“, erwiderte er nach einer längeren Pause. Dann stand er lächelnd auf. „Tanzen wir?“

Sie schien ihm angesehen zu haben, dass irgendetwas nicht stimmte, weil sie sagte: „Warte … gleich. Lass uns vorher erst noch schnell überlegen, wie wir das mit Weihnachten machen, okay? Wann wir fliegen, wie lange wir bleiben wollen und so …“

Dante nahm sie wortlos bei der Hand, zog sie vom Stuhl hoch und führte sie zur Tanzfläche. In diesem Moment begann das Orchester einen Walzer zu spielen.

„Du bist böse“, sagte sie mit dieser Kleinmädchenstimme.

„Nein.“

„Doch, ich kann es dir ansehen. Aber du bist selbst schuld. Überleg doch mal, Dante. Sechs Wochen sind wir jetzt schon zusammen! Es wird wirklich langsam Zeit, dass wir den nächsten Schritt machen.“

„Den nächsten Schritt wohin?“, fragte er in ausdruckslosem Ton.

„Du weißt, was ich meine. Eine Frau erwartet einfach …“

„Und du weißt, was du von mir nicht erwarten kannst, Charlotte“, stieß er zwischen zusammengepressten Lippen hervor. „Trotzdem machst du einfach Pläne, ohne mich vorher zu fragen.“ Er tanzte mit ihr quer über die Tanzfläche zu einer ruhigen Ecke. „Mit einem allerdings hast du recht: Es wird wirklich Zeit, dass wir den nächsten Schritt machen.“

„Was ist los? Du willst doch nicht etwa Schluss machen?“ Als er nicht antwortete, bildeten sich zwei runde rote Flecken auf ihren Wangen. „Oh, du Schuft“, flüsterte sie.

„Das bin ich, aber es ändert nichts. Du bist eine schöne Frau. Schön und charmant. Und obendrein auch noch intelligent. Du wusstest von Anfang an, wie unsere Geschichte endet.“

Sein Ton war jetzt moderater. Immerhin hatte er nur sich selbst etwas vorzuwerfen. Er hätte die Zeichen deuten und erkennen müssen, dass Charlotte sich in einer trügerischen Hoffnung wiegte – obwohl er ihr nie Anlass dazu gegeben hatte.

Wie die meisten Frauen, dachte er. Bis auf … Er biss die Zähne zusammen und zwang sich, bei der Sache zu bleiben.

„Es war schön mit dir. Wir hatten miteinander eine gute Zeit.“

Charlotte entriss ihm ihre Hand. „Lass mich!“

„Wenn du unbedingt eine Szene machen willst, bitte“, sagte er deutlich kühler. „Tu dir keinen Zwang an.“

Sie kniff die Augen zusammen.

„Such es dir aus, bella“, fuhr er wieder sanfter fort. „Gehen wir als Freunde auseinander oder als Feinde?“

Sie zögerte. Dann rang sie sich ein Lächeln ab. „Der Versuch ist schließlich nicht strafbar, oder?“ Immer noch lächelnd ließ sie die Hände über das Revers seines Smokingjacketts gleiten. Er ließ es zu, weil er wusste, dass die Geste für diejenigen bestimmt war, die sich die Show nicht entgehen ließen. „Aber du bist wirklich grausam, Dante, Darling. Sonst würdest du mich vor meinen Freunden nicht so demütigen.“

„Ist das dein Problem? Was die anderen von dir denken könnten?“ Dante zuckte die Schultern. „Dem lässt sich abhelfen. Gehen wir einfach an den Tisch zurück und beschließen den Abend auf eine angenehme Art und Weise, okay?“

„Ja, gut, aber … Dante?“ Sie befeuchtete ihre Lippen. „Nur eins noch.“

„Was denn?“, fragte er, schon wieder leicht ungeduldig.

„Na ja, es ist doch so … Natürlich weiß ich, dass du nicht an die ewige Liebe glaubst, Darling, ich tue es ja auch nicht.“ Sie legte eine Kunstpause ein. „Trotzdem könnten wir miteinander ein aufregendes Leben führen.“

Verdammt noch mal! Kapierte sie es denn immer noch nicht? Obwohl, in gewisser Hinsicht wäre sie tatsächlich die perfekte Ehefrau, das musste er zugeben. Sie würde von ihm nicht mehr als oberflächliche Aufmerksamkeit verlangen und bei gelegentlichen Affären garantiert ein Auge zudrücken, außerdem würde sie sich nicht in sein Leben einmischen, solange er sie nur mit ausreichend Geld versorgte. Vor allem aber würde sie sich nie so in den Vordergrund spielen, dass in seinem Kopf für nichts anderes mehr Platz war.

Das war bisher nur einer einzigen Frau gelungen … und eigentlich war sie noch immer da. Diese überraschende Erkenntnis war ein Schock. Er spürte, wie sich seine Muskeln anspannten, als hätte sein Organismus vor, das gesamte Adrenalin, das er produzieren konnte, auf einen Schlag auszuschütten.

„Oh, um Himmels willen“, sagte Charlotte, „sieh mich nicht so an! Ich habe doch bloß Spaß gemacht.“

Er wusste, dass sie schwindelte, aber er ließ sie damit durchkommen.

Als sie an den Tisch zurückkehrten, begrüßte Eve sie mit einem Lächeln. „Na, wie steht’s?“, fragte sie. „Sehen wir uns in Aspen?“

Es dauerte einen Moment, bis Dante es schaffte, die unerwünschten Erinnerungen, die ihm durch den Kopf schossen, zu verdrängen. Erinnerungen an eine Frau, die er glaubte längst vergessen zu haben.

„Tut mir leid“, erwiderte er höflich, „aber ich fürchte, wir schaffen es nicht.“

Charlotte warf ihm einen dankbaren Blick zu, während sie sich wieder setzte. Er stand noch und drückte kurz ihre Schulter.

„Ich bin gleich zurück.“

„Genehmigen Sie sich eine Zigarre?“, fragte Eves Mann Dennis. „He, Russo, warten Sie! Ich leiste Ihnen Gesellschaft.“

Doch Dante bahnte sich bereits einen Weg durch die Menge, hin zum Ausgang. Er stieß die Tür auf und fand sich auf einem schmalen Flur wieder. Eine überraschte Kellnerin stieß fast mit ihm zusammen, murmelte eine Entschuldigung und klärte ihn hastig auf, dass er falsch abgebogen sei.

Er nahm eine andere Tür, dann lief er einen kurzen Flur hinunter, landete beim Lieferanteneingang und betrat einen Hof, wo er den Kopf zurücklegte und die kalte Nachtluft tief einsog.

Dio, er musste übergeschnappt sein. Nach all dieser Zeit war sie immer noch da. Taylor Sommers, die er seit drei Jahren nicht gesehen hatte, ging ihm heute Abend im Kopf herum, und wahrscheinlich nicht nur heute, sondern schon die ganze Zeit. Wie hatte ihm das bloß entgehen können?

Weil du es nicht wissen wolltest, sagte ihm eine innere Stimme.

Er biss die Zähne zusammen. Nein, dachte er grimmig, nein. Das war nicht sie, sondern Wut – jahrelang aufgestaute Wut, die sich jetzt ohne Vorwarnung Bahn brach, zusammen mit all den sorgfältig begrabenen Erinnerungen.

Erinnerungen nicht an Taylor. Nicht daran, wie es mit ihr gewesen war. Höchstens an ihr Flüstern im Bett.

Ja, Dante, ja … komm … oh, ja, … bitte, bitte, komm …

Er stöhnte. Der Drang, mit ihr vereint zu sein, war wie eine Droge gewesen. Jetzt erinnerte er sich wieder. Aber darüber war er längst hinweg, schon zu dem Zeitpunkt, als sie ihn verlassen hatte, war er darüber hinweg gewesen.

Nur das Ende machte ihm so zu schaffen. Dass sie schneller gewesen war als er. Dabei hatte ja eigentlich er sie verlassen wollen. Leider hatte er ihr nie sagen können: „Du bist mir nur zuvorgekommen, cara, mehr nicht. Du hast unsere Affäre beendet, bevor ich es tun konnte.“

Dass es dazu nie gekommen war, machte ihn wahnsinnig. Vielleicht war es ja erbärmlich, dass ihm das so wichtig war … aber so war es nun einmal. Ganz offensichtlich, sonst würde er jetzt nicht hier draußen in der Kälte herumstehen, auf einen Haufen leerer Pappkartons starren und sich endlich eingestehen, dass er seit jenem Abend eine Riesenwut im Bauch hatte. Seit diesem Abend Ende November vor drei Jahren, der genauso kalt gewesen war wie der heutige, als Taylor ihm auf seinem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen hatte.

„Dante“, hatte sie gesagt, „tut mir leid, aber ich muss unsere Verabredung absagen. Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung. Ich nehme wohl besser zwei Aspirin und lege mich ins Bett. Entschuldige, dass ich dir Ungelegenheiten mache.“

Entschuldige, dass ich dir Ungelegenheiten mache.

Aus irgendeinem Grund hatte er sich über diese Höflichkeitsfloskel geärgert. Redete so eine Frau mit ihrem Geliebten?

Da hatte er ihre Stimme zum letzten Mal gehört. Nachdem er mehrmals vergeblich versucht hatte, sie telefonisch zu erreichen, war er noch an jenem Abend zu ihrer Wohnung gefahren. Dort hatte er von der Hausmeisterin erfahren, dass sie überstürzt ausgezogen sei. Nur einen lumpigen Zettel hatte sie hinterlassen! „Danke für alles“, hatte sie geschrieben. „War nett mit dir.“

Und Dante hatte die Beleidigung geschluckt. Was hätte er auch sonst tun sollen? Drei Jahre. Drei lange Jahre – und jetzt holte ihn das alles plötzlich wieder ein. Die Demütigung. Die Wut …

„Dante?“

Er drehte sich um. Charlotte. Hatte sie ihn doch tatsächlich gefunden. Sie stand auf dem Hof, eingehüllt in den Samtumhang, den er ihr geschenkt hatte, mit vor Empörung geröteten Wangen.

„Ach, hier bist du“, sagte sie spitz.

„Charlotte. Verzeih. Ich … wollte nur kurz Luft schnappen …“

„Du hast versprochen, mir alle Peinlichkeiten zu ersparen.“

„Und daran halte ich mich auch. Ich bin nur kurz rausgegangen, um …“

„Kurz? Du bist seit fast einer Stunde wie vom Erdboden verschluckt! Wie kannst du es wagen, mich vor meinen Freunden so zu blamieren?“ Ihre Stimme klang mit einem Mal eine Oktave höher. „Für wen hältst du dich?“

Dante kniff die Augen zusammen. Als er auf sie zuging, wich sie einen Schritt zurück.

„Ich kann dir genau sagen, wer ich bin“, sagte er gefährlich leise. „Ich bin Dante Russo, und wer mich kennt, vergisst mich nicht.“

„Dante. Ich meine ja bloß …“

Er zog sie am Arm einen kleinen Treppenabsatz hinunter und vom Hof auf die Straße, wo er sie in das erstbeste Taxi setzte, dem Fahrer einen Hundertdollarschein in die Hand drückte und ihm Charlottes Adresse nannte.

„D…Dante“, stammelte Charlotte, „wirklich, es tut mir leid …“

Ihm tat es auch leid, allerdings nicht, was eben passiert war. Ihm tat leid, dass er drei Jahre mit einer Lüge gelebt hatte, indem er sich einredete, er sei mit Taylor fertig.

Taylor Sommers hatte ihn zum Idioten gemacht. Damit kam keiner bei ihm durch. Er zog sein Handy aus der Jackentasche und rief seinen Fahrer an. Als der Mercedes wenig später am Bordstein hielt, stieg Dante hinten ein und wählte wieder eine Nummer. Trotz der späten Stunde meldete sich sein Anwalt gleich nach dem ersten Läuten.

„Ich brauche einen Privatdetektiv“, kam Dante ohne lange Vorrede zur Sache. „Nein, nicht als Erstes am Montag. Morgen. Sagen Sie ihm, dass er mich zu Hause anrufen soll.“

Drei Jahre waren vergangen. Na und? Sagte man nicht, dass Rache eine Speise sei, die kalt am besten schmeckte?

Um Dantes harten Mund zuckte ein angespanntes Lächeln. So war es.

Es war ein langes Wochenende.

Charlotte hinterließ ihm endlose Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, mal weinend, mal fordernd, und er löschte sie alle.

Am Samstagmorgen meldete sich der Privatdetektiv, mit dem sich Dantes Anwalt in Verbindung gesetzt hatte. Der Mann wollte Einzelheiten über Taylor wissen.

„Ihr Name ist Taylor Sommers“, begann Dante. „Damals lebte sie in Stanhope, Gramercy Park. Von Beruf ist sie Innenarchitektin.“

Es blieb eine Weile still.

„Und?“, fragte der Mann schließlich.

„Was und? Reicht das nicht?“

„Nun, ich könnte zum Beispiel die Namen ihrer Eltern brauchen und die von Freunden. Ihr Geburtsdatum. Wo sie aufgewachsen ist. Welche Schulen sie besucht hat.“

„Mehr weiß ich nicht“, antwortete Dante eisig. Dann legte er den Hörer auf, durchquerte sein Schlafzimmer und trat auf die Dachterrasse seines Penthouses in Central Park West. Draußen war es schneidend kalt. In dieser Höhe fegte der eisige Wind um die Ecken des Gebäudes. Und über Nacht hatte es geschneit, nicht viel, aber genug, um den Park in jungfräuliches Weiß zu hüllen.

Dante runzelte die Stirn.

Der Privatdetektiv war überrascht gewesen, dass Dante so wenig über Taylor wusste, aber warum hätte er mehr wissen sollen? Ihm hatte es damals gereicht, dass sie hübsch war, leidenschaftlich und obendrein intelligent. Was brauchte ein Mann mehr?

Obwohl es intimere Momente zwischen ihnen durchaus gegeben hatte. Wie damals, als er sie zu einem späten Abendessen mit nach Hause gebracht hatte. In jener Nacht hatte es ebenfalls geschneit. Er zog sich kurz zurück, um ein unaufschiebbares Telefonat zu führen. Bei seiner Rückkehr fand er sie auf der Terrasse vor, genau da, wo er jetzt stand.

Ihr seidenes Kleid war so dünn, dass er ihr sein Jackett um die Schultern legte.

„Was machst du hier draußen, cara? Du wirst dir noch den Tod holen.“

„Ja, ich weiß, aber es ist so wunderschön.“ Während sie das sagte, kuschelte sie sich in seine Jacke und schmiegte sich an ihn. „Ich liebe solche Nächte.“

Ihn erinnerten so kalte Nächte immer an die eisigen Winter in Palermo und daran, wie er seine Schuhe mit Zeitungspapier ausgestopft hatte, in der vergeblichen Hoffnung, dass sie auf diese Weise mehr wärmten.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hätte er ihr in diesem Moment fast davon erzählt. Aber so idiotisch war er natürlich nicht, stattdessen küsste er sie lieber.

„Falls du es schaffst, deine Vorliebe für Kälte und Schnee vorübergehend zu vergessen, könnten wir demnächst mal übers Wochenende in die Karibik fliegen“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Ein paar Häuser besichtigen. Ich trage mich nämlich schon seit einer Weile mit dem Gedanken, mir dort irgendwo ein Haus zu kaufen.“

„Ja, gern“, hatte sie erfreut zugestimmt. „Sehr gern sogar.“

Im selben Moment ging ihm jedoch auf, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte sie eingeladen, einen Schritt in sein Leben zu tun, ohne dass er es wirklich wollte.

Seitdem war von der Karibik nie mehr die Rede gewesen. Aber egal – drei Wochen später hatte sie ihn sowieso verlassen.

Verlassen, dachte er jetzt und biss die Zähne zusammen. Und das ausgerechnet in der Weihnachtszeit, wo man bei unzähligen Wohltätigkeitsveranstaltungen mit seinem Erscheinen rechnete. Natürlich hatte er problemlos Ersatz für sie gefunden.

Wenn auch nur für die Bälle, nicht fürs Bett. Es hatte lange gedauert, bis er nach Taylor wieder Sex gehabt hatte, und selbst dann war es nicht dasselbe gewesen.

Bei Licht betrachtet war es das noch immer nicht. Da war eine seltsame Leere – irgendetwas fehlte. Und das war nur Taylors Schuld.

Warum, zum Teufel, hatte er sie damals bloß gehen lassen? Und dann auch noch in dem Glauben, dass sie es war, die Schluss gemacht hatte, obwohl es doch in Wirklichkeit andersherum gewesen war? Manchmal wurde dem männlichen Ego ganz schön viel zugemutet.

Am Montag dann hatte seine Wut den Siedepunkt erreicht.

„Nun?“, fragte er mit kaum verhüllter Ungeduld, als der Privatdetektiv bei ihm im Büro auftauchte. „Ich nehme an, Sie wollen mir sagen, wo ich Miss Sommers finden kann. Ich höre.“

Der Mann kratzte sich hinterm Ohr, zog einen Notizblock aus der Tasche, den er durchblätterte, um sich dann schließlich zu räuspern.

„Tja, die ganze Sache war leider nicht ganz einfach, Mr. Russo. Die Lady wohnt nämlich nicht mehr in New York. Sie lebt jetzt in …“ Es dauerte einen Moment, bis er es in seinen Aufzeichnungen gefunden hatte. „… Shelby, Vermont.“

Dante starrte ihn an. „Vermont?“

„Richtig. Shelby ist ein kleiner Ort, etwa fünfzig Meilen von Burlington entfernt.“

Taylor in einem Kuhkaff in New England? Dante hätte fast laut aufgelacht, als er versuchte, sich seine frühere Geliebte in einer derartigen Umgebung vorzustellen.

„Die Dame hat dort eine Firma. Inneneinrichtungen.“ Der Privatdetektiv blätterte wieder um. „Scheint ganz gut zu laufen. Offenbar will sie expandieren und hat dafür bei der örtlichen Bank gerade einen Kredit beantragt.“

Der Mann leierte herunter, was er herausgefunden hatte, aber Dante hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Hauptsache, er wusste, wo er Taylor finden konnte. Das reichte.

Die wird sich wundern, dachte er mit grimmiger Genugtuung. Dann konnte er ihr wenigstens endlich sagen, dass es gar nicht nötig gewesen wäre, ihn zu verlassen, weil er sowieso vorgehabt hatte, die Beziehung zu be…

„… wohnen sie beide. Dazu hätte ich auch noch ein paar Einzelheiten, falls es Sie interessiert …“

Dante wandte unvermittelt den Kopf. „Wer wohnt wo?“, fragte er.

„Na ja …“ Der Privatdetektiv zog eine Augenbraue hoch. „In dem Haus, da wohnen sie beide. Sie hat es wie gesagt geerbt. Von ihrer Großmutter. Sie und … Sekunde … ich habe den Namen hier irgendwo notiert, wenn Sie sich einen Moment …“

„Sie und wer?“, drängte Dante in einem Ton, der Konkurrenten normalerweise das Fürchten lehrte.

„Sie und … ah, da steht’s ja. Sam Gardner.“

„Taylor.“ Dante räusperte sich. „Und Sam Gardner. Sie leben zusammen?“

„Na ja … ja.“

„Gardner ist mit ihr da eingezogen?“

Der Detektiv lachte kurz auf. „Ja, Sir. Ich meine, so könnte man es …“

„Ich verstehe“, unterbrach Dante den Mann ausdruckslos. „Danke, Mister. Sie waren mir eine große Hilfe.“

„Ja, aber, Mr. Russo …“

„Sie haben mir sehr geholfen“, wiederholte Dante.

Diesmal kam die Botschaft an. Der Mann zuckte die Schultern und verließ mit einem kurzen Gruß den Raum.

Nachdem er wieder allein war, versuchte Dante, sich zu beruhigen, aber er schaffte es nicht. Er war kurz davor, die Wände hochzugehen. Taylor hatte ihn mit einem anderen Mann betrogen und ihn dann verlassen, um mit dem anderen Kerl zusammenzuleben.

Er ging zum Fenster und umklammerte das marmorne Fenstersims, als wäre es Taylors Hals. Sie zur Rede zu stellen war viel zu wenig, ihrem Liebhaber eine saftige Abreibung zu verpassen reichte auch nicht aus, obwohl es bestimmt eine Genugtuung wäre.

Er wollte mehr. Wollte Rache, die ihrer Untreue angemessen war. Sie hatte ihm Hörner aufgesetzt. Das war unverzeihlich. Wie aber könnte diese Rache aussehen? Er brauchte sofort einen Plan.

2. KAPITEL

Taylor Sommers schenkte sich Kaffee ein, stellte die Tasse auf die Spüle und öffnete den Kühlschrank, um Sahne herauszuholen. Die aber stand bereits auf dem Tisch, zusammen mit der Tasse Kaffee, die sie sich vor zwei Minuten eingeschenkt hatte. Tally atmete tief durch.

„Mach ruhig weiter so“, sagte sie in die Stille hinein. „Du wirst schon sehen, was du davon hast.“ Vielleicht stellte sich ja heraus, dass Walter Dennison doch nicht bereit war, die monatliche Rückzahlungsrate für ihren Kredit zu verringern.

Dennison, ein alter Freund ihrer verstorbenen Großmutter, war ein netter Mensch. Als Tally ihm ihre prekäre finanzielle Lage geschildert hatte, hatte er ihr ein großzügiges Finanzierungsangebot gemacht.

Hatte er seine Meinung am Ende doch wieder geändert? Falls es so war und sie jeden Monat die ursprünglich vereinbarte Summe zurückzahlen musste …

Tally schloss die Augen. Das wäre das Ende. Weil sie aufgrund einer städtischen Verordnung ihre Firma nicht mehr von zu Hause aus betreiben durfte, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als sich nach anderen Geschäftsräumen umzusehen. Den Laden am Marktplatz würde sie in diesem Fall wieder aufgeben müssen, noch bevor sie ihn bezogen hatte.

Ihre Ersparnisse waren schon lange aufgebraucht. Der Umzug nach Vermont, die Reparaturen an dem alten Haus, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, und die Lebenshaltungskosten für Sam und sie hatten einen großen Batzen Geld verschlungen.

Der Rest war für die Firmengründung von Interiors by Taylor draufgegangen. So etwas auf die Beine zu stellen kostete richtig etwas. Man brauchte zumindest einen kleinen Ausstellungsraum – dafür hatte sie die verglaste Veranda ihres Hauses zweckentfremdet –, damit potenzielle Kunden wenigstens einen ungefähren Eindruck davon bekamen, wie sie arbeitete. In Farben, Stoffe, Korbmöbel war ein kleines Vermögen geflossen.

Dekorative Stücke wie Vasen und Lampen, handgemachte Kerzen und Kaminaccessoires … alles war sündhaft teuer gewesen. Manchmal waren schon allein die Kataloge fast unbezahlbar. Hinzu kamen die astronomisch hohen Werbungskosten, und wenn man am Ende nicht die richtige Zielgruppe erreichte, hatte man das ganze Geld zum Fenster hinausgeworfen.

Nach und nach jedoch hatte Interiors by Taylor Kunden aus den vornehmen Skigebieten um Shelby herum angezogen. Tallys Konten waren zwar immer noch in den roten Zahlen gewesen, aber die Lage hatte sich unübersehbar gebessert.

Und dann war der Anruf von der Stadt gekommen. Der Mann hatte sich tausendmal entschuldigt und gesagt, dass es ihm schrecklich leidtue, aber man müsse sich nun mal an geltende Gesetze halten … doch das milderte den Schlag nicht, den er ihr versetzte.

Sie erfuhr von ihm, dass sie ihre Firma nicht von zu Hause aus betreiben durfte. Die Stadt hatte eine Verordnung erlassen, der zufolge bis auf wenige Ausnahmen eine strikte Trennung zwischen Wohn- und Gewerberaum verlangt wurde.

Dass es in Shelby, Vermont, mit seinen gut geschätzt achteinhalbtausend Einwohnern überhaupt so etwas wie Verordnungen gab, hatte Tally überrascht. Immerhin brachte ihr ein Einspruch einen Aufschub von zwei Monaten. Und dann entdeckte sie am Marktplatz diesen Laden, und jeden Abend, wenn Sam schlief, setzte sie sich hin und rechnete die zu erwartenden Kosten durch – immer wieder: die monatliche Miete, die zu veranschlagenden Umbau- und Renovierungskosten für den Laden, der früher eine Fernsehreparaturwerkstatt gewesen war.

Hinzu kamen noch die Dinge, die sie anschaffen musste, um die richtige Atmosphäre zu erzeugen, außerdem höhere Werbungskosten. Am Ende kam Tally alles in allem auf die schwindelerregend hohe Summe von einhundertfünfundsiebzigtausend Dollar.

Am nächsten Morgen brachte sie Sam zu den Millers und warf sich dann in das schwarze Kostüm, das sie seit New York nicht mehr angehabt hatte, dazu wählte sie ihre weiße Seidenbluse. Das blonde Haar fasste sie im Nacken zu einem lockeren Knoten zusammen und suchte dann Walter Dennison, den Besitzer der einzigen Bank in Shelby, auf.

Dieser las ihren Antrag durch und musterte sie nachdenklich, schließlich aber erklärte er sich bereit, ihr den Kredit zu geben.

Die erste Rate konnte sie noch bezahlen … die zweite jedoch schon nicht mehr. Und die dritte erst recht nicht. Die Handwerker wollten Geld sehen. Und die Heizungskosten für das Haus waren astronomisch hoch.

Schweren Herzens musste sie schließlich wieder zu Walter Dennison gehen und ihn fragen, ob er nicht die monatlichen Raten für die Rückzahlung senken könne. Es handele sich nur um einen vorübergehenden Engpass …

Er war sich seufzend mit den Fingern durch das langsam schütter werdende Haar gefahren, und als er endlich genickt hatte, war ihr ein Stein vom Herzen gefallen.

Was sie zu dem heutigen Anruf zurückbrachte. Sam und sie waren noch beim Frühstück gewesen, als das Telefon geklingelt hatte.

„Ich muss Sie sprechen, Miss Sommers“, sagte Dennison. „Und zwar heute noch.“

Ihr fiel vor Schreck fast der Hörer aus der Hand. „Geht es um meinen Kredit?“

Es dauerte einen Moment, bis er ihre Frage bejahte. Und dann bat er sie, um vier in die Bank zu kommen.

„Also dann um vier“, wiederholte er in eindringlichem Ton. „Aber seien Sie pünktlich.“

Die Ermahnung überraschte sie. Das passte gar nicht zu ihm. Ebenso wie der Umstand, dass er sie plötzlich nicht mehr Tally, sondern Miss Sommers nannte, obwohl er sie schon von Kindheit an kannte. Sie versuchte sich einzureden, dass es nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein müsse. Immerhin ging es hier um einen sechsstelligen Kredit, da war es Dennisons gutes Recht, auf eine gewisse Förmlichkeit zu pochen.

„Selbstverständlich“, hatte sie, ganz die weltgewandte New Yorkerin, ungerührt erwidert und, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, Sam anzulächeln versucht, die sie fragend anschaute.

„Alles klar, Schätzchen“, hatte sie munter versichert.

Und Sam hatte das Gesicht zu ihrem fröhlichen Lachen verzogen, zumindest bis Tally ihr erklärt hatte, dass sie wahrscheinlich erst zum Abendessen wieder da sein werde. Da hatte Sam nicht mehr so fröhlich ausgesehen.

„Du kannst die Millers besuchen“, hatte Tally gesagt. „Die magst du doch.“

Sie hatte versucht, Sam die Sache schmackhaft zu machen, indem sie ihr ausmalte, dass ja das ganze Wochenende vor ihnen liege, wo sie sich Sams Lieblingsbeschäftigung hingeben könnten: auf der Couch kuscheln, Kinderfilme ansehen und Popcorn essen.

Dante Russo hatte in seinem Leben wahrscheinlich noch nie auf der Couch vor dem Fernseher gekuschelt und Popcorn gegessen und …

He, was hatte der Kerl schon wieder in ihrem Kopf zu suchen? Wen interessierte Dante Russo? Er war Geschichte. Davon abgesehen hatte er ihr nie mehr bedeutet als sie ihm. In New York waren derartige Beziehungen an der Tagesordnung. Zwei Erwachsene verabredeten sich, gingen zusammen aus … und hatten Sex miteinander.

Tally schloss die Augen. Erinnerungen stürmten auf sie ein. Und plötzlich hatte sie seinen Geschmack wieder auf der Zunge und seinen Duft in der Nase, spürte seine Hände, die sich köstlich rau auf ihrer Haut anfühlten, und seinen Mund, der Ergebung verlangte. Sie sah Dantes Gesicht dicht über ihrem, seine grünen Augen, die sinnlichen Lippen und seine weißen Zähne …

Sie drehte sich zur Spüle um, schüttete ihren Kaffee weg und wusch die Tasse aus. Völlig idiotisch, ausgerechnet heute an Dante zu denken. Obwohl es natürlich kein Wunder war.

Sie lächelte bitter. Heute war so etwas wie ein Jahrestag. Heute vor drei Jahren hatte sie Russo verlassen. Sobald sie Tannenduft roch oder Weihnachtslieder hörte, war alles wieder da. Aber sie war entschlossen, diese Erinnerungen rigoros zu verdrängen. Dante hatte keinen Platz in dem neuen Leben, das sie sich aufgebaut hatte. Ein Leben für sich und Sam. Er bedeutete ihr nichts. Und Sam bedeutete er erst recht nichts.

Ihre Tochter wusste nicht einmal, dass Dante existierte. Und dieser wusste nichts von Sam. Er würde es nie erfahren. Dafür hatte sie gesorgt.

Dante hatte sie, Tally, nicht mehr gewollt, und er würde garantiert nicht verstehen, warum sie Sam gewollt hatte … was im Umkehrschluss allerdings nicht bedeutete, dass er ihr Sam kampflos überlassen würde, falls die Wahrheit herauskäme.

Dante wirkte zwar auf den ersten Blick charmant, im Grunde seines Herzens aber war er eiskalt und rücksichtslos. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, wie er reagieren würde, wenn er alles erführe.

Tally knipste seufzend das Küchenlicht an. Um diese Jahreszeit wurde es hier schon früh dunkel, außerdem rüttelte der angekündigte Schneesturm an den alten Fenstern.

An einem Spätnachmittag wie diesem war sie aus New York weggegangen. Es war kalt gewesen und auch bereits dunkel, und im Wetterbericht war Schnee vorhergesagt worden.

Wie verzweifelt sie damals gewesen war! Unter dem Vorwand, sich nicht wohlzufühlen, sagte sie die Verabredung mit Dante ab und packte dann eilig ihre Sachen. Sie spürte, dass er sie langsam satthatte. Er war schon eine ganze Weile distanziert, und jedes Mal, wenn sie ihn dabei ertappte, wie er sie aus den Augenwinkeln musterte, hätte sie am liebsten geweint.

Ihr war bewusst, dass er anfing, sich mit ihr zu langweilen. Sie kam ihm nur zuvor, indem sie die Affäre mit ihm beendete. So war es für sie einfach weniger demütigend. Außerdem war es der einzige Weg, ihr Geheimnis zu bewahren – ein Geheimnis, das sie unter keinen Umständen preisgeben durfte.

Deshalb hatte sie beschlossen, wieder in ihre Heimatstadt zurückzukehren, in das Haus, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Aber das wusste er nicht. Er wusste gar nichts von ihr. In den sechs Monaten ihrer Affäre hatte er ihr keine einzige persönliche Frage gestellt. Bei ihm war es immer nur um Belanglosigkeiten gegangen.

Wo möchtest du zu Abend essen, im Chez Nicole oder im L’Etoile?, hatte er von ihr wissen wollen oder gefragt: Soll ich Karten fürs Ballett besorgen, oder willst du lieber ins Konzert gehen?

Lauter Dinge, die jeder Mann jede x-beliebige Frau fragen konnte. Nie etwas Wichtiges.

Natürlich hatte er sie auch andere Dinge gefragt. Flüsternd, mit dieser heiseren Stimme, die schon allein für sich ein Aphrodisiakum war. Bei der Erinnerung an diese Momente begann ihr Herz schneller zu schlagen.

„Idiot“, rief Tally sich jetzt scharf zur Ordnung.

Der Sex mit Dante war toll gewesen. Es war aber eben nur Sex gewesen, auch wenn sie manchmal vor Glück geweint hatte. Und ganz bestimmt war es keine Entschädigung dafür gewesen, dass Dante nicht eine einzige Nacht bis zum Morgen in ihrem Bett verbracht hatte.

Bitte bleib, hatte sie so oft sagen wollen, aber dann hatte sie es sich doch verkniffen. Nur dieses eine Mal, an seinem Geburtstag, waren ihr die Worte versehentlich herausgerutscht … Dieses eine Mal hatte sie vergessen, dass ihr Liebhaber zwar ihren Körper wollte, nicht aber ihr Herz.

Tally drehte sich wieder zum Fenster um.

Na und? Warum sollte sie sich einen dieser Männer wünschen, die eine Frau erst an sich banden, indem sie ihr ein Kind machten, und sich dann mit anderen Frauen vergnügten?

Ihre seltsame Gemütsverfassung rührte bestimmt nur daher, weil sie wegen des Termins mit Walter Dennison beunruhigt war, oder etwa nicht? Sobald sie das Treffen hinter sich hatte, würde sich ihre Nervosität gelegt haben. Davon abgesehen sollte sie sich jetzt wohl besser langsam auf den Weg machen. Immerhin hatte Walter Dennison sie ausdrücklich um Pünktlichkeit gebeten.

Die Wettervorhersage war wie üblich falsch gewesen. Frau Holle schüttelte bereits emsig ihre Federbetten über der Stadt aus, als Tally losfuhr.

Eine makellose weiße Schneedecke lag über der Landschaft, die sich auf einer Weihnachtskarte wunderbar gemacht hätte. Dass die steil abfallende kurvenreiche Straße ins Dorf an einigen Stellen bereits mit einer glatten Eisschicht überzogen war, merkte Tally erst, als sie auf die Main Street abbog und der klapprige Kombi, der dringend neue Winterreifen benötigte, ins Schleudern geriet. Zum Glück war außer ihrem Wagen kein anderer auf der Straße, sodass Tally mit dem Schrecken davonkam.

Auf dem Parkplatz vor der Bank standen nur zwei Fahrzeuge: ein alter brauner Lincoln, den sie als Dennisons Wagen identifizierte, und ein großer schwarzer Geländewagen, der wirkte, als könnte man in ihm sogar den Mount Everest in einem Blizzard spielend leicht bezwingen.

Bestimmt hatte Dennison seine Angestellten wegen des bevorstehenden Schneesturms früher nach Hause geschickt. Und der Wagen gehörte wahrscheinlich einem Touristen, der auf dem Weg ins Skigebiet war und sich nur noch schnell am Automaten Geld holen wollte.

Tally parkte und stieg aus. Noch bevor sie die Eingangstüren der Bank erreichte, kam ihr Walter Dennison bereits im Mantel entgegen.

„Sie sind spät dran, Miss Sommers.“

Er flüsterte fast. Dabei warf er einen verstohlenen Blick über die Schulter. Tally verspürte einen Anflug von Panik angesichts des schwarzen Autos und Dennisons blassem Gesicht. Und warum flüsterte er? War das ein Banküberfall?

„Tut mir leid“, sagte sie und versuchte an ihm vorbeizuspähen, „aber die Straßen …“

„Ja, ich weiß.“ Er zögerte. „Miss Sommers. Tally. Es gibt da etwas, das Sie wissen müssen.“

Oh, nein. Sie war tatsächlich mitten in einen Überfall geplatzt …

„Ich habe die Bank verkauft.“

Sie blickte ihn verständnislos an. „Was?“

„Ich habe die Bank verkauft.“

Es war, als spräche er in einer fremden Sprache. Er hatte die Bank verkauft? Wie das? Ein Mitglied seiner Familie hatte die Shelby-Bank Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gegründet.

„Ich verstehe nicht, Mr. Dennison. Warum …?“

„Es besteht kein Grund zur Sorge. Der neue Besitzer will alles so belassen, wie es ist.“ Dennison räusperte sich. „Also … fast alles.“

Unvermittelt wandte er den Blick von ihr ab, und Tally wurde ganz anders zumute. Es gab nur einen einzigen Grund, weshalb er sie herbestellt hatte.

„Und was ist mit meinem Kredit und den neuen Zahlungsbedingungen?“

Dennison schien zunächst antworten zu wollen, doch dann ging er wortlos mit einem kurzen Nicken an ihr vorbei, schlug seinen Mantelkragen hoch und stapfte durch das Schneetreiben zu seinem Auto. Tally blickte ihm nach, bis seine hagere Gestalt von einem weißen Strudel verschluckt wurde.

„Mr. Dennison! Warten Sie!“, rief sie ihm nach. „Betrifft das meinen Kredit? Sie haben gesagt, der neue Besitzer lässt alles so, wie es ist …“

„Nicht ganz“, sagte in diesem Moment eine Stimme, die sie zusammenzucken ließ.

Noch bevor sie herumfuhr, begann ihr Herz wie verrückt zu hämmern, und obwohl sie sich sagte, dass es ganz und gar unmöglich sei, wusste sie doch, was sie gleich sehen würde.

Diese Stimme würde sie überall auf der Welt wiedererkennen.

Dante lächelte, als Taylor sich zu ihm umdrehte.

Sie war blass geworden vor Schreck.

Gut. Genauso hatte er sich das vorgestellt. Alles lief nach Plan, obwohl er sich so beeilt hatte. Das ganze Vorhaben einschließlich des Kaufs der Bank war in kaum mehr als einer Woche über die Bühne gegangen. Nun, er war nicht umsonst Dante Russo. Und Dante Russo schaffte immer, was er sich vorgenommen hatte.

Heute früh hatte er Dennison angerufen und für drei Uhr nachmittags sein Kommen angekündigt. Dann hatte er gebeten, Taylor um vier in die Bank zu bestellen.

„Sagen Sie ihr, dass sie pünktlich sein soll“, hatte er hinzugefügt und Dennison gebeten, ihr vorher nicht zu verraten, dass die Bank den Besitzer gewechselt hatte.

Er verzog die Lippen zu einem rachsüchtigen Lächeln. Diese freudige Überraschung stand ihr noch bevor. Gleich würde es interessant werden.

Sein Lächeln verschwand. Schade, dass Samuel Gardner nicht mitgekommen war. Es hätte die Sache noch spannender gemacht, aber nach dem, was der Privatdetektiv gesagt hatte, war es wohl so, dass der Liebhaber seiner einstigen Geliebten der rauen Wirklichkeit nicht immer gewachsen war.

„Warum hat Sam Gardner nicht für den Kredit gebürgt?“, hatte er Dennison gefragt.

Der alte Mann hatte ihn angesehen, als wäre er nicht ganz bei Trost.

„Sie haben manchmal wirklich einen seltsamen Humor, Mr. Russo“, hatte Dennison mit einem schmallippigen Yankee-Lächeln erwidert, aber Dante hatte ihm mit einer Handbewegung das Wort abgeschnitten.

Jetzt trat er einen Schritt beiseite. Mit Humor hatte die Situation hier ganz und gar nichts zu tun. Es war eine Abrechnung, nicht mehr und nicht weniger. Und es wurde Zeit, dass Taylor das erfuhr.

„Willst du nicht reinkommen, cara?“, fragte er in samtweichem Ton und bemerkte, wie sie sich versteifte. Wahrscheinlich dachte sie daran, wegzulaufen, aber dann besann sie sich eines Besseren, straffte die Schultern und betrat mit hoch erhobenem Kopf die Bank.

Sie konnte nicht wissen, dass sie keine Chance hatte. Er hatte schlechte Nachrichten für sie, und es machte ihm das allergrößte Vergnügen, ihr diese zu überbringen.

„Hallo, Dante.“

Ihre Stimme bebte. Drei Jahre war es her, dass er sie zuletzt gesehen hatte … Und sie war immer noch schön. Schöner als in seiner Erinnerung, falls das überhaupt möglich war. Hatte die Zeit ihren Mund nicht noch weicher, ihre Augen nicht noch größer und dunkler werden lassen?

Obwohl die Jahre ganz offensichtlich nicht spurlos an ihr vorübergegangen waren. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Das Haar trug sie zu einem unvorteilhaften Knoten im Nacken zusammengefasst, was in ihm den fast unwiderstehlichen Drang auslöste, auf sie zuzugehen und die Nadeln aus der üppigen Fülle zu ziehen.

Provozierend langsam musterte er sie von Kopf bis Fuß, dann runzelte er die Stirn. Er hatte sie nie anders als elegant gekleidet gesehen, in Designerkostümen und Abendkleidern und auf hohen Absätzen, die in einem Mann gefährliche Fantasien weckten. Außerdem war sie immer perfekt frisiert und geschminkt gewesen.

Jetzt lagen die Dinge anders. Ihr Mantel wirkte fast schäbig. An den Füßen trug sie feste praktische Stiefel, und bis auf die Lippen war sie ungeschminkt.

„Was ist denn mit dir los?“, platzte er heraus. „Bist du krank?“

„Danke der Nachfrage.“

Trotz ihrer Blässe hatte sie sich mittlerweile gefasst, und ihre Worte klangen spöttisch. Bevor sie zurückweichen konnte, packte er sie blitzschnell am Arm.

„Ich habe dir eine Frage gestellt. Antworte.“

Jetzt stieg ihr Röte in die Wangen. „Ich bin nicht krank. Ich lebe einfach nur in einer Welt, wo sich die Leute ihren Lebensunterhalt mit harter Arbeit verdienen müssen. Wo man nicht einfach mit den Fingern schnippen und erwarten kann, dass alle springen, aber davon hast du keine Ahnung.“

Wer, wenn nicht er? Doch das ging sie nichts an. Niemand brauchte zu wissen, wie er angefangen hatte und dass er sich immer noch schmerzlich genau daran erinnerte, wie es war, wenn man vor Hunger nicht einschlafen konnte.

Er hatte nie mit den Fingern geschnippt und würde es auch nie tun, aber er war niemandem eine Erklärung schuldig.

„Und dein Liebhaber? Lässt er das zu?“

Sie blickte ihn an, als zweifelte sie an seinem Verstand. „Mein was?“

„Noch eine Frage, die du nicht beantworten willst. Gut. Ich habe Zeit.“

Tally gelang es, sich aus seinem Griff zu winden. „Ich habe auch Fragen. Dante. Was machst du hier?“

„Wir haben uns lange nicht gesehen, cara.“ Sein Lächeln ließ Tally das Blut förmlich in den Adern gefrieren. „Da haben wir ja wohl Wichtigeres zu bereden.“

„Wir haben überhaupt nichts zu bereden.“

„Oh, doch. Und du weißt es auch.“

Sie wusste gar nichts, das war das Problem. Aber was wusste er? Hatte es irgendetwas mit Sam zu tun? Er hatte die Shelby-Bank bestimmt nicht bloß aus einer Laune heraus gekauft.

Oh, nein. Der Kredit …

„Ah“, sagte er in einem Ton tiefer Genugtuung, „dein Gesicht ist wie ein offenes Buch. Ist dir etwas eingefallen, worüber wir reden könnten?“

Sie durfte sich ihre Angst nicht anmerken lassen. Irgendwie musste sie zur Offensive übergehen.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass wir überhaupt je über irgendetwas geredet hätten“, sagte sie. „Wir sind essen, zu irgendwelchen Veranstaltungen, auf Partys gegangen …“ Sie atmete tief durch „und ins Bett.“

Er verzog den Mund. Hatte sie bei ihm einen Nerv getroffen?

„Freut mich, dass du es noch weißt.“

„Bist du etwa gekommen, um mich daran zu erinnern, dass wir früher mal zusammen im Bett waren, Dante? Oder um zu fragen, warum ich dich verlassen habe?“ Sie rang sich ein frostiges Lächeln ab. „Und ich dachte, du verstehst mich. Ich habe dir einen Brief …“

„Einen Brief nennst du das? Das war ein Witz.“

Tally zuckte die Schultern. „So ist eben das Leben. Irgendwann wird alles langweilig.“

Dantes Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Du lügst.“

„Tu doch nicht so. Wir waren eine ganze Weile zusammen. Eine gewisse Zeit hat es Spaß gemacht, aber dann …“

Sie keuchte, als er sie mit einer Hand am Nacken packte.

„Ich erinnere mich sehr genau, wie du im Bett warst“, stieß er hervor. „Willst du wirklich behaupten, dass alles nur eine Schmierenkomödie war?“

Er zog sie so nah an sich heran, dass ihr Körper seinen berührte und sie den Kopf zurückneigen musste, um Dante in die Augen sehen zu können. Das machte er absichtlich, der Schuft, nur um ihr seine Überlegenheit zu demonstrieren.

Oh, wie sie ihn hasste! Drei Jahre, drei endlose Jahre war es her, und er war immer noch wütend, weil sie ihn verlassen hatte, dabei hatte sie es tun müssen, um zu überleben und ihr Geheimnis zu bewahren.

„Du bist dahingeschmolzen in meinen Armen.“ Er sah sie so durchdringend an, dass sie den Blick abwandte, aber Dante umschloss ihren Hals mit festem Griff und zwang sie, ihn wieder anzusehen. „Sogar geweint hast du. Willst du mir wirklich weismachen, das sei alles nur Show gewesen?“

„Gut möglich. Aber kannst du dich nicht einfach wie ein Gentleman benehmen?“, fragte Tally und verachtete sich dafür, dass ihre Stimme zitterte.

Er lächelte gefährlich, und prompt begann ihr Herz zu rasen.

„Ich habe mich dir gegenüber immer wie ein Gentleman verhalten. Vielleicht war das ja ein Fehler. Vielleicht wolltest du im Bett gar keinen Gentleman haben.“ Sie stöhnte, als er ihren Kopf nach hinten drückte. „Bist du deshalb bei Nacht und Nebel verschwunden?“

„Ich habe dich verlassen, Punkt. Mach es doch nicht dramatischer, als es ist.“

„Und warum genau hast du es getan? Für ein Luxusleben im Nirgendwo? Für ein leeres Bankkonto?“ Sein Tonfall wurde samtig. „Das glaube ich dir nicht, cara. Ich glaube vielmehr, dass du mich damals wegen eines neuen Liebhabers verlassen hast, der alles andere als ein Gentleman ist.“

„Ich weiß nicht, was du damit sagen willst!“

Er schob seine Finger in ihr Haar. Dabei lösten sich die Nadeln und landeten mit einem metallischen Klicken auf dem Marmorboden, während Tally die mit goldenen Glanzlichtern besetzte Mähne über die Schultern fiel.

„Ist es das? War ich dir zu sanft?“ Er wickelte sich eine Strähne um die Hand und zog ihr Gesicht zu sich heran. „Brauchst du es ein bisschen härter?“

„Dante. Das ist … es ist verrückt. Ich habe … ich habe nicht …“ Sie schluckte verzweifelt. „Lass mich los.“

Es hatte eigentlich wie ein Befehl klingen sollen, aber sie brachte nur ein Flüstern zustande. Er lächelte amüsiert.

„Ich sage, du sollst mich loslassen … oder glaubst du ernsthaft, du kannst mich mit Gewalt zurückholen?“

Sein Blick wurde finster, und sein Mund verzerrte sich. Mehrere Sekunden verstrichen, und dann endlich – ihr Herz klopfte so heftig, als würde es gleich zerspringen – stieß er sie von sich, trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Bestimmt nicht“, erwiderte er kalt. „Und du hast ja recht. Mit uns war es sowieso aus. Genau gesagt bin ich damals nur zu dir gefahren … um … um dir das mitzuteilen.“ Er lächelte leicht. „So ist eben das Leben, cara, wie du bereits so richtig festgestellt hast.“

Sie hatte die Wahrheit gekannt, sie aber aus seinem Mund zu hören machte alles noch schlimmer. Trotzdem verzog sie keine Miene. Er hatte ihr absichtlich wehgetan, aber sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.

„Versucht mir der große Dante Russo jetzt damit zu sagen, dass ich nur den ersten Schritt machen konnte, weil er einen anderen Zeitplan hatte?“

Dante lachte leise auf. „Du bist ein kluges Köpfchen, Taylor, aber das warst du schon immer – und deshalb nimmst du ja bestimmt nicht an, dass ich diese Bank nur gekauft habe, um dir das zu sagen.“

Tally befeuchtete sich die Lippen. Sie wünschte sich zu sterben, zwang sich aber, sich nichts anmerken zu lassen.

„Wohl kaum. Du hast die Bank gekauft, weil … weil du mir den Kredit sperren willst.“

„Meinst du?“, fragte er sanft. „Du unterschätzt meinen Sinn für Effektivität. Natürlich könnte ich das, aber einen bereits gewährten Kredit zu sperren würde mehr Zeit und Mühe kosten, als die Sache wert ist.“ Er lächelte. „Deshalb bin ich bereit, mich mit der zweitbesten Lösung zu begnügen. Indem ich die ursprünglich vereinbarten Zahlungsbedingungen wieder einführe.“

„Die ursprünglich vereinbarten Zahlungsbedingungen?“, wiederholte sie wie betäubt. „Ich verstehe nicht.“

„Ganz einfach, cara“, erklärte er fast liebenswürdig, „ab sofort bezahlst du jeden Monat den für diesen Kreditrahmen normalerweise vorgesehenen Betrag.“

Tally dachte an die vierstellige Summe. Im Moment bezahlte sie ein Viertel davon und schaffte es kaum.

„Das ist … das ist unmöglich. Ich kann nicht …“

„Einschließlich der Summe, mit der du im Rückstand bist.“ Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und hielt es ihr hin. Seine Mundwinkel zuckten. „Plus Zinsen natürlich.“

Tally schaute auf die Zahl, die auf dem Blatt stand, und lachte – weil sie sonst geweint hätte.

„Aber ich habe das Geld nicht!“

„Ah.“ Dante seufzte. „Das habe ich befürchtet. In diesem Fall sehe ich mich leider gezwungen, die Zwangsversteigerung für dein Haus einzuleiten.“

Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. „Die … die Zwangsversteigerung?“

„Tja, so ist das im Geschäftsleben. Du hast einen Kredit aufgenommen und das Haus als Sicherheit angegeben.“ Er lächelte eisig. „Falls du nicht weißt, was das heißt, kann es dir dein Liebhaber bestimmt erklären.“

„Bist du wahnsinnig geworden?“ Tallys Stimme klang plötzlich schrill. „Das kannst du doch nicht machen! Du kannst mir doch nicht einfach mein Haus wegnehmen.“ Sie hob die zu Fäusten geballten Hände. „Verdammt, es gibt immer noch Spielregeln!“

„Ich habe meine eigenen“, erwiderte Dante kalt. „Das solltest du eigentlich wissen.“

Er bewies es, indem er sie in die Arme nahm und küsste.

3. KAPITEL

Zur Strafe, weil sie mich eben angelogen hat, versuchte sich Dante einzureden.

Warum sollte er sie wohl sonst küssen wollen, außer um sie zu zwingen, zuzugeben, dass sie gelogen hatte? Er hätte sein gesamtes Vermögen verwettet, dass Taylor ihm im Bett nie etwas vorgespielt hatte, und er wollte verdammt sein, ließe er sie mit dieser Lüge durchkommen.

Er war ihr körperlich überlegen, aber sie verstand es genau, die richtigen Knöpfe zu drücken. Und wenn schon – er auch. Er würde sie küssen, bis sie – genauso wie früher – den Verstand verlor vor Verlangen, und dann würde er einen Schritt zurücktreten und kalt lächelnd sagen: Siehst du, Taylor? Das ist die Strafe für deine Lügen.

Nur deshalb küsste er sie. Oder versuchte es zumindest. Aber sie wehrte sich wie eine Wildkatze, drehte den Kopf zur Seite und schlug mit den Fäusten auf seine Schultern ein.

Als die erhoffte Wirkung ausblieb, biss sie ihn so heftig ins Ohrläppchen, dass ihm vor Schmerz die Luft wegblieb.

„Du Biest!“

„Lass mich los, du … du …“, forderte sie ihn aufgebracht auf und verpasste ihm eine Ohrfeige. Wütend packte Dante ihre Hände und presste sie an seine Brust. In diesem Moment schnellte ihr Knie hoch, aber er reagierte blitzschnell, indem er sie an sich riss. Gefangen zwischen ihm und der Wand neben der Doppeltür, war sie praktisch bewegungsunfähig.

„Lass mich los, Russo! Auf der Stelle, sonst …“

„Was sonst? Wie willst du mich davon abhalten, dir zu beweisen, dass du lügst?“

„Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich lüge überhaupt …“

Er presste seinen Mund hart auf ihren. Doch sie biss ihn so in die Unterlippe, dass er Blut schmeckte. Er beachtete es jedoch nicht, weil er entschlossen war, diese Schlacht zu gewinnen.

Es war sein gutes Recht zu erfahren, warum sie ihn belogen hatte. Außerdem wollte er wissen, warum sie ihn verlassen hatte. Er wollte Antworten erhalten, und wenn er die nicht bekam, würde er sie sich eben mit Gewalt holen.

Dante umfasste fest Taylors Kopf und erforschte mit der Zunge ihren Mund. Dio, was für ein Gefühl, sie wieder im Arm zu halten und ihre weichen Brüste zu spüren und ihre Hüften.

Er wollte sie, und es hatte nichts damit zu tun, dass er wütend auf sie war. Es lag daran, wie sie sich anfühlte, schmeckte und wie ihre Haut duftete. All das rief die vielfältigsten Erinnerungen in ihm wach. Dabei wurde sein Kuss sanfter. Und als sie leise seufzte, verwandelte sich seine Aggression in Zärtlichkeit.

Dante spürte, dass sie bebte. Aber nicht vor Angst. Sie bebte vor Verlangen. Nach ihm. Irgendetwas in ihm brach sich Bahn. Etwas Primitives, Ursprüngliches, das er nicht benennen konnte. Er hatte plötzlich das untrügliche Gefühl, dass die Frau in seinen Armen immer noch ihm gehörte. Langsam schob er die Finger in ihr Haar.

„Sag mir, dass du mich willst“, befahl er heiser.

Tally schüttelte den Kopf. „Nein“, flüsterte sie. „Ich will dich nicht. Ich will …“

Nachdem er erneut ihren Mund erobert hatte, stieß sie diesen kleinen wilden Schrei aus, den er von früher kannte und der ihn noch immer genauso erregte. Und als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, ihm die Arme um den Nacken legte und „Dante“ flüsterte, als wäre er der einzige Mann auf der Welt, der diese Gefühle in ihr auslösen könnte, wurde er fast wahnsinnig vor Verlangen. Es war so lange her, dass er sie geliebt hatte. Er brannte vor Leidenschaft … genau wie sie.

Blind vor Begierde und immer wieder ihren Namen flüsternd, zerrte Dante an den Knöpfen ihres Mantels. Als er sie nicht schnell genug aufbekam, fluchte er und riss sie kurzerhand auf.

Wenn er nicht auf der Stelle ihre Brüste berührte, würde er vergehen. Er konnte nicht anders, als sein Knie zwischen ihre Schenkel zu zwängen, bis sie wieder aufschrie und sich an ihm rieb, konnte nicht anders, als ihren Rock hochzuschieben, die Hand zwischen ihre Beine gleiten zu lassen und zu spüren … ja, oh, ja … wie sehr sie ihn begehrte.

Ihr Kopf sank zurück wie die vom Wind gebeugte Blüte einer Blume. Und während sie ihm mit den Fingern durchs Haar fuhr und sich ihm entgegenbog, flüsterte sie immer wieder seinen Namen.

Ohne zu wissen, was er tat, hob er sie hoch und öffnete ihre Beine. Jetzt. Jetzt gleich … würde er eins mit ihr werden und sich ganz in ihr verlieren …

„Mr. Dennison? Ich bin zwar noch nicht ganz fertig, aber ich würde jetzt trotzdem lieber gehen, bevor es da draußen richtig losg…!“

Die leise, schockierte Stimme wirkte wie eine Bombe.

Dante wirbelte herum, wobei er Taylor automatisch mit seinem Körper abschirmte.

„Wer sind Sie denn?“, fragte er den alten Mann in Trainingsanzug und Arbeitsstiefeln, der sie mit offenem Mund anstarrte, ungehalten.

Tally zog ihren Mantel enger um sich und spähte über Dantes Schulter, während in ihren Ohren das Blut rauschte.

„Das ist Esau Staunton, der Hausmeister“, flüsterte sie mit bebender Stimme. Und wie sie diesen kannte, würden spätestens morgen alle in der Stadt wissen, was sich heute Nachmittag hier abgespielt hatte. Als Tally aufstöhnte, legte Dante seinen Arm um sie und zog sie an seine Seite. Sie sträubte sich zwar, aber er hielt sie unnachgiebig fest.

Der Alte ließ den Blick zu Taylor und dann zu Dante gleiten. „Wo ist Mr. Dennison?“

„Diese Bank gehört nicht mehr Mr. Dennison, sondern mir. Und Sie haben recht, Mr. Staunton, machen Sie, dass Sie nach Hause kommen, bevor es richtig losgeht.“

„Wirklich?“ Wieder streifte er Taylor mit einem Blick, dann schaute er zum Fenster. „Das da in dem roten Pick-up ist mein Junge. Er kommt mich abholen, aber wenn Sie oder die Lady wollen, dass …“

„Gehen Sie nach Hause, Mr. Staunton“, sagte Dante, liebenswürdig jetzt, aber mit einem stählernen Unterton in der Stimme.

„Oh … ja, klar … klar. Mach ich, Mr. … äh … Mr. …“

„Russo. Ach, noch was.“ Dantes Tonfall war immer noch sanft und doch unnachgiebig. „Sie verstehen sicher, dass Miss Sommers nicht möchte, dass irgendjemand von ihrem kleinen Schwächeanfall erfährt.“

„Von ihrem kleinen Schwäche…?“

„Ich kann mich doch bestimmt auf Ihre Diskretion verlassen. Diskretion ist eine Tugend, die alle, die für mich arbeiten, auszeichnet. Und Sie wollen doch auch für mich arbeiten, oder, Esau?“

„Ja, Sir.“

„Na prima. Dann wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende.“

Der alte Mann nickte, stieß die Doppeltüren auf, und ein eisiger Windstoß fegte herein. Nachdem der Hausmeister in den roten Pick-up geklettert war und ihn gestartet hatte, verlor sich das Fahrzeug schnell im Schneetreiben.

„Der Alte hat recht“, meinte Dante, „der Schneesturm nimmt zu.“

Tally blickte ihn entgeistert an. Wie konnte er nach dem, was eben vorgefallen war, so einfach übers Wetter reden?

„Du sagst ja gar nichts, cara.“

Sie löste sich abrupt aus seiner Umarmung. „Du hast bekommen, was du wolltest, Dante. Mehr sogar … bedenkt man dieses Theater eben.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Siehst du es so?“

In seinem Ton schwang Belustigung mit. Oh, wie sehr wünschte sie sich, ihm dieses süffisante Lächeln aus dem Gesicht zu vertreiben.

„Du bist wirklich … abscheulich. Hast du gehört? Du bist der abscheulichste, widerwärtigste …“ Plötzlich vergaß sie sich und holte mit der Hand aus, aber er hielt sie fest.

„So viel Wut, bellissima. Und das nur, weil ich dich bei einer Lüge ertappt habe.“ Sein Lächeln verschwand. „Du wolltest mich vor drei Jahren, und du willst mich immer noch. Das habe ich dir soeben bewiesen.“

„Wenn du mir nur noch ein einziges Mal zu nah kommst …“

„Lass die Drohungen, Taylor.“

Sie hätte am liebsten laut geschrien und sich auf ihn gestürzt – aber nichts davon hätte irgendetwas geändert. Seinetwegen war ihr Leben schon einmal fast aus den Fugen geraten. Jetzt lag es in Scherben. Jetzt blieb ihr nur noch ein würdevoller Rückzug.

„Okay“, sagte sie gespielt ruhig. „Keine Drohungen, nur ein Versprechen: Ich will dich nie wiedersehen. Und wenn du mir folgst, zeige ich dich an … wegen Belästigung, klar?“

Er lachte. Und dann – diesmal war sie schneller – versetzte Tally ihm doch noch eine schallende Ohrfeige.

Dante fluchte und wollte sie festhalten, aber sie entschlüpfte ihm, öffnete schnell die Eingangstür und rannte durch das Schneetreiben zu ihrem Auto. Obwohl Dante hinter ihr her brüllte, blieb sie nicht stehen und drehte sich auch nicht um. Der Parkplatz war eine Sinfonie in Weiß, und der eisige Wind zerrte an ihr, während sie sich zu ihrem Kombi durchkämpfte, die Tür aufriss, sich ans Steuer setzte und die Verriegelung aktivierte.

Gerade noch rechtzeitig, denn Dante rüttelte schon am Türgriff und schlug mit der Faust gegen das Fenster.

„Taylor! Mach auf!“

Ihr zitterten die Hände so heftig, dass sie den Autoschlüssel nicht ins Zündschloss bekam. Erst beim zweiten Versuch bekam sie den Motor an … der aber sofort wieder erstarb.

Ihrer Kehle entrang sich ein Aufschluchzen. „Jetzt komm schon endlich“, flüsterte sie verzweifelt, während sie erneut zu starten versuchte. „Mach schon, verdammt. Spring an!“

„Taylor!“ Noch einmal hieb Dante mit der Faust gegen die Scheibe. „Was, zum Teufel, hast du vor?“

Flüchten. Genau das hatte sie vor. Dante hatte alles zerstört, was sie sich in den vergangenen drei Jahren aufgebaut hatte. Mit einem Federstrich plante er, sie zu enteignen, mit einem erzwungenen Kuss hatte er ihr den Stolz geraubt und mit einer durchsichtigen Schmierenkomödie, die sie besser ganz schnell vergessen sollte, ihren guten Ruf.

Und das alles nur, um etwas zu beweisen, was sie beide wussten: dass er brutal und herzlos war. Und dass er es immer noch schaffte, ihr eine Reaktion zu entlocken und Gefühle in ihr zu wecken.

„Taylor!“

Wieder versuchte sie zu starten, doch diesmal gab der Motor keinen Laut mehr von sich. Ganz ruhig bleiben, redete sie sich gut zu. Wahrscheinlich war der Motor nur zu kalt, oder sie hatte ihn absaufen lassen …

Der Kombi wackelte unter der Wucht von Dantes Fausthieben.

„Verflucht, hast du den Verstand verloren? Steig sofort aus! Du kannst doch nicht bei so einem Schneesturm durch die Gegend fahren!“

Hierbleiben konnte sie erst recht nicht. Nicht mit ihm. Außerdem musste sie an Sam denken. Ob sie bei den Millers in Sicherheit war? Ganz bestimmt. Sorgen machte Tally sich trotzdem, denn möglich war alles. Wenn sie irgendetwas im Leben gelernt hatte, dann das.

Ein letzter Versuch. Dreh den Zündschlüssel um. Tritt das Gaspedal nur ganz leicht durch

Fehlanzeige. Fehlanzeige! Tally schlug frustriert mit der Faust aufs Lenkrad.

„Hör mir zu“, sagte Dante jetzt in einem Ton, als versuchte er, einem Kind gut zuzureden.

Wie könnte sie nicht zuhören? Sie waren nur Zentimeter voneinander entfernt, lediglich getrennt durch eine dünne Glasscheibe.

„Komm wieder rein, bis der Schneesturm vorbei ist. Ich schwöre, dass ich dich nicht mehr anrühre.“

Fast hätte Tally laut gelacht. Offenbar kannte er die Winter in Neuengland nicht. Dieser Schneesturm konnte tagelang dauern. Und so lange sollte sie mit ihm in der Bank bleiben? Niemals!

„Taylor, sei vernünftig. Wir holen Hilfe. Hier gibt es doch bestimmt Schneepflüge, oder?“

Natürlich gab es welche. Würde aber das Telefon funktionieren? Bei Unwetter brachen immer zuerst diese Leitungen zusammen.

„Verdammt“, brüllte Dante. „Hältst du es nicht mal ein paar Stunden ohne deinen Liebhaber aus? Willst du wirklich dein Leben aufs Spiel setzen, nur um bei ihm zu sein?“

Bei diesen Worten rüttelte er an der Tür wie ein Irrer – und plötzlich ging sie auf. Tally streckte die Hand nach dem Griff aus, aber Dante beugte sich bereits ins Auto, zog Tally heraus und rannte mit ihr auf dem Arm durch den Schneesturm zur Bank, wo er sie vor dem Eingang auf die Beine stellte.

„Und lauf ja nicht wieder weg“, befahl er bestimmt. „Sobald wir drin sind, rufe ich die Polizei. Du kannst dich ja solange in einen Tresor einsperren.“

Dann wollte er die Eingangstür öffnen, was ihm aber nicht gelang. Während er etwas vor sich hin brummelte, packte er den kupfernen Türgriff mit beiden Händen und riss mit aller Kraft daran. Vergebens.

Dante, den es rasend machte, wenn er eine Situation nicht beherrschte, fluchte. Offenbar war das Türschloss mit einer Alarmanlage verbunden, sodass sich die Tür erst am Montag wieder öffnen ließ.

In Schneestürmen wie diesem fanden Menschen oft genug den Tod, das wussten sowohl Tally als auch er. Wortlos hob er sie wieder hoch, und diesmal wehrte sie sich nicht. Der Boden war so glatt, dass Dante das Gleichgewicht zu verlieren drohte, sodass Tally ihm automatisch ihre Arme um den Nacken legte. Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen, während er mit ihr zu dem schwarzen Geländewagen stapfte. Dort setzte er sie ab und kramte in seinen Taschen nach dem Autoschlüssel. Wenig später saßen sie beide im Auto, wo Dante sein Handy herausholte und aufklappte.

„Das kannst du vergessen“, sagte Tally erschöpft, während sie sich im Sitz zurücklehnte. „Es wird nicht funktionieren.“

Dante wandte sich ihr zu. Sie sah blass aus, und ihre Wut schien Resignation gewichen zu sein.

„Gut, dann müssen wir uns eben etwas anderes überlegen“, erwiderte er gespielt munter.

Er drehte den Zündschlüssel so weit um, dass er den Benzinstand ablesen konnte, obwohl er ihn kannte. Er hatte unbedingt vor Taylor in der Bank sein wollen und deshalb keine Zeit mehr gehabt zu tanken. Ein kurzer Blick bestätigte seine Befürchtung.

„Der Sprit ist fast alle. Mit Unterbrechungen können wir den Motor vielleicht noch zwanzig oder dreißig Minuten laufen lassen, aber dann …“ Dann war Feierabend. „Pass also auf“, fuhr er in aufmunterndem Ton fort. „Du bleibst hier und startest alle zehn Minuten den Motor und lässt ihn laufen, bis es einigermaßen warm ist, dann machst du ihn wieder aus. Ich versuche inzwischen Hilfe zu holen.“

„Zu Fuß? Bist du wahnsinnig? Du würdest keine hundert Meter weit kommen.“

„Sei froh, dann bist du mich wenigstens los“, konterte er bissig.

Idiot, dachte sie, sagte aber nichts.

Es gab nur eine einzige Möglichkeit. Die war zwar riskant, hierzubleiben war jedoch noch viel riskanter.

Sie atmete tief ein und fragte: „Kannst du gut fahren?“

„Was denkst du denn?“

Ganz offensichtlich fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt, und unter anderen Umständen hätte sie jetzt bestimmt gelacht.

„Was meinst du, reicht der Sprit für fünfzehn Meilen?“

Er nickte. „Ich denke schon.“

„Gut, dann fahren wir zu mir. Mein Nachbar hat einen Truck und einen Schneepflug. Er kann dich zum Highway bringen … notfalls auch abschleppen. Dort gibt es eine Tankstelle und ein Motel, wo du warten kannst, bis der Schneesturm nachgelassen hat.“

In seiner Wange zuckte ein Muskel. Dann nickte er, startete den Motor und fuhr vom Parkplatz.

Die Landschaft hatte sich in ein wogendes weißes Meer verwandelt. Die Windverwehungen enthüllten nur gelegentlich irgendetwas Charakteristisches, das zur Orientierung dienen konnte, aber es war genug.

Eine knappe Stunde später erreichten sie schließlich wohlbehalten ihr Ziel. Dante war wirklich ein guter Fahrer.

Sobald sie im Haus waren, musste Tally zu ihrem Schrecken feststellen, dass der Strom ausgefallen war, was bedeutete, dass die Telefonleitungen tot waren.

Dante schien denselben Gedanken gehabt zu haben, denn er sagte: „Sieht ganz so aus, als ob du hier mit einem unerwünschten Gast festsitzt.“

Tally antwortete nicht, weil ihr gerade Sams Spielsachen eingefallen waren. Lag vielleicht in der Küche irgendetwas herum? Soweit sie sich erinnern konnte, nicht, aber jetzt war es sowieso zu spät, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.

Sollten sie wider Erwarten über irgendetwas stolpern, würde sie sich eben etwas einfallen lassen müssen. Im Ausredenerfinden hatte sie in der vergangenen Stunde Übung bekommen.

Sie führte Dante in die Küche und zündete zwei Kerzen an, von denen sie eine auf die Spüle und die andere auf den runden Holztisch am Fenster stellte. Dabei schauderte sie vor Kälte. Die Küche war der kleinste Raum im Haus, aber ohne Heizung war es hier kalt wie in einer Kühlkammer.

„Frierst du?“

„Nein, alles ist okay.“

Dante runzelte die Stirn, dann zog er seine Lederjacke aus, ging zu Tally und legte sie ihr um die Schultern. „Du konntest noch nie gut lügen, cara.“

„Ich brauche deine Jacke nicht …“

„Behalt sie an, bis es etwas wärmer ist.“ Er deutete mit dem Kopf auf den alten gemauerten Kamin, der fast eine ganze Wand einnahm. „Ist der echt?“

„Was glaubst du denn“, murmelte Tally, wobei sie sich verzweifelt bemühte, nicht den Duft einzuatmen, der von der Jacke ausging. „Du bist hier in New England und nicht in Manhattan. Hier hat kein Mensch Zeit, anderen etwas vorzumachen.“

Um seine Mundwinkel zuckte ein Lächeln. „Aha.“ Dann streckte er die Hand aus. „Wenn du mir die Streichhölzer gibst, mache ich ihn an.“

„Nicht nötig.“

„Gar nichts ist nötig“, sagte er schroff. „Jedenfalls nicht, soweit es mich betrifft, richtig?“

Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: „Hör zu, ich verstehe ja, dass du es nicht erwarten kannst, mich endlich loszuwerden, wenn ich aber schon hier sein muss, will ich wenigstens nicht erfrieren. Also gib mir jetzt endlich Streichhölzer.“

Er hatte recht, auch wenn sie es nur ungern zugab. Sie warf ihm die Streichholzschachtel zu und beobachtete, wie er sich vor den alten gemauerten Kamin ihrer Großmutter kniete und Feuer machte. Sobald die Flammen hell aufloderten, begann sie sich wohler zu fühlen, und sie ging mit ausgestreckten Händen ans Feuer, um sich zu wärmen.

„Besser so?“

Tally nickte. Jetzt konnten sie nur noch warten, bis der Schneesturm nachließ. Wenigstens brauchte sie sich keine Gedanken mehr um Sam zu machen. Im Vorbeifahren hatte sie bei den Millers Licht gesehen, da war ihr eingefallen, dass Dan und Sheryl einen Generator hatten. Sam würde es jetzt bei ihnen kuschelig warm haben. Sie würde eine warme Mahlzeit bekommen und ein warmes Bett …

„Das ist also das Haus, das du von deiner Großmutter geerbt hast.“

Tally ließ den Blick zu Dante schweifen. Er stand breitbeinig mit verschränkten Armen da und schaute sich in der Küche um. Wahrscheinlich kam er sich vor wie auf einem anderen Stern.

„Richtig“, erwiderte sie kalt. „Und bald wird es dir gehören.“

„Und wo ist dein Liebhaber? Versteckt er sich vor mir?“

„Ich habe keinen Liebhaber, das sagte ich bereits. Aber selbst wenn ich einen hätte, wüsste ich beim besten Willen nicht, warum er sich vor dir verstecken sollte. Es ist mein Leben, Dante. Und du gehörst nicht dazu.“

„Das hast du bereits in der Nacht, in der du weggelaufen bist, mehr als deutlich gemacht.“

„Um Himmels willen, fängst du jetzt damit wieder an?“ Tally nahm den Kessel vom Herd, füllte ihn mit Wasser und stellte ihn auf den Rost im Kamin. „Es war mein gutes Recht, wegzugehen, und dafür brauchte ich deine Erlaubnis nicht einzuholen, auch wenn es dir schwerfällt, das zuzugeben.“

„Etwas mehr als diesen lächerlichen Zettel hätte ich aber schon erwarten dürfen, meinst du nicht?“

„Ich wüsste nicht, warum.“

„Verdammt“, stieß er gereizt hervor, während er ihr von hinten die Hände auf die Schultern legte und Tally zu sich herumdrehte. „Ich habe deine Ausweichmanöver gründlich satt. Sag mir, warum du weggegangen bist.“

„Ich habe es dir bereits erzählt. Unsere Affäre war zu Ende, und wir wussten es beide.“ Bei diesen Worten schaute sie ihm fest in die Augen.

Sie hatte recht … oder? War er nicht zu demselben Schluss gelangt? Hatte er nicht schon eine Weile überlegt, dass es an der Zeit sei, die Sache zu beenden? Nicht, dass es jetzt noch eine Rolle gespielt hätte.

„Du hattest kein Recht, für mich zu sprechen“, sagte er scharf.

„Nein. Deshalb habe ich ja auch nur für mich gesprochen.“ Sie atmete tief ein und wandte sich ab. „Ich brauchte eine Veränderung.“

Dante presste die Lippen zusammen. „Du meinst einen anderen Mann.“

„Unsinn. Ich habe mich …“

Sie schrie auf, als er sie am Arm packte und an sich riss. „Lüg mich nicht an!“

„Zum letzten Mal, es gibt keinen anderen Mann!“

„Na so was. Dabei kenne ich sogar seinen Namen“, erwiderte er ungehalten und verstärkte seinen Griff. „Mich würde nur interessieren, ob du nach ihm auch so verrückt bist wie nach mir.“

„Ich verrückt nach dir?“ Sie lachte hart auf. „So nennst du das? Du … du hast … was du gemacht hast, war Nötigung!“

So etwas zu sagen war töricht. Seine Nasenflügel bebten wie die Nüstern eines Hengstes, der eine brünstige Stute witterte.

„Willst du das wirklich behaupten?“, fragte er sanft.

Tally schaute dem Mann ins Gesicht, der einst ihre ganze Welt gewesen war. Wie hatte sie bloß vergessen können, wie atemberaubend er war? Und wie grausam?

„Wir sind zwei erwachsene Menschen, cara. Warum geben wir nicht einfach zu, dass wir einander begehren?“

„Hast du nicht eben gesagt, dass ich dich so schnell wie möglich loswerden will?“ Verdammt, warum klang sie so atemlos?

Statt zu antworten, umfasste er ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Küss mich“, flüsterte er, „nur ein einziges Mal. Wenn du dann immer noch keine Lust hast, Liebe mit mir zu machen, rühre ich dich nicht mehr an, das schwöre ich dir.“

„Dafür brauche ich dich nicht erst zu …“

Doch da presste er auch schon die Lippen auf ihre. Tally protestierte schwach, dann aber legte sie ihm die Arme um die Taille und ließ sich von ihm umarmen. Sie wehrte sich auch nicht, als seine Zunge ihren Mund zu erforschen begann, und wusste sofort, dass sich zwischen ihnen nichts, aber auch gar nichts geändert hatte. Sie sehnte sich immer noch nach seinen Berührungen, nach seinem Mund und Körper, der hart war vor Verlangen …

Plötzlich riss ein Windstoß die Tür auf und drückte sie gegen die Wand, während eine kleine Frau mit einer großen Einkaufstüte im Arm die Küche betrat.

„Entschuldige, dass ich nicht geklopft habe“, sagte Sheryl Miller atemlos, „aber ich hatte keine Hand frei. Ich habe die Reste vom Abendessen dabei und ein frisches Weizenbrot. Dan wollte unbedingt, dass ich seiner Mutter …“ Erschrocken verstummte sie. „Oh! Oh, das tut mir leid, Tally. Ich … ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“

Weder Tally noch Dante antworteten. Beide blickten starr auf das Kind in dem himbeerfarbenen Schneeanzug, das Sheryl an der Hand hielt.

„Hallo, Mummy“, begrüßte Samantha Gardner Sommers ihre Mutter fröhlich und warf sich ihr in die Arme.

4. KAPITEL

Für einen Moment standen bis auf das Kind alle wie erstarrt da.

Dann, als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt, kam wieder Bewegung in die Szene. Die Frau auf der Schwelle, die ein höfliches Gesicht aufgesetzt hatte, stellte die Tüte auf dem Tresen ab, während Taylor das Kind in die Arme schloss, und Dante …

Dante atmete tief durch.

Mummy? Hatte das Kind wirklich Mummy gesagt? Taylor blickte ihn über den Kopf des kleinen Mädchens hinweg an. Sie war blass geworden. Er aber wahrscheinlich auch.

„Wer ist das?“, fragte er heiser.

Die Frau schaute auf Taylor, dann trat sie einen Schritt vor. „Verzeihen Sie, dass ich mich nicht gleich vorgestellt habe. Ich bin Sheryl Miller, Tallys Nachbarin.“

Dante fuhr zu ihr herum, um ihr zu sagen, dass sie nicht gemeint sei und es ihn überhaupt nicht interessiere, wer sie sei, aber so unhöflich war er natürlich nicht.

„Und wer sind Sie?“, fragte Sheryl in die gespannte Stille hinein.

„Mein Name ist Dante Russo“, erwiderte er und rang sich ein Lächeln ab. „Taylor und ich …“

„Wir kennen uns aus New York“, fiel Taylor ihm hastig ins Wort. Sie hatte ganz rote Wangen bekommen und wirkte, als hätte sie Fieber. „Er war gerade in der Gegend, und da … da hat er kurz reingeschaut.“

In diesem Moment hupte es draußen, doch Sheryl Miller reagierte nicht darauf. „Merkwürdig“, meinte sie, „aber Tally hat Sie nie erwähnt.“

Dante, der die Frau am liebsten aufgefordert hätte, endlich zu verschwinden, damit er Taylor fragen konnte, wer dieses Kind sei und warum es sie Mummy genannt habe, konnte sich nur schlecht beherrschen, zumal die Spannung im Raum unerträglich war und Taylors Nachbarin ihn so argwöhnisch musterte, als wäre er ein steckbrieflich gesuchter Serienkiller.

„Tja, so ist sie eben“, sagte er und lächelte schief.

Doch die Frau ignorierte seinen Kommentar und wandte sich wieder an Tally. „Ist alles okay mit dir?“, fragte sie.

Tally zwang sich, nicht hysterisch aufzulachen. Nichts war okay, gar nichts. Nichts würde je wieder in Ordnung sein, es sei denn, ihr fiel eine überzeugende Geschichte ein, damit Dante endlich aufhörte, sie und Sam so fassungslos anzusehen.

„Soll ich Dan reinholen?“

„Nein! Oh, nein, Sheryl. Ich meine … Es ist … wie schon gesagt … Dante ist ein alter …“

„Freund“, ergänzte Dante in ruhigem Ton. „Ich war in der Nähe und wollte nur mal kurz reinschauen, um zu sehen, ob sich Taylor an das Kleinstadtleben gewöhnt hat.“

Doch Sheryl Miller wirkte auch dann nicht überzeugt, als Taylor ihm eifrig zustimmte, dass es so gewesen sei.

„Warum sollte sie sich an das Leben hier nicht wieder gewöhnen? Hat sie Ihnen denn nie erzählt, dass sie im Grunde ihres Herzens immer ein Kleinstadtmädchen geblieben ist? Und dass sie aus Shelby kommt?“

„Nein. Aber langsam wird mir klar, dass sie mir wirklich vieles verheimlicht hat.“ Dante schaute zu Taylor. „Ist es nicht so, cara?

Tally antwortete nicht. Offenbar befürchtete sie, mit jedem neuen Wort nur noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

Draußen hupte es jetzt wieder. „Na schön, dann will ich mal … Dan möchte los, wir wollen zu seiner Mutter fahren“, erklärte Sheryl, bevor sie einen Handschuh auszog und Dante die Hand hinhielt. „War nett, Sie kennenzulernen.“ Sie beugte sich vor, als wollte sie ihm ein Geheimnis verraten. „Tally kann gut ein bisschen Gesellschaft brauchen. Ich rate ihr immer, öfter auszugehen, aber mit Sam … na ja, Sie wissen ja, wie das ist.“

„Nein“, sagte Dante. „Ich fürchte, das weiß ich nicht.“

Sheryl lächelte vielsagend. „Männer. Aber egal, auf jeden Fall freut es mich, dass mal jemand aus Tallys früherem Leben vorbeischaut.“

„Genau das bin ich. Jemand aus Taylors früherem Leben.“

Diesmal hupte es dreimal.

„Schon gut“, murmelte Sheryl. „Ich komm ja schon. Ach, und Tally? Nur falls ihr mitkommen wollt, Dans Mutter hat bestimmt nichts dagegen.“

Für einen Moment sah Tally sich im Geiste mit Sam hinaus in den Schneesturm rennen, hin zum Truck, und Dan bitten, so lange zu fahren, bis sie eine Million Meilen zwischen sich und Dante gelegt …

„Tally?“

Sie schrak aus ihren Gedanken auf. „Nein, danke“, erwiderte sie lächelnd, „wir kommen klar.“

Dante legte einen Arm um Tally, und als sie sich versteifte, verstärkte er noch den Griff, als wollte er sie warnen.

„Wir machen es uns hier gemütlich“, ergänzte er betont locker. „Tanzende Schneeflocken, ein Kaminfeuer und Kerzenschein … romantischer geht’s doch gar nicht, besonders für alte Freunde, oder was meinst du, cara?

Das Kind, das am Daumen nuckelte, betrachtete ihn nachdenklich. Lügner, schienen die großen grünen Augen des kleinen Mädchens zu sagen. Aber Sheryl Millers breites Lächeln verriet ihm, dass sie ihm die Geschichte abgekauft hatte.

„Na schön, dann will ich mal. War wirklich nett, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Russo.“

Dante behielt sein Lächeln bei, bis die Tür ins Schloss fiel. Dann ließ er Taylor los.

„Wessen Kind ist das?“

Eine direkte Frage, die eine direkte Antwort erfordert, dachte Tally, die noch immer wie gelähmt war.

„Taylor. Ich habe dich etwas gefragt. Ist es dein Kind?“

Diesen Moment wählte Sam, um herzhaft zu gähnen, worüber Tally heilfroh war.

„Oh, da ist jemand aber müde!“, rief sie aus und ignorierte Dantes Frage ebenso wie ihr wild klopfendes Herz.

„Nich müde“, protestierte Sam und gähnte wieder.

Tally lächelte mühsam. „Und wie müde du bist“, widersprach sie sanft und schmiegte das Gesicht an den süß duftenden Hals ihrer Tochter, während sie Sam zu dem kleinen Sofa vor dem Kamin trug und sich dort mit ihr hinsetzte. Dann zog sie der Kleinen Schuhe und Schneeanzug aus.

„Was hältst du von einem Nickerchen, mein Schatz? Gleich hier am Kamin? Was meinst du?“

„Ich un Teddy.“

„Du und der Teddy, ganz genau! Leg dich schon mal hin, dann hole ich ihn schnell und deine gelbe Decke auch, einverstanden?“

„Einerstan…“, murmelte Sam, während ihr bereits die Augen zufielen.

Tally stand auf und zwang sich, Dante kurz zuzunicken. Als sie zurückkehrte, war Samantha schon fast eingeschlafen. Tally deckte sie zu, drückte ihr den Teddy in den Arm und strich ihr zärtlich übers Haar.

„Hör auf, Zeit zu schinden.“

Autor

Barbara Mc Mahon
<p>Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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