Julia Extra Band 404

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DAS HEIßE HERZ DES WÜSTENPRINZEN von MARINELLI, CAROL
Das heiße Herz der WüstenprinzessinNur eine Woche in Freiheit! Danach muss Wüstenprinzessin Layla wieder in ihren goldenen Käfig zurückkehren. Doch als sie nach einer durchtanzten Nacht unter den heißen Küssen von Erfolgsanwalt Mikael dahinschmilzt, erwacht ungeahnt brennende Sehnsucht in ihr …

KÜSS MICH IN DER TOSKANA! von ANDERSON, CAROLINE
Küss mich in der Toskana!Der berühmte Fernsehstar Leo Zacharelli ist der Traum aller Frauen - nur für Amy ist er einfach bloß ihr bester Freund seit Kindertagen. Bis ihre Hochzeit mit einem anderen Mann scheitert und sie mit Leo in die Toskana reist. Plötzlich knistert es heftig zwischen ihnen …

EIN MILLIARDÄR ENTDECKT DIE LEIDENSCHAFT von PAMMI, TARA
Ein Milliardär entdeckt die LeidenschaftErregende Spannung erfasst den Milliardär Nathaniel Ramirez. Er weiß schon, wie er Riya im Kampf um sein Erbe austricksen will! Aber je näher er der klugen Schönheit kommt, desto weniger siegesgewiss ist er. Denn eins beginnt er bereits ungewollt an sie zu verlieren: sein Herz!

PECH IM SPIEL, GLÜCK IN DER LIEBE? von FAYE, JENNIFER
Pech im Spiel, Glück in der Liebe?Ausgerechnet Jax Monroe! Der erste Kunde, den Cleo in ihrem neuen Job in Las Vegas betreut, ist kein Unbekannter für sie. Als Teenager war sie unsterblich in ihn verliebt. Jetzt ist Jax faszinierender denn je. Und so sexy! Doch er hat ein gefährliches Geheimnis …


  • Erscheinungstag 22.09.2015
  • Bandnummer 0404
  • ISBN / Artikelnummer 9783733704643
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Caroline Anderson, Tara Pammi, Jennifer Faye

JULIA EXTRA BAND 404

CAROL MARINELLI

Das heiße Herz der Wüstenprinzessin

Die betörend schöne Prinzessin Layla weckt Gefühle in Mikael wie keine Frau zuvor. Aber er ahnt: So schnell, wie sie in sein Leben gestürmt ist, wird sie auch wieder daraus verschwinden …

CAROLINE ANDERSON

Küss mich in der Toskana!

Amys Lächeln raubt dem berühmten Fernsehstar Leo Zacharelli den Atem. Immer stärker fühlt er sich von seiner besten Freundin angezogen, als sie ihn auf einer Toskanareise begleitet …

TARA PAMMI

Ein Milliardär entdeckt die Leidenschaft

Riya hat nur eins im Sinn, als sie Nathaniel mit einer List nach Hause lockt: Er soll sich mit seinem Vater aussöhnen! Doch dann bringt ein überraschend heißer Kuss ihren kühlen Plan in Gefahr …

JENNIFER FAYE

Pech im Spiel, Glück in der Liebe?

Cleo sieht wirklich atemberaubend sexy aus, findet Jax Monroe. Aber das Letzte, was der Wall-Street-Broker bei seinem geheimen Trip nach Las Vegas gebrauchen kann, sind erotische Verwicklungen …

1. KAPITEL

„Prinzessin Layla, freuen Sie …“

Geduldig wartete Layla, während das kleine Mädchen auf dem Computermonitor nach den richtigen Worten suchte. Es war ihr ein großes Anliegen, jede Mädchen-Klasse in Ishla einmal monatlich per Videoübertragung zu unterrichten. Die Prinzessin unterhielt sich dann mit den Schülerinnen und ermunterte sie dadurch, fleißig Englisch zu lernen. Das Projekt war ein riesiger Erfolg.

„Prinzessin Layla“, setzte die Kleine erneut an, „freuen Sie sich darauf, Prinz Zahid und Prinzessin Trinity auf ihrer Hochzeitsreise nach Australien zu begleiten?“

Als bei „Hochzeitsreise“ die gesamte Klasse anfing zu kichern, hätte Layla fast mit eingestimmt. Die zehnjährigen Mädchen fanden die Hochzeit des attraktiven Prinzen Zahid mit Lady Trinity aus England natürlich wahnsinnig spannend.

„Sehr gut“, lobte Layla das Mädchen, das seine Frage auf perfektem Englisch gestellt hatte. „Ja, ich freue mich sehr, mit meinem Bruder und seiner Braut Zeit in Sydney zu verbringen. Heute Abend fliege ich mit dem königlichen Jet los.“

Zahids und Trinitys Hochzeit war einfach wunderschön gewesen. Ganz Ishla hatte mitgefeiert – trotz der schockierenden Nachricht, dass Trinity schon vor der Eheschließung schwanger gewesen war. Layla folgte normalerweise dem Grundsatz, alle Fragen der Schülerinnen so gut sie nur konnte zu beantworten. Doch wenn es um Trinitys Schwangerschaft gegangen war, hatte sie sich oft befangen gefühlt – nicht nur weil das in Ishla ein heikles Thema war. Layla konnte diese Fragen einfach nicht beantworten. Ihr war klar geworden, wie unwissend sie war – und wie viel sie noch erfahren und lernen wollte.

Schon lange träumte sie von der Welt außerhalb der Palastmauern. Noch bevor Zahid gewusst hatte, wen er heiraten würde, hatte er Layla erlaubt, ihn auf seine Hochzeitsreise zu begleiten. Von einem künftigen König konnte man kaum erwarten, dass er seine gesamte Zeit mit seiner Braut verbrachte. Deswegen war man davon ausgegangen, dass Zahids Gemahlin eine Gesellschafterin brauchen würde.

Er und Trinity waren jedoch so verliebt, dass sie nun eigentlich doch lieber allein verreist wären. Aber Layla wollte auf die erste und einzige Auslandsreise ihres Lebens nicht verzichten. Voller Schuldgefühle dachte sie an das, was sie nach ihrer Ankunft in Australien vorhatte.

„Prinzessin Layla, haben Sie Angst?“, fragte nun ein anderes kleines Mädchen.

„Ein bisschen, ich habe Ishla ja noch nie verlassen. Aber ich freue mich auch auf dieses Abenteuer.“

„Prinzessin Layla …“ Sämtliche Schülerinnen meldeten sich eifrig, um noch eine Frage zu stellen. Die Mädchen beteten Layla geradezu an und machten immer fleißig ihre Hausaufgaben, damit sie weiterhin die Chance hatten, einmal monatlich mit ihr zu reden. Doch weil auch ihr Vater, König Fahid, vor der Abreise noch mit ihr reden wollte, sagte Layla: „Leider ist heute keine Zeit mehr für weitere Fragen.“

Lächelnd hörte sie zu, wie ihr die Mädchen eine gute Reise wünschten. „Werden Sie uns vermissen?“, fragte eines.

„Natürlich“, versicherte Layla liebevoll. Ja, das werde ich, dachte sie, als sie später bäuchlings auf dem Bett lag und auf dem Laptop noch einmal alle Details ihres Plans durchging. Würde ihr Vater überhaupt zulassen, dass sie die Mädchen weiter unterrichtete, nachdem sie …? Aber darüber durfte sie jetzt nicht nachdenken. Denn was für Folgen ihr Verhalten auch haben würde, sie hatte sich entschlossen, diese in Kauf zu nehmen. Eine Woche Freiheit war jede Strafe wert, die ihr Vater verhängen würde.

Layla hatte Sterbensangst davor, in Australien allein mit dem Taxi zu fahren, aber sie hatte sich immer wieder kurze Filme im Internet dazu angesehen und wusste nun in etwa, wie man das machte. Ich liebe meinen Computer, dachte sie.

König Fahid wurde alt und war sehr krank, auch wenn niemand in Ishla das wissen durfte. Vielleicht hatte er deswegen Laylas Unterricht weniger gründlich hinterfragt, als er es früher getan hätte. Im Grunde war der König einfach froh darüber, dass seine eigensinnige Tochter durch das Unterrichten von ihrer üblichen Rebellion abgelenkt wurde. Layla war sehr behütet aufgewachsen. Sie durfte kein eigenes Telefon besitzen und hatte auch noch nie fernsehen dürfen. Dass der Computer, den sie für ihren Unterricht brauchte, ihr freien Zugang zu der Welt bot, die ihr sonst verschlossen war, ahnte Fahid nicht.

Layla rief die Seite auf, die sie sich seit Wochen immer wieder ansah – seit sie wusste, wohin die Hochzeitsreise gehen würde.

Da war er! Lächelnd betrachtete Layla das finstere, hochmütige Gesicht von Mikael Romanov. Er war ein äußerst erfolgreicher Anwalt und einer der besten Strafverteidiger Australiens. Dort hatte der aus Russland stammende Mann Recht studiert. Romanov galt als durchsetzungsfähig, skrupellos – und erfolgreich.

Gut, dachte Layla. Er musste gut sein, um es mit Zahid und vielleicht sogar mit dem König aufzunehmen. Sie gab Mikaels Namen ein und las eine Übersetzung der neuesten Meldungen zu ihm. Zwar sprach und verstand sie Englisch, doch sie konnte es weder lesen noch schreiben.

Mikael tauchte momentan häufig in den Nachrichten auf. Er verteidigte gerade einen Mann, der des Mordes und anderer schrecklicher Verbrechen an seiner verstorbenen Partnerin angeklagt war. Layla verfolgte den Fall aufmerksam. Fasziniert sah sie sich ein Video von Mikael an, das zeigte, wie er in schwarzer Robe und Perücke das Gericht verließ und die Fragen einfach ignorierte, die auf ihn niederprasselten. Natürlich wollten alle wissen, wie er einen so widerwärtigen Mann verteidigen konnte.

Vielleicht ist er froh, wenn er sich zur Abwechslung mit einer Familienangelegenheit befassen kann, dachte Layla. Denn glücklich wirkte Mikael nicht, sie hatte ihn noch nie lächeln sehen. Sie erschauerte leicht, als sie ein Bild vergrößerte und seinen sinnlichen Mund betrachtete, der das einzig Sanfte an seinem strengen Gesicht war. Sein Haar war dunkel, sein Teint blass und sein Äußeres stets tadellos. Und seine Stimme …

Layla rief eins der wenigen Interviews auf, die sie gefunden hatte, und lauschte fasziniert seiner tiefen Stimme mit dem deutlichen Akzent.

Nein, sie hatte sich Mikael nicht ausgesucht, weil er so attraktiv war; doch je mehr sie über ihn erfuhr, umso mehr wollte sie wissen. Wenn sie ihm auf den Bildern in seine kalten grauen Augen sah, wurde ihr warm. Allerdings gab es auch einige Fotos, die ihn in Begleitung schöner Frauen zeigten – diese Bilder gefielen ihr weniger gut. Gerade betrachtete sie ein Foto von Mikael auf einer Jacht, neben sich eine halb nackte Blondine …

Layla zuckte die Schultern. Auch ihr Bruder Zahid hatte eine wilde Phase gehabt. Sie selbst lockte das nicht, sie wünschte sich Spaß, Romantik und Tanz. Und natürlich würde sie nach Ishla zurückkehren – sie wollte einfach nur bestimmte Dinge erleben, bevor sie einen Mann heiratete, den sie nicht liebte. Wie es wohl wäre, einen ganzen Tag im Bett verbringen zu dürfen, ohne sich anziehen oder mit jemandem reden zu müssen? Layla träumte von romantischen Abendessen, bei denen man Händchen hielt, vom gemeinsamen Tanzen … In Ishla war das verboten. Sie stellte sich vor, wie jemand sie küsste – und schrak zusammen, als ihr klar wurde, dass sie dabei unbewusst an Mikael gedacht hatte.

Nein, ermahnte sie sich schnell. Er war nur Mittel zum Zweck. Außerdem war er ein Bürgerlicher.

Als ihre Zofe Jamila anklopfte, rief Layla schnell ein Online-Schachspiel auf, bevor sie die ältere Frau hereinrief. Diese ließ ihr ein Bad ein und half ihr dann am Auskleiden.

Als Layla vorsichtig gewaschen wurde, fragte sie betont gelassen: „Jamila, hast du eigentlich Angst vor der Reise nach Australien? Falls ja, könnte ich auch allein fahren.“

„Ich hätte viel mehr Angst bei der Vorstellung, dass du in einem anderen Land bist, ohne dass ich auf dich aufpassen kann.“

Die kinderlose Jamila hatte Layla, kurz bevor deren Mutter gestorben war, direkt nach der Geburt in den Armen gehalten und liebte sie wie eine eigene Tochter. Doch das durfte niemand erfahren. Auch die Liebe, die Jamila mit König Fahid verband, musste ein Geheimnis bleiben.

Während sie Layla das Haar wusch, redete diese weiter. „Du könntest endlich mal Urlaub machen, während wir in Australien sind.“

Jamila, die ihr nach dem Waschen Öl ins lange schwarze Haar rieb, kniff die Augen zusammen. „Was hast du vor, Layla?“

„Nichts. Ich fände es nur schön, wenn du dich ein bisschen erholen könntest.“ Insgeheim machte Layla sich Sorgen darüber, wie sich ihre Pläne auf Jamila auswirken würden. Doch sie würde ihr Vorhaben nicht aus Rücksicht auf ihre Zofe ändern.

„Du bist zu dünn“, stellte Jamila nach einem Blick auf Laylas schlanke Arme fest, die sie um ihre schmalen Knie geschlungen hatte.

„Weißt du noch, als ich klein war und ständig Hunger hatte?“, entgegnete Layla. „Da hast du mir gesagt, ich sei zu dick.“

Ja, Jamila erinnerte sich noch gut an das kleine Mädchen mit den drallen Ärmchen und dem runden Bauch. Layla hatte als Kind sehr viel Aufmerksamkeit eingefordert, auch von ihrem Vater. Doch dieser hatte zu sehr um Annan getrauert, die verstorbene Königin. Jamila hatte alles versucht, um die kleine Prinzessin zu trösten, und ihr ständig Leckereien gegeben, damit ihr unaufhörliches Schluchzen aufhörte. Es war eine sehr traurige Zeit gewesen.

„Dein Vater möchte vor deiner Abreise noch mit dir sprechen“, sagte sie und half Layla beim Ankleiden. Sie hatte ihr für die Reise ein silbernes Gewand und edelsteinbesetzte Slipper ausgesucht, denn Layla würde bei ihrer Ankunft mehrere Würdenträger begrüßen müssen. An Fingern, Zehen und Ohren trug sie wunderschönen Edelsteinschmuck, und ihr langes Haar war zu einem seitlichen Knoten zusammengefasst.

„Du kannst jetzt gehen, Jamila“, sagte Layla, doch die alte Frau blieb stehen und sah sie eindringlich an.

„Du wirst doch auf das hören, was dein Vater dir zu sagen hat, oder?“, fragte Jamila, die sich große Sorgen machte, weil Layla das sichere Umfeld des Palastes verlassen würde.

„Du kannst jetzt gehen, Jamila“, wiederholte Layla nur. Als sie allein war, trat sie hinaus auf den Balkon. Die Sonne ging gerade unter und ließ den Himmel tieforange aufflammen, sodass die Wüste wirkte wie aus flüssigem Gold. Layla liebte diesen Anblick über alles, doch sie wusste, dass es auf der Welt noch viel mehr Schönes gab. Sie dachte an ihr Abenteuer und daran, wie ungehorsam sie sich verhalten würde. Aber wenn es vorbei ist, werde ich für immer brav sein, schwor sie sich.

Dies war ihre letzte Chance. Vor vier Jahren, als Layla zwanzig gewesen war, hatte man sie in Weiß und Gold gekleidet und die Stufen hinunter in ein Gemach geführt. Dort hatte sie sich unter den vor ihr knienden Männern ihren Ehegatten aussuchen sollen. Hussain, mit dem sie schon als Kind gespielt hatte, galt als perfekte Wahl. Doch sie hatte daran denken müssen, wie gemein er als kleiner Junge zu ihr gewesen war. Laut schreiend war sie vor allen Leuten zusammengebrochen.

Die königliche Ärztin rettete die Situation, indem sie behauptete, die junge Prinzessin habe einen Anfall. In Wirklichkeit hatte das Ganze nur mit Laylas Temperament zu tun gehabt. So war sie an jenem Tag davor bewahrt worden, sich einen Ehemann aussuchen zu müssen, den sie nicht liebte.

Layla ging wieder hinein und nahm aus einer Kommode ein Paket, das sie weit hinten in einer Schublade versteckt hatte. Darin befand sich der schwarze Rubin, den der König von Bishram ihr einst zu ihrer Geburt geschenkt hatte und der ein kleines Vermögen wert war. Das hoffte Layla zumindest, denn sie wusste, dass Mikael Romanov sehr hohe Honorare verlangte.

Beim Gedanken an den australischen Zoll schob sie den Rubin in ihr Gewand und redete sich immer wieder ein, alles werde gut gehen. Dann ging sie ins Arbeitszimmer ihres Vaters.

„Freust du dich auf die Reise?“, fragte er.

„Ja, sehr.“

„Du wirst ein eigenes Hotelzimmer haben. Jamila schläft direkt nebenan und wird sich um dich kümmern, wenn du im Hotel bist. Die übrige Zeit hast du mit Trinity oder Zahid zu verbringen. Ins Restaurant muss Trinity dich begleiten, und wenn du …“

„Ich kenne die Vorschriften, Vater“, unterbrach Layla ihn.

„Sie dienen nur deinem Schutz.“ Der König sah seine Tochter an, die er so sehr liebte. Sie war genauso widersprüchlich – einerseits verträumt, andererseits hochmütig –, wie ihre Mutter Annan gewesen war. Layla legte großen Wert auf Eigenständigkeit, aber weil sie behütet im Palast aufgewachsen war, wusste sie kaum etwas von der Welt.

„Layla, ich habe dir wirklich etwas Wichtiges zu sagen“, fuhr Fahid eindringlich fort. „Im Ausland ist es ganz anders als hier, auch die Menschen sind anders.“ Beim Gedanken an den Straßenverkehr in einer Großstadt zuckte er zusammen, denn Layla hatte kaum jemals eine Straße überquert.

Seine Tochter bemerkte es. „Ich weiß, dass du dir Sorgen um mich machst“, sagte sie. „Und ich weiß, wie sehr du mich schon seit meiner Geburt liebst …“

Der König schloss die Augen, denn sie hatte einen wunden Punkt berührt: Er liebte sie nicht schon seit ihrer Geburt, sondern hatte sie über ein Jahr lang innerlich abgelehnt. War sie vielleicht deshalb so rebellisch geworden? Fahid machte sich schreckliche Sorgen um sie, denn er würde nicht mehr lange leben. Layla brauchte einen strengen Mann, der sie im Zaum hielt. Doch ihr wildes, eigensinniges Wesen würde ihm fehlen …

„Hast du irgendwelche Fragen?“

Layla nickte. „Ja. Ich habe gelesen, dass man bei der Zollkontrolle in Australien manchmal durchsucht und sogar abgetastet wird …“

Ihr Vater musste lachen. „Du nicht, Layla. Deine Entourage kümmert sich um alle Formalitäten. Koffer und Geschenke befinden sich im Diplomatengepäck. Du brauchst dich um nichts zu kümmern.“ Er stand auf und zog sie an sich. „Ich habe dich sehr lieb, Layla.“

Mit Tränen in den Augen erwiderte sie seine Umarmung. „Es tut mir leid, wenn ich dich manchmal wütend mache. Ich habe dich auch sehr lieb!“

„Das weiß ich doch“, beruhigte Fahid sie.

Doch Layla entschuldigte sich nicht für Vergangenes, sondern für all das, was bald geschehen würde.

2. KAPITEL

„Na, super!“

Notgedrungen musste Mikael anhalten, als ein Polizist den morgendlichen Verkehr aufhielt. Obwohl ihm jede Menge durch den Kopf ging – an diesem Vormittag sollten die Schlussplädoyers beginnen –, schaltete er das Radio ein, um die Verkehrsnachrichten zu hören und herauszufinden, warum er aufgehalten wurde. Klüger wäre es gewesen, am Vorabend in seiner Stadtwohnung oder auch in einem Hotel zu übernachten, statt zu seinem Strandhaus zu fahren. Aber Mikael hatte einfach etwas Abstand von seinem aktuellen Fall gebraucht.

Sein einsam gelegenes Haus war sein wichtigster Rückzugsort, und die frische Luft half ihm beim Abschalten. Bald habe ich es ja geschafft, dachte er – und fluchte dann auf Russisch, als der Grund für die Verzögerung gemeldet wurde: der Besuch irgendeiner Königsfamilie. Dann kam ein Beitrag über ihn selbst – darüber, dass der Anwalt Mikael Romanov seinen neuesten Fall sicher verlieren würde …

Im Anschluss kamen Hörer zu Wort. „Was ist dieser Romanov nur für ein Mensch?“, fragte ein aufgebrachter Mann. „Wie kann er nachts noch ruhig schlafen?“

Gähnend schaltete Mikael das Radio aus. Als sein Telefon klingelte, ließ er ausnahmsweise nicht die Mailbox anspringen, denn der Anrufer war Demyan.

„Gibt es Neuigkeiten?“, fragte Mikael sofort. Schließlich warteten sein Freund Demyan und dessen Frau Alina schon seit Tagen auf die Geburt ihres ersten gemeinsamen Kindes.

„Wir haben eine kleine Tochter, Annika.“ Mikaels sonst so abgebrühter Freund klang tief bewegt. „Sie hat Locken, genau wie Alina … sie ist wunderschön …“

Es begann eine schier endlose Schilderung. Alle Babys haben doch blaue Augen, dachte Mikael nur. Laut sagte er: „Herzlichen Glückwunsch! Wird von mir erwartet, dass ich Alina im Krankenhaus besuche? Was ist da üblich?“

Demyan lachte gutmütig, denn er wusste, dass Mikael eine sehr raue Kindheit hinter sich hatte und wirklich nicht wusste, wie ein normales Familienleben ablief. „Nein, du musst nicht ins Krankenhaus kommen. Aber wenn du den Fall abgeschlossen hast, wäre es schön, wenn du uns besuchen kommst, bevor du auf deine Jacht verschwindest.“

„Mache ich. Jetzt kommen die Schlussplädoyers, und dann warten wir das Urteil ab. Das Verfahren zieht sich ganz schön hin. Die letzten Monate kamen mir ziemlich lang vor“, gestand Mikael. Während eines Prozesses zog er sich immer stark von der Welt zurück.

„Dein Mandant kann sich glücklich schätzen, dass er so einen guten Anwalt hat“, fand Demyan.

„Danke. Und jetzt kümmere dich wieder um deine Frau und deine kleine Tochter. Ich freue mich wirklich sehr über die guten Neuigkeiten“, erwiderte Mikael. Bin ich froh, dass ich nicht in deiner Haut stecke, fügte er in Gedanken hinzu.

Als Demyan ihm erzählt hatte, er würde ein zweites Mal heiraten, hatte er ihm angeboten, diesmal einen absolut wasserdichten Ehevertrag für ihn aufzusetzen. Denn Demyans erste Frau hatte ihn jahrelang nach Strich und Faden ausgenommen. Doch sein Freund hatte nichts davon hören wollen und ihn als zynisch bezeichnet.

Ja, Mikael war zynisch. Er war grundsätzlich erst einmal misstrauisch, wenn ihm jemand etwas erzählte – und zwar oft zu Recht. Er traute niemandem und brauchte auch niemanden, denn er hatte in seinem Leben noch nie eine Bezugsperson gehabt. Aus seiner Kindheit hatte er verschwommene Erinnerungen an eine Wohngemeinschaft, aber nicht an einen bestimmten Menschen, der für ihn da gewesen wäre. Also hatte er für sich selbst einstehen müssen – vor allem, als er auf der Straße gelebt hatte. Als er ein Teenager gewesen war, hatte der Sozialarbeiter Igor eingriffen, ihm eine Identität, einen Nachnamen und ein Geburtsdatum gegeben – und dann ein Zuhause. Nur wegen Igor fuhr Mikael jetzt in die Kanzlei, um sich vorzubereiten. Und nur wegen Igor war er absolut überzeugt von der Notwendigkeit einer guten Verteidigung. Ohne sie konnte es keine echte Gerechtigkeit geben.

Nachdenklich ließ Mikael den Blick zum Armaturenbrett gleiten: sechshundertneunundvierzig Meilen war er mit dem Wagen gefahren. Bei der tausendsten Meile würde der Wagen ihn schon wieder langweilen, doch noch gefiel ihm sein neues Spielzeug. In der Kanzlei angekommen, sprach er kurz mit Wendy, seiner Sekretärin. Schon seit einiger Zeit drehte sich seine ganze Welt um diesen Prozess, und er konnte es kaum erwarten, bis die Geschworenen sich besprochen hatten und das Urteil feststand, damit er wegkonnte.

Mikael beschloss, möglichst bald mit seiner Jacht aufs Meer zu fahren. Am liebsten ganz allein, ohne Crew. Nein, lieber doch mit einer Crew. Er hatte schließlich keine Lust zum Kochen oder Putzen! Vielleicht könnte ja auch Mandy für ein paar Tage mitkommen – oder Pearl?

Doch schon bald verdrängte Mikael diese Gedanken und bereitete sich auf den Tag vor, indem er sich mit seiner einzigen wahren Liebe befasste: dem Gesetz.

3. KAPITEL

„Ich möchte diesen Wagen fahren!“ Als sie eine Kreuzung passierten, wies Layla auf einen schnittigen silberfarbenen Sportwagen.

„Du kannst doch gar nicht fahren!“ Zahid musste lächeln, denn es war schön, Layla so voller Leben zu sehen. Fasziniert blickte sie durch die getönten Scheiben.

„Nachdem wir im Hotel angekommen sind, können wir shoppen gehen“, kündigte Trinity an.

„Toll!“ Layla strahlte. „Ich will ein rotes Kleid, rote Schuhe, rote …“ Die Liste ging weiter, bis sie das Hotel erreichten.

Die Königsfamilie aus Ishla bewohnte das gesamte oberste Stockwerk. Am Aufzug standen Wächter, und Layla ging nervös in ihrer Suite hin und her, während sie auf Trinity wartete. Sie hatte Jamila weggeschickt, um ein paar Minuten ungestört über ihren Plan nachdenken zu können. In wenigen Stunden würde sie frei sein!

Sie blickte aus dem Fenster auf die Straße hinunter. Bald würde sie sich unter die Menschen dort mischen. Überall waren gelbe Taxis zu sehen – bestimmt würde alles klappen!

„Herein“, sagte sie, als es klopfte.

„Du musst die Tür von innen aufmachen!“, rief Trinity.

„Oh.“ Na so was!

Layla war aufbruchbereit, aber Trinity schien anderes im Sinn zu haben. „Pass gut auf sie auf“, hatte Zahid zu ihr gesagt. Sie sah Layla an. Mit ihrem langen silberfarbenen Gewand, den edelsteinbesetzten Slippern und dem tiefschwarz glänzenden langen Haar, das sie nun offen trug, sah sie zwar wunderschön aus, würde aber viel Aufmerksamkeit erregen.

Trinity zögerte, denn sie kannte ihre Schwägerin noch nicht so gut, die so ganz anders war als der ernste, vernünftige Zahid. Dann fragte sie: „Möchtest du dir vielleicht von mir etwas zum Anziehen leihen, bevor wir losgehen?“

„Leihen?“ Layla wirkte irritiert.

„Ich mache mir einfach Sorgen, dass du sonst sehr auffällst und die Leute dich anstarren werden.“

„Ich falle doch immer auf“, entgegnete Layla. „Und angestarrt werde ich auch immer. Komm, gehen wir shoppen. Ich freue mich schon so lange darauf!“

Sie gingen an den Wächtern vorbei, fuhren mit dem Fahrstuhl hinunter und traten auf die Straße, wo es heiß war und voller Menschen.

Eine Boutique nach der anderen wurde aufgesucht. Aber Layla sah sich die Kleidung kaum an, sondern überlegte fieberhaft, wie sie Trinity abschütteln konnte, die sie keine Sekunde aus den Augen zu lassen schien.

„Ich möchte so etwas probieren“, sagte sie nach einer Weile und wies auf eine Eisdiele. Doch auch dort wurde sie bewacht. Konnte Trinity ihr denn nicht einmal fünf Minuten Ruhe gönnen?

„Wohin jetzt?“, fragte Trinity.

„Ich werde einfach ein bisschen herumspazieren“, sagte Layla betont gelassen.

Ihre Schwägerin schluckte. „Zahid hat mir gesagt, ich dürfe dich auf keinen Fall allein lassen.“

„Aber ich bin doch kein Baby mehr. Ich bin vierundzwanzig!“, protestierte Layla. Als sie, ohne nach rechts und links zu blicken, die Straße überqueren wollte, konnte Trinity sie gerade noch rechtzeitig festhalten.

„Du darfst erst rübergehen, wenn die Ampel Grün zeigt.“ Sie warteten ab und überquerten dann gemeinsam die Straße. „Ich werde dich nicht allein lassen, Layla. Du kannst gerne heute Abend mit Zahid darüber diskutieren, aber …“

Als sie verstummte, folgte Layla ihrem Blick zu einer Boutique mit Babykleidung. „Oh, sieh dir doch nur diese süßen Sachen an – so etwas Niedliches gibt es in Ishla nicht.“

Perfekt! Nach Trinitys hingerissenem Gesichtsausdruck zu urteilen, war Layla sicher, dass ihre Chance, zu flüchten, bald kommen würde.

Sie gingen in den Laden, der nicht nur Babykleidung anbot, sondern auch winzige Schuhe und Socken sowie Babydecken aus Kaschmir. Selbstverständlich würde man ihre Einkäufe nach Ishla versenden, versicherte die Verkäuferin.

Trinity hatte ein Leuchten in den Augen, das Layla gut kannte – von ihren Cousinen, die ebenfalls kleine Kinder hatten. Endlich konnte sie unbemerkt nach draußen schleichen. Dort hob sie die Hand, um eins der gelben Taxis heranzuwinken, wie sie es im Internet gesehen hatte. Und das Taxi hielt tatsächlich!

Layla war etwas empört, als der Fahrer nicht ausstieg, um ihr die Tür zu öffnen. Sie gab ihm Mikaels Adresse und fügte hinzu: „Es muss schnell gehen.“

Und das musste es wirklich, denn in diesem Moment kam Trinity aus dem Laden gerannt. „Warte, Layla!“, rief sie.

Layla stieg ein, warf einen vorbereiteten Brief aus dem Fenster und rief, als das Taxi losfuhr: „Sag Zahid, er soll den Brief lesen und meinem Vater nichts erzählen!“

Sie verdrängte ihre Schuldgefühle darüber, dass sie dem Paar die Hochzeitsreise verdarb. Immerhin hatte Zahid fast zwei Jahrzehnte lang diese Art Freiheit genießen dürfen, und sie wünschte sich nur eine einzige Woche …

Mikaels Tag war nicht besser geworden, doch er ließ sich nichts anmerken. Mit undurchdringlicher Miene lauschte er dem Schlussplädoyer des Anklägers, der genau dort „herumjaulte“, wo Mikael es erwartet hatte. Einige der Geschworenen schienen sogar den Tränen nahe zu sein. Aber dann kam ein Argument, mit dem er nicht gerechnet hatte. Bewusst machte Mikael sich keine Notiz, sondern prägte es sich ins Gedächtnis ein.

Seine Reaktion am nächsten Tag würde schonungslos sein. Er würde jeden zur Verfügung stehenden Buchstaben des Gesetzes heranziehen.

„Ich bin erledigt, oder?“, fragte sein Mandant, bevor er wieder in die Zelle gebracht wurde.

„Ich habe mein Plädoyer noch nicht gehalten“, erwiderte Mikael, ohne den Mann jedoch aufzumuntern. Denn seine Aufgabe war es einzig und allein, ihn so gut wie nur möglich zu verteidigen.

Auf dem Weg zurück in die Kanzlei bestürmte die Presse ihn mit Fragen, die Mikael wie immer ignorierte. Sein Mund war trocken, und er sehnte sich nach seinem kühlen, dunklen Büro, wo er die Vorhänge zuziehen und sich in aller Ruhe Notizen zum heutigen Tag machen konnte.

„Fragen Sie lieber nicht“, warnte er seine Sekretärin beim Eintreten und stellte sich darauf ein, bis spätabends in der Kanzlei an seinem Schlussplädoyer zu feilen.

„Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll …“ Die sonst immer so gelassene, professionelle Wendy wirkte ein wenig durcheinander. „Im Wartezimmer ist eine Frau, die mit Ihnen sprechen möchte.“

„Ich habe keine Zeit, jemanden zu empfangen.“

„Mikael, ich habe versucht, sie abzuwimmeln, aber …“ Wendy lachte nervös. „Jemandem wie ihr bin ich noch nie begegnet – man kann sie einfach nicht abweisen. Ich habe ihr sogar das Taxi bezahlt, weil sie kein Geld hatte und der Fahrer die Polizei rufen wollte!“

So hatte Mikael seine Sekretärin noch nie erlebt. Er verteidigte die schlimmsten Verbrecher und hatte die besten Mitarbeiter. Mitarbeiter, die normalerweise auch in der Lage waren, mit sehr schwierigen Menschen umzugehen. „Wo ist sie?“, fragte er nach einem Blick in das leere Wartezimmer.

„Sie wartet in Ihrem Büro.“

„Wie bitte?“ Mikael war gespannt auf die Frau, die es an Wendy vorbeigeschafft hatte. „Und wie heißt sie?“

„Das wollte sie mir nicht verraten – ebenso wenig wie den Grund ihres Kommens. Sie will mit niemandem sprechen außer mit Ihnen.“

„Ist gut, ich kümmere mich darum.“

Mikael ging in sein Büro und bemühte sich, den ungebetenen Gast, der am Fenster stand und nach draußen blickte, zu ignorieren. Doch die Schönheit dieser Unbekannten konnte nicht so einfach ignoriert werden. Sie erinnerte ihn an das Licht eines neuen Mondes – vielleicht wegen ihres silberfarbenen Gewands, vielleicht wegen ihrer zarten Figur. Als er mit diesem romantischen Bild im Kopf den kleinen Kühlschrank öffnete, hörte er ihre energische Stimme: „Mr Romanov!“

Mikael ließ Eis und ein Stück Limette in ein Glas gleiten und schenkte sich dann Mineralwasser ein. „Oh, Entschuldigung“, sagte er ironisch. „Bekommen Sie nicht genug Aufmerksamkeit?“

„Ich erwarte, dass man mich begrüßt.“

„Wenn Sie einen Termin vereinbart hätten, wäre das auch passiert.“

Ein Sonnenstrahl fiel durch den Spalt zwischen den Vorhängen auf seine Besucherin, und ihre Schönheit traf ihn nun mit voller Wucht: große dunkle Augen, ein schmales, liebliches Gesicht, makelloser Teint und glänzendes dichtes Haar. Sie war die erste Frau, die ihn völlig aus der Bahn warf – so sehr, dass er ihr widerstandslos sein Glas reichte, als sie die Hand danach ausstreckte.

Wie ist das denn passiert? fragte Mikael sich, während er sich ein neues Glas nahm.

„Ich bin Prinzessin Layla von Ishla“, sagte Layla. Vielleicht benahm sich Mikael so unhöflich, weil er nicht wusste, mit wem er es zu tun hatte?

„Tatsächlich? Dann bin ich also Ihretwegen heute Morgen fast zu spät beim Gericht eingetroffen. Ihr Konvoi hat den Verkehr aufgehalten“, sagte Mikael. „Ich weiß nicht, was für ein Anliegen Sie zu mir führt, und ich will es auch gar nicht wissen, weil ich mitten in einem äußerst komplizierten Fall stecke und danach Urlaub machen werde.“

„Ich weiß, ich kenne Ihren Fall. Aber Sie müssen mit meinem Bruder sprechen und ihm sagen, dass ich mich eine Woche lang von meinen Pflichten als Mitglied der Königsfamilie befreien werde und er nicht nach mir zu suchen oder meinen Vater zu informieren hat“, erklärte Layla in ausgezeichnetem, doch etwas umständlichem Englisch. „Ich habe ihm einen Brief geschrieben, den er vermutlich gerade liest. Sie müssen den Inhalt noch einmal für ihn wiederholen. Wenn ich mit ihm rede, wird er emotional reagieren, und dann gebe ich vielleicht nach. Deshalb will ich, dass Sie das tun.“

„Sie sollten zur Botschaft gehen“, fand Mikael.

„Nein.“ Energisch schüttelte sie den Kopf. „Ich möchte kein großes Aufsehen erregen – es sei denn, es bleibt mir nichts anderes übrig.“

Mikael entgingen weder ihr warnender Ton noch ihre feurig glänzenden Augen. Er verstand jetzt, warum Wendy sie nicht hatte abweisen können. Doch er ließ sich nicht beirren.

„Wie gesagt, arbeite ich gerade an einem Fall, der fast abgeschlossen ist. Und ich nehme keinen weiteren Auftrag an.“

„Sie werden einen Anruf für mich tätigen“, beharrte Layla. „Aber zuerst können Sie ein paar Erfrischungen bringen lassen.“

Unwillkürlich musste Mikael lächeln. Meinte sie das tatsächlich ernst?

„Vielleicht etwas Obst und etwas Süßes.“

Er zog eine Rolle Pfefferminzbonbons heraus. „Bitte schön, hier sind Ihre Erfrischungen.“

Layla nahm ein Bonbon heraus. Ihre Augen wurden groß vor Begeisterung, als sie es sich in den Mund schob.

„Ich bin sehr angetan.“

Ich auch, dachte Mikael.

4. KAPITEL

Ein Anruf“, sagte Mikael, doch er wusste genau, dass es nicht dabei bleiben würde. Überhaupt hatte er nur zugestimmt, weil Layla ihm das erste Lächeln seit Wochen entlockt hatte.

Er zog die Vorhänge auf und bat sie, sich zu setzen.

„Aber zuerst …“, begann er, doch Layla fiel ihm ins Wort.

„Zuerst erzähle ich Ihnen die Details.“

„Nein, zuerst reden wir über mein Honorar. Ich bin ziemlich teuer und lasse mich immer im Voraus bezahlen.“

Sogar Mikael, der die Kunst des perfekten Pokerface beherrschte wie kaum ein anderer, musste sich zusammenreißen, als Layla unvermittelt einen großen Edelstein aus ihrem Gewand zog und auf den Schreibtisch legte.

„Das ist ein seltener schwarzer Rubin, den mir der König von Bishram zur Geburt geschenkt hat. Ich nehme an, dass er einiges wert ist.“

Eine Weile lang betrachtete Mikael wortlos den Rubin, der fast so schön war wie seine Besitzerin. Er schloss ihn zur Sicherheit in seinen Safe, setzte sich und sah Layla an. „Was genau möchten Sie diese Woche unternehmen?“

„Ich möchte noch einige Dinge tun, bevor ich heirate. Was genau, braucht Sie nicht zu interessieren.“

„Wenn ich Ihren Bruder anrufen soll, muss ich wissen, was Sie vorhaben“, beharrte Mikael.

„Ich würde gerne tanzen gehen“, verriet Layla. „In Ishla ist das nicht erlaubt. Und ich möchte Irish Coffee trinken. Davon hat mein Bruder mir mal erzählt.“

„Was noch?“

Layla sah Mikael an. Zum ersten Mal war sie ein wenig verunsichert. Der Gedanke, dass Mikael ihr Anliegen nicht übernehmen würde, war ihr bisher gar nicht gekommen. Und sein Lächeln löste ein ungewohntes Gefühl in ihrem Innern aus.

Sie würde ihm nicht all die Abenteuer verraten, auf die sie aus war. Doch ihr Blick fiel auf seinen Mund, und einen Moment lang stellte sie sich vor, wie er sie küsste. Dann sah sie ihm wieder in die kühlen Augen. „Ich kenne Sie nicht gut genug, um Ihnen das zu erzählen.“

„Hat Ihre Familie damit gerechnet, dass Sie flüchten würden?“

„Nein“, sagte sie mit Nachdruck. „Ich habe schon als Kind gelernt, dass ich nur Probleme bekomme, wenn ich erzähle, was in mir vorgeht.“

„Mir gegenüber können Sie ehrlich sein“, sagte Mikael.

Layla nickte zögernd. „Vor ein paar Monaten wollte ich meinen Bruder zu einer Hochzeit in London begleiten, um von dort zu entfliehen. Aber er hat sich geweigert, mich mitzunehmen.“

Sehr vernünftig, dachte Mikael. Denn die Vorstellung, wie Layla allein in London unterwegs war, gefiel ihm gar nicht. Hinter ihrer Arroganz spürte er Unschuld – und ein tiefes Vertrauen in ihre Mitmenschen, das schnell zerstört werden könnte.

„Wie wird Ihre Familie reagieren?“

„Das kommt darauf an. Ich habe meinem Bruder sehr deutlich geschrieben, dass er unserem Vater nichts verraten darf. Tut er dies dennoch, muss mein Vater die Sache als internationalen Zwischenfall behandeln. Das möchte ich verhindern, und deshalb sollen Sie ihm versichern, dass ich in Sicherheit bin und in einer Woche wieder ins Hotel zurückkomme.“

„Wie sieht Ihre Mutter das Ganze?“, fragte Mikael.

„Nach dem zu urteilen, was man mir von ihr erzählt hat, würde sie mein Handeln gutheißen. Sie lebt nicht mehr, aber offenbar sind wir uns sehr ähnlich.“

„Und wo werden Sie unterkommen? Haben Sie Freunde, bei …“

„Darum werden Sie sich kümmern“, unterbrach Layla ihn.

„Mit einem Anruf?“

„Mit zweien“, entgegnete sie lächelnd. „Sie werden mir eine schöne Unterkunft besorgen und mich dann hinfahren. Mit dem Taxi fahre ich nicht noch einmal, der Fahrer war ausgesprochen unhöflich.“

„Das könnte daran liegen, dass Sie ihn nicht bezahlt haben“, entgegnete Mikael. „Ich werde Wendy bitten, Ihnen eine Unterkunft zu buchen und Sie hinzufahren.“

Sie besprachen noch einige Einzelheiten. Was Layla selbst betraf, war dem ersten Anschein nach alles unkompliziert: Sie war vierundzwanzig Jahre alt, nahm keine Medikamente und hatte keine Erkrankungen. Das war wichtig, denn Mikael wollte später nicht in den Zeitungen lesen, er habe das Leben einer Mandantin leichtsinnig aufs Spiel gesetzt.

„Meine Familie glaubt, ich hätte mal einen Anfall gehabt, aber das stimmt nicht“, sagte Layla zu seiner Überraschung. „Ich sollte mir unter verschiedenen Kandidaten einen Ehemann aussuchen, habe angefangen zu schreien und bin zu Boden gefallen. Die königliche Ärztin ist sehr gutherzig und hat meinem Vater und den potenziellen Ehemännern weisgemacht, ich hätte einen Anfall. Dabei war ich in Wirklichkeit nur wütend.“

Sie hat es ganz schön in sich, dachte Mikael kopfschüttelnd. „Warum haben Sie sich gerade mich ausgesucht?“

„Weil Sie sich nicht von Gefühlen beeinflussen lassen und es Ihnen egal ist, was andere denken. Viele Menschen hassen Sie wegen der Mandanten, die Sie verteidigen.“ Layla zuckte die Schultern. „Trotzdem wirken Sie nicht wie jemand, der sich in den Schlaf weint. Also: Verschwende ich hier meine Zeit, oder werden Sie den Anruf für mich tätigen?“

„Layla …“

Prinzessin Layla“, korrigierte sie ihn.

„Wenn Sie wirklich für eine Woche abtauchen wollen, sollten Sie lieber auf den Titel verzichten“, wandte Mikael ein.

„Mr Romanov …“, begann sie.

„Mikael.“

„Mikael, ich wünsche, dass Sie jetzt mit meinem Bruder sprechen.“

„Gut. Aber Sie wissen ja, dass ich an einem komplexen Fall arbeite. Ich werde einen Anruf tätigen und Sie dann in ein Hotel bringen lassen. Zum Babysitten habe ich keine Zeit.“

„Einverstanden.“ Ihr strahlendes Lächeln ließ ihm den Atem stocken. „Ich möchte während dieser einen Woche auch nicht beaufsichtigt werden.“

Mikael rief mit unterdrückter Nummer bei Zahid an. Ohne seinen Namen zu nennen, erklärte er, Layla sei seine Mandantin und ihr Wunsch, eine Woche ohne ihre Familie zu verbringen, sei wirklich nicht unangemessen.

„Sie verstehen nicht …“, begann Zahid, doch Mikael ließ ihn nicht ausreden.

„Mir ist bewusst, dass die Gesetzeslage in Ihrem Land anders ist …“

Nun unterbrach Zahid ihn. „Sie verstehen nicht, was diese Situation für Layla bedeutet“, sagte er beherrscht. „Sie wird alleine nicht zurechtkommen.“

„Aber sie ist vierundzwanzig Jahre alt!“

„Ja, und seit vierundzwanzig Jahren muss sie nichts selbst tun, alles wird ihr abgenommen. Absolut alles.“

„Auf mich macht sie einen sehr eigenständigen Eindruck“, entgegnete Mikael.

„Kann ich mit ihr sprechen?“

Mikael blickte zu Layla hinüber, die sehr aufrecht auf ihrem Stuhl saß. „Ihr Bruder möchte mit Ihnen sprechen.“ Statt, wie er erwartet hatte, energisch den Kopf zu schütteln, nickte sie und streckte die Hand nach dem Hörer aus.

Sie hat gut daran getan, mich zu beauftragen, dachte er dann, denn das folgende, auf Arabisch geführte Gespräch war offensichtlich sehr emotional. Layla stand auf und ging umher, wobei sie lauter wurde und zu weinen begann. Als er ihr gerade das Telefon abnehmen wollte, sprach sie auf Englisch weiter.

„Nein, Trinity. Ich akzeptiere nicht, was Zahid gerade zu mir gesagt hat. Na und, dann verderbe ich euch eben die Flitterwochen! Meine eigenen Flitterwochen werden garantiert auch nicht glücklich werden. Ihr werdet immerhin euer restliches Leben lang glücklich sein …“

Beeindruckt sah Mikael sie an und unterdrückte das zweite Lächeln, das Layla ihm gerade entlockte.

„Was habe ich denn mit deiner Schwangerschaft zu tun?“, fragte sie. „Ich soll auf meine einzige Chance verzichten, Freiheit zu erleben, nur weil in deinem Bauch ein Baby heranwächst?“ Sie lachte ungläubig. „Jetzt gib mir bitte noch einmal meinen Bruder.“

Mikael hörte zu, wie Layla weiter mit Trinity sprach, die sie offenbar anflehte, ihren Plan aufzugeben und zurückzukommen.

„Ich finde eine Woche Freiheit wirklich nicht zu viel verlangt“, sagte sie energisch. „Und ich warne dich: Wenn du meinen Vater informierst oder nach mir suchst, folge ich dem Rat meines Anwalts und gehe zu einer Botschaft.“ Eine Weile hörte Layla schweigend zu, dann gab sie Mikael das Telefon. „Mein Bruder möchte noch einmal mit Ihnen sprechen.“

„Wer auch immer Sie sind“, sagte Zahid, der ruhig, aber auch besorgt klang, „bitte passen Sie gut auf meine Schwester auf.“

Mikael wollte erwidern, das sei nicht seine Aufgabe, doch dann fiel sein Blick auf Layla. Konnte er sie wirklich allein losziehen lassen?

„Ihr wird nichts passieren“, sagte er.

„Geben Sie mir Ihr Wort darauf.“

„Sie sind nicht mein Mandant“, entgegnete Mikael.

„Aber derjenige, der Ihr Honorar bezahlen wird“, sagte Zahid.

Mikael beendete das Gespräch, warf das Telefon auf den Schreibtisch und betrachtete sein vor ihm sitzendes Problem. „Sie können einem ganz schön Ärger machen“, stellte er fest.

„Ich weiß“, antwortete Layla lächelnd.

5. KAPITEL

Wo sollte Mikael die geflüchtete Prinzessin unterbringen? Während er noch überlegte, blitzte es in ihren Augen auf, und sie steuerte auf sein Schachbrett zu.

„Finger weg!“, warnte Mikael sie. Denn das Spielen gegen sich selbst war ihm eine große Hilfe, wenn er an einem schwierigen Fall arbeitete und mal eine Auszeit brauchte.

„Aber ich sehe ein Schachmatt!“

„Layla, Finger weg!“ Mikael hob mahnend den Finger und ging auf sie zu.

Als sie spielerisch ein Beißen andeutete und ihn dabei zugleich anstrahlte, blinzelte er überrascht. Plötzlich erinnerte sie ihn an ein kleines Wildtier.

An Sex hatte Mikael in letzter Zeit keinen Gedanken verschwendet, damit würde er sich erst nach Abschluss der Verhandlungen befassen – und zwar sofort. Er würde all das nachholen, was er verpasst hatte. Doch offensichtlich – höchst offensichtlich – konnte er den Gedanken an Sex nicht mehr länger ignorieren.

„Kommen Sie“, sagte er ein wenig schroff und wollte nach Wendy rufen. Doch dann beschloss er, dass es einfacher wäre, Layla selbst ins Hotel zu bringen, als Wendy alles zu erklären. Also gingen sie zusammen nach draußen.

„Das ist Ihr Wagen?“, fragte Layla. „Er ist sehr schön. Ich würde ihn gerne einmal fahren. Sie sind viel höflicher als der Taxifahrer“, stellte sie fest, als Mikael ihr die Beifahrertür aufhielt.

Er stieg ebenfalls ein und rief bei seinem Lieblingshotel an. Ja, antwortete er nach einem Seitenblick auf Layla, er wolle wie üblich die Luxussuite.

„Also, ich habe Ihnen eine Unterkunft gebucht“, sagte er nach dem Telefonat. „Für die Kosten werde ich zunächst aufkommen, und wir rechnen dann später ab.“

„Ich habe Ihnen doch den Vorschuss gegeben.“

„Ja.“ Seufzend stellte Mikael sich vor, wie er versuchte, den Rubin zu Bargeld zu machen. „Bitte schnallen Sie sich an.“

Stirnrunzelnd sagte Layla: „Das hat der Taxifahrer auch gesagt. Ich habe es natürlich nicht getan.“

„Müssen Sie aber.“ Als er über sie hinweg nach dem Gurt griff und sie dabei streifte, fing sie an zu lachen, als würde er sie kitzeln. Laylas exotischer Duft stieg ihm in die Nase, und plötzlich wurde er von heftigen Empfindungen erfasst.

„Was tun Sie da?“ Layla war ein wenig schwindelig von der kurzen Berührung.

„Ich schnalle Sie an“, antwortete Mikael. „Benutzt man in Ishla keine Sicherheitsgurte?“

„Ich nicht“, erklärte sie. „Im Flugzeug bin ich auch angeschnallt worden, aber da hat es viel weniger Spaß gemacht.“

Mikael erwiderte nichts. Doch während er sie schweigend zum Hotel fuhr, spürte er ihren Blick auf sich ruhen. Auf dem Weg zur Rezeption sagte er zu Layla: „Ich bringe Sie noch auf Ihr Zimmer, und dann muss ich zurück in die Kanzlei.“

„Einverstanden.“

Mikael merkte, wie sich zahlreiche Menschen nach Layla umdrehten und die Hälse reckten, um sie ansehen zu können. Er checkte die Prinzessin unter seinem Namen ein. Als er sie fragen wollte, ob sie Bargeld brauche, stellte er fest, dass sie nicht mehr an seiner Seite war, sondern eine der Boutiquen im Foyer ansteuerte.

Er folgte ihr.

„Der gefällt mir!“ Layla hielt einen sehr glitzernden, sehr hohen Schuh in der Hand. Sie setzte sich, streifte ihre Slipper ab und streckte Mikael auffordernd ihren Fuß hin.

Sogar ihre Füße waren wunderschön: lang und schmal und offenbar unwiderstehlich, denn ohne zu zögern half Mikael ihr, die High Heels anzuprobieren. Ihre Fußsohle war so weich wie ein Katzenpfötchen. Er versuchte, zu ignorieren, wie zart sich ihre Haut anfühlte und wie ihr Haar duftete, als sie sich vorbeugte.

„Er passt nicht!“, stellte Layla empört fest. Das war sie nicht gewohnt, denn in Ishla wurden ihre Schuhe maßgefertigt und passten immer wie angegossen. „Warum passt er nicht?“

„Weil das hier nicht der Planet Layla ist“, stellte Mikael trocken fest. „Kommen Sie.“

„Aber ich will …“

„Layla“, sagte er streng, und offenbar spürte sie, dass er die Geduld verlor, denn sie folgte ihm ohne weitere Widerrede zu den Aufzügen.

„Ich habe wirklich keine Zeit, mit Ihnen shoppen zu gehen. Morgen steht mein Schlussplädoyer an.“ Wahrscheinlich versteht sie gar nicht, wovon ich rede, dachte Mikael und reichte ihr die Keycard. „Ihre Suite befindet sich im vierundzwanzigsten Stock.“

„Ihr Mandant ist sicher nicht leicht zu verteidigen. Aber ich finde den Fall sehr interessant. Dass das Opfer keine Aussage mehr machen kann, ist die beste Verteidigung für Ihren Mandanten“, erwiderte Layla.

„Sie haben den Fall ja wirklich verfolgt“, stellte er überrascht fest.

„Natürlich. Ich wollte schließlich wissen, mit wem ich es zu tun habe.“

In der Suite zeigte er ihr, wo sich alles befand. „Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie einfach die Rezeption an.“

„Und wenn ich mit Ihnen reden muss?“

„Ich hoffe, das wird nicht nötig sein.“ Er schrieb ihr seine private Telefonnummer auf einen Notizblock und sagte warnend: „Bitte nur im Notfall anrufen.“

Aber Layla hörte gar nicht zu. Sie stand am Fenster und blickte mit glänzenden Augen auf die Straßen hinunter. Mikael konnte Zahids Bedenken gut verstehen. Wie, um alles in der Welt, sollte sie in der Großstadt allein zurechtkommen?

„Ich möchte Sie bitten, heute nicht auszugehen“, sagte er.

Sie warf ihm einen kurzen, spöttischen Blick zu. „Glauben Sie, dass ich all das getan habe, um auf meinem Hotelzimmer zu bleiben?“

„Layla, wie Sie wissen, arbeite ich an einem sehr wichtigen Fall. Aber vielleicht gehe ich morgen Abend mit Ihnen aus.“

„Wirklich?“

„Oder am Abend danach.“

Layla schnitt ein Gesicht. „Danke für Ihre Hilfe, Mikael. Sie können jetzt gehen, ich brauche Sie heute nicht mehr.“

Mikael fiel es schwer, nicht ständig an Layla zu denken. Er fuhr zurück in die Kanzlei und begann endlich, an seinem Schlussplädoyer zu arbeiten. Mit etwas Glück würde er vor dem nächsten Morgen zwei Stunden schlafen können.

Mikael konnte beim Arbeiten sehr gut die ganze Welt vergessen, denn sein Beruf war seine größte Leidenschaft. Immer wieder ging er das Schlussplädoyer der Anklage durch und suchte nach einer Schwachstelle – einer Kleinigkeit, die Zweifel säen könnte. Und dann stellte er fest, dass er diese Schwachstelle bereits ausfindig gemacht hatte. Layla hatte es perfekt formuliert: Die einzige Verteidigung für seinen Mandanten lag im Schweigen des Opfers!

Vielleicht kriege ich doch mehr als zwei Stunden Schlaf, dachte er, und seine Gedanken glitten zu Layla. Was sie wohl an ihrem ersten Abend außerhalb Ishlas in dieser fremden Stadt tat?

Nicht mein Problem, dachte er und ging zum Schachbrett, um sich eine kurze Pause zu gönnen. Eine gefühlte Ewigkeit lang betrachtete er starr die Spielfiguren, die von einem Schachmatt meilenweit entfernt waren. Oder etwa doch nicht?

Nach einer Weile machte Mikael einen Zug und ging zurück an den Computer. Doch er war unruhig und konnte sich nicht konzentrieren. Schließlich rief er im Hotel an und fragte, was alles bereits auf die Rechnung für seine Suite gesetzt worden war. Mehrere Irish Coffees, Kosmetik sowie zwei geschälte, in dünne Scheiben geschnittene Äpfel, lautete die Antwort, außerdem einige Kleider und Schuhe. Und in Kürze würde der bestellte Wagen kommen, um sie beide abzuholen.

„Stornieren Sie den Wagen“, sagte Mikael. Fluchend nahm er seine Aktentasche und fuhr zum Hotel. Dort warf er dem Portier die Wagenschlüssel zu und fuhr in den vierundzwanzigsten Stock. Als sich die Aufzugtüren öffneten, wollte Layla gerade nach unten fahren.

Er versuchte, zu ignorieren, wie atemberaubend sie in ihrem engen roten Kleid aussah, und nicht daran zu denken, wie zart sich ihre Füße angefühlt hatten, die nun in glitzernden High Heels steckten.

Als er ihr in die dunklen Augen sah, bemerkte er, dass sie offenbar kaum geradeaus gucken konnte. „Sie sind ja betrunken!“

„Ach ja?“, fragte Layla zufrieden.

„Sie gehen heute Abend auf keinen Fall aus“, verkündete Mikael und führte sie zurück in ihre Suite.

„Davon werden Sie mich nicht abhalten!“

„Also gut, dann informiere ich eben Ihren Bruder.“ Während er sein Handy herauszog, glitt sein Blick über die vielen benutzten Gläser und die herumliegenden Kleider und Schuhe. Offenbar wollte Layla ihre Woche in Freiheit wirklich auskosten.

„Sie werden Zahid nicht anrufen!“, brüllte Layla. „Ich bin durchaus in der Lage, selbst Entscheidungen zu treffen!“

„Wie Sie wollen“, entgegnete Mikael kühl. „Aber ich warne Sie: Es wäre äußerst dumm, in diesem Zustand auszugehen. Wenn Sie es trotzdem tun wollen, bitte schön.“ Er wollte gehen, brachte es aber nicht fertig. „Wo wollen Sie denn eigentlich hin?“

„In eine Disco – zum Tanzen.“

„Und mit wem?“ Er versuchte, wütend auf sie zu sein und nicht wahrzunehmen, wie entzückend sie war. Doch eigentlich musste er sich das Lachen verkneifen. Warum um alles in der Welt hatte sie nur so eine starke Wirkung auf ihn? „Haben Sie denn überhaupt Geld?“

„Nein.“

„Ist Ihnen klar, in was für Schwierigkeiten Sie geraten könnten?“

Als sie ihn ansah, ohne etwas zu erwidern, fiel es Mikael plötzlich leicht, wütend zu sein – doch nicht auf sie. „Mein aktueller Mandant ist leider nicht das einzige Schwein, das da draußen unterwegs ist. Sie …“

„Mikael, helfen Sie mir!“

Er sah, wie ihr wunderschönes Gesicht aschfahl wurde und sie sich die Hände auf den Mund presste. „Ich glaube, ich muss …“

Gerade noch rechtzeitig brachte er sie ins Badezimmer. Mikael hielt ihr das seidige schwarze Haar aus dem Gesicht, während sie sich erbrach. Er hatte so etwas noch nie im Leben für eine Frau getan und schwor sich, dass es auch bei diesem einen Mal bleiben würde.

„Ich sollte wirklich Ihren Bruder anrufen.“

„Ich weiß. Aber Sie werden es nicht tun.“

Ja, eigentlich hätte er wirklich Zahid Bescheid geben sollen, damit dieser Layla abholte. Stattdessen ließ er ihr ein Bad ein und wurde nachdenklich. Wenn er sich schon Sorgen um sie gemacht hatte, wie musste es dann erst ihrem Bruder gehen? Mikael war kein sentimentaler Mensch, doch er schickte Zahid eine kurze SMS: Nur damit Sie Bescheid wissen: Layla geht es gut.

„Ich schlage vor, Sie baden jetzt, waschen sich die Haare und gehen ins Bett“, sagte er dann zu Layla.

„Können Sie jemanden schicken, der mich wäscht?“

„Wie bitte?“ Mikael traute seinen Ohren nicht. Layla wusste nicht, wie man sich wusch?

„Also, eins kann ich Ihnen sagen …“, begann er kurz darauf, während er ihr aufgebracht das Haar shampoonierte. Layla war, wie er gefordert hatte, in ihrer Unterwäsche in die Wanne gestiegen. „Sie sind wirklich absolut …“

Er unterbrach sich, als ihm eine Erkenntnis kam: Layla war zwar der verwöhnteste Mensch, dem er je begegnet war, aber auch der unverdorbenste.

„So“, sagte er nach einer Weile. „Jetzt ist Ihr Haar sauber.“

„Jamila reibt es nach dem Waschen immer mit Öl ein“, verkündete Layla.

„So“, wiederholte Mikael noch ein wenig später. „Jetzt ist Ihr Haar gewaschen, und eine Pflegespülung hat es auch bekommen.“ Er zog den Stöpsel und half Layla beim Aussteigen aus der Wanne. Dabei prallte sie gegen ihn.

„Ich fühle mich irgendwie …“ Sie suchte nach den richtigen Worten, während er ihr ein Badetuch reichte. „Ich glaube, ich mag Sie!“

Mikael biss die Zähne zusammen, als sie fortfuhr: „Ich mag Sie nicht nur … es fühlt sich ein bisschen anders an …“ Erstaunt wandte sie sich um, als er hinausgehen wollte. „Was haben Sie vor?“

„Arbeiten – für Dollars, nicht für große Edelsteine.“

Er ist wütend, dachte Layla, als er hinausging. Aber auch toll.

Kurz darauf kam auch sie aus dem Badezimmer. „Mir ist bewusst, dass ich mich heute Abend schlecht benommen habe … es war einfach so verlockend …“ Sie blickte nach draußen, in die von Lichtern erhellte Nacht.

„Sie sollten jetzt schlafen“, erwiderte Mikael. „Und ich muss mir überlegen, was um alles in der Welt ich mit Ihnen machen soll.“

Er setzte sich aufs Sofa, nahm den Laptop aus seiner Aktentasche und machte sich an die Arbeit.

„Die Dienstmädchen haben mir kein Nachthemd hingelegt!“, verkündete Layla empört.

Sie war ganz ohne Zweifel der anstrengendste Mensch, dem Mikael je begegnet war. Er schloss eine Sekunde lang die Augen und erwiderte dann: „Dann schlafen Sie doch einfach in Ihrem Kleid.“

„Mein Kleid ist aber nass!“, hörte er sie aus dem Schlafzimmer rufen. „Und wenn ich in einem nassen Kleid schlafe, erkälte ich mich.“

Mikael verstand nicht ganz, wie es passieren konnte, doch kurz darauf war sein Oberkörper nackt, und Layla spazierte in seinem Hemd aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer. Er versuchte, nicht ihre langen schlanken Beine anzustarren. Immerhin würde sie jetzt endlich schlafen gehen.

„Mikael!“, rief Layla aus dem Schlafzimmer. „Gehen Sie trotzdem noch morgen Abend mit mir aus?“

Er antwortete nicht.

„Mikael …“

„Layla“, rief Mikael. „Haben Sie vorhin wirklich ein Schachmatt vorausgesehen?“

Schweigen.

„Sagen Sie mir die Wahrheit – ja oder nein?“

„Nein“, gab sie zu und fing an zu lachen.

Mit einem ironischen Lächeln beschloss Mikael, ihr die zwanzig Minuten in Rechnung zu stellen, die er mit Nachgrübeln über das vermeintliche Schachmatt vergeudet hatte.

„Schlafen Sie jetzt, Layla.“

Mikael arbeitete weiter, und wenn er gelegentlich innehielt, hörte er nur ihr leises Schnarchen. Es hatte eine erstaunlich beruhigende Wirkung auf ihn.

6. KAPITEL

Als Layla aufwachte, hatte sie Mikaels maskulinen Duft in der Nase – oder besser gesagt: den maskulinen Duft seines Hemdes. Sie dachte daran, wie er ihr das Haar gewaschen hatte und wie verärgert er über ihr Verhalten gewesen war. Sie verspürte ein nervöses Kribbeln bei der Erinnerung daran, wie sie gegen ihn geprallt war, ihn angelächelt und ihm gesagt hatte, dass sie ihn möge.

Ich mag ihn immer noch, dachte Layla. Mikael war zwar ein Bürgerlicher, aber sie hatte nur noch sechs Tage Zeit. Also beschloss sie, dass er der romantische Protagonist dieser Woche sein würde.

Sie griff zum Telefon und bestellte einen geschälten, in dünne Scheiben geschnittenen Apfel, Minztee und eisgekühltes Wasser. Dann ging sie ins Wohnzimmer, wo Mikael auf dem Sofa schlief. Schlafend sieht er ganz anders aus, stellte sie nachdenklich fest. Er wirkte weniger aufgebracht und hatte dunkle Schatten unter den Augen. Auf sämtlichen Fotos, die sie von ihm kannte, war er perfekt glatt rasiert gewesen. Doch die feinen dunklen Stoppeln, die sie jetzt auf seinem Kinn sah, gefielen ihr noch besser.

Nun glitt ihr Blick zu seinem Körper, der auch ziemlich attraktiv war. Sie betrachtete seine helle Haut und die flachen Brustwarzen, die denselben dunklen Rot-Ton hatten wie seine Lippen. Besonders gefiel ihr sein flacher Bauch, doch als sie die feinen Härchen betrachtete, die unterhalb seines Nabels begannen, wandte sie schuldbewusst den Blick ab und sah lieber sein Gesicht an. Er wachte gerade auf und sah sie stirnrunzelnd mit seinen grauen Augen an.

„Guten Morgen!“, sagte sie lächelnd.

„Wie spät ist es?“, fragte Mikael mit leichter Panik, denn er befürchtete, verschlafen zu haben.

„Die Sonne geht gerade auf.“ Layla wandte sich um, als es an der Tür klopfte. Sie öffnete, und ein Servierwagen wurde hereingerollt.

„Haben Sie Frühstück bestellt?“

„Nein, nur eine Kleinigkeit, um meinen Gaumen zu erfrischen. Mein Mund ist ganz trocken“, erklärte Layla.

„Kein Wunder.“ Mikael sah zu, wie sie ihren Apfel aß, während sie zum Fenster ging.

„Wunderschön“, sagte Layla, die die Skyline von Sydney betrachtete. Das Opernhaus wurde von der Morgensonne golden angestrahlt, und die ganze Stadt glitzerte verlockend. „Ich überlege, was ich heute unternehmen soll.“

„Das habe ich schon entschieden.“ Mikael nahm sich ihr Glas Mineralwasser und leerte es in einem Zug. „Sie kommen mit zu meiner Gerichtsverhandlung und setzen sich auf die Zuschauertribüne.“

„Wie überaus aufregend!“ Layla strahlte.

„Sie müssen allerdings ruhig sein und sich benehmen.“

„Aber ich weiß nicht, wie man das macht!“

Mikael betrachtete ihre langen Beine und fragte sich unwillkürlich, ob sie wohl einen Slip trug. Schnell verdrängte er diese Frage wieder. In dem silberfarbenen Gewand oder in einem der neu gekauften Outfits vom Vortag würde sie für großen Aufruhr im Gerichtssaal sorgen.

„Wir müssen Ihre Wirkung etwas abmildern“, stellte er fest und rief in der Rezeption an.

„Weshalb?“, wollte Layla wissen.

„Weil Sie nicht wollen, dass Ihr Bruder Sie findet. Und außerdem ist heute mein großer Tag. Ich werde also glänzen.“

„Oh, Mikael, ich kann es kaum erwarten!“ Sie lächelte begeistert.

Auf Mikaels Anweisung hin wurden Kaffee und verschiedene Outfits gebracht, die Layla anprobieren sollte.

„Ich habe Hunger“, beschwerte sie sich, als sie in einem dunkelblauen Etuikleid aus dem Schlafzimmer kam.

„Wir gehen nachher frühstücken.“ Mikael aß während eines Prozesses morgens gerne in seinem Lieblingscafé und wollte nicht auf diese schöne Gewohnheit verzichten. „Das Kleid sieht hübsch aus!“

„Dann ziehen Sie es doch an“, entgegnete Layla mürrisch. „Ich fühle mich darin elend.“ Sie nahm sich ein weiteres Outfit und probierte es im Schlafzimmer an. Zuerst fand sie das Kostüm aus hellgrüner Seide ein bisschen langweilig, doch mit dem silberfarbenen Top und mit hochgekrempelten Ärmeln gefiel es ihr.

Sie ging ins Wohnzimmer und verkündete: „Ich habe mich entschieden. Und ich habe wirklich ziemlich großen Hunger“, fügte sie hinzu und schlüpfte in ihre Slipper.

Sie sah einfach atemberaubend aus, und Mikael wusste: Neben ihr zu glänzen war ein Ding der Unmöglichkeit.

Das Café befand sich in einem trendigen ehemaligen Lagerhaus. Auch viele andere Juristen gingen gern dorthin. Doch sie wussten, dass er am heutigen Tag nicht auf Small Talk eingestellt war, und würden ihn in Ruhe lassen.

„Hier in der Nähe ist das Hotel, in dem mein Bruder und Trinity wohnen“, sagte Layla.

„Dann verstehen Sie jetzt sicher, warum ich auf einem unauffälligen Outfit bestanden habe“, entgegnete Mikael. „Aber keine Sorge – Sie bekommen Ihre Woche Freiheit auch, falls Sie gesehen werden.“

Als sie das Café betraten, drehten sich viele der Gäste zu ihnen um. Nicht, weil Mikael eine Frau dabeihatte, sondern eher, weil er so kurz vor dem Ende einer Verhandlung eine Frau dabeihatte – und was für eine!

Layla winkte lächelnd allen zu und wunderte sich, dass niemand zurückwinkte.

„Sind Sie aufgeregt wegen des Schlussplädoyers?“, fragte sie, doch in diesem Moment reichte ihr der Kellner eine Speisekarte. Umgehend gab sie sie zurück. „Bedauerlicherweise kann ich Englisch weder lesen noch schreiben.“ Ihr strahlendes Lächeln schien Joel, den Kellner, fast umzuwerfen.

„Dann werde ich bestellen“, sagte Mikael schnell, denn Joel hätte ihr ganz offensichtlich liebend gerne die gesamte Karte vorgelesen. „Wir nehmen Obst und Croissants und zweimal Kaffee wie immer und dann noch zwei aufgeschobene Kaffees. Oder für meine Begleitung lieber nur einen normalen Cappuccino.“ Er nahm immer einen Extra-Shot Espresso und war sich nicht sicher, ob er eine Layla mit erhöhtem Koffeinspiegel im Zaum halten könnte.

„Sie trinken offenbar beträchtliche Mengen Kaffee“, stellte sie fest.

„Ich habe ja gestern auch nicht viel Schlaf …“, begann er, doch dann wurde ihm klar, dass Layla offenbar glaubte, er habe viermal Kaffee bestellt. Seufzend wünschte er, nicht bei jedem Gespräch etwas ausführlich erläutern zu müssen. „Wenn jemand kein Geld hat, kann er hier in manchen Cafés fragen, ob es einen aufgeschobenen Kaffee gibt, und diesen dann kostenlos trinken.“

Als Layla ihn ein wenig verwirrt ansah, fragte er, ob es in Ishla Obdachlose gäbe.

„Ich glaube schon, aber über solche Themen spricht mein Vater nicht mit mir.“ Sie rümpfte die Nase.

„Auch Obdachlose sind Menschen, Layla“, erwiderte Mikael, der die Angewohnheit mit dem aufgeschobenen Kaffee nicht ohne Grund angenommen hatte. Wie viel leichter wären einige Jahre in seiner Jugend gewesen, wenn er damals einfach um ein heißes Getränk oder ein Sandwich hätte bitten können! Lange Zeit hatte er den Abfall nach Essen durchstöbern und sich jeden Krümel Essbares zusammensuchen müssen. Laylas Reaktion ging ihm daher sehr gegen den Strich.

„Natürlich sind es Menschen. Aber offenbar soll ich mir über solche Themen keine Gedanken machen.“ Sie sah ihn an, und Mikael erkannte, dass er sie einmal mehr falsch eingeschätzt hatte, als Layla hinzufügte: „Ich tue es aber trotzdem.“

Der Kaffee schmeckte, wie sie fand, einfach köstlich, und sie bedankte sich überschwänglich bei Joel für die Schokolade auf dem Milchschaum. „Was für eine tolle Kombination!“, fand sie, als hätte Joel höchstpersönlich den Cappuccino erfunden.

Als der Kellner gegangen war, sagte sie zu Mikael: „Sie haben meine Frage von vorhin nicht beantwortet: Sind Sie aufgeregt wegen des Schlussplädoyers?“

„Nein.“ Mikael schüttelte den Kopf. „Ich bin nie aufgeregt. Und ich bin gut vorbereitet.“

„Ich freue mich, dass meine magische Woche damit anfängt, dass ich Ihnen bei Gericht zuhören darf. Darauf freue ich mich wirklich sehr!“

Es dauerte einen Moment, bis Mikael begriff, dass sie es nicht sarkastisch meinte.

„Einiges von dem, was ich nachher sagen werde … was Sie hören werden …“

„Ist schon in Ordnung“, unterbrach sie ihn.

„Da bin ich nicht sicher.“ Er atmete tief durch, denn an diesem Tag würde er versuchen, ein schlechtes Licht auf die Verstorbene zu werfen. Beliebt würde er sich heute auf keinen Fall machen.

Doch Layla machte eine wegwerfende Geste. „Ich verfolge den Prozess schon von Anfang an und weiß, was der Mann getan hat.“

„Sie wissen, was man ihm vorwirft“, korrigierte er sie, doch sie zuckte nur die Schultern.

„Wenn Sie mich fragen: Man sollte ihn den Hunden zum Fraß vorwerfen. Und in meinem Land ist das nicht nur eine Redensart!“

Sämtliche Gäste im Café verstummten, als das Unfassbare passierte: Mikael Romanov lachte. Um sieben Uhr morgens, kurz vor Ende eines Verfahrens.

Als das Frühstück gebracht wurde, fragte er: „Was haben Sie denn außer tanzen und sich betrinken noch vor?“

„Das hier“, erwiderte Layla lächelnd. „Ich wollte mit einem attraktiven Mann essen gehen. Allerdings hatte ich eher ein Abendessen im Sinn, bei dem wir Händchen halten würden.“

„Das hier ist ein Café, und ich halte nie Händchen. Was haben Sie noch vor?“

„Das verrate ich nicht.“ Layla schob sich Blaubeeren in den Mund.

„Ach, jetzt sagen Sie schon.“

„Wenn Sie heute Abend mit mir tanzen gehen, verrate ich Ihnen noch etwas.“

„Ich gehe erst tanzen, wenn die Geschworenen entschieden haben. Und dann sind Sie wahrscheinlich schon lange wieder weg.“

„Dann werden Sie es wohl nie erfahren“, stellte sie fest.

„Wie wäre es denn mit einem Essen heute Abend?“, schlug Mikael vor.

„In einem romantischen Restaurant?“

„Für Romantik habe ich nichts übrig.“

Wieder zuckte sie die Schultern. „Dann muss mir wohl jemand anders meine Wünsche erfüllen.“

Als sie in der Kanzlei ankamen, führte die perplex wirkende Wendy pflichtbewusst Layla zum Gerichtsgebäude, während Mikael duschte und sich einen frischen Anzug anzog. Dann ging er eine Stunde lang immer wieder das gesamte Plädoyer durch, strich einige Sätze, verbesserte Ausdrücke und prüfte jedes Detail, um auf die Geschworenen einzuwirken, sodass sie den Angeklagten nicht zweifelsfrei schuldig sprechen könnten.

Als das Verfahren wieder aufgenommen wurde, sah er zur Zuschauertribüne hinauf, um zu sehen, ob Layla da war. Lächelnd erwiderte sie seinen Blick.

Mit der schwarzen Robe und der Perücke sah Mikael in Wirklichkeit noch viel unglaublicher aus als im Internet. Als er schließlich mit seinem Schlussplädoyer anfing, bekam sie von seiner tiefen, volltönenden Stimme eine Gänsehaut. Fasziniert hörte sie ihm zu.

Mehrmals an diesem langen Tag wünschte Mikael, Layla möge gehen, denn er sagte einige unschöne Dinge. Die Zuschauer rangen hörbar nach Luft, als er die Geschworenen an eine Zeugenaussage erinnerte, der zufolge das verstorbene Opfer es beim Sex gerne etwas wilder gemocht hatte. Kein Wunder, dass ich so verhasst bin, dachte Mikael und vermied es weiterhin, zur Zuschauertribüne hinaufzublicken.

„Mein Mandant hat nie abgestritten, dass es zum Geschlechtsverkehr kam, bevor die Verstorbene die Treppe hinunterfiel“, sagte er. „Ebenso wenig hat er abgestritten, dass der Sex gewaltsam war. Aber dies geschah in gegenseitigem Einvernehmen.“

Der Richter ließ einen Zuschauer auf der Tribüne, der Mikael wüst beschimpfte, des Raums verweisen.

„Dort oben regieren Gefühle“, stellte Mikael fest. „Aber hier unten geht es einzig und allein um Fakten.“

Als es mittags eine Pause gab, hoffte Layla, Mikael würde zu ihr kommen. Sie wollte ihm sagen, wie gut er seine Sache machte. Doch sie konnte ihn nirgends entdecken.

„Mikael hat mich per SMS gebeten, mit Ihnen mittagessen zu gehen“, sagte Wendy. „Was würden Sie gern essen?“, fügte sie kurze Zeit später in einem Café hinzu.

Layla runzelte die Stirn. Mit Mikael war es so viel einfacher. „Dasselbe wie der Mann da drüben.“

„Einen Burger?“, fragte Wendy. „Mit allem drum und dran?“

Layla hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber sie nickte und bekam den gewünschten Hamburger. Sie fand, dass die Mahlzeit – trotz der etwas spröden Gesellschaft – die beste ihres Lebens war. Gleich danach kehrten sie ins Gericht zurück.

„Mein Mandant hat offen zugegeben, dass er wütend war, weil sie abends so spät nach Hause kam, dass sie betrunken war und es zu einem Streit kam. Streits kommen nun einmal vor – und Versöhnungssex ebenfalls.“

Nicht zum ersten Mal ging ein empörtes Raunen durch den Saal. Doch unbeirrt nahm Mikael Stunde um Stunde die Argumente der Anklage auseinander, hinterfragte vermeintliche Fakten und rief den Geschworenen in Erinnerung, wie viel Alkohol und Drogen im Spiel gewesen waren.

„Hat die Verstorbene etwa die Sanitäter gebeten, den Angeklagten von ihr fernzuhalten?“, fragte er eindringlich. „Hat sie die behandelnden Ärzte und Krankenschwestern um Hilfe gebeten? Nein. Laut der Schwester, die sie in den OP brachte, wo sie dann verstarb, bat sie sogar darum, ihren Freund zu sehen.“

Mikael sah mehrere Geschworene die Stirn runzeln.

„Klingt das für Sie nach Todesangst? Nach einer Frau, die vergewaltigt und im Treppenhaus zusammengeschlagen wurde?“

An diesem Tag war Mikael nach dem Angeklagten der meistgehasste Mann in ganz Australien. Doch er fühlte sich noch immer schuldig gegenüber Igor. Deswegen würde Mikail seinen Mandanten so gut verteidigen, wie er nur konnte.

7. KAPITEL

Als Mikael ein paar Stunden später im Hotel an Laylas Zimmertür klopfte, öffnete sie ihm in ihrem roten Kleid und den glitzernden Schuhen. „Das war toll!“, begrüßte sie ihn strahlend. „Fast hätten Sie mich überzeugt!“

„Fast?“

„Der Schurke ist natürlich schuldig – aber Sie waren einfach fantastisch!“

„Sie sind wirklich die merkwürdigste Frau, der ich je begegnet bin.“

„Ich hatte so gehofft, Sie in Perücke und Robe aus der Nähe zu sehen“, sagte Layla. „Warum sind Sie mittags nicht mit mir essen gegangen?“

Ihre begeisterte Reaktion gefiel ihm sehr. Sie hatte recht: Es war ihm egal, wie andere von ihm dachten. Er empfand es als Erleichterung, dass er sich nicht rechtfertigen musste. „Wie war denn Ihr Mittagessen?“

„Der Burger war sehr lecker, aber Wendy ist nicht gerade die Unterhaltsamste.“ Layla sah Mikael an. Er war wirklich atemberaubend attraktiv – besonders, wenn er wie jetzt lächelte. Sie wusste, dass das nicht oft passierte. „Und jetzt?“

„Jetzt warten wir auf das Urteil.“

„Ich meine, was machen wir jetzt?“

„Wollen Sie essen gehen?“

„Wie bitte?“, sagte sie lächelnd.

„Ich meinte: Möchten Sie vielleicht in ein schönes Restaurant gehen?“, korrigierte Mikael sich.

„In ein romantisches Restaurant? Ja, bitte.“

Er entschied sich für ein Restaurant direkt am Wasser. Wegen der tollen Aussicht hätte er unter anderen Umständen einen Tisch draußen gewählt, doch an diesem Abend suchte er eine Sitznische aus, in der sie ganz für sich sein konnten.

„Wie schön es hier ist!“, sagte Layla, als sie sich setzte. „Oh, unsere Knie berühren sich.“

Mikael bewegte seine zur Seite. „Ist es so besser?“

„Nein.“ Es hatte ihr gefallen, seine Knie an ihren zu spüren. Als er sich wieder hinsetzte wie zuvor, lächelte sie.

„Möchten Sie Wein?“

„Ich möchte Champagner. Und zwar den besten.“

„Das war ja klar.“

„Haben Sie Zigaretten?“, fragte Layla.

„Nein, ich rauche nicht“, erwiderte Mikael, der die Karte studierte. „Und Sie auch nicht.“

„Ich würde gerne mal einen Joint rauchen.“

„Layla!“ Entgeistert sah er sie an.

„Zahid wurde einmal fast von der Schule geworfen, als ein Joint in seinem Schließschrank gefunden wurde“, fuhr Layla ungerührt fort. „Seitdem möchte ich es unbedingt mal ausprobieren.“

„Kiffen ist illegal.“

„Aber ich kenne einen ausgezeichneten Verteidiger.“ Ihre Knie berührten sich erneut.

„Haben Sie eigentlich eine Freundin?“, fragte sie, als der Champagner eingeschenkt wurde.

Mikael selbst trank Wasser – wie immer, wenn ein Verfahren noch lief.

„Ich habe Freundinnen.“

„Ist da auch etwas Ernstes dabei?“, hakte Layla nach.

„Falls ja, wäre die Betreffende im Augenblick sicher nicht amüsiert.“

„Ach, das hier ist doch nur ein romantisches Abendessen.“ Sie schloss die Augen, als sie den ersten Schluck Champagner trank.

„Wenn Sie sich nach Romantik sehnen, haben Sie sich mit mir den Falschen ausgesucht“, stellte Mikael fest und wechselte das Thema. „Was steht noch auf Ihrer Liste?“

„Ich möchte flirten, jemanden küssen und Blumen geschickt bekommen. Und dann werde ich nach meiner magischen Woche zufrieden heimkehren und heiraten.“

Laylas Wünsche waren wirklich nicht unbescheiden, und es tat ihm weh, wie viel sie für ihre Erfüllung tun musste und in was für Schwierigkeiten sie geraten könnte.

„Ich würde auch gerne einen ganzen Tag im Bett verbringen“, fuhr sie fort. „Ständig muss ich irgendwelche Pflichten übernehmen, und wenn ich mal keine Pflichten habe, muss ich mit meinem Vater frühstücken oder mir das Haar flechten lassen. Ich wünsche mir einfach einen einzigen Tag, an dem nichts geplant ist.“

„Und ich dachte schon, Sie meinten damit …“

Layla schüttelte sich vor Lachen. „Nein, ich habe nicht von Sex gesprochen. Keine Sorge, Mikael, ich werde nichts Unbesonnenes tun und völlig intakt nach Ishla zurückkehren …“ Mit einem Blick auf die Schatten unter seinen Augen fügte sie hinzu: „Sie wirken, als ob Sie auch einen Tag im Bett vertragen könnten.“

„So bald wird das nicht passieren.“ Er lächelte schwach. „Aber gleich nach der Urteilsverkündung fahre ich weg.“

„Auf Ihrer Jacht – mit Ihren blonden Frauen!“

„Sie haben sich ja ausführlich informiert.“

„Ich fand es toll, Ihnen heute zuzusehen“, wechselte Layla das Thema. „Warum haben Sie nicht mal zu mir hochgesehen?“

„Ich hatte andere Dinge im Kopf“, erwiderte Mikael. Doch jetzt gab es nur noch Layla. Und als sie mit den Fingern seine berührte, nahm er ihre Hand.

„Wie läuft eigentlich Ihre Schachpartie?“, fragte sie, und beide mussten lächeln.

„Können Sie spielen?“

„Ja, sogar sehr gut“, erzählte Layla. „Ich spiele mit meinem Vater, aber auch mit mir allein und seit Kurzem auch online. Vielleicht würde ich Sie ja schlagen?“

„Vielleicht – wenn ich mal Migräne habe.“

Layla lachte. „Weisen Sie mich nicht ab!“

Und dann sagte sie etwas, das es ihm unmöglich machte, sie abzuweisen. „Ich langweile mich oft in Ishla, aber jetzt ist alles etwas besser, weil ich unterrichten kann – und weil ich einen Computer habe!“

Mikael betrachtete ihre miteinander verschränkten Finger. Quälende Langeweile – die kannte er nur zu gut. Unwillkürlich dachte er an seine Jahre auf der Straße, als ihm die Zeit endlos erschienen war und er nichts zu tun gehabt hatte. Er blickte Layla in die dunklen Augen, sah Temperament und Intelligenz, ihren Geist, der so viel mehr erkunden wollte als die Welt, in die sie hineingeboren worden war.

„Macht Sie der Gedanke an Ihre Rückkehr nach Ishla nervös?“, wollte er wissen.

„Nein. Nach meiner Rückkehr wird es natürlich Ärger für mich geben, das ist mir klar, und ich akzeptiere es. Aber irgendwann wird sich alles beruhigen. Ich liebe meine Familie“, sagte Layla. „Und es tut mir leid, dass sich jetzt wahrscheinlich alle Sorgen um mich machen. Aber es ging nun einmal nicht anders.“

Mikael strich ihr mit seinen warmen Fingern über die zarte Haut ihrer Hand und erspürte eine winzige Narbe.

Als er danach fragte, erwiderte sie: „Als ich neun war, hat Hussain, mein zukünftiger Ehemann, mir gezeigt, wie ein Streichholz ‚zweimal brennen‘ kann.“

„Lieben Sie ihn?“

„Ich kenne ihn kaum. Wir haben als Kinder zusammen gespielt“, erklärte Layla. „Ich darf mir meinen Ehemann zwar selbst aussuchen, aber mir wurde gesagt, dass es zum Wohle Ishlas wäre, wenn ich Hussain wähle. Mein Herz sieht das anders.“

So wie jetzt hatte Mikael noch nie empfunden. Am liebsten hätte er ihr das Handgelenk geküsst. Doch dann sagte Layla plötzlich: „Erzählen Sie mir von Ihrer Familie.“

„Ich habe keine.“

„Sind Ihre Eltern tot?“

Ihre Frage war so sachlich, dass Mikael sie beantworten konnte. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er. Doch anstatt weiterzureden, zog er seine Hand zurück und begann, die Speisekarte vorzulesen.

„Suchen Sie etwas für mich aus“, unterbrach Layla ihn. „Ich möchte Ihr Lieblingsessen.“

Also bestellte Mikael für sie beide …

„Ich liebe Garnelen!“, stellte Layla wenig später begeistert fest. „Ich möchte noch mal welche essen.“

„Gibt es die in Ishla nicht?“

„Das weiß ich nicht. Ich muss meinen Vater bitten, welche für mich zu besorgen.“ Schnell wechselte sie das Thema. „Warum wissen Sie nicht, ob Ihre Eltern leben?“

„Darüber will ich nicht sprechen“, wehrte Mikael ab. „Was möchten Sie zum Nachtisch?“

„Garnelen.“

Es war ein wunderschöner Abend nach einem anstrengenden Tag. Als er sich an der Tür zu ihrer Hotelsuite von Layla verabschieden wollte, fragte sie: „Übernachten Sie heute nicht hier?“

„Das ist doch hoffentlich nicht nötig. Oder wollen Sie noch einmal ausgehen?“

„Nein. Heute war der schönste Tag meines Lebens. Ich bin absolut glücklich und zufrieden“, erwiderte Layla. „Allerdings wäre es ein noch schönerer Tag, wenn Sie mich küssen würden.“

„Das halte ich nicht für klug.“

„Ich möchte doch nur einen einzigen Kuss.“ Lächelnd öffnete sie die Tür, und sie traten ein. „Außerdem müssen Sie mir noch mein Nachthemd dalassen. Und keine Sorge – ich habe immer noch vor, als Jungfrau nach Ishla zurückzukehren.“

„Bisher ging es ja auch nur um einen Kuss!“, stellte Mikael fest.

„Genau. Worin besteht dann das Problem?“

Das sollte sie bald herausfinden.

Als Mikael sie zu sich herumdrehte, war es ein bisschen wie im Auto beim Anlegen des Sitzgurtes. Jede Berührung ließ sie innerlich erbeben. Layla spürte seine Hand auf ihrer Schulter, als er sein Gesicht ihrem näherte. Und dann war es um sie geschehen, denn nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte sie gedacht, dass sein arrogant wirkender Mund sich so zärtlich anfühlen könnte.

Mikael ließ eine Hand auf ihrer Taille ruhen, die andere auf ihrer Schulter, während er sie zuerst sehr sanft küsste. Dann spürte sie seine Zunge, und er umfasste ihren Hinterkopf. Es war erschütternd und sinnlich und kam ihr vor wie der Weg ins Paradies. Unwillkürlich schob Layla ihm die Hände ins Haar und erwiderte seinen Kuss. Als er dann ihren Po umfasste und heißes Begehren sie erfüllte, verstand Layla: Nicht der Kuss war das Problem, sondern das, was er nach sich zog.

Sie spürte Mikaels harte Erektion an ihrem Bauch, doch noch stärker nahm sie das sinnliche Ziehen in ihren Brüsten und das heftige Sehnen tief in ihrem Innern wahr, als Mikael sie immer intensiver küsste und dann den Mund von ihrem löste.

Schon nach diesem einen Kuss waren Laylas Lippen gerötet und ein wenig geschwollen. „Nächstes Mal sollte ich mich wohl lieber rasieren“, stellte er fest.

„Wir hatten uns ja auf einen Kuss geeinigt.“ Layla lächelte.

Mikael ließ sie los. „Ich sollte jetzt gehen.“

„Du musst mir noch mein Nachthemd dalassen.“ Ohne es zu bemerken, gingen sie zur vertraulichen Anrede über. „Arbeitest du morgen?“

„Ja, aber ich werde versuchen, früh Feierabend zu machen.“ Die Vorstellung, dass sie allein unterwegs war, machte ihn unruhig. Doch einschränken wollte er sie auch nicht. „Was hast du morgen vor?“ Er streifte sich das Hemd ab und reicht es ihr.

„Etwas Besonderes. Ich werde den ganzen Tag im Bett bleiben.“

Als er mit nacktem Oberkörper vor ihr stand, sehnte Layla sich nach mehr von dem, was sie gerade erlebt hatte. „Kannst du mich jetzt noch einmal küssen, damit ich deine Haut spüren kann?“

„Auf gar keinen Fall.“ Mikael zog sich das Jackett an. „Gute Nacht, Layla.“

„Auf meiner Liste steht noch etwas: einen Orgasmus haben.“

„Ich gehe jetzt“, entgegnete er, schon auf dem Weg zur Tür.

„Aber einen Orgasmus kann man nur beim Geschlechtsverkehr haben – und auch dann nur mit Glück, stimmt’s?“

Mikael stöhnte. „Nein, stimmt nicht. Gute Nacht, Layla.“

8. KAPITEL

Layla wachte lange nach Tagesanbruch auf. Eine Stunde lang blieb sie zufrieden im Bett liegen und dachte immer wieder an Mikaels Kuss. Als sie Frühstück bestellen wollte, war es schon Mittag.

Die Angestellten liebten Layla, und sie holten sogar den Chefkoch persönlich ans Telefon, um ihre Wünsche entgegenzunehmen.

„Ich möchte, dass jemand kommt und mir hilft, den Fernseher einzuschalten, und ich möchte einen geschälten Apfel in Scheiben, um meinen Gaumen zu erfrischen, und dann möchte ich etwas Süßes zu essen, mit Früchten. Ach ja, und kann ich auch einen Joint bei Ihnen bekommen?“

„Nein.“

„Gut, dann hätte ich außerdem nur noch gerne etwas süße Milch.“

Nur ein einziges Mal hatte Layla einen Tag im Bett verbracht, und zwar wegen einer Erkältung. Sie war fest entschlossen, diesen Luxus heute von Grund auf zu genießen.

Die Zimmermädchen brachten das bestellte Essen, und der Butler Terrence erklärte Layla den Umgang mit der Fernbedienung. Danach sah sie in Mikaels Hemd vom Bett aus fern, tunkte Himbeeren in weiße Schokoladensoße und trank mit Zimt und Muskatnuss gewürzte Milch.

Auf dem Bildschirm küsste sich ein Paar, und Layla dachte seufzend daran, wie Mikael und sie sich am Vorabend geküsst hatten. Dann beobachtete sie mit großen Augen, wie der Mann der Frau das Oberteil abstreifte und ihren BH öffnete. Layla wusste, dass sie sich so etwas eigentlich nicht ansehen durfte, doch sie war wie gebannt. Dann bekam sie Lust auf Limonade. Normalerweise hätte sie Terrence angerufen, damit er ihr die Flasche aus dem Kühlschrank holte. Aber weil sie nicht gestört werden wollte, holte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben selbst ein Getränk. Dabei wandte sie keine Sekunde lang den Blick vom Fernseher.

Jetzt lag das Paar im Bett und machte so merkwürdige Geräusche, dass Layla sich fast an ihrer Limonade verschluckte. Sie griff zum Telefon und rief Mikael an.

„Ich habe gleich einen Termin mit der Familie meines Mandanten und kann jetzt nicht sprechen“, sagte dieser.

„Nur eine Frage“, bat Layla. „Ich sehe fern, und wenn ich mich nicht irre, haben da Leute gerade Sex – mitten am Tag! Und sie sind nicht verheiratet!“

„Das ist kein normales Fernsehen, sondern der Sexkanal.“ Mikael seufzte. Noch ein Posten, den er von der Rechnung streichen lassen musste, damit ihr Bruder ihn nicht sehen würde.

„Oh.“ Layla klang enttäuscht. „Und jetzt kommt wieder das, was mich durstig machen soll.“

„Ein Werbespot.“ Mikael lachte. „Dann siehst du also doch nicht den Sexkanal.“ Als sie ihm sagte, wie die Sendung hieß, erklärte er: „Wir nennen so etwas ‚Soap‘. Und die beiden haben auch nicht wirklich Sex, sie schauspielern.“

„Also, dann sind es wirklich gute Schauspieler. Die Frau sieht aus, wie ich mich gestern Abend fühlte, als du mich geküsst hast. Sind sie unter der Decke bekleidet?“

„Das nehme ich doch an. Und jetzt muss ich wirklich weitermachen, Layla. Die Geschworenen haben eine Entscheidung gefällt.“

„Jetzt schon? Aber …“, begann sie, doch Mikael hatte schon aufgelegt.

Sein Mandant schwitzte vor Angst. „Dass sie schon entschieden haben, ist kein gutes Zeichen, oder?“

„Nein“, gab Mikael ehrlich zu, ohne seinem Mandanten Hoffnung zu machen. Er hatte für dieses Schwein getan, was er nur konnte. Welche Hoffnungen hatte der Mann dem Opfer gemacht?

Mit undurchdringlicher Miene saß Mikael im Gerichtssaal und erhob sich, als er dazu aufgefordert wurde.

Nervös hüpfte Layla von einem Fuß auf den anderen. Sie stand neben Terrence, der sich in ihrem Auftrag in den Social Media über den Verlauf informierte und sie auf dem Laufenden hielt. „Gleich wird das Urteil verkündet.“

„Glauben Sie, es wird Mikael mitnehmen, wenn er verliert?“

„Er verliert nur selten“, erwiderte Terrence. „So, jetzt kommt es … schuldig.“

Layla stockte der Atem, als im Gerichtssaal Tumult losbrach. „Was wird über Mikael gesagt?“, wollte sie wissen. Nichts gab ihr einen Hinweis darauf, wie es ihm ging, doch als er die Stufen vor dem Gerichtsgebäude hinunterging und die Reporter ignorierte, vermittelte ihr sein Gesichtsausdruck eine Ahnung davon, was in ihm vorging.

„Lassen Sie mein Zimmer aufräumen“, sagte Layla. „Und ich möchte noch mehr Obst mit Schokoladensoße. Und Champagner.“

„Champagner?“, fragte der Butler. „Sind Sie sicher? Er wird kaum in Feierlaune sein.“

„Oh doch, Terrence! Besorgen Sie bitte Champagner!“

Mikaels Miene war genauso undurchdringlich, wie sie bei einem gegenteiligen Urteil gewesen wäre. Niemand erriet je, was in ihm vorging.

Er zog sich um und trank ein großes Glas Mineralwasser. Kurz darauf schnellte sein Wagen vom Parkplatz zum Hotel, wo er dem Portier die Schlüssel zuwarf, damit dieser für ihn parkte.

„Herein“, rief Layla, als er an ihrer Tür klopfte, und er öffnete mit seiner eigenen Keycard.

Layla saß auf dem Bett und trug noch immer sein Hemd. Mikael, dessen letzter Drink zwei Monate her war, sah auf den eisgekühlten Champagner. Sie versteht mich, dachte er. Irgendwie versteht sie mich … Oder vielleicht ließ sie ihn auch einfach nur sein, wie er war.

„Bist du enttäuscht?“, fragte sie.

„Nein.“

„Ich dachte mir nämlich, du könntest dich einfach mit mir im Bett verstecken. Nicht, weil ich Sex will“, fügte sie schnell hinzu. „Ich habe schon oft davon geträumt, aber seit heute weiß ich, dass es auch schön ist, einfach im Bett zu sitzen und zu essen.“

Ein wenig zögernd zog Mikael Jackett, Schlips, Schuhe und Socken aus. Dann schenkte er zwei Gläser Champagner ein und legte sich aufs Bett – allerdings nicht zu ihr, sondern auf die Decke.

„Wie geht es dir?“

„Gut“, antwortete er nach kurzem Überlegen und sah sie an. „Heute ist kein schlechter Tag für mich. Dieses Schwein geht für sehr, sehr lange Zeit hinter Gitter.“ Er atmete tief durch, überrascht von seiner eigenen Ehrlichkeit.

„Kommt es vor, dass du nicht dein Bestes gibst?“ Niemand außer Layla würde sich wohl trauen, diese Frage zu stellen.

„Nein. Ich tue für jeden einzelnen Mandanten, was ich nur kann, und zwar immer. Und wenn er schuldig gesprochen wird, dann kann ich so gut wie sicher sein, dass ein Schuldiger ins Gefängnis kommt.“

Der Champagner schmeckt gut, dachte er. „Du fragst ja gar nicht, ob es mir nicht gegen den Strich geht, solche bösartigen Menschen zu verteidigen.“ Diese Frage hatte er schon hundertfach gehört.

„Es ist doch offensichtlich, dass es dich nicht stört“, erwiderte Layla. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich jemand zu etwas bringen kann, wenn du es nicht willst.“

„Dir ist es gelungen: Ich habe dein Anliegen übernommen, obwohl ich es nicht wollte.“

„Ja, weil du mich attraktiv findest.“ Sie tunkte eine Himbeere in die weiße Schokoladensoße. „Ich fasziniere dich.“

„Stimmt. Dann stört es dich also auch nicht?“, fragte Mikael.

„Natürlich nicht“, erwiderte sie gelassen, schob ihm die Himbeere in den Mund und fand das Gefühl seiner Lippen an ihren Fingern so schön, dass sie es gleich noch einmal tat. „Wenn ein Rechtssystem funktionieren soll, müssen beide Seiten angemessen vertreten werden.“

„Wie ist es in Ishla?“

„Wer eines Verbrechens für schuldig befunden wird, der wird begnadigt, des Landes verwiesen oder hingerichtet. Die Begnadigung liegt im Ermessen meines Vaters. Erfolgt sie, bleiben weder Stigma noch Groll. Wer nicht vollständig begnadigt werden kann, der wird des Landes verwiesen, bis dies möglich ist.“ Sie blickte ihn an und fragte: „Warum lächelst du?“

„Weil du mich dazu bringst“, gab Mikael zu. Er, der sonst so verschlossen war, öffnete sich ihr – vielleicht, weil sie nur für begrenzte Zeit in Australien war?

„Wolltest du schon immer Jura studieren?“, fragte sie jetzt.

„Nein“, antwortete er.

„Was hast du früher getan?“

Dieses Thema war Mikael zu privat, also schüttelte er nur den Kopf. „Gut, dass du nicht lesen und schreiben kannst, sonst würdest du noch als Premierministerin kandidieren“, sagte er und zog sie in seine Armbeuge.

Autor

Tara Pammi

Tara schreibt sexy Romanzen mit anbetungswürdigen Helden und sexy Heldinnen. Ihre Heldinnen sind manchmal laut und rebellisch und manchmal schüchtern und nerdig, aber jede von ihnen findet ihren perfekten Helden. Denn jede Frau verdient eine Liebesgeschichte!

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