Julia Extra Band 463

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VERLOBE DICH NIE MIT EINEM PLAYBOY! von CHANTELLE SHAW
Eine einzige Nacht der Leidenschaft, mehr will der griechische Reeder Giannis Gekas nicht von der schönen Ava. Bis er dringend eine Verlobte braucht - selbstverständlich zum Schein, um vor einem wichtigen Deal sein Playboy-Image loszuwerden! Doch dann knistert es immer heißer …

LATIN LOVER FÜR LILY? von MAGGIE COX
In einem idyllischen Cottage in Italien hofft Lily nach ihrer Scheidung zu sich selbst zu finden. Nur wie, wenn ihr sexy Vermieter Bastian Carrera sie so aufregt? Erst droht er ihr mit Kündigung; kurz darauf überrascht er sie plötzlich mit einem unwiderstehlich sinnlichen Kuss …

VERLANGEN GEGEN ALLE VERNUNFT von TARA PAMMI
Die erotische Spannung zwischen Prinz Nikandros und Mia ist derart überwältigend, dass sie sich ihm gegen jede Vernunft hingibt. Dabei ist ihr von Anfang an klar: Für eine einfache Bürgerliche wie sie ist kein Platz in seinem neuen Leben als Thronfolger von Drakos! Oder etwa doch?

DIE PRINZESSIN UND DER MILLIARDÄR von REBECCA WINTERS
Prinzessin Tuccia? Schockiert erkennt der sizilianische Milliardär Cesare Donati, wer ihm da in die Arme gelaufen ist. Aber so sehr ihre Nähe seine Lust entfacht, Tuccia ist tabu - sie ist einem anderen Mann versprochen! Trotzdem kann er sich ihren Reizen nicht lange entziehen …


  • Erscheinungstag 05.03.2019
  • Bandnummer 0463
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712846
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Chantelle Shaw, Maggie Cox, Tara Pammi, Rebecca Winters

JULIA EXTRA BAND 463

CHANTELLE SHAW

Verlobe dich nie mit einem Playboy!

Ava würde alles tun, damit der sexy Playboy-Reeder Giannis Gekas die Anzeige gegen ihren Bruder zurückzieht – sogar seine Verlobte spielen! Ein erregendes Spiel mit unerwarteten Folgen beginnt …

MAGGIE COX

Latin Lover für Lily?

Geschäft ist Geschäft für Millionär Bastian. Lily muss aus seinem Haus ausziehen, auch wenn sie sein Verlangen weckt! Doch nach einer Liebesnacht gesteht sie ihm etwas, das alles auf den Kopf stellt …

TARA PAMMI

Verlangen gegen alle Vernunft

Prinz Nikandros begehrt Mia vom ersten Augenblick an. Trotzdem verführt er sie nur, um sie danach ein für alle Mal vergessen zu kön-nen. Schließlich muss er seiner Pflicht als Thronfolger gehorchen!

REBECCA WINTERS

Die Prinzessin und der Milliardär

Verzweifelt lässt Prinzessin Tuccia ihren Pflichtehemann vorm Altar stehen und rennt davon – geradewegs in die Arme des sizilianischen Milliardärs Cesare Donati, in den sie sich unrettbar verliebt …

1. KAPITEL

Giannis Gekas knurrte der Magen. Seit dem „Genuss“ des knochentrockenen Sandwichs, das seine Sekretärin ihm in einer kurzen Besprechungspause am Mittag serviert hatte, waren etliche Stunden vergangen. Frustriert nippte er an seinem Cocktail, einer Virgin Mary, und spielte mit dem Gedanken, den winzigen Selleriestängel zu verspeisen, der das alkoholfreie Getränk zierte.

Desinteressiert ließ er den Blick über die anderen Gäste im Bankettsaal gleiten. Sie schienen sich alle sehr angeregt zu unterhalten. In Giannis’ Ohren klang es allerdings nur wie ein Rauschen. Da er keine Lust hatte, sich mit Leuten zu unterhalten, die er nicht kannte und die ihn auch nicht interessierten, suchte er Zuflucht hinter einer Säule.

Wenig später beobachtete er, wie eine Frau an einem der runden Esstische Tischkarten vertauschte. Vermutlich handelte es sich um eine Angestellte der Veranstaltungsorganisation, die für den reibungslosen Ablauf des Benefizdinners mit anschließender Auktion verantwortlich zeichnete. Allerdings trug die Frau ein Abendkleid. Dann ist sie vermutlich eher ein Gast, dachte Giannis. Dafür sprach auch der verstohlene Blick, den sie gerade über die Schulter geworfen hatte.

Als Giannis kurz zuvor den Privatlift von seiner in dem exklusiven Londoner Luxushotel gelegenen Penthousesuite zum Foyer genommen hatte, hatte sein Interesse zunächst dem Sitzplan im Bankettsaal gegolten. Nach kurzer Suche hatte er seinen Namen auf dem Plan gefunden und wusste nun, an welchem Tisch er das Abendessen – hoffentlich bald – genießen konnte. Nun überlegte er, warum die Frau ihre Tischkarte neben seiner platziert hatte. So etwas war ihm schon öfter passiert. Der phänomenale Erfolg seiner auf Kreuzfahrtschiffe spezialisierten Reederei hatte ihn auf den Spitzenplatz der Liste von Europas reichsten Unternehmern katapultiert.

Schon als Teenager, der mit Touristen durch die griechische Inselwelt segelte, war er ständig von Frauen umschwärmt gewesen. Reichtümer hatte er damals noch nicht angehäuft, sah aber überdurchschnittlich gut aus. Mit achtzehn Jahren hatte er die Aufmerksamkeit zahlloser blonder Schönheiten genossen. Inzwischen war er fünfunddreißig und wählerischer.

Die Frau, die unbedingt neben ihm sitzen wollte, war zwar auch blond, aber nicht sein Typ. Er stand eher auf hochgewachsene, durchtrainierte Blondinen, so wie Lise, ein schwedisches Bikinimodel. Ihre Beziehung hatte einige Monate gehalten. Als Lise dann immer öfter vom Heiraten sprach, hatte Giannis Schluss gemacht und ihr zum Abschied ein kostbares Armband schicken lassen. Der exklusive Londoner Juwelier erledigte so etwas gern für seinen Stammkunden.

Langsam bewegten die Gäste sich zu ihren Tischen. Das Abendessen sollte um 19.30 Uhr beginnen. Auch Giannis machte sich auf den Weg und stellte amüsiert fest, dass die Blondine die Rückenlehne des Stuhls neben seinem fest umklammerte, als befürchtete sie, jemand könnte ihr den Platz streitig machen.

Das honigblonde Haar fiel ihr in seidig schimmernden Wellen über die Schultern, und ihre Augenfarbe erinnerte Giannis an graue Regenwolken. Alles in allem war die Frau eher attraktiv als schön. Sie hatte hohe Wangenknochen und einen sehr hübschen Mund mit ausgeprägt sinnlichen Lippen, an denen Giannis Blick hängen blieb. Als sie sich nervös auf die volle Unterlippe biss, spürte Giannis den heftigen Impuls, die Zunge darübergleiten zu lassen.

Diese körperliche Reaktion überraschte ihn, war er doch gerade zu dem Schluss gekommen, die Frau wäre keinen zweiten Blick wert. Den riskierte er nun. Sie war mittelgroß, hatte eine Wespentaille und üppig gerundete Brüste und Hüften. Erregung erfasste ihn, als er den Blick nun auf dem großzügigen Dekolleté des schwarzen Seidenkleids ruhen ließ.

Sie trug keinen Schmuck. Für eine Veranstaltung, zu der die meisten Frauen sich wie Weihnachtsbäume herausputzten, war das ungewöhnlich.

„Darf ich?“ Höflich zog er den Stuhl seiner Tischnachbarin zurück, wartete, bis sie Platz genommen hatte, und setzte sich dann neben sie. „Wie’s scheint, verbringen wir den Abend gemeinsam, Miss …“ Schnell warf er einen unauffälligen Blick auf die Tischkarte. „… Ava Sheridan.“

Wachsam sah sie ihn an. „Woher wissen Sie, wie ich heiße?“

„Der Name steht auf der Tischkarte vor Ihnen“, erklärte er trocken. Ob sie ihm jetzt wohl erklären würde, warum sie die Karten vertauscht hatte?

„Ach ja, klar.“ Sie lächelte verlegen und biss sich auf die Unterlippe

Erneut reagierte sein Körper auf diesen sinnlichen Anblick.

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Gekas.“

„Giannis.“ Er lehnte sich zurück, schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit und lächelte charmant.

Sofort weiteten sich ihre Pupillen – wie Giannis es erwartet hatte. Sein Charisma machte ihn unwiderstehlich, was schon seit Teenagerzeiten so war. Männer respektierten ihn und waren gern mit ihm befreundet. Doch schon so mancher Geschäftsmann hatte zu seinem Leidwesen feststellen müssen, dass sich hinter Giannis’ lässiger Art ein eiskalt kalkulierender Unternehmer verbarg, dem es ausschließlich um den geschäftlichen Erfolg ging. Die Frauen hingegen waren hingerissen von seiner maskulinen Ausstrahlung und wünschten sich, mit ihm im Bett zu landen.

Ava Sheridan bildete da offenbar keine Ausnahme. Galant hielt Giannis ihr die Hand hin, die Ava nach kaum merklichem Zögern ergriff. Als er den Kopf neigte, um einen galanten Handkuss zu platzieren, stockte ihr kurz der Atem.

Ja, sie fand ihn anziehend. Allerdings hatte Giannis nicht mit der heftigen Erregung gerechnet, die ihn erfasste. In der engen Smokinghose fühlte sich seine mächtige Erektion ziemlich unangenehm an. Gut, dass seine untere Körperhälfte vom Tischtuch verborgen war.

Weitere Gäste setzten sich an den Tisch. Man stellte einander vor, die Kellner schenkten Wein ein und servierten die Vorspeise. So wurde Giannis abgelenkt und brachte seine Libido wieder unter Kontrolle.

Mittlerweile amüsierte ihn seine Reaktion auf Ava Sheridan sogar. Sie konnte den Models und Damen der Gesellschaft, mit denen er sich sonst umgab, nicht das Wasser reichen. Aber seit er vor einem Monat mit Lise Schluss gemacht hatte, war er enthaltsam gewesen. Offensichtlich zu lange …

Er beendete das Gespräch mit dem Hedgefondsmanager, der neben ihm Platz genommen hatte, und wandte sich wieder Ava zu, die ihn immer wieder verstohlen betrachtet hatte, während er sich mit den anderen Gästen am Tisch unterhalten hatte. Nun tat sie so, als würde sie sich nur für das Essen auf ihrem Teller interessieren.

Nach eingehender Betrachtung aus der Nähe gelangte Giannis zu dem Schluss, dass er Ava Unrecht getan hatte. Sie war sehr wohl schön – und das auf eine sehr natürliche Weise. Auf Make-up hatte sie fast vollständig verzichtet, und an ihren herrlich pfirsichrunden Brüsten hatte mit Sicherheit niemand herumgeschnippelt. Unter den vielen aufgedonnerten Besucherinnen, von denen vermutlich die Mehrheit schon unter dem Messer eines Schönheitschirurgen gelegen hatte, stach seine Tischnachbarin positiv heraus – wie eine kostbare Perle aus den Tiefen des Meeres.

„Darf ich Ihnen Wein nachschenken?“, erkundigte er sich schließlich mit Blick auf ihr halbleeres Glas. Nun muss sie mich ansehen, hoffte er.

Ein Knistern lag in der Luft, als sich ihre Blicke trafen.

„Nur einen kleinen Schluck, bitte“, antwortete sie leise, wobei ihre Stimme faszinierend melodisch klang. „Trinken Sie keinen Wein?“, fragte sie dann verwundert, als er die Flasche zurück in den Kühler stellte, ohne sich selbst nachgeschenkt zu haben.

„Nein.“ Er trank keinen Alkohol.

Neugierig musterte sie ihn von der Seite. „Ich habe gehört, dass sie ein sehr großzügiger Spender sind, der insbesondere Organisationen bedenkt, die sich um Familien mit Alkoholproblemen kümmern. Hat das einen besonderen Grund, Giannis?“

Ist sie etwa Journalistin? Plötzlich fiel ihm wieder ein, dass sie die Tischkarten vertauscht hatte, um neben ihm zu sitzen. Die Medien waren ständig hinter ihm her. Insbesondere das Interesse an seinem Liebesleben war groß. Vor einigen Jahren hatte ein Reporter aber eine Sache aus der Vergangenheit ausgegraben, an die Giannis auf keinen Fall erinnert werden wollte. Im Alter von neunzehn Jahren hatte er einen Riesenfehler gemacht, den sein Vater mit dem Leben bezahlt hatte. Niemals würde Giannis diese tragische Nacht vergessen.

Schnell verdrängte er die schrecklichen Erinnerungen. „Sind Sie etwa Journalistin, Miss Sheridan?“, sprach er seinen Verdacht nun laut aus.

Überrascht musterte sie ihn. „Nein. Wie kommen Sie darauf?“

Entweder war ihre Überraschung echt, oder sie war eine begnadete Schauspielerin.

„Sie haben die Tischkarten vertauscht, um neben mir sitzen zu können.“

„Ja, das stimmt.“ Verlegen senkte sie den Blick. „Aber wieso halten Sie mich für eine Journalistin?“

„Die Medien lassen nichts unversucht, um an mich ranzukommen. Besonders die Klatschpresse nutzt jede passende und unpassende Gelegenheit.“

„Ich schwöre, dass ich keine Journalistin bin.“

„Und warum wollten Sie dann unbedingt neben mir sitzen?“

Erneut biss Ava sich auf die Lippe, und Giannis starrte auf ihren Mund.

„Ich hatte gehofft, wir könnten uns unterhalten“, gestand sie leise.

Er glaubte ihr. Sie schien ziemlich verzweifelt zu sein. Neugierig geworden, forderte er sie auf: „Dann schießen Sie mal los.“

„Nicht hier.“ Sie atmete tief durch. Ihre Freundin Becky hatte ihr eine Einladung zum Benefizdinner und einen Platz an Giannis Gekas’ Tisch verschafft. Da sie viel zu weit weg gesessen hätte, hatte Ava kurzerhand die Tischkarten vertauscht, um sich bei dem Reeder für ihren Bruder einzusetzen. Giannis Gekas musste die Anzeige gegen Sam zurückziehen, sonst landete ihr Bruder unweigerlich im Jugendgefängnis.

Ava trank noch einen Schluck Wein, obwohl sie einen klaren Kopf behalten musste. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, an diesem Abend gar keinen Alkohol zu trinken. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass Giannis so unwiderstehlich war. Die Fotos, die sie bei der Recherche nach Griechenlands begehrtestem Junggesellen im Internet gefunden hatte, hatten sie nicht auf die verheerende Wirkung seines Lächelns vorbereitet.

Der Mann sah nicht nur aus wie ein griechischer Gott, er hatte auch unglaublich sinnliche Lippen, die sich zudem ständig zu einem lässigen Lächeln verzogen. Eigentlich hätte Giannis Gekas einen Waffenschein für seinen Sexappeal benötigt.

Und in den fast schwarzen, dicht bewimperten Augen, die unter breiten Brauen funkelten, hätte man sich verlieren mögen. Ava spürte, dass dieser Mann ihr gefährlich werden konnte.

Energisch riss sie sich zusammen. Es ging hier nicht um sie, sondern um ihren jüngeren Bruder. Wenn sie ihn nicht vor einer Gefängnisstrafe bewahren konnte, würde er wahrscheinlich auch so kriminell werden wie ihr Vater.

Sam war kein schlechter Mensch. Allerdings hatte er die Orientierung verloren. Ihre Mutter hatte sich überfordert gefühlt, als Sam in die Pubertät kam und sich einer Gruppe von Teenagern anschloss, die in der Nähe seines Elternhauses in East London die Gegend unsicher machten. Erschwerend kam hinzu, dass Sam seinen Vater vergötterte und sogar wieder seinen Namen angenommen hatte. Jetzt nannte er sich erneut Sam McKay, wohingegen Ava den Mädchennamen ihrer Mutter trug.

Ava führte ihr eigenes Leben, fernab vom East End, wo sie alles an ihren Vater erinnerte. Nun machte sie sich Vorwürfe, weil sie nicht auf Sam aufgepasst hatte.

Gedankenverloren trank sie noch einen Schluck Wein und riskierte dann einen Blick auf ihren Tischnachbarn. Sams Schicksal lag in Giannis Gekas’ Händen.

In diesem Moment räumte der Kellner den Vorspeisenteller ab. Ava hatte den Ziegenkäsesalat kaum angerührt. Nun stand der Hauptgang auf dem Tisch. Sie hatte sich für Seezunge entschieden.

Einer der gegenübersitzenden Gäste versuchte, Giannis’ Aufmerksamkeit zu erregen. Die Hoffnung, sich beim Essen mit Giannis über ihren Bruder unterhalten zu können, musste sie wohl begraben.

„Ich kann hier nicht mit Ihnen reden.“ Frustriert biss sie sich auf die Unterlippe und erbebte, als sein Blick auf ihrem Mund ruhte. Wie angespannt Giannis plötzlich wirkte. „Wäre es möglich, Sie nach dem Abendessen unter vier Augen zu sprechen?“

Er hielt ihren Blick fest, antwortete aber nicht. Impulsiv legte sie die Hand auf seine. „Bitte.“ Ihr wurde heiß bei der Berührung, doch Giannis vereitelte den Versuch, die Hand schnell wieder wegzuziehen.

„Das hängt davon ab, wie unterhaltsam Sie beim Essen sind“, raunte er lächelnd und strich sanft über den rasenden Puls ihrer Hand. „Entspannen Sie sich, glykia mou. Später wird sich bestimmt eine Gelegenheit dazu finden.“

„Danke.“ Erleichtert atmete sie auf. Entspannen konnte sie sich allerdings nicht, denn die Sorge um ihren Bruder trat in den Hintergrund, als Ava in Giannis’ funkelnde Augen sah und dann beim Anblick der sinnlichen Lippen überlegte, wie es sich anfühlen würde, von dem sexy Mann geküsst zu werden und diese Küsse zu erwidern.

Verwirrt über diese Gedanken senkte sie den Blick. Obwohl sie vor Aufregung keinen Appetit hatte, aß sie einige Bissen des köstlichen Fischgerichts, denn sie befürchtete, der Wein könnte ihr sonst zu Kopf steigen.

„Ava … ein wunderschöner Name.“

Wie er ihn aussprach – so sexy, so verführerisch. Ein Schauer der Erregung überlief Ava. Als ihr dann noch der exotisch-erotische Duft seines Aftershaves in die Nase stieg, wurde ihr schwindlig.

„Also, Ava, Journalistin sind Sie demnach nicht. Womit verdienen Sie dann Ihren Lebensunterhalt?“

Wahrscheinlich würde es Giannis wenig beeindrucken, wenn er hörte, dass sie im Opferschutz tätig war. Schließlich war er gerade selbst Opfer einer Straftat geworden. Sam und seine sogenannten Freunde hatten wie die Vandalen auf der Luxusjacht des griechischen Reeders gewütet. Jetzt war es wichtig, ihn davon zu überzeugen, dass Sam die Tat zutiefst bedauerte und dass er eine zweite Chance verdiente.

„Ich bin gerade von Schottland wieder nach London gezogen, um in der Nähe meiner Mutter und … meines Bruders zu sein. Meine neue Stelle habe ich noch nicht angetreten“, erklärte sie mit überraschend fester Stimme.

Giannis ließ sich einen Bissen Beef Wellington schmecken und sagte dann: „Ich bin schon viel rumgekommen in der Welt, aber in Schottland war ich noch nie. Es soll dort sehr schön sein, habe ich gehört.“

Ava dachte an das heruntergekommene Viertel in Glasgow, wo sie zunächst ehrenamtlich, nach dem Examen dann in Vollzeit in der Opferhilfe tätig gewesen war. Diesen Job hatte sie sich ausgesucht, weil sie meinte, damit wenigstens einen kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung der schweren Straftaten ihres Vaters zu leisten. Leider war ihr dabei entgangen, dass Sam sich im East End einer Straßenbande angeschlossen hatte. Von diesem Londoner Stadtteil aus hatte ihr Vater seine Raubüberfälle verübt.

„Wieso interessiert dich plötzlich, was ich mache?“ Sam hatte wütend auf ihre „Einmischung“ reagiert. „Du bist weggezogen. Ich war dir vollkommen egal.“

Schnell verdrängte Ava die Schuldgefühle und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Giannis erwartete eine Reaktion von ihr.

„Die Landschaft der Highlands ist spektakulär. Ich kann Ihnen gern Tipps geben, falls Sie vorhaben, mal nach Schottland zu reisen.“

„Am besten begleiten Sie mich und führen mich selbst herum.“

Ava musterte ihn verblüfft. Meinte er das ernst? In seinem Blick spiegelte sich Belustigung – und etwas, das Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern ließ.

„Aber … wir kennen uns doch gar nicht“, sagte sie leise.

„Was nicht ist, kann ja noch werden. Der Abend hat gerade erst begonnen“, antwortete er mit diesem sexy griechischen Akzent, bei dessen Klang ihr heiß wurde.

„Da ich nur wenig Freizeit habe, ist es durchaus sinnvoll, eine Reisebegleiterin zu engagieren, die sich vor Ort auskennt.“

Zum Glück wurden am Tisch gerade die Auktionskataloge verteilt, sodass Ava eine Antwort erspart blieb.

Giannis blätterte im Katalog. „Haben Sie etwas Interessantes gefunden? Werden Sie bieten?“

„Die Preise, die hier als Mindestgebote für eine Platinuhr oder eine afrikanische Safari angegeben sind, kann ich mir von meinem schmalen Budget nicht leisten“, sagte sie nach einem Blick in den Katalog bedauernd. „Kunstsammler werden vermutlich auf das Gemälde von Mark Derring bieten. Seine Werke sind eine Klasse für sich und immer eine gute Investition. Einige Weine sind auch interessant. Auf den Chateau Latour von 1962 wird sicher lebhaft geboten.“

Nachdenklich schaute Giannis sie an. „Nun weiß ich schon, dass Sie etwas von Kunst und Weinen verstehen. Sie faszinieren mich, Ava.“

Sie lachte. „Ach, so weit her ist es mit meinen Kenntnissen nun auch wieder nicht. Ich habe ein Mädchenpensionat in der Schweiz besucht. Dort lernt man, sich kompetent über Kunst zu unterhalten, erlesene Weine zu erkennen und sich auf internationalem Parkett zu bewegen, ohne anzuecken.“

„Ich dachte, Mädchenpensionate wären längst Schnee von gestern. Was hat Sie bewogen, eins zu besuchen?“

„Mein Vater hielt es für eine gute Idee.“ Beim Gedanken an Terry McKay verspannte sie sich sofort. Nur ungern dachte sie an die Zeit zurück, als sie noch den Namen Ava McKay getragen hatte. Zu ihren Freundinnen, die sie im Institut Maison Cecile in Sankt Moritz kennengelernt hatte, war der Kontakt abgebrochen, nachdem ihr Vater zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Aber der Besuch des exklusiven Mädchenpensionats, in dem auch zwei Prinzessinnen aus europäischen Adelshäusern den letzten Schliff erhalten hatten, war sehr nützlich gewesen. Seitdem fühlte sich Ava auf Veranstaltungen der High Society wie zu Hause.

Leider hatte sie in der Schweiz nicht gelernt, wie sie auf einen griechischen Sexgott reagieren sollte, der sie förmlich mit Blicken auszog. Eine Mischung aus Panik und Erregung überkam sie. Ich bin hier, um Sam zu retten, schärfte sie sich ein. Giannis hatte sich bereiterklärt, später mit ihr zu sprechen – unter der Voraussetzung, dass sie ihn während des Abendessens gut unterhielt. Hoffentlich hat er das ernst gemeint, dachte sie und neigte sich zu ihm, weil er sie sonst bei dem im Bankettsaal vorherrschenden Geräuschpegel nicht verstanden hätte. Die Mischung aus exotischem Aftershave und männlichen Pheromonen vernebelte ihr fast die Sinne. „Nun haben Sie schon einige Dinge über mich erfahren, aber von Ihnen weiß ich noch gar nichts. Das ist unfair.“

„Wieso? Immerhin habe ich Ihnen anvertraut, noch nie in Schottland gewesen zu sein. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich das bald ändert“, fügte er mit einem vielsagenden Lächeln hinzu.

Ava wurde es heiß vor Erregung. Sie fühlte sich wie ein Teenager beim ersten Date. Dabei war sie eine erfahrene Frau von siebenundzwanzig Jahren!

Okay, so erfahren war sie nun auch wieder nicht. Während des Studiums war sie immer mal wieder mit dem einen oder anderen Kommilitonen ausgegangen, hatte die Beziehung jedoch jedes Mal schnell wieder beendet, weil sie befürchtete, ihr Doppelleben würde auffliegen, wenn das Verhältnis enger wurde.

Vor zwei Jahren hatte sie auf der Party einer Arbeitskollegin Craig kennengelernt. Ihr gefiel seine offene, ehrliche Art. Bald wurden sie ein Liebespaar, und Ava glaubte an eine gemeinsame Zukunft. Als Craig und sie ein Jahr zusammen waren, hatte sie allen Mut zusammengenommen und ihm ihre wahre Identität verraten.

Craig war entsetzt gewesen, mit der Tochter des berüchtigten Gangsterbosses Terry McKay liiert zu sein. „Wir können keine Familie gründen, Ava. Unsere Kinder könnten die kriminellen Gene ihres Großvaters erben.“ Kühl und voller Abscheu hatte er sie angesehen.

„Kriminalität ist nicht vererbbar“, hatte Ava argumentiert, war später jedoch selbst ins Grübeln gekommen. Wenn Sam nun die Gene seines Vaters geerbt hatte, konnte sie ihn dann überhaupt retten?

Sie weigerte sich, zu glauben, dass ihr freundlicher, lustiger kleiner Bruder sich zu einem gewalttätigen Kriminellen entwickeln könnte. Allerdings kannte sie auch die Statistik. Die Rückfallquote jugendlicher Straftäter, die eine Gefängnisstrafe verbüßt hatten, war hoch. Ich muss die Nerven behalten und auf Giannis’ Gnade hoffen, ermahnte sie sich.

Unter anderen Umständen hätte Ava die Bietergefechte faszinierend gefunden. Es war unglaublich, welche Preise die Auktionsartikel erzielten! Giannis’ sechsstelliges Gebot auf einen Luxusurlaub für zwei Personen auf den Malediven erhielt den Zuschlag. Ava hätte zu gern gewusst, wer Giannis begleiten würde. Sicher hatte er gleich mehrere Geliebte am Start, unter denen er wählen konnte. Aber auch im Bankettsaal saßen viele Frauen, die dem griechischen Sexgott immer wieder heimliche Blicke zuwarfen und nur zu gern vier Tage – und Nächte – in einem Luxusresort auf den Malediven mit ihm verbracht hätten. Inzwischen hatte er es mit seiner Flotte von Kreuzfahrtschiffen, die unter dem Namen The Gekas Experience firmierten, zum Milliardär gebracht.

„Herzlichen Glückwunsch! Ich kann verstehen, dass sie lieber auf die Malediven als nach Schottland reisen möchten.“ Avas Tonfall klang leicht gereizt, weil sie sich Giannis gerade mit einem Supermodel am Strand des Inselparadieses vorstellte.

„Die Reise ist für meine Mutter und meine Schwester gedacht“, erklärte Giannis amüsiert. „Meine Mutter will schon lange mal auf den Malediven Urlaub machen. Und wenigstens meine Schwester wird sich über das Geschenk freuen. Meiner Mutter kann man es leider nie recht machen“, fügte er hinzu. Anscheinend belastete ihn diese Tatsache schwer.

Ava musterte ihn neugierig. Irgendetwas stimmte da nicht. Immerhin wusste sie nun, dass er eine Schwester hatte. Dann würde er sicher verstehen, warum sie ihren Bruder vor einer Gefängnisstrafe bewahren wollte.

Die restliche Auktion rauschte an Ava vorbei, weil sie nur Augen für ihren sexy Tischnachbarn hatte. Er hat schöne Hände, dachte sie verträumt und stellte sich vor, wie er ihren nackten Körper streichelte und die Brüste umfasste, bevor er begann, die Knospen mit dem Mund zu verwöhnen.

Ava errötete heftig. Was war denn nur plötzlich in sie gefahren? Als sie Giannis’ Oberschenkel an ihrem spürte, zuckte sie zusammen.

„Ziemlich heiß hier, oder?“ Seine Augen funkelten amüsiert.

Sie stand förmlich in Flammen und hätte sich am liebsten in den Waschraum geflüchtet, um sich etwas abzukühlen und zu sammeln.

„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.“ Kurz entschlossen sprang sie auf.

„Au!“ Heiße Flüssigkeit hatte sich über ihr Kleid ergossen. Erschrocken sah Ava um sich. Dann wurde ihr klar, was passiert war. Ein Kellner wollte ihr Kaffee nachschenken und hatte sich gerade in dem Moment mit der Kanne über sie gebeugt, als sie aufgesprungen war.

„Ich … ich bin untröstlich, madam“, stammelte er. „Bitte entschuldigen Sie vielmals.“

„Schon gut. Es war meine Schuld“, antwortete Ava. Wie peinlich! Alle sahen schon in ihre Richtung. Nun eilte auch der Oberkellner herbei und entschuldigte sich ebenfalls für das Missgeschick seines Kollegen.

Giannis war aufgestanden und fragte besorgt: „Haben Sie sich verbrannt?“ Er stand da wie ein Fels in der Brandung.

„Nein, ich glaube nicht. Das Kleid hat das Schlimmste verhindert.“ Allerdings war es völlig durchnässt. Avas Versuch, es mit der Serviette zu trocknen, richtete nicht viel aus. Wenigstens war das Kleid schwarz, es würden also keine Flecken zurückbleiben. Aber sie konnte nicht den Rest des Abends in einem triefnassen Kleid hier sitzen. Sie musste nach Hause, um sich umzuziehen. Aber was wurde dann aus dem Gespräch mit Giannis? Sie musste doch etwas für Sam tun!

Nun war auch der Hoteldirektor aufgetaucht, um sein Bedauern über den Vorfall zu äußern und den Kellner zu tadeln.

„Es war meine Schuld“, erklärte Ava erneut und wünschte, sie könnte den vielen neugierigen Blicken endlich entfliehen.

„Kommen Sie mit.“ Giannis ergriff die Initiative und führte Ava aus dem Bankettsaal. Ich muss ein Taxi rufen, dachte sie und suchte in der Handtasche nach ihrem Handy. Dabei entging ihr, dass sie sich inzwischen im Lift nach oben befand. Irritiert sah sie auf.

„Wir fahren rauf in meine Suite. Dort können Sie das nasse Kleid ausziehen und sich frisch machen. In der Zwischenzeit sorge ich dafür, dass Ihr Kleid gereinigt wird“, erklärte Giannis.

Im ersten Moment wollte Ava sein freundliches Angebot ablehnen. Doch dann fiel ihr ein, dass sie sich mit Giannis über Sam unterhalten könnte, während das Kleid gereinigt wurde. Es war eine perfekte Gelegenheit, ihn zu bitten, die Anzeige gegen Sam zurückzuziehen.

Etwas nervös war sie aber doch, einem Fremden in seine Hotelsuite zu folgen.

„Zum Badezimmer geht es da lang“, erklärte Giannis, nachdem sie das riesige Wohnzimmer durchquert hatten. „Sie können den Bademantel benutzen, der am Türhaken hängt. Hätten Sie gern ein Glas Wein oder lieber Kaffee? Ich gebe gleich die Bestellung auf und lasse das Kleid abholen.“

„Danke, aber ich habe heute Abend schon genug Wein getrunken.“ Schnell verschwand Ava im Badezimmer, um Giannis’ intensivem Blick zu entgehen.

Im luxuriösen, mit Marmor gefliesten Badezimmer atmete sie erst einmal tief durch. Wahrscheinlich hatte sie sich den begehrlichen Blick nur eingebildet. Giannis Gekas war ein notorischer Playboy, der vermutlich jede Frau ansah, als wäre sie das schönste, begehrenswerteste, unwiderstehlichste Geschöpf der Welt. Und sein Charme, sein Charisma waren legendär und … unwiderstehlich.

Aber nicht für mich, schärfte Ava sich ein. Ich bin immun gegen ihn. Schnell befreite sie sich von dem durchnässten Kleid, griff nach dem Bademantel und warf einen Blick in den Spiegel. Das lange Haar glänzte wie gesponnenes Gold, die Augen waren riesig, die Wangen schimmerten rosig. Im winzigen, fast durchsichtigen schwarzen BH, dem G-String und den halterlosen Strümpfen wirkte sie wie ein verführerischer Vamp.

So hatte sie noch nie ausgesehen. Geistesabwesend strich sie sich über die Oberschenkel und erschauerte, als sich ein süßes Ziehen im Schoß ausbreitete und sie sich vorstellte, wie Giannis auf ihre sexy Dessous reagieren würde.

Verwundert schüttelte sie den Kopf über die erotischen Gedanken. Offensichtlich hatte der Wein eine enthemmende Wirkung.

Leise fluchend schlüpfte Ava in den Bademantel und zog den Gürtel fest zu. Giannis Gekas würde sie selbstverständlich niemals nur mit Dessous bekleidet zu Gesicht bekommen! Schließlich war sie nur aus einem einzigen Grund hier: Sam vor dem Jugendgefängnis zu bewahren.

2. KAPITEL

Giannis hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht, die langen Beine weit von sich gestreckt, die Arme lässig auf der Rückenlehne ausgebreitet. Smokingjackett und Fliege hatte er abgelegt, den Hemdkragen aufgeknöpft. Der V-förmige Halsausschnitt gab den Blick auf den wie Goldbronze schimmernden mediterranen Teint und schwarzes Brusthaar frei.

Doch Ava ließ sich von der zur Schau gestellten Lässigkeit nicht täuschen. Hinter dieser coolen Fassade verbarg sich ein Freibeuter, der sich nahm, was er begehrte. Vermutlich hatten schon viele Frauen versucht, ihn zu zähmen. Doch ein Giannis Gekas ließ sich von niemandem etwas sagen. Fast hätte sie der Mut verlassen.

Geschmeidig sprang er auf, kam ihr entgegen und nahm ihr das feuchte Kleid ab.

Im Eingangsbereich wartete bereits eine Hotelangestellte, die versicherte, für eine umgehende Reinigung zu sorgen.

„Ich habe Tee und Petits Fours für Sie bringen lassen“, sagte Giannis, als er zurückgekehrt war, und deutete auf ein Teeservice aus kostbarem Silber auf dem Couchtisch. „Bitte setzen Sie sich.“

„Danke.“ Bevor sie Platz nahm, fiel Avas Blick auf ein großes Bild, das an der Wand lehnte. „Sie haben das Gemälde von Mark Derring ersteigert“, rief sie überrascht.

„Ja, ich habe auf Ihren Rat gehört. Sie saßen übrigens direkt neben mir, als ich den Zuschlag erhalten habe“, fügte er amüsiert hinzu.

Verlegen biss Ava sich auf die Unterlippe. Während der Auktion hatte sie alle Mühe gehabt, zu verbergen, welchen Gefühlstumult Giannis in ihr entfesselt hatte. Damit war sie so beschäftigt gewesen, dass die Versteigerung komplett an ihr vorbeigerauscht war.

Jetzt sah er ihr tief in die Augen und stand plötzlich direkt vor ihr. Ihr wurde schwindlig.

„Herzlichen Glückwunsch zum Erwerb des Gemäldes“, sagte sie leise, um die Magie des Moments zu zerstören. Es schmeichelte ihr, dass der milliardenschwere Reeder auf ihren Rat gehört hatte. Das wirkte sich sehr positiv auf ihr Selbstbewusstsein aus, das Craig so rüde ins Wanken gebracht hatte, als er sie wegen ihres kriminellen Vaters verlassen hatte. Sofort wurde Ava an ihren Bruder erinnert. Seinetwegen war sie hier.

Schnell setzte sie sich aufs Sofa und legte sich ihre Argumente zurecht. Allerdings wurde ihre Konzentration in dem Moment gestört, als Giannis sich ebenfalls aufs Sofa setzte und ihr das Tablett mit dem französischen Gebäck hinhielt. „Greifen Sie ruhig zu.“

„Danke.“ Die Versuchung war zu groß. Schnell griff sie nach einem Petit Four, biss hinein und schloss entzückt die Augen. „Ich habe eine Schwäche für Schokolade“, erklärte sie schuldbewusst.

„Na und? Sie gehören doch wohl nicht zu den Frauen, die sich von den Modemachern die Figur diktieren lassen, oder?“

„Halbverhungert sehe ich ja wohl kaum aus“, antwortete sie trocken, bemerkte, dass der Bademantel einen viel zu großzügigen Blick auf ihr Dekolleté bot, und zog hastig den Gürtel enger.

„Das ist auch gut so. Frauen sollten Kurven haben.“ Giannis sah ihr tief in die Augen.

In seinem Blick las Ava heißes Begehren – ein Begehren, das auch sie empfand.

„Beim Abendessen sahen Sie einfach fantastisch aus, Ava. Ihre Figur ist perfekt“, raunte Giannis ihr zu. „Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie meine Tischnachbarin sein wollten.“

Offensichtlich bildete er sich also ein, sie interessiere sich für ihn und hätte deshalb die Tischkarten vertauscht. Aber ihre Motivation war eine ganz andere gewesen. „Ich muss …“

Weiter kam sie nicht, denn Giannis strich ihr zärtlich über einen Mundwinkel. „Da war ein Schokoladenkrümel“, erklärte er und lutschte die Schokolade von seinem Daumen.

Wie gebannt sah Ava zu, wie er sich jetzt mit der Zunge die Schokolade von den Lippen leckte. Unwillkürlich erschauerte sie.

Auf dieses unbewusste Zeichen schien Giannis nur gewartet zu haben. Er schaute sie an, als wäre sie seine Traumfrau. Verzweifelt versuchte Ava, ihre Sehnsucht zu unterdrücken. Es ging hier doch ausschließlich um Sam. Doch als Giannis begann, ihre Wangen zu streicheln, und dann ihr Kinn anhob, keuchte sie auf: „Was tun Sie da?“ Ich muss jetzt mit ihm über Sam sprechen, ermahnte sie sich.

„Ich möchte dich küssen, wunderschöne Ava“, gab er mit seiner unwiderstehlich samtigen Stimme zurück. „Und ich glaube, du möchtest das auch. Stimmt’s? Möchtest du, dass ich dies tue …“ Ganz leicht küsste er sie auf den Mund.

Es fühlte sich so gut an, so … vielversprechend.

Einerseits war Ava entsetzt, sich von einem Wildfremden küssen zu lassen. Andererseits wehrte sie sich aber auch nicht, als Giannis ihr eine Hand in den Nacken legte und sie an sich zog.

Geknistert hatte es zwischen ihnen schon vom ersten Augenblick an. Das erlesene Abendessen hatten sie kaum angerührt, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt waren, einander bedeutungsvolle Blicke zuzuwerfen. Also gab sie der instinktiven Reaktion ihres Körpers auf Giannis nach, öffnete leicht den Mund und erbebte, als er begann, sie mit heißblütiger Leidenschaft zu küssen. Jeder Realitätssinn wurde in dieser Sekunde ausgelöscht. Nun existierten nur noch sie und Giannis in diesem Universum.

Die weichen Lippen berührten ihre, schmeckten sie, lockten sie. Warmer Atem strömte in ihren Mund. Ava schmiegte sich an Giannis breite Brust, spürte seine Körperwärme.

Noch einen Moment, dachte Ava benommen, dann stoße ich ihn weg. Sie war neugierig auf die Küsse eines Experten gewesen. Und Giannis Gekas war ein ausgewiesener Experte, der genau wusste, wie man einer Frau sinnliche Freuden bereitete.

Nun verteilte er heiße Küsse auf ihrer Wange, erforschte mit der Zunge ein Ohr und biss dann spielerisch ins Ohrläppchen. Ava stöhnte vor Lust. Und weiter ging das sinnliche Spiel. Sie legte den Kopf in den Nacken, als Giannis zärtliche Küsse auf ihren Hals hauchte.

Ava konnte gar nicht genug bekommen. Überall wollte sie Giannis Lippen spüren, sich den erregenden Liebkosungen hingeben.

Schließlich hob er den Kopf – atemlos vor Lust. Aus glasigen Augen sah Ava ihn an. Noch nie zuvor war sie so erregt gewesen, außer vielleicht im Traum. Wenn dies ein Traum war, wollte sie nie mehr erwachen.

„Dieser idiotische Kellner hat dich verbrannt“, sagte Giannis. Erschrocken folgte Ava seinem Blick und entdeckte eine leichte Rötung im Dekolleté.

„Halb so schlimm.“ Sie wollte den Bademantel wieder fest um sich ziehen, doch Giannis schob ihre Hände weg, knotete geschickt den Gürtel auf, erhob sich und zog Ava hoch. Wie in Trance reagierte sie auch nicht, als er ihr den Bademantel von den Schultern schob und zu Boden gleiten ließ.

Dann musterte Giannis sie eingehend, ließ den Blick über die High Heels, die halterlosen Strümpfe, den winzigen G-String und den fast durchsichtigen BH hinauf zu ihrem vor Lust rosig schimmernden Gesicht gleiten. „Eisai omorfi“, raunte er heiser.

Sein heißer, begehrlicher Blick spiegelte die Worte wider, die Ava auch ohne Griechischkenntnisse verstanden hätte: „Du bist schön.“

Seine Augen glänzten wie Onyx, seine ausgestreckte Hand bebte leicht. Er meint das ernst, dachte Ava. Dass Europas begehrtester Junggeselle so heiß auf sie war, war ein wahrhaft erhebendes Gefühl.

Warum sollte sie nicht ein einziges Mal ihre Zurückhaltung aufgeben und sich auf ein wildes, leidenschaftliches Abenteuer einlassen? Craig hatte sie einmal als frigide bezeichnet, weil sie beim Sex immer gehemmt gewesen war. Das lag aber daran, dass sie ständig auf der Hut sein musste, ihr dunkles Geheimnis für sich zu behalten. Niemand durfte wissen, dass ihr Vater ein Schwerkrimineller war.

Doch hier und jetzt war alles anders. Leidenschaftliche Lust pulsierte durch ihren Körper. Sie fühlte sich sinnlich und begehrenswert. Und sie sehnte sich nach Erfüllung.

Giannis zog sie ganz fest an sich, damit sie merkte, wie groß sein Verlangen nach ihr war. Ein heißer Schauer lief ihr über den Rücken. Erwartungsvoll drängte sie sich ihm entgegen. Als er ihre harten Brustwarzen spürte, war es endgültig vorbei mit seiner Selbstbeherrschung. Wieder nahm er Besitz von Avas sinnlichem Mund und forderte eine Reaktion.

Die ließ nicht lange auf sich warten. Ava stöhnte leise und erwiderte den leidenschaftlichen Kuss mit solchem Verlangen, dass Giannis vor Lust fast verrückt wurde.

„Ich will dich“, raunte er an ihrem Mund und schob sie etwas von sich, um ihr in die vor Verlangen dunklen Augen zu sehen. „Ava, ich bin verrückt nach dir und will dich nackt in meinem Bett haben. Ich will dich überall liebkosen, deine Geheimnisse entdecken, und dann möchte ich …“ Er flüsterte ihr ins Ohr, was er alles mit ihr machen wollte.

Ava war hin und her gerissen. Sie wollte das alles auch, aber vernünftig war das nicht. Egal, dachte sie. Vernünftig kann ich später wieder sein. Nur dieses eine Mal wollte sie ihrem wilden Verlangen gehorchen. Wenn sie sich dieses Abenteuer versagte, würde sie es ihr ganzes Leben lang bereuen.

Seufzend schloss sie die Augen und gab sich Giannis’ Liebkosungen hin. Er hatte ihre Brüste umfasst und streichelte die aufgerichteten Knospen, die sich gegen den hauchdünnen Stoff des BHs drückten. Nun schob Giannis die Hand unter den seidigen BH und stimulierte mit Daumen und Zeigefinger ihre Brustwarze. Oh, das fühlte sich so gut an. Wie sehr würde sie es erst genießen, wenn er ihre empfindsamste Stelle verwöhnte? „Bitte …“ Ava stöhnte vor Lust.

Giannis wusste sofort, was sie wollte, und lachte leise. „Komm mit!“, raunte er heiser und schien enttäuscht, als Ava zögerte. „Was ist?“

Sie wollte ihm sagen, dass sie keine Frau für einen One-Night-Stand war und noch nie Sex mit einem Wildfremden gehabt hatte. Sie war weder spontan noch abenteuerlustig. Aber sie schwieg. Dieses eine Mal wollte sie die sinnliche Frau sein, für die Giannis sie offensichtlich hielt.

Zärtlich lächelnd strich er ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Was ist los?“, fragte er noch einmal.

Die zärtliche Geste und das heiße Begehren in seinem Blick zerstreuten Avas letzte Zweifel. Das erwartungsvolle Pulsieren im Schoß wurde heftiger. „Gar nichts“, versicherte sie Giannis heiser, knöpfte das Oberhemd auf, schob es ihm von den Schultern und ließ die Hände über den nackten Oberkörper gleiten. Er fühlte sich seidig an. Auch das schwarze Brusthaar, das sich zum Hosenbund hin verjüngte, war weich. Als sie an seinem Reißverschluss zu spielen begann, atmete Giannis tief durch.

„Bist du sicher?“

Die neue Ava schenkte ihm einen lasziven Blick. „Worauf wartest du?“

Sein sinnliches Lachen und das vielversprechende Funkeln in den fast schwarzen Augen erregten sie noch mehr.

Er hatte lange genug gewartet. Hand in Hand ging er mit ihr ins Schlafzimmer.

Gedämpftes Licht in einem warmen Goldton empfing sie. Avas Blick fiel auf das riesige, mit schwarzer Seide bezogene Himmelbett. Wie gemacht für ein leidenschaftliches Stelldichein. Offensichtlich hatte Giannis vorausgeplant. Vermutlich verbrachte er keine Nacht allein. Ein etwas beunruhigender Gedanke, der jedoch sofort wieder in Vergessenheit geriet, als Giannis sich auszog. Nur die schwarzen Boxershorts behielt er noch an. Bewundernd ließ Ava den Blick über den perfekten bronzefarbenen Männerkörper mit breiten Schultern, Waschbrettbauch und schmalen Hüften gleiten. Sie konnte es kaum erwarten, eins mit ihm zu werden.

„Zieh den BH aus!“, forderte er sie auf.

Zwar wäre es ihr lieber gewesen, wenn er das getan hätte, aber vielleicht wollte er ihr auch nur eine Möglichkeit geben, doch noch einen Rückzieher zu machen.

Das kam für Ava aber nicht mehr infrage. Heißes Verlangen pulsierte durch ihren Körper. Schnell hakte sie den BH auf und ließ ihn fallen.

„Wunderschön“, stieß er heiser hervor. Auch er konnte es kaum noch erwarten, diese unwiderstehliche Frau zu besitzen. „Ich will dich, schöne Ava.“ Ungestüm zog er sie an sich, damit sie sich davon überzeugen konnte, wie sehr er sie wollte.

Impulsiv schob Ava die Hand unter den Bund der Boxershorts und umfasste das Objekt ihrer Begierde – seidig und stahlhart zugleich und sehr, sehr groß …

„Du kleines Biest“, raunte Giannis, zog das störende Kleidungsstück aus und schob Ava aufs Bett.

Ungeduldig umfasste sie Giannis’ Gesicht, küsste ihn mit einer Leidenschaft, die ihn schier überwältigte, und wölbte sich ihm fordernd entgegen. Er streichelte sie, fand ihre erogenen Zonen und katapultierte Ava in den siebten Himmel. Als er dann den Kuss beendete und mit der Zunge ihre hart aufgerichteten Brustwarzen verwöhnte, stöhnte sie vor Lust.

„Gefällt dir das?“, fragte er provokant, obwohl er die Antwort kannte. Dann saugte er an der erregten Knospe. Ein unglaubliches Gefühl. Doch bevor Ava dabei den Höhepunkt erreichte, wandte er sich der anderen Brust zu.

Mit festem Griff umfasste Ava seinen Po, spürte seine erregte Männlichkeit an ihrem Schoß und wusste, dass der Orgasmus nicht mehr weit war.

Doch dann rückte Giannis von ihr ab. Ava wollte ihn festhalten. Er konnte doch nicht plötzlich …

Lachend robbte er zum Nachttisch, zog ein Kondom aus der Brieftasche und hielt es Ava vor die Nase. „Du kannst es kaum erwarten, oder? Dann übernimmst du den Job.“

Nie zuvor hatte sie ein Kondom in der Hand gehabt. Craig hatte sich immer selbst geschützt, und dann ging alles so schnell, dass Ava frustriert und unbefriedigt geblieben war. Die Schuld hatte sie bei sich gesucht.

Nach kurzem Zögern ritzte sie die Verpackung mit dem Fingernagel auf, nahm das Kondom heraus und streifte es Giannis über.

„Du machst mich fertig“, stieß Giannis hervor, als sie die Aufgabe endlich erledigt hatte. Ungeduldig schob er den G-String beiseite und ließ einen Finger in sie gleiten.

Das fühlte sich zwar gut an, war aber längst nicht genug. Fordernd bog Ava sich ihm entgegen. „Bitte …“

Ohne weitere Umstände zerriss er das winzige Höschen und drang mit einem heftigen Stoß in sie ein.

Erschrocken keuchte Ava auf.

Sofort hielt er inne und sah sie besorgt an. „Habe ich dir wehgetan?“

Dieser sexy Fremde hatte sie genommen, und seine Besorgnis rührte sie. „Nein.“ Als er sich trotzdem zurückziehen wollte, umklammerte sie seine Schultern. Ihr Körper hatte sich schnell an seine imposante Größe angepasst, sodass sie ihn jetzt tiefer in sich aufnehmen konnte. Es fühlte sich fantastisch an. Ihre geheimsten Träume erfüllten sich, als Giannis begann, sich rhythmisch zu bewegen. Zunächst langsam. Gleichzeitig drückte er ihr heiße Küsse auf Brüste und Hals, bevor er die Zunge in Avas Mund gleiten ließ und das Tempo steigerte.

Inzwischen hatte Ava den Rhythmus aufgenommen und stieß unbewusst kleine Lustschreie aus. Tiefer, härter, schneller bewegte Giannis sich in ihr. Sie krallte ihm die Finger in den Rücken, um Giannis zu zeigen, dass sie kurz vorm Orgasmus war. Den hatte sie bisher nur erlebt, wenn sie sich selbst befriedigte.

„Entspann dich!“, raunte er ihr zu. „Dann wirst du gleich so weit sein.“

„Ich kann nicht“, keuchte Ava frustriert. Irgendetwas schien tatsächlich nicht mir ihr zu stimmen, wenn sie beim Sex nicht zum Höhepunkt kam.

Sofort schob Giannis die Hand zwischen ihre Körper, fand ihren sensibelsten Punkt und stimulierte sie, während er gleichzeitig das Tempo forcierte.

Es fühlte sich fantastisch an. Ava war wie berauscht. Die Spannung stieg und stieg. Gleich war es so weit. Jetzt … Sie explodierte förmlich, wurde in die unendlichen Weiten des Universums katapultiert, verharrte dort am Rand der Ekstase, bevor eine mächtige Welle heranrollte und Ava von einem heftigen Orgasmus mitgerissen wurde, der überhaupt kein Ende zu finden schien. Wogen der Lust pulsierten durch ihren Körper, eine nach der anderen. Es war unbeschreiblich.

Selbst als die Erregung langsam verebbte, setzte Giannis seine rhythmischen Bewegungen fort. Noch einmal erhöhte er das Tempo. Es nahm Ava fast den Atem. Schließlich warf Giannis den Kopf zurück und schrie den Orgasmus hinaus. Zeitgleich erlebte Ava einen weiteren Höhepunkt.

Reglos lagen sie noch einige Zeit so da, bis sie wieder fast normal atmeten. Ava spürte einen tiefen Frieden und regte sich nicht. Sie genoss Giannis’ Nähe und wollte nicht darüber nachdenken, was gerade geschehen war. Es fühlte sich magisch an, in seinen Armen zu liegen, ihm so nahe zu sein. Tief im Innern spürte sie noch immer ein erregendes Prickeln.

Craig hatte also doch unrecht, dachte sie erfreut. Ich kann durchaus einen Orgasmus bekommen – und was für einen. Besser gesagt zwei, ganz kurz hintereinander. Der Sex mit Giannis war fantastisch, und was noch besser war: Ihm schien es auch gefallen zu haben, mit ihr zu schlafen.

Jetzt hob er den Kopf und schaute sie mit undurchdringlichem Blick an. Ich weiß gar nichts über ihn, überlegte sie. Wir sind intim miteinander geworden, weil die Anziehungskraft zwischen uns überwältigend war. Es musste so kommen. Trotzdem hätte sie gern mehr über diesen fantastischen Liebhaber gewusst. Sie spürte, wie er tief in ihr wieder hart wurde, und sofort war alles andere vergessen.

„Du bist unwiderstehlich, omorfia mou“, sagte er leise. „Ich will dich schon wieder.“

Entzückt schlang Ava ihm die Beine um den Rücken und spürte die Erektion tief in sich.

Giannis stöhnte lustvoll. „Du könntest einen Heiligen in Versuchung führen.“ Behutsam zog er sich zurück. „Ich brauche erst ein neues Kondom. Bleib, wo du bist!“ Er gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss, der verheißungsvoll schmeckte, stand auf und verschwand im Badezimmer.

Sehnsüchtig sah Ava ihm nach. Sie konnte seine Rückkehr kaum erwarten.

3. KAPITEL

Giannis hatte geduscht, trocknete sich ab und schlang sich ein Handtuch um die Hüften, bevor er ins Schlafzimmer zurückkehrte. Ava schlief noch tief und fest. Wie jung und unschuldig sie aussah. Doch niemand wusste besser als er, dass dieser Eindruck täuschte.

Bei der Erinnerung, wie sie gestern Abend in High Heels, halterlosen schwarzen Nylonstrümpfen und G-String vor ihm gestanden hatte, meldete sich seine Libido sofort wieder. Am liebsten hätte er Ava mit morgendlichem Sex geweckt. Doch dazu fehlte ihm leider die Zeit. Sehr, sehr schade, dachte er, als er sich seine Garderobe für den Tag heraussuchte.

Am Nachmittag standen Besprechungen in Paris auf dem Programm, am Abend eine gesellschaftliche Veranstaltung. Doch zuerst wollte er die Renovierungsarbeiten in seinem kürzlich erworbenen Haus in Hertfordshire inspizieren und den Bauarbeitern einen Bonus bezahlen. Er hatte Milton Grange gekauft, um einen ständigen Wohnsitz in Großbritannien zu haben, aber auch wegen dessen imposanter Gartenanlage. Giannis hoffte, seine Mutter werde das Anwesen im Sommer besuchen und Freude an den herrlichen Rosen haben. Allerdings war es fast unmöglich, ihre ständig gedrückte Stimmung zu heben.

Seit er erwachsen war, versuchte er, seine Mutter glücklich zu machen und sie über den Verlust ihres Mannes hinwegzutrösten, dessen Leben er auf dem Gewissen hatte. Damals hatte er einen schrecklichen Fehler gemacht, über den er niemals hinwegkommen und den seine Mutter ihm niemals verzeihen würde. Seine Schwester hatte die Mutter in Verdacht, ihr Unglück richtiggehend zu pflegen, damit Giannis sich schuldig fühlte.

Frustriert seufzte Giannis auf, denn noch ein anderes Problem beschäftigte ihn. Seit Stefanos Markou verkündet hatte, er wolle seine Reederei verkaufen und sich zur Ruhe setzen, versuchte Giannis, ihm die sechs kleinen Frachtschiffe abzukaufen. Sie würden hervorragend in sein Unternehmen passen, das über zehn Luxuskreuzfahrtschiffe im Mittelmeer und in der Karibik verfügte. Die Frachter wollte er für den sich stark entwickelnden Markt für Flusskreuzschiffe umbauen lassen. Das war kostengünstiger, als neue Schiffe zu bauen.

Das ausgesprochen großzügige Angebot von The Gekas Experience hatte Stefanos bedauerlicherweise abgelehnt, besser gesagt, er stellte ständig neue Verkaufsbedingungen.

Giannis hatte bereits zugesagt, die gesamte Belegschaft von Markou Shipping zu übernehmen und auf den Flusskreuzschiffen zu beschäftigen, und dachte, nun würde Stefanos in den Verkauf einwilligen. Stattdessen ließ er ihm mitteilen, er werde seine Reederei nur an einen verheirateten Mannes übergeben!

„Seit Generationen lautet unser Leitspruch: ‚Die Familie kommt zuerst.‘ Viele Mitarbeiter sind schon in der zweiten oder dritten Generation für meine Reederei tätig. Sie sind sehr loyal und traditionsbewusst. Was meinst du, wie sie es finden würden, wenn ich die Firma an einen so unverbesserlichen Playboy wie dich verkaufen würde, Giannis? Für dich sind Frauen nur ein angenehmer Zeitvertreib. Würdest du heiraten und die Ideale meines Urgroßvaters verinnerlichen, der die Reederei vor einhundert Jahren gegründet hat, würde ich es mir noch mal überlegen.“

Heiraten? Danach stand Giannis nun wirklich nicht der Sinn. Allerdings interessierte sich nun auch ein Konkurrent für die Markou-Flotte. Der norwegische Unternehmer Anders Tromska war verheiratet und Vater von zwei Kindern. Ganz nach Stefanos’ Geschmack. Der Norweger war ein Familienmensch, frei von Skandalen und tauchte in den Gazetten auch nicht jede Woche mit einer anderen Blondine am Arm auf.

Giannis erwog, sein Übernahmeangebot zu erhöhen, obwohl er sich bewusst war, dass mit Geld offensichtlich doch nicht alles zu bekommen war. Er musste heiraten, um Stefanos zum Verkauf zu bewegen. Eine andere Möglichkeit schien es nicht zu geben.

Nachdenklich schlüpfte er ins Sakko, verdrängte erst einmal das geschäftliche Problem und konzentrierte sich auf Erfreulicheres. Seine geliebte Nerissa, eine klassische Motorjacht und das erste Boot seines Vaters, erstrahlte wieder in neuem Glanz. Die Jacht hatte repariert werden müssen, nachdem Vandalen auf ihr gewütet hatten.

Das Boot hatte einen Liegeplatz im St. Katharine Dock. Wenn Giannis in London zu tun hatte, nutzte er die Jacht in seiner Freizeit. Eines Nachts hatte eine Bande jugendlicher Krimineller das Boot geentert und eine wilde Party gefeiert. Dabei war ein Feuer ausgebrochen. Als Giannis davon erfuhr, wäre er vor Wut fast explodiert.

Es stellte sich heraus, dass ein Angestellter der Servicefirma, die beauftragt war, auf der Jacht nach dem Rechten zu sehen, den Schlüssel entwendet und mit seinen kriminellen Freunden an Bord gegangen war. Die Bande war der Polizei entwischt, nur der Angestellte war auf der Nerissa angetroffen und inzwischen wegen strafbarer Sachbeschädigung angezeigt worden.

Sofort hatte sich der Geschäftsführer der Servicefirma bei ihm entschuldigt. „Der Jugendliche, der den Schlüssel zu Ihrem Boot entwendet hat, ist schon wegen kleinerer Delikte auffällig geworden. Sein Bewährungshelfer hatte mich gebeten, dem Jungen eine Chance zu geben. Bei der Vorstellung in Begleitung seiner Schwester machte er einen sehr netten Eindruck. Deshalb habe ich ihn eingestellt. Leider war das keine gute Idee. Ich kann mich wirklich nur bei Ihnen entschuldigen, Mr. Gekas.“

Wäre es nach Giannis gegangen, hätte man den Übeltäter wegsperren und in der Zelle schmoren lassen sollen. Die Nerissa war Giannis heilig. Er hatte viele schöne Erinnerungen an idyllische Törns mit seinem Vater. Nach der Reparatur sollte die Jacht nach Spetses überführt werden. Diese griechische Insel war sein Zuhause.

Ein Geräusch hinter ihm lenkte ihn ab. Giannis wandte sich um. Ava hatte sich auf den Rücken gedreht. Dabei war die Bettdecke verrutscht, und zum Vorschein kam eine perfekt geformte Brust mit rosa Knospe, die er letzte Nacht immer wieder stimuliert hatte.

Eine Nacht mit der blonden Verführerin reichte nicht, um sein Verlangen zu stillen. Ein Blick auf sie genügte, und schon reagierte er mit einer heftigen Erektion. Giannis beschloss, Ava um ihre Handynummer zu bitten. Bei seinem nächsten Besuch in London wollte er diese heißblütige Schönheit unbedingt wiedersehen. Vielleicht könnten sie auch einige Tage in Schottland zusammen verbringen. Er stellte sich vor, wie sie sich vor dem Kaminfeuer einer alten Burg liebten. Angeblich regnete es häufig in den Highlands, da musste man sich wohl oder übel drinnen die Zeit vertreiben …

Jetzt hieß es aber erst einmal, seinen vollen Terminplan für heute abzuarbeiten. Nach einem schnellen Blick auf die Armbanduhr eilte Giannis ans Bett, um Dornröschen zu wecken.

Der Wagen stand bereits abfahrbereit vor dem Hotel. Giannis freute sich auf die Fahrt nach Hertfordshire. Normalerweise wäre er einfach verschwunden, aber das konnte er Ava nicht antun.

„Guten Morgen.“ Er beugte sich übers Bett und beobachtete entzückt, wie die Lider mit den langen Wimpern zuckten. „Zeit zum Aufstehen, Engelchen.“ Ungeduldig schüttelte er sie leicht an der Schulter.

Schlaftrunken schlug Ava die Augen auf. Ihr Blick fiel auf Giannis. „Oh nein! Ich dachte, du wärst ein Traum.“

Giannis lächelte frech. „Freut mich, dass es dir gefallen hat. Du warst aber auch eine Granate.“ Begehrlich ließ er den Blick auf der nackten Brust ruhen. Sofort zog Ava sich die Bettdecke bis zum Hals. „Ich würde ja schrecklich gern zu dir ins Bett schlüpfen, aber es ist schon neun Uhr, und ich habe heute einen besonders vollen Terminplan. Bitte steh auf, und zieh dich an!“

„Ja, klar.“ Sie richtete sich auf und schob sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Die Unterlippe bebte.

Bricht sie jetzt etwa in Tränen aus? überlegte Giannis besorgt, widerstand jedoch dem Impuls, Ava an sich zu ziehen und zu trösten. Aber wieso brauchte sie Trost? Ihr hatte die leidenschaftliche Nacht doch auch gefallen, oder?

Ava ließ sich wieder in die Kissen fallen und schlug die Hände vors Gesicht.

Giannis, der es gewohnt war, dass seine Anordnungen sofort befolgt wurden, fragte unwirsch: „Was ist los? Letzte Nacht warst du nicht so schüchtern.“

„Letzte Nacht war ein Fehler. Ich hatte wohl zu viel getrunken.“

„Du hast ein kleines Glas Wein zum Abendessen getrunken“, widersprach er. „Tu jetzt bitte nicht so, als wärst du gegen deinen Willen hier. Du hast dich vor mir ausgezogen. Als ich dich gefragt habe, ob du mit mir schlafen willst, hast du mich förmlich angefleht, dich zu nehmen.“

Sie nahm die Hände vom Gesicht, fuhr hoch und funkelte Giannis wütend an. „Ich habe dich ganz sicher nicht angefleht! Mir ist bewusst, was ich getan habe, und ich trage die Verantwortung dafür. Dich trifft keine Schuld. Aber ich hätte nicht mit dir schlafen sollen. Ich wollte doch mit dir reden, um dich zu bitten … Ach, was habe ich nur angestellt!“ Dann riss sie entsetzt die Augen auf. „Hast du gesagt, es ist neun Uhr? Du liebe Zeit.“

Ava krabbelte aus dem Bett und wickelte sich die Decke um. Zuvor konnte Giannis noch einen Blick auf den verführerischen nackten Körper werfen. Irgendwann spät in der Nacht hatte er die halterlosen Strümpfe mit den Zähnen heruntergezogen. Ihm wurde heiß bei der Erinnerung.

Verzweifelt versuchte Ava, den BH anzuziehen und gleichzeitig die Decke festzuhalten. „Bisschen spät für Schamhaftigkeit, oder? Ich habe schon alles gesehen“, meinte Giannis sarkastisch.

Wortlos hob sie den zerrissenen G-String auf und wäre fast in Tränen ausgebrochen. „Ich muss los“, stieß sie dann nervös hervor. „Sam geht wahrscheinlich schon die Wände hoch, weil ich noch nicht aufgekreuzt bin. Ich hätte gestern Abend etwas Wichtiges mit dir besprechen müssen.“

„Was denn?“

Sie biss sich auf die Lippe. „Na ja, das ist eine etwas delikate Angelegenheit.“

Lautlos zählte Giannis bis zehn. „Ich habe es eilig. Wenn es so wichtig ist, machst du am besten sofort den Mund auf.“

Ava schämte sich in Grund und Boden. Statt Giannis Gekas zu bitten, die Anzeige gegen Sam zurückzuziehen, hatte sie wilden Sex mit dem sexy Reeder gehabt!

Jetzt klingelte auch noch ihr Handy. Hastig zog sie es aus der Clutch und warf einen Blick aufs Display. Auch das noch! „Hallo, Sam. Ich … bin aufgehalten worden.“ Sie wagte nicht, Giannis anzusehen. „Nimm ein Taxi zum Gericht. Wir treffen uns dort. Beeil dich! Dein Fall wird in einer halben Stunde beim Amtsgericht verhandelt. Du musst unbedingt rechtzeitig da sein.“

„Der Richter ist krank“, warf Sam ein. „Die Verhandlung wird vertagt.“

„Dem Himmel sei Dank!“ Erleichtert atmete Ava auf. „Dann haben wir mehr Zeit.“

„Wofür? Was nützen uns einige Tage Aufschub? Ich werde bestimmt in den Jugendknast geschickt“, fügte ihr Bruder verzweifelt hinzu.

Sie konnte ihn so gut verstehen. Sam war zwar inzwischen achtzehn, aber er würde immer ihr kleiner Bruder bleiben, für den sie sich verantwortlich fühlte. „Nicht unbedingt“, entgegnete sie beruhigend. „Ich kann jetzt nicht sprechen. Wir sehen uns nachher zu Hause.“ Ava schob das Handy zurück in die Clutch und sah auf. Giannis warf gerade einen Stapel Dokumente in einen Aktenkoffer voller Geldscheine. Sie zuckte zusammen. Als Kind hatte sie beobachtet, wie ihr Vater auf dem Küchentisch gestapelte Banknoten zählte.

„Zahltag“, hatte er knapp erklärt, als er ihren fragenden Blick bemerkt hatte.

„Du musst ein guter Geschäftsmann sein, wenn du so viel Geld verdienst, Daddy“, hatte sie bewundernd gesagt, weil sie ihren Vater vergötterte.

Terry McKay hatte ihr zugezwinkert. „Stimmt, mein kleiner Liebling. Von dem Geld kaufe ich uns ein Haus auf Zypern. Wie findest du das?“

„Wo ist Zypern, Daddy?“

„Nicht weit von Griechenland. Unsere Villa liegt direkt am Strand, und im Garten ist ein großer Swimmingpool. Wenn dein kleiner Bruder größer ist, kannst du ihm das Schwimmen beibringen.“

„Warum bleiben wir nicht in England?“

„Es wird mir hier zu heiß“, erklärte er nach kurzem Zögern. Das fand Ava seltsam, denn es war mitten im Winter. Erst Jahre später begriff sie, was ihr Vater gemeint hatte. Er hatte damals Wind davon bekommen, dass er wegen des Verdachts festgenommen werden sollte, mehrere bewaffnete Raubüberfälle auf Londoner Juweliergeschäfte verübt zu haben.

Ava kniff kurz die Augen zu und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Als sie die Augen aufschlug, sah sie, wie Giannis ihr Abendkleid aus dem Kleiderschrank nahm.

„Das Kleid ist frisch gereinigt. Du willst damit sicher nicht am helllichten Tag durch London spazieren. Deshalb habe ich dir angemessenere Klamotten besorgt.“ Er reichte ihr eine Tasche mit dem Label eines bekannten Designers. „Bitte beeil dich! Ich warte nebenan.“

Sie stürmte ins Badezimmer und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die luxuriöse Wanne. Wie gern hätte sie ein entspannendes Bad genommen. Von der leidenschaftlichen Nacht hatte sie am ganzen Körper Muskelkater. Doch leider musste sie sich beeilen. Also duschte sie nur schnell, trocknete sich ab und schlüpfte in die neuen Sachen – aus Seide und zarter Spitze gefertigte Dessous, einen elfenbeinfarbenen Kaschmirpullover und eine figurbetonte schwarze Hose.

Bei einem Blick in den Spiegel bemerkte sie, wie geschwollen ihre Lippen vom Küssen waren, und errötete beschämt. Giannis Gekas hatte sie in einen unersättlichen Vamp verwandelt! Ava hätte das nie für möglich gehalten. Unglaublich …

Sie verzog das Gesicht und fasste das lange Haar geschickt zu einem Chignon zusammen. Okay, so konnte sie sich in der Öffentlichkeit blicken lassen. Die neuen Sachen passten wie angegossen, mussten jedoch ein kleines Vermögen gekostet haben.

Ava steckte das Abendkleid in die Tasche, aus der sie die Designerklamotten gezogen hatte, schlüpfte in die schwarzen High Heels und war sehr zufrieden mit ihrem Spiegelbild. So schlank hatte sie noch nie ausgesehen.

Als sie ins Wohnzimmer kam, sah Giannis auf. Er telefonierte gerade, beendete den Anruf jedoch schnell und kam näher. Unter seinem bewundernden Blick wurde ihr ganz heiß. „Die Sachen sind wie für dich gemacht“, sagte er rau.

„Woher wusstest du meine Größe?“

„Ach, das macht die Erfahrung“, erklärte er und lächelte frech.

Sofort durchzuckte Ava – völlig unerwartet – heftige Eifersucht auf all die anderen Frauen, mit denen Giannis geschlafen hatte. Er war nun einmal ein unersättlicher Playboy. Für ihn bin ich nur eine von vielen, dachte Ava bedrückt.

„Ich erstatte dir natürlich die Kosten für die Kleidung. Gibst du mir bitte deine Bankverbindung? Oder wäre dir ein Scheck lieber?“

„Mach dir keine Mühe. Ich will kein Geld.“

„Ich lasse nicht zu, dass du mir teure Klamotten schenkst. Also gut, dann werde ich die Preise eben selbst rausfinden und einen Scheck an deine Londoner Niederlassung schicken.“

Misstrauisch kniff Giannis die Augen zusammen. „Woher weißt du, dass ich ein Büro in London habe?“

„Aus dem Internet. Das Büro ist in der Bond Street. Ich habe dir vor einigen Wochen in einer sehr wichtigen Angelegenheit geschrieben, aber du hast nicht auf meinen Brief reagiert.“

„Sheridan“, sagte er nachdenklich. „Der Name auf der Tischkarte kam mir gleich bekannt vor. Hilf mir doch bitte auf die Sprünge!“

Ava atmete tief durch. „Mein Bruder Sam McKay hat für die Servicefirma Spick and Span gearbeitet.“ Augenblicklich verfinsterte sich Giannis’ Miene, daher fuhr Ava schnell fort: „Sam ist da in eine Gang Jugendlicher geraten, die vorgaben, seine Freunde zu sein. Sie haben ihn gezwungen, ihnen Zugang zu einem der Boote zu verschaffen, die im St. Katherine Dock liegen. Keine Ahnung, ob die Gang geplant hat, auf der Jacht zu randalieren. Jedenfalls brach ein Feuer aus. Mein Bruder war fassungslos. Er blieb an Bord und versuchte, das Feuer zu löschen, während die anderen die Flucht ergriffen. Leider ist er als Einziger festgenommen und angeklagt worden. Dabei hatte er nie vor, deine Jacht zu beschädigen. Es war ein dummer Streich, der außer Kontrolle geraten ist.“

„Ein Streich? Die Nerissa wäre fast zerstört worden! Dein Bruder und seine Kumpane haben einen Schaden von Tausenden von Pfund verursacht. Aber es geht nicht nur um die hohen Reparaturkosten. Mein Vater hat die Innenausstattung der Jacht bis ins kleinste Detail selbst entworfen und war so stolz auf die Nerissa. Jetzt ist sein Werk unwiederbringlich zerstört.“

„Das tut mir sehr leid.“ Ava war schockiert, wie nahe Giannis der Vandalismus auf der Jacht ging. Sie hatte nur an den materiellen Schaden gedacht. Woher hätte sie wissen sollen, dass Giannis so an dem Boot hing? Das machte alles nur noch schlimmer. „Sam bedauert wirklich zutiefst, dass er die Gang an Bord gelassen hat. Er dachte, sie wollten sich nur mal umsehen, und war wirklich entsetzt über das, was auf der Jacht passiert ist. Er hat Angst vor den Mitgliedern der Gang. Deshalb hat er der Polizei auch ihre Namen verschwiegen. Er ist jung und leicht zu beeindrucken, aber er ist kein schlechter Mensch.“

Giannis zog die Augenbrauen hoch. „Der Geschäftsführer der Servicefirma hat mir aber erzählt, dein Bruder wäre schon mit sechzehn Jahren aktenkundig gewesen. Offensichtlich schert Sam McKay sich einen feuchten Dreck um Gesetze.“ Gereizt griff Giannis nach dem Aktenkoffer und marschierte Richtung Lift. „Jetzt erinnere ich mich wieder, einen Brief von dir erhalten zu haben, in dem du mich bittest, die Anzeige gegen deinen Bruder zurückzuziehen. Ich habe nicht geantwortet, weil ich zu wütend war. Sam hat gegen das Gesetz verstoßen, jetzt muss er auch die Konsequenzen tragen“, erklärte Giannis kühl.

„Warte!“ Ava eilte ihm nach und erreichte den Lift, als die Türen auseinanderglitten. Schnell drückte sie den Knopf, der verhinderte, dass sie sich wieder schlossen. „Bitte hör mir zu!“

„Ich habe es eilig“, antwortete er unwillig.

„Als ich in der Zeitung gelesen habe, dass du an einem Benefizdinner teilnimmst, beschloss ich zu versuchen, dich kennenzulernen. Meine Freundin Becky arbeitet für den Veranstalter und hat mir einen Platz an deinem Tisch organisiert. Ich hatte gehofft, du wärst so großherzig, meinem Bruder noch eine Chance zu geben.“

„Dein Pech, denn ich habe kein Herz.“ Entschlossen zog er Avas Hand vom Liftknopf. Sofort schlossen sich die Türen. „Ich gebe zu, dass du recht überzeugend warst. Aber leider war deine Mühe umsonst, Engelchen.“

Ava verstand kein Wort. „Wie meinst du das?“

„Tu doch nicht so! Du hast mit mir geschlafen, weil du dachtest, dann würde ich deinen Bruder laufen lassen.“

„So ein Unsinn! Ich hatte nicht geplant, mit dir ins Bett zu gehen. Es ist einfach so … passiert.“ Sie wusste selbst, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Giannis musste sie ja für berechnend halten. Doch das hinderte sie nicht daran, sich weiter für Sam einzusetzen.

Im Hotelfoyer öffneten sich die Lifttüren. Giannis stieg aus, gefolgt von Ava, die verzweifelt versuchte, mit ihm Schritt zu halten. „Es hat überhaupt nichts mit meinem Bruder zu tun, dass ich mit dir geschlafen habe.“

Ihre Stimme hallte von den Wänden wider. Sofort warfen einige Hotelgäste Ava schockierte Blicke zu, wie sie verlegen bemerkte. Die auffallend elegante Empfangsdame zog indigniert die Brauen hoch.

„Warum teilst du nicht gleich der ganzen Welt mit, dass wir zusammen im Bett waren?“ Giannis musterte sie wütend.

„Entschuldige“, flüsterte Ava. „Ich möchte nicht, dass du einen falschen Eindruck von mir bekommst. Normalerweise gehe ich nicht gleich mit jedem Mann ins Bett. Keine Ahnung, wieso ich gestern Nacht eine Ausnahme gemacht habe. Ich glaube die sexuelle Anziehungskraft zwischen uns war einfach zu groß, um ihr zu widerstehen.“

Giannis fluchte unterdrückt. „Gleich wirst du noch behaupten, Amor hätte uns direkt ins Herz getroffen.“ Er blieb an einer Säule stehen. „Die vergangene Nacht mit dir hat Spaß gemacht, Engelchen. Vielleicht melde ich mich bei dir, wenn ich wieder in London bin. Aber die Anzeige gegen deinen Bruder, diesen Hooligan, werde ich ganz sicher nicht zurückziehen. Das kann ich auch gar nicht. Wenn ich mich nicht irre, entscheidet nach englischem Recht einzig und allein der Staatsanwalt, ob der Fall vor Gericht geht oder nicht.“

„Du könntest deinen Anwalt anweisen, die Anzeige wegen Sachbeschädigung auf deiner Jacht zurückzuziehen. Und wenn du dich weigerst, Beweise zu liefern, muss das Gericht die Anklage gegen Sam fallen lassen.“

Sie hielt Giannis, der einfach an ihr vorbeiwollte, am Arm fest. „Es stimmt, dass Sam bei der Polizei schon aktenkundig war. Er hat Angst vor der Gang und hat getan, was die Typen von ihm verlangt haben. Als Teenager hat man es im East End wahrlich nicht leicht.“ Kurz blickte sie zu Boden, dann sah sie Giannis flehend an. „Mit ziemlicher Sicherheit würde Sam zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was er im Jugendgefängnis durchmachen müsste. Mein Bruder ist kein Krimineller. Er ist noch ein halbes Kind, das einen bedauerlichen Fehler gemacht hat.“

„Nicht nur einen. Wahrscheinlich werden ihm einige unangenehme Wochen im Knast eine Lehre sein, sich in Zukunft an die Gesetze zu halten.“

Er ist wirklich herzlos, dachte Ava betroffen und entfernte sich einige Schritte von Giannis, denn der nahm einen Anruf entgegen. Trotz der Entfernung konnte Ava hören, worum es ging. Wütend beendete er schließlich das Gespräch und steuerte auf den Ausgang zu, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.

Dort holte Ava ihn ein und verstellte Giannis den Weg. „Ich verstehe ja, dass du wütend bist, weil möglicherweise ein gutes Geschäft geplatzt ist und du die Frachter nicht kaufen kannst. Aber ich denke nicht daran, zuzusehen, wie mein Bruder ins Gefängnis wandert.“

Misstrauisch musterte er sie. „Woher, in aller Welt, weißt du von diesem Geschäft?“

„Ich spreche Griechisch und musste gerade unweigerlich mit anhören, wie ein gewisser Markou sich weigert, dir seine Reederei zu verkaufen.“ Sie biss sich auf die Lippe und fing Giannis’ begehrlichen Blick auf. „Das Geschäft ist dir sicher wichtig. Und mir ist mein Bruder wichtig“, fügte sie leise hinzu. „Was muss ich tun, damit du Sam eine Chance gibst?“

Wortlos forderte Giannis den Portier auf, die Tür zu öffnen.

Ava folgte Giannis hinaus auf die Hoteltreppe und fröstelte in der kühlen Morgenluft. Für Anfang September war es schon sehr herbstlich. Der leichte Nieselregen passte zu Avas gedrückter Stimmung. Durch einen Tränenschleier nahm sie einen eleganten schwarzen Wagen wahr, der vor dem Hotel parkte.

Sie sah zu, wie Giannis den Wagen aufschloss und den Aktenkoffer achtlos auf den Rücksitz warf. Es brach ihr das Herz, dass sie Sam nicht vor einer Gefängnisstrafe bewahren konnte.

„Hast du noch nie etwas getan, das du später bereut hast?“, rief sie Giannis verzweifelt nach.

Langsam drehte er sich um und musterte sie wütend.

Mit dem Mut der Verzweiflung lief sie die Treppe hinunter und geriet auf den High Heels ins Stolpern. Wäre Giannis nicht geistesgegenwärtig zu ihr gelaufen und hätte sie aufgefangen, wäre Ava schlimm gestürzt. Nun hielt er sie fest an die Brust gepresst. Aus dem Augenwinkel bemerkte Ava einen hellen Blitz. Oje, jetzt zog auch noch ein Gewitter auf! Schutzsuchend schmiegte sie sich an Giannis’ Brust, hörte sein Herz klopfen und wünschte, dieses Gefühl von Geborgenheit würde ewig dauern.

Wieder blitzte es. „Wer ist die geheimnisvolle Blondine, Mr. Gekas?“, rief jemand laut.

Giannis fluchte unterdrückt. Benommen sah Ava auf. „Was ist denn los?“ Erneutes Blitzlichtgewitter ersparte Giannis die Antwort.

Auf dem Weg zum Benefizdinner hatte Ava gestern eine Horde Paparazzi bemerkt, die darauf aus waren, Prominente „abzuschießen“. Einige Fotografen hatten augenscheinlich bis zum Morgen ausgeharrt, weil sie sich eine gute Story erhofften. Ihre Ausdauer wurde belohnt, denn Europas begehrtester Junggeselle, der Playboy Giannis Gekas, hatte gerade das Hotel verlassen – und zwar nicht allein.

„Morgen, Mr. Gekas. Verraten Sie uns den Namen Ihrer Freundin?“, brüllte ein Typ mit einem riesigen Teleobjektiv.

„Aber sicher“, antwortete Giannis ganz ruhig, schlang den Arm um ihre Taille und drehte Ava zu den Paparazzi herum. „Darf ich vorstellen: Das ist Ava Sheridan, meine Verlobte.“

Sie glaubte sich verhört zu haben. „Was …?“ Weiter kam sie nicht, denn Giannis erstickte ihre Worte mit einem so besitzergreifenden Kuss, dass ihr ganz schwindlig wurde.

Schließlich mussten sie beide Luft holen. Giannis fing Avas verstörten Blick auf und flüsterte: „Wenn du meine Verlobte spielst, ziehe ich die Anzeige gegen deinen Bruder zurück.“

4. KAPITEL

„Du hast vielleicht Nerven.“

Giannis warf Ava einen schnellen Seitenblick zu. Seit er sie vorhin auf den Beifahrersitz geschoben hatte und dann losgefahren war, hatte sie kein Wort gesagt. Aber ihr Schweigen war beredt genug gewesen.

Er hatte keine Ahnung, wieso er sie so unwiderstehlich sexy fand. Eins wusste er jedoch ganz genau: Er wollte mehr Zeit mit ihr verbringen und hatte gleichzeitig die perfekte Lösung gefunden, Stefanos Markou umzustimmen.

„Reine Schadensbegrenzung“, erklärte er, während er sich auf den Verkehr am Marble Arch konzentrierte. „Die Fotos von uns beiden sind inzwischen schon einmal um die Welt gegangen. Bevor alle dich für meine neue Geliebte halten, habe ich lieber zu dieser kleinen Notlüge gegriffen, weil ich meinen Ruf nicht aufs Spiel setzen durfte.“

„Ha, und was ist mit meinem Ruf?“ Wütend funkelte sie ihn an. „Alle Welt glaubt jetzt, ich wäre mit dem schlimmsten Schürzenjäger auf Erden verlobt. Wirklich super“, fügte sie ironisch hinzu. „Zum Glück macht meine Mutter gerade einen Yogakurs in einer abgelegenen Region Indiens, wo es kein Internet gibt. Aber wie wird Sam reagieren?“

„Der wird dir ja wohl dankbar sein, weil du ihn vor dem Gefängnis bewahrt hast“, meinte Giannis trocken.

„Du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich bei dieser Scharade mitspiele!“

„Oh doch, glykia mou!“

Avas empörtes Schnauben entlockte ihm ein Lächeln. Normalerweise hielt er sich fern von gefühlsbetonten Frauen, aber Ava tat eben alles mit Leidenschaft. Das faszinierte ihn. Und sie war bildhübsch. Wie sie auf ihm gesessen hatte – das vor Erregung rosige Gesicht umrahmt von langem blonden Haar, die perfekten Brüste, die bei jeder Bewegung auf und ab hüpften … Schnell verbannte er das erotische Bild. Allerdings nicht schnell genug, denn plötzlich zwickte ihn seine Hose im Schritt.

„Ich dachte, du wolltest deinem Bruder das Gefängnis ersparen“, sagte er heiser.

„Selbstverständlich will ich das. Aber bevor wir das Hotel verlassen haben, hast du dich noch geweigert, Sam zu helfen. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Wieso soll ich deine Verlobte spielen?“

„Es ist meine einzige Chance, an Stefanos’ Reederei zu kommen. Wenn ich ihm beweise, dass ich geläutert bin, verkauft er vielleicht doch noch an mich. Bisher hat er sich geweigert, weil er etwas gegen meinen Lebenswandel hat und mich für einen Playboy hält.“

„Du bist ein Playboy.“

„Nicht mehr, seit ich mich Hals über Kopf in dich verliebt habe, dich heiraten und möglichst schnell viele Kinder mit dir haben will, schöne Ava“, erklärte er triumphierend. „Markou ist ein unverbesserlicher Romantiker, und du, Engelchen, wirst ihn überreden, mir seine Flotte zu verkaufen.“

„Keine Chance! Weder werde ich dich heiraten noch Kinder von dir bekommen.“

Ein stechender Schmerz durchzuckte Giannis. Vor fünf Jahren hatte Caroline behauptet, sein Kind durch eine Fehlgeburt verloren zu haben. Wahrscheinlich hatte sie es aber abgetrieben, weil sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, nachdem er ihr anvertraut hatte, eine einjährige Gefängnisstrafe verbüßt zu haben. Offensichtlich war er bis heute nicht über diesen Schock hinweggekommen.

Energisch konzentrierte Giannis sich wieder auf die Gegenwart. „Vielleicht klingt das jetzt zynisch, aber ich bin sehr wohlhabend, und die meisten Frauen, die ich bisher kennengelernt habe, würden mich nur zu gern heiraten, um an mein Geld zu kommen. Allerdings beabsichtige ich gar nicht zu heiraten. Es genügt, wenn du so tust, als wären wir verlobt und würden unsere Hochzeit planen. Ich setze darauf, dass Stefanos lieber an mich als an ein Konkurrenzunternehmen verkauft, denn ich habe bereits zugesagt, die Schiffe von seiner Belegschaft in Griechenland umbauen zu lassen. Jetzt müssen wir ihn nur davon überzeugen, dass ich mich dank der Liebe einer guten Frau in einen Tugendbold verwandelt habe.“

„Und wie soll das gehen?“, fragte Ava eisig.

„Ich werde unsere Verlobung offiziell bekanntgeben und sicherstellen, dass darüber in den Medien berichtet wird. Stefanos hat alle Kaufinteressenten eingeladen, sich in einem Monat mit ihm auf seiner griechischen Privatinsel zu treffen. Mit dir an meiner Seite und meinem Verlobungsring am Finger kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen“, erklärte Giannis zuversichtlich.

„Du erwartest, dass ich einen Monat lang deine Verlobte spiele und dich nach Griechenland begleite?“

„Die Gefängnisstrafe für deinen Bruder würde länger ausfallen“, gab er zu bedenken. „Du musst auch zu mir nach Griechenland ziehen. Stefanos würde den Braten riechen, wenn wir nicht ständig zusammen wären. Ab sofort spielen wir in der Öffentlichkeit das verliebte Pärchen, das die Finger nicht voneinander lassen kann.“

„Dazu fehlt mir das schauspielerische Talent.“

Giannis warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. „Das sehe ich anders. Der Kuss vor dem Hotel vorhin war sehr überzeugend.“

„Ich stand unter Schock.“ Nachdenklich blickte sie vor sich hin. „Und was passiert, wenn Stefanos dir seine Reederei verkauft, wir die Verlobung lösen und du dein Playboyleben wieder aufnimmst?“

„Wenn der Vertrag unterschrieben ist, hat Stefanos keine Handhabe mehr gegen mich.“

„Fair ist das aber nicht“, meinte Ava.

„Was im Leben ist schon fair, Engelchen?“ Er hatte keine Lust, sich jetzt eine Moralpredigt anzuhören. „Es war auch nicht fair, dass dein Bruder meine Jacht verwüstet hat. Trotzdem biete ich dir eine Möglichkeit an, Sam vor dem Gefängnis zu bewahren. Sei doch mal ehrlich: Du brauchst mich, und ich brauche dich.“

„So gesehen hast du wohl recht“, gab sie zu. „Aber ein ganzer Monat … Was wird aus meinem Job?“

„Nach deinem Umzug aus Schottland hast du deinen neuen Job doch noch gar nicht angetreten. Jedenfalls hast du mir das erzählt. Was machst du überhaupt beruflich?“

„Ich arbeite im Opferschutz. Wenn Menschen Opfer einer Straftat geworden sind, können sie sich an mich wenden.“

„Okay, und wann ist dein erster Arbeitstag in London?“

Einen Moment schwieg sie. „Im November“, sagte sie schließlich widerstrebend.

„Prima, dann hast du ja genug Zeit, meine Verlobte zu spielen“, befand Giannis zufrieden.

„Du bekommst wohl immer, was du willst“, erwiderte sie frustriert.

„Nicht immer, aber meistens“, gab er selbstzufrieden zu und wechselte dann das Thema. „Sag mal, was hat dich eigentlich zu dieser Berufswahl bewogen? Hat sie etwas damit zu tun, dass dein Bruder mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist?“ Es interessierte ihn wirklich, warum jemand, der ein Mädchenpensionat in der Schweiz besucht hatte und sich sehr sicher auf gesellschaftlichem Parkett bewegte – davon hatte er sich beim Benefizdinner selbst überzeugt –, sich ausgerechnet so einen fordernden Job ausgesucht hatte.

„Mit Sam hat das nichts zu tun. Als ich mein Kriminologiestudium aufgenommen habe, besuchte er noch die Grundschule.“

„Kriminologie?“

Sie zuckte fast unmerklich zusammen, erklärte dann aber sachlich: „Das Fach ist sehr interessant. Zum Studium musste ich nach Schottland gehen und war leider nicht hier vor Ort, als Sam mich gebraucht hätte. Meine Mutter war völlig überfordert mit ihm. Ich bin schuld, dass er abgerutscht ist.“

„Wieso gibst du dir die Schuld? Jeder Mensch ist selbst für seine Handlungen verantwortlich.“

Allerdings plagten ihn seit dem Tag vor fünfzehn Jahren, als er sich mit Alkohol im Blut ans Steuer gesetzt und auf der Heimfahrt von einer Feier mit seinem Vater in einer Athener Taverne zu schnell auf der Küstenstraße unterwegs gewesen und aus der Kurve geflogen war, selbst Schuldgefühle. Wäre er damals nüchtern geblieben, wäre sein über alles geliebter Vater bei dem Unfall nicht ums Leben gekommen.

Ava hatte mehrmals betont, Sam bedauere zutiefst, die Gang auf die Nerissa gelassen zu haben. Offensichtlich liebte sie ihren Bruder sehr, und Giannis bewunderte ihre Entschlossenheit, Sam zu helfen. Er selbst hatte fürchterliche Angst gehabt, als er mit neunzehn Jahren zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war.

Natürlich hatte er die Strafe verdient. Aber sie war nichts verglichen mit den Selbstvorwürfen, die ihn seit dem Unfall täglich quälten. Niemand hatte ihm zur Seite gestanden. Seine Schwester war damals noch zu jung gewesen, und seine Mutter ließ ihn bei jeder Begegnung wissen, welche Schuld er auf sich geladen hatte.

Die Ampel schaltete auf Grün. Auf der Strecke nach Camden herrschte deutlich weniger Verkehr. Sie kamen jetzt zügig voran. „Was ist mit deinem Vater? Hat der denn keinen Einfluss auf Sam?“

Schnell senkte Ava den Blick. „Dad … hat uns verlassen, als Sam acht Jahre alt war.“

„Hattet ihr seitdem noch Kontakt zu ihm?“

„Nein.“

„Kindern, besonders Jungen, tut ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater gut. Das klingt vielleicht altmodisch, aber ich bin davon überzeugt.“

„Das hängt vom Vater ab.“ Was würde Giannis wohl sagen, wenn sie ihm erzählte, wie schwierig es war, ein gutes Verhältnis zu einem Vater zu haben, der zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden war und im Hochsicherheitstrakt einer Justizvollzugsanstalt saß?

Nur ein einziges Mal hatte sie ihren Vater im Gefängnis besucht. Aber er war ihr völlig fremd gewesen und ähnelte in keinster Weise mehr ihrem Daddy, dem sie vertraut und den sie abgöttisch geliebt hatte. Der Mann war ein Gangsterboss gewesen, der eine Vielzahl bewaffneter Raubüberfälle verübt hatte. Doch seine Familie hatte nichts davon gewusst! Der Name Terry McKay flößte einigen Bewohnern des Londoner East End noch heute Angst ein.

Für Ava war der Gefängnisbesuch eine zutiefst traumatische Erfahrung gewesen. Hätte Sam mit eigenen Augen gesehen, wie öde und trist das Leben seines Vaters hinter Gittern war, würde er ihn vielleicht nicht als modernen Robin Hood verehren und ihm nacheifern wollen. Sie war wild entschlossen, Sam davor zu bewahren, in die Kriminalität abzurutschen. Zunächst musste unter allen Umständen verhindert werden, dass er zu einer Haftstrafe im Jugendgefängnis verurteilt wurde. Und Giannis hatte ihr eine Möglichkeit dazu aufgezeigt: Sie sollte seine Verlobte spielen. Einen Monat lang. Bestimmt würden sie dann auch miteinander schlafen. Bei dieser Vorstellung begann Avas Körper zu prickeln. Beschämt senkte sie den Blick und versuchte verzweifelt, wieder ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Hast du ein gutes Verhältnis zu deinem Vater?“, erkundigte sie sich schließlich. Wenn sie sich ein Bild von ihm, seiner Familie, seinen Freunden machen konnte, fiele es ihr vielleicht leichter, Giannis zu verstehen.

Er ließ sich viel Zeit mit der Antwort. „Ja, hatte ich, ein sehr gutes. Bis zu seinem Tod.“

„Dein Vater ist tot? Das tut mir sehr leid, Giannis.“ Sie spürte, dass er nicht darüber reden wollte. Der Verlust schmerzte wohl zu sehr.

Schließlich versuchte sie einen anderen Ansatz. „Wie stellst du dir die nächsten Wochen eigentlich vor, Giannis? Wir sind uns praktisch fremd, wissen so gut wie nichts voneinander. Wie sollen wir da allen das verliebte Pärchen vorspielen?“

„Wir müssen uns besser kennenlernen. Ich kann mir keine Schnitzer leisten, wenn wir uns mit Stefanos treffen. Fangen wir doch gleich an. Wieso heißt du Sheridan und dein Bruder McKay? Warst du mal verheiratet?“

„Nein“, antwortete sie so scharf, dass Giannis ihr einen erstaunten Seitenblick zuwarf.

„Es gab mal jemanden, von dem ich glaubte, er wäre der Richtige. Aber ich habe mich getäuscht. Er hat mich nicht so geliebt, wie ich es mir erhofft hatte.“

„Hast du ihn denn geliebt?“

„Zumindest habe ich es mir eingeredet.“ Sie wollte kein weiteres Wort über Craig verlieren. „Nach der Scheidung meiner Eltern habe ich den Mädchennamen meiner Mutter angenommen.“ Als Grieche würde Giannis den Namen McKay hoffentlich nicht mit dem berüchtigten Gangster aus dem East End assoziieren. Falls doch, wurde wohl nichts daraus, seine Verlobte zu spielen. Und wahrscheinlich würde er dann auch darauf bestehen, dass Sam seine gerechte Strafe bekam.

Giannis drosselte das Tempo, um einen Bus aus der Haltebucht fahren zu lassen. „Wo hast du Griechisch gelernt? Wohl kaum auf einer englischen Schule, oder?“

„Meine Familie wohnte auf Zypern. Ich habe allerdings ein Internat in Frankreich und danach das Mädchenpensionat in der Schweiz besucht.“

„Warum haben deine Eltern nicht in England gewohnt?“

„Meine Mutter mochte das englische Wetter nicht.“ Den eigentlichen Grund behielt sie für sich. Die Familie war nach Zypern gezogen, weil der Inselstaat kein Auslieferungsabkommen mit Großbritannien hatte. Gegen ihren Vater lag nämlich ein internationaler Haftbefehl vor. Auf Zypern war Terry sicher gewesen.

Vor ihnen scherte plötzlich ein Radfahrer aus. Hätte Giannis nicht sofort gebremst, wäre ein Unfall passiert.

„Puh, das ist ja gerade noch mal gut gegangen.“ Ava atmete erleichtert auf und sah Giannis bewundernd an. Nanu, plötzlich war er kreidebleich, Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, und seine Hände zitterten.

Ava wartete, bis er den Wagen in eine Parkbucht gesteuert und den Motor abgestellt hatte. „Dem Radfahrer ist nichts passiert. Das hat er aber nur deinem schnellen Reaktionsvermögen zu verdanken. Der Typ ist ja wie ein Vollidiot gefahren“, sagte sie dann leise. „Du bist ein ausgezeichneter Autofahrer.“

Harsch lachte Giannis auf. „Du kennst mich wirklich nicht, Engelchen.“

„Das sollten wir aber schnell ändern. Sonst nimmt uns niemand die Verlobung ab.“

„Um deines Bruders willen hoffe ich, dass wir überzeugend wirken.“ Giannis stieg aus, kam um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür.

Erst jetzt bemerkte Ava, dass ihr die Gegend bekannt vorkam. „Was willst du hier?“, fragte sie verstört.

„Hatten Garden ist berühmt für seine ausgezeichneten Juweliergeschäfte“, erklärte Giannis knapp.

Das wusste sie nur zu gut. Hatten Garden war auch das Zentrum des britischen Diamantenhandels. Hier hatte ihr Vater seinen kühnsten Coup gelandet. „Was soll ich hier?“, fragte sie ahnungsvoll.

Vor dem Umzug nach Zypern hatte ihr Vater sie oft zu Spaziergängen in Covent Garden und zur St. Paul’s Cathedral mitgenommen, die stets nach Hatton Garden geführt hatten. Dort waren sie gemütlich von einem Juwelierschaufenster zum nächsten geschlendert und hatten die herrlich funkelnden Schmuckstücke bewundert. Die kleine Ava hatte diese Ausflüge mit ihrem Daddy geliebt. Erst viele Jahre später ging ihr auf, dass Terry McKay damals ausbaldowert hatte, in welche Geschäfte man am besten einbrechen konnte.

„Du brauchst einen Verlobungsring, um überzeugend zu wirken. Am besten einen mit einem riesigen Diamanten, den du den Paparazzi vor die Nase halten kannst.“ Kurz blickte Giannis auf seine Armbanduhr. „Ich hoffe, du entscheidest dich schnell für einen Ring.“ Er zückte sein Handy. „Ich muss meinem Piloten Bescheid geben, dass wir den Jet früher brauchen als ursprünglich geplant.“

„Du hast ein eigenes Flugzeug?“ Erstaunt zog Ava die Augenbrauen hoch.

„Ja, das spart viel Zeit. Wir sollten um die Mittagszeit in Paris sein. Ich habe geschäftlich dort zu tun. Für dich organisiere ich eine Einkaufsberaterin, die dich bei der Auswahl einer angemessenen Garderobe unterstützt. Heute Abend besuchen wir eine VIP-Veranstaltung im Louvre. Dort lauern auch wieder Paparazzi. Spätestens morgen früh wird die ganze Welt glauben, dass wir beide schwer verliebt sind.“

„Warte mal …“ Ava hatte den Namen des Juweliers entdeckt, auf dessen Geschäft Giannis zusteuerte, und blieb entsetzt stehen.

Vor zehn Jahren hatte ihr Vater bei einem bewaffneten Raubüberfall auf das angesehene Juweliergeschäft Engerfield’s Juwelen im Wert von mehreren Millionen Pfund erbeutet. Doch Terry McKays Glückssträhne war gerissen. Auf der Flucht mit seinem Boot nach Zypern war er gefasst worden. Überwachungskameras im Juweliergeschäft hatten aufgenommen, wie er eine junge Verkäuferin mit der Pistole bedrohte.

Ava war am Boden zerstört gewesen, als sie herausgefunden hatte, dass ihr geliebter Daddy ein skrupelloser Gangster war. Zu allem Überfluss druckten die Zeitungen auch noch ein Foto von ihrer Mutter und ihr ab und unterstellten, sie müssten etwas von Terry McKays kriminellen Machenschaften gewusst haben. Sollte Julie McKay ihren Mann je verdächtigt haben, so hatte sie das für sich behalten. Ava wusste, dass ihre Mutter Terry vergöttert und über seine Fehler hinweggesehen hatte.

„Ich kann da nicht reingehen“, sagte Ava leise.

Giannis musterte sie erstaunt. „Wieso nicht? Engerfield’s ist einer der besten Juweliere in London.“

„Ich kann keinen Verlobungsring tragen oder mit dir nach Paris fliegen, bevor ich Sam erklärt habe, dass die Verlobung nur vorgetäuscht ist.“

„Niemand darf die Wahrheit erfahren, auch nicht dein Bruder. Wenn irgendjemand den Medien steckt, dass wir nur zum Schein verlobt sind, bin ich geliefert.“

„Aber was soll ich Sam denn sagen?“

„Erzähl ihm, dass wir uns vor ein paar Wochen kennengelernt und Hals über Kopf ineinander verliebt haben. Ich habe dich gebeten, meine Frau zu werden. Die Anzeige habe ich zurückgezogen, weil ich verhindern will, dass mein zukünftiger Schwager verurteilt wird.“

„Aber ich hasse es, meinen Bruder zu belügen.“

„Du kannst ihm natürlich auch verraten, dass wir, schon wenige Stunden nachdem wir uns kennengelernt haben, zusammen im Bett gelandet sind. Ich habe damit kein Problem.“ Entschlossen zog er sie zum Eingang des Juweliergeschäfts. „So, und nun zeig dein schönstes Lächeln!“

Tatsächlich riss Ava sich zusammen, als sie Nigel Engerfield gegenüberstand. Bei dem Raubüberfall vor zehn Jahren war er für seine Tapferkeit belobigt worden, weil er sich schützend vor seine Angestellten gestellt hatte. Hoffentlich erkennt er mich nicht, dachte Ava beunruhigt. Damals war ja ein Foto von ihr und ihrer Mutter veröffentlicht worden, und der Juwelier musterte sie gerade eingehend, bevor er sich nach einer gefühlten Ewigkeit Giannis zuwandte.

„Ich freue mich sehr über Ihren Besuch, Mr. Gekas. Was kann ich für Sie tun?“

„Wir möchten gern einen Verlobungsring aussuchen.“ Er schlang den Arm um Avas Taille und verkündete strahlend: „Du hast freie Auswahl, Liebling.“ Er schaute ihr tief in die Augen. „Darf ich vorstellen: meine Verlobte …“

„Miss Sheridan“, ergänzte Ava schnell und reichte dem Juwelier die Hand. Möglicherweise erinnerte der Mann sich, dass Terry McKays Tochter Ava hieß.

„Herzlichen Glückwunsch, Mr. Gekas … Miss Sheridan.“ Erneut musterte er Ava prüfend. Dann wandte er sich ab. „Bitte folgen Sie mir.“ Er führte seine Kunden in einen Raum, der an ein privates Wohnzimmer erinnerte. „Hier können Sie sich in aller Ruhe einen Verlobungsring aussuchen. Haben Sie eine besondere Vorliebe für bestimmte Edelsteine?“

„Es sollte schon ein Diamant sein“, antwortete Giannis schnell.

„Sehr gern.“ Nigel Engerfield ging hinaus.

Wenige Minuten später kam er mit einer Ringauswahl zurück. Eine Angestellte servierte Champagner.

Zaghaft nippte Ava an dem Glas, während Giannis seins nur prostend hochhob und es dann schnell wieder abstellte, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Sie hatten ja nicht einmal gefrühstückt …

Beim Anblick der funkelnden Ringe wurde Ava leicht übel, denn sie erinnerte sich, dass sie als Kind gern den Schmuck ihrer Mutter angelegt hatte – natürlich hatte sie damals nicht gewusst, dass sämtliche Juwelen aus den Raubzügen ihres Vaters stammten. Nach Terrys Festnahme hatte die Polizei den Schmuck ihrer Mutter beschlagnahmt. Sogar der Ehering war Diebesgut. Das Luxusleben der Familie – einschließlich der Villa auf Zypern und Avas exklusiver Schulbildung – war ausnahmslos durch Terry McKays Straftaten finanziert worden.

Im Opferschutz war Ava nicht zuletzt tätig, weil sie sich für die Taten ihres Vaters in Grund und Boden schämte und wenigstens einen kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung leisten wollte.

„Hast du was gefunden, das dir gefällt, Liebling?“

Giannis’ Frage brachte Ava zurück in die Gegenwart. Sie schaute ihn an. Wie er da in der Morgensonne am Fenster stand, wirkte er wie ein griechischer Gott. Seine männliche Schönheit war überwältigend. Sehnsüchtig ließ Ava den Blick über Giannis gleiten. Der wusste genau, wie ihr zumute war. Das begehrliche Funkeln seiner dunklen Augen verriet, dass er Avas Gefühle erwiderte.

Aber was sie verband, war nur Sex, keine Liebe. Die Liebe war nur vorgetäuscht, um an Stefanos Markous Frachtschiffe zu kommen. Das durfte sie nicht vergessen.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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