Julia Extra Band 536

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SAMBANÄCHTE MIT DEM BRASILIANISCHEN BOSS von TARA PAMMI
Ihr brasilianischer Boss schlägt allen Ernstes eine Scheinehe vor? Anushka ist fassungslos! Dass sie heimlich in Caio Oliveira verliebt ist, macht sein Angebot noch verführerischer – und riskanter. Denn Anushka weiß, dass sie eines niemals bekommen wird: Caios Herz …

GESTRANDET MIT DIR IM INSELPARADIES von LUCY KING
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DIE SÜSSE RACHE DES STOLZEN ITALIENERS von JULIA JAMES
„Ich bin schwanger von Luca.“ Kaum hat Ariana die Lüge ausgesprochen, bricht ein Skandal los – genau, was sie wollte: Ihre Cousine ist vor der Hochzeit mit Luca Farnese gerettet! Allerdings hat sie nicht mit der gefährlich süßen Rache des stolzen Milliardärs gerechnet …


  • Erscheinungstag 20.06.2023
  • Bandnummer 536
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518161
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tara Pammi, Lucy King, Louise Fuller, Julia James

JULIA EXTRA BAND 536

PROLOG

Anushka Reddy blickte sich in der luxuriösen Kabine des Privatjets um, ohne ihre Umgebung richtig wahrzunehmen. Mit ihren vierzehn Jahren gelang es ihr kaum, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, denn vor Aufregung hatte sie tausend Schmetterlinge im Bauch. Sie war auf dem Weg zu ihren Großeltern und ihren Halbschwestern und freute sich schon unbändig darauf, zum siebten Mal die Sommerferien auf dem großen Anwesen in Kalifornien zu verbringen.

Bei diesem Gedanken überfielen sie prompt Schuldgefühle. Nicht dass sie ihre Mutter und ihr abenteuerliches Leben mit ihr nicht geliebt hätte. Als weltbekannte Künstlerin und Umweltaktivistin bereiste ihre Mom die ganze Welt, manchmal um ihre Werke auszustellen, meistens jedoch auf der Suche nach Inspiration. Und das bedeutete, dass Nush in ihrem Leben schon viel gesehen hatte.

Aber ihre Mutter war oft auch gedankenverloren und launisch und hatte lange depressive Phasen. Und wenn sie in diesem Tief war, wurde sie vergesslich. Dann versäumte sie es, die Lebensmittelvorräte aufzustocken, Klamotten und Schulbücher für Nush zu kaufen oder darauf zu achten, dass Nush genug Zeit draußen mit Gleichaltrigen verbrachte.

Aus diesem Grund hatte sich Nush immer nach einem beständigen Zuhause und einer richtigen Familie gesehnt. Nach so einer Familie wie ihre beiden Halbschwestern sie hatten, die bei ihren Großeltern väterlicherseits in Kalifornien aufwuchsen. Ihr gemeinsamer Vater, ein alkoholkranker ehemaliger Künstler, hatte ein abenteuerliches Liebesleben geführt. Was dazu führte, dass Nush, Yana und ihre älteste Schwester Mira alle verschiedene Mütter hatten …

Ihre Mom hatte Nush den Kontakt zur Familie ihres Vaters nie verwehrt, doch der Abschied von ihrer Tochter war ihr dieses Mal sehr schwergefallen. Unter Tränen hatte sie dem armen Mann, der Nush im Auftrag der Großeltern abholte, einen endlos langen Vortrag über Sicherheitsvorkehrungen und Erziehungsfragen gehalten.

Dieser Mann, der das alles erstaunlich langmütig, ja freundlich hingenommen hatte, war aber kein anderer als …

Caio Oliveira.

Nush schob ihre Brille hoch und musterte ihn unauffällig von der Seite.

Caio, im Leben ihrer Großeltern eine Konstante, stammte aus Brasilien, wo er in seiner Jugend ein herausragender Fußballspieler gewesen war. Heute war er ein Programmiergenie und die rechte Hand ihres Großvaters. Nush hatte ihn bisher immer nur hinter Miras Rücken versteckt von fern beobachtet! Aber in die Sonne schaute man ja auch nur aus weiter Ferne …

Dafür sah sie ihn jetzt umso deutlicher. Er war hochgewachsen, breitschultrig, mit einer Haut, die tiefgolden schimmerte wie bei einem Gott aus den mythischen Universen in ihrem Lieblingsvideospiel. Die unter dichten schwarzen Augenbrauen liegenden hellbraunen, goldgefleckten Augen, die zu viel zu sehen schienen, glitzerten gefährlich intelligent. Sein leicht gewelltes Haar glänzte tiefschwarz und seine Kinnpartie wirkte wie gemeißelt. Dieser Mann ist unfassbar viril, dachte sie und lauschte innerlich dem interessanten Wort nach, das sie irgendwann bei Yana aufgeschnappt hatte.

Auf Nush wirkte er wie der geborene Anführer!

Eine andere Art, ihn zu beschreiben, gab es nicht. Schon gar nicht für sie, eine bebrillte, von Akne geplagte schlaksige Teenagerin, die nicht wusste, was sie mit ihren Armen und Beinen oder ihren jetzt offenbar wild gewordenen Hormonen anstellen sollte.

Das war etwas Neues für Nush, so plötzlich von ihren Gefühlen überwältigt zu werden. Normalerweise war ihr Verstand ihr bester Freund. Er war das Einzige, was ihr half, stark zu bleiben, wenn ihre Mom schwach war. Was in den letzten zwei Jahren einfach zu oft passiert war.

Aber sie konnte Caio unmöglich noch länger so anstarren. Nicht, dass er sie für nerdig hielt!

„Warum hat mich Thaata nicht abgeholt?“, fragte sie, nachdem die Flugbegleiterin, die unübersehbar mit Caio geflirtet hatte, wieder weg war. Sie beherrschte die Muttersprache ihres Vaters nicht so gut wie Mira, aber sie war entschlossen, das zu ändern.

Er grinste schief, wobei sich in seiner Wange ein Grübchen bildete. „Dann kannst du also doch sprechen.“

Nush wurde von einer Monsterwelle überwältigender Schüchternheit überschwemmt. Sie spürte, dass sie knallrot wurde. Bis in die Nasenspitze wahrscheinlich. „Natürlich kann ich sprechen, Mr. Oliveira. Aber ich rede nur, wenn ich etwas zu sagen habe.“ Sie zuckte zusammen und seufzte. Himmel, warum konnte sie bloß nie einfach nur normal klingen?

„Nun, das ist eine bewundernswerte Eigenschaft, die man besonders bei Erwachsenen selten antrifft. Und nenn mich nicht Mr. Oliveira, Anushka. Da komme ich mir so alt vor.“

„Aber Sie sind alt“, platzte Nush heraus, während sie gegen das heftige Kribbeln in ihrem Bauch ankämpfte, weil ihr Name aus seinem Mund so toll klang.

Er lachte, laut und tief, mit Lachfältchen in den Augenwinkeln.

Wenn er lachte, sah er einfach traumhaft aus!

„Ich meine … na ja, schließlich sind Sie viel älter als ich“, sagte sie und wünschte sich, im Boden zu versinken.

„Na hör mal, siebenundzwanzig ist doch nicht alt, du kleines Biest. Aber ich bin hart und zynisch, deshalb …“ Durch seine Augen huschte ein Schatten. „Ach, was soll’s. Nenn mich einfach Caio.“

Nush wiederholte leise seinen Namen und lauschte dem Klang nach.

„Perfekt, Princesa.“

„Warum nennen Sie mich Prinzessin?“, fuhr sie auf.

„Nennt dich nicht dein Großvater so? Warum tut er das?“

„Das sage ich nur, wenn Sie versprechen, mich nicht auszulachen.“

„Das würde ich nie wagen.“

„Ich liebe Märchen.“

„Warum sollte ich dich deshalb auslachen?“

„Meine Mom sagt immer, dass das Leben zu wichtig ist, um sich mit so einem gestrigen Kram zu beschäftigen.“

Er öffnete den Mund und machte ihn wieder zu. Und Nush wusste, dass er eine zynische Bemerkung hinunterschluckte. Diese unbewusste Freundlichkeit bewirkte, dass sie ihn gleich noch ein bisschen mehr mochte.

„Was liebst du denn so an Märchen?“, fragte er, anscheinend aufrichtig interessiert.

„Dass es immer ein Happy End gibt, egal, wie viel Kummer und Leid die Prinzessinnen vorher auch erdulden mussten. Dass sie am Ende immer einen Menschen finden, der zu ihnen passt. Für den es egal ist, ob sie zu still sind oder zu schüchtern oder irgendwie seltsam. Es stimmt schon, dass sich manche Märchen altmodisch anfühlen, aber dann modele ich sie in Gedanken einfach um, bis sie passen.“

„Hauptsache, du vergisst darüber nicht das wirkliche Leben, Princesa. Manchmal gibt es nämlich kein Happy End, sondern nur niederschmetternde Enttäuschung. Liebe ist eben oft einfach nicht genug.“

„Das sagen Sie“, gab sie zurück und reckte herausfordernd das Kinn.

Er zuckte die breiten Schultern. „Aber ich habe deine Frage noch nicht beantwortet. Eigentlich wollte dein Großvater dich abholen, doch da deine Großmutter kürzlich einen Asthmaanfall hatte und ich diese Reise sowieso machen musste, habe ich mich angeboten.“

„Geht es Nanamma jetzt wieder gut?“

„Ja.“

„Sind Sie eigentlich noch mit Yana zusammen?“ Sobald Nush ihre eigene Frage hörte, hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen.

Caio war ihr erster Schwarm und langsam begann diese Geschichte richtig wehzutun. Da konnte sie sich nichts vormachen. Vor allem jetzt nicht mehr, wo sie länger in Kalifornien bleiben würde.

Sie liebte ihre Schwester, die so atemberaubend aussah, dass sie schon mit neunzehn ein begehrtes Model war. Aber Caio mit ihr zu sehen war … hart, das musste sie zugeben.

Sie warf ihm verstohlen einen Blick zu und war froh, dass er nicht verärgert wirkte. „Entschuldigung, das geht mich nichts an“, sagte sie schnell.

„Schon okay, Princesa. Echte Neugier stört mich nicht.“ Er trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Tisch zwischen ihnen herum. „Nein, sind wir nicht. Uns ist klar geworden, dass es euren Großeltern und Mira und jetzt auch dir bestimmt sehr wehtun würde, wenn wir uns dieser räumlichen Nähe wegen an die Gurgel gehen. Was leider nicht unwahrscheinlich gewesen wäre.“

Nush lachte befreit auf. Eigentlich hatte es sogar ein Blinder sehen können, dass er und Yana nicht zusammenpassten. Doch dann durchzuckte sie ein besorgniserregender Gedanke. „Aber Freunde sind Sie schon noch, oder?“

„Und warum beunruhigt dich der Gedanke, dass es anders sein könnte, Anushka?,“ fragte er, mit einem Finger auf ihre gerunzelte Stirn deutend.

Sie schob die Brille auf ihrer etwas zu großen Nase hoch. „Na ja … weil ich nicht Partei ergreifen will, das ist alles.“

„Partei ergreifen?“, fragte er erstaunt. „Wieso das denn, Princesa?“

„Weil ich weiß, dass Thaata große Stücke auf Sie hält. Und obwohl Yana manchmal ziemlich anstrengend sein kann, würde ich mich nicht gern zwischen Ihnen und ihr entscheiden müssen.“

In der darauffolgenden Stille spürte Nush ihre Wangen heiß werden. Verdammt, warum hatte sie überhaupt etwas gesagt? „Also, nicht dass ich Sie nicht leiden kann oder so … na ja … es ist nur, weil Sie … äh … weil Sie eben wirklich schon ziemlich alt sind“, stotterte sie.

Sein raues Auflachen hüllte sie ein. Der Mann war wirklich mega und in seiner Nähe fühlte sie Dinge, die sie noch nie zuvor gefühlt hatte.

„Ich weiß deine Überlegungen durchaus zu schätzen, Princesa.“ Sein Blick wurde sanft. „Freust du dich schon auf deinen Sommer in Kalifornien?“

Sie lächelte. „Ich wollte immer Teil einer großen Familie sein. Das Leben mit meiner Mom ist ein Abenteuer, es kann allerdings auch ganz schön einsam sein.“ Plötzlich hatte sie einen dicken Kloß im Hals. „Heute war sie wieder mal ziemlich schwierig, aber manchmal kann sie einfach nicht anders. Ich hoffe, Sie sind ihr nicht böse.“

Er schüttelte den Kopf. „Keine Angst, Anushka. Ja, sie war aufgewühlt, doch das ist ja kein Wunder.“ Sein Tonfall war so sanft, dass der dicke Kloß in ihrem Hals noch anschwoll. „Deine Mutter ist eine starke Frau, die nur dein Bestes will. Ihre Reaktion heute hat gezeigt, wie sehr sie dich liebt.“

Nush blinzelte die Tränen zurück, die ihr bei seinen freundlichen Worten in die Augen schossen. „Finden Sie es falsch, dass ich mich so darauf freue, mit meinen Schwestern und meinen Großeltern zusammen zu sein?“

„Himmel, nein!“ Er runzelte die Stirn. „So etwas darfst du nie denken. Man kann traurig und fröhlich zur gleichen Zeit sein. Und Familien sind nun mal kompliziert, oder?“

Irgendetwas in seinem Blick veranlasste sie zu fragen: „Wie ist das bei Ihnen, Caio? Haben Sie eine große Familie?“

„Eigentlich nicht. Nicht mehr zumindest.“

Da war ein unüberhörbarer Unterton in seiner Stimme, der ihr verriet, dass er über dieses Thema nicht sprechen wollte. Deshalb beließ sie es dabei, trotz ihrer Neugier. Mit den Händen über das butterweiche Leder ihres Sitzes fahrend, fragte sie: „Dieses Flugzeug hier … es gehört Ihnen, stimmt’s?“

Seine Augen glitzerten. „Woher weißt du, dass es nicht deinem Großvater gehört?“

„Meine Großeltern sind Einwanderer, die mit nichts in die USA kamen. Sie würden ihr Geld nie für extravaganten Schnickschnack aus dem Fenster werfen.“

„Ich dachte, der Umweltaktivistin wäre ich vorhin erfolgreich entkommen. Aber ihrer smarten Tochter offenbar nicht.“

„Meine Mom würde Sie grillen und Ihnen dabei eine mindestens einstündige Lektion verpassen“, sagte Nush lachend. „Ist das Ihr Geschenk an Sie selbst für Ihre wachsenden Verkaufszahlen? Sie sind jetzt Millionär, oder?“

„Oha, Geschäftssinn hast du auch? Kein Wunder, dass dein Großvater so erpicht darauf ist, dich in seiner Nähe zu haben.“

Nush wurde rot. „Ich verfolge die Entwicklung des Unternehmens. Das Geld von Thaata habe ich in Ihr Portfolio investiert.“

Er lachte überrascht. „Du bist wirklich clever, Anushka.“

„Meine Freunde nennen mich Nush“, sagte sie, obwohl sie im wahren Leben eigentlich keine Freunde hatte. Nur Onlinekids, die nicht über sie urteilten. „Außerdem interessiere ich mich für die Finanzsoftware, die Sie entwickeln, und verfolge die Fortschritte, die Sie dabei machen. Und selbst programmieren kann ich auch.“

„Tatsächlich?“

Sein herausfordernder Blick brachte Nush dazu, die Hand nach ihrem geliebten Rucksack auszustrecken, den Mira und Yana ihr letzten Sommer geschenkt hatten. Und gleich darauf holte sie auch schon ihr selbst geschriebenes Programm auf den Monitor ihres Laptops. Nachdem sie das Gerät in seine Richtung gedreht hatte, legte sie ihr Kinn auf ihre gefalteten Hände und wartete auf sein Urteil.

Sein Blick bewegte sich schnell und konzentriert über den Bildschirm, was ihr Gelegenheit gab, ihn gründlich zu studieren. Nach ein paar Minuten klappte Caio den Laptop zu und pfiff anerkennend.

„Dieses Programm hast du ganz allein geschrieben?“

Während sie nickte, registrierte sie die aufflackernde Neugier in seinen Augen.

„Wie lange hast du dafür gebraucht?“

„Eine Woche.“

Caio starrte sie an, als dächte er scharf nach, bevor er ihr langsam die Hand entgegenstreckte. Als Nush sie nahm, erschauerte sie heftig, wobei sofort wieder dieser Schmetterlingsschwarm in ihrem Bauch aufflog. „Was … was soll das werden?“

„Eine Partnerschaft, Princesa. Eines Tages werden wir beide zusammen die Welt regieren.“

In diesem Augenblick nahm Nush sich vor, sich in ein paar Jahren in genauso einen Mann wie Caio zu verlieben!

1. KAPITEL

Neun Jahre später

Vergiss deine Märchen, Prinzessin!

Das Leben muss gelebt werden.

Nush öffnete und schloss die Karte mit der knappen handgeschriebenen Botschaft, die sie schon tausendmal gelesen hatte. Sie war ihr heute Morgen zugestellt worden, zwei Tage nachdem Thaata seine Augen für immer geschlossen hatte.

Die Worte erschienen ihr wie ein Zeichen. Mehr als ein Zeichen – ein Weckruf.

Hatte Thaata gewusst, wie frustriert und unglücklich sie in letzter Zeit gewesen war? Dass sie das Gefühl hatte, festzustecken? Dass sie von Verlangen und Groll erfüllt war gegenüber einem Mann, der all ihre wachen Gedanken in Anspruch nahm?

In dem Monat nach dem Tod ihrer Großmutter war es mit ihrem Großvater immer weiter bergab gegangen. Es war ein Schock, von dem Nush und ihre Schwestern sich wahrscheinlich nicht so schnell erholen würden. Der Kummer trieb ihr erneut die Tränen in die Augen.

An die Wand gelehnt ließ sie den Blick über die Menge schweifen, die sich in dem riesigen Wohnzimmer des Kolonialhauses ihrer Großeltern versammelt hatte. Die Menschen waren gekommen, um einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, der mit seinem vor zwanzig Jahren gegründeten Technologieunternehmen OneTech so viel bewirkt hatte. Im letzten Jahrzehnt hatte er es mit Caio an der Spitze zu einem milliardenschweren Tech-Giganten entwickelt.

Unter den Gästen waren auch Yanas Mutter, Yanas Stiefvater sowie ihre Stiefbrüder. Und Aristos, der Ehemann ihrer älteren Schwester Mira, obwohl die beiden seit sieben Monaten getrennt lebten. Nur ihre Mom war nicht da.

Nush hatte versucht, ihrer Mutter bei ihrem letzten Besuch bei ihr im Pflegeheim mitzuteilen, dass sich Thaatas Gesundheitszustand verschlechtert hatte. Aber ihre Mom, die gerade wieder in einer schlimmen Phase war, hatte sie aus glasigen Augen nur verständnislos angestarrt.

Als acht Monate zuvor ihre Großmutter einen Herzinfarkt erlitten hatte, war Mira kurz entschlossen aus Griechenland herbeigeeilt und seitdem nicht zurückgekehrt. Nur ein knappes Jahr vorher war die ganze Familie sprachlos gewesen, als Nushs ruhige, sonst so vernünftige Schwester völlig überraschend in Las Vegas den griechischen Tycoon Aristos geheiratet hatte. Und tatsächlich hatten sie Mira noch nie so glücklich erlebt. Doch als Yana und Nush kürzlich behutsam nachgefragt hatten, wann Mira vorhatte, nach Griechenland zurückzukehren, war ihre ältere Schwester nur in Tränen ausgebrochen.

Wenig überraschend war, dass Mira und Caio, die jetzt an der Tür standen, in die Rolle der Gastgeber geschlüpft waren.

Mira war schon als Kleinkind von ihren Großeltern aufgezogen worden, und Caio war der wahre Erbe ihres Großvaters und seiner Vision.

Nush runzelte die Stirn, als sie registrierte, wie gut er und Mira zusammenpassten. In den Augen ihres Schwagers Aristos spiegelte sich dieselbe Irritation.

Dabei hatte Nush eigentlich keinerlei Anlass, verärgert zu sein! Sie hatte schließlich nie einer Menschenseele mitgeteilt, dass ihre Schwärmerei für Caio in den letzten Jahren zu einer regelrechten Besessenheit geworden war!

So ganz in Schwarz wirkte er wie eine schwarze Sonne mitten in einem Sternenmeer. Jetzt sagte er etwas zu ihrer Schwester, ließ seinen Blick schweifen, entdeckte Nush und ging langsam, aber zielsicher auf sie zu.

Sofort begann ihr Herz wie wild zu schlagen! Sie und Caio hatten seit ihrer gemeinsamen Nachtwache an Thaatas Bett vor zwei Nächten nicht mehr miteinander gesprochen.

Hingerissen betrachtete Nush den Mann, der jetzt im Licht der Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster fielen, den großen Raum durchquerte. Die hohe Stirn, die tief liegenden hellbraunen Augen mit den goldenen Einsprengseln, die arrogante Nase und der schmale Mund waren ihr so vertraut wie ihr eigenes Spiegelbild.

Mit siebenundzwanzig hatte er umwerfend ausgesehen, doch jetzt, ein knappes Jahrzehnt später, wirkte er schlicht unwiderstehlich. Er strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das Männer in ihren Zwanzigern mit ihren dämlichen Psycho- und Machtspielchen wie Clowns erscheinen ließen.

Lag es am Mantel der Verantwortung, den er so selbstverständlich trug? An seinem ausgeprägten Ehrgeiz? Oder an dem tief verankerten Sinn für Ehre und Integrität?

Es spielte keine Rolle, dass Nush ein Jahrzehnt lang an Caios Seite gearbeitet hatte. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag waren sie Geschäftspartner. Ermuntert von ihrem Großvater, war sie mit Caio eine Partnerschaft für die Gründung einer Tochterfirma eingegangen, die auf einem von ihr entwickelten Softwaremodell basierte. Seine Marktkenntnisse und seine Risikofreude hatten dazu geführt, dass Nush noch vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag bereits Millionen verdient hatte.

Es spielte keine Rolle, dass ihre Akne längst abgeklungen war, dass sie genug zugenommen und sogar Kurven entwickelt hatte. Oder dass sie im letzten Jahr ein Date nach dem anderen absolviert hatte in der verzweifelten Hoffnung, sich von dieser seltsamen Faszination zu befreien, die er auf sie ausübte.

Es spielte keine Rolle, wie sehr sie sich verändert hatte. In Bezug auf Caio war sie immer noch die bis über beide Ohren verknallte Vierzehnjährige, die sich nicht sattsehen konnte an ihm. Und er war immer noch der hochgewachsene dunkle Gott, der ihr mit einem einzigen Blick die Röte in die Wangen treiben und Herzrasen bescheren konnte. Irgendwie hatte dieser verdammte Kerl ihrer Sexualität seinen Stempel aufgedrückt und sie musste dringend etwas dagegen unternehmen, wenn sie ihn nicht mit sechzig immer noch aus der Ferne anhimmeln wollte. Tröstlich daran war nur, dass sie sich über das wahre Ausmaß ihres Begehrens nie etwas vorgemacht hatte.

Die Trauergäste hielten Caio auf seinem Weg zu Nush immer wieder auf, um ihm ihr Beileid auszusprechen. Einige elegant gekleidete Damen legten ihm auffallend sanft ihre manikürten Hände auf den Unterarm …

Erleichterung durchströmte Nush, als sie sah, dass er ihnen kaum einen flüchtigen Blick gönnte! Doch gleich darauf schämte sie sich. Immerhin waren diese Frauen mutig genug, ihren Hut in den Ring zu werfen.

Anders als sie selbst. Sie träumte nur schon jahrelang von ihm, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Jetzt hatte Caios suchender Blick sie erfasst und blieb auf ihr liegen. Seine angestrengten Gesichtszüge entspannten sich, während seine Augen warm aufleuchteten.

Das war der Ich-bin-da-Blick, von dem sie wusste, dass er allein für sie bestimmt war. Dieser Blick, der ihr stets das Gefühl vermittelte, als ob es zwischen ihnen ein ganz besonderes Band gäbe. Nur sie bekam diese sanftere, weit weniger brachiale Version von Caio zu Gesicht. Den wahren Menschen, der sich unter der intelligenten, skrupellosen Unternehmeroberfläche verbarg, die er der Welt präsentierte.

Aber zum ersten Mal seit neun Jahren hasste Nush es. Sie hasste es, dass sie sich selbst so eingesperrt hatte. Hasste es, dass dieser Ort hier zu einem Gefängnis für sie geworden war, aus dem auszubrechen ihr nicht gelingen wollte.

„Wenn du ihn willst, dann tu etwas.“

Nush riss ihren Blick von Caio los und schaute zu ihrer Schwester Yana, die sie gedankenverloren musterte. Während Nush in ihrem schwarzen ärmellosen T-Shirt und den schwarzen Leggings einer Krähe ähnelte, wirkte Yana in ihrer neonpinken Hose, dem dazu passenden Spaghetti-Top und einer mit glitzernden Pailletten bestickten übergroßen Jacke noch deplatzierter.

Keine von ihnen wollte hier sein. Sie hatten sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, einen Menschen, den sie so geliebt hatten und über dessen Verlust sie noch lange nicht hinweg sein würden, öffentlich zu betrauern. Aber Mira, wie stets die Verantwortungsvolle, hatte ihre beiden Schwestern daran erinnert, dass sich ihre Großeltern ihre Anwesenheit gewiss gewünscht hätten.

Nush spürte, dass ihre Wangen heiß wurden, und ruckelte an ihrer Brille. „Was … was meinst du damit?“

„Mich wundert nur, dass Caio noch nichts gemerkt hat, Nushie. Ich meine, er ist schließlich nicht auf den Kopf gefallen.“ Yana runzelte die Stirn und senkte dankenswerterweise die Stimme. „Aber für ihn ist es wahrscheinlich ganz normal, dass du ihn anhimmelst.“

Nush starrte ihre Schwester finster an. „Nicht jede ist so selbstbewusst wie du.“

„Ach, Nushie.“ Yana umfasste Nushs Finger, die ganz steif waren, und drückte sie. „Dafür denken alle, dass ich schön, aber dumm bin! Und vielleicht stimmt das ja sogar irgendwie.“

„Was heißt denn alle? Mira und ich denken das ganz bestimmt nicht!“, verwahrte sich Nush.

Yana warf ihr ein zittriges Lächeln zu. „Danke, Nushie. Trotzdem solltest du jetzt langsam aktiv werden, wenn du ihn willst.“

„Warum sagst du das?“

Yana machte ein wissendes Gesicht. „Na ja, ich hab da was läuten hören, dass Peter Huntington senior Caio und Laura Huntington als die neuen Hoffnungsträger ausgemacht hat, die den heraufziehenden Machtkampf ausbalancieren könnten.“

Nush verspürte einen heftigen Stich in der Brust. Laura Huntington war alles, was sie selbst nicht war. Weltgewandt, schön, kurvenreich, geistreich und extrovertiert, die perfekte Mischung, um Caios raue Kanten zu glätten. Sie räusperte sich und schluckte schwer, weil ihr das Herz plötzlich im Hals klopfte. „Ich dachte, die Huntingtons verabscheuen Caio.“

„Als Schwiegersohn natürlich nicht. Ich hasse es, das zuzugeben, aber Laura ist das Gesamtpaket.“

Nush lachte, obwohl sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. „Warum hasst du es, das zuzugeben?“

„Hallo? Wie kommt’s, dass du einerseits megaschlau bist und andererseits total naiv, Nushilein?“ Yana hängte sich bei ihr ein. „Natürlich weil sie in direkter Konkurrenz zu meiner kleinen Schwester steht. Davon abgesehen, dass sie ein intellektueller Snob ist und schon immer auf mich heruntergeschaut hat.“

Spontan legte Nush ihrer Schwester ihre Arme um die Taille und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Yana versteifte sich kurz, dann entspannte sie sich. Nush zwinkerte die Tränen weg, die in diesen Tagen nie allzu fern waren.

„Aber wir haben uns. Immer.“ In Yanas Stimme schwangen ihre Gefühle mit, die sie nur selten zeigte.

Ja, das stimmte, die drei Schwestern würden immer zusammenhalten!

Trotzdem war es im Augenblick nicht leicht für Nush. Ihre geliebten Großeltern waren tot, ihre Mutter wollte meistens nicht mit ihr reden und jetzt schien es, als ob Caio neue Allianzen schmiedete, die drohten, Nush aus seinem Leben zu verdrängen. Wieder einmal begann der Boden unter ihren Füßen heftig zu schwanken. Gott, wann hörte das bloß endlich auf?

„Leider wüsste ich nicht, was Caio gegen diese Partnerschaft haben könnte, Nushie. Laura ist intelligent und schön und hat großen Einfluss auf ihren Vater. Und jeder weiß, dass Caio zu allem bereit ist, um die Kontrolle über OneTech zu behalten.“

Dem konnte Nush nicht widersprechen.

Caios Ehrgeiz war legendär. Noch mehr Übernahmen, noch mehr Fusionen, noch mehr Innovation. Er war im letzten Jahr regelrecht auf Kriegspfad gewesen. Obwohl sie diese Meetings zumeist ausblendete, erinnerte Nush sich daran, dass sogar ihr Großvater Caio irgendwann gefragt hatte, wann für ihn genug eigentlich genug wäre, woraufhin Caio lachend gesagt hatte, dass genug nie genug war.

Im Lauf der Jahre hatte Nush zu verstehen versucht, woher dieser unstillbare Ehrgeiz rührte, doch sie war zu keinem Ergebnis gelangt. Sie war sich zwar sicher, dass sie Caio durch ihre enge Zusammenarbeit besser kannte als jeder andere, aber in Wahrheit war er auch für sie immer noch eine Blackbox.

Wie zur Bestätigung von Yanas Worten war es am Ende Laura Huntington, die Caio auf seinem Weg zu Nush aufhielt. Caio blieb sofort stehen, beugte sich interessiert zu der zierlichen Frau hinunter und hörte aufmerksam zu. Aus der Körpersprache der beiden ließ sich eine gewisse Vertrautheit schließen.

Nushs Magen rauschte in die Tiefe wie eine Aufzugskabine, deren Stahlseile gerissen waren. Nervös zupfte sie am Saum ihres T-Shirts herum, machtlos dagegen, dass sie sich immer wieder mit der schönen, kultivierten, weltgewandten Laura Huntington verglich.

„Haben sie etwas miteinander?“, fragte sie und hörte angewidert, wie brüchig ihre Stimme klang.

„Bis jetzt noch nicht, soweit ich weiß“, sagte Yana mit der Autorität einer Frau, die die Gerüchteküche voll im Blick hatte. „Aber selbst du musst zugeben, dass die beiden die auseinanderstrebenden Fraktionen von OneTech zusammenhalten könnten. Also, wenn du ihn dir schnappen willst, musst du dich beeilen.“

„Na hör mal, ich kann doch nicht … Ich kann ihn doch nicht einfach anbaggern, Yana“, wandte Nush mit stockender Stimme ein, überzeugt davon, dass jeder Versuch, Caio zu verführen, nur in einem totalen Desaster enden konnte.

„Aber warum denn nicht?“, fragte ihre Schwester.

„Und wenn ich damit unsere Freundschaft und unsere einmalig gute Arbeitsbeziehung zerstöre?“, versuchte sie ihrer größten Angst Ausdruck zu verleihen. „Das will ich auf gar keinen Fall.“

In Yanas Augen leuchtete Mitgefühl auf. „Dann musst du weitergehen, Nush. Fang an, dein Leben zu leben, statt vom Spielfeldrand aus zuzuschauen, wie er seins lebt.“

Nush schwieg einen Moment, bevor sie bat: „Sag mir, was ich tun soll.“

„Schnapp ihn dir!“

Als Caio schließlich bei ihr angelangt war, zitterte Nush vor Tatendrang. Yana hatte recht. Sie musste endlich aktiv werden!

Bereits beim Näherkommen hatte sie die dunklen Ringe unter seinen Augen registriert. Jetzt sah sie, wie verspannt seine Schultern waren. Es tat ihr im Herzen weh, als sie daran dachte, wie lange auch für ihn ihre Großeltern ein Teil seines Lebens gewesen waren. Sie hätte ihn jetzt so gern gehalten, um die Trauer zu lindern, die in seinen Augen stand.

Aber er würde sich von ihr nicht halten lassen. Weil er sich in der Verantwortung sah. Weil es ihm oblag, sich um alle juristischen Probleme zu kümmern, die auf sie und ihre Schwestern zukamen. So wie er sich auch schon um jede kleinste Kleinigkeit der Beerdigung gekümmert hatte. Und sogar dafür gesorgt hatte, dass Nushs alkoholkranker Vater bei den Feierlichkeiten ordentlich angezogen und halbwegs nüchtern aufgekreuzt war.

Das alles hatte er allein organisiert, weil Caio Oliveira niemanden brauchte, am wenigsten sie!

Wortlos reichte er ihr ein Glas Wasser und lehnte sich neben ihr gegen die Wand, so nah, dass sich ihre Schultern fast berührten. Groll stieg in ihr auf, während sie das Glas entgegennahm. Woher wusste er, dass sie dringend den gigantischen Kloß in ihrem Hals hinunterspülen musste?

Sie brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass er einen Fuß gegen die Wand gestellt und eine Hand in der Hosentasche hatte. Dass sein Blick durch den Raum schweifte, auf der Suche nach einem möglichen Brand, den er löschen musste.

Sie hatte seine intensive Körperlichkeit, seine unerschöpfliche Energie immer bewundert. Aber jetzt fühlte es sich anstrengend an, so perfekt im Einklang mit ihm zu sein, mit jedem Wort, jeder Geste, ja sogar mit jedem Atemzug. Und es war niederschmetternd, einsehen zu müssen, dass er sie auf dieser Ebene nie wahrnehmen oder wollen würde.

Mit diesem Gedanken im Kopf trank Nush das Wasser. So schwer erträglich diese Erkenntnis auch war, würde sie ihr doch helfen weiterzukommen.

„Du kommst mir ziemlich aufgewühlt vor, Princesa! Was geht dir gerade durch den Kopf?“

Triffst du dich mit Laura Huntington?

Hast du Sex mit ihr?

Was kann ich tun, damit du mich endlich so siehst wie ich dich?

Fühle nur ich das oder fühlst du es auch?

Nush schaute auf das leere Glas in ihrer Hand. Dabei versuchte sie mit aller Macht, Caios anziehenden Geruch und die Wärme, die sein Körper abstrahlte, zu ignorieren. Sie wollte auf keinen Fall wieder von diesem zittrigen Verlangen überschwemmt werden.

Caio runzelte die Stirn. „Hat Yana dir vielleicht etwas Beunruhigendes erzählt?“

„Sie hat mich bezüglich gewisser Entwicklungen bei OneTech auf den neuesten Stand gebracht.“

Er tippte auf ihre Knöchel. „Keine Sorge, Nush. Ich kümmere mich.“

„Wird Laura Huntington in das Leitungsteam aufgenommen?“, rutschte es ihr heraus.

Er warf ihr einen prüfenden Blick von der Seite zu und Nush versuchte, nicht nervös zu werden. Seine Überraschung war nachvollziehbar. Normalerweise kümmerte sie sich nicht um die Unternehmenspolitik von OneTech und arbeitete im Programmierzentrum still vor sich hin. Thaata hatte x-mal versucht, sie in die Leitung des Unternehmens miteinzubeziehen, aber sie hatte stets abgewinkt. Sie blieb lieber im Hintergrund.

„Gut möglich. Auf jeden Fall wäre Laura anders als ihr nutzloser Bruder ein großer Gewinn für das Team. Dafür, dass sie eine Huntington ist, mag ich sie wirklich gern“, erklärte er mit einem Grinsen.

Er mag Laura. Wirklich gern.

Ihre Brust schmerzte, als wäre sie unter einem tonnenschweren Gewicht begraben. Selbst mit geschlossenen Augen spürte Nush, wie sein Blick über sie hinwegschweifte. Dann packte er ihre zur Faust geballte Hand und hob sie hoch. „Was stand auf der Karte von deinem Großvater?“

Sie schüttelte seine Hand ab. „Das ist privat“, sagte sie schroff.

„So privat, dass du es nicht mal mir erzählst?“

„Hör zu, Caio, meine Gedanken kreisen nicht ununterbrochen nur um dich, auch wenn du das vielleicht denkst. Abgesehen davon, dass ich deine kleine brave Arbeitsdrohne bin, die dir Millionen einbringt, natürlich.“

Sie spürte, wie er erstarrte. „Arbeitsdrohne?“ Sein Ton war kühl, aber immer noch freundlich. „Himmel, was soll das denn? Was ist los mit dir, Nush?“

„Lass mich in Frieden. Kümmere dich nicht um mich!“

„Gerade jetzt soll ich mich nicht um dich kümmern? Na hör mal! Ich bin sicher, dass dein Großvater damit absolut nicht einverstanden wäre. Also, was immer dich auch quält, ich verspreche dir, dass wir eine Lösung dafür finden.“

Dann war sie für ihn also nicht mehr als eine Verantwortung? Eine Pflichtübung, die er dem Mann schuldete, der ihn so geliebt hatte? „Hast du Yana und Mira dasselbe gesagt?“

„Sieh mich an, Anushka.“

Sie hasste es, wenn er in diesem paternalistischen Ton mit ihr sprach. „Beantworte meine Frage, Caio.“

„Nein, habe ich nicht.“

„Warum nicht?“, fragte sie. Warum behandelte er ihre Schwestern anders als sie? Wo war der Unterschied?

Auf ihre Frage folgte Schweigen.

„Weil sie so stark sind, dass sie deinen herablassenden Rat nicht brauchen? Weil man auf sie nicht aufpassen muss?“

„Himmel, Nush …“

Nush fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Gott, sie machte sich wirklich lächerlich. „Ich bin nicht ich selbst …“

Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter, Finger, die sanft zudrückten. „Du bist nicht allein, Anushka. Weder heute noch in Zukunft.“

Mehr sagte er nicht, aber sie spürte seine Verwirrung. Normalerweise wurde sie nie wütend und erwartete auch nicht, dass alles nach ihrem Kopf ging, so wie Yana. Und sie zog sich auch nie hinter eine Mauer zurück, hinter der sie unerreichbar war, so wie Mira.

Vielleicht lag es ja daran, dass sie im Zusammenleben mit ihrer psychisch instabilen Mutter gelernt hatte, sich still in die hinterste Ecke zu verkriechen und sich mit dem zufriedenzugeben was sie hatte.

Aber jetzt fühlte es sich an, als ob sie wie eine dieser Märchenprinzessinnen aus einem tiefen Schlaf erwacht wäre.

„Princesa … sieh mich an.“

Sie schaute auf, jede ihrer Körperzellen reagierte direkt auf seinen Tonfall. Der Blick aus diesen unvergleichlich schönen, dicht bewimperten Augen ging ihr unter die Haut. Diese charaktervolle Nase, der leidenschaftliche Mund … Caio strahlte eine Sinnlichkeit aus, die sie umhaute.

Sah er ihr an, warum sie so unglücklich war? Hörte er ihr Herz hämmern, wenn er so nah bei ihr stand? Spürte er die prickelnde Hitze, die sich auf ihrer Haut ausbreitete, wenn er seine ganze Aufmerksamkeit auf sie richtete?

„Mir wäre es lieber, wenn du mich nicht mehr so nennst“, sagte sie und schluckte schwer an dem Verlangen, das in ihr aufstieg.

Er senkte das Kinn, sein Gesicht wurde hart. „Das ist das Lächerlichste, was du je zu mir gesagt hast.“

In seiner Stimme schwang ein stählerner Unterton mit, bei dem ihr die Brust eng wurde. Offenbar war er kurz davor, die Geduld zu verlieren. Gut, aber das wollte sie doch, oder? Dass er sie so behandelte wie alle anderen auch.

„Findest du nicht, dass ich das Recht habe, zu entscheiden, wie ich genannt werden will?“

Er musterte sie, als ob er sie noch nie gesehen hätte. „Warum ist es plötzlich ein Problem, wie ich dich nenne?“

„Weil es herablassend und bevormundend klingt und …“

„Ich habe dich nie herablassend behandelt.“ Jetzt schwang in seinem Tonfall tatsächlich leise Wut mit und dass sie das erregend fand, war traurig, aber wahr. „Geschweige denn bevormundend.“

„Wie auch immer. Es ist mir egal, wie du es nennst, weil … weil ich hinschmeiße.“

Er stand reglos da und Nush schaffte es nicht, ihren Blick von ihm zu lösen, sosehr sie es sich auch wünschte. Von ihm ging eine pulsierende Energie aus, die sich jetzt wie ein Laserstrahl auf sie konzentrierte. Sich in sie einbrannte. Sondierte. Suchte.

„Du schmeißt hin? Aber was denn, Princesa?“ Jetzt klang er ratlos.

Nush schluckte, aber sie zwang sich, die Worte auszusprechen. „Die Arbeit hier. Ich brauche Abwechslung. Dringend. Ich kann das nicht mehr.“

Yana hatte recht. Sie musste sich bewegen, er war für sie wie eine Sucht. Da half nur noch ein kalter Entzug. Bevor es zu spät war. Alles andere hatte nicht funktioniert.

Er war jetzt voll auf sie konzentriert, schirmte sie mit seinen breiten Schultern vor neugierigen Blicken ab. Sogar in diesem Moment versuchte er immer noch, seine schützende Hand über sie zu halten. „Du sprichst in Rätseln.“

„Ich muss dir nichts erklären und brauche auch keine Erlaubnis von dir. Ich schulde dir nichts.“

Als Nush versuchte, sich an ihm vorbeizuschlängeln, legten sich seine Finger fester um ihr Handgelenk. Sie schnappte nach Luft. Seine Hand umspannte ihren Arm entschlossen, aber nicht schmerzhaft. „Das ist ein Irrtum, querida. Du kannst schimpfen und toben, um deinem Kummer und deiner Trauer Luft zu machen, oder dich meinetwegen auch vor der Welt verkriechen. Aber am Ende des Tages sitzen wir in einem Boot, Nush. OneTech steht und fällt mit uns beiden. Und genauso wollte es Rao, eine Partnerschaft für immer.“

„Eine Partnerschaft für immer, das klingt in meinen Ohren wie ein Fluch. Eine Strafe.“

Er senkte den Kopf, presste die Lippen zusammen. Nush bereute ihre Worte sofort.

Wieder suchte sie seinen Blick und als sie sein verschlossenes Gesicht sah, fragte sie sich, wie weit er in seinem Ehrgeiz wohl noch gehen würde.

Was wollte Caio wirklich?

„Ich werde hier nicht mehr gebraucht. Eigentlich hast du mich nie wirklich gebraucht, Caio. Und was meine Arbeit angeht, besitzt OneTech sowieso alle Patente. Ich habe bereits vor Jahren eine Wettbewerbsklausel unterschrieben.“

„Denkst du das wirklich? Dass ich immer nur deine Kreativität für OneTech ausbeuten wollte?“

„Ich kann nicht in deinen Kopf schauen“, sagte Nush. „Jetzt, wo Thaata nicht mehr da ist, ist das ein guter Zeitpunkt für mich, mein Leben neu zu ordnen. Mir zu überlegen, wo ich hinmöchte. Ich muss mir etwas ausdenken, bevor du …“

Sein Griff auf ihrem Arm verstärkte sich. „Bevor ich was?“

„Bevor du …“ Ihre Kehle war trocken, ihr Herz raste. „Bevor sich noch mehr verändert. Bevor ich …“ Sie presste ihre Stirn auf seinen Arm, zitternd angesichts seiner Nähe.

„Bevor was, Nush?“, wiederholte er leise. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel.

Nush befürchtete, ihr Herz könnte zerspringen und ihr sorgsam gehütetes Geheimnis herausschreien, wenn er sie nicht auf der Stelle losließ. Und so sagte sie das Einzige, von dem sie wusste, dass es seine undurchdringliche Rüstung sprengen würde. „Bevor ich anfange, dich zu hassen, Caio. Ich will weg, bevor alles, was gut und richtig war zwischen uns, abstirbt und verrottet.“

Er ließ sie so abrupt los, dass sie zurücktaumelte. Aber sofort schlang er geistesgegenwärtig seinen Arm um ihre Taille, um zu verhindern, dass sie das Gleichgewicht verlor. Passte auf sie auf, auch wenn sie sich lächerlich machte.

Schwach und haltlos, wie sie war, suchte Nush seinen Blick, aber er weigerte sich, sie anzusehen. Das war die vollständige Zurückweisung, auf die sie gehofft hatte. Irgendetwas zerbrach da gerade zwischen ihnen und sie fragte sich, ob das der Anfang vom Ende war.

Sie riss sich von ihm los und rannte aus dem Raum. Köpfe drehten sich nach ihr um, Gespräche verstummten und die Leute tuschelten, aber es war ihr egal.

Sie schüttelte nur den Kopf, als Mira sie fragte, was passiert war, und verließ das Haus.

Jetzt musste sie wirklich weg.

Mit Caio vollständig zu brechen schien der einzige Weg in die Freiheit.

2. KAPITEL

Caio Oliveira war ein Mann, den kaum etwas schockieren konnte. Schließlich hatte er sich sein Leben genau so eingerichtet, wie er es wollte. Angefangen von den Menschen, mit denen er sich umgab – das waren kaum vier an der Zahl –, bis hin zu der Frage, wie viele Schritte er noch zurücklegen musste, bis er endlich am Ziel war.

Über ein Jahrzehnt hatte er mehr als hundert Stunden pro Woche gearbeitet, um aus OneTech den Technologiegiganten zu machen, der er heute war. Er war ständig neue Risiken eingegangen, hatte immer wieder den Vorstand gegen sich aufgebracht, mit Rao unzählige Kämpfe ausgefochten und gewonnen. Ohne dabei auch nur für eine Sekunde sein vornehmstes Ziel aus den Augen zu verlieren.

Geld oder materieller Besitz interessierten ihn nicht. Eigentlich hätte er schon seit ein paar Jahren nicht mehr zu arbeiten brauchen. Er war so reich, dass er lebenslang ausgesorgt hatte!

Was Caio trieb, war der Drang, sich zu beweisen, nachdem man ihm alles genommen hatte, was ihm lieb und teuer gewesen war. Nichts war ihm wichtiger, als sich an dem Mann zu rächen, der ihn aus seinem Zuhause und dem Unternehmen seines Vaters verdrängt, die Beziehung zu seiner Mutter zerstört hatte.

Sein Ziel, den brasilianischen Softwarekonzern seines verhassten Stiefvaters zu übernehmen, hatte schon in unmittelbarer Reichweite gelegen. Doch dann war Rao überraschend verstorben und alles hatte sich geändert. Jetzt war es das Wichtigste, dass er die Position des CEOs im Vorstand von OneTech behielt, um die abgefeimten Strategien von Peter Huntington senior durchkreuzen zu können. Und wenn er sich dafür an die Tochter des Mannes binden musste, die dieser ihm wie eine Karotte vor die Nase hielt, dann war es eben so. Davon abgesehen, dass Laura nicht einmal annähernd so unangenehm war wie ihr Vater. Ganz im Gegenteil.

Doch jetzt hatte Nush eine Bombe platzen lassen! Obwohl er seine Pläne natürlich auch ohne sie weiterverfolgen konnte. Nichtsdestotrotz wollte er sie an seiner Seite, um mit ihr zusammen diese neue Etappe auf dem Weg von OneTech einzuläuten. Warum ihm das so wichtig war, wusste er nicht.

Er wusste nur, dass die Beziehung zu Nush das Einzige war, was außerhalb dieses Drangs, sich an seinem Stiefvater zu rächen, für ihn existierte. Nicht einmal Rao hatte sich so tief in den Stoff seines Lebens eingewebt wie sie.

Und jetzt das. Wie konnte sie es wagen, völlig aus heiterem Himmel alles über den Haufen zu werfen? Das durfte er nicht zulassen!

Es war schon nach Mitternacht und Nush, die nach der Auseinandersetzung mit Caio lange wach gelegen hatte, tigerte mit einem Becher warmer Milch in der Hand im Arbeitszimmer ihres Großvaters unruhig auf und ab. Jetzt wusste Caio also Bescheid.

Seine Wut heute Abend hatte sie geschockt. Vielleicht, weil sie noch nie erlebt hatte, dass sich diese kalte Entschlossenheit gegen sie richtete. Vielleicht, weil sie sich noch nie gegen ihn hatte durchsetzen müssen. Eine Sekunde lang hatte sie sich gefragt, ob er ihre Frustration spüren konnte. Ob er fühlte, dass …

Nein.

Himmel, ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie machte sich total verrückt, indem sie sich Dinge ausmalte, die nicht real waren.

Sie stellte den Becher ab und ließ sich in den Ledersessel fallen. Unbewusst zog sie die Beine hoch und schmiegte sich in das abgenutzte weiche Leder wie in eine Umarmung. Eine Umarmung, nach der sie sich so sehnte. Mit geschlossenen Augen war es leicht, sich vorzustellen, dass Caios Arme sie umfingen. Mit einem erstickten Aufstöhnen ließ sie ihren Kopf auf die Schreibtischplatte sinken und presste ihre Wange gegen das dunkle Eichenholz.

Als sie hörte, wie die Tür des Arbeitszimmers geöffnet und wieder ins Schloss gedrückt wurde, begann ihr Herz schneller zu klopfen.

Caio.

Sie glaubte zu spüren, wie sein Blick über sie hinwegwanderte und er das Bild in sich aufnahm, das sie in ihren Schlafsachen abgab, einem Top mit Spaghettiträgern und knappen Shorts.

Nush blieb noch einen Moment regungslos im Sessel sitzen, während sie darauf wartete, dass die Spannung aus ihren Brüsten wich und die Glut erlosch, die in ihrem Unterleib schwelte.

Dann richtete sie sich auf, erhob sich und ging um den Schreibtisch herum.

„Verzeih. Ich wollte dich nicht stören“, sagte Caio ruhig, so beherrscht wie immer. „Kannst du nicht schlafen?“

Das Arbeitszimmer war nur vom Mondlicht erhellt, das seine breiten Schultern und die schlanke Taille umspielte. „Ja, aber ich gehe jetzt wieder ins Bett.“

Als er eine Hand hob, um Licht zu machen, sagte sie: „Nein, lass. Ich bin nicht … präsentabel.“

Seine Überraschung war wie ein Lasso, mit dem er sie einfing und langsam zu sich heranzog. Nush schloss die Augen und biss sich auf die Lippen. Schweigen wäre besser gewesen.

„Nush …“

„Bitte, Caio. Lass uns nicht streiten.“

„Ganz wie du willst, Princesa.“

„Warum bist du so nachsichtig mit mir?“, fragte sie. „Immerhin war ich es, die vorhin auf dich losgegangen ist.“

Sie sah, dass sich zwischen seinen Augenbrauen wieder diese steile Falte bildete. „Was?“

„Du bist zu mir anders als zu allen anderen. Verständnisvoll, sogar wenn ich biestig bin. Warum?“

Sein Auflachen hüllte sie ein wie eine Umarmung.

„Na und? Worüber beschwerst du dich? Und ich dachte, du wärst die unkomplizierteste Frau, der ich jemals begegnet bin, Nush.“

„Na, wenigstens hältst du mich für eine Frau“, brummte sie und hoffte, dass er sie nicht gehört hatte.

Als er den Kopf zur Seite neigte, wünschte sich Nush, mit den Fingerspitzen über seinen sehnigen Hals zu fahren.

„Erinnerst du dich, wie ich dich damals bei deiner Mutter abgeholt habe?“

Nush nickte. In jenem Sommer bei ihren Schwestern und Großeltern hatte sie angefangen, mit Caio zu arbeiten. Zum ersten Mal im Leben hatte sie sich voll akzeptiert gefühlt.

„Du warst so in Sorge, deine Mom zurückzulassen, und wolltest doch stark und tapfer sein. In diesem Moment hast du mich an mich selbst erinnert. An den Jungen, der ich vor sehr langer Zeit einmal war. Manchmal frage ich mich, ob …“

Obwohl er sich unterbrach, schwieg Nush, weil sie wollte, dass er weitersprach.

„Du hast dir deine Unschuld bewahrt wie niemand sonst und deine Familie war sich einig, dass man dir helfen muss, diese Seite zu bewahren. Und ich sehe das genauso, vielleicht, weil ich weiß, dass man das, was man einmal im Leben verloren hat, nie wieder zurückbekommt. Und auch, weil es in meinem Leben eine Zeit gab, in der niemand da war, um auf mich aufzupassen.“

Bei seinem letzten Satz vibrierte in seiner Stimme ein Anflug von dunkler Wut.

Nush hatte sich wieder gesetzt. Sie schlang ihre Arme um ihre Knie, stützte ihr Kinn darauf und musterte ihn nachdenklich. So viel hatte er noch nie von sich preisgegeben. „Das tut mir leid. Ich weiß, wie übel sich das anfühlt.“

„Ich weiß, dass du das weißt, Princesa.“ Dann seufzte er und es hörte sich laut an in der plötzlichen Stille. „Aber nur weil es mir ein Bedürfnis ist, dich zu beschützen, heißt das nicht, dass ich dich nicht ernst nehme, Anushka.“

Plötzlich durchströmte sie eine seltsame Wärme, die sie erbeben ließ. Im Halbdunkel begegneten sich ihre Blicke und Nush nickte nur, weil sie ihrer Stimme nicht traute. In der Luft lag ein Knistern … Was ungewöhnlich war bei zwei Menschen, die daran gewöhnt waren, viele Stunden in kameradschaftlichem Schweigen zu verbringen.

Sie beobachtete, wie er durch den Raum ging, Thaatas Sachen berührte, so wie sie es vorhin getan hatte. Dabei fiel ihr auf, wie nervös Caio sich bewegte. Was ebenfalls ungewöhnlich war.

Als er auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtischs angelangt war und seine Hand nach dem gerahmten Foto von letztem Jahr ausstreckte, das ihren Großvater, sie selbst und Caio zeigte, atmete sie zitternd aus.

„Erzähl mir, wie du Thaata kennengelernt hast“, forderte sie ihn auf.

Da huschte ein kurzes Lächeln über sein Gesicht. „Rao hat mich gerettet, als ich die ganze Welt hasste und am liebsten alles niedergebrannt hätte. Aber ich habe es ihm nicht leicht gemacht.“

„Das hat er mir nie erzählt. Sag jetzt nicht, dass ihr euch oft gestritten habt.“

„Doch, ständig, besonders am Anfang. Ich war unkontrollierbar und wild und wollte ihm nicht vertrauen.“

„Was meinst du mit gerettet?“ Sie musterte ihn forschend. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du jemals gerettet werden musstest.“

Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Die Geste strahlte eine Erschöpfung aus, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. „Ich wage mir nicht auszumalen, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn er es nicht getan hätte.“

Ihn so zu sehen schmerzte sie. „Heißt das, du bist nicht schon arrogant und selbstherrlich und verboten perfekt zur Welt gekommen?“

„Perfekt, querida? Weit gefehlt. Rao und mein Vater waren Kollegen und arbeiteten als Ingenieurseinsteiger zusammen. Beide waren ehrgeizig und beschlossen zur selben Zeit, ein Unternehmen zu gründen, mein Vater in Brasilien und Rao hier. Sie hielten Kontakt bis zu Papas Tod, da war ich neun, aber Rao vergaß Mama und mich nie und meldete sich regelmäßig.“ Caio klang sehr weit weg und angespannt. „Als ich nicht mehr weiterwusste, bot er mir an, für ihn zu arbeiten, und das nur aus Freundschaft zu einem Mann, der schon lange tot war.“

Nush lächelte. „Du weißt aber schon, dass er nicht selbstlos war. Thaata muss gespürt haben, dass du dich als eine fantastische Investition entpuppst.“

Caio ging um den Schreibtisch herum und lehnte sich dagegen. „Kann sein. Rao war ein Langzeitstratege. Er hat mir vertraut, was mir unendlich viel bedeutet hat. Er war überzeugt, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient.“

„Bekommst du deshalb nie genug, Caio? Weil du glaubst, es allen zeigen zu müssen?“

„Jetzt klingst du genau wie dein Großvater“, wich er aus. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie ähnlich du ihm bist. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, hielt er stur daran fest.“

Was Nush an das erinnerte, was sie jetzt tun musste. „Dann weißt du ja auch, dass ich mir meine Entscheidungen nicht leicht mache, Caio. Obwohl …“ Sie schaute auf ihre vom Mondlicht beschienen Finger und wählte ihre Worte sorgfältig. „Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe.“

„Es tut dir nur leid, wie du es gesagt hast, aber nicht, was du gesagt hast“, korrigierte er sie trocken. „Du hast gesagt, du würdest anfangen, mich zu hassen, wenn du bleibst. Oder hasst du mich jetzt schon, Princesa?“

Da wurde Nush klar, dass ihr Gespräch noch längst nicht beendet war. Dass er nicht ruhen würde, bis er alles über ihre heimliche Faszination für ihn herausgefunden hatte.

Das war der Caio, den sie kannte, ein Mann, der keinen Stein auf dem anderen ließ, wenn irgendetwas seine Neugier geweckt hatte. Nur dass es diesmal ihre Person betraf.

„Natürlich hasse ich dich nicht.“ Sie wich seinem Blick aus. „Das war Unsinn.“

„Falsch, Nush. Ich glaube, dass du zum ersten Mal seit Monaten ehrlich warst.“

Nush reckte das Kinn. „Ich bin dreiundzwanzig und arbeite jetzt schon seit zehn Jahren in irgendeiner Form. Zwischen meiner Mom und OneTech und Abendschule hatte ich kaum ein eigenes Leben. Ist da das Bedürfnis nach Abwechslung nicht verständlich?“

„Und dieses Bedürfnis hast du mit deiner regen Freizeitgestaltung im vergangenen Jahr nicht befriedigen können?“

Nush stieg die Hitze in die Wangen, als sie an die vielen Dates dachte, die sie absolviert hatte, und die vielen Partys, zu denen sie sich von Yana hatte schleppen lassen, obwohl sie für das alles wahrlich nicht gemacht war. Und das nur, um endlich über diese idiotische Verliebtheit hinwegzukommen. „Es hat nichts gebracht.“

„Ich brauche mehr, Nush.“

Sie riss den Kopf hoch. „Was soll das heißen?“

„Ich will wissen, warum du anfangen könntest, mich zu hassen, und offensichtlich schon auf dem besten Weg dahin bist. Mir ist schleierhaft, wie du darauf kommst, dass unsere Beziehung abstirbt und ‚verrottet‘.“

Es war kalte Wut, mit der er jedes Wort herausschleuderte, aber Nush hatte das Gefühl, dass sich diese Wut eher gegen ihn selbst als gegen sie richtete. Wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag fragte sie sich, ob sie Caio auch nur entfernt kannte.

„Was habe ich falsch gemacht, Princesa?“

Sie schluckte hilflos. „Gar nichts, Caio. Bitte … glaub mir, das liegt alles nur an mir. An mir und meiner blöden …“

Plötzlich ging die Schreibtischlampe an. Goldenes Licht fiel warm über ihr Gesicht. Er stand viel zu nah und es war unmöglich, ihn nicht anzuschauen. Oder ihn daran zu hindern, sie anzuschauen. Obwohl sie wusste, dass ihr ihre Gefühle und Wünsche und Sehnsüchte ins Gesicht geschrieben waren.

Trotzdem erwiderte sie fest seinen Blick.

In seiner dunkelgrauen Jogginghose und dem Anime-T-Shirt, das sie irgendwann einmal für ihn bedruckt hatte, sah er aus wie ein Racheengel, der Antworten verlangte, die sie ihm nicht geben wollte. Das T-Shirt war alt und verblasst und beim Waschen so eingelaufen, dass es sich eng an seinen muskulösen Oberkörper schmiegte.

Ihre Atemzüge wurden flach, als er den Ledersessel, in dem sie saß, zu sich drehte.

„Ich will die Wahrheit, Anushka.“

Diesmal schwang in seinem Ton eine Warnung mit, wobei ihr zu ihrem Erstaunen klar wurde, dass sie ihn heute tatsächlich verletzt hatte. Dass sie mit ihren Worten von Hass und Groll die Rüstung des unbesiegbaren Caio Oliveira durchschlagen und ihm eine Wunde zugefügt hatte.

Und auch wenn es irrational war, triumphierte ihre egoistische Seite, weil sie ihn auf diese verdrehte Art endlich erreicht hatte, obwohl sich der größere Teil von ihr schämte.

Als sie den Blick hob, sah sie, dass sich seine Augen verdunkelt hatten. Seine Nasenflügel bebten.

„Ach, Caio. Ich habe bereits Thaata verloren, und der Gedanke, dich auch noch zu verlieren …“ Ihr kamen die Tränen, ein Schluchzen drohte sich Bahn zu brechen.

Sie schloss die Augen, entschlossen, nicht zu weinen, aber ihre Kehle brannte und als Caio sie zu allem Überfluss auch noch in den Arm nahm, war alles zu spät.

Es waren heiße Tränen der Trauer und des Verlusts und einer tief sitzenden Angst, von den Menschen, die sie liebte, verlassen zu werden. Dass sie für immer einsam sein würde und …

„Schsch, Princesa“, flüsterte Caio immer wieder, die Arme lose, aber tröstlich um ihre Schultern gelegt. „Mich verlierst du nicht.“

Sein Körper war wie ein Schutzschild, der alle Probleme von ihr fernhielt. Obwohl es genau dieses Gefühl war, das ihre Misere verursacht hatte, doch das war jetzt auch egal.

Nush verweilte lange reglos in seiner Umarmung, getröstet von seinem soliden Gewicht. Sie wusste, dass sie ihm das T-Shirt nass weinte, aber sie wollte sich einfach nicht bewegen. Noch nicht.

Mit den Fingern seinen Oberarm umklammernd, die Wange gegen seine Brust gepresst, atmete sie tief durch in der Hoffnung, etwas von seiner Kraft in sich aufzunehmen.

Es war ein ungetrübter Moment des Trostes, der Sicherheit und des Friedens, wie sie ihn in ihrem Leben nur selten kennengelernt hatte. Vielleicht war das ja der Grund für die Anziehungskraft, die Caio auf sie ausübte, dieses nie endende Versprechen auf Sicherheit.

Schließlich versiegten ihre Tränen und ihr Verlangen erwachte. Dagegen anzukämpfen war unmöglich, weil ihr Gehirn längst gelernt hatte, sich an Caios Duft zu berauschen. Nush schlang ihre Arme fester um ihn und presste ihr Gesicht in seine Halsbeuge. Ließ ihre Lippen über seinen Hals wandern, kostete den Geschmack seiner Haut aus und nahm, durchströmt von einer köstlichen Leichtigkeit, seinen Geruch tief in sich auf.

Kaum einen Wimpernschlag lang verweilte ihr Becken auf der Wölbung in seinem Schritt, wobei sie hörte, wie Caio zischend die Luft einsog. Seine Hände legten sich auf ihre Hüften, umklammerten sie so fest, dass sie sich wie in einem Schraubstock fühlte.

„Nush?“ Mit maskenhaft starrem Gesicht suchte er ihren Blick.

Selbst jetzt verlangte ihre Feigheit, es einfach wegzulachen. So zu tun, als sei es unabsichtlich passiert, als hätte ihr Kummer sie unzurechnungsfähig gemacht. Sie spürte, wie ihr der Schweiß auf die Stirn trat.

Nein, diesmal würde sie ihrer Angst nicht nachgeben.

Weil nichts falsch war an ihrem Verlangen nach ihm. Und weil sie es satthatte zu versuchen, dieses Verlangen bei anderen Männern zu stillen! Was ja offenbar auch gar nicht funktionierte. Weil sie es satthatte, ihre Gefühle zu verstecken und sich selbst gleich mit.

Weil sie es satthatte, vor dem Leben davonzulaufen.

3. KAPITEL

Selbst wenn es Nush noch so schwerfiel, sich zu erklären, wusste sie doch, dass es jetzt keine Ausrede mehr gab.

„Ich … will das, Caio. Mit dir.“ Sehr langsam und darauf gefasst, weggestoßen zu werden, presste sie ihre Stirn gegen sein Kinn, wobei sie sich fühlte, als ob von dieser Berührung ihr Leben abhinge.

Als er reglos verharrte, sie aber auch nicht wegstieß, ließ sie ihren Worten freien Lauf. „Ich sage mir seit Monaten, dass es Wahnsinn ist, dich zu begehren, weil du mich einfach nicht so siehst.“ Ihr entfuhr ein Auflachen, während er immer noch schwieg. Da blitzte ein Hoffnungsstrahl in ihr auf und sie rannte weiter auf den Abgrund zu, bereit zu springen. „Und jetzt will ich weg, weil ich es in deiner Nähe einfach nicht mehr aushalte.“ Mit einem erstickten Laut krallte sie ihre Hand in sein T-Shirt. „Und nachdem du das jetzt weißt, verstehst du vielleicht, warum ich unmöglich hierbleiben kann, während du … neue Allianzen schmiedest. Es wäre leichter für mich, dich zu hassen, Caio, leichter, als mit ansehen zu müssen …“

„Himmel!“, stieß Caio hervor und es klang wie ein gutturales Knurren. Er senkte seinen Kopf in demselben Moment, in dem sie ihren hob. Dabei stieß er mit dem Kinn gegen ihren Wangenknochen. Er versuchte, den Schmerz des Zusammenpralls zu lindern, indem er ihr zart mit einer Fingerspitze über die Wange strich, während sie schwer atmend versuchte, sich von ihm zu lösen. Aber da lag ihr Mund auch schon auf seinem.

Vielleicht hatte sie ja ganz aufgehört zu atmen, vielleicht hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen. Alles in ihr wurde von einer großen Ruhe erfasst, während sie es auskostete, seinen Mund auf ihrem zu spüren.

Und zum ersten Mal seit vielen Monaten hatte Nush das Gefühl, als hätte sie sich einen Teil ihrer selbst zurückgeholt, den verloren zu haben sie gar nicht gewusst hatte. Sie wollte sich zu diesem Verlangen bekennen. Sie wollte zu ihren Entscheidungen stehen, egal, wie richtig oder falsch, wie erfolgreich oder zum Scheitern verurteilt sie auch sein mochten.

„Ich will nicht, dass das wie ein Unfall aussieht. Oder dass du es nur für eine Art Ventil für meine Trauer hältst. Weil das nämlich nicht stimmt. Weil es das ist, was ich seit Monaten will, Caio. Ich will dich küssen. Jetzt. Ich will wissen, ob du … ob du dasselbe fühlst wie ich. Ich will dieser Anziehung nachgeben, die ich verspüre. Weil ich Angst habe, dass ich es sonst mein Leben lang bereue.“

Nichts war Nush jemals so schwergefallen, wie jetzt reglos darauf zu warten, von ihm abgewiesen zu werden. Doch das passierte nicht. Er schaute sie nur an, aus dunkler gewordenen goldenen Augen, die Nasenflügel bebend, der ganze Körper angespannt.

Ihm ihr Begehren zu zeigen war wie ein Rausch. Viel erregender als ein rauer hungriger Kuss mit einem anderen Mann. Viel erregender, als irgendwo in der Dunkelheit eines Clubs mit einem Fremden zu knutschen.

Ein Atemzug folgte dem nächsten und übernächsten, während Nush ihre Finger in sein dichtes Haar schob, seinen Kopf weiter zu sich heranzog und ihren Mund wieder auf seinen presste.

Er hielt ihren Blick fest und allein das war ein Aphrodisiakum für sie, von dem sie sich angespornt fühlte. Hitze durchströmte sie, bis die Flammen in ihr hochschlugen, ihre Zweifel und Unsicherheiten erfassten, bis am Ende nur ein Häufchen Asche zurückblieb.

Der Kontrast zwischen seinen rauen Bartstoppeln und den weichen Lippen entlockte ihr ein leises Aufstöhnen. Im Wunsch nach mehr erforschte sie jeden Quadratzentimeter seines Mundes, jede Erhebung und Vertiefung, die festen Konturen seiner Oberlippe und die üppige Wölbung seiner Unterlippe.

Wie warmer Honig sickerte Verlangen in ihren Körper ein, tropfte herunter und sammelte sich in ihrem Unterleib. Wurde heißer und drängender und hungriger und …

Er erwiderte ihren Kuss. Er hatte ihren Kuss vom ersten Moment an erwidert.

Nur dass Caio jetzt – wieder einmal – beschloss, die Führung zu übernehmen.

Ihr Puls hämmerte in ihren Ohren, während Nush eine eilige Bestandsaufnahme neuer Empfindungen machte, die Aufmerksamkeit verlangten.

Seine Finger in ihrem Haar, seine andere Hand auf ihrer Hüfte, die sie näher heranzog, ihre Brüste an seinem harten Brustkorb und sein Mund … o Gott, sein Mund. Dieser Kuss war mehr, als sie sich jemals erträumt hatte, heißer und lüsterner als in ihren wildesten Fantasien.

Sie keuchte, jeder Muskel zitterte, ihre Haut glühte. Er gönnte ihr keine Ruhepause. Biss in ihre Unterlippe, und als sie wimmerte, küsste er den Schmerz weg und knurrte so verlangend, dass sie stöhnend die Lippen öffnete. Und sofort schlüpfte seine Zunge in ihre Mundhöhle. Schmeichelte, neckte, lockte und leckte, während sich seine Hand über ihren Rücken bewegte. ...

Autor

Tara Pammi

Tara schreibt sexy Romanzen mit anbetungswürdigen Helden und sexy Heldinnen. Ihre Heldinnen sind manchmal laut und rebellisch und manchmal schüchtern und nerdig, aber jede von ihnen findet ihren perfekten Helden. Denn jede Frau verdient eine Liebesgeschichte!

Tara lebt in Texas mit ihrem ganz persönlichen Helden und zwei Heldinnen in der...

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