Julia Gold Band 99

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DIE SINNLICHE RACHE DES MILLIARDÄRS von CAITLIN CREWS
Milliardär Nikos Katrakis kennt nur ein Ziel: das Herz der hübschen Tristanne zu brechen und sich an ihrer Familie zu rächen! Dumm nur, dass noch keine Frau zuvor derart leidenschaftliche Gefühle in ihm geweckt hat. Kann Nikos seinen Plan trotzdem in die Tat umsetzen?

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  • Erscheinungstag 09.07.2021
  • Bandnummer 99
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718435
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caitlin Crews, Cara Colter, Ally Blake

JULIA GOLD BAND 99

1. KAPITEL

Nikos Katrakis war der bei Weitem gefährlichste Mann an Bord der schnittigen Luxusjacht. Tristanne Barbery beobachtete, wie er an der Bar aus Marmor lehnte. Normalerweise hätte sie nur einen Blick auf einen so mächtigen Mann geworfen und wäre in die entgegengesetzte Richtung davongelaufen.

Ein Mann, in dessen Anwesenheit sogar das glitzernde blau-grüne Wasser des Mittelmeers seine Strahlkraft zu verlieren schien, war für Tristanne entschieden zu viel. Hier geht es nicht um dich, dachte sie und unterdrückte ihre Übelkeit und ihre Panik. Es ging nicht um sie, sondern um ihre Mutter Vivienne und deren erdrückende Schulden. Und Tristanne würde alles tun, um ihre Mutter zu retten.

Auf dem Schiff gab es noch jede Menge anderer reicher und mächtiger Männer in teuren Maßanzügen, die zur malerischen Küste der Côte d’Azur schauten. Links sah man die grünen Hügel und die pastellfarbenen Häuser von Villefranche-sur-Mer, rechts die roten Dächer von Cap Ferrat.

Aber Nikos Katrakis stach aus der Menge hervor. Das lag nicht nur daran, dass ihm die Jacht gehörte. Es lag auch nicht an seiner körperlichen Kraft, die er unter einem trügerisch gelassenen Äußerem verbarg. Tristanne spürte diese Kraft, auch wenn er in der schlichten Jeans und dem weißen Hemd, das er am Hals offen trug, betont lässig wirkte.

Es lag an ihm.

Es lag an der Art, wie er dort stand, gebieterisch und unnahbar und dabei so einsam, obwohl er der Mittelpunkt der Party war. Eine raue, unverkennbar männliche Energie ging von ihm aus. Jeder bemerkte sie, und nur die Tapfersten trauten sich in seine Nähe. Selbst wenn er unattraktiv gewesen wäre, wäre er unwiderstehlich – so viel Macht strahlte er aus.

Aber Nikos Katrakis war alles andere als unattraktiv. Tristanne konnte ihre Augen nicht abwenden. Er ist noch mächtiger als mein verstorbener Vater, aber nicht so eiskalt, dachte sie. Sie spürte, dass er kein Unmensch war wie ihr Bruder Peter, der sich geweigert hatte, die Arztrechnungen ihrer Mutter zu bezahlen. Er war so herzlos gewesen, Tristanne ins Gesicht zu lachen, als sie ihm von ihrer Verzweiflung erzählt hatte.

Irgendetwas an Nikos sagte ihr, dass er ganz anders war. Sie musste bei ihm an einen Drachen denken – er wirkte gefährlich und so, als würde er über magische Kräfte verfügen. Er war einfach zu männlich. Seine Macht schien ihn wie einen elektrisch geladenen Zaun zu umgeben. Drache, dachte sie noch einmal.

Plötzlich zuckte es in ihren Fingern, so gern hätte sie die kühnen, fast schon scharfen Konturen seines Gesichts berührt. Dabei wusste sie, dass Peter ihr das übel nehmen würde.

Und genau aus diesem Grund musste es unbedingt Nikos Katrakis sein. Aber sie verschwendete ihre Zeit, wenn sie ihn nur anstarrte. Sie musste ihren Mut zusammenzunehmen.

Peter würde schon bald nach ihr suchen. Sie wusste, dass er ihr nicht traute, obwohl sie seinem Plan zugestimmt hatte. Und sie würde sich an den Plan halten, oder zumindest so tun als ob. Aber sie würde nach ihren eigenen Spielregeln vorgehen und den Mann wählen, den Peter mehr als jeden anderen Menschen hasste – den Mann, den Peter als seinen ärgsten Konkurrenten betrachtete.

Tristannes Nervosität wuchs, ihr Puls schlug wie wild, und ihre Beine zitterten. Sie konnte nur hoffen, dass Nikos Katrakis es nicht bemerkte, dass er nur das sah, was laut Peter alle Menschen in ihr sahen: ein eiskaltes Mitglied der Barbery-Familie.

Es wird Zeit, dass du deine Vorzüge zu unserem Wohl einsetzt, hatte Peter zu ihr gesagt. Tristanne versuchte, diesen Augenblick aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen. Nicht jetzt, wo so viel auf dem Spiel stand. Es ging um das Leben ihrer Mutter. Es ging um ihre eigene Unabhängigkeit, für die sie so hart gekämpft hatte. Tristanne holte tief Luft, schickte ein Stoßgebet gen Himmel und zwang sich, auf Nikos Katrakis zuzugehen, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Nikos sah von seinem Drink auf, und ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren nur etwas heller als sein dichtes Haar und funkelten wie Gold. Tristanne hielt die Luft an, eine Welle der Hitze ging durch sie, verbrannte sie.

Der Lärm der Partygäste, die klirrenden Gläser und das leise Lachen, alles um sie herum schien plötzlich zu verstummen. Sie vergaß ihre Angst und ihren Plan. Es war so, als würde die ganze Welt – die glitzernde Weite der französischen Riviera, das endlose blau-grüne Mittelmeer – mit seinem heißen, goldäugigen Blick verschmelzen. Die Welt wird von ihm aufgesogen, flüsterte eine Stimme in ihrem Hinterkopf.

„Miss Barbery“, begrüßte Nikos sie. Sein leichter griechischer Akzent ließ seine Stimme wie eine raue Liebkosung klingen. Fast schon wie ein Befehl, obwohl er seine lässige Haltung nicht aufgab. Er lehnte an der Bar, in der einen Hand schwenkte er ein Glas mit einem bernsteinfarbenen Getränk. Mit einem wissenden Blick betrachtete er sie. Ein Schauder ging durch Tristanne – wie eine Warnung, dass sein Äußeres über sein wahres Inneres hinwegtäuschte.

Er war nicht gleichgültig. Er war auch nicht entspannt. Er tat nur so.

Aber vielleicht irrte sie sich auch. Ihr Bruder, dem nur an Geld und Macht gelegen war, wäre nicht so von diesem Mann besessen, wenn er kein würdiger Gegner wäre.

„Sie kennen meinen Namen?“, fragte sie. Trotz ihrer inneren Unruhe schaffte sie es, Haltung zu bewahren. Der alte Charakterzug der Barbery-Familie, dachte sie: Sie wirkte oft, als wäre sie völlig gelassen, obwohl sie innerlich aufgewühlt war. Diese Lektion hatte sie von ihrem Vater gelernt – oder vielmehr hatte sie bei ihm darunter gelitten. Und schließlich wollte sie Nikos Katrakis doch für ihre eigenen Zwecke benutzen und nicht seinem legendären Charme erliegen. Also musste sie stark sein!

„Aber natürlich.“ Er zog eine Augenbraue hoch, und ein Lächeln glitt über seinen sinnlichen Mund. „Ich kann mit Stolz sagen, dass ich die Namen aller meiner Gäste kenne. Ich bin Grieche. Gastfreundschaft wird bei mir großgeschrieben.“

In seiner Stimme lag ein leiser Vorwurf. Tristannes Magen zog sich zusammen, während er sie mit Augen betrachtete, die zu viel sahen. Als wäre er eine Katze und sie eine Maus, die dem Untergang geweiht war.

„Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten“, stieß sie hervor. Sie war nicht in der Lage, die Rolle zu spielen, die sie sich vor ein paar Stunden zurechtgelegt hatte, als sie erkannt hatte, wohin Peter sie an diesem Nachmittag führte. In der Art, wie Nikos sie ansah – so ruhig, so direkt, so amüsiert –, lag etwas, das ihr das Gefühl gab, das Glas Wein, an dem sie nur genippt hatte, wäre ihr bereits zu Kopf gestiegen.

„Entschuldigen Sie bitte“, murmelte sie. Überrascht musste sie feststellen, dass ihre Wangen glühten. Dabei hatte sie bis heute gedacht, dass sie niemals in ihrem Leben erröten würde! „Ich wollte mir eigentlich noch etwas Zeit lassen. Sie müssen mich für den unhöflichsten Menschen auf Erden halten.“

Sein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln, doch seine rätselhaften Augen blieben ernst. „Sie haben noch nicht gesagt, um was für einen Gefallen Sie mich bitten wollen.“

Tristanne hatte plötzlich den Eindruck, dass Nikos Katrakis trotz der Anwesenheit von so vielen Menschen gefährlicher war als Peter und sein teuflischer Geheimplan. Was für ein absurder Gedanke! Du musst stark sein! ermahnte sie sich. Dennoch konnte sie das Gefühl von Gefahr nicht abschütteln.

Genauso wenig konnte sie das, was jetzt kommen musste, abwenden. Obwohl ihr die Stimme der Vernunft sagte, dass sie damit einen Fehler von unermesslicher Tragweite beging. Auch wenn sie noch so eigenständig und unabhängig war, würde sie vielleicht nicht über die Stärke verfügen, die man im Umgang mit diesem Mann brauchte. Man durfte sich niemals Hals über Kopf in die Höhle eines Drachen begeben. Jeder Mensch, der einmal ein Märchen gelesen hatte, wusste das.

Sie biss sich auf die Unterlippe und zog die Stirn leicht kraus, denn sie hatte das Gefühl, mit jeder Sekunde stärker in seinen Bann gezogen zu werden. Das Problem war nur, dass ihr das nicht halb so viel Angst machte, wie es eigentlich sollte.

„Was für ein Gefallen?“, gab er das Stichwort. Über sein Gesicht zog ein spöttisches Lächeln, als ob er bereits wüsste, um was sie ihn bitten wollte.

Der Gedanke war kindisch. Natürlich konnte er es nicht wissen. Tristanne hatte viel über Nikos Katrakis gehört: Er war ebenso rücksichtslos wie unwiderstehlich. Er hatte sich ohne fremde Hilfe aus armen Verhältnissen zu unermesslichem Reichtum und Einfluss hochgearbeitet. Er duldete weder Dummheit noch Treulosigkeit – und jeder seiner geschäftlichen Erfolge löste bei ihrem Bruder einen Wutanfall aus. Allerdings hatte sie noch nie gehört, dass er über die Eigenschaft verfügte, Gedanken lesen zu können.

„Ach, ja“, erwiderte Tristanne. Ihre Stimme klang ruhig. Selbstbewusst. Dabei sah es in ihrem Inneren ganz anders aus. „Es ist nur ein ganz kleiner Gefallen und, wie ich hoffe, ein nicht ganz unangenehmer.“

In diesem Moment hätte sie die Sache am liebsten abgeblasen. Fast hätte sie die panischen Botschaften, die ihr Körper aussandte, befolgt. Fast hätte sie sich überzeugt, dass es nicht gerade dieser einschüchternde Mann sein musste. Jeder andere hätte den Zweck ebenfalls erfüllt.

Doch dann schaute sie zur Seite, um dem prüfenden Blick von Nikos Katrakis zu entgehen, und sah ihren Bruder, der sich einen Weg zur Bar bahnte. Halbbruder, verbesserte sie sich selbst, als ob das einen Unterschied gemacht hätte.

Als Peter sie und Nikos Katrakis erblickte, zog er wie immer ein mürrisches Gesicht. Hinter ihm ging der Geschäftsmann mit dem feuchten Händedruck, den Peter für sie auserkoren hatte. Wenn Tristanne ihm nur ein paar kleine Gefälligkeiten erweisen würde, wäre dieser Mann sein Fahrschein aus dem finanziellen Ruin. So sah, grob zusammengefasst, der Plan ihres Bruders aus.

„Das Schicksal unserer Familie liegt in deinen Händen“, hatte er ihr sechs Wochen zuvor ganz sachlich eröffnet, als würde es dabei nicht auch um ihre Zukunft und ihr Leben gehen.

„Ich verstehe nicht ganz“, hatte sie geantwortet. Sie trug noch das schwarze Kleid für die Trauerfeier ihres Vaters, die am Vormittag stattgefunden hatte. Um Gustave Barbery trauerte sie jedoch nicht. Allerdings würde sie wahrscheinlich ihr Leben lang um den Vater trauern, der Gustave nie gewesen war. „Ich will nur meinen Treuhandfonds.“

Dieser verdammte Treuhandfonds. Sie hasste ihn, weil ihr Vater gedacht hatte, der Fonds würde es ihm erlauben, seine Tochter gefügig zu machen. Aber noch mehr hasste sie es, dass Peter nach dem Tod ihres Vaters zu ihrem Treuhandverwalter geworden war. Und dass sie sich zum Wohl ihrer Mutter seinem Willen fügen musste, um an das Geld zu kommen.

Sie wollte weder mit dem Vermögen der Barberys noch mit den damit verbundenen Pflichten zu tun haben. Jahrelang war sie stolz gewesen, dass sie von dem Geld leben konnte, das sie mit ihrer Arbeit verdiente. Aber dieser Stolz war zu einem Luxus geworden, den sie sich nicht mehr leisten konnte.

Nachdem Gustave erkrankt war, hatte sich auch der Gesundheitszustand ihrer Mutter rapide verschlechtert. Die Schulden ihrer Mutter waren in schwindelerregende Höhe geschossen, nachdem Peter die Verwaltung des Barbery-Vermögens übernommen und Viviennes Rechnungen nicht mehr bezahlt hatte. Diese Aufgabe fiel jetzt Tristanne zu. Aber mit dem Geld, das sie mühselig als freie Künstlerin in Vancouver verdiente, war es ihr leider unmöglich.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als mit Peter zu kooperieren. Sie hoffte, dass sie den Treuhandfonds benutzen könnte, um ihre Mutter vor dem finanziellen Ruin zu bewahren. Am liebsten hätte sie geweint, aber sie konnte – und wollte – diese Schwäche vor Peter nicht zeigen.

„Du musst gar nichts verstehen“, herrschte Peter sie an. In seinem kalten Blick mischten sich Siegesfreude und Bosheit. „Tu einfach, was ich dir sage. Such dir einen reichen Mann und mach ihn dir gefügig. Das dürfte ja wohl selbst für dich nicht zu schwer sein, oder?“

„Ich begreife nicht, wie dir das helfen sollte“, entgegnete Tristanne. Sie blieb sachlich und höflich, obwohl sich ihr Magen verkrampfte.

„Kümmer dich einfach nur um deine Aufgabe“, blaffte Peter. „Eine Liebesgeschichte mit einem vermögenden Mann schafft bei meinen Geldgebern Vertrauen. Und glaub mir, Tristanne, dir ist sehr daran gelegen, dass sie Vertrauen haben. Wenn aus dem Geschäft nichts wird, verliere ich alles. Und deine unnütze Mutter wird das erste Opfer sein.“

Tristanne verstand nur zu gut. Peter hatte aus seiner Verachtung für ihre Mutter nie einen Hehl gemacht. Gustave hatte die Geschäfte zu Beginn seiner langen Krankheit in die Hände seines Sohnes gelegt. Tristanne hatte er schon vor Jahren wegen ihrer Aufsässigkeit den Geldhahn zugedreht.

Ihr Vater hatte vermutlich geglaubt, dass sein Sohn für seine zweite Ehefrau sorgen würde und deshalb in seinem Testament keine besonderen Vorkehrungen getroffen. Doch Tristanne wusste, dass Peter seit Jahren nur darauf gewartet hatte, Vivienne Barbery dafür zahlen zu lassen, dass sie bei seinem Vater den Platz seiner verstorbenen Mutter eingenommen hatte.

Ihre anfällige Gesundheit deutete er so, dass sie nur auf Aufmerksamkeit aus war, und er ließ ihre Schulden immer weiter ansteigen. Peter war zu allem fähig.

„Was muss ich tun?“, hatte Tristanne hölzern gefragt. Was auch immer er von ihr verlangte, sie würde es schaffen.

„Es ist mir egal, ob du ihn heiratest oder nur mit ihm ins Bett gehst“, hatte Peter erwidert. „Solange du dafür sorgst, dass es in ganz Europa in der Klatschpresse steht. Du musst alle Welt davon überzeugen, dass unsere Familie auf sehr viel Geld zurückgreifen kann. Hast du verstanden, Tristanne?“

Auf der Katrakis-Jacht sah Tristanne jetzt von dem reichen Geschäftsmann zu ihrem Bruder, in dessen Augen sie nur Hass las. Sofort verschwand ihre Unentschlossenheit. Sie wollte lieber im Feuer von Nikos Katrakis verbrennen – und Peter ärgern, indem sie sich seinen Erzfeind aussuchte –, als sich in ein noch schlimmeres Schicksal ergeben.

Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Nikos Katrakis richtete, war das Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Obwohl er noch immer lässig an der Bar lehnte, spürte Tristanne, dass sein muskulöser Körper in höchste Alarmbereitschaft versetzt war. Sie konnte die ungeheure Kraft spüren, die von ihm ausging, und rang nach Luft.

Ich begehe einen furchtbaren Fehler, dachte sie. Aber sie musste es tun, es gab keinen anderen Ausweg.

„Ich möchte, dass Sie mich küssen“, sagte sie laut und bestimmt. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie räusperte sich. „Wenn es Ihnen keine Umstände bereitet.“

Nikos hatte mit vielen Dingen gerechnet, die im Laufe des Nachmittags passieren könnten. Er wäre allerdings nie darauf gekommen, dass sich die Barbery-Erbin ihm anbieten würde.

Er spürte ein Siegesgefühl in seinen Adern und war sich sicher, dass sie es ebenfalls bemerkte. Wie sollte es ihr entgehen?

Aber sie sah ihn mit ihren Augen, die die Farbe von feinster Schokolade hatten, nur an. Beinahe hätte ihn ein dunkles Gefühl der Befriedigung übermannt. Stattdessen lächelte er nicht allzu freundlich, trotzdem sah sie nicht weg.

Sie hatte Mut. Mehr Mut als ihr feiger, ehrloser Bruder.

Doch ihr Mut würde ihr auch nicht helfen.

„Warum sollte ich Sie küssen?“, fragte er. Zufrieden sah er, dass sie errötete. Er spielte mit seinem Glas und deutete mit dem Handgelenk auf die anderen Gäste. „Auf dem Schiff sind viele Frauen, die alles dafür geben würden, mich zu küssen. Warum sollte ich mich für Sie entscheiden?“

Für einen kurzen Moment sah sie überrascht aus, dann schluckte sie und setzte ein Lächeln auf. Es war das falsche Lächeln der oberen Zehntausend. Nikos wusste, dass es eine gefährliche Waffe war.

„Ich dachte, es hilft, wenn ich Sie einfach frage“, antwortete sie und reckte das stolze Kinn vor. Sie senkte die Lider, dann sah sie ihn unverblümt an. „Und es ist allemal besser, als würde ich in unangemessener Kleidung hier herumlaufen und hoffen, dass mein Dekolleté ein gutes Wort für mich einlegt.“

Ob Nikos wollte oder nicht – das Gespräch amüsierte ihn. Aber eigentlich wollte er sie vernichten. Denn sie war eine Barbery, und er hatte vor langer Zeit geschworen, dass er nicht eher Ruhe geben würde, bis er die gesamte Familie in den Ruin getrieben hatte. Er machte einen Schritt auf sie zu, bis ihre Körper sich beinahe berührt hätten. Sie wich nicht zurück.

Er wünschte, das Spiel würde ihm nicht so gut gefallen. Aber es gefiel ihm. Sogar sehr.

„Manche Frauen haben keine Skrupel, ihre Vorzüge meistbringend einzusetzen“, bemerkte er und stellte den Drink auf der Bar ab. „Dieser Punkt geht an Sie.“

Nicht zum ersten Mal musterte er sie von oben bis unten. Allerdings stand sie ihm heute zum ersten Mal direkt gegenüber. Die sanften Wellen ihres dunkelblonden Haars, die wachen Augen, der schlanke Körper in dem eleganten Etuikleid – alles an ihr war unwiderstehlich. Und das lag nicht so sehr an ihrer Schönheit, sondern vielmehr an den kleinen Unebenheiten. Das stolze Kinn. Die unverhohlene Intelligenz. Die Anspannung in ihren Schultern, die sie zu verbergen suchte und die darauf hindeutete, dass ihr die Bitte nicht ganz leicht gefallen war.

Seine Augen wanderten wieder zu ihrem Gesicht. Amüsiert stellte er fest, dass sie für einen Augenblick erstarrte, bevor sie ein Lächeln aufsetzte.

„Was haben Sie zu bieten, was keine andere hat?“, fragte er, als ließe ihr Anblick ihn ungerührt.

Sie machte keinen Schritt zurück, wie es andere an ihrer Stelle wohl getan hätten. Vielmehr zog sie eine Augenbraue herausfordernd hoch.

„Mich“, erwiderte sie knapp.

Überrascht stellte Nikos fest, dass sie ihn erregte. Das hatte er nicht erwartet – eigentlich hätte er sie wegen ihrer Familie verachten sollen. Aber Tristanne Barbery war nicht so, wie er sie sich vorgestellt hatte.

Sie war in den vornehmsten Mädcheninternaten Europas unterrichtet worden. In den letzten Jahren hatte er immer wieder Fotos von ihr gesehen: Sie hatte natürlich gewirkt, aber vielleicht lag das nur an den Aufnahmen. Jetzt wusste er, dass ein Foto dieser Frau niemals gerecht werden konnte. Sie sprühte förmlich vor Leben – als würde das Leben wie ein Feuer in ihrem Inneren tanzen.

Er wollte sie berühren.

Und dann wollte er sie ins Verderben stürzen, genauso wie ihr Bruder seine Schwester Althea ins Verderben gestürzt und seinen Vater in den Ruin getrieben hatte.

„Auch dieser Punkt geht an Sie“, sagte er und versuchte, die Vergangenheit auszublenden. Er berührte eine Strähne von Tristannes Haar. Es war weich wie Seide. Ihre Lippen öffneten sich leicht. Der Anblick erregte ihn noch mehr. „Aber ich habe nicht die Angewohnheit, fremde Frauen vor aller Augen zu küssen“, fuhr er mit leiser Stimme fort, die nur für ihre Ohren bestimmt war. „Irgendwie findet das nämlich immer den Weg in die Klatschblätter.“

„Tut mir leid“, flüsterte Tristanne und sah ihm herausfordernd in die Augen. „Ich dachte, Sie wären für Ihre Furchtlosigkeit bekannt. Für Ihren Mut, gegen alle Regeln zu verstoßen. Ich muss Sie mit einem anderen Nikos Katrakis verwechselt haben.“

„Ich bin untröstlich“, erwiderte er, ohne den Blick von ihr zu lösen. „Ich hatte beinahe geglaubt, dass es an meinem guten Aussehen liegt, dass Sie unbedingt einen Kuss von mir wollen. Dabei sind Sie wie alle anderen. Stehen Sie auf reiche Männer, Miss Barbery? Reisen Sie ihnen um die ganze Welt hinterher und sammeln Küsse wie kleine Mädchen Autogrammkarten?“

„Ganz und gar nicht, Mr. Katrakis“, antwortete sie. „Im Allgemeinen reisen reiche Männer mir hinterher. Ich wollte Ihnen die Mühe ersparen.“

„Sie sind zu freundlich, Miss Barbery.“ Jetzt fuhr er mit dem Finger über die zarte Haut ihrer Schulter. Er spürte, wie sie ganz leicht bebte, und hätte beinahe gelächelt. „Aber vielleicht will ich das, was mir gehört, mit niemandem teilen.“

„Sagte der Mann mit der Jacht, auf der mehr Besucher waren, als er zählen konnte“, konterte sie.

„Ich habe weder die Jacht noch die Gäste jemals geküsst.“ Er legte den Kopf schief. „Zumindest nicht alle Gäste.“

„Dann müssen Sie mir Ihre Regeln erklären“, antwortete sie. Ihre Lippen zuckten, als müsste sie sich ein Lachen verkneifen. Nikos hatte keine Ahnung, warum er das so faszinierend fand. „Obwohl es mich doch überrascht, dass es so viele Regeln in Ihrem Leben gibt. So viel also zu den Geschichten über Nikos Katrakis, den Mann, der sich nicht um Traditionen und Regeln schert, sondern seinen eigenen Weg geht. Diesen Mann würde ich sehr gern kennenlernen.“

„Es gibt nur einen Nikos Katrakis, Miss Barbery.“ Er war ihr jetzt so nah, dass er ihr Parfüm roch, unaufdringlich, würzig mit einer leicht blumigen Note. Ob sie wohl auch so schmecken würde? „Ich hoffe, Sie sind nicht am Boden zerstört, weil ich derjenige bin.“

„Das kann ich jetzt noch nicht sagen“, entgegnete sie und sah ihm tief in die Augen. „Schließlich haben Sie mich noch nicht geküsst.“

„Ach so“, sagte er. „Und jetzt muss ich es einfach tun, nicht?“

„Natürlich.“ Sie legte den Kopf schief und lächelte. Ihr Blick war herausfordernd, und Nikos wäre nicht der erfolgreiche Geschäftsmann, der er war, wenn er sich jemals vor einer Herausforderung gedrückt hätte. „Meinen Sie nicht?“

So hatte er sich die Sache nicht vorgestellt. Es stand für ihn zu viel auf dem Spiel, als dass er sich hinreißen lassen durfte. Er musste sich an dem verstorbenen Gustave Barbery und seinem widerlichen Sohn Peter rächen.

In den letzten zehn Jahren hatte er auf die Gelegenheit zur Rache hingearbeitet. Und die Gelegenheit hatte sich ihm ein ums andere Mal geboten. Er hatte hier etwas nachgeholfen, dort eine Andeutung fallen lassen, und das Barbery-Vermögen war erheblich geschrumpft.

Allerdings hatte Nikos nie vorgehabt, das Mädchen mit hineinzuziehen. Er war nicht wie Peter Barbery, der Althea Katrakis aus eiskalter Berechnung verführt, geschwängert und dann verlassen hatte. Er war auf keinen Fall wie die Barberys! Allerdings hätte er niemals damit gerechnet, dass sich die Schwester seines Erzfeindes ihm auf diese Weise anbieten würde.

Oder dass sie ihn – und das war noch aufregender und gefährlicher – dazu verleiten könnte, seine eiserne Selbstkontrolle über Bord zu werfen. Er war nicht abgeneigt, sie als Mittel zum Zweck einzusetzen, um ihre Familie in den Ruin zu treiben. Allerdings hätte er nicht gedacht, dass er sie trotzdem begehren könnte.

„Vielleicht haben Sie recht“, sagte er ruhig. Der kühne Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand für einen kurzen Augenblick. Nikos bemerkte es und empfand einen kleinen Triumph. Sie war nicht so eiskalt, wie sie vorgab. Er fragte sich allerdings nicht, warum ihm das so gefiel.

Er legte eine Hand auf ihren Nacken. Die Berührung war wie ein kleiner Stromstoß – und Begehren war ihr Echo. Tristannes Augen weiteten sich, dann legte sie ihre Hände auf seine festen Brustmuskeln.

Weil alle Augen auf dem Deck der Jacht neugierig auf sie gerichtet waren, zögerte er den Augenblick hinaus. Ganz gleich, welches Spiel sie auch immer mit ihm treiben wollte, sie konnte nicht die geringste Ahnung haben, mit wem sie es zu tun hatte. Sie war sich nicht bewusst, was sie in Gang gesetzt hatte, als sie an ihn herangetreten war.

Aber er wusste es genau. Er hatte den langen, kalten Krieg gewonnen. Tristanne Barbery war nur die letzte Karte, die das Kartenhaus des Barbery-Imperiums ein für alle Mal zum Einsturz bringen würde. So wie Tristannes Familie ihn vor langer Zeit beinahe in den Ruin getrieben hatte.

Endlich war er am Ziel. Doch anstatt den schwer verdienten Sieg zu genießen, starrte er fasziniert auf den üppigen Schwung ihrer Lippen.

Dann zog Nikos sie an sich und küsste sie.

2. KAPITEL

Feuer!

Das hätte Tristanne am liebsten gerufen.

Stattdessen küsste sie ihn. Ihre Zungen berührten sich in einer heißen Liebkosung. Jede Faser ihres Körpers schien sie vor der Gefahr zu warnen, ihr Magen verkrampfte sich und ihre Haut spannte.

Bisher hatte sie nur an ihre Bitte gedacht und sich nicht vorgestellt, wie es sein würde, diesen Mann tatsächlich zu küssen. Er hielt sich nicht zurück. Er war fordernd. Er nahm sie in Besitz.

Und sie bekam nicht genug von ihm.

Mit den Lippen zeichnete er ihren Mund nach, dann drang seine Zunge in sie und erforschte die ihre mit einer solchen Geschicklichkeit, dass Tristanne vor Verlangen zitterte.

Sein Kuss war so sinnlich, als wären sie allein, nackt. Heiß spürte sie seine Hand in ihrem Nacken, als wollte er ganz und gar von ihr Besitz ergreifen. Er schmeckte nach teurem Whiskey und Salz, ungeheuer männlich und beängstigend gefährlich.

Es kam ihr vor, als würde ein Feuer sie für Millionen Jahre verzehren. Dann hob er den Kopf, und in seinen goldenen Augen sah sie Verlangen brennen. Tristannes Knie wurden weich.

Sie unterdrückte den Wunsch, eine Hand an die Lippen zu pressen, um zu prüfen, ob sein Kuss Spuren hinterlassen hatte. Ihr Mund fühlte sich an, als gehörte er nicht länger ihr. Als ob Nikos ihm sein Zeichen aufgedrückt hatte. Der Gedanke ließ sie innerlich frohlocken.

Du Dummkopf.

Natürlich wusste Tristanne im Grunde genau, dass man mit einem solchen Mann keine Spielchen trieb. Als er sie jetzt mit dunklen Augen ansah und sie überall dort erbebte, wo er sie berührte, erkannte sie mit plötzlicher Gewissheit, dass sie niemals die Kontrolle über ihn erlangen würde. Niemals.

Ihr Wunsch, Peter herauszufordern, hatte sie in große Schwierigkeiten gebracht.

Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, warum sie es tat! Sie musste an ihre Mutter denken!

„War das genug?“

Ein seltsames Leuchten in seinen Augen ließ ihre Haut kribbeln. Nikos machte einen Schritt zurück und zog seine Hand ganz langsam von ihrem Nacken.

Nur mit größter Mühe schaffte Tristanne es, nicht vor Erregung zu zittern. Sie wusste, dass er jede Gefühlsregung gegen sie verwenden würde.

„Ich denke schon“, brachte sie hervor. Ihre Brüste waren angespannt und schwer. Am liebsten hätte sie sie an seine harte Brust gedrückt. Es kam ihr vor, als hätte er ihren Körper gegen sie aufgestachelt. Sie zwang sich, tief durchzuatmen.

„Heißt das, Sie wissen es nicht genau?“ Sein sinnlicher Mund lächelte amüsiert. „Dann habe ich wohl etwas falsch gemacht.“

In diesem Moment bemerkte Tristanne, dass sie ihn immer noch berührte. Ihr war schwindelig, ihr Atem ging flach, aber ihre Hände lagen noch auf seiner Brust. Durch den Stoff seines Hemdes spürte sie die Hitze in ihm. Sie hätte sich längst von ihm losmachen sollen, aber sie hielt sich noch an ihm fest, als würde sie sonst vom Rand der Welt fallen.

Reiß dich zusammen! befahl sie sich. Sie dachte an Viviennes blasses, eingefallenes Gesicht, an ihren quälenden Husten und die Schlaflosigkeit. Sie musste einen klaren Kopf bewahren, sonst wäre alles verloren. Ihr blieb keine andere Wahl.

Sie ließ die Hände sinken. Sein Lächeln kam ihr noch spöttischer vor. Und das half ihr, sich gerade aufzurichten und daran zu denken, was sie zu tun hatte. Und für wen.

„Sie haben alles richtig gemacht“, sagte sie zu ihm und gab sich Mühe, gelassen zu klingen. Fast schon gelangweilt, obwohl ihr Herz wie wild raste.

Äußerlich war ihm nichts anzumerken, dennoch spürte Tristanne, dass Nikos innerlich auf der Hut war, wie ein Raubtier vor dem Sprung. Oder wie ein Drache, der jeden Moment Feuer spucken konnte.

„Tatsächlich?“, fragte er kalt.

„Ja.“ Tristanne zuckte betont lässig mit den Schultern, als ob sie nicht spüren würde, wie ihre Wangen glühten. Als ob er sie mit einem einzigen Kuss nicht völlig durcheinander gebracht hätte.

Doch ganz gleich, wie betörend Nikos Katrakis und dieser Kuss auf sie wirkten, mit einem Mal spürte sie deutlich, wie aufgebracht Peter war. Ihr Bruder war näher gekommen und stand jetzt in einer Entfernung, aus der er ihr Gespräch mit Nikos hören konnte. Sie musste gar nicht in seine Richtung sehen, um zu wissen, wie finster er sie anblickte. Die Wut brannte in seinen Augen, die ihren ähnlich gewesen wären, wenn sie nicht so kalt und grausam ausgesehen hätten.

„Vielleicht sollten wir das Ganze vertiefen“, schlug Nikos vor. Seine Stimme klang weich wie Samt und entfachte ein Feuer in ihr. Für einen Moment vergaß sie Peter. „Ich würde Ihnen gern noch einen weiteren Gefallen erweisen. Ich möchte Sie ja nicht enttäuschen.“

„Sie sind zu großzügig“, murmelte sie und schlug die Augen nieder – aus Angst, dass er in ihnen zu viel lesen könnte.

„Ich habe viele Eigenschaften, Miss Barbery.“ Nikos’ Stimme klang sanft, aber als sie den Blick hob, war sein Blick hart. „Großzügigkeit gehört allerdings nicht dazu. Ich rate Ihnen, das immer im Hinterkopf zu behalten.“

Tristanne wusste, was sie zu tun hatte. Noch bevor Peter seine widerwärtigen Bedingungen genannt hatte, war sie entschlossen gewesen, alles zu tun, um ihre Mutter zu retten.

Was interessierte es sie, ob das Barbery-Imperium zusammenbrach? Schon seit Jahren hatte sie damit nichts mehr zu tun. Aber sie konnte sich nicht von ihrer armen Mutter abwenden. Besonders jetzt nicht, nachdem Gustave, den ihre Mutter blind geliebt hatte, dafür gesorgt hatte, dass sie Peter auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.

Als ihr Vater noch lebte, hatte Tristanne sich aus allem herausgehalten. Jetzt aber konnte sie ihre schwache Mutter nicht im Stich lassen. Tristanne war ihre einzige Hoffnung.

Das bedeutete allerdings auch, dass ihr jetzt nur ein Weg blieb.

„Wie schade“, sagte sie ganz ruhig, obwohl Panik in ihr aufstieg. Ihr Bruder bluffte nicht, das wusste sie. Er hatte jedes schlimme Wort, das er ihr gesagt hatte, auch so gemeint. Und er würde nicht eher Ruhe geben, bis sie dafür gesorgt hatte, dass das Vermögen der Familie gesichert wäre. Wenn sich Tristanne ihm widersetzte, würde er ihre Mutter ohne mit der Wimper zu zucken auf die Straße setzen.

Allerdings wusste sie nicht, was geschehen würde, wenn sie sich seinen Wünschen fügte.

„Warum schade?“, fragte Nikos und betrachtete sie aufmerksam. „So ist es nun einmal.“

„Es ist schade“, zwang sich Tristanne zu antworten. „Ich habe nämlich gehört, dass Sie momentan keine Geliebte haben, und hatte gehofft, dass ich die nächste sein würde.“

In seinen goldenen Augen flackerte es kurz. Sie hielt seinem Blick stand, als wäre sie tatsächlich so mutig, wie ihre Worte es vermuten ließen. Sie musste mutig sein.

„Als Ihre Geliebte“, fuhr sie fort – da Peter zuhörte, musste sie es sagen, auch wenn es ihr die Kehle zuschnürte –, „wäre ich auf Ihre Großzügigkeit angewiesen.“

Nikos sah sie lange an. Sein Blick durchbohrte sie, bis ihr der Atem stockte. Dennoch blieb er äußerlich ganz ruhig, als hätte sie sich ihm nicht gerade wie eine Prostituierte angeboten.

Aber dann lächelte Nikos, und sein Lächeln jagte eine Welle der Erregung durch ihren Körper.

Eines Tages hatte dieser Moment kommen müssen, und Nikos genoss jede Sekunde. Er hätte niemals zu träumen gewagt, dass die Schwester seines Erzfeindes sich ihm freiwillig anbieten würde. Jetzt hatte er den letzten Kampf gewonnen, die Rache war sein.

Auch ohne Peter Barbery anzusehen, spürte er dessen Wut. Die Rache war so süß, wie er sie sich in den letzten Jahren immer vorgestellt hatte. In dieser Zeit war alles nach Nikos’ sorgfältig durchdachtem Plan verlaufen: Er hatte die Schlinge um den Hals der Familie Barbery immer fester zugezogen und sie langsam in den Ruin getrieben.

Er wünschte nur, dass sein abweisender Vater und seine aufbrausende Halbschwester und ihr ungeborenes Kind den Triumph noch miterlebt hätten. Sie hätten sehen sollen, dass er sein Wort hielt und die Familie Barbery zu Fall brachte. Doch sie hatten ihm die Schuld an ihrem Schicksal gegeben und waren gestorben: erst Althea, die sich mit gebrochenem Herzen das Leben nahm, dann sein Vater, den er Zeit seines Lebens vergeblich zu beeindrucken versucht hatte. Aber ihr Tod war für Nikos ein Ansporn gewesen.

So wie ihm alles im Leben als Ansporn diente. Er hatte sich weder von einer Kindheit in den Athener Elendsvierteln noch von seiner herzlosen Mutter entmutigen lassen. Als er sich endlich mit aller Kraft und einer gehörigen Portion Hartnäckigkeit aus der Gosse hochgearbeitet hatte, machte er sich auf die Suche nach dem Mann, der seine Mutter und ihn so schmählich im Stich gelassen hatte. Nachdem er seinen gestrengen Vater gefunden hatte, versuchte er die Zuneigung seiner Halbschwester Althea zu gewinnen, dem Lieblingskind aus der Ehe seines Vaters. Er hatte ihr den Platz im Herzen seines Vaters nie verübelt. Doch sie gab ihm die Schuld, als Peter Barbery ihr Herz brach.

Welches Spiel wollten die Barberys wohl mit ihm treiben? Dachte Tristanne Barbery, sie könnte ihn mit Sex gefügig machen? Wollte sie ihn beeinflussen? Sollte sie es doch versuchen. Es gab nur einen Menschen, der im Bett von Nikos Katrakis das Sagen hatte, und das wäre bestimmt nicht Tristanne.

Selbst wenn er sich von ihr stark angezogen fühlte, würde er sich von seinem Entschluss nicht abbringen lassen und sie für seine Rache opfern.

„Komm“, sagte er.

Nikos griff nach Tristannes nacktem Oberarm und nickte in Richtung seiner Privatkabine. Er verspürte den dringenden Wunsch, Peter Barbery einen triumphierenden Blick zuzuwerfen, unterdrückte ihn aber. Lieber konzentrierte er sich auf die andere Barbery, deren Duft ihn betörte und deren Mund er noch einmal kosten wollte.

Ohne ein Wort zu sagen, sah sie ihn an. In ihren Augen lag ein Ausdruck, den er nicht deuten konnte.

„Willst du es dir noch einmal überlegen?“ Seine Stimme klang spöttisch.

„Sie sind derjenige, der noch eine Antwort schuldig ist. Nicht ich“, entgegnete Tristanne. Sie machte sich kerzengerade. Als ob sie gegen ihn kämpfen wollte.

Er wollte sie nackt unter sich sehen. Nur aus Rache, ermahnte er sich, sonst nichts.

„Dann gibt es wohl noch einiges zu klären“, erwiderte Nikos.

Sie schluckte. Einzig das leichte Zittern an ihrem Hals verriet, dass sie nicht so ruhig war, wie sie vorgab.

„Sie bringen mich in Ihre Drachenhöhle, nehme ich an?“, fragte sie.

„Wenn du es so nennen willst“, antwortete er amüsiert.

Stumm sah sie ihn an. Er vergewisserte sich, dass alle Augen auf sie gerichtet waren, dass alle Köpfe sich nach ihnen umdrehten. Alle sollten wissen, wessen Arm er so besitzergreifend festhielt, wen er über das Deck führte.

Dann erst führte er sie direkt in sein Schlafzimmer, in seine Drachenhöhle.

3. KAPITEL

Sie war ihm schon einmal begegnet.

Tristanne ging vor aller Augen an Nikos’ Seite über das Deck der Jacht. Den Kopf hielt sie erhoben, den Rücken gerade, als ginge sie zu ihrer Krönung und nicht ins Schlafzimmer des Mannes, dem sie sich soeben angeboten hatte. Für Geld.

Doch in Gedanken war sie wieder siebzehn Jahre alt und schaute sich im riesigen Ballsaal im Haus ihres Vaters in Salzburg um. Es war ihr erster Ball, und sie hatte die ganze Zeit davon geträumt, in ihrem hübschen Kleid unter den flackernden Kronleuchtern Walzer zu tanzen.

Aber Nikos Katrakis war kein Traum gewesen. Er schritt durch den Ballsaal, als gehörte er ihm. Er sah gefährlich und mächtig aus. Tristanne hatte damals nicht verstanden, warum sein Anblick sie so gefesselt hatte. Warum sie den Atem anhielt. Warum ihr Herz wie wild schlug. Dennoch hatte sie die Augen nicht von dem geheimnisvollen Mann abwenden können.

„Wer ist das?“, hatte sie ihre Mutter gefragt. Sie spürte eine unbekannte Hitze und eine ungewohnte Schüchternheit in sich aufsteigen. Das machte ihr Angst. Sie wusste nicht, ob sie auf den unwiderstehlichen Mann zulaufen oder vor ihm weglaufen sollte.

„Das ist Nikos Katrakis“, hatte Vivienne leise zu ihr gesagt. Hatte sie ebenfalls seine Macht und seine Anziehungskraft gespürt? „Er macht Geschäfte mit deinem Vater, Liebes. Kümmere dich nicht weiter um ihn.“

Und jetzt, Jahre später, wusste Tristanne immer noch nicht, ob sie auf ihn zulaufen oder vor ihm weglaufen wollte. Allerdings wusste sie, dass sein Kuss noch schwindelerregender gewesen war, als sie es sich als Mädchen vorgestellt hatte. Sie spürte seine Hand noch immer auf ihrem nackten Oberarm, als hätte er ihr sein Brandzeichen aufgedrückt. Und dennoch ging sie aus freien Stücken mit ihm. Schließlich hatte sie es vorgeschlagen.

Sie hatte sich dafür entschieden.

Er führte sie ins Innere der Jacht. Der luxuriöse Empfangsraum war mit poliertem Holz verkleidet, hinter den hohen Fenstern tanzten die Wellen des Mittelmeers, und das goldene Licht der Côte d’Azur fiel zu ihnen herein. Aber Tristanne sah nur flüchtig hin, denn sie konnte ihre Augen nicht von Nikos abwenden.

Jeden seiner Atemzüge nahm sie wahr, jeden Schritt und jede Bewegung seines herrlichen Körpers. Sie spürte die Hitze, die er ausstrahlte. Ein süßes Gefühl machte sich in ihr breit. Ihr Gesicht wechselte die Farbe, als hätte sie plötzlich Fieber bekommen.

Aber sie wusste, dass sie die Kontrolle über sich wiedererlangen musste. Sie durfte sich nicht in der Berührung dieses Mannes verlieren, ganz gleich, wie anziehend sie ihn fand. Ich benutze ihn nur, sagte sie sich. Er ist nur ein Mittel zum Zweck.

Gleich darauf schob Nikos sie in ein Zimmer und schloss die Tür. Tristanne sah sich um, nahm aber kaum etwas von der Einrichtung wahr. Sie stellte lediglich fest, dass es eine Luxuskabine mit einem Bett war. Einem riesigen Bett. Sie war freiwillig in diese Kabine gegangen, mit dem sinnlichsten und gefährlichsten Mann, dem sie je begegnet war.

„Mr. Katrakis“, begann sie und drehte sich zu ihm um. Noch war es nicht zu spät, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Denn darum ging es doch. Sie musste einfach stark sein.

„Meinst du nicht, dass es dafür bereits zu spät ist?“, fragte Nikos. Er stand jetzt unmittelbar vor ihr, sodass sie die olivfarbene Haut an seinem Hals hätte berühren können.

Unwillkürlich machte Tristanne einen Schritt zurück. Dann erstarrte sie. Die Geste musste ihm verraten haben, dass sie nicht die geübte Verführerin war, für die sie sich ausgab. Sie war nur eine kleine Künstlerin aus Kanada, der die Ereignisse über den Kopf zu wachsen drohten. Aber er lächelte nur.

In ihrem Körper schrillten die Alarmglocken. Sie hatte das Gefühl, am Rande eines Kliffs zu stehen, unter dem es steil in die Tiefe ging. Und Nikos war wie ein stürmischer Wind, der sie jederzeit hinunterwehen konnte.

Drache, dachte sie noch einmal. Sie hatte es von Anfang an gewusst – schon vor zehn Jahren hatte sie es gewusst. Und doch stand sie jetzt hier und sehnte sich danach, dass er sie mit seinem Feuer verzehrte.

Nikos schien den ganzen Raum einzunehmen. Er steckte die Hände lässig in die Taschen seiner Jeans, aber das machte die sinnliche Bedrohung, die von ihm ausging, nicht geringer. Seine Schultern und seine Brust schienen noch breiter zu werden, er schien beinahe zu wachsen. Oder kam sich Tristanne nur so klein vor? Mit einem Mal fühlte sie sich verletzlich. Die Kühnheit, die sie bis hierhin geführt hatte, verließ sie.

Ich darf mich nicht von ihm aus der Fassung bringen lassen, ermahnte sie sich. Ich muss an Vivienne denken.

Mit durchdringendem Blick sah er sie an, als wollte er gleich zum Sprung ansetzen.

„Sag Nikos zu mir“, schlug er genau in dem Moment vor, als das Geräusch ihres eigenen Atems Tristanne beinahe zur Verzweiflung gebracht hätte.

Sie sollte etwas sagen. Seinen Namen vielleicht. Aber sie brachte ihn nicht über die Lippen. Als gäbe es kein Zurück mehr, sobald sie ihn einmal ausgesprochen hatte. Als würde sie eine Grenze überschreiten, wenn sie seinen Namen sagte. Die Grenze zwischen ihrem alten Leben und der Rolle, die sie von heute an spielen sollte.

Sein Lächeln wurde noch spöttischer.

Er lehnte an der Tür und sagte kein Wort. Dann, als Tristannes Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren und sie sicher war, dass sie schreien, schluchzen oder einfach davonlaufen würde, hob er die Hand und winkte sie mit dem Zeigefinger zu sich.

Arrogant. Selbstbewusst. An Gehorsam gewöhnt.

Als wäre er nicht besser als ihr Vater oder Bruder.

Als wäre sie ein Hund.

In diesem Moment spürte sie eine unbändige Wut in sich aufsteigen, unterdrückte sie aber sofort. War das ihre Rolle als Geliebte? War sie jetzt die Frau, die für den Mann jederzeit verfügbar sein musste? Aber hatte sie nicht so getan, als wäre genau das ihr Wunsch?

Was machte es schon, wie dieser Mann sie behandelte? In Wahrheit wollte sie nicht seine Geliebte werden. Peter sollte nur glauben, dass sie sich Nikos hingab.

Es ist ja nur für ein paar Tage, hatte sie sich gesagt. Was konnte er ihr in ein paar Tagen schon anhaben? Sie würden ein paar Mal Essen gehen und sich vielleicht noch ein-, zweimal küssen. Und das am besten vor den Augen der Paparazzi, die sich immer dort herumtrieben, wo sich Männer wie Nikos Katrakis aufhielten. Es ging doch nur um den Showeffekt. Und Nikos würde den Plan nicht durchschauen.

Außerdem geschah es für einen guten Zweck. Für ihre geliebte kranke Mutter, die nicht verstand, dass ihr Stiefsohn ein eiskalter Mensch war und nicht im Traum daran dachte, sich um sie zu kümmern, wie Gustave es vorgesehen hatte.

Tristanne musste sich Zugang zu ihrem Treuhandfonds verschaffen, der ihr erst an ihrem dreißigsten Geburtstag zufallen würde, sofern Peter nicht vorher ein Einsehen hatte. Mit dem Geld könnte sie die Schulden ihrer Mutter begleichen, sich um ihre Pflege kümmern und weiteres Leid von ihr fernhalten. Sie hatte keine andere Wahl.

Also lachte Tristanne Nikos weder ins Gesicht noch gab sie ihm eine Ohrfeige oder lief aus dem Zimmer. Sie bewarb sich nicht um die Rolle einer Partnerin oder gar einer Ehefrau. Eine Geliebte war eine Geliebte, und Tristanne hatte das Gefühl, dass Nikos ein Mann war, der seine Geliebte in ihre Schranken verweisen würde. Anstatt so zu reagieren, wie sie es am liebsten getan hätte, kam sie auf ihn zu und wiegte sich in den Hüften, während ihre hochhackigen Pumps in dem weichen Teppich versanken.

„Vielleicht sollten Sie einfach pfeifen“, rutschte es ihr heraus. „Damit jeder Zweifel ausgeräumt ist.“

„Ich habe keine Zweifel“, murmelte Nikos.

Ohne ein weiteres Wort griff er nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich.

Er umfasste ihr Gesicht mit den Händen und sah sie an. Obwohl die Geste besitzergreifend war, spürte Tristanne einen Hauch von Zärtlichkeit. Verwirrt und doch seltsam erregt sog sie die Luft ein.

Dann war sein Mund auf ihren Lippen. Er drehte sie herum, sodass sie jetzt mit dem Rücken an der Tür lehnte, und küsste sie wieder und wieder, als ob er sie verschlingen wollte.

Obwohl sie wusste, dass sie nur daran denken sollte, warum sie hier stand, erwiderte sie seinen Kuss begierig und wünschte, er würde niemals aufhören. Niemals.

Er bekam nicht genug von ihr. Ihr Geschmack wie süßer Honig, ihre Lippen, die genau auf seinen Mund passten, ihr schnelles Atmen, als könnte sie ihre Leidenschaft nicht länger zurückhalten. Nikos spürte ein Feuer in seinen Adern, das er nicht bekämpfen wollte. Er war bereit und konnte sich nicht mehr beherrschen, selbst wenn er gewollt hätte.

Tristanne wollte seine Geliebte werden. Und er wollte sie mit einer Leidenschaft, die er niemals erwartet hätte. Ich werde sie lediglich benutzen, sagte er sich. Das ist alles. Durch sie würde seine Rache noch süßer werden.

Er drückte ihren Rücken gegen die Tür und zeichnete mit den Händen die Kurven ihres Körpers nach. Dann schob er eine Hand in ihre dunkelblonden Locken, zog ihren Kopf zurück, damit er ihren Mund besser erreichen konnte. Mit der anderen Hand streichelte er ihren Hals entlang bis hin zu den perfekten Brüsten.

Nikos richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf ihre Brüste, die stolz über dem Ausschnitt ihres Kleides hervorlugten. Er wog beide in seinen Händen und fuhr mit den Daumen über die harten Knospen, bis Tristanne vor Erregung aufstöhnte.

Das Blut pulsierte in seinen Adern, trieb ihn weiter an. Seine Hände glitten nach unten, fanden den Saum ihres Kleides und schoben es bis zu ihrer Hüfte hoch. Er zog eines ihrer herrlichen Beine über seine Hüfte. Jetzt war seine harte Männlichkeit nur noch durch den Stoff seiner Hose und einen kleinen Seidenstreifen vom Zentrum ihrer Lust getrennt. Sie stöhnte und ließ den Kopf gegen die Tür sinken. Ihre Augen waren geschlossen, als spürte auch sie diese Hitze, dieses Feuer.

Er vergrub den Kopf an ihrem Hals, fuhr mit der Zunge über ihre zarte Haut, während seine Hände sich ihrer intimsten Stelle näherten. Er spürte ihre Hitze an seiner Hand, spürte ihre Weichheit. Sie schrie auf. Stöhnte sie seinen Namen? Es war ihm egal.

Sie war eine Barbery, seine Feindin. Nikos wollte sie nur aus Rache, fragte sich allerdings auch, was sie von ihm wollte. Egal, was es war, er wollte sie besitzen.

Hastig schob er ihren Slip zur Seite. Um sie auf die Folter zu spannen, strich er erst ein paar Mal über ihren Po, bevor er sein Begehren nicht länger im Zaum halten konnte. Sie war so weich und so heiß, dass er gegen sein Verlangen ankämpfen musste, sie auf den Boden zu ziehen und so tief in sie einzudringen, bis er seinen eigenen Namen vergaß. Stattdessen streichelte er sie – zuerst sanft, dann stärker, wilder.

Mit den Hüften nahm Tristanne den Rhythmus seiner Hand auf, mit den Händen umklammerte sie seine Schultern.

„Sieh mich an“, befahl er.

Zitternd schlug sie die braunen Augen auf. Sie brannten vor Verlangen. Ihr Körper bäumte sich auf. Sie unterdrückte einen Schrei. Eine leichte Röte breitete sich auf ihren Wangen aus. Ein Gefühl der Befriedigung schoss durch Nikos. Er wollte sie mit Haut und Haaren besitzen. Doch er ignorierte das Gefühl und konzentrierte sich auf ihre pulsierende Glut, auf den Höhepunkt ihrer Lust, der nicht mehr weit sein konnte.

„Komm für mich“, flüsterte er und küsste ihren Mund, ihre Wange, ihren Hals. „Jetzt.“

Ich mache einen großen Fehler, dachte Tristanne verzweifelt. Aber es war zu spät.

Ihr Körper gehorchte nur noch Nikos’ verführerischen Händen, nicht mehr ihrem warnenden Verstand. Auf seinen Befehl hin nahm die Leidenschaft ganz von ihrem Körper Besitz.

Sie brauchte lange, um sich wieder zu fassen. Nikos sah sie aus dunklen Raubtieraugen an, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Seine Hand war noch immer zwischen ihren Beinen, sein Mund auf ihren Lippen. Ein Zittern schüttelte sie.

Nikos zog eine Braue hoch.

Gütiger Himmel, dachte sie entsetzt, er will noch mehr. Natürlich wollte er mehr. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen? Warum hatte sie nichts dagegen unternommen? Sie begriff nicht, warum sie die Kontrolle über sich verloren hatte.

Und warum wollte etwas in ihr jede Warnung in den Wind schlagen und sich ihm auf Gedeih und Verderb ausliefern?

„Was haben wir …“, stammelte sie. Dennoch konnte sie den widerstreitenden Gefühlen in ihrem Inneren nicht Einhalt gebieten. „Das wollte ich nicht.“

Ihre Hände hielt sie noch immer gegen seine Brust. Sie ballte sie zu Fäusten, als wollte sie … ihn abwehren? Nachdem sie sich ihm mit einer ihr unbekannten Lust angeboten hatte? Was war bloß mit ihr los? Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. Ihr Körper war ihr seltsam fremd geworden. Sie konnte kaum atmen, und Nikos sah sie bloß mit diesem spöttischen Blick an.

Erst jetzt löste er sich ein Stück von ihr. Tristanne bemerkte, dass ihr Kleid noch bis zur Hüfte hochgeschoben war. Vor Scham errötete sie, dann zog sie es mit zitternden Fingern nach unten.

„Vielleicht habe ich dich falsch verstanden“, sagte er. Seine Stimme klang samtweich, sein Blick blieb ungerührt. Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich dachte, du wolltest meine Geliebte werden. Hast du das nicht selbst gesagt? Wie hattest du dir diese Rolle denn vorgestellt?“

„Ich weiß sehr wohl, was zu dieser Rolle gehört“, antwortete sie.

„Offensichtlich nicht. Oder vielleicht hast du andere Erfahrungen gemacht als ich. Ich bevorzuge Gespielinnen, die …“

„Ich bin nur erstaunt, wie schnell Sie sind, Mr. Katrakis“, unterbrach sie ihn scharf.

„Sag bitte Nikos“, antwortete er sanft. „Mr. Katrakis kommt mir unter den gegebenen Umständen etwas albern vor, nicht?“

„Ich hatte gedacht, wir würden …“ Ihre Stimme versagte. Was hatte sie erwartet? Sie hatte ihm eine Art Geschäft vorgeschlagen – ohne über die geringste Erfahrung in solchen Dingen zu verfügen. Sämtliche Romane, die sie gelesen hatte, halfen ihr nicht weiter.

„Schick essen gehen?“, beendete er den Satz. „Wir würden nur so tun als ob? Ich glaube, du hast nicht ganz verstanden: Ich lege die Spielregeln fest. Nicht du.“ Er sah sie aus unergründlichen Augen an. „Sag doch mal, Tristanne, wie viele Männer hatten dich in deiner ruhmreichen Karriere schon als Geliebte?“

„Wie bitte?“ Sie war schockiert. „Kein Einziger!“

Verdammt, warum war ihr das herausgerutscht? Sie hätte sich ohrfeigen können.

„Ach, so.“ In seinen Augen flammte erneut gefährlicher Besitzerstolz auf. „Warum habe ich dann das Vergnügen? Warum bietet sich die Erbin des Barbery-Vermögens ausgerechnet mir als Bettgespielin an?“

Plötzlich fror Tristanne, ganz deutlich spürte sie die Gefahr. Vielleicht lag es an seinem Tonfall oder an der Art, wie er sie ansah. Vergiss nicht, was auf dem Spiel steht! ermahnte sie sich.

„Die Zeiten sind schlecht“, sagte sie mit einem Schulterzucken, das so gar nicht ihren wahren Gefühlen entsprach. Dann machte sie sich von ihm los und drehte sich zur Tür.

Er hielt sie nicht zurück. Mit keinem Wort erwähnte sie, dass ihr Bruder kurz davor war, das Familienvermögen zu verlieren.

„Und wie du ja sicherlich weißt, bist du ein äußerst attraktiver Mann“, brachte sie nach einem kurzen Moment hervor. Das entsprach zumindest der Wahrheit.

„Ich glaube nicht, dass du auch nur im Entferntesten eine Ahnung hast, was es bedeutet, meine Geliebte zu sein“, bemerkte er direkt hinter ihr.

Warum ihre Gefühle so durcheinander geraten waren und sich ihre Augen plötzlich mit Tränen füllten, wusste Tristanne nicht. Sie wusste nur, dass sie sich jetzt nicht zu ihm umdrehen durfte.

„Ich lerne schnell“, hörte sie sich sagen.

Daraufhin stieß er ein leises Lachen aus. „Dreh dich um, Tristanne.“

Sie wollte sich nicht umdrehen. Sonst würde er etwas in ihrem Gesicht lesen, das sie bloßstellen würde.

Aber es geht nicht um dich. Es ging darum, eine gute Tochter zu sein und ihre Mutter zu beschützen. Wenn sie nicht nach Vancouver davongelaufen wäre, als ihr Vater ihr das Kunststudium ausreden wollte … Wenn sie Vivienne nicht der Gnade von Gustave und Peter überlassen hätte … Tristanne war immer stärker gewesen als ihre Mutter. Jetzt würde sie es unter Beweis stellen.

Sie drehte sich um. Er sah gefährlich aus und immer noch so atemberaubend wie damals vor zehn Jahren. Und sein Blick schien mehr über sie zu wissen als sie selbst. Trotzig hob sie das Kinn.

Sie konnte und würde es tun.

„Dieses Schiff segelt morgen in aller Frühe in meine Heimat, zur Insel Kefalonia“, erklärte er mit einem herausfordernden Lächeln. „Wenn du meine Geliebte werden willst, dann finde dich rechtzeitig an Bord ein.“

4. KAPITEL

Nikos saß an einem kleinen Tisch an Deck der Jacht. Vor ihm lagen Zeitungen in drei Sprachen, daneben stand eine Tasse mit griechischem Mokka. Sein Kopf war in goldenes Sonnenlicht getaucht, was die markanten Wangenknochen und die unergründlich dunklen Augen betonte. Die langen Beine, die in einer legeren braunen Hose steckten, hatte er ausgestreckt. Er trug ein weißes Leinenhemd, das den Blick zielsicher auf seinen festen Oberkörper lenkte. Seine Füße waren nackt.

Als Tristanne auf ihn zukam, sah er nicht hoch. Dennoch wusste sie genau, dass er sie bemerkt hatte. Er hatte ihre Fährte in dem Moment aufgenommen, als sie an Bord gekommen war.

Wenige Schritte vor ihm blieb sie stehen und versuchte, den Anflug von Panik zu unterdrücken. Sie stand kerzengerade, den Kopf erhoben. Sie hasste sich selbst. Warum stand sie bloß wie eine Bettlerin vor ihm?

Aber sie würde sich nicht beugen oder was ein Mann wie Nikos Katrakis auch immer von ihr erwartete. Sie würde ihre Rolle spielen – zielstrebig, selbstbewusst und nur auf das konzentriert, was er für sie tun konnte.

Am Ende ging es nicht darum, was Nikos Katrakis von ihr hielt – und noch weniger darum, was sie selbst von sich hielt.

Du bietest dich dem Meistbietenden an wie eine Hure? Wie die Mutter, so die Tochter, hatte Peter sie beleidigt. Aber sie wollte keinen weiteren Gedanken an ihren Bruder verschwenden. Die Gefahr war zu groß, dass der Kummer sie übermannen würde.

Auch der Versuchung, ihr hochgestecktes Haar zu überprüfen oder ihre Kleidung zurecht zu zupfen, als wären die weiße Hose und die langärmelige himmelblaue Leinenbluse knitterig geworden, seitdem sie an Bord war, gab sie nicht nach. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, wie nervös sie war. Sonst würde sie dem enormen Druck nicht standhalten.

Noch immer sah Nikos nicht zu ihr hoch, und sie stand abwartend da. Tristanne wusste, dass er nur seine Macht demonstrierte. Er würde sie so lange nicht beachten, bis er die Zeit für gekommen hielt. Ihre Rolle war es, sich diese Behandlung gefallen zu lassen. Und so zu tun, als hätte sie schon dutzende Male auf einer Jacht gestanden, sich das Rauschen der Brandung angehört und nur darauf gewartet, dass sich ein mächtiger Mann dazu herabließ, Notiz von ihr zu nehmen.

Sie dachte an den gestrigen Abend zurück und errötete. Hatte sie das wirklich getan? War sie diese schamlose Frau gewesen, die sich so leicht von einem Mann in Erregung versetzen ließ, mit dem sie als Mädchen nur einmal hatte tanzen wollen? Hingerissen zwischen Verlangen und Scham schluckte sie beide Gefühle hinunter.

Es kam nicht darauf an, was geschehen war oder noch geschehen würde. Sie war hier, sie hatte etwas in Gang gesetzt, und jetzt musste sie es auch zu Ende bringen.

„Wie lange willst du noch da stehen?“, fragte Nikos, ohne von der Zeitung aufzusehen. „Und warum schaust du so ernst, als würdest du auf deine Hinrichtung warten? Glaubst du wirklich, dass eine Geliebte sich so benimmt, Tristanne?“

„Ich rechne gerade aus, wie viel du wert bist“, antwortete sie kalt und zog die Augenbrauen hoch, als er sie anschaute. Sie durfte jetzt nicht wegsehen, auch wenn sie es noch so sehr wollte. „Ich nehme an, damit vertreiben sich die meisten Geliebten ihre Zeit.“

Seine vollen Lippen zuckten leicht, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er lachen oder sie in Stücke reißen sollte. Tristanne nahm so viele Dinge um sich wahr, die alle nur dazu beitragen konnten, dass sie bald vollends in den Bann dieses Mannes geriet. Der goldene Sonnenschein. Die Wellen, die sanft gegen die Jacht schlugen, als diese sich jetzt vom sicheren Festland entfernte. Obwohl sein Blick besitzergreifend und beleidigend war, ließ er die Hitze in ihr noch ansteigen.

„Du vergisst wohl, was der eigentliche Zweck einer Geliebten ist“, sagte er sanft. Er legte die Zeitung auf den Tisch und lehnte sich im Stuhl zurück. Jeder Zentimeter an ihm wirkte betont lässig. Aber sie spürte, dass alles nur gespielt war.

„Dann klär mich doch bitte auf“, antwortete sie ruhig. Sie zwang sich zu einem Lächeln und ermahnte sich, dass sie selbst die Rolle als Geliebte vorgeschlagen hatte.

Darauf nickte er in Richtung des Stuhls an seiner Seite. Selbst diese kleine Geste war gebieterisch. Wieder erwartete er, dass sie ihm sofort gehorchte. Gern hätte sie ihm eine passende Beleidigung ins Gesicht geschleudert, aber dann ging sie langsam zu dem Stuhl und setzte sich. Wie ein braves, gefügiges kleines Mädchen. Wie eine Geliebte.

Er war ihr zu nah. Mit einem Anflug von Panik bildete sie sich ein, sie könnte spüren, wie seine Hitze ihre Haut streichelte. Dabei wusste sie, dass es nur an der brennenden Sonne lag. Währenddessen konnte sie den Blick nicht von seinen starken, allzu geschickten Händen nehmen.

Nikos beobachtete sie. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das für Tristannes Geschmack zu spöttisch war. Mit einem glühenden Blick betrachtete er ihre Hände, die sie brav im Schoß gefaltet hielt, und ihre Beine, die sie züchtig übereinandergeschlagen hatte, als sei sie ganz das anständige Mädchen.

Als ob er nicht bereits ihre Hitze gespürt und sie zum Stöhnen gebracht hätte.

„Fantasie“, sagte Nikos ruhig.

Kerzengerade aufgerichtet versuchte Tristanne, ihren Puls unter Kontrolle zu bringen.

„Ich verstehe nicht ganz?“ Wenigstens hatte sie nicht gestottert.

„Die Aufgabe einer Geliebten besteht hauptsächlich darin, die Fantasie anzuregen“, erklärte Nikos geduldig. „Eine Geliebte ist immer zur Stelle, um für Unterhaltung zu sorgen. Sie trägt immer verführerische Kleider. Sie beschwert sich nie. Sie streitet nie. Sie denkt nur ans Vergnügen.“ Seine dunklen Augen sahen sie an. Verbrannten sie. „An mein Vergnügen.“

„Das klingt fantastisch“, murmelte Tristanne höflich. Sie wollte verführerisch klingen, aber wie schon gestern Abend klang sie eher spröde. Schneidend. „Da wir so viele Tage auf See vor uns haben, werde ich mich als eifrige Schülerin erweisen und alles von dir lernen, was eine Geliebte wissen sollte.“

„Die Fahrt ist nicht als Lehrzeit für dich gedacht, Tristanne. Ich bin kein Lehrer und brauche auch keine Schülerin.“ Seine dunklen Augen beunruhigten sie. Wieder musste sie an ein Märchenwesen denken. Überlebensgroß und Furcht einflößend, das war Nikos Katrakis. Wie in ihrem Traum vor so vielen Jahren.

Und jetzt hatte sie sich ihm mit Haut und Haaren ausgeliefert.

„Das tut mir leid“, sagte sie. Ihre Stimme klang rauer als geplant. „Was soll ich also tun?“

„Das Wichtigste zuerst“, begann er mit spöttischem Tonfall. „Warum begrüßt du mich nicht anständig?“ Mit dem Ansatz eines Lächelns wies er auf seinen Schoß. „Komm her.“

Einen Augenblick wirkte sie erschrocken, aber dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Nikos hätte beinahe laut aufgelacht.

Er war sich sicher, dass Tristanne Barbery so gern seine Geliebte werden wollte, wie sie mit einem Anker um den Hals durchs Mittelmeer geschwommen wäre. Dennoch erhob sie sich mit einer natürlichen Würde, die er bedenklich anziehend fand, von ihrem Stuhl und ließ sich auf seinem Schoß nieder. Anmutig und schamhaft.

Trotzdem reagierte sein Körper sofort. Ganz gleich wie unnahbar sie wirkte, Nikos spürte ein ganz und gar nicht schamhaftes Verlangen.

Er legte seine Arme um sie und hielt sie fest. Unter seinen Händen spürte er ihre sanfte Haut, obwohl sie eine Bluse trug, die viel zu viel von ihrem Körper verdeckte. Seine Lust erwachte. Er musste daran denken, wie ungehemmt sie sich der Leidenschaft hingeben konnte. Um sich zu beruhigen, atmete er tief ein. Sonst hätte er sie womöglich gleich hier genommen.

Doch die Zeit war noch nicht reif. Hier ging es um Rache, nicht nur um Sex. Er verstand nicht, warum er sich das immer wieder ins Gedächtnis rufen musste.

Tristanne roch nach demselben süßen, aber würzigen Parfüm wie am Tag zuvor. Ihr Haar duftete nach Äpfeln und Moschus und etwas, das ihm die Sinne nahm. Es musste Tristannes eigener Duft sein. Er grub die Finger in das hochgesteckte Haar und löste es. Die dichten, langen Locken fielen wie ein Wasserfall über ihren Rücken und hüllten sie beide in ihren Duft und ihre Wärme.

Sie sagte kein Wort, sondern starrte ihn nur aus wachsamen, schokofarbenen Augen an. Dann rutschte sie auf seinen Schenkeln nach vorn, bemerkte seine Erregung und wich zurück. Behutsam legte sie die Hände auf seine breiten Schultern, als hätte sie Angst, ihn zu berühren.

„So ist es besser“, sagte er. Ihre Gesichter waren sich so nah. Er hätte sich nach vorn beugen und ihren Hals küssen können. „Kein Mann erträgt es, wenn seine Geliebte so brav aussieht. Das ist fast schon eine Beleidigung.“

„Ich werde in Zukunft versuchen, so verrucht wie möglich auszusehen“, gab sie beherrscht zurück. Dennoch spürte er, dass ihr Körper keineswegs so zurückhaltend war. Ihre Schenkel bewegten sich unruhig an seinen. „Soll ich mein Haar lieber zerzaust tragen? Würde dir das besser gefallen?“

„Das wäre zumindest ein Anfang“, erwiderte er bemüht ernst. Ihre wundervollen Wangen erröteten, was ihren Augen einen fieberhaften Glanz verlieh. „Aber mit deiner Kleidung musst du dir ebenfalls etwas einfallen lassen.“

„Meine Kleidung?“, fragte sie verletzt und sah ihm in die Augen. „Was stimmt mit meiner Kleidung nicht?“

„Du siehst aus, als würdest du deiner Schwiegermutter vorgestellt werden“, antwortete er. „Deine Kleidung ist viel zu züchtig.“

„Dir ist anzügliche Kleidung lieber?“ Sie hob das Kinn. „Das hättest du gestern sagen sollen. Ich fürchte, ich habe nur Sachen eingepackt, die deinem Ruf für erlesenen Geschmack entsprechen.“ Herausfordernd hob sie die Augenbrauen. „Das war wohl ein Fehler.“

„Mir ist es lieber, wenn du so wenig wie möglich trägst“, erwiderte Nikos. Er zog mit einem Finger die Konturen ihres Rückgrats nach. „Ich will Haut sehen, Tristanne“, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. Statt einer Antwort zitterte sie nur.

Ihre Lippen öffneten sich, doch sie sagte keinen Ton. Nikos lächelte. Er würde schon noch herausfinden, aus welchem Grund sie hergekommen war. Bis dahin wollte er die elektrisierende Chemie auskosten, die zwischen ihnen herrschte.

„Wenn du ein Zimmer betrittst, musst du sofort zu mir kommen“, fuhr er flüsternd fort. Mit einer Hand streichelte er ihr Haar, mit der anderen erkundete er die Linie ihres Rückens, umspielte den Saum ihrer Bluse und berührte leicht die nackte Haut, die unter dem Saum hervorlugte. „Solange ich dir nichts anderes sage, setzt du dich immer auf meinen Schoß, nie auf einen Stuhl.“ Er küsste ihr Ohrläppchen, dann zog er mit seinen Lippen die Linie ihres Wangenknochens nach. Ein Schauder ließ sie erbeben.

„Verstanden“, antwortete sie, ihre Stimme war nur ein zartes Flüstern. Sie schlug die Augenlider nieder und errötete. Er spürte, dass sie vor Verlangen bebte.

„Und du sollst mich immer mit einem Kuss begrüßen“, flüsterte er. Im nächsten Moment legten sich seine Lippen auf ihren Mund.

Wieder spürte Tristanne das Feuer, das sie zu verzehren drohte.

Sie war nur noch Begehren und Verlangen. Seine Küsse nahmen ihr fast den Atem, seine starken Armen hielten sie so herrlich gefangen. Beinahe hätte sie alles um sich herum vergessen, als seine Küsse sie bestürmten, bedrängten. Sie wollte alles vergessen.

Aber das war genau das, was sie auf gar keinen Fall zulassen durfte.

Tristanne unterbrach den Kuss, zog den Kopf zurück und sah Nikos an. Seine Augen waren flüssiges Gold, eine leidenschaftliche Hitze glomm in ihnen, die ihr Begehren entfachte. Sein wundervoller Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln.

„Danke für die Belehrung“, murmelte Tristanne. Ihre Stimme verriet so viel über ihren Zustand, wie sie niemals hatte enthüllen wollen. Warum verwirrte er sie nur so? Irgendwie hatte sie gehofft, dass die Leidenschaft des gestrigen Tages nur ein Zufall gewesen war. Aber sie durfte sich jetzt nicht darüber den Kopf zerbrechen, sondern musste dieses unerwartete Hindernis mutig aus dem Weg räumen.

Auf keinen Fall aber durfte sie sich von der Leidenschaft übermannen lassen. Schließlich war die Leidenschaft schuld daran gewesen, dass ihre Mutter ihr Schicksal in die Hände von Gustave gelegt hatte. Tristanne war nicht so dumm, diesen Fehler ebenfalls zu begehen.

„Schon vorbei?“ Seine Augen wanderten zu ihrem Mund. Seine Hände lagen auf der nackten Haut ihres Rückens. Sie kämpfte gegen die Erregung.

„Sicher“, erwiderte Tristanne und tat unbeteiligt. Sie lehnte sich leicht zurück. Ich muss eiskalt sein, ermahnte sie sich. „Wie wir ja bereits wissen, passen wir auf dieser Ebene gut zusammen. Also sollten wir uns jetzt den anderen Ebenen zuwenden.“

„Tristanne, ich glaube, du hast immer noch keine Ahnung, worum es eigentlich geht.“ Seine Stimme klang amüsiert.

Es wäre so einfach, sich seinem Willen zu fügen, dachte Tristanne. Er war so mächtig, so gebieterisch. Es wäre ein Leichtes für ihn, sie sich gefügig zu machen. Hatte der gestrige Abend das nicht schon bewiesen?

Aber was würde dann aus ihr werden? Schließlich hatte sie so hart gekämpft, um sich ein eigenes, unabhängiges Leben aufzubauen. Und wichtiger noch – was würde aus ihrer Mutter werden?

Sie dachte an die Tränen, die ihre Mutter an Gustaves Grab geweint hatte. Sie dachte daran, wie ihre Mutter in den Wochen nach der Beerdigung versucht hatte, stark zu sein. Und sie dachte an die Adern auf der Hand ihrer Mutter, die jetzt zu deutlich hervortraten.

Tristanne durfte sich diesem Mann nicht blind fügen. Sie musste die Situation unter Kontrolle bringen, oder sie würde alles verlieren, wofür sie in den letzten Jahren gekämpft hatte. Ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Mutter standen auf dem Spiel. Sie musste diesem Mann widerstehen. Dabei hatte sie ihn sich gerade deshalb ausgesucht, weil er ein Mann war, dem niemand zu widerstehen wagte.

„Natürlich weiß ich das“, gab sie darum zur Antwort. Sie nahm allen Mut zusammen, warf den Kopf zurück und lächelte von oben auf ihn herab. Sie würde es schaffen. Sie konnte ihre wahren Gefühle verbergen und ihm etwas vormachen. Hatte Peter ihr nicht etliche Male vorgeworfen, dass sie eiskalt sei?

„Ach ja?“, fragte er, immer noch amüsiert. Immer noch unnahbar.

„Ich werde mich bemühen, deine Spielregeln zu befolgen. Aber ich glaube, dass eine Geliebte zu sein mehr bedeutet, als nur Befehle auszuführen.“ Sie zog die stolze Linie seines Kinns betont lässig mit einem Finger nach. „Eine Geliebte muss die Bedürfnisse ihres Partners erahnen. Sie muss sich seinen Launen anpassen und sich von ihm führen lassen. Wie bei einem Tanz.“

„Es ist aber kein Tanz“, warf Nikos ein.

„Der Mann darf nur nicht wissen, dass es ein Tanz ist“, fuhr Tristanne fort, als würde sie solche Unterhaltungen jeden Tag führen. „Das ist meine Aufgabe. Und bei alldem möchte ich nicht, dass man mich vor irgendetwas beschützt. Schon gar nicht vor dir.“

Die Lüge ging ihr leicht über die Lippen, schließlich hatte sie keine andere Wahl. Sie sah ihn an und hoffte, dass er ihre Angst nicht bemerkte. „Ich muss allerdings gestehen, dass ich gern alles perfekt mache.“

Sie verlagerte das Gewicht und lehnte sich zurück, sodass er sie entweder aufstehen lassen oder sie an seine Brust ziehen musste. Er ließ sie aufstehen. Tristanne hatte einen kleinen Sieg errungen. Doch sie wusste, dass sie nicht allzu viele erwarten durfte.

„Dann sag mir doch bitte, was genau du perfekt machen willst“, murmelte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

„Sex ist nicht alles“, antwortete Tristanne knapp. Anstatt sich auf ihren Stuhl zu setzen, ging sie zur Reling und sah zur Küste. Ihre Hände waren feucht. Sie spürte noch immer seine Hitze auf ihrer Haut. Dann wandte sie sich wieder zu ihm und versuchte, möglichst gleichgültig zu wirken.

Mit festem Blick sah Nikos sie an. „Das hängt wohl ganz vom Sex ab“, antwortete er. „Und von der Person, mit der man Sex hat, oder?“

Tristanne winkte lässig mit einer Hand ab, als wäre es die normalste Sache der Welt, mit ihm über Sex zu reden. Als würde ihr Herz nicht wie wild schlagen. Als würde sie nicht das erregte Kribbeln auf ihrer Haut spüren. Immer an das Ziel denken! befahl sie sich.

„Zu einer kunstvollen Verführung gehört eine Menge mehr“, fuhr sie fort, als würde sie sich schon lange mit diesem Thema beschäftigen. Dabei hatte sie sich erst gestern Nacht Gedanken darüber gemacht, als sie im Bett lag und nicht schlafen konnte. Unentwegt hatte sie nach einem Plan gesucht, um diesen Mann in den Griff zu bekommen. „Und die Aufgabe einer Geliebten ist es, den Mann zu verführen. Ihn auf sein Verlangen hin zu führen.“

„Ich bin froh, dass wir uns über das Verlangen einig sind“, sagte Nikos und rieb sich das Kinn. „Das ist der wichtigste Teil.“

„Ach ja?“ Tristanne lachte und bereute es sofort. Das Lachen klang zu aufgesetzt. Es musste sie verraten haben. Aber Nikos beobachtete sie nur, wie ein Raubtier seine Beute beobachtet. Er ist ein Drache, ermahnte sie sich. Sie hatte den Eindruck, als hätte er sie überall dort, wo er sie berührt hatte, bereits mit seinem Feuer versengt.

„Mir kommt es so vor“, meinte Nikos nach einer Weile, „als hätten wir das Entscheidende bislang ausgespart. Ich bin entzückt, dass du meine Geliebte sein willst. Aber wenn du glaubst, dass noch irgendein Zweifel besteht, wer in dieser Beziehung das Sagen hat, muss ich dich eines Besseren belehren.“

Er sagte es, ohne die Stimme zu erheben.

Dennoch war die Luft um ihn herum derart von seiner Macht erfüllt, dass sich Tristannes Nackenhaare ängstlich aufstellten.

„Du verstehst mich nicht“, sagte sie in dem besänftigenden Tonfall, den sie sonst nur gegenüber ihrer Mutter benutzte. Als sie sah, dass das Lächeln auf Nikos’ Gesicht breiter wurde, wusste sie, dass er ihren Ton richtig gedeutet hatte. Sie wollte ihn beschwichtigen.

„Das bezweifle ich“, erwiderte er. „Aber natürlich habe ich auch keine so teure Schulbildung genossen wie du. Vielleicht musst du mir alles noch einmal mit ganz einfachen Worten erklären, damit ich es verstehe.“

Auf diese Bemerkung ging Tristanne nicht näher ein, obwohl die Bitterkeit in seinen Augen sie für einen Moment aus der Fassung brachte. Aber was ging es sie an, woher die Bitterkeit kam? In einer Woche wäre sie mit ihrem Treuhandfonds und ihrer Mutter auf dem Weg nach Vancouver. Sollte er allein damit fertig werden.

„Ich meine damit, dass wir uns auf andere Dinge als Sex konzentrieren sollten“, sagte sie sachlich. „Sex ist einfach, aber zur Verführung gehört etwas mehr Stil, oder? Wenn ich dir eine gute Geliebte sein soll, dann muss ich deinen Verstand ebenso wie deinen Körper erobern. Verführung beginnt im Kopf. Der Körper ist zweitrangig.“

„Mein Verstand?“, wiederholte er. „Mein Verstand ist nicht der Grund, warum ich dich auf meine Jacht eingeladen habe, Tristanne.“

„Das wäre aber besser gewesen“, gab sie zur Antwort. Ihre Blicke trafen sich, jetzt musste sie es wagen. „Wir dürfen keinen Sex haben, Nikos. Zumindest nicht sofort. Und schon gar nicht auf diesem Schiff.“

5. KAPITEL

Nikos lachte.

Das Lachen war laut und mitreißend. Tristanne hatte das Gefühl, es würde wie eine Glocke in ihr erklingen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht mit ihm zu lachen, so ansteckend war es.

„Warum überrascht mich das nicht weiter?“, fragte er. Er lachte noch immer. Dann trafen sich ihre Blicke. „Kannst du mir bitte erklären, warum ich mich darauf einlassen sollte?“

„Das habe ich doch gerade erklärt“, gab Tristanne so unbekümmert wie möglich zurück.

„Ach ja?“ Er schüttelte leicht den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Wenn es das ist, was du willst.“ Eindringlich sah er sie an.

Hatte sie sich verhört, oder hatte er gerade zugestimmt?

„Was heißt das?“, fragte sie.

„Du setzt die Grenzen fest“, antwortete er wie beiläufig. „Sag mir einfach, wenn ich sie überschreite. Ich werde mich daran halten.“

Einen Moment musterte sie ihn aufmerksam. Über ihren Köpfen schrie eine Möwe, dann tauchte sie in hohem Bogen in die Wellen ein.

„Das hört sich nicht unbedingt an, als wärst du auch überzeugt“, meinte sie, als sie die Stille kaum noch ertragen konnte.

„Nein.“ Wieder erschien das spöttische Lächeln auf seinem Gesicht. „Das bin ich auch nicht.“

„Ich finde aber, wir sollten eine …“

„Wir finden keine gemeinsame Lösung“, unterbrach er sie. Er stand auf, kam zu ihr, hob eine Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Geste war seltsam zärtlich, auch wenn sie seinen Besitzanspruch überdeutlich demonstrierte.

„Ich verspreche dir allerdings nur, dass ich nichts machen werde, was du nicht willst. Reicht das?“

Wenn du ein gewöhnlicher Mann wärst, würde es bestimmt reichen, dachte Tristanne bitter. Bisher hatte sie keine Schwierigkeiten mit Männern gehabt. Allerdings war sie auch noch nie bei der leisesten Berührung so erregt gewesen. Bislang hatte sie nie nach Gründen suchen müssen, warum sie sich einem Mann nicht hingeben wollte. Stattdessen musste sie eher nach Gründen suchen, warum sie sich ein zweites Mal mit ihm treffen sollte.

„Das ist zumindest ein Anfang“, sagte sie schließlich.

„Wie du meinst“, erwiderte er sanft. Er stand ganz nah bei ihr, seine Hände lagen direkt neben ihr auf der Reling. „Ich glaube übrigens, dass Körper und Geist unbedingt zusammengehören. Vielleicht denkst du daran, wenn du mich verführen willst.“

„Wenn man jemanden verführen will, muss man sich Zeit lassen“, entgegnete Tristanne. Ihr war bewusst, dass sie sich verärgert anhörte, obwohl sie doch ungezwungen klingen wollte. „Man muss sich alles genau überlegen, man muss planen, man muss …“

„Das tun“, unterbrach er sie, beugte sich vor und küsste sie fordernd auf den Mund, dabei fuhr er mit einer Hand zu ihrer Schulter und umfasste schließlich ihren Oberarm.

Sie spürte einen scharfen Schmerz, versuchte aber sofort, sich nichts anmerken zu lassen. Sein Blick jedoch verriet ihr, dass er es bemerkt hatte. Sofort ließ er sie los.

„Tat das weh?“, fragte er mit einem Stirnrunzeln.

„Nein“, log sie, und ihr Magen verkrampfte sich vor Scham. „Mir war nur plötzlich ein bisschen kalt.“

Doch Nikos ignorierte ihre Lüge und schob den Ärmel ihrer weiten Bluse hoch, dann fluchte er leise auf Griechisch und starrte auf ihren Oberarm. Tristanne wusste, was er dort sah: Heute Morgen nach dem Duschen hatte sie sie ebenfalls entdeckt – die blauen Flecke an der Stelle, wo Peter sie gepackt und geschüttelt hatte.

Autor

Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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Ally Blake
<p>Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen. Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges...
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<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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