Julia Saison Band 68

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HEISS WIE DER SÜDEN ITALIENS von STEPHANIE HOWARD
Was denkt sich dieser Lorenzo dei Cesari dabei, Liz ohne jede Vorwarnung derart leidenschaftlich zu küssen? Liz ist doch nur in den sonnigen Süden Italiens gekommen, um ihren Stiefbruder zu suchen. Aber vielleicht kann sie das ja mit Lorenzo zusammen tun – und noch einiges mehr ...

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  • Erscheinungstag 24.06.2022
  • Bandnummer 68
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508094
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Howard, Sharon Kendrick, Natalie Fox

JULIA SAISON BAND 68

1. KAPITEL

Liz hatte das Gefühl, zu wissen, wer dieser große breitschultrige Mann war, der dort oben neben ihrem roten Sonnenschirm stand. Und auch er schien sie genau zu beobachten, so als wisse er bereits mehr über sie.

Sie seufzte unwillkürlich und watete aus dem Meer zurück an den Strand. Ein eleganter schwarzer Badeanzug umhüllte ihre schlanke Figur. Liz blieb stehen und drückte ihr schulterlanges Haar aus, um das Salzwasser zu entfernen, so gut es ging. Sie hatte diesen Mann zwar noch nie kennengelernt, aber schon viel über ihn gehört, und zwar nicht unbedingt Lobenswertes! Dass er hier an diesem menschenleeren Strand aufgetaucht war, kam wohl auch nicht von ungefähr.

Was konnte er von ihr wollen?

Liz hatte ihre Sandalen am Meeresufer zurückgelassen, bevor sie sich in das angenehme warme Wasser stürzte. Sie zog sie jetzt wieder an und fühlte den heißen Sand an ihren Zehen, während sie ohne jede Hast auf den großen roten Sonnenschirm zuging, wo all ihre Sachen lagen. Sie konnte den Impuls gerade noch unterdrücken, die Augen zu beschatten, um den unerwarteten Besucher besser erkennen zu können. Die Mittagssonne schien so gleißend vom Himmel, dass sie ihn im Gegenlicht nicht richtig wahrnehmen konnte! Sie wollte sich ihre Neugierde jedoch nicht anmerken lassen.

Etwa einen Meter vor ihm blieb sie stehen und fragte kühl: „Kann ich etwas für Sie tun?“

Er war ganz in Weiß gekleidet – Hose, Hemd und Schuhe. Die Ärmel seines Hemdes waren bis über die Ellbogen zurückgerollt. Liz wurde sich seiner männlichen Erscheinung bewusst, sie sah auf muskulöse, braun gebrannte Arme, die arrogant in die Hüften gestemmten Hände. Aufrecht und selbstbewusst stand er vor ihr, mit leicht gespreizten Beinen, und musterte sie von oben bis unten mit einem beinahe bedrohlich wirkenden Blick.

Das musste der Mann sein, dem sie während ihres Aufenthalts in Muretto eigentlich aus dem Weg hatte gehen wollen. Ihre Mission war schwierig genug!

„Wie hat Ihnen Ihr Bad gefallen?“ Er überging ihre zuvor gestellte Frage einfach. „Bei der Hitze ist das Meer noch der angenehmste Aufenthaltsort.“

Liz betrachtete ihn etwas genauer. „Ja, es war ganz angenehm.“

Dann aber erinnerte sie ihn daran, wo er sich befand. „Darf ich Sie nochmals fragen, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann?“

„Ich habe Sie schon verstanden, Signorina.“ Er ließ den Blick über ihren nur spärlich bekleideten Körper gleiten. Der Badeanzug saß wie eine zweite Haut. „Nun, da gäbe es schon etwas“, antwortete er mit einem zweideutigen Lächeln, während er ihr Gesicht, die großen blauen Augen und das vorgereckte Kinn musterte. Aus der Nähe gesehen war er noch größer. Sein schwarzes Haar hatte er zurückgekämmt, es glänzte in der Sonne. Und obwohl Liz wegen des Gegenlichts seinen Gesichtsausdruck nicht genau erkennen konnte, bemerkte sie doch die ausgeprägten Wangenknochen, die klassisch geschnittene Nase, das feste Kinn – das alles ließ darauf schließen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Wehe dem, der sich einen solchen Mann zum Feind machte. Man konnte beinahe sagen, armer Giles! Er strahlte ein überwältigendes Selbstbewusstsein aus, so als sei ihm völlig gleichgültig, was andere über ihn dachten. Er war ganz sicher kein Mann, der Kompromisse einging!

Aber auch sie selbst würde sich so schnell nicht unterkriegen lassen! Falls er für Ärger sorgte, würde sie ihm schon zeigen, dass er so nicht mit ihr umspringen konnte. Sie lächelte in sich hinein. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen sehr verändert, hatte ihre ansonsten eher sanfte Art abgelegt und sich durchgesetzt, wenn es nötig gewesen war.

Doch jetzt mochte es ratsam sein, ihren Ton zu mäßigen. „Darf ich jetzt endlich erfahren, was Sie von mir wollen? So ganz ohne Grund sind Sie doch sicher nicht hergekommen, oder?“ Hoffentlich gab es keine Probleme, dachte Liz.

Er verzog keine Miene. „Braucht es dafür wirklich einen Grund? Vielleicht wollte ich auch nur die schöne Aussicht genießen!“

Während er sprach, musterte er sie erneut von Kopf bis Fuß. Liz war leicht irritiert und beschloss, ihm energischer entgegenzutreten. „Nun, dann schlage ich vor, Sie bewundern die Aussicht von woanders aus. Dies hier ist ein Privatstrand, falls Sie das nicht wissen sollten! Unbefugten ist das Betreten strengstens untersagt, so wie es auf dem Schild steht.“

„Ach, wirklich? Dann sollten Sie mir vielleicht erklären, was Sie hier zu suchen haben?“

„Und warum sollte ich das tun?“

„Weil Sie nicht aus Muretto stammen. Ich kenne die Besitzer aller Häuser hier. Ich stelle mich ihnen in der Regel vor.“

„Das habe ich schon gehört“, gab Liz mit beißendem Spott zurück. Für gewöhnlich steckte er seine Nase in alles, was hier im Ort passierte, auch in Angelegenheiten, die ihn gar nichts angingen.

Entschlossen richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich bin ganz legal hier. Ich besuche jemanden.“

„Darf ich fragen, wen?“

Er machte seinem Ruf alle Ehre, das musste sie ihm lassen. „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“

Sie sah, wie seine Augen ärgerlich zuckten. Man schien ihm wohl nicht oft zu widersprechen. Dann jedoch lächelte er kalt. „Eigentlich weiß ich es ja bereits, Sie wohnen im Haus von Giles Portman.“

„Warum haben Sie dann gefragt?“

„Aus reiner Höflichkeit.“

Liz verzog spöttisch den Mund. Das konnte sie ihm eigentlich nicht abnehmen. Aber noch bevor sie etwas Ironisches erwidern konnte, sprach er bereits weiter.

„Sie sind wohl eine seiner Freundinnen, vermute ich?“

„Nein, ich bin nicht eine seiner Freundinnen“, wehrte sich Liz mit scharfer Stimme. Dieser Mann war scheinbar darauf aus, sie zu beleidigen.

Sie starrte ihn trotzig an. Von ihr würde er nicht erfahren, dass sie Giles’ Stiefschwester war. Giles hatte sie zu Recht vor diesem Mann gewarnt!

„Nun, jetzt, da Sie wissen, dass ich kein Eindringling bin, können Sie mich ja wieder allein lassen. Ich genieße hier meine wohlverdiente Ruhe.“

„Entschuldigung.“ Er lächelte unschuldsvoll, bewegte sich aber nicht von der Stelle. „Jetzt, da ich weiß, dass Sie die Person sind, die ich gesucht habe, muss ich Sie bitten, meine Gegenwart noch einen Augenblick länger zu ertragen.“

Er wies mit der Hand auf den Sonnenschirm. „Machen Sie es sich doch bitte bequem, während wir uns unterhalten.“

„Danke, von hier aus geht es wunderbar.“

Liz starrte ihn feindselig an. Sie würde sich ganz sicher nicht seinen Anordnungen fügen. Und sie hatte auch keine Lust, das Gespräch noch weiter fortzusetzen. Sie war aus privaten Gründen nach Muretto gekommen, um einiges mit Giles zu besprechen, und sie würde sich ganz sicher nicht mit diesem Lokalmatador anlegen.

Sie blickte ihn erbittert an. „Was wollen Sie überhaupt von mir? Verraten Sie mir das doch bitte.“

„Wie Sie wollen, Signorina. Ich allerdings finde es im Schatten besser. Die Sonne ist um diese Tageszeit sehr stark.“

Er griff nach einem kleinen Klappstuhl, der neben Liz’ Sonnenliege stand, nahm die daraufliegende Sonnencreme und die anderen kleinen Gegenstände und deponierte sie einfach auf der Liege. „Außerdem sitze ich lieber, wenn ich mich mit jemandem unterhalte.“ Ohne ihre Ablehnung zu beachten, nahm er auf dem Stuhl Platz.

„Und wer sagt, dass wir uns unterhalten werden?“ Liz verschränkte die Arme vor der Brust. „Sagen Sie mir einfach, was Sie wollen, und verschwinden Sie dann!“

„So eilig habe ich es eigentlich nicht.“

Er schaute ihr direkt ins Gesicht, Liz hatte das Gefühl, dass eine gewisse Aggressivität in seinem Blick lag. Ein Schaudern lief ihr über den Rücken. Doch dann lächelte er ganz unverhofft und deutete erneut auf die Sonnenliege. „Je früher wir anfangen, desto schneller haben Sie alles überstanden, was meinen Sie, wollen wir es nicht versuchen?“

„Nun, gut, legen Sie los.“ Sie ignorierte seine einladende Geste. „Ich kann Sie von hier aus sehr gut verstehen.“

Er schüttelte missbilligend den Kopf. „Sie werden sich schnell einen Sonnenbrand holen. Warum tun Sie nicht, was ich Ihnen rate?“

Natürlich hatte er recht. Liz fühlte, wie ihre empfindliche Haut bereits unter der starken Mittagssonne zu spannen begann. Es war wohl besser, ihren Widerstand aufzugeben.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, nahm sie auf der Sonnenliege Platz, griff nach dem Handtuch und rubbelte sich das nasse Haar trocken. „Nun? Was genau haben Sie mir zu sagen? Ich warte.“

Er lächelte. „Nun sitzen wir beide bequem.“

Das stimmte nicht ganz. Liz fühlte sich verunsichert durch diesen hochgewachsenen Italiener. Seine Nähe löste merkwürdige Gefühle in ihr aus. Und jetzt, da sie nicht mehr durch die Sonne geblendet wurde, konnte sie ihn erst richtig sehen.

Sein braun gebranntes Gesicht wirkte noch kantiger und härter, sein breiter Mund verriet seinen leidenschaftlichen Charakter, die glatte hohe Stirn ließ auf Intelligenz schließen. Aber es waren vor allem die Augen, die sein Gesicht dominierten. Sie waren wild und glitzernd, schwarz wie die Nacht und mysteriös wie das Weltall.

Schnell wandte Liz den Blick von ihm ab, um sich nicht weiter in seinen Bann ziehen zu lassen.

Sie spürte jedoch, wie er sie musterte. „Bevor wir uns weiter unterhalten, sollte ich mich vielleicht erst einmal vorstellen.“ Als Liz sich ihm wieder zuwandte, hielt er ihr die Hand zur Begrüßung entgegen. „Ich bin Lorenzo dei Cesari. Wir sind Nachbarn.“

Sie hatte also recht gehabt. Sie hatte gewusst, wer er war. Aber diese Bestätigung machte die Sache auch nicht besser.

Sie übersah die ihr entgegengestreckte Hand geflissentlich. „Lassen wir doch die Formalitäten beiseite. Ich weiß bereits, wer Sie sind.“

„Nun, sicherlich hat Ihnen Giles alles über mich berichtet.“

„Ja, er hat von Ihnen gesprochen.“ Liz lächelte ironisch und ließ durch die Betonung ihrer Worte durchscheinen, dass es nichts Positives war, was sie gehört hatte.

Er verengte leicht die Augen. „Das kann ich mir denken. Aber vielleicht sollten Sie nicht alles glauben, was man Ihnen erzählt, vor allem nicht, wenn es aus einer so unzuverlässigen Quelle kommt.“

„Oh, machen Sie sich keine Gedanken, ich bin sehr wohl fähig, mir eine eigene Meinung zu bilden“, versicherte ihm Liz und legte ihr Handtuch weg. „Und eigentlich hat Giles nichts gesagt, was ich jetzt nicht bestätigen könnte.“

Er ließ sich nicht anmerken, ob ihm das etwas ausmachte, sondern streckte ihr erneut seine Hand hin. „Ich weiß noch immer nicht, wer Sie sind, Signorina.“

Sein Selbstbewusstsein war wirklich irritierend. Liz strich sich die Haare aus der Stirn. „Ich bin erstaunt, dass Sie meinen Namen nicht kennen. Ich denke, Sie wissen bereits, wer ich bin.“

Giles hatte ihr erzählt, dass dei Cesari stets über alles Bescheid wusste, was im Dorf vor sich ging, dass er sogar Leute für ihre Informationen bezahlte. „Es kann doch nicht sein, dass Ihre Spione Ihnen dieses kleine Detail vorenthalten haben“, verspottete sie ihn.

„Anscheinend doch, sie hatten ja auch noch nicht viel Zeit. Sie, Signorina, sind ja erst gestern Abend in Muretto angekommen.“

Dei Cesari verzog den Mund zu einem amüsierten Lächeln. „Man hat mir nur mitgeteilt, dass eine hübsche junge Frau in Mr. Portmans Villa eingezogen sei. Aber keiner konnte mir Ihren Namen verraten.“

Es war unglaublich, wie er sich veränderte, wenn er jemandem schmeicheln wollte. Liz wurde dabei ganz anders zumute. Hätte sie nicht gewusst, was für ein Mann er wirklich war, wäre sie seinem Charme sicher erlegen.

Mit seidiger Stimme erkundigte er sich erneut: „Verraten Sie mir doch bitte Ihren Namen, ja?“

Liz konnte ihren Blick nur mühsam von diesem gut aussehenden Mann abwenden. Er war gefährlich, sie musste sich vor ihm in Acht nehmen.

„Ich heiße Liz Carson“, erklärte sie kurz angebunden. Und ohne nachzudenken, griff sie nach seiner Hand und fühlte, wie die Berührung das Blut in ihren Adern aufwallen ließ. Schnell zog sie ihre Hand wieder zurück.

„In einem kleinen Ort wie Muretto machen Neuigkeiten schnell die Runde. Vor allem die Ankunft eines Fremden, noch dazu, wenn es sich dabei um eine gut aussehende, alleinstehende Frau handelt.“

Er musterte sie gründlich, die Hände leicht auf die Knie gestützt, den Oberkörper ein wenig vorgeneigt. Er sah fast so aus, als würde er um ihr Vertrauen werben. Aber Liz konnte spüren, dass sich hinter all dieser Freundlichkeit ein stahlharter Wille verbarg.

Was wollte er von ihr? Umsonst bemühte er sich sicherlich nicht, sie von seiner Seriosität zu überzeugen.

Sie beobachtete ihn genau, während er in verführerischem Tonfall fortfuhr. „Und was machen Sie hier, Miss Carson? Soviel ich weiß, ist Giles zurzeit verreist.“

Das wusste er also auch. „Ja. Es ist aber durchaus angenehm, ein Haus ganz für sich allein zu haben“, wich sie geschickt seiner Frage aus.

„Aber er wird Sie doch nicht die ganze Zeit allein lassen? Das wäre nicht sehr gastfreundlich. Sicher kommt er bald zurück, nicht wahr?“

„Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.“ Liz spürte, dass sich hinter seinen Fragen mehr verbarg als bloße Neugierde.

Sie lächelte ihn nichtssagend an. „Ich denke, Giles wird schon das Richtige tun.“

„Ich bewundere Ihr Vertrauen in diesen Mann.“ Ein scharfer Unterton lag in seiner Stimme. Lorenzo dei Cesari schien ihren Stiefbruder ebenso abgrundtief zu verabscheuen wie dieser ihn.

Als Liz ihm jetzt direkt in die Augen sah, stellte sie für sich fest, dass sie nicht an Giles’ Stelle sein wollte. Einen Mann wie dei Cesari zum Feind zu haben war nicht sehr ratsam, an ihm würde er sich leicht die Zähne ausbeißen.

„Weiß er, dass Sie hier sind?“

Die Frage kam so unerwartet, dass Liz ihr Unbehagen nicht ganz verbergen konnte. „Natürlich weiß er das“, log sie, denn eigentlich war sie ohne Giles’ Wissen hier. Sie und ihre Familie besaßen einen Schlüssel für das Haus, und er hatte sie schon oft eingeladen, ihn zu besuchen.

„Sagen Sie mir da wirklich die Wahrheit?“ Er hatte instinktiv gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte.

„Ganz sicher“, gab sie zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie würde sich nicht auf Erklärungen einlassen, das war viel zu gefährlich.

„Nun, es ist mir eigentlich gleichgültig, ob er weiß, dass Sie hier sind.“ Lorenzo streckte die langen Beine von sich. „Mir kann es ja egal sein, ob Sie eine eifersüchtige Freundin von ihm sind, die hinter ihm herspioniert und seinen Kleiderschrank nach Beweisen der Untreue durchsucht.“ Er lächelte sie spöttisch an. „Das tun verlassene und eifersüchtige Freundinnen doch besonders gern, oder?“

„Keine Ahnung. Sicher sind Sie ein Experte auf diesem Gebiet.“ Der Gedanke, dass ihm das bereits passiert sein mochte, amüsierte sie königlich.

Er erwiderte ihr Lächeln völlig ungezwungen und wandte seine Augen dem Meer zu, sodass sie nur noch sein Profil sehen konnte. Er schien die in der Ferne auf den Wellen schaukelnden kleinen Fischerboote zu beobachten. „Wollen Sie Ihren verloren gegangenen Freund also wieder zur Vernunft bringen?“

„Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich nicht Giles’ Freundin bin.“

„Nein, das haben Sie nicht. Sie haben lediglich verneint, eine von Giles’ vielen Freundinnen zu sein. Vielleicht glauben Sie ja, Sie seien eine ganz besondere Frau in seinem Leben. Aber das wäre sehr naiv.“ Seine Augen verdunkelten sich. „Mr. Giles Portman hat beinahe so etwas wie einen Harem.“

„Das geht doch nur ihn etwas an. Er ist ja nicht verheiratet.“ Liz wunderte sich über seine missbilligende Einstellung. Oder maß er etwa mit zweierlei Maß? Er war doch sicher ebenfalls ein großer Frauenheld! Es war einfach unmöglich, sich vorzustellen, dass dieser gut aussehende Lorenzo dei Cesari, der Sinnlichkeit und Männlichkeit ausstrahlte, das Leben eines Mönchs führte oder sich mit nur einer Frau zufriedengab.

Die Überlegung, wie er wohl als Liebhaber sein mochte, übte einen großen Reiz auf sie aus. Aber was sollten solche Abschweifungen, sie musste sich schleunigst zusammennehmen, sonst würde er noch etwas merken!

Er beugte sich vor. „Welche Beziehung haben Sie dann zu ihm, wenn Sie nicht seine Freundin sind? Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie nur gute Bekannte sind.“ Sein sinnlicher, intensiver Blick wirkte auf Liz beinahe wie eine Berührung. „Es ist für einen Mann sicher nicht einfach, mit Ihnen nur eine Freundschaft auf rein platonischer Ebene zu führen.“

Liz zog die Beine an und umschloss sie mit den Armen. Am liebsten hätte sie nach ihrem Sarongtuch gegriffen, um sich vor seinen eindringlichen Blicken zu schützen, aber diese Freude würde sie ihm nicht machen. „Doch, Giles und ich sind Freunde, aber wir sind außerdem auch miteinander verwandt.“

„Richtig blutsverwandt?“ Er wirkte erstaunt.

„Nein, meine Mutter ist mit seinem Vater verheiratet. Wir sind Stiefgeschwister.“

„Oh, Sie haben wirklich mein Mitgefühl. Wir lange müssen Sie das schon ertragen?“ Er lächelte sarkastisch.

„Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, seit vier Jahren.“

„Dann waren Sie also beinahe schon erwachsen, als das passierte?“

„Ich war zwanzig“, teilte sie kurz angebunden mit. „Ich weiß nicht, ob das Ihrer Meinung nach erwachsen ist oder nicht.“

Er lächelte amüsiert. „Ich denke schon. Sie machen auf mich den Eindruck, als hätten Sie früh begriffen, um was es im Leben geht.“

Und er sieht aus wie ein Mann, der bereits mit dem Löffel der Weisheit im Mund geboren wurde!, dachte sie zornig. Liz schätzte sein Alter auf etwa fünfunddreißig. Irgendwie konnte sie sich ihn allerdings überhaupt nicht als schlaksigen Jugendlichen vorstellen.

Neugierig musterte er sie wieder. „Es muss doch eine Erleichterung für Sie gewesen sein, dass Sie nicht mit ihm haben aufwachsen müssen.“

„Nun, Ihren Schwestern und Brüdern dürfte es sicherlich auch nicht leicht gefallen sein, neben Ihnen zu bestehen.“ Liz hatte bereits erfahren, dass er mehrere Geschwister hatte. „Und außerdem sind sie noch von dem Fluch verfolgt, dass das gleiche Blut in ihren Adern fließt.“

„Das ist ganz sicher kein Fluch, glauben Sie mir. Wir dei Cesaris sind eine alte Familie. Jeder wäre stolz, dazuzählen zu dürfen.“

Liz bedachte ihn mit einem verächtlichen Lächeln, aber sie spürte dennoch, welche Aura der Macht diese Familie umgab. Auch Lorenzo strahlte diese Macht aus. Liz erinnerte sich daran, dass Giles ihr einmal erzählt hatte, dass die Familie der dei Cesaris zu den wichtigsten Clans in dieser Region zählte, und das seit vielen Generationen.

Es war also gar nicht verwunderlich, wenn dieser Mann so arrogant auftrat.

„Warum sind Sie nach Muretto gekommen?“, erkundigte er sich erneut, diesmal mit ausgesprochen schmeichlerischer Stimme. „Wenn ich mich nicht irre, ist das Ihr erster Besuch hier.“

Da täuschte er sich wirklich nicht. „Ja, das stimmt.“

„Ist das auch Ihre erste Reise nach Italien?“

Liz schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich war schon in Rom, in Florenz und Venedig …“, fing sie an zu erzählen. Sie liebte Italien, das Land, die Menschen und ihre Sprache.

Er unterbrach sie. „Und noch nie haben Sie Ihren Stiefbruder in Muretto besucht, obwohl Sie vielleicht nur einen Katzensprung entfernt waren! Sie scheinen seine Gesellschaft nicht allzu sehr zu schätzen, nehme ich an. Immerhin lebt er bereits seit mehr als drei Jahren hier.“

„Er reist sehr viel und war immer unterwegs, wenn ich gerade in Italien war.“

„Und jetzt ist er auch nicht hier“, erinnerte Lorenzo dei Cesari sie an die Tatsachen. „Ich nehme an, Sie erwarten ihn bald zurück?“

Da war schon wieder die gleiche Frage. Ein leichter Verdacht keimte in Liz auf. Was bezweckte diese Neugierde auf Giles’ Aufenthaltsort? Sie schaute ihn misstrauisch an. „Er wird sicher bald zurück sein“, erklärte sie möglichst unbekümmert.

„Das klingt aber sehr vage.“

Er war wirklich hartnäckig. „Er wird schon kommen, wenn er es schafft“, wiederholte sie stur. Sie musste ihn einfach irgendwie auftreiben. Wenn dieser dei Cesari wüsste, dass sie mit ihrem Latein so ziemlich am Ende war, was Giles’ wahren Aufenthaltsort anging …

„Wie lange bleiben Sie hier in Muretto?“, erkundigte er sich nun wie beiläufig.

Nun, bis ich ihn gefunden habe, hätte sie am liebsten geantwortet, aber das ging nicht. „Ich weiß es noch nicht genau. Ein paar Wochen vielleicht. Oder auch länger …“

Er hob erstaunt die Augenbrauen. „Dann haben Sie aber Glück, dass Sie sich einen so langen Urlaub leisten können.“ Er blickte sie interessiert an. „Darf ich wissen, was Sie beruflich machen?“

Nun, das kann er ruhig wissen, dachte Liz stolz. „Ich führe ein Bilderrahmengeschäft, allerdings nicht allein.“

„Sie sind zu zweit?“

„Ja, das stimmt.“

„Und Ihrem Freund macht es nichts aus, dass Sie ihn einfach so lange Zeit im Stich lassen? Oder ist er gewohnt, dass er die meiste Arbeit allein erledigen muss?“

„Mein Partner ist eine Frau, kein Mann!“, wehrte sich Liz gegen die Unterstellung, sie ließe sich mehr oder weniger aushalten. „Und natürlich macht es ihr nichts aus, allein zurückzubleiben, wo sie weiß, dass …“

Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, mit der Wahrheit herauszuplatzen, und fuhr dann trocken fort: „… mein Urlaub war mehr als überfällig.“

„Und dann ein Urlaub ohne Begrenzung. Sie muss wirklich sehr viel Verständnis für Sie haben.“

Liz verteidigte sich gegen diesen Angriff. „Wir haben eine Aushilfe organisiert, ganz allein habe ich sie nicht zurückgelassen.“ Aber warum erklärte sie ihm das überhaupt, sie war ihm keine Rechenschaft schuldig!

Nun, vielleicht habe ich mir diese defensive Haltung in den letzten Wochen in England angewöhnt, dachte sie bitter. Sie hatte endlose Stunden damit verbracht, sich immer wieder die Frage zu stellen, ob sie sich Alex gegenüber vielleicht anders hätte verhalten können.

Liz richtete sich auf. „Sind Sie immer so neugierig? Vielleicht sollte ich Ihnen jetzt einmal ein paar Fragen stellen.“

Als er nur lächelte, fuhr sie schärfer fort: „Sie könnten mir zum Beispiel erklären, was Sie hier überhaupt wollen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich lebe hier, Signorina. Und ich bin Ihr Nachbar, das habe ich Ihnen bereits erzählt.“

Ihm musste klar sein, dass sie eigentlich etwas anderes gemeint hatte. Liz schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Leider, das ist eine der unangenehmeren Begleiterscheinungen meines Aufenthalts hier.“

Lorenzo dei Cesari lächelte mitfühlend. „Glücklicherweise sind wir keine direkten Nachbarn. Die Villa der dei Cesaris liegt am anderen Ende des Dorfes.“

„Wie schön, dann sollte ich doch all meine Aktivitäten auf diese Seite beschränken.“ Liz schaute ihn betont erleichtert an.

„Haben Sie etwas zu verbergen?“

Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige versetzt, aber dann konnte sie sich glücklicherweise noch rechtzeitig beherrschen. Sie musste ruhig bleiben, sonst würde sie ihm mehr als nötig von ihren Absichten verraten.

„Natürlich nicht“, gab sie betont kühl zu verstehen. „Ich gehe unangenehmen Begegnungen nur gern aus dem Weg. Anders als Sie, Signor dei Cesari, liebe ich Probleme nicht gerade.“

„Das freut mich zu hören.“ Er rutschte auf seinem Sitz ein wenig hin und her und schaute sie bedeutungsvoll an. „Dann sollten wir ja gut zusammenarbeiten können.“

„Zusammenarbeiten?“, erkundigte sie sich erstaunt.

„Jawohl, Signorina, deswegen bin ich hier.“

Die Art und Weise, wie er das vorbrachte, beunruhigte sie. Das klang ja sehr ominös. „Was meinen Sie damit?“

Er lehnte sich vor, seine Augen eindringlich auf sie gerichtet. „Ich möchte wissen, wann Giles wieder zurückkommt.“ Als sie mit der Antwort zögerte, fügte er vielsagend hinzu: „Anscheinend haben Sie selbst noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.“

Was meinte er damit? Sie zuckte abweisend mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was Sie damit meinen.“

„Wollen Sie sagen, dass er keine Adresse hinterlassen hat? Mir können Sie das jedenfalls nicht weismachen.“

„Leider ist das aber so.“ Liz lächelte ihn strahlend an. „Er reist irgendwo in Europa herum. Ihr Problem wird leider etwas warten müssen.“ Sie wandte sich von ihm ab und suchte in ihrer Badetasche nach ihrer Uhr. „Und falls das alles war, was Sie wissen wollten, können wir uns jetzt ja verabschieden. Ich habe Hunger und möchte zurück zum Haus.“

Liz sammelte ihre Siebensachen ein und verstaute alles eifrig in der Badetasche. Sie hatte bereits zu viel Zeit mit diesem Mann vergeudet. Sie hätte längst gehen sollen.

Als sie sich erhob, schlug ihr Herz heftiger als sonst. Er schaute sie auch wirklich düster und gefährlich an. Lorenzo dei Cesari war es ganz sicher nicht gewohnt, dass man so mit ihm umsprang. Aber immerhin rührte er sich nicht vom Fleck, als Liz ihren Sarong aufhob und ihn um die Hüften schlang. Sie hängte sich die Strandtasche über die Schulter und verabschiedete sich kurz mit einem gemurmelten „Auf Wiedersehen“. Ein leise dahingesprochenes „Arrivederci“ war die einzige Antwort. Liz drehte sich nicht um, sondern eilte schnurstracks hinauf zur Villa. Sie wollte so viel Raum wie möglich zwischen sich und diesen aufregenden Mann bringen, damit sich die Spannung in ihrem Inneren löste.

Als sie endlich am Haus ankam, war sie wieder ganz ruhig. Wie hatte sie sich von diesem Mann nur so aus der Fassung bringen lassen können? Hatte sie in den vergangenen Monaten nicht schon genug durchgemacht?

Nun, eigentlich bin ich diesen italienischen Macho ganz unkompliziert losgeworden, beglückwünschte sie sich und zog die Sandalen aus, um den Sand nicht mit ins Haus zu tragen.

Sie öffnete die Hintertür. Die Fliesen unter ihren Füßen fühlten sich angenehm kühl an. Zuerst würde sie duschen, dann würde sie sich ein leckeres Mahl aus Hähnchen und Salat zubereiten und dazu ein Glas Wein trinken. Als Nachtisch plante sie frische Früchte.

Sie hatte gerade ihre Strandtasche auf dem Küchentisch abgestellt und war auf dem Weg zum Schlafzimmer, als sie das Klicken der Tür hörte. Sie drehte sich auf dem Absatz herum. Beim Anblick von dei Cesari vergaß sie unwillkürlich, Luft zu holen.

„Fangen wir doch noch einmal von vorn an“, entschuldigte er sich, sperrte die Tür hinter sich ab und steckte den Schlüssel in seine Hosentasche. Lautlos kam er auf sie zu.

„Ich möchte von Ihnen wissen, wo Giles ist, und ich werde nicht eher gehen, bevor Sie mir diese Frage beantwortet haben.“

2. KAPITEL

Liz wich entsetzt vor Lorenzo zurück. „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“ Sie versuchte, ihre Ängstlichkeit, aber nicht ihre Wut vor ihm zu verbergen, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte davon.

„Signorina, Sie gehen nirgendwohin, auf jeden Fall nicht, bevor Sie meine Frage beantwortet haben.“ Seine Stimme klang tief und grollend wie die eines Löwen.

Liz versuchte, ihm Widerstand zu leisten. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich nicht weiß, wo Giles ist! Warum sollte ich Ihnen das außerdem vorenthalten?“

Sie schien ihn ein wenig verblüfft zu haben, denn seine schwarzen Augen flackerten unsicher. „Nun, Signorina“, herrschte er sie ungeduldig an. „Sie kommen mir nicht sehr kooperativ vor. Ich vermute sogar, es macht Ihnen Spaß, mich hinzuhalten.“

So unrecht hatte er mit dieser Feststellung nicht. Anscheinend konnte er den Charakter eines Menschen ganz gut einschätzen. Denn selbst wenn ihr Giles’ Aufenthaltsort bekannt gewesen wäre, hätte sie ihn ihm schon aus Prinzip nicht verraten.

Lorenzo dei Cesari packte sie fest am Arm, Liz versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien. „Lassen Sie mich los! Wie können Sie es wagen!“ Aber er umfasste ihren Arm nur umso heftiger. Er schien sich völlig im Recht zu wähnen.

„Ich lasse Sie los, wenn Sie mir das mitteilen, was ich wissen will.“ Als sie ihn weiter wütend attackierte, um freizukommen, schüttelte er nur amüsiert den Kopf. „Es hat sowieso keinen Zweck, vor mir weglaufen zu wollen.“ Er klopfte mit der Hand auf seine Hosentasche, in die er den Schlüssel der Tür gesteckt hatte. „Sie sind beinahe so etwas wie meine Gefangene.“

Liz kämpfte wild gegen ihn an. „Oh nein, das bin ich nicht.“

Vielleicht hatte er ja vergessen, dass es auch so etwas wie einen Vordereingang gab.

Aber er würde sie wohl nicht bis dorthin entkommen lassen, selbst wenn sie sich befreien konnte! Für den Augenblick musste sie sich mit verbalem Widerstand begnügen.

„Was sind Sie doch für ein Unmensch. Sie stürmen hier herein, führen sich auf, als wäre ich eher eine Kriminelle als eine wehrlose Frau! Sie beeindrucken mich wirklich!“, fügte sie herausfordernd hinzu. „Sie sind bestimmt ein toller Mann! Und richtig tapfer.“

Er antwortete nicht sofort, sondern blickte beinahe zärtlich auf sie hinab. „Soll ich Ihnen beweisen, was für ein toller Mann ich bin? Suchen Sie die Herausforderung? Nun, das können Sie haben.“

Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie war wohl ein wenig unvorsichtig gewesen. Männer wie Lorenzo dei Cesari waren unberechenbar, mit ihnen sollte man nicht spielen. Hastig versicherte sie ihm deshalb: „Nun, ich meinte damit nur, warum wollen Sie mich eigentlich unbedingt festhalten, wo ich Ihnen doch bereits gesagt habe, dass ich nichts weiß.“

Er starrte sie aus zusammengekniffenen Augen ungläubig an. „Ich glaube Ihnen nicht, und ich habe auch keine Lust, länger zu warten, Signorina. Lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verschwenden.“

Direkte Opposition scheint bei ihm nicht zu helfen, vielleicht sollte ich es einmal mit einer sanfteren Taktik versuchen, überlegte Liz. Sie musste an sein besseres Ich appellieren, falls er überhaupt normaler Gefühle fähig war.

Sie setzte sich also nicht länger zur Wehr, sondern erklärte mit gedämpfter Stimme: „Bitte, Signor dei Cesari, seien Sie doch vernünftig. Warum sollte ich es Ihnen eigentlich nicht sagen, es ist ja kein großes Geheimnis. Er ist auf einer Geschäftsreise innerhalb Europas unterwegs.“ Um Verständnis bittend, schaute sie zu ihm auf. „Glauben Sie mir, das ist die Wahrheit. Warum wohl sollte ich Sie anlügen?“

„Die Wahrheit, Signorina? Sind Sie wirklich sicher?“

Der scharfe Ton seiner Stimme verriet nicht, was dei Cesari dann plötzlich tat. Abrupt zog er Liz zu sich heran, sodass sie nicht anders konnte, als sich an ihm festzuhalten.

Die Gefühle, die jetzt ihren Körper durchströmten, hatten überhaupt nichts mit Angst zu tun, es waren aufregende, sinnliche Empfindungen. Die Wärme seines Körpers versetzte ihr Blut in Wallung, es war, als würde ein elektrisierender Funke überspringen.

Atemlos hob sie den Kopf. „Ich würde Sie wirklich nicht anlügen.“

„Oh, nein, Signorina?“ Er hob fragend die Augenbrauen hoch. „Ich glaube Ihnen nicht. Sie sind schließlich eine Frau.“

Nun, als Frau hatte sie jedenfalls sofort auf seine männliche Ausstrahlung reagiert, so wie nie zuvor in ihrem Leben. Er hielt sie noch immer dicht an sich gepresst, doch Liz verspürte jetzt kein Verlangen mehr, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen.

Sie schaute ihn ein wenig überrascht an. „Glauben Sie, dass man Frauen weniger vertrauen kann als Männern?“

„Ich meine, Signorina, dass Lügen und Frauen zusammengehören wie Pasta und Parmesankäse. Unglücklicherweise ist der Frau die Falschheit in die Wiege gelegt worden. Vor allem in ihren Beziehungen zu Männern offenbart sich das.“ Er hielt einen Moment inne und schaute sie prüfend an. „Und ich weiß, dass Ihre Angaben nicht der Wahrheit entsprechen.“

Liz schüttelte den Kopf. „Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen alles gesagt habe, was ich weiß.“

„Oh nein, das haben Sie nicht, und ich kann es Ihnen sogar beweisen.“

Liz runzelte ungläubig die Stirn. „Beweisen? Wie?“

Er lächelte mehr als nur amüsiert. „Soll ich Ihnen zum Beispiel zeigen, wie wenig es der Wahrheit entspricht, dass Sie mich nicht ausstehen können? Wollen Sie das?“

Verwirrt starrte Liz ihn an. Sie wollte eigentlich nur noch, dass er sie losließ …

Er lächelte vieldeutig. „Da Sie das Angebot nicht ablehnen, bin ich nur zu gern bereit, es in die Tat umzusetzen.“

Bevor sie reagieren konnte, presste er sie noch fester an sich und senkte den Kopf, um sie zu küssen.

Sein Mund war hart und unerbittlich, hungrig glitt seine Zunge zwischen ihre Lippen, bis sie, übermannt von den aufwühlenden Gefühlen, leise aufstöhnte.

Aber was um alles in der Welt wollte er damit erreichen? Liz kam es so vor, als hätte er gänzlich die Kontrolle über sich verloren. Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, aber seine Arme hielten sie fest. Verführerisch und kraftvoll zugleich glitten seine Hände über ihren halb nackten Körper, bis Schauer des Verlangens sie durchströmten. Panik machte sich in ihr breit.

„Hören Sie sofort auf!“ Sie wehrte sich massiv. „Lassen Sie mich los, auf der Stelle!“

Er hielt sie auf Armlänge von sich weg und schaute sie an. „Nun, Signorina, Sie haben mich doch aufgefordert, Ihnen zu beweisen, dass Sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben. Und genau das habe ich getan.“

In seinen schwarzen Augen brannte ein unerklärliches Feuer, das jedoch gepaart war mit Verachtung, als er sie erneut an sich zog und sie noch leidenschaftlicher küsste als zuvor. Seine Lippen nahmen rücksichtslos von ihrem Mund Besitz.

Liz wusste sich nicht mehr anders zu helfen und trat ihm mit dem Fuß gegen das Schienbein, obwohl ihr das sicher mehr wehtat als ihm, sie trug schließlich keine Schuhe. Spitze Stiefelabsätze wären da wohl hilfreicher gewesen, dachte sie voller Ironie, als sie Lorenzos mildes Lächeln sah. Er schien sich königlich zu amüsieren.

Nun, immerhin hatte sie erreicht, was sie wollte, er hatte sie losgelassen. Wütend fauchte sie ihn an: „Wie können Sie sich so etwas mir gegenüber erlauben?“

Sein Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. „Hat Ihnen meine Art der Beweisführung nicht gefallen, Signorina?“

Liz verstand überhaupt nicht, was er eigentlich bezweckte. Sie stand nur wenige Schritte vor ihm, wie ein Kaninchen vor einer Schlange, nicht sicher, was als Nächstes kam.

„Was hatte diese Aktion von gerade eben damit zu tun, dass Sie mich für eine Lügnerin halten? Ich jedenfalls kann zwischen den beiden Dingen keine Parallele sehen.“

Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und beobachtete sie beinahe teilnahmslos.

Dagegen musste Liz einfach ankämpfen. „Nun, es gibt nichts, womit Sie beweisen können, dass ich im Unrecht bin. Es stimmt wirklich, dass ich nicht weiß, wo sich Giles aufhält.“

Lorenzo hob arrogant die Augenbrauen. „Das bezweifle ich. Aber ich habe in einer ganz anderen Sache bewiesen, dass Sie nicht die Wahrheit gesagt haben.“ Als sie ihn verständnislos ansah, erklärte er: „Nun, Sie haben mir durch Ihr Verhalten und Ihre Körpersprache zu verstehen gegeben, dass Sie sich mir sozusagen anbieten, damit ich Sie nicht weiter wegen Giles behellige. Das ist ein alter weiblicher Trick, aber ich warne Sie, Signorina, auf so etwas falle ich schon lange nicht mehr herein.“

Verächtlich blickte er auf sie herab. „Ich kenne solche Frauen nur zu gut, die ihre Attraktivität benutzen, um Männer zu manipulieren. Das ist genau der Typ Frau, den Sie für mich verkörpern.“ Liz war blass geworden bei seinen Worten. Sprachlos stand sie vor ihm. Was er da von sich gab, erinnerte sie stark an das, was Alex ihr bei der Auflösung der Verlobung vorgeworfen hatte. Sie verdrängte schnell jeden Gedanken an diese unglückselige Vergangenheit. „Das ist eine ganz schön unverschämte Behauptung! Ich kann nur sagen, das haben Sie sich eingebildet, es entspricht auf keinen Fall meinen Absichten.“

Er nickte, schien ihren Worten aber keine wirkliche Beachtung zu schenken. „Das sagt ihr alle. Und das macht die Sache nur umso schlimmer.“

„Ich habe Sie nicht angelogen.“ Liz hatte das Gefühl, das Gespräch wieder auf einen etwas neutraleren Boden zurückführen zu müssen. Aber als sie in sein spöttisch verzogenes Gesicht blickte, wusste sie, dass es mehr bedurfte als bloßer Worte, um ihn zu überzeugen. Vielleicht sollte sie ihm ein wenig mehr über ihre eigentlichen Gründe für ihr Hiersein verraten …

Sie seufzte tief auf, denn dieses Geständnis fiel ihr sehr schwer. „Hören Sie, Signor dei Cesari, die Wahrheit ist, dass ich selbst auf der Suche nach Giles bin. Und mir wäre nichts lieber, als zu wissen, wo er sich aufhält.“

Er schien das für einen neuen Trick zu halten. „Und was wollen Sie von ihm?“

„Sein Vater ist sehr krank. Er stirbt vielleicht sogar. Und meine Mutter möchte, dass er nach England zurückkommt.“ Nun, das war zwar nur ein Teil der Geschichte, aber mehr brauchte dieser dei Cesari nicht zu wissen.

Er musterte sie neugierig. „Das tut mir leid. Aber warum haben Sie ihm nicht einfach geschrieben oder ihn angerufen?“

„Glauben Sie mir, meine Mutter hat es oft genug versucht. Sie hat ihm bereits vor einigen Wochen einen Brief geschrieben. Danach verschickte sie sogar mehrere Telegramme, aber es kam keine Antwort darauf.“ Liz biss sich auf die Lippen, der Schmerz und die Sorge ihrer Mutter waren zu gegenwärtig. „Auch telefonisch war er bisher nicht zu erreichen. Deswegen hat sie mich gebeten, hier vor Ort nach dem Rechten zu sehen.“

Dei Cesari schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht. Sie sagen, Ihre Mutter versuche schon seit Wochen, Giles zu erreichen. Aber ich weiß ganz genau, dass Ihr Bruder noch vor knapp zwei Wochen hier war.“

„Dann verstehe ich gar nichts mehr.“ Liz schüttelte verwundert den Kopf. „Er müsste doch die Briefe meiner Mutter erhalten haben oder wenigstens die Telegramme. Warum sollte er denn nicht in England anrufen?“

„Nun, mich dürfen Sie das nicht fragen.“ Dei Cesari wandte sich ab. „Wie Sie wissen, sind Giles und ich nicht gerade Freunde.“

„Das weiß ich sehr wohl“, fauchte ihn Liz an. „Und wie ich von ihm weiß, haben Sie ihm das Leben schwer gemacht, seit er hier hergezogen ist.“

„Hat er Ihnen das gesagt?“ Düster blickte er auf sie hinab. „Das ist dann wenigstens ein Punkt zu meinen Gunsten. Aber das tut hier nichts zur Sache. Wie wollen Sie jetzt vorgehen? Glauben Sie wirklich, dass Sie ihn finden können?“

Liz trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste auch keine konkrete Antwort. „Nun, er muss doch Freunde haben. Vielleicht hat er bei den Nachbarn für Notfälle eine Nachricht hinterlassen. Irgendjemandem wird er doch hoffentlich gesagt haben, wie man ihn erreichen kann.“

„Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei Ihren Nachforschungen.“ Dei Cesaris Stimme war voll Sarkasmus. „Ich glaube nämlich nicht, dass Giles in Muretto viele Freunde hat. Und die Leute, mit denen er sonst zu tun hat, sind bestimmt auch keine große Hilfe.“

„Was meinen Sie damit?“

Er zuckte nachlässig mit den Schultern. „Ich glaube, Signorina, dass Sie nur Ihre Zeit verschwenden. Sie könnten genauso gut das nächste Flugzeug zurück nach England nehmen.“

Aber ich muss Giles finden, dachte Liz unglücklich. Es war die einzige Chance für ihre Mutter.

„Andererseits könnte es hier im Haus eine Menge Hinweise auf seinen Aufenthaltsort geben“, deutete Lorenzo an. „Vielleicht suchen Sie danach in Briefen, Notizen, Tagebüchern … das kann Ihnen unter Umständen weiterhelfen.“

„Es käme mir nie in den Sinn, in seinen Papieren herumzuwühlen“, versicherte ihm Liz. „Ich respektiere das Privatleben anderer.“

„Wie schön.“ Er schien völlig unbeeindruckt. „Falls Sie Ihre Meinung ändern sollten und auf interessante Hinweise stoßen, wäre ich dankbar, wenn Sie mich informieren könnten. Wie ich bereits sagte, habe ich mit Giles noch etwas zu regeln.“

Er wäre der Letzte, dem sie verraten würde, dass sie Giles gefunden hatte! Liz musterte ihn voller Abscheu, wie er so lässig dastand.

Der arme Giles, dachte sie, er hatte sich all die Jahre gegen diesen selbstgefälligen Mann, der sich nur zu gern in das Leben anderer Menschen einmischte, zur Wehr setzen müssen.

„Nun, ich verlasse Sie jetzt.“ Lorenzo dei Cesari warf einen kurzen Blick auf seine Uhr und schlenderte Richtung Hinterausgang. Er nahm den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. „Jetzt können Sie sich wieder frei nach Belieben bewegen.“

Er drehte sich arrogant zu ihr um. „Ich selbst verlasse das Haus lieber durch die Vordertür.“

Und geschmeidig wie ein Tiger kam er durch den Raum auf sie zu, um zum Haupteingang zu gelangen.

Mutig stellte Liz sich ihm in den Weg. „Sie sind schuld daran, dass Giles verschwunden ist“, griff sie ihn an. „Sie haben ihm irgendetwas angetan. Geben Sie es doch zu!“

„Ich wünschte mir, Sie hätten recht.“ Dei Cesari lächelte sarkastisch, dann verdüsterte sich sein Gesicht. „Aber lassen Sie mich jetzt gehen, sonst komme ich noch auf ganz andere Gedanken …“

Nun, ganz sicher würde sie nicht zulassen, dass er sie noch einmal küsste, also machte Liz ihm freiwillig den Weg frei. Einen Moment später war er in der Diele verschwunden. Sie hörte noch, wie er die Haustür öffnete und schloss.

Liz verkrampfte unwillkürlich die Hände zur Faust. Sie fühlte sich der Situation so hilflos ausgeliefert. Doch dann gab sie sich einen Ruck und eilte in das zur Straße liegende Schlafzimmer und lugte vorsichtig nach draußen, geschickt durch den Vorhang verdeckt. Sie würde sich das Vergnügen gönnen, diesen Widerling davonfahren zu sehen, hoffentlich für immer!

Ein schwarzer Mercedes parkte vor der Tür. Lorenzo dei Cesari hatte sie also zuerst im Haus gesucht, bevor er zum Strand hinuntergegangen war. Ich werde schon herausfinden, was er im Schilde führt, schwor sich Liz. Irgendwie schien er etwas mit Giles’ Verschwinden zu tun zu haben.

Liz machte sich sofort ans Werk. Nachdem dei Cesari gegangen war, duschte sie schnell und setzte sich dann gemütlich auf die Terrasse. Zuallererst würde sie eine Liste aller Möglichkeiten aufstellen. Am besten konnte sie sich zuerst bei den Nachbarn umhören. Vielleicht gab der eine oder andere ihr einen guten Tipp.

Sie nahm das wunderschöne Panorama um sich herum wahr, den gepflegten Garten, die bunte Blumenpracht und die hohen Palmen. Die Villa säumte zusammen mit einem weiteren Dutzend Häusern die Bucht von Muretto. Liz spürte einen leichten Anflug von Neid. Wie gut hatte es doch Giles, dass er hier wohnen konnte, so direkt am Meer und dennoch nur zwei Stunden von Rom, der turbulenten Hauptstadt Italiens, entfernt. Liz liebte Rom mit all seinen Schönheiten sehr.

Sie seufzte leise auf und wandte ihre Aufmerksamkeit erneut ihrer Liste zu. Wenn sie nur ihren erfolgreichen Stiefbruder ein wenig besser kennen würde, dann wäre ihre Aufgabe bedeutend leichter. Aber sie hatte Giles überhaupt nur ein- oder zweimal in ihrem Leben getroffen. Alles, was sie über ihn wusste, stammte aus dritter Hand – von seinem Vater und von ihrer Mutter, auch die Horrorgeschichten über dei Cesari!

Sie wusste, dass er sein eigener freier Herr war und wohl viel herumreisen musste, aber was seinen Geschäftsbereich genau betraf, war ihr unbekannt. „Oh, dies und das“, hatte er bei ihrer letzten Begegnung abgewinkt, so als wolle er sie nicht mit seinem Alltag belasten.

Liz wünschte, sie hätte sich damals nicht so leicht abspeisen lassen. Sie versuchte, sich an Namen zu erinnern, die er ihr genannt hatte. Was für Leute kannte er hier in Muretto außer seinen Nachbarn? Mit wem war er wirklich befreundet? Welche Clubs, Kneipen und Restaurants bevorzugte er?

Er war kein Sportler, also schieden Sportclubs schon einmal aus. Aber hatte er nicht von einem Nightclub geschwärmt, den er häufig besuchte? Wie hieß der doch? Ronnie, ihr Stiefvater, hatte den Namen oft erwähnt, denn er war einmal gemeinsam mit Giles dort gewesen.

La Luna Verde, genau das war es, „Zum Grünen Mond“, fiel es ihr schlagartig wieder ein. Schnell notierte sie den Namen auf ihrer noch immer sehr kurzen Liste. Dann erinnerte sie sich an einen Bekannten, Giacomo, von dem Giles mehrfach gesprochen hatte. Sie lächelte erleichtert, vielleicht würde sie ja doch weiterkommen.

Liz lehnte sich zurück und schaute hinaus auf den Horizont.

Ihre Mutter brauchte sich keine Sorgen zu machen, sie würde es schaffen, Giles aufzutreiben. Das Leben war nicht gerade einfach für ihre Mutter gewesen. Sie hatte sehr früh ihren ersten Ehemann verloren, mit vierzig war er bei einem Verkehrsunfall umgekommen, und jetzt musste sie schon wieder schwere Zeiten durchleben und sich um ihren Lebensgefährten ängstigen. Die Ärzte hatten Ronnie nur noch ein paar Monate zu leben gegeben.

Diese Nachricht zu verarbeiten war schon schwierig genug, aber aufgrund eines rechtlichen Fehlers war das Haus ihres Stiefvaters nicht auf seinen, sondern auf Giles’ Namen im Grundbuch eingetragen. Sollte Ronnie sterben, bevor sie ihren Stiefbruder kontaktieren konnte, wäre ihre Mutter nicht nur erneut verwitwet, sondern stünde auch ohne Bleibe da. Um die Hausgeschichte wieder ins Lot zu bekommen, war unbedingt Giles’ Unterschrift notwendig.

Ronnie hatte ihr die Hintergründe genau erläutert. „Wir haben das damals aus Steuergründen getan. Giles hatte es vorgeschlagen, aber es war klar, dass wir das wieder rückgängig machen würden. Allerdings hat der Rechtsanwalt irgendeinen Termin versäumt.“ Der arme Ronnie hatte richtig besorgt ausgesehen. „Ich brauche Giles’ Unterschrift, damit das Haus wieder auf mich rückübertragen wird und ich es deiner Mutter vererben kann.“

Und er hatte erklärt, dass er liebend gern selbst nach Italien gefahren wäre, wenn seine Kräfte es zugelassen hätten.

Liz ließ sich nicht lange bitten. Ihre Mutter hatte bereits genug in ihrem Leben durchmachen müssen. Und Giles war sicherlich der gleichen Meinung.

Noch am selben Nachmittag machte sich Liz auf den Weg zu den Nachbarn. Sie war erstaunt, wie herzlich und gastfreundlich man sie aufnahm, ihr Kuchen und Kaffee anbot. Aber leider konnte ihr in Bezug auf Giles niemand weiterhelfen.

Am Abend schließlich fuhr sie in die Diskothek La Luna Verde und sprach mit dem Besitzer. Er hatte schon seit mehreren Wochen nichts mehr von Giles gehört, versprach aber, Giacomo so schnell wie möglich von ihrer Anwesenheit zu verständigen.

„Ich kann Ihnen leider weder seine Adresse noch seine Telefonnummer geben“, entschuldigte er sich, als sie versuchte, ihm diese zu entlocken. „Er ist da sehr eigen. Er würde mir eine solche Indiskretion nie verzeihen. Aber vertrauen Sie auf mich, ich werde Ihr Anliegen weiterleiten.“

Am folgenden Tag verbrachte Liz eine Stunde am Strand. Während sie im Sand lag und sich sonnte, versuchte sie die Verbindung zwischen dei Cesari und ihrem Stiefbruder zu analysieren. Irgendwie musste dieser Italiener mit dem Verschwinden zu tun haben.

Das Problem war nur, dass sie nicht wusste, was der Grund für die Feindschaft zwischen den beiden Männern war. Lag es daran, dass sie so unterschiedliche Temperamente besaßen, oder versteckte sich hinter dem Ganzen ein ernsthafteres Problem?

Aber während sie so überlegte und ihre Gedanken schweifen ließ, bemerkte sie auf einmal, dass jemand sie beobachtete.

Sie setzte sich auf und drehte sich um. „Wer ist da?“, rief sie. Einen Augenblick später sah sie ein junges Mädchen zwischen den Palmen, die Giles’ Garten vom Strand trennten, verschwinden. „Hallo, wer sind Sie?“ Aber das Mädchen war ohne ein Wort davongeeilt.

Sie hatte die kleine Szene schon vergessen, als sie zum Haus zurückkam und auf einmal eine Notiz unter der Tür fand.

Treffen Sie mich heute in der Bar Italia an der Piazza in Saranno. Bitte kommen Sie um vier Uhr. Ich warte auf Sie an dem Tisch unterhalb der Uhr.

Die Nachricht war unterschrieben mit einem mysteriösen „M“, was keinen Hinweis auf den Urheber zuließ. Darunter stand noch ein Satz gekritzelt: Es geht um Giles. Es ist sehr wichtig!

Liz brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen. Wahrscheinlich hatte das Mädchen, das sie vom Strand aus bemerkt hatte, den Zettel unter die Tür geschoben. Aber auch wenn alles etwas seltsam klang, so würde sie diesen Termin auf keinen Fall versäumen. Innerlich vor Freude jubelnd, suchte sie nach der Straßenkarte. Das konnte das erste Steinchen des Puzzles sein!

Saranno war ein kleines Dorf im Hinterland, etwa zwölf Kilometer von Muretto entfernt. Liz fand den Ort problemlos auf der Karte, und auch die Fahrt dorthin gestaltete sich ganz unkompliziert. Bereits um Viertel vor vier parkte sie ihren Mietwagen in einer der Seitenstraßen, die von der Piazza abgingen.

Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel, als sie über das Kopfsteinpflaster des Platzes auf die Bar Italia zuschlenderte. Es war eine typische italienische Bar, vor der draußen mehrere Reihen kleiner Tische mit weißen Tischtüchern standen.

Liz betrat den Schankraum. Sie entdeckte sofort die Uhr. Sie hing über einem etwas abseits stehenden Tisch, der von einer höheren Balustrade verdeckt wurde. Voller Erwartung trat Liz darauf zu, rückte noch einmal den Kragen ihres blau gestreiften Kleides zurecht und strich sich das blonde Haar aus der Stirn. Ob „M“ bereits auf sie wartete? Was würde dieses Mädchen ihr wohl zu erzählen haben?

Sie umrundete die Abtrennung und zauberte ein Lächeln auf ihren Mund. Aber als sie vor dem Tisch stand, traf es sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Vor ihr erhob sich Lorenzo von seinem Stuhl und begrüßte sie spöttisch.

„Guten Tag, Signorina. Sie kommen ja ausgesprochen pünktlich. Ich habe fest mit Ihrem Erscheinen gerechnet.“

3. KAPITEL

Liz glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Was ging hier vor? War das ein Trick? Was machte Lorenzo dei Cesari hier?

Sie würde ihm dieses kleine Spielchen verderben. „Ich bin vielleicht gekommen, aber zu Ihnen wollte ich nicht! Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäuschen muss, Signor dei Cesari, denn ich gehe jetzt wieder!“

„Nun, ich denke doch, dass Sie bleiben werden, Signorina. So leicht entkommen Sie mir nicht.“

Wie schon einmal legten sich seine Hände wie Stahlbänder, aus denen es kein Entkommen gab, um ihre Handgelenke. Zum Glück befinden wir uns an einem öffentlichen Ort, tröstete sich Liz. Hier war sie weniger in seiner Gewalt als in Giles’ einsam gelegenem Haus.

Sie blieb ganz ruhig stehen und schaute ihm direkt ins Gesicht. „Lassen Sie mich bitte los, Signor dei Cesari, oder ich mache Ihnen vor all diesen Leuten eine Szene.“

„Eine Szene, Signorina? Warum sollten Sie das tun? Ich möchte mich doch nur mit Ihnen unterhalten. Was ist daran so furchtbar?“

„Was daran so furchtbar ist? Ich habe einfach keine Lust, mit Ihnen zu sprechen. Ich dachte, das hätte ich bereits klargestellt.“

„Nun, aber ich bestehe darauf.“

Er verstärkte seinen Griff noch. Unbarmherzig blickte er auf sie herab. „Und ich garantiere Ihnen, dass wir diesen Tisch hier nicht verlassen, bevor Sie mir nicht erklärt haben, wieso Sie mit meiner Schwester diese Verabredung trafen. Was wollen Sie von ihr?“

„Was meinen Sie? Ich kenne Ihre Schwester doch überhaupt nicht!“

„Wie kommt es dann, dass Sie mit ihr um vier Uhr hier ein Treffen an diesem Tisch ausgemacht haben?“

Liz überlegte schnell. Wie war es zu diesem Missverständnis gekommen? „Sie meinen, ‚M‘ ist Ihre Schwester? Das Mädchen, das heute Mittag an der Villa auftauchte und mir einen Zettel hinterließ …“

Sie blickte ihn wütend an. „Woher sollte ich denn wissen, dass das Ihre Schwester war?“

„Was für einen Zettel? Wovon reden Sie? Lügen Sie mich nicht schon wieder an, Signorina.“

„Und ich habe keine Lust, mir noch länger Ihre Beschuldigungen anzuhören!“

Liz schaffte es, ihre Hand freizubekommen. „Auf dem Zettel stand, ich solle jemanden hier treffen, der mich wegen Giles sprechen wollte.“

„Oh, noch mehr Lügen“, forderte er sie heraus. „Sagen Sie denn niemals die Wahrheit?“

Doch mit der Erkenntnis, dass sich hinter „M“ seine Schwester verbarg, war Liz’ Neugierde geweckt. Warum war sie zum Haus gekommen? Welche Beziehung hatte sie zu Giles, und aus welchem Grund hatte sie nicht persönlich zu diesem Treffen kommen können?

Als der Kellner nun auf sie zukam, bestellte Lorenzo für sich auf Italienisch ein Bier und fügte auf Englisch hinzu, damit Liz es auch verstehen konnte: „Die junge Dame kann leider nicht länger bleiben.“

„Oh doch“, widersprach Liz. Sie würde der Sache jetzt auf den Grund gehen und die Streitursache zwischen Giles und Lorenzo dei Cesari herausfinden.

Sie wandte sich entschuldigend an den Kellner. „Bitte bringen Sie zwei Bier. Due birre.“ Und scheinbar völlig souverän nahm sie auf dem Stuhl genau gegenüber von Lorenzo Platz.

Er lehnte sich zufrieden zurück. „Ich freue mich schon auf Ihre Erklärungen. Warum haben Sie also meine Schwester kontaktiert?“

Als sie verneinend den Kopf schüttelte, blitzte Wut in seinen Augen auf. „Wollten Sie ihr eine geheime Nachricht von Giles zukommen lassen?“

Liz zwang sich dazu, seinem Blick ohne Wimpernzucken standzuhalten, obwohl sein Ärger beinahe physisch spürbar war.

„Ich habe nichts dergleichen getan.“ Sie griff in ihre Handtasche, zog den Notizzettel heraus und schleuderte ihn auf den Tisch. „Sehen Sie selbst, ob diese Notiz von Ihrer Schwester stammt oder nicht. Sie werden ja wohl ihre Handschrift erkennen. Ich habe keinen Grund, Sie anzulügen.“

Heftig griff er nach dem Blatt Papier, überflog kurz die Zeilen und schob es ihr dann wieder zu. „Sie haben ausnahmsweise recht. Das hat tatsächlich meine Schwester geschrieben.“

„Due birre, Signori“, machte sich der Kellner neben ihnen bemerkbar und stellte zwei Gläser und zwei Flaschen vor ihnen auf den Tisch.

Liz schaute Lorenzo zu, wie er nach einer der Flaschen griff, beide Gläser vollschenkte und ihr eines davon zuschob. „Vielen Dank“, murmelte sie.

Er sah wirklich atemberaubend gut aus in seinem hellen Leinenanzug mit dem blauen Jeanshemd, das am Hals geöffnet war. Die Frauen mussten wie wild hinter ihm her sein.

Attraktiv, aber gefährlich!, wappnete sie sich gegen seinen Charme. Denn er schien ein Mann zu sein, der in Beziehungen zu Frauen stets das Sagen haben wollte. Das sah man schon an seinen glitzernden Augen und seinem meist zynisch verzogenen Mund.

Ohne Hast griff Lorenzo dei Cesari nach seinem Glas und trank einen Schluck. „Sie sagten, Sie hätten meine Schwester gesehen. Wo?“

„Unten am Strand. Ich habe allerdings nur einen flüchtigen Blick auf sie erhaschen können. Erst als ich zum Haus zurückkam, fand ich ihre Nachricht.“

„Und das war wirklich das einzige Mal, dass Sie sie gesehen haben?“ Er schien noch immer voller Misstrauen. „Sie haben nicht zufällig schon früher versucht, in ihre Nähe zu gelangen?“

„Wie gesagt, ich kenne Ihre Schwester überhaupt nicht. Warum beschuldigen Sie mich ständig, ich würde Sie anlügen?“

„Weil ich Ihnen einfach nicht glauben kann, weder in Bezug auf das, was Sie mir über Giles weismachen wollen, noch in Bezug auf Mariella.“

Hinter dem „M“ verbarg sich also der Name Mariella. Liz schaute Lorenzo direkt ins Gesicht. „Das ist Ihr Problem. Wissen Sie nicht, was man ganz generell über misstrauische Menschen sagt? Dass sie nämlich selbst nicht sehr vertrauenswürdig sind.“

„Sie wollen also sagen, dass Menschen, die Fragen aus dem Weg gehen, gewöhnlich selbst etwas zu verbergen haben?“

„Haben Sie das jetzt auf mich gemünzt? Können Sie mir eigentlich sagen, warum ich Ihre Fragen beantworten sollte? Ich kenne Sie doch gar nicht.“ Liz schäumte vor Wut. „Und mein Gefühl sagt mir, dass Sie etwas zu verbergen haben und nicht ich.“

Er lächelte amüsiert. „Und was sollte ich verbergen wollen?“

„Woher soll ich denn das wissen! Aber ich werde es schon herausbekommen.“

„Warum?“

„Weil ich dann vielleicht Giles finden kann.“

„Soll das heißen, dass Sie wirklich nicht wissen, wo er sich aufhält?“

Liz seufzte frustriert und griff nach ihrem Bierglas. „Wie oft soll ich das noch wiederholen?“ Sie ließ den Blick durch das Lokal schweifen. Dieser Mann war wirklich unerträglich.

„Sie haben also nicht viel Glück bei Ihren Recherchen? Ich hatte Sie ja gewarnt.“

Entschieden setzte Liz sich gegen diese Unterstellungen zur Wehr. „Alle waren wirklich sehr bemüht, mir zu helfen.“ Sie schaute ihn möglichst gleichmütig an. „Sie wussten aber leider nicht, wo Giles sein könnte.“

„Ich habe gehört, Sie waren sogar im La Luna Verde.“

„Oh, Sie haben mir also nachspioniert.“ Liz war zwischen Abscheu und Amüsement hin und her gerissen.

„Warum sollte ich so etwas tun?“

„Das ist keine Antwort! Sehen Sie, Sie sind es, der meine Fragen unbeantwortet lässt. Und irgendetwas geht hier hinter meinem Rücken vor. Sie verheimlichen mir etwas, nicht wahr?“

Er lehnte sich lässig zurück und strahlte sie völlig unbekümmert an. „Wissen Sie, dass Sie ganz besonders reizend aussehen, wenn Sie wütend sind?“ Sein Lächeln wurde breiter. „Es würde sich sogar lohnen, stets nach einem Grund zu suchen, Sie zu ärgern.“

„Das sollte Ihnen keine Probleme bereiten. Sie sind der unverschämteste Mann, der mir je über den Weg gelaufen ist.“

Er lachte laut und herzhaft, die Spannung von eben schien sich sozusagen in Luft aufzulösen. Doch dann verhärtete sich seine Miene wieder. „Lassen wir das Scherzen. Ich möchte Sie allerdings warnen, mich nicht zu unterschätzen. Bisher haben Sie sehr wenig davon gesehen, wie ich handeln kann, wenn etwas gegen meinen Willen passiert.“

„Nun, Sie sind ganz so, wie man Sie mir beschrieben hat. Jede einzelne Kleinigkeit hat sich bewahrheitet.“

Er zuckte nur nachlässig mit den Schultern. „Nun, viel wird es nicht gewesen sein. Im Übrigen schätze ich Ihre Informationsquelle als sehr unzuverlässig ein.“

Das brachte das Thema wieder auf Giles zurück. Liz hatte noch einen kleinen Trumpf gegen Lorenzo dei Cesari in der Hand. „Warum glauben Sie, dass Ihre Schwester unbedingt mit mir über meinen Stiefbruder reden wollte?“

Er schien sich nur mühsam beherrschen zu können. „Woher soll ich das wissen? Da müssen Sie meine Schwester schon selbst fragen.“

Er wusste den Grund, dessen war sie sich vollkommen sicher. „War irgendetwas zwischen den beiden?“ Die Idee war ihr ganz plötzlich gekommen.

Er antwortete nicht sofort, sondern spielte nachdenklich mit seinem Glas. „Wie kommen Sie auf diese absurde Idee?“

Liz war sich trotzdem ziemlich sicher, dass ihre Vermutung stimmte. „Hatten die beiden vielleicht eine Affäre miteinander?“

Lorenzo stellte sein Glas mit einem lauten Knall ab. Außer sich vor Wut, beugte er sich über den Tisch. „Wissen Sie, was Sie damit behaupten? Sie wagen es, die Ehre meiner Schwester zu beleidigen. Vergessen Sie nicht, dass wir uns in Italien befinden!“

Auch wenn sie genau den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben schien, war es wohl ratsam, ein wenig vorsichtiger vorzugehen. „Ich hatte nur überlegt, ob das vielleicht die Beziehung zwischen den beiden erklären könnte.“

Er schaute sie schweigend an, dann fluchte er laut auf Italienisch. „Nun, Signorina, dann sollen Sie also die ganze Wahrheit über Ihren Stiefbruder erfahren. Nicht genug, dass er ständig mit anderen Frauen anbändelte, nein, er musste auch noch meine kleine Schwester verführen. Ein Gentleman ist er wohl nicht gerade.“

Er hielt inne, um Luft zu holen. Starr blickte er auf sie herab. „Er hat sich hier vor meinen Augen an sie herangemacht. Und was das für den Ruf einer jungen Frau hier in Italien bedeutet, brauche ich Ihnen hoffentlich nicht zu erklären. Er hat meine ganze Familie durch sein Verhalten entehrt.“

Liz sah das etwas anders, Giles hatte bestimmt ohne Berechnung gehandelt und war einfach seinen momentanen Gefühlen gefolgt. „Sicher hatte Ihre Schwester da auch ein Wörtchen mitzureden. Ich kann sie nicht ausschließlich als Opfer von Giles’ sinnlichen Gelüsten sehen, wenn ich es so ausdrücken darf.“

„So, Sie glauben also, dass die Jugend hier genauso negative Moralvorstellungen hat wie Ihr Bruder?“

Liz erblasste bei seinen wilden Anschuldigungen und versuchte, so ruhig wie möglich zu antworten. „Was Giles’ Moral angeht, so bin ich wirklich nicht die geeignete Person, um sie beurteilen zu können. Ich bin nur seine Stiefschwester, nicht sein Beichtvater.“

Ihre Ruhe schien ihn noch mehr aus der Fassung zu bringen. „Sind Sie etwa mit seinem Verhalten einverstanden? Vielleicht sind Sie ja selbst ein sehr leichtlebiger Mensch, der nur an sich denkt!“

Das wollte sie sich nicht gefallen lassen. Liz richtete sich in ihrem Stuhl auf und betrachtete ihr Gegenüber kritisch. „Signor dei Cesari, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich fast nichts über das Privatleben meines Stiefbruders weiß. Außerdem setze ich mich entschieden gegen all Ihre Unterstellungen zur Wehr.“

Sein Gesichtsausdruck verriet nichts von seinen Gefühlen, als er ihr blasses Gesicht musterte. „Sie haben natürlich recht. Ich hätte mich nicht von meinem Ärger fortreißen lassen sollen.“ Er schenkte ihr Glas nach. „Trinken Sie, das beruhigt Ihre Nerven.“

Er war also sehr wohl fähig, sich für ein Fehlverhalten zu entschuldigen, und tat das sogar mit so viel Charme, dass er einfach unwiderstehlich auf sie wirkte.

Er selbst leerte sein Glas mit einem Schluck. „Vielleicht hätte ich auch nicht so ohne Weiteres meiner Schwester Glauben schenken sollen, dass Sie für das Treffen verantwortlich sind. Sie war seit Giles’ Verschwinden emotional sehr aufgewühlt. Vielleicht erwartete sie, dass Sie ihr verraten, wo er ist.“

„Nun, da hätte sie ihre Zeit nur verschwendet. Ich weiß nämlich wirklich nichts“, versicherte ihm Liz erneut.

Er nickte. „Tatsächlich? Ist das so?“ Es war ihm nichts anzumerken, ob er ihr inzwischen glaubte oder nicht. „Meine Schwester ist nicht mehr so fröhlich und unbekümmert wie früher, seitdem Giles sich von ihr zurückgezogen hat.“

„Wieso glauben Sie, dass er das getan hat?“

„Nun, daran gibt es eigentlich keinen Zweifel. Er hat sie mehr oder weniger wie eine heiße Kartoffel einfach fallen lassen.“ Er atmete tief ein, so als versuche er, sich zu beherrschen.

Doch dann fuhr er mit kontrollierter Stimme fort: „Leider habe ich von der Geschichte erst vor Kurzem erfahren. Genauer gesagt vor ein paar Tagen. In ihrer Verzweiflung hatte sich meine Schwester mir endlich anvertraut und mich gebeten, Giles für sie zu finden.“

Liz glaubte, ernsthafte Sorge um seine Schwester aus seiner Stimme herauszuhören. Doch musste er deswegen so aggressiv werden?

„Ich werde ihn zurückbringen! Und dann werde ich mit ihm abrechnen!“ Lorenzo dei Cesari lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Liz beobachtete ihn, und auf einmal ging ihr ein Licht auf.

„Ach so, es handelt sich hier wohl um eine Art private Vendetta!“, machte sie ihrem Abscheu Luft. „Deswegen sind Sie so wütend in die Villa gestürmt! Sie möchten sich an Giles für das rächen, was er Ihrer Schwester angetan hat. Es geht um die Ehre Ihrer Schwester und Ihres Familienclans.“ Sie lachte spöttisch auf. „Glauben Sie nicht, dass das ein wenig altmodisch ist? Wir leben immerhin am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts.“

„Ich dachte mir schon, dass Sie so denken. Sie sehen natürlich keinen Grund dafür, die Ehre eines Mädchens zu verteidigen.“

„Nun, ich glaube nicht unbedingt, dass die Ehre Ihrer Schwester verletzt wurde. Sie mögen zwar denken, dass Giles Ihre Schwester einfach abserviert hat, aber vielleicht ist die Erklärung ganz simpel, und er musste einfach abreisen. Woher wollen Sie wissen, dass er Ihre Schwester nicht aufrichtig liebt? Vielleicht besteht einfach ein Missverständnis zwischen den beiden.“

„Ein Missverständnis! Er ist ohne ein Wort der Erklärung verschwunden!“

„Nun, früher oder später wird er wieder zurückkommen. Er wohnt schließlich hier. Also sollten Sie nicht irgendwelche wilden Vermutungen anstellen, die sich vielleicht durch ein Gespräch aus dem Weg räumen ließen. Kann man solch eine Angelegenheit denn nicht zivilisiert lösen?“

„Das scheint mir eine sehr britische Art, die Dinge anzugehen, ich als Italiener sehe das etwas anders.“

Lorenzo schnalzte verächtlich mit den Fingern.

Liz lief ein Schauer über den Rücken. Sie wollte nicht an Giles’ Stelle sein, das war sicher. Er hätte sicherlich besser daran getan, sich ein anderes Mädchen als Freundin auszusuchen.

Aber immerhin konnte das ein Hinweis darauf sein, warum ihr Stiefbruder so Hals über Kopf verschwunden war.

Sie lehnte sich nach vorn. „Sie haben ihn also bedroht, nachdem Sie herausgefunden haben, was zwischen ihm und Ihrer Schwester passiert ist, nicht wahr? Deshalb ist er vor Ihnen geflüchtet!“

„Nun, dessen bedurfte es gar nicht. Er musste eigentlich wissen, was passieren würde in so einem Fall. Schließlich lebt er schon lange genug in Italien.“

„Sie sind ein Scheusal. Sie sind schuld daran, dass er untergetaucht ist.“

„Bestimmt nicht. Ich habe von der Sache erst erfahren, als er schon weg war.“

Liz glaubte ihm kein Wort. Doch dann fiel ihr etwas ein, das die Situation in der Tat verkomplizieren würde. „Ist Ihre Schwester schwanger? Sind Sie deswegen so versessen darauf, Giles zu finden?“

„Nein, meine Schwester ist nicht schwanger“, kam es, wie aus der Pistole geschossen. „In dem Fall gäbe es keinen Platz auf der Welt, an dem sich Ihr Bruder vor mir verstecken könnte. Ich würde ihn selbst im fernen China aufspüren!“

Liz zweifelte keine Sekunde daran. Aber sie war dennoch erleichtert, auch wegen Giles. „Warum ist er dann fort?“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“

Aber er scheint mehr zu wissen, als er verrät, stellte Liz mit einem Blick in sein Gesicht fest. Sie wusste, dass er log. „Sie verheimlichen da etwas, das spüre ich ganz einfach. Aus irgendeinem Grund sind Sie hinter ihm her. Und Sie wollen verhindern, dass er zurückkommt.“

„Das wäre nur zu schön, um wahr zu sein. Für Mariella wäre es natürlich besser.“

„Und was ist mit mir?“, setzte sich Liz zur Wehr. „Für mich wäre das eine Katastrophe. Und natürlich auch für Giles’ Vater und für meine Mutter!“ Ihre Stimme schwankte. „Wenn ich ihn nicht finde, ist das allein Ihre Schuld. Wenn meine Mutter irgendwann kein Dach mehr über dem Kopf hat, hat sie das Ihnen zu verdanken.“

Dei Cesari schien auf einmal die Ohren zu spitzen.

„Was soll das heißen? Was hat Ihre Mutter damit zu tun?“

Sie hatte ihm eigentlich nichts davon erzählen wollen. „Das brauchen Sie auch nicht zu verstehen. Ich muss Giles nur finden, damit er ein paar wichtige Dokumente unterschreibt. Und zwar bevor sein Vater stirbt.“ Sie war wütend auf sich selbst, dass sie sich nicht hatte zurückhalten können. „Das geht Sie außerdem gar nichts an.“

„Okay, ich habe schon verstanden, Sie wollen keine Einmischung in Ihre Angelegenheiten.“

Dei Cesari schien plötzlich in milderer Stimmung. „Ich weiß zwar nicht genau, was Ihre Probleme im Einzelnen sind, aber wir scheinen doch irgendwie das Gleiche zu wollen. Uns beiden ist daran gelegen, Giles so schnell wie möglich zu finden. Warum sollten wir uns da nicht zusammentun?“

„Damit Sie ihn buchstäblich in der Luft zerreißen können, wenn er hier auftaucht? Nein, danke!“

„Seien Sie doch nicht so melodramatisch. Ich werde ihm kein Haar krümmen, das verspreche ich.“

„Da schien er aber anderer Meinung zu sein, sonst wäre er sicher nicht geflüchtet. Warum sollte ich Ihnen außerdem glauben?“

„Weil es die reine Wahrheit ist, das versichere ich Ihnen.“ Lorenzo seufzte tief. „Hören Sie, ich kann Ihnen zwar nicht die Einzelheiten erzählen, aber ich suche Giles genauso dringend wie Sie. Wir sollten doch nicht gegeneinander arbeiten.“

„Halten Sie mich wirklich für eine Närrin?“ Liz starrte ihn kämpferisch an. „Sie haben mir Ihre Gründe bereits verraten. Ich glaube einfach, dass Sie gern das Leben anderer Menschen durcheinanderbringen, um zu beweisen, was für ein toller Hecht Sie sind.“

Er schien unerschütterlich. „So schätzen Sie mich also ein? Ich mische mich eigentlich nur da ein, wo es notwendig ist.“

„Und bei Giles ist das der Fall?“

„Genau. Bei Menschen wie ihm. Leuten, die es sich zur Lebensmaxime gemacht haben, das Leben anderer, unschuldiger Menschen zu zerstören.“

Das wollte Liz so nicht auf sich beruhen lassen. „Das ist aber ganz schön übertrieben! Sie können doch wohl nicht behaupten, dass Giles das Leben Ihrer Schwester ruiniert hat, oder? Nur weil sie ein romantisches Techtelmechtel miteinander hatten.“

Er ließ sich Zeit mit der Antwort. „Es geht nicht nur um Mariella. Er ist für viele andere schlimme Sachen verantwortlich.“

Liz überging diese Behauptungen. „Sie machen aus einer Mücke einen Elefanten! Was geht es Sie überhaupt an, wie Giles mit anderen Menschen umgeht?“

„Oh, es geht mich sehr wohl etwas an.“

„Das bezweifle ich. Und es geht Ihnen wahrscheinlich nicht einmal wirklich um Ihre Schwester. Sie wollen nur den ehrenvollen Namen dei Cesari rächen.“

„Und Sie scheinen nicht der Meinung zu sein, dass man für die Dinge einstehen muss, die man getan hat, Signorina. Glauben Sie nicht, dass die Menschen für bestimmte Dinge eine gewisse Verantwortung tragen?“

„Natürlich tue ich das! Warum, glauben Sie, bin ich hier?“ Er schien sich an den Grund ihres Hierseins zu erinnern, denn so etwas wie Mitgefühl glomm in seinen Augen auf. Oder bildete sie sich das nur ein?

Sie lehnte sich vor, entschlossen, ihn von ihrer Meinung zu überzeugen. „Nur Sie können mir helfen. Geben Sie Ihre persönliche Vendetta auf, dann kommt er bestimmt zurück. Bitte!“

„Es würde nichts ändern. Glauben Sie mir. Und ich habe Ihnen schon einmal erklärt, dass Giles aus ganz anderen Gründen von hier verschwunden ist.“

„Ich glaube Ihnen nicht! Was für ein Mensch sind Sie bloß, sind andere Ihnen denn überhaupt nicht wichtig? Müssen Sie immer Ihren Kopf durchsetzen?“

Liz’ Stimme klang beinahe hysterisch. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.

Sie hatte sich weit vorgewagt, hatte alles versucht, um ihn umzustimmen, aber es schien nichts bewirkt zu haben. Sie brauchte aber seine Unterstützung!

„Bitte, machen Sie Ihre Drohungen rückgängig. Tun Sie es für mich! Für Ronnie und meine Mutter!“

„Ich kann nicht, Liz. Glauben Sie mir, es ist unmöglich.“ Er streckte seine Hand nach ihr aus.

Sie würde sich nicht von ihm einlullen lassen. Wütend entzog sie sich seiner Berührung. „Sie … Sie Menschenverächter! Wie können Sie so handeln, wenn Sie wissen, dass Sie andere damit ins Unglück stürzen?“

Es hielt sie nicht mehr auf ihrem Platz. Sie erhob sich mit einem letzten erbitterten Blick auf sein unbewegliches Gesicht und marschierte direkt in Richtung Ausgang, vorbei an den Kellnern, die sich ihren Weg durch das Lokal bahnten und die Liz überhaupt nicht zu sehen schien.

Und schon war es geschehen. Der gesamte Inhalt eines Tabletts lag auf dem hellen Boden.

Liz schwirrte der Kopf, und sie versuchte hilflos, dem Kellner klarzumachen, wie leid es ihr tat. Mochte Lorenzo dei Cesari für die Kosten ihrer Ungeschicklichkeit aufkommen, er war ja schließlich schuld daran. Sie machte dem Kellner ein entsprechendes Zeichen.

Sie wusste nur eines, sie musste weg von hier. Mit einer nochmals gemurmelten Entschuldigung strebte sie schnell dem Ausgang zu. Was war nur mit ihr los, und warum reagierte sie so heftig auf Lorenzo dei Cesari? Liz wusste es nicht …

4. KAPITEL

Liz hatte es mehr als eilig, Saranno wieder zu verlassen. Es war ihr egal, wohin sie fuhr, Hauptsache weg von diesem schrecklichen Mann.

„Dieser überhebliche italienische Macho“, schimpfte sie leise vor sich hin. Sie hätte es am liebsten laut in die Landschaft hinausgeschrien, was sie von ihm hielt, aber es würde wohl nichts nützen. Er war noch schlimmer als Alex. Mit ihm vernünftig argumentieren zu wollen hatte keinen Zweck. Genauso gut konnte man versuchen, einen Stein zum Reden zu bringen.

Sie nahm kaum die wunderschönen sanften Hügel mit den dunkelgrünen Zypressen und den mattschimmernden Olivenhainen um sich herum wahr.

Autor

Stephanie Howard
Stephanie Howard studierte Sozialwissenschaft an der Harding University im Bundesstaat Arkansas. Außerdem ist sie ein Tausendsassa: Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Fitnesstrainerin, Raumausstatterin und viel beschäftigte Mutter von zwei Kindern. Engagiert setzt sie sich für Frauen ein. Stephanie Howard schreibt in ihren Romanen gern über emanzipierte Frauen, die...
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