(K)ein Mann für gewisse Stunden?

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Erregende Spannung liegt in der Luft, als Antonia in der Luxusvilla einer Bekannten eine Dessousparty feiert. Da steht plötzlich ein sexy Fremder in der Tür. Haben ihre Freundinnen etwa einen Stripper bestellt? Doch der gut gebaute Typ stellt klar, wer er ist: Scott Elstrom. Rechtmäßiger Besitzer des Hauses - und ab sofort Antonias neuer Boss …


  • Erscheinungstag 14.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714956
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Scott Elstrom blickte über das weite Eismeer Alaskas und blinzelte, als die aufgehende Sonne die dünne Schneeschicht strahlend weiß aufleuchten ließ.

Der Anblick war so schön, dass er einen Moment lang den schneidenden Wind vergaß, der ihm bei der Überquerung des gefrorenen Meeres entgegenblies. Hier gab es nirgendwo Unterschlupf für ihn und sein Gespann von neun Schlittenhunden, und seine Wangen brannten vor Kälte unter der Maske, die sein Gesicht bedeckte.

Ohne die Handschuhe abzustreifen, griff Scott nach seiner Kopflampe und schaltete sie aus, um die Batterien zu schonen. Anschließend lief er hundert Schritte über das dicke Eis, um ein wenig warm zu werden, und sprang wieder auf den Schlitten.

Dallas, seine Leithündin, drehte sich zu ihm um. Es sah aus, als würde sie lächeln.

Die Hunde liebten das sonnige Wetter und freuten sich auf den Weg über den Sund auf die andere Seite der Bucht, wo sich das Basislager befand.

Seit dreizehn Tagen war Scott mit seinem Gespann unterwegs, um an den zwanzig Kontrollstationen der Umweltmonitoringfirma, für die er arbeitete, Messungen vorzunehmen. Manche der Stationen lagen in kleinen Städten, aber viele bestanden lediglich aus einfachen Holzhütten, in denen er mit seinen Hunden allein war. Er liebte dieses stille Leben.

Hier draußen fühlte er sich mit all denen verbunden, die einst die Elstrom Land- und Seekarten beim Fischen und Jagen genutzt hatten. Und mit den Entdeckern, die sich Wege in neue Welten zu erschließen suchten.

Doch seit der kurzen, knappen Nachricht seiner Schwester Freya war sein innerer Frieden dahin.

Ihr Vater war im Krankenhaus. Er hatte einen zweiten Schlaganfall erlitten. Und obwohl es zum Glück nur ein leichter gewesen war und die Ärzte sagten, dass er sich bald erholen würde, wollte sein Vater ihn sprechen. Dringend.

Komm nach Hause, Scott. Wir brauchen dich hier.

Scott lockerte seine Schultern und kämpfte gegen das schlechte Gewissen an, das ihn ob seines Widerwillens beschlich, eine Woche früher als geplant in die sogenannte Zivilisation zurückzukehren.

Sie brauchten ihn. Das war ja mal etwas ganz Neues!

Vor zwei Jahren hatte sein Vater die Leitung des alten Familienunternehmens an Scotts Stiefbruder Travis übertragen. Und es war gründlich danebengegangen. Inzwischen war Travis Geschichte, und Scotts Vater hatte monatelang kämpfen müssen, um das zu retten, was von seinem Kartografieunternehmen Elstrom Mapping übrig geblieben war.

Dass sein Vater zugab, Scott zu brauchen, war schon sehr ungewöhnlich.

Was auch der Grund dafür war, dass Scott beschlossen hatte, das Wasser zu überqueren, anstatt die weitere Route über festes Land zu wählen, wo er ein Schneemobil zur Verfügung gehabt hätte.

Es ging nicht anders. Er musste über das gefrorene Meer, wenn er den Transportflug erwischen wollte, der einmal wöchentlich vom Luftstützpunkt am Basislager startete. Alles andere würde zu lange dauern.

Doch das Meereis zu überqueren war ein heikles Unterfangen. Die Eisplatten bewegten sich unter dem Schlitten und erschwerten so das Vorwärtskommen. Außerdem konnte man sich nicht auf die Stabilität des Eises verlassen, vor allem dann nicht, wenn es so mild war wie in diesem Februar.

Scott sah zur Seite und beobachtete zu seinem Entsetzen, wie die Eisfläche neben ihm brach. Eine riesige Eisscholle hatte sich gelöst und trieb aufs Meer hinaus.

Ein Riss an einer dünnen Stelle – und das Gewicht des Schlittens würde Scott und seine Hunde in den Tod reißen.

Scott kniff die Augen zusammen, um nicht vom gleißenden Sonnenlicht geblendet zu werden, und sah aufs offene Meer hinaus. Er war seit vierundzwanzig Stunden unterwegs und hatte nur ein kurzes Nickerchen in einer Trapperhütte gemacht, während seine Hunde sich ausgeruht hatten. Jetzt trabten die Vierbeiner wieder munter voran, und die Sonne stieg am Himmel empor und wärmte Scotts Haut.

Außer dem Gleiten des Schlittens auf dem Eis und dem regelmäßigen Atem der Hunde war nichts zu hören.

Es war schön. Unvergleichlich. Hypnotisierend.

Das hier war sein Leben. Nicht die Londoner Innenstadt mit all ihrem Trubel.

Von jener Welt hatte er sich vor zwei Jahren verabschiedet, und er hatte keine Sehnsucht nach ihr. Die technische Ausrüstung, die er für das Kartieren und die Messungen nutzte, erlaubten es ihm, mit seiner Schwester und seinem Vater zu sprechen – wenn er es wollte, konnte er fast täglich Kontakt aufnehmen, mindestens aber einmal pro Woche.

Natürlich hatte Freya versucht, ihn zu überreden, über Weihnachten nach Hause zu kommen, doch er hatte keinen Sinn darin gesehen.

Sein Vater war ein Theoretiker, der nie verstanden hatte, warum sein Sohn Abenteuersport und ein hartes Leben im Freien der stillen Beschäftigung mit den Karten vorzog, die Elstrom Mapping zu einer weltberühmten Firma gemacht hatten.

Das Einzige, was Scott mit seinem Vater verbunden hatte, war das Familienunternehmen gewesen. Doch als sein Vater beschlossen hatte, die Verantwortung für die Firma in Travis’ Hände zu legen, war auch dieses Band zwischen ihnen zerrissen, und sie waren im Streit auseinandergegangen.

Im Dezember hatte es einen Wetterwechsel gegeben, der die Abreise von der Forschungsstation unmöglich gemacht hatte. Scott hatte einen perfekten und ihm sehr willkommenen Vorwand gehabt, in Alaska zu bleiben.

Seine Schwester war natürlich alles andere als begeistert gewesen. Sie hatte sich allein um ihre geschiedenen Eltern gekümmert. Die beiden hatten sich getrennt, als ihre Mutter es nach vielen frustrierenden Jahren aufgegeben hatte, mit einem Mann zusammenzuleben, der niemals zu Hause war.

Freya hatte den Jahreswechsel bei ihrer Mutter verbracht, die inzwischen einen neuen Freund hatte – einen Anwalt mit einer ansehnlichen Krawattensammlung – und offenbar glücklich mit ihm war.

Scott lachte in sich hinein. Sicher würde Freya ihn dafür leiden lassen. Er wollte gerade seine GPS-Position checken, als er aus dem Gleichgewicht geriet.

Er spürte einen Ruck, und der Schlitten rutschte unter ihm weg.

Sie waren auf dünnes Eis geraten.

Auf der Stelle war jede Faser seines Körpers in Alarmbereitschaft. Adrenalin flutete seine Adern. Während Scott in Gedanken in London gewesen war, hatte Dallas ihren Schritt verlangsamt und hatte ihren Schwanz hoch aufgerichtet; auch sie witterte die Gefahr.

Scott blieb fast das Herz stehen.

In fünf Schichten dicker Kleidung konnte er nicht schwimmen. Selbst wenn – das Wasser war so kalt, dass er nur wenige Minuten durchhalten würde. Er würde mit den Hunden und dem Schlitten untergehen.

Die Hunde würden sterben, weil sein Vater den Kampf aufgegeben hatte.

Das durfte nicht passieren. Nicht, solange er auch nur einen Rest Kraft in seinem Körper hatte.

Scott griff nach dem robusten Halteseil, ließ sich vom Schlitten gleiten und rutschte mit gespreizten Beinen bäuchlings aufs Eis, um sein Gewicht so gut wie möglich zu verteilen. „Dallas! Nach rechts, Dallas. Nach rechts. Lauf!“

Dallas verstand seine Anweisung und zog gegen das Gespann an, das geradeaus weiterlaufen wollte. Sie schaffte es, und nach ein paar entsetzlichen Minuten spürte Scott, dass sie wieder dickeres Eis unter sich hatten.

Das schartige Eis zerriss seinen Handschuh; augenblicklich wurden seine Finger taub und blau. Doch er schaffte es, sich wieder auf den Schlitten zu hieven, und die Hunde liefen rasch auf die Hütten am Ufer zu, die bereits in Sichtweite waren.

Also würde er es gerade noch rechtzeitig nach Hause schaffen, um sich anzuhören, was sein Vater ihm zu sagen hatte.

Und eines stand fest. Jetzt war seine Chance gekommen, seinem Vater zu beweisen, dass er besser war als Travis. Und nichts und niemand würde ihm im Wege stehen und ihn davon abhalten. Diesmal nicht.

„Moment. Dieser Stringtanga ist allen Ernstes essbar?“

Toni las die Beschreibung auf der Rückseite der schwarzen Schachtel, die ihre Schwester Amy ihr gereicht hatte.

„Klar.“ Amy tippte mit dem federbesetzten Ende ihrer rosafarbenen Peitsche auf die Verpackung. „Ansonsten würde man etwas so Unbequemes wohl kaum anziehen.“

„Ich stelle mir nur gerade vor, was wohl passiert, wenn die Zuckerperlen sich lösen und zwischen meinen Beinen verschwinden. Amy, ich hab dich wirklich sehr lieb und du bist meine einzige Schwester, aber ich wäre dir wirklich dankbar, wenn ich dir dieses Geburtstagsgeschenk ein andermal vorführen könnte.“

Amy gluckste. „Keine Sorge. Du brauchst dich nicht vor uns auszuziehen. Spar das Höschen für den tollen Mann auf, mit dem du bald zusammen sein wirst.“ Sie tippte Toni mit ihrer Federpeitsche auf den Kopf. „Sehr bald.“

„Na, dann packe ich die Schachtel mal lieber in den Kühlschrank und begnüge mich in der Zwischenzeit mit Schokoriegeln.“

Amy seufzte und ließ sich neben Toni auf einen Stuhl sinken. „Ach, nun komm schon. Es ist jetzt schon ein Jahr her, dass du mit Peter Schluss gemacht hast. Und wir waren uns doch einig, dass du viel zu gut für ihn bist. Stimmt’s? Neues Jahr, neues Glück.“

Lächelnd drückte Toni die Schachtel an ihren nur mit einem weinroten BH bekleideten Busen. „Ach, Amy, ich werde dich vermissen. Das weißt du, oder?“

„Na klar. Was meinst du, weshalb ich all den Schnickschnack auf meinen Rechner gespielt habe? Doch nur, damit wir uns jede Woche sprechen können!“ Amy legte einen Arm um Tonis nackte Schultern. „In ein paar Monaten bin ich doch wieder da. Im September fängt die Uni an.“ Sie ließ ihre Schwester los und schniefte. „Und, nur dass du es weißt – ich werde dich auch vermissen. Aber ich werde es wohl ertragen. Schließlich habe ich eine tolle Zeit vor mir.“ Wieder tippte sie Toni mit ihrer Peitsche an. „Dank des Weihnachtsgeschenks von meiner wundervollen Schwester … Meine Freundinnen können immer noch nicht glauben, dass du mir ein Round-the-World-Ticket gekauft hast.“

„Wie sollte ich dich sonst loswerden, bis die Klempnerarbeiten abgeschlossen sind?“ Toni grinste. „Gern geschehen. Aber vergiss nicht, dass es eine Bedingung gibt. Du sollst die Zeit genießen und sie nicht komplett damit zubringen, das antike Peru auszugraben.“

„Versprochen. Oh, Moment, die Küchenuhr klingelt. Scheint, als wäre der nächste Kuchen fertig. Ich bin gleich wieder da.“ Amy sprang auf und huschte davon, als würde sie immer in einem rosa- und cremefarbenen Rüschenkorsett und federbesetzten Pantoletten herumlaufen.

Toni lehnte sich zurück und wiegte sich im Takt zur Musik, als all ihre Freunde und Kollegen aus dem Medienunternehmen, bei dem sie arbeitete, sehr laut ein Lied über ein Uptown Girl mitsangen, das ihr zu Ehren in voller Lautstärke lief.

Das Tischtuch war übersät mit Prosecco- und Weißweinflecken, Pizza- und Kuchenkrümeln. Wahrscheinlich lag dort auch die Verpackung der weinroten Dessous; Amy hatte darauf bestanden, dass Toni als Star der Geburtstagsparty etwas ganz Besonderes tragen müsse.

Dann hatte Amy ihr eine Krone, die sie aus Goldfolie und Draht gebastelt hatte, aufgesetzt und darauf bestanden, dass Toni die Krone aufbehielt. Natürlich saß die Krone völlig schief. Doch damit nicht genug. Ihr Make-up war sicher total verlaufen, weil Amy sie damit zum Weinen gebracht hatte, dass sie ihr erklärt hatte, wie glücklich sie sei, dass Toni ihre Schwester war und dass sich daran nichts ändern würde, wenn sie nun zum ersten Mal von zu Hause wegginge.

Als Amy ihr dann ein Buch mit den Zeichnungen gegeben hatte, die ihre Mutter von ihnen angefertigt hatte, als sie klein gewesen waren, und ihr gesagt hatte, wie stolz ihre Eltern auf Toni und das, was sie erreicht hatte, gewesen wären, waren ihr die Tränen schon wieder gekommen – genau wie den anderen Anwesenden. Selbst die sonst so tapfere Amy hatte ihre Serviette fallen gelassen und sich danach gebückt, um heimlich eine Träne zu verdrücken.

Die Cupcakes mit Schokoglasur kamen gerade im rechten Moment, um eine wahre Heulorgie zu verhindern.

Toni ließ ihren Blick über die Tische und die Frauen im Raum schweifen. Es störte nicht weiter, dass sie furchtbar aussah und dass zu befürchten war, dass ihre Gäste das Ess- und das Wohnzimmer von Freya Elstrom, der diese Wohnung gehörte, verwüsteten. Jedenfalls störte es ihre Freunde nicht, die an einem kalten Februarabend hergekommen waren, um ihren Geburtstag zu feiern.

Amy würde ihr eine Menge erklären müssen. Toni hatte ihr seit Wochen immer wieder gesagt, dass sie nicht feiern wollte. Weil es sie nur an ihren letzten Geburtstag erinnern würde. Der Tag, an dem sie ihren vermeintlichen Freund mit einem brasilianischen Wäschemodel unter der Dusche erwischt hatte und an dem sich herausgestellt hatte, dass dieses Model nicht eine Affäre, sondern die eigentliche feste Freundin dieses Mistkerls war.

Das zu erwähnen hatte er während der paar Wochen, die er mit Toni zusammen gewesen war, geflissentlich vergessen.

Es war nicht unbedingt einer der lustigsten Augenblicke in ihrem Leben gewesen.

Darum diese Surprise-Party. Toni hatte kürzlich Aufnahmen für eine Fotodokumentation über die sprunghaft ansteigende Nachfrage bei Sexspielzeug und gewagten Dessous bei Frauen aller Altersgruppen gemacht. Als Toni vor ein paar Tagen erwähnt hatte, dass ihr bevorstehender Geburtstag mit dem Jahrestag ihrer Trennung von dem unehrlichen Exfreund zusammenfiel, hatten die Mädchen darauf bestanden, eine Party für sie zu schmeißen, und zwar solange Amy noch in London war. Und mit all den Utensilien von der Fotosession. Amy war von der Idee begeistert gewesen und hatte alles organisiert, während Toni bei der Arbeit gewesen war.

Das hier waren echte Freunde. Ihre echte Familie. Mädchen, die sie seit der Grundschule kannte, die ihre Männer und Freunde zu Hause hatten sitzen lassen, um Tonis Geburtstag zu feiern. Dazu ihre Kolleginnen und Amys Schulfreundinnen. Alle laut und ausgelassen und gut gelaunt. Genau so, wie Toni es mochte. Echte Menschen, die sie Tag für Tag um sich hatte.

Sie konnte sich glücklich schätzen, sie zu haben.

Und sie hatte zwei Wochen Urlaub. Das allein war schon ein Grund zum Feiern. Selbst wenn sie einen Großteil der Zeit damit zubringen würde, das Porträt eines sehr ernsthaft aussehenden Geschäftsmannes anzufertigen. Laut seiner Tochter Freya war Dr. Lars Elstrom ein stiller Akademiker, der viel am Schreibtisch saß, und Toni hatte mit ihm vereinbart, dass sie ihn in seinem Studierzimmer während der Arbeit porträtieren würde.

Die Hälfte des Honorars hatte Freya Elstrom ihr bereits überwiesen. Damit hatte sie Amys Round-the-World-Ticket und einen neuen Boiler für ihr kleines Haus gekauft. Heißes Wasser und eine Heizung, auf die sie sich verlassen konnte – traumhaft! Auch deswegen, weil sie das Häuschen für eine Weile vermieten wollte. Und wohl jeder Mieter erwartete warmes Wasser und eine funktionierende Heizung.

Toni warf einen Blick aus dem Fenster. Es schneite, und laut Vorhersage würde es noch einige Tage so bleiben. Nicht gerade das Wetter, bei dem man in ihrem eiskalten Reihenhaus in Unterwäsche herumlaufen mochte. Ganz sicher nicht. Aber hier, in diesem warmen Haus von Freya …

Toni war sehr glücklich, dass sie zwei Wochen lang hier wohnen durfte. Mietfrei – und mit so viel heißem Wasser, wie sie wollte.

Sie liebte es, wenn Mäzene alte Traditionen fortführten. Besonderes dann, wenn es sich um die Tradition handelte, dass der Firmenchef stets von einem Baldoni porträtiert werden musste. Und da sie die letzte Baldoni war … Bingo!

Ein warmes Gefühl der Zufriedenheit durchströmte sie. Seit Jahren hatte sie sich nicht so sicher und geborgen gefühlt. So beschützt. Und umsorgt von einem ganz besonderen Freundeskreis, in dem jeder auf den anderen aufpasste.

Sie lächelte zu Amys bester Freundin Lucy hinüber, die gerade demonstrierte, wie man einen Sarong knotete. Die beiden kannten sich schon seit der Grundschule. Toni konnte sich kaum vorstellen, wie Amy, Lucy und eines der anderen Mädchen, die hier mehr oder weniger ausgezogen umherspazierten, morgen losfliegen würden, um sich in der südamerikanischen Wildnis durchzuschlagen.

Doch so war es. Ihre kleine Schwester würde zusammen mit ihren Freunden auf Reisen gehen. Zuerst einen Monat lang in Peru herumreisen, danach vier Monate lang an einer archäologischen Ausgrabung teilnehmen und zum Schluss noch einen Monat lang ausspannen. Sechs Monate. Drei Mädchen, drei Jungs. Alles nette Teenager, die Toni seit Jahren kannte. Aber sechs Monate? Die längste Trennung von ihrer Schwester seit dem Tod ihrer Eltern lag über ein Jahr zurück. Damals hatte Toni fünf Wochen lang in Paris gearbeitet, war aber an den meisten Wochenenden nach Hause geflogen.

Sie hatten sich alle gut auf die Reise vorbereitet und sprachen hervorragend Spanisch, doch wenn Toni daran dachte, was die sechs vor sich hatten, grauste es ihr.

Aber sie durfte nicht jammern. Höchste Zeit, dass sie beide ihr Leben genossen. Darauf hatten sie sich an Silvester geeinigt: Sie würden beide neu anfangen. Dumm nur, dass Amy darauf bestand, dass bei Toni ein neuer Mann dazugehören sollte.

Vielleicht war es gar nicht so schlecht, siebenundzwanzig zu werden, wenn man solche Freunde hatte wie sie. Was machte es da schon, dass ihr der große Durchbruch als Künstlerin nicht gelungen war?

Und irgendwie fühlte sie es: Ihr Vater hätte verstanden, dass sie nicht weiter versuchen wollte, sich als Porträtmalerin über Wasser zu halten. Das war nicht ihr Leben und würde es nie sein. Es war sein Wunsch gewesen, nicht ihrer. Nein. Dieses Porträt für Freya Elstrom würde ihr letztes Gemälde sein. Danach wollte sie, die letzte Baldoni, keine Aufträge mehr annehmen. Es war an der Zeit, diesen Irrweg zu verlassen. Sie musste anfangen, sich voll auf ihre Karriere als Fotografin zu konzentrieren.

Amy kam mit einem Teller mit einem Cupcake darauf auf sie zu, lehnte sich an Tonis Seite und legte ihr den Kopf auf die Schulter. „Ich habe zwei Stück von der Red-Velvet-Torte, die du so magst, in der Waschmaschine versteckt.“

„Sehr schlau“, antwortete Toni, dippte den Finger in den cremigen Schokoladenguss und leckte ihn ab. „Lecker. Und noch einmal danke, dass du das alles hier organisiert hast. Es macht mich sehr glücklich.“

Amy lachte und drückte ihre Schwester. „Das sagst du nun schon zum zigsten Mal. Es muss am Wein liegen. Bei älteren Frauen soll er das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen.“ Sie ließ Toni los und rieb sich die Hände. „Zurück zu den wirklich wichtigen Dingen. Was wirst du denn Verrücktes machen, während ich weg bin? Vergiss nicht die Spielregeln: Es muss spontan sein, das Gegenteil von dem, was du normalerweise tun würdest, und lustig. Die genialste Idee bekommt einen Punkt!“

„Auf dem Tisch tanzen?“, schlug Toni vor, schüttelte aber gleich den Kopf. „Nein, Quatsch. Das würde der Tisch gar nicht aushalten, so viel wie ich gerade wiege … und dein Kuchen ist einfach zu lecker, um die Finger davonzulassen. Etwas Verrücktes. Ähm …“

Als sie den Kopf drehte und über Amys Schulter hinweg in den Flur sah, stockte ihr der Atem.

Keine drei Meter entfernt von ihr stand ein höchst bemerkenswert aussehender Mann.

Er war mindestens eins neunzig groß, trug dicke Fellstiefel, Cargohosen, eine Steppjacke und eine schwarze Mütze, unter der wilde aschblonde Locken hervorquollen.

Schmale Hüften. Breite Schultern. Lange Beine.

Toni musterte ihn eingehend, doch dann riss sie ihren Blick los. „Oh, Amy …“, hauchte sie schwelgerisch, „ich bin dir wirklich etwas schuldig.“

„Allerdings! Aber weswegen genau jetzt?“, wollte Amy wissen.

„Du hast mir nicht gesagt, dass du einen als Holzfäller verkleideten Stripper bestellt hast.“

„Was habe ich?“ Amy wandte sich um und erstarrte. „Oh. Verstehe. Ich weiß auch nicht, wer das ist und habe nichts damit zu tun, aber worauf wartest du? Geh und finde heraus, wo er herkommt. Und wenn er noch zu haben ist, greif zu, bevor ihn dir eine von den anderen wegschnappt.“ Und damit tänzelte Amy in ihrem Rüschenkorsett zu ihren Freundinnen zurück.

Der mysteriöse Fremde stand regungslos im Türrahmen. Der große, ziemlich wild und kühl aussehende mysteriöse Fremde.

Er sah aus, wie ein Modestylist sich einen Abenteurer à la Indiana Jones vorstellen würde. Nach dem Abenteuer. Denn genaugenommen sah er ziemlich heruntergekommen aus.

Als ihr bewusst wurde, dass sie dastand und seine langen Beine anstarrte, sah sie zu seinem Gesicht auf – just in dem Moment, als auch er in ihre Richtung blickte. Und sie mit seinen blauen Augen so durchdringend ansah, dass sie fürchtete, zu erröten.

Mit seinen kantigen Wangenknochen hätte er als Model durchgehen können, wäre da nicht dieser üppige aschblonde Bart gewesen, der alles andere als gepflegt wirkte, und das blaue Tuch, mit dem seine rechte Hand notdürftig verbunden war. Seine Kleidung war fleckig und ziemlich abgenutzt. Wenn das eine Verkleidung war, dann war sie ziemlich überzeugend.

Er hatte noch kein Wort gesprochen, doch sein Blick und sein Gesicht, ja sein ganzer Körper strahlten Selbstbewusstsein aus. Dieser Mann wusste ganz genau, wer er war, was er wollte und warum er hier war.

Und scheinbar fühlte er sich ziemlich wohl in seiner Haut.

Wie er da so in den Türrahmen gelehnt dastand und den Anblick genoss, als würde er jeden Tag in eine Dessousparty hineinplatzen! So viel Selbstsicherheit war kaum zu ertragen.

Während sie dastand, mit nichts als einem weinroten Push-up-BH und passendem Höschen bekleidet.

Das war gar nicht lustig.

Toni griff nach ihrem Kimono, der auf der Sofalehne lag, und zog ihn blitzschnell über.

Manche der Mädchen waren es von Berufs wegen gewohnt, in Dessous vor der Kamera zu stehen, aber nicht sie. Die Vorstellung, dass ein Fremder sie so leicht bekleidet zu Gesicht bekam, gefiel ihr nicht.

Und was machte der Typ überhaupt hier? Wer hatte ihn eingeladen? Freya hatte nichts von einem Freund erzählt. Vielleicht hatte einfach jemand die Tür aufgelassen, und er war zufällig vorbeigekommen?

„Männeralarm“, rief Toni in Richtung der anderen. „Unbegleiteter Mann im Raum, Mädels.“

Kreischend rannten die Mädchen in alle Richtungen davon, die meisten von ihnen nach oben in die Schlafzimmer, den Geräuschen nach zu urteilen.

Es wurde Zeit, dass sie klärte, was hier los war.

Toni kniff die Augen zusammen und versuchte, sehr aufrecht und mit entschlossenen Schritten auf den Riesen zuzugehen, doch wegen der Pantoletten gelang ihr nur ein Trippeln.

Er beobachtete jede ihrer Bewegungen genau.

Sie räusperte sich und sah ihm in die Augen. „Also gut. Du siehst aus wie ein Typ, der gern Klartext redet. Ich bin Antonia Baldoni und Hausgast von Freya Elstrom. Das hier …“, sie zeigte in Richtung der liegen gelassenen Sachen, unter denen sich auch einige ziemlich sonderbare Sexspielzeuge befanden, „… ist meine Geburtstagsfeier. Und du bist?“

„Müde. Hungrig. Überrascht. Und sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen, Antonia Baldoni. Hausgast.“ Er lockerte seine Schultern und atmete tief ein. „Komisch. Ich komme gerade von Freya, und sie hat mir nichts von einem Hausgast erzählt.“ Als hinter Tonis Rücken Mädchengekicher ertönte, fuhr der Mann fort: „… oder besser gesagt: von Hausgästen. Und ich hatte schon gedacht, der Tag könnte gar nicht mehr seltsamer werden.“

„Du hast Freya gerade gesehen?“ Toni kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. „Wirklich? Verzeih, aber ich finde das recht schwer, zu glauben. Freya war zu meiner Party eingeladen und hat abgesagt, weil sie in Italien ist. Vielleicht solltest du also lieber mit der Wahrheit rausrücken, bevor ich dich rauswerfe. Wo willst du Freya denn getroffen haben? Was willst du hier? Und wer bist du eigentlich?“

Tief seufzend setzte sich der Mann in Bewegung, und Toni trat einen Schritt beiseite, als er an ihr vorbei in die Küche ging, was ihm Mühe zu bereiten schien. Der strenge Geruch, der von ihm ausging, ließ Toni nach Luft fächeln.

„Moment. Warte. Ich habe dich nicht hereingebeten“, sagte sie entrüstet.

„Brauchst du auch nicht“, sagte der Mann und zeigte auf ein gerahmtes Foto an der Wand zwischen den Schränken.

Es war eines von mehreren Fotos, die Toni noch nicht genauer in Augenschein genommen hatte. Toni stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Bild besser erkennen zu können. Es zeigte ein paar Leute – wahrscheinlich eine Familie – an einem Esstisch. Toni erkannte Freya und einen älteren Mann, der ihr sehr ähnlich sah – wahrscheinlich Freyas Vater, Lars Elstrom. Und hinter ihnen stand ein großer gut aussehender Mann mit breiten Schultern und Augen, die so blau waren wie die von …

Toni wandte sich um und starrte erst den Mann, der mit verschränkten Armen hinter ihr stand, und dann wieder das Bild an. Sie ließ die Schultern sinken.

Er nickte. „Scott Elstrom. Freyas Bruder. Und ich wohne hier.“ Er schnupperte und wies mit dem Kinn in Richtung Küchentheke. „Isst irgendwer die Pizza da?“

Toni sah entgeistert zwischen dem Mann und dem Foto hin und her. Das war er. Definitiv.

Augenblicklich verflog der Schwips, den sie zwei alkoholgeschwängerten Stunden mit den Mädchen hier zu verdanken hatte.

Das war kein Stripper.

Kein Geschenk in Form eines gut gebauten Holzfällers.

Autor

Nina Harrington
Nina Harrington wuchs in der Grafschaft Northumberland in England auf. Im Alter von 11 Jahren hatte sie zuerst den Wunsch Bibliothekarin zu werden – einfach um so viel und so oft sie wollte lesen zu können.
Später wollte sie dann Autorin werden, doch bevor sie ihren Traumberuf ausüben konnte, machte sie...
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