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Dr. Felipe Valdez ist Beckys letzte Rettung: Er muss ihr helfen, damit sie den kleinen Josh nicht verliert! Hoffnungsvoll fliegt sie nach Mallorca, wo der attraktive Arzt eine exklusive Privatklinik leitet. Doch der spanische Spezialist reagiert unerwartet ...


  • Erscheinungstag 02.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745479
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Noch konnte sie umkehren. Sie müsste nur den Taxifahrer bitten, sie zum Flughafen zurückzubringen, einen Platz in der nächsten Maschine nach London buchen und …

Und dann? Ihre Lage hatte sich nicht geändert. Sie befand sich in derselben Situation wie heute Morgen, als sie nach Mallorca abgeflogen war. Egal, wie sehr sie der Gedanke schreckte, sie musste akzeptieren, dass sie Felipe Valdez’ Hilfe brauchte.

„Señorita?“

Überrascht blickte Rebecca Williams auf. Der Fahrer hatte sich zu ihr umgedreht, und sie merkte erst jetzt, dass der Wagen stand. Das nervöse Flattern im Magen verstärkte sich, während sie aus dem Fenster sah und einen ersten Blick auf die Clinica Valdez warf.

Sie war sehr viel größer, als sie erwartet hatte. Inmitten einer gepflegten Rasenfläche erhob sich ein eleganter weißer Gebäudekomplex. Ihr Herz schlug schneller. Nach allem, was sie von Antonio wusste, hatte sein Bruder die Klinik vor zwei Jahren bauen lassen. Allein die Finanzierung eines solchen Projekts verlangte sicher harte, entschlossene Verhandlungen. Es passte zu dem, was sie über Felipe Valdez gehört hatte, und es war nicht gerade ermutigend.

Würde er ihr überhaupt aus der finanziellen Klemme helfen und akzeptieren, dass sie ihm keine Gegenleistung bieten konnte?

Becky biss sich auf die Unterlippe und versuchte, die wachsende Panik zu unterdrücken. War es ein Fehler, dort hineinzumarschieren, ohne zu wissen, wie Valdez reagieren würde?

Sie musste ihm erzählen, dass sein Bruder einen Sohn hatte. Schon das allein würde ihn schockieren. Was mochte er erst sagen, wenn sie ihm auch die Umstände von Joshs Geburt schilderte?

Becky hatte große Angst, dass er sein Vermögen und seinen Einfluss nutzen könnte, um ihr das Kind wegzunehmen. Bei einer Gerichtsverhandlung würde es nicht darum gehen, dass sie das Sorgerecht für Josh hatte, sondern nur darum, dass sie kein Geld besaß und ganztags am St. Leonard’s Hospital arbeiten musste, um gerade so über die Runden zu kommen. Und da sie nicht die leibliche Mutter des Kleinen war, standen ihre Chancen schlecht, das Sorgerecht zu behalten …

„Señorita! Por favor!“

Der Taxifahrer wurde langsam ungeduldig. Schnell drückte sie ihm seinen Lohn in die Hand und stieg aus.

Seufzend stand Felipe Valdez vom Schreibtisch auf. Seit dem frühen Morgen hatte er über unzähligen Papieren gesessen, ein ungeliebter, jedoch unvermeidlicher Aspekt seiner Arbeit.

Als Direktor der Clinica Valdez war vor jeder Entscheidung sein Rat gefragt. Natürlich hatte er exzellente Mitarbeiter, doch er hielt gern die Fäden in der Hand. Felipe ahnte, dass seine Angestellten ihn für eine Art Kontrollfreak hielten, aber sie konnten ja nicht wissen, was ihm diese Klinik bedeutete. Nicht nur, dass er sich damit einen Traum erfüllt und einen Lebensinhalt geschaffen hatte, nein, er hatte auch hart gearbeitet und viele Opfer gebracht.

Sofort war der vertraute Schmerz wieder da. Felipe versuchte, nicht über seine Fehler nachzudenken, und trotzdem gelang es ihm nicht, sie auszublenden. Während er über die sonnenbeschienenen Rasenflächen blickte, quälte ihn wieder die Erinnerung an seinen Bruder Antonio.

Wäre er damals nicht so sehr mit dem Aufbau der Klinik beschäftigt gewesen, wäre ihm sicher aufgefallen, was mit Antonio los war. Warum hatte er die Behandlung abgebrochen und das Krankenhaus verlassen? Er hätte doch mindestens ein halbes Jahr länger leben können.

Nicht dass er Antonio die Schuld gab. Er war zu krank gewesen und viel zu sehr beherrscht von dieser Frau. Wenn jemand für den vorzeitigen Tod seines Bruders verantwortlich zu machen war, dann Rebecca Williams!

Grimmig starrte er aus dem Fenster. Er war ein im klassisch südländischen Sinne gut aussehender Mann, aber jetzt hatte er etwas Düsteres, Furcht einflößendes.

Ich hätte gleich im Anschluss an die Beerdigung nach London fliegen sollen, um ihr deutlich die Meinung zu sagen, dachte er wütend.

Zu der Trauerfeier auf Mallorca waren nur engste Freunde und die Familie gekommen, und Rebecca Williams war selbstverständlich nicht eingeladen gewesen. Allerdings hatte er ein Foto von ihr gesehen. Mit ihrem ovalen Gesicht, den langen blonden Haaren und den großen grauen Augen sah sie aus wie ein Engel, eine Erscheinung, nach der jeder Mann sich umdrehen würde. Aber Felipe wusste, wie trügerisch solche zarten Züge sein konnten. Kein Wunder, dass sich der arme Antonio hatte täuschen lassen.

Plötzlich tauchte eine Frau auf dem Weg unter seinem Fenster auf, und Felipe blinzelte verwirrt. Sie hatte das blonde Haar auf dem Kopf zu einem Knoten geschlungen, und er sah sie auch nur im Profil, doch sie kam ihm bekannt vor …

Abrupt wandte er sich um und marschierte zur Tür. Als er sie aufriss, erschreckte er seine Sekretärin, die gerade hatte anklopfen wollen. Felipe schüttelte den Kopf, als sie den Mund öffnete.

„Später!“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Er eilte den Flur entlang und die Treppe hinunter. Am Empfang standen die Leute Schlange, aber Felipe verlangsamte seine Schritte nicht. Sein Herz hämmerte, das Blut dröhnte ihm in den Ohren. Wenn es wirklich Rebecca Williams war, so würde er die Chance nutzen, ihr endlich zu sagen, was er von ihr hielt!

Sie saß auf einer Bank vor dem Haupteingang. Felipe blieb stehen und beobachtete, wie sie eine Haarsträhne, mit der der Wind spielte, hinters Ohr zurückschob. Ihre Hand bebte.

Mitgefühl war das Letzte, was er erwartet hätte, wenn er sie zum ersten Mal sah. Sie wirkte so traurig, einsam und unglücklich, dass der Anblick sein Herz berührte. Er musste sich zwingen, daran zu denken, wer sie war und was sie getan hatte.

Diese Frau hatte Antonios Tod beschleunigt, um an sein Geld zu kommen. Ein solcher Mensch verdiente kein Mitleid!

Offenbar hatte er unbewusst einen verächtlichen Laut ausgestoßen, denn sie wandte sich ihm zu. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, aber sie stand auf und kam auf ihn zu.

„Sie sind Antonios Bruder, nicht wahr?“

Ihre Stimme war sanft und angenehm melodisch. Felipe runzelte die Stirn, überrascht, weil ihm solche Nebensächlichkeiten auffielen.

„Ich bin Felipe Valdez“, antwortete er barsch, und sie zuckte zusammen. Mit zwei Schritten war er bei ihr und blieb dicht vor ihr stehen. Dass sie so zierlich war, hatte er nicht vermutet. Er wusste nicht warum, aber er hätte eine größere Frau erwartet, eine, die nicht so zerbrechlich wirkte.

„Wahrscheinlich wissen Sie nicht, wer ich bin“, begann sie zögernd, aber er unterbrach sie, verärgert, dass er ihrer süßen Stimme nachgelauscht hatte.

„Sie sind Rebecca Williams.“ Er lächelte grimmig, als sie ihn überrascht anblickte. „Antonio hatte mir ein Foto von Ihnen geschickt. Er schrieb, er wolle mir den wichtigsten Menschen in seinem Leben zeigen.“

„Ich wusste nicht … Er hat mir nie erzählt, dass …“ Ihre grauen Augen füllten sich mit Tränen, und sie wandte sich ab, während sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch suchte.

Felipe ballte die Hände zu Fäusten. Was war los mit ihm? Warum verspürte er dieses kaum zu unterdrückende Bedürfnis, sie zu trösten? Erneut wallte Ärger in ihm auf. War das nicht ein Beweis ihrer Macht? Wenn sie ihn schon so beeinflussen konnte, musste es für sie ein Kinderspiel gewesen sein, Antonio zu betören und ihn dazu zu bringen, alles zu tun, was sie von ihm verlangte.

Er packte sie am Ellbogen und führte sie vom Haupteingang weg, ohne auf ihren leisen Protest zu achten. Was sie miteinander auszutragen hatten, ging niemanden etwas an. Felipe hatte weder mit seinen Kollegen noch sonst jemandem jemals über Rebecca Williams gesprochen, und auch sonst zog er es vor, Probleme mit sich abzumachen. Ein einziges Mal erst hatte er einem anderen Menschen sein Herz geöffnet und es später bitter bereut.

Seltsam, er hatte seit Jahren nicht mehr an seine gescheiterte Verlobung mit Teresa gedacht. Ihm blieb keine Zeit, dem Gedanken nachzugehen. Rebecca Williams entriss ihm ihren Arm. Ihre geröteten Wangen und die blitzenden Augen verrieten ihm, dass sie sich über seine grobe Art ärgerte. Aber nach allem, was sie Antonio angetan hatte, verdiente sie wohl kaum eine höfliche Behandlung!

„Was bilden Sie sich ein …“, begann sie aufgebracht, aber er ließ sie nicht ausreden.

„Was wollen Sie, Miss Williams?“ Er lächelte spöttisch, als sie verstummte und ihn wachsam musterte. „Sie müssen einen Grund haben, warum Sie unerwartet hier auftauchen. Reden wir also nicht um den heißen Brei herum. Sí?“

„Wer sagt, dass ich etwas von Ihnen will?“ Sie entfernte sich ein paar Schritte und drehte sich zu ihm um. „Vielleicht wollte ich Sie einfach nur kennenlernen?“

„Schon möglich, aber das glaube ich nicht.“ Felipe verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie ist eine schöne Frau, dachte er, mit ihrem seidigen hellblonden Haar, den feinen Gesichtszügen und der unschuldigen Ausstrahlung. Aber ich bin kein Dummkopf! Rebecca Williams war eine gefühllose, berechnende Goldgräberin, die seinen Bruder schamlos ausgenutzt hatte, als er am schwächsten war.

Heißer Zorn stieg wieder in ihm auf, doch er hatte schon vor langer Zeit gelernt, ihn zu kontrollieren und zu seinem Vorteil einzusetzen. Felipe betrachtete sie stumm. Die unterschiedlichsten Gefühle spiegelten sich in ihrem Gesicht wider, und schließlich senkte sie den Kopf.

„Sie hassen mich, nicht wahr?“ Plötzlich sah sie wieder auf. „Warum? Ich habe Ihnen doch nichts getan. Wir sind uns noch nie begegnet. Also, weshalb sind Sie so feindselig?“

„Können Sie sich das wirklich nicht denken, Miss Williams?“ Er verdrängte das Schuldgefühl, das sich leise in ihm regte. Rebecca Williams war eine begnadete Schauspielerin. Wie sonst hätte sie Antonio hinters Licht führen können?

Felipe wusste nicht genau, wie lange die beiden zusammengelebt hatten. Es hatte eine Weile gedauert, bis Antonio ihm seine Londoner Adresse mitteilte, und auch in diesem Brief stand nicht mehr über seine Beziehung, als dass er jemanden kennengelernt hätte, mit dem er nun zusammenwohne.

Monatelang hörte Felipe nichts mehr von ihm, und als der nächste Brief auf Mallorca eintraf, in dem sein Bruder erklärte, er wolle die Krebsbehandlung im Krankenhaus nicht mehr fortsetzen, war Antonio schon tot.

„Wegen Antonio? Das verstehe ich nicht. Ich habe nichts verbrochen, um Ihrem Bruder zu schaden. Ich wollte ihm nur helfen!“

„Tatsächlich? Wie rührend.“ Er lächelte zynisch. „Sie hatten also einzig und allein Antonios Wohl im Sinn?“

„Natürlich! Alles, was ich getan habe, geschah nur zu dem Zweck, ihm das Leben … erträglicher zu machen.“

Ihr versagte die Stimme, und Rebecca Williams sah zur Seite. Felipe fuhr sich mit der Hand durchs Haar, weil er nicht wusste, ob er sie kräftig schütteln oder in die Arme nehmen sollte. Sie klang so aufrichtig, obwohl die Fakten eindeutig gegen sie sprachen.

Am besten sagte er ihr direkt, was er dachte, ehe diese Unterhaltung endgültig zur Farce wurde.

„Gleichzeitig haben Sie es geschafft, sich mit Ihrer Belohnung ein schönes Leben zu machen. Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr, Miss Williams?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen …“ Sie unterbrach sich und holte tief Luft. Felipe sah, wie ihre kleinen Brüste unter dem weichen blauen Kleid sich hoben. Als Rebecca fortfuhr, klang ihre Stimme dünn, als hätte sie keine Kraft mehr. Vielleicht war es auch für eine abgebrühte Hochstaplerin wie sie schwer, die Wahrheit einzugestehen. „Sie reden von Antonios Testament, oder? Weil er mir all sein Geld hinterlassen hat?“

Becky unterdrückte ein Zittern. Felipe Valdez musterte sie, und sie las deutlich Abscheu in seinen dunkelbraunen Augen. Sie hätte verletzt oder wütend sein müssen, aber seltsamerweise hatte sie das Gefühl, neben sich zu stehen und die Szene auf dem sonnigen Rasen zu beobachten.

Da stand sie in ihrem besten Kleid, das sie angezogen hatte, um einen guten Eindruck zu machen. Ihr gegenüber Felipe, hochgewachsen und aufrecht, den Mund zu einem arroganten Lächeln verzogen.

Unwillkürlich fragte sie sich, was passieren würde, wenn sie einmal kurz zwinkerte. Wäre sie dann, sobald sie die Augen wieder öffnete, in ihrer Wohnung in London, wo Josh nach ihr rief, damit sie ihn aus seinem Bettchen hob …

Sie schloss die Augen, schlug sie wieder auf. Nichts hatte sich geändert. Nichts, bis auf die Tatsache, dass Felipe etwas sagte. Sie hatte Mühe, sich darauf zu konzentrieren.

„Endlich kommen wir zum Kern der Sache. Ihre britische Zurückhaltung in allen Ehren, aber warum scheuen Sie sich, über Geld zu reden? Sie brauchen nicht so zu tun, als wäre es ohne Bedeutung. Wir beide wissen, dass es für viele Menschen eine starke treibende Kraft ist.“

Sein Schulterzucken lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den dunkelgrauen Anzug, den er mit lässiger Eleganz trug. Aus teurem Stoff und offensichtlich maßgeschneidert, betonte er Felipes breite Brust und die schmalen Hüften. Unwillkürlich glitt Beckys Blick tiefer zu den langen Beinen und den glänzenden schwarzen Schuhen. Handgenäht, aus weichem Leder, keine Frage.

Anscheinend hatte Felipe Valdez kein Problem damit, sich solchen Luxus zu gönnen. Warum stellte er dann das Recht seines Bruders infrage, sein Erbe so auszugeben, wie er es für richtig hielt? Der feindselige Empfang, die bissigen Fragen – ging es hier nur um Geld?

„Ihr Bruder wusste genau, was er mit seinem Erbe anfangen wollte, Dr. Valdez, es war seine Entscheidung.“

„Und Sie würden schwören, dass Sie nicht versucht haben, ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen? Dass Sie seine Krankheit nicht benutzten, um für sich einen Vorteil herauszuschlagen? Dass Sie sich niemals vorgestellt haben, wie herrlich es wäre, das viele Geld für sich allein zu haben?“

Becky schnappte nach Luft, und er lachte auf. „Oder dass es nicht schlecht gewesen wäre, wenn Antonio noch früher sterben würde, damit Sie nicht so lange darauf warten mussten?“

„Nein!“, erwiderte sie empört. „Wie können Sie so etwas sagen? Ich wollte sein Geld nicht. Er hat entschieden, mich in seinem Testament zu bedenken. Ich habe nie versucht, ihn zu beeinflussen!“

Ihr wurde übel, und sie fuhr herum, würgte über dem Blumenbeet, aber ihr Magen war leer, weil sie seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte.

„Hier.“

Eine sonnengebräunte Hand tauchte neben ihrem Gesicht auf, und Felipe hielt ihr ein sauberes weißes Taschentuch hin. Sie schüttelte den Kopf. Von diesem Mann würde sie nichts nehmen, nicht das Geringste. Ich hätte niemals herkommen sollen, sagte sie sich. Was für eine dumme Idee, ihn um Hilfe zu bitten!

Antonio hatte ihr von Felipe erzählt, davon, dass er stets die Kontrolle behalten wollte. Durfte sie wirklich das Risiko eingehen, dass er familiäre Rechte auf Josh anmeldete? Dass er ihr Josh wegnahm?

Der Gedanke half ihr, sich zusammenzureißen, und sie richtete sich langsam auf. Der Blick, den Antonios Bruder ihr zuwarf, erschien ihr rätselhaft, doch ehe sie ihn näher deuten konnte, wurde Felipes Miene wieder ausdruckslos.

„Fühlen Sie sich besser?“

„Alles in Ordnung.“ Sie wandte sich ab und ging den Weg entlang, auf dem sie gekommen waren. Aber er hielt sie auf, streckte die Hand aus, als sie ihm ausweichen wollte.

Becky erschauerte, als er ihr Handgelenk umfasste, gönnte ihm aber nicht die Genugtuung, zurückzuzucken. Er sollte nicht denken, dass sie Angst vor ihm hatte.

„Es wäre besser, wenn Sie mit in die Klinik kämen und sich ein bisschen ausruhten“, sagte er knapp.

„Nicht nötig.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Danke für das Angebot, aber ich möchte meinen Flug nicht verpassen. Ich werde direkt zum Flughafen fahren. Entschuldigen Sie die morgendliche Störung, Dr. Valdez.“

Sanft entzog sie ihm ihre Hand, und diesmal ließ er sie gehen. Sie spürte seinen Blick im Rücken, während sie zum Haupteingang zurückmarschierte. Bevor sie die Gebäudeecke erreichte, konnte sie der Versuchung, sich noch einmal umzudrehen, nicht widerstehen.

Felipe Valdez stand genau dort, wo sie ihn verlassen hatte, und selbst auf die Entfernung konnte sie Abscheu und Verachtung in seinem Gesicht lesen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber sie wollte nicht, dass er es sah. Also hob sie nur die Hand und wartete, bis sie außer Sicht war, ehe sie ein Taschentuch hervorholte.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ein Taxi vor der Klinik hielt. Nachdem der Fahrgast ausgestiegen war, sprach Becky mit dem Fahrer und nahm auf dem Rücksitz Platz. Ehe sie die Auffahrt hinunterfuhren, erhaschte sie einen Blick auf Felipe Valdez, senkte aber die Lider, als er in ihre Richtung schaute.

Becky wusste, dass sie nie wieder herkommen würde. So demütigend die letzten Minuten auch gewesen waren, im Grunde ihres Herzens war sie froh, dass sie ihm nicht gesagt hatte, weshalb sie ihn aufgesucht hatte.

Sie seufzte, als sie an jenen furchtbaren Tag dachte, an dem Antonio ihr erzählte, seine Exfreundin Tara Lewis erwarte ein Kind von ihm, und sie wolle es abtreiben.

Antonios Affäre mit Tara war seit einiger Zeit vorbei, und er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sie zutiefst bereute. Becky hingegen machte sich Sorgen, dass er sich vielleicht zu schnell in eine neue Beziehung stürzen würde, und hatte darauf bestanden, es zwischen ihnen langsam angehen zu lassen.

Antonio sah das anders. Er liebe sie, sagte er zu Becky, und hoffe sehr, dass sie seine Gefühle mit der Zeit erwidern könnte. Es gefiel ihr, dass er sie nicht bedrängte, und da sie spürte, dass sie drauf und dran war, sich in ihn zu verlieben, ging sie immer öfter mit ihm aus. Sechs Wochen später erfuhr Antonio, dass er Krebs hatte, und von einem Tag auf den anderen änderte sich alles. Zeit war etwas, was sie auf einmal nicht mehr hatten.

Für Becky war klar, dass sie für ihn da sein würde, und sie bereute ihren Entschluss nicht ein einziges Mal. Antonio war ein liebevoller, zärtlicher Mann, wie sie noch keinem begegnet war, und sie liebte ihn von Herzen. Wenige Tage, bevor Tara die Bombe platzen ließ, hatten die Ärzte Antonio mitgeteilt, dass die Krebsbehandlung ihn unfruchtbar machen würde.

In seiner Verzweiflung hatte er sich Becky anvertraut, und sie war auf die Idee gekommen, Tara Geld anzubieten dafür, dass sie das Baby austrug. Da ihm an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag eine hohe Versicherungssumme ausgezahlt worden war, könnte er mit Tara darüber verhandeln. Anschließend versprach Becky ihm, dass sie sich um das Kind kümmern würde, egal, was passierte. Da erst war er einverstanden, den Plan in die Tat umzusetzen.

Antonio einigte sich mit Tara auf Folgendes: Er würde ihr fünfzigtausend Pfund sofort und nach der Geburt weitere fünfzigtausend zahlen, zuzüglich einer Aufwandsentschädigung von fünftausend Pfund pro Schwangerschaftsmonat. Hätte Tara sich an die Abmachung gehalten, wäre das Ganze kein Problem gewesen.

Leider verlangte sie mehr und mehr Geld, und auch die Abschlusszahlung hielt sie nicht davon ab, Forderungen zu stellen. Vor zwei Wochen erst war sie vor Beckys Wohnung aufgetaucht und hatte darauf bestanden, dass sie ihr zwanzigtausend Pfund gab.

Dass Becky das Geld nicht hatte, interessierte Tara nicht im Geringsten. Sie drohte damit, vor Gericht zu gehen und auszusagen, man habe sie genötigt, das Sorgerecht für das Baby abzugeben.

Entsetzt hatte Becky versucht, sie zur Vernunft zu bringen, aber Tara hatte nur gelacht und gemeint, der Richter würde wahrscheinlich keiner von ihnen das Sorgerecht zusprechen, sondern Josh in ein Pflegeheim geben. Ihr sei es egal, was mit dem Kind passiere. Sie hätte es sowieso nur zur Welt gebracht, weil Antonio sie dafür bezahlt hatte, es nicht abtreiben zu lassen.

Becky holte tief Luft. Sie hatte Antonio versprochen, sich um Josh zu kümmern und ihn nie im Stich zu lassen. Irgendwie würde sie das Geld schon auftreiben, auch ohne Felipe Valdez!

„Es sieht alles gut aus, Miss Prentice. Der Wundbereich wird noch für ein paar Tage empfindlich sein, aber sobald das Drainageröhrchen entfernt ist, sollte es keine Komplikationen mehr geben.“

Felipe trat zurück, und die Krankenschwester deckte die Patientin wieder zu. Lisa Prentice war mit einem hochgradig entzündeten Blinddarm in die Clinica Valdez eingeliefert worden, und Felipes Kollegin Silvia Ramirez hatte ihn entfernt.

„Ausgezeichnete Arbeit, Dr. Ramirez. Vermutlich war es nicht einfach, da der Blinddarm kurz vorm Durchbruch stand, oder?“

„Ja, Dr. Valdez.“ Die attraktive Brünette freute sich sichtlich über das Lob.

„Eine halbe Stunde später, und die Folgen wären weitaus ernster gewesen.“ Er wandte sich an das Mädchen. „Haben Sie keine Anzeichen einer Entzündung gespürt, bevor Sie in die Ferien geflogen sind, Miss Prentice?“

Lisa errötete leicht. Sie war hübsch, siebzehn Jahre alt, und zusammen mit Freundinnen nach Mallorca gekommen. Seine Frage brachte sie anscheinend in Bedrängnis.

„Da war ein leichtes Stechen in der Nacht vor dem Abflug“, murmelte sie, „aber ich habe mir nichts dabei gedacht.“

„Verstehe.“ Er sah sie eindringlich an. „Sie sind nicht auf die Idee gekommen, einen Arzt aufzusuchen, weil es sich vielleicht um etwas Ernstes handeln könnte?“

„Nein, also … ich meine, wenn Mum mitgekriegt hätte, dass ich mich nicht so gut fühle, hätte sie nicht erlaubt, dass ich fliege, und …“ Unsicher verstummte sie.

Felipe unterdrückte ein Seufzen. Sie hatte es riskiert, ernsthaft krank zu werden, statt auf ihren Urlaub zu verzichten. Ihm persönlich müsste man schon mehr bieten als die Aussicht auf zwei Wochen unter südlicher Sonne, ehe er gesundheitlich angeschlagen ein Flugzeug bestieg.

Der Gedanke erinnerte ihn an Rebecca Williams. War ihr übel geworden, weil sie schon krank hierhergekommen war, oder hatte sie auf irgendetwas reagiert, das er gesagt hatte? Selbst eine abgefeimte Betrügerin könnte eine so heftige körperliche Reaktion nicht vortäuschen, oder? Es ließ ihm keine Ruhe, dass er diese Reaktion provoziert hatte, und gleichzeitig ärgerte er sich darüber. Was ging ihn diese verdammte Frau an? Sie hatte seinen Bruder ausgenutzt.

Silvia warf ihm einen nervösen Blick zu, und Felipe merkte, dass er düster vor sich hin gestarrt hatte. Um zu verhindern, dass sie seinen grimmigen Ausdruck auf sich bezog, setzte er eine neutrale Miene auf und wandte sich an die Patientin.

„Darf ich Ihnen den guten Rat geben, das nächste Mal vernünftiger zu sein, ehe Sie in die Ferien fliegen, Miss Prentice? Leider werden Sie von diesem Urlaub nicht viel haben. Sie müssen zwei, drei Tage bei uns bleiben, und danach werde ich Ihre Versicherung um einen Krankentransport in Ihre Heimat bitten.“

„Oh! Ich wusste nicht, dass ich gleich wieder nach Hause muss.“ Ihre Augen wurden feucht. „Ich dachte, ich könnte zu meinen Freunden. Wissen Sie, wir haben so lange für diesen Urlaub gespart, und jetzt habe ich überhaupt nichts davon.“

Ihre Worte berührten ihn, und Felipe wunderte sich über sich selbst. Er vermisste die gewohnte Distanz, die er sich schon vor langer Zeit im Umgang mit Patienten angewöhnt hatte.

War die Begegnung mit Rebecca Williams daran schuld, dass er plötzlich Emotionen zeigte?

Rasch verdrängte er den beunruhigenden Gedanken. „Ich bin der Meinung, dass es vernünftiger wäre, wenn Sie nach Ihrer Entlassung umgehend nach Hause zurückkehren, Miss Prentice. Allerdings …“

Er hob die Hand, als das Mädchen ihn unterbrechen wollte, und wunderte sich nicht, dass sie den Mund sofort wieder zumachte. Es gab nur wenige Menschen, die sich von ihm nichts sagen ließen. Ob das gut oder schlecht war, stand auf einem anderen Blatt. Vielleicht wäre er ein besserer Mensch, wenn er sich gelegentlich dem Willen eines anderen beugen müsste? Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn jemand das letzte Mal in die Schranken gewiesen hatte.

Autor

Jennifer Taylor

Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...

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