Küche, Cowboy, Hochzeitsträume

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West Montgomery will bei ihr kochen lernen? Davon hält Chefköchin Annabel rein gar nichts. Denn der attraktive Cowboy ist nicht nur arrogant, er hat ihr schon einmal das Herz gebrochen. Nur für seine kleine Tochter stimmt sie zu - und entdeckt an West völlig neue Seiten …


  • Erscheinungstag 06.04.2020
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716790
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Po’boys mit gegrilltem Wels und dem würzigen Krautsalat, für den Hurley’s Homestyle Kitchen berühmt war – das würde sie heute als Tagesgericht auf die Karte setzen, entschied Annabel Hurley. Die U-Boot-förmigen Sandwiches mit Sauerteigbrot und einer reichhaltigen Füllung waren eins der beliebtesten Gerichte in dem alteingesessenen Familienrestaurant. Doch als Annabel zufällig aus dem Küchenfenster blickte, wurde das Tagesgericht sofort zu ihrer kleinsten Sorge. Sie duckte sich hastig hinter die riesige Edelstahlschüssel, in der sie gerade den Teig anrührte, und seufzte, als vom hölzernen Rührlöffel Teig auf ihre Turnschuhe tropfte. Wie lächerlich. Versteckte sie sich gerade tatsächlich, weil West Montgomery sich dem Haus näherte?

Ja, das tat sie wohl. Sie war jetzt gerade mal seit vierundzwanzig Stunden zurück in Blue Gulch, und schon stand der Mensch, dem sie am meisten in der Stadt aus dem Weg gehen wollte, direkt vor der Tür.

Er hielt etwas in der Hand, so viel konnte sie erkennen, als sie sich langsam wieder aufrichtete. War das ein Scheckbuch? Wollte er sich dank seiner Mittel für heute Abend den besten Tisch des Restaurants sichern, von dem aus man einen zauberhaften Ausblick auf die Sweet Briar Berge hatte?

Gestern Abend, ihrem ersten seit langer Zeit in der Küche des Hurley’s, hatte sich Jillian Quisper, die Homecoming-Queen der Highschool, genau an diesem romantischen Zweiertisch mit PJ Renner verlobt. Nach PJs Antrag hatte Jillian so laute Freudenschreie ausgestoßen, dass sie das gesamte Küchenpersonal damit aufgescheucht hatte – dem Klang nach zu urteilen wäre es nämlich auch durchaus möglich gewesen, dass sie gerade an ihrem Salat erstickte.

Dass PJ, einer der reichsten Männer der Gegend, ausgerechnet das Hurley’s, ein kleines rustikales Restaurant, für seinen Antrag gewählt hatte, lag daran, dass fast alle Einwohner der Stadt als Teenager ihr erstes Date hier gehabt hatten. Im Hurley’s gab es nun mal das beste Steak, die besten Spareribs und die besten Po’boys.

Mit Hurley’s Homestyle Kitchen verband jeder in dieser Stadt positive Erinnerungen, offenbar sogar die Homecoming-Queen. Wenn sie ihren Freundinnen später erzählte, dass ihr Angebeteter im Hurley’s vor ihr gekniet hatte und ihr bei einer Portion zarter Rippchen unter dem kleinen Kronleuchter einen Antrag gemacht hatte, würden sie bestimmt alle vor Neid platzen.

Annabels eigene Erfahrungen mit Heiratsanträgen beschränkten sich auf Tagträume und nächtliche Fantasien davon, wie West Montgomery vor ihr kniete. Ha. Als ob West sich jemals zu so einem traditionellen Antrag hinreißen lassen würde. Nein, er würde eher ein Flugzeug kaufen und den Antrag dann in den Himmel schreiben. Oder die Worte aus Steinen zusammengesetzt auf eine romantische Lichtung legen. Er würde ihre Hand nehmen, ihr tief in die Augen blicken, sofort all ihre Gefühle erkennen und dann mit ihr nach Las Vegas durchbrennen, um sie dort in einer Elvis Presley Hochzeitskapelle zu ehelichen. Nicht, dass sie irgendjemanden heiraten würde, ohne dass ihre Gram und ihre Schwester dabei sein würden. Mal ganz abgesehen davon, dass West Montgomery ihr niemals einen Antrag machen würde.

Oder irgendjemand anderes.

Manchmal dachte sie, dass ihre Kochkünste offenbar das Einzige waren, was einen Mann an ihr interessierte. Schließlich ging Liebe ja bekanntlich durch den Magen. Aber ihre Fähigkeit, ein Grillsandwich zu machen, das möglicherweise sogar das ihrer Großmutter übertraf, hatte sie bisher auch nicht weitergebracht als hierher – zurück in die Küche des Hurley’s.

West schirmte nun mit der Hand seine Augen vor der hellen Aprilsonne ab und versuchte, durch das Küchenfenster zu spähen. Als er Annabel sah, wirkte er kurz überrascht, grüßte sie dann aber nickend.

Annabel atmete mehrmals tief durch, umfasste dann den Rührlöffel fester und strich sich mit der anderen Hand die Schürze glatt – was ein Fehler war, denn nun war sie auch noch voller Mehl – und ging zur Hintertür.

Die Hurleys betrieben ihr Restaurant im Erdgeschoss ihres Hauses, einem alten aprikosenfarbenen viktorianischen Schätzchen, das schon bessere Zeiten gesehen hatte.

West klopfte ein zweites Mal. Was wollte er denn nur?

Annabel Hurley, du bist fünfundzwanzig Jahre alt. Mach einfach die Tür auf und finde es heraus!

Und genau das tat sie. Nun stand er vor ihr in seiner ganzen Pracht. West Montgomery, eins neunzig groß, perfekt gebaut, dunkelbraune Augen und fast schwarzes, welliges Haar. Er trug heute verwaschene Jeans und ein grünes Chambray-Hemd, dazu einen schwarzen Stetson, den er kurz antippte, als er sie anblickte. Sie schluckte sofort schwer. Verflixt noch mal.

Auch er schien mit der Situation etwas überfordert zu sein. „Annabel“, sagte er unbehaglich. „Ich wusste gar nicht, dass du wieder in der Stadt bist.“

Er betrachtete sie von unten nach oben, angefangen bei dem Teigklecks auf ihrem Turnschuh bis hin zu dem Rührlöffel, den sie immer noch so festhielt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

Als sie es bemerkte, lockerte sie sofort ihren Griff. Ob er sich gerade auch so intensiv an ihre Nacht erinnerte – na ja, an ihre Stunde, besser gesagt – die sie auf dem Heuboden in der Scheune auf der Ranch seiner Familie verbracht hatten? Das war eher unwahrscheinlich. Denn so, wie er sich am nächsten Tag verhalten hatte, hatte er sie bestimmt schon zwei Minuten später wieder vergessen.

„Ich bin erst gestern angekommen“, erwiderte sie daraufhin.

Er wirkte zerstreut, so als ginge ihm gerade etwas im Kopf herum. Diesen Ausdruck kannte sie nur zu gut an ihm. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und die Sorgenfalten auf seiner Stirn weggestreichelt … so wie damals. Aber das ging natürlich nicht. Mit einem tiefen Atemzug schien er sich für das bevorstehende Gespräch zu wappnen. Wie lange bleibst du denn? Wie geht es dir?

Small Talk war nicht gerade seine Stärke, das wusste sie.

Doch er blickte nur auf seine Armbanduhr und sagte: „Ist deine Großmutter zufällig hier? Ich will mich noch für ihren Kochkurs anmelden. Der fängt doch morgen an, oder?“

So viel zum Thema Small Talk. Oder vielleicht sogar zu einer Entschuldigung für sein unmögliches Verhalten damals.

Annabel wurde nun plötzlich bewusst, dass sie ihn immer noch wie eine Erscheinung anstarrte. Der Mann sah aber auch einfach zu gut aus. So gut, dass sie beinahe nicht mitgekommen hätte, was er gesagt hatte.

„Du willst dich für den Kochkurs anmelden?“, wiederholte sie ungläubig. West in einer Küche – das war wirklich nur schwer vorstellbar.

Ihre Großmutter hatte schon Kochkurse in ihrer großen Landhausküche angeboten, solange Annabel denken konnte. Die zusätzlichen Einnahmen hatte sie immer gut gebrauchen können, nachdem sie ihre drei verwaisten Enkelkinder aufgenommen hatte. Sobald Annabel alt genug gewesen war, hatte sie angefangen, Gram in der Küche zu helfen.

West schaute nun an ihr vorbei zur Arbeitsplatte, wo die Zutaten für Grams berühmte, in der Pfanne gebackenen Brötchen, und die hausgemachte Apfelbutter auf ihre Verarbeitung warteten.

„Ist denn noch ein Platz frei in dem Kurs?“, fragte er und wedelte mit dem Scheckbuch. „Ich zahle auch das Doppelte.“

Das Doppelte? Wie dringend war ihm denn sein Anliegen?

„Der Kurs fällt leider aus“, antwortete Annabel daraufhin. „Gram geht es nicht gut, und der Arzt hat ihr deshalb strengste Schonung verordnet.“

Bei dem Gedanken daran, wie Essie, ihre geliebte und mit fünfundsiebzig Jahren noch topfitte Großmutter, plötzlich in der Küche zusammengebrochen war, schloss Annabel kurz die Augen. Sie hätte für sie da sein müssen. Sie hätte niemals weggehen dürfen.

Stattdessen hatte sie in Dallas gesessen und versucht, so etwas wie ein eigenes Leben hinzukriegen – und das ganze sieben Jahre lang. Sie spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht schoss, und wandte sich hastig ab.

West nahm nun den Hut ab und drückte ihn an seine Brust. „Deshalb bist du also zurückgekommen“, sagte er leise. „Das mit deiner Großmutter tut mir wirklich sehr leid. Vor ein paar Monaten bin ich ihr noch im Supermarkt begegnet, als ich eine Geburtstagstorte für meine Tochter kaufen wollte. Ich habe ihr von meinem eigenen misslungenen Versuch erzählt, und sie hat mich daraufhin überredet, die Torte wieder ins Regal zurückzustellen und bot mir dann an, einen Kuchen für meine Tochter zu backen. Dann wollte sie noch wissen, was meine Tochter besonders gern mag, und am nächsten Morgen kam sie mit einer Torte an, die aussah wie ein Baum – komplett mit grünen Blättern, Zweigen, Äpfeln und einem Mädchen, das gerade hinaufklettert. Lucy ist daraufhin fast ausgeflippt vor Freude. Sie spricht noch heute von ihrer Geburtstagstorte.“

Ja, das klang ganz nach Gram. Immer hilfsbereit und immer willens, noch mehr zu tun, als nötig war. Annabel ging nun zurück zu der Arbeitsplatte, um ihren Teig weiterzurühren.

„Warum willst du denn überhaupt einen Kochkurs machen?“, fragte sie neugierig.

West folgte ihr in die Küche und schloss die Tür hinter sich, wobei er aber ihrem Blick auswich.

„Ich muss endlich mal ein paar Grundlagen lernen. Omeletts, Brathähnchen, vielleicht Hühnersalat aus Resten für Sandwiches. So was in der Art. Und Kekse wie deine Großmutter sie macht.“

Damit war er ihrer Frage geschickt ausgewichen. „So was kann dir doch auch deine Frau beibringen“, erwiderte sie nicht sehr subtil.

Sofort sah sie Lorna Dunkin Montgomerys Gesicht vor sich. Von all den hübschen Mädchen in der Stadt hatte sich Annabels Traummann zielsicher das gemeinste ausgesucht. Die Anführerin der Gruppe, die Annabel immer „Freakabel“ genannt und sie wegen ihrer schlaksigen Figur, den krausen rotbraunen Haaren und den handgenähten Klamotten immer ausgelacht und gehänselt hatte.

Wie idiotisch von Annabel, sich heimlich in einen Jungen wie West zu verlieben, den Außenseiter in seiner schwarzen Lederjacke, der das Haar immer etwas zu lang trug. Genau zwei Mal hatte sie damals mit ihm gesprochen, und ihr war sofort klar gewesen, dass er genauso kompliziert und freundlich war, wie gut aussehend. Aber dass er auf Lorna hereinfiel und sie dann auch noch heiratete? Das hatte sie nie kapiert, und sie war ehrlich gesagt auch nie darüber hinweggekommen.

Ein paar Monate nach ihrer Sternstunde mit West in der Scheune hatte sie die beiden schließlich als Braut und Bräutigam aus der Kirche kommen sehen. Er musste Lorna wohl geschwängert haben, hatte sie damals gehässig gedacht, wenn er sie nach ein paar Monaten bereits heiratete.

Gram hatte ihr Taschentücher und selbst gemachtes Karamell-Schoko-Eis gebracht, und am Ende ihres Gesprächs hatte Essie Hurley ihre Enkelin davon überzeugt, das Stipendium anzunehmen, das ihr das Kulinarische Institut in Dallas angeboten hatte, anstatt in Blue Gulch zu bleiben und Gram mit dem Restaurant zu helfen.

„Vielleicht kommst du danach ja wieder nach Blue Gulch zurück, vielleicht aber auch nicht“, hatte Gram gesagt. „Aber du musst zuerst deinem Herzen folgen.“

Es stimmte, das Kulinarische Institut war schon immer Annabels Traum gewesen. Sie hatte tatsächlich vorgehabt, nach dem Abschluss nach Blue Gulch zurückzukommen, im Hurley’s zu kochen, und vielleicht der Speisekarte hier und da ein paar raffinierte Ergänzungen hinzuzufügen, um das Restaurant für die Gäste des schicken Steakhauses interessant zu machen, das ein paar Häuser weiter eröffnet hatte.

Aber dann hatte sie bei einem ihrer wenigen Besuche zu Hause die schwangere Lorna gesehen. Und später West mit seinem kleinen Mädchen im Kinderwagen. Und sie hatte es einfach nicht fertiggebracht, dem Mann, den sie liebte, ständig über den Weg zu laufen und dabei Zeugin seines Glücks zu werden. Also war sie lieber in Dallas geblieben, wo sie aber ganz offensichtlich einfach nicht hingehörte.

„Lorna ist vor über einem Jahr bei einem Autounfall gestorben“, sagte West.

Jetzt schämte sie sich für ihre gehässigen Gedanken. „Das tut mir sehr leid“, erwiderte sie. „Für dich und für deine Tochter.“

Erneut hob West sein Scheckbuch. „Ich habe den Scheck sogar schon ausgestellt. Wahrscheinlich hast du nicht viel Zeit, wenn du dich um das Restaurant und deine Großmutter kümmern musst, aber meinst du, du könntest mir vielleicht trotzdem ein oder zwei Privatstunden geben?“

Warum um alles in der Welt war es so wichtig für ihn, Omeletts machen zu können?

Nun ja, helfen könnte sie ihm schon, und das Geld konnte sie in der Tat auch gut gebrauchen. Ein kurzer Blick auf die Bücher gestern hatte ihr nämlich gezeigt, dass Hurley’s Homestyle Kitchen im letzten halben Jahr nur noch rote Zahlen geschrieben hatte – wahrscheinlich, weil sich Gram schon länger nicht mehr gut gefühlt hatte. Essie hatte niemandem etwas gesagt, nicht einmal Clementine, Annabels jüngerer Schwester, die als Kellnerin im Restaurant arbeitete.

Mit den dreihundert Dollar für den sechswöchigen Kurs konnten sie die Vorratskammer neu bestücken – zumindest ein paar Tage lang.

„Hattie, unsere zweite Köchin, könnte dir ein paar Dinge zeigen“, schlug Annabel vor.

So dringend sie das Geld auch brauchte, der Gedanke daran, wochenlang mit ihm in der Küche allein zu sein und dabei ständig an ihre gemeinsame Nacht denken zu müssen, in der sie fast mit ihm geschlafen hätte … nur, um am nächsten Tag festzustellen, dass er mit Lorna Dunkin rummachte … nein, das ging überhaupt nicht.

Sie hatte die beiden auf dem flachen Felsen am Stadtrand erwischt, wo sie jeden Nachmittag Kräuter sammelte und auch West zum ersten Mal begegnet war.

Verdammt, warum tat das Ganze immer noch so weh?

„Bitte, Annabel. Es ist wirklich unglaublich wichtig für mich.“

„Was kann denn so wichtig daran sein, Kekse backen zu können?“, gab sie schnippisch zurück, aber dann biss sie sich sofort auf die Lippe.

Das alles war jetzt sieben Jahre her, und sie war keine achtzehn mehr. Er ist mittlerweile Witwer, Herrgott noch mal. Alleinerziehender Vater. Aus welchem Grund auch immer hat er sich nun einmal in den Kopf gesetzt, backen zu lernen.

Stirnrunzelnd blickte er sie an. „Bringst du es mir jetzt bei oder nicht?“ Er setzte den Hut wieder auf. „Du kannst die Stunden ja auch zusammenfassen, wenn du willst, alle paar Tage eine Stunde für ein oder zwei Wochen – entweder frühmorgens oder nach Restaurantschluss – ganz wie es dir besser passt.“

Er zog einen Stift aus seiner Hemdtasche, füllte einen zweiten Scheck aus und legte ihn auf die Arbeitsplatte. „Das sind tausend Dollar. Bitte, Annabel.“

Tausend Dollar? Du lieber Himmel. So ein Angebot konnte sie doch unmöglich ausschlagen. Du wirst es schon überstehen, sagte sie sich. Du wirst ihm einfach zeigen, wie man Hähnchen grillt und Kartoffeln schält, und fertig. Das ist doch keine große Sache.

Sie warf ihm einen Blick zu und rührte dann den Teig weiter, der mittlerweile schon viel zu zäh geworden war. Den konnte sie jetzt wohl wegwerfen.

„Montags haben wir immer geschlossen, also können wir meinetwegen gleich morgen anfangen. Um sechs Uhr. Bring eine Schürze mit, wenn du eine hast.“

Er schien erleichtert aufzuatmen und schob den Scheck näher zu ihr. „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe tatsächlich eine. Meine Tochter hat sie für mich gemacht, letztes Jahr im Feriencamp. Mit bunten Handabdrücken darauf.“

Das kleine Mädchen, das seine Mutter verloren hatte, tat ihr auf einmal unglaublich leid, denn sie wusste nur zu gut, wie das war.

„Normalweise würde ich das Geld nicht annehmen“, erklärte sie und steckte den Scheck in ihre Jeanstasche, „aber Gram hat niemandem gesagt, dass es ihr schlecht geht, und in der Zwischenzeit ist es hier offenbar nicht so gut gelaufen. Wir können das Geld deshalb gerade sehr gut gebrauchen.“

Er nickte und wandte sich zum Gehen.

„Es macht dir doch nichts aus, dass Gram dir nicht den Unterricht gibt?“, fragte sie, als er schon die Hand auf die Klinke gelegt hatte. Idiotisch. Warum sagte sie nicht einfach, was sie wirklich dachte: Hast du in all den Jahren auch nur einmal an mich gedacht? Warum hast du damals, in dieser Nacht, die Sache einfach abgebrochen?

Aber sie wusste ja warum – das dachte sie zumindest. Weil ihm klar geworden war, dass er im Begriff gewesen war, mit der Außenseiterin der Schule etwas anzufangen … mit der von allen verspotteten Freakabel. Sie war damals einfach nur zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Er war vor Kummer über den Tod seines Bruders außer sich gewesen, und sie hatte ihn getröstet.

Aber dann hatte er die Augen aufgemacht und gemerkt, dass er gerade mit einer mageren Vogelscheuche mit krausen Haaren knutschte, die er vorher keines Blickes gewürdigt hatte. Also hatte er sie heimgeschickt und am nächsten Tag Lorna Dunkin auserwählt, die mit ihren blond gefärbten Haaren, Körbchengröße D und den hochhackigen Schuhen einfach mehr hermachte als sie. Wahrscheinlich erinnerte sich West nicht einmal mehr an den Zwischenfall in der Scheune.

Er drehte sich noch einmal zu ihr um und blickte sie dabei so eindringlich an, dass sie hastig den Kopf senkte. „Ich denke immer noch an das Chili con Carne, das du mir gemacht hast, als ich erfahren habe, dass mein Bruder gestorben ist. Ich habe nie vergessen, wie gut es war – so gut, dass ich sogar für einen Moment meinen Kummer vergessen habe. Da warst du gerade mal achtzehn Jahre alt, oder?“

Also erinnerte er sich doch daran. Sofort hatte sie wieder das Bild vor Augen, wie er auf diesem Felsen saß, die Arme um die Knie geschlungen, und wie seine Schultern gezittert hatten. West Montgomery, der um seinen älteren Bruder weinte, der in Afghanistan gefallen war.

Er steckte die Hände in die Hosentaschen. „Na, dann.“

„Na, dann“, gab sie zurück, doch der Erinnerungsfilm lief trotzdem unaufhaltsam weiter vor ihrem inneren Auge ab.

Sie hatte ihm das Chili in die Scheune gebracht, in der er sich versteckt hatte, als ihm die Kondolenzbesucher im Haupthaus zu viel geworden waren. Sie hatten sich eine Weile unterhalten, und als sie aufstand und gehen wollte, hatte er sie aufgehalten. Er hatte sich bei ihr bedanken wollen, aber offenbar nicht die richtigen Worte gefunden. Er wollte Trost, konnte aber nicht darum bitten, also hatte er sie einfach in die Arme genommen und eine kleine Ewigkeit lang festgehalten. Anschließend hatte er sie geküsst, und ihr waren vor Überraschung und wegen der unglaublichen Gefühle, die sie plötzlich durchströmt hatten, tatsächlich die Beine weggeknickt. West hatte sie daraufhin aufgefangen und auf die Decke im Stroh gelegt.

Sie schüttelte leicht den Kopf, um die Bilder zu verdrängen, und dachte dabei an seine Worte von gerade eben – dass ihr Chili ihn von seinem Kummer abgelenkt hatte. Wollte er deshalb kochen lernen? Um über den Verlust seiner Frau hinwegzukommen? Aber traurig wirkte er eigentlich gar nicht, eher besorgt.

Unvermittelt zog er eine Hand aus der Tasche, riss ein Blatt von der Küchenrolle auf der Arbeitsplatte und wischte ihr damit vorsichtig die Wange ab.

„Teig“, erklärte er, zerknüllte das Tuch und ließ es in den Abfalleimer fallen. „Dann bis morgen um sechs.“

Sprachlos beobachtete Annabel durch das Küchenfenster, wie er zu seinem am Straßenrand geparkten silbernen Pick-up ging und einstieg.

Auf was in alles in der Welt hatte sie sich da gerade eingelassen?

Es war Montag, halb sechs, und West konnte es sich einfach nicht erklären, wieso zum Teufel die frittierten Hähnchenteile, die er für seine Tochter gemacht hatte, so komisch schmeckten. Was hatte er denn nur falsch gemacht? Erst die Teile in geschlagenem Ei wälzen, dann in Mehl, und danach in einer Pfanne mit Öl frittieren. Was war denn daran schon so kompliziert? Und warum schmeckte es nicht so wie das Hühnchen, das er letzte Woche im Hurley’s gegessen hatte?

Das hier hatte nicht einmal geschmackliche Ähnlichkeit mit den Chicken Nuggets, die Lorna immer gemacht hatte, und die waren sogar tiefgefroren aus der Tüte gewesen. Aber Tiefkühlkost, Fast Food und Hotdogs hatte es bei ihm schon viel zu oft gegeben. Bis jetzt zumindest.

Der Beweis dafür, dass er vorher wohl besser erst kochen lernen sollte, lag allerdings gerade vor ihm auf dem Teller, und saß ihm außerdem gegenüber. Seine sechsjährige Tochter Lucy hatte bisher nur ein paar Bissen gegessen. Wie immer zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen, wenn er sie so sah – wie süß sie war und wie sehr er sie liebte! Ihre dunklen Locken wippten jedes Mal auf und ab, wenn sie mit der Gabel nach einer der grünen Bohnen stocherte, die sie dann aber doch nicht aß.

Der Kinderarzt sagte, das wäre ganz normal für ihr Alter. Aber von der gebackenen Kartoffel hatte sie auch nur einmal gekostet. Nun ja, sie war viel zu hart, obwohl er das Online-Rezept sorgfältig befolgt und danach sogar extra viel Butter darauf gegeben hatte.

Vom Hähnchen hatte Lucy bisher zwei Bissen gegessen und dann ein Stück unter den Tisch geschmuggelt, wo Daisy, ihr immer hungriger Beagle, schon darauf wartete.

Aber wer wollte es ihr verdenken? Ihm schmeckte dieses zähe, fade Essen schließlich auch nicht.

„Erdnussbuttersandwich?“, fragte er grinsend.

Lucy nickte enthusiastisch.

Er stand auf, hob Lucy vom Stuhl und drückte sie fest an sich. Wenn sie ihre Ärmchen um seinen Hals schlang, war das für ihn das beste Gefühl auf der Welt.

„Sei schön brav, wenn gleich Miss Letty kommt“, sagte er, während er kurz darauf halbwegs beruhigt dabei zusah, wie sie zumindest ihr – sicherlich furchtbar ungesundes – Sandwich verschlang. „Sie passt auf dich auf, während ich beim Kochkurs bin.“

Sofort musste er an die Frau denken, die seine Lehrerin sein würde: Annabel Hurley. Sie hatte noch immer diese helle Haut und die langen, seidigen rotbraunen Haare. Groß war sie immer schon gewesen, aber jetzt hatte sie außerdem an genau den richtigen Stellen sehr wohlproportionierte Kurven.

Er erinnerte sich noch daran, wie er sich eine Strähne dieses Haares um die Hand gewickelt hatte, an den Duft von Kakaobutter und wie sich ihre zarte Haut angefühlt hatte. Wie sie auf dem Heuboden scheu den Pullover ausgezogen hatte, unter dem sie einen weißen Spitzen-BH getragen hatte. Sein Verlangen hatte ihn damals fast umgebracht.

Wenn er doch nur die Zeit um sieben Jahre zurückdrehen könnte … dann würde er in dieser Nacht alles anders machen und es gar nicht erst so weit kommen lassen, sosehr er sich auch damals gewünscht hatte, es wäre noch viel, viel mehr passiert.

Aber wenn er alles anders gemacht hätte, würde es jetzt auch Lucy nicht geben, und das wollte er sich wiederum nicht einmal vorstellen.

„Lernst du dort auch, wie man Eis macht?“, fragte Lucy neugierig.

Autor

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