Lady Eleanor - zwischen Glut und Galgen

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König John befiehlt, dass sie wieder heiratet? Die junge Witwe Lady Eleanor Tallany ist entsetzt. Ihr Herz schlägt für ihre armen Vasallen und bestimmt nicht für Sir Hugh de Villiers, einen königstreuen Ritter! Doch sie muss sich fügen – und wird von Hughs aufmerksamen Zärtlichkeiten und galanter Leidenschaft verführt. Jeden sinnlichen Wunsch liest ihr attraktiver Ehemann ihr von den Augen ab. Aber niemals darf er ihr Geheimnis erfahren: Der berüchtigte Rebell Le Renard, der für die Rechte der Armen und gegen die Leute des Königs kämpft, der verhasste Gesetzlose, den der König am Galgen sehen möchte – ist Eleanor!


  • Erscheinungstag 13.12.2022
  • Bandnummer 382
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507547
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Nordengland, Frühling 1215

Drei Tage! Drei zähe Tage und Nächte hatte sie ihn warten lassen und ihm eine Entschuldigung nach der anderen aufgetischt, warum es ihr gerade unmöglich war, ihn mit ihrer Gegenwart zu beehren. Und noch immer gab es keinerlei Anzeichen für ihre Anwesenheit hier. Hugh de Villiers trat die Binsenstreu auf dem Boden des Palas vor sich her und schnaubte frustriert. Nein, Lady Eleanor Tallany schien nun sogar schon seit drei endlosen Monaten das Schreiben, mit dem König John sie an seinen Hof beordert hatte, trotzig zu ignorieren. Beleidigenderweise hatte sie auch auf jede weitere Aufforderung nicht reagiert, bis König John schließlich Hugh und seine Männer in diese gottvergessene Wildnis im Norden entsandt hatte, um dort die rätselhafte Erbin zu treffen.

Er hatte erwartet, dass die Lady eher fliehen würde, als die Botschaft des Königs zu lesen, und daher Männer um den Burgfried postiert, aber bisher hatte niemand die Burg verlassen. Wenn sie sich die ganze Zeit über darin aufgehalten hatte, musste sie auch jetzt noch dort sein.

Irgendwo im Innern der Burg versteckte sie sich.

Möge Gott ihm Kraft geben!

Er sah zum gegenüberliegenden Ende des Palas, von wo aus Gilbert Claymore, der Haushofmeister von Burg Tallany, händeringend und mit düsterer Miene auf ihn zuschritt. Hugh ballte die Hände zu Fäusten und atmete tief aus. Dieses Verhalten war ebenso lächerlich wie unflätig. Was glaubte Eleanor Tallany, wer sie war, dass sie ihren Herrn so beleidigen und seine Wünsche und Befehle so missachten konnte?

Für Hugh war es eine Frage unerschütterlicher Loyalität König John gegenüber. Wenn dieser von ihm forderte, dass er ausgleichend auf das launische und unberechenbare Verhalten dieser Lehnsfrau einwirkte, dann sollte es so sein. Hugh war seinem König ehrverpflichtet. Er ließ keinen Zweifel an seiner Lehnstreue aufkommen, auch nicht in diesen unruhigen Zeiten, in denen sich das Land am Rand eines Krieges befand. Und doch stand er nun hier und wurde von dieser Frau zurechtgestutzt, die ohne erkennbaren Grund an seinem Geduldsfaden zerrte.

„Nun, was ist es denn dieses Mal, Claymore?“

„Meine Herrin lässt sich entschuldigen, Sir Hugh, aber sie kann Euch heute Vormittag nicht empfangen, da sie an einer … einer Erkrankung leidet.“

„An noch einer also?“

„Heute ist es ihr Kopf, der ihr Schmerzen bereitet, aber sie erträgt es mit Tapferkeit und Anmut.“

„Sicher. Und doch habt Ihr mir erst gestern von Lady Eleanors bemerkenswerter Tüchtigkeit vorgeschwärmt, mit der sie ihr Anwesen führt. Das ist ja an sich schon eindrucksvoll genug, aber umso mehr noch bei dieser Litanei an Erkrankungen.“

Hugh hob eine Augenbraue. Der Haushofmeister musste ihn wirklich für einen Narren halten.

„Meine Herrin erfreut sich üblicherweise guter Gesundheit.“

„Nun, dann muss es unsere Anwesenheit sein, die ihr so zusetzt.“ Seine Kiefermuskeln spannten sich an. „Verdammt noch mal, Mann, mein Aufenthalt hier sollte von kurzer Dauer sein. Ich muss zurück an den Hof.“

„Und würde meine Herrin Euch dorthin begleiten müssen?“

Also das war es, was Lady Eleanor störte. Dass man sie an den Hof zitieren würde. Aber warum? Selbst Hugh, der viele Jahre auf Feldzügen in Frankreich verbracht hatte, kannte die Gerüchte über diese verwitwete reiche Erbin und ihren Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden. Die Tatsache, dass sie sich nie am Hof blicken ließ, fachte das Geschwätz über sie nur noch weiter an.

„Das kann ich nicht beantworten, da ich weder den Inhalt des Schreibens noch König Johns Absichten kenne.“

Das stimmte nicht ganz, denn Hugh hatte neben der Mission, dieser unsäglichen Frau den Begehr des Königs zu übermitteln, noch eine weitere. Er musste eine Truppe Gesetzloser finden und dingfest machen, einschließlich ihres Anführers Le Renard – oder der Fuchs, wie er hier anscheinend genannt wurde. Die Bande hatte nicht nur Abgaben erbeutet, die für die Krone bestimmt waren, sondern auch – und das war weitaus beunruhigender – die aufständischen Barone im Norden unterstützt. Sie waren also Verräter, die sich öffentlich dem König widersetzten.

„Teilt Eurer Herrin mit, je eher wir uns König Johns Befehl anhören, desto eher können wir zu unserem normalen Leben zurückkehren. Meine Männer sind unruhig, Claymore, und ich bin es auch. Wir können diese Situation nicht noch länger ertragen. Ich denke, ich war mehr als geduldig. Und wenn ich Lady Eleanors Privatgemach aufsuchen und sie eigenhändig hier herunterbringen muss – die Botschaft des Königs muss heute verlesen werden!“

Eleanor blickte durch das kleine, bogenförmige Fenster ihrer Kammer nach draußen, rieb sich den Nacken und zuckte zusammen. Diesmal hatte sie tatsächlich Schmerzen. Sie wünschte, die Männer des Königs und mit ihnen der sogenannte Held der verheerenden Schlacht von Bouvines, dieser Hugh de Villiers, würden endlich abreisen, aber das war der Wunsch einer Närrin. Sie würden nicht eher verschwinden, bis sie bekämen, was sie wollten: sie. Jetzt konnte sie ihnen nicht länger aus dem Weg gehen.

Naiv wie sie war, hatte sie geglaubt, dass König John sie einfach vergessen würde, wenn sie seine Aufrufe ignorierte. So war es zumindest in den letzten paar Jahren gewesen, seit ihr Mann an der Ruhr gestorben war.

Ach, diese wunderbare Zeit, die sie nicht an den Hof gekettet, sondern im Zuhause ihrer Vorfahren verbrachte, hatte ihr eine reizvolle Abgeschiedenheit und Freiheit beschert, die sie voll auskosten wollte.

Eleanor hatte schließlich getan, was ihr Vater ihr beigebracht hatte, obwohl sie „bloß eine Frau“ war. Sie hatte ihre Ländereien verwaltet und sich um die Bevölkerung gekümmert, so gut sie nur konnte. Aber jetzt schien das alles zu einem Ende zu kommen.

Seit die Männer des Königs angereist waren, hatte Eleanor versucht, eine Lösung zu finden, einen Ausweg aus ihrer Zwangslage. Dennoch war es ihr einzig gelungen, die Männer zu erzürnen – was gar nicht ihre Absicht gewesen war. Aber sie wollte die Botschaft von König John überhaupt nicht hören. Was auch immer er von ihr wollte, es verhieß nichts Gutes. Das taten seine Aufforderungen nie. Und nun hatte Eleanor keine Ahnung, wie sie weiter vorgehen sollte.

Fest stand, dass sie Tallany und seine Bewohner niemals verlassen würde, denn sonst müssten sie sich in diesen schweren Zeiten alleine durchschlagen. Das war auch der Grund gewesen, warum sie sich vor einigen Monaten heimlich mit den aufständischen Baronen des Nordens verbündet hatte. Sie wollte sie unterstützen in ihrem Kampf gegen einen König, der ganz versessen darauf war, alles zu zerstören, an das sie glaubte. Das war zwar gefährlich, aber nichtsdestotrotz notwendig.

Möglicherweise war das die Erklärung für die Anwesenheit der Königstreuen. Vielleicht wussten sie Bescheid über ihren Verrat. Andererseits kannte ganz sicher niemand außer ein paar ihr treu ergebenen Menschen ihre Rolle in dem Spiel …

Nein, hier ging es darum, sie an den Hof zurückzuholen – oder noch schlimmer, sie im Tower festzusetzen, so wie vor ihrer katastrophalen Ehe. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Eleanor wünschte, ihr bliebe mehr Zeit. Sie hatte immer gewusst, dass sie über ihr Schicksal nicht selbst bestimmen konnte. Aber jetzt, da man ihr die Freiheit so bald schon wieder entreißen würde, fühlte sie sich ohnmächtig und verwundbar.

Sie drehte sich um und begegnete dem Blick ihres Haushofmeisters, der die Kammer betrat. Er nickte kurz und ging dann wieder hinaus. Nein, sie konnte den Männern des Königs und ihrem Anführer, Sir Hugh de Villiers, nicht länger aus dem Weg gehen.

Im Palas wurde es still, als sich der Haushofmeister von Burg Tallany und seine Herrin, der ein paar Begleiterinnen folgten, zielgerichtet auf das Podest begaben. Hugh schloss erleichtert die Augen und seufzte. Endlich war sie gekommen. Jetzt konnte er die Angelegenheit hinter sich bringen und diesen Ort verlassen.

Er öffnete die Augen in dem Moment, als Lady Eleanor sich umdrehte und ihn ansah. Ihm stockte der Atem. Ein berauschender Duft von Blumen und Gewürzen spielte mit seinen Sinnen. Er hatte über die Witwe selbst kaum nachgedacht, nicht gewusst, was ihn erwarten würde – aber ganz sicher hatte er nicht das bezaubernde Bild im Kopf gehabt, das nun vor ihm stand.

Betört ließ er den Blick über ihre Gestalt wandern. Oh ja, ihr Gesicht und ihr Körper konnten einen Mann direkt ins Fegefeuer schicken! Ihr Haar war zurückgekämmt und zusammengebunden unter einem Schleier aus feinem Linnen, der von einem silbernen Reif gehalten wurde. Darunter schauten glänzende Strähnen dunklen Haars hervor. Auch ihre Augen waren dunkel und wurden von langen, gebogenen Wimpern eingerahmt. Ihre vollen roten Lippen waren so verführerisch … auch wenn die Verführung nicht ihm galt, denn nun presste sie sie zu einer dünnen Linie zusammen, während sie ihn unverwandt anblickte. In ihren Augen blitzte für einen Moment reine Verachtung auf, bevor sie sich fasste und kurz den Kopf in seine Richtung neigte.

Woran in Gottes Namen dachte sie? Er riss sich zusammen und trat vor, um sich der Form halber zu verbeugen.

„Lady Eleanor, meine Männer und ich fühlen uns geehrt, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beglückt, und ich bin entzückt zu sehen, dass Ihr Euch anscheinend wieder bester Gesundheit erfreut.“

„Tatsächlich? Und Ihr müsst Hugh de Villiers sein?“

„Zu Euren Diensten, Mylady.“

Die Lady jedoch hob die Augenbrauen und sah ihn von oben herab an.

„Das bezweifle ich, Sir Hugh. Wir wissen beide, warum ich hierherbestellt wurde.“

Überrumpelt von ihrer Unhöflichkeit konnte er sie für einen Moment nur stumm anstarren …

„Tun wir das, Lady Eleanor?“, fragte er dann nach.

„Wie Ihr sehr wohl wisst, Sir.“

Sie war also eine Freundin klarer Worte. Nun gut.

„Mylady, vielleicht hätte das alles vermieden werden können, wenn Ihr auf den Befehl des Königs gleich zum Hof gekommen wärt“, sagte er knapp.

Das alles“, sagte sie mit spitzem Mund, „hätte niemals vermieden werden können.“

„Vielleicht nicht, aber es hätte meine Männer und mich davor bewahrt, hierherzureisen und Euer … geschäftiges Leben unterbrechen zu müssen.“

„Macht Ihr Euch über mich lustig?“

Wie auch immer Hugh sich Eleanor Tallany vorgestellt hatte, diese feindselige Frau, die nun vor ihm stand, wäre ihm sicher nicht in den Sinn gekommen.

„Nicht im Geringsten, Mylady. Ich weise bloß darauf hin, dass all diese Unannehmlichkeiten hätten vermieden werden können, wenn Ihr so gütig gewesen wärt, der Aufforderung König Johns nachzukommen. Ihr solltet wissen, dass er niemand ist, dem man sich widersetzt.“

„Wie leicht Ihr das sagen könnt! Aber diese ‚Unannehmlichkeiten‘, wie Ihr es nennt, waren nicht zu vermeiden. Sie sind entscheidend für meine Zukunft.“

Hugh blickte sie finster an. „Eine Zukunft, die von Eurem König bestimmt wird.“

Im Palas machte sich verlegenes Schweigen breit, während die beiden sich frostig anstarrten und darauf warteten, dass der andere nachgeben würde.

„Nun“, sagte sie schließlich, den eisigen Blick weiter auf ihn gerichtet. „Vielleicht sollten wir dann herausfinden, was diese Zukunft bereithält, nicht wahr?“

Hugh sah zu, wie Eleanor mit einer Geste die Verlesung des Schreibens anordnete. Father Thomas, der Priester von Tallany, trat vor und verbeugte sich vor seiner Herrin, bevor er das Siegel an der Pergamentrolle erbrach.

Bei Gott, wie fürchterlich sie doch war! Man konnte sich kaum vorstellen, dass vor ein paar Augenblicken ihr hübsches Gesicht und ihr anmutiger Körper tatsächlich noch ganz andere Gedanken in ihm ausgelöst hatten.

Er schloss die Augen und atmete tief aus. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis er diesen gottverlassenen Ort hinter sich lassen konnte. Seine Aufgabe bestand lediglich darin, die Botschaft des Königs, wie auch immer sie lautete, dieser Frau zu überbringen und eine Truppe Gesetzloser zu fangen. Danach konnte er zurückkehren und sein Leben als Soldat wieder aufnehmen. Je eher, desto besser.

Die Stimme von Father Thomas erfüllte den Palas, während er das Schreiben verlas. Eleanor hatte Angst, aber das würde sie vor Hugh de Villiers und den Männern des Königs auf keinen Fall zeigen. Ihre Beklemmung ging einher mit einer Empörung darüber, dass diese unwillkommenen Eindringlinge einfach in ihr Zuhause, ihr Fleckchen England, eingefallen waren, und ihre Anspannung im Bezug auf den Erlass König Johns ließ ihr Herz ein wenig schneller schlagen. Trotzdem wandte sie den Blick nicht ab. Was auch immer der König zu sagen hatte, wessen er sie auch immer anklagen wollte, sie würde dem hoch erhobenen Hauptes standhalten.

Sie nahm all ihren Mut zusammen, straffte die Schultern und blickte dreist dem Mann, der ihren Frieden bedrohte, ins Gesicht … Sir Hugh de Villiers.

Ihr Anblick verwirrte ihn und brachte ihn aus der Fassung, so viel konnte sie erkennen, aber er bemühte sich, ihrer abgebrühten Arroganz auf gleiche Art zu begegnen. Sie legte all ihre aufgestauten Gefühle von Frustration, Verbitterung und Ärger in den Blick, den sie ihm nun zuwarf, aber er grinste sie bloß an und schüttelte herablassend den Kopf, so als wäre sie ein launisches Kind.

Während sie vor Wut kochte, kam ihr in den Sinn, dass sie nichts lieber täte, als zu ihm hinzugehen und ihm dieses Grinsen auszutreiben, aber das war unter ihrer Würde. Außerdem würde es Hugh de Villiers nur bestätigen, dass er den besseren Charakter besaß. Nicht, dass Eleanor sich darum scherte, was er dachte! Denn sie fand ihn unerträglich – was keine große Überraschung war. Zweifelsohne umgab sich der König mit lauter solch ehrgeizigen Speichelleckern wie diesem Mann. Im Grunde war er genau wie ihr verhasster Gemahl, möge seine Seele in Frieden ruhen, der nicht nur ehrgeizig und habsüchtig gewesen war, sondern auch viele weitere unerfreuliche Eigenschaften besessen hatte, die sie lieber vergaß.

Eleanor war dankbar, dass sie jetzt wenigstens von dieser Pflicht befreit war und sich nicht länger den Forderungen eines Ehegatten beugen musste. Ihr schauderte bei dem bloßen Gedanken daran. Ja, sie musste dankbar sein für die kostbare Freiheit, die sie nun genießen durfte – aber für wie lange? Ihr graute vor dem, was der König von ihr wollte. Wenn sie doch nur an einem anderen Ort sein könnte …

Als habe er ihre Gedanken gelesen, warf Hugh de Villiers ihr einen sarkastischen Blick zu, so als wünsche er sich auch, weit weg zu sein. Jeder Ort wäre ihr lieber als ihr Palas, wo sie Father Thomas zuhören musste. Sie würde es bevorzugen, knietief in Schweinemist zu waten, oder ein Dutzend Leinenhemden zu besticken, oder ein Dutzend Fässer Äpfel für Cider zu zerstampfen, oder …

Ein kollektiver Seufzer hallte durch den Palas und brachte ihre Aufmerksamkeit zurück zu Father Thomas. Sie versuchte, sich an die letzten Worte zu erinnern, die er gerade gesagt hatte. Hatte sie richtig gehört oder sich das nur eingebildet?

Was war seine Aussage gewesen?

„Lady Eleanor Tallany … wie König John erlassen hat … Vermählung …“

Um Gottes willen, sie hatte gehofft, es sei wirklich nur Einbildung gewesen. Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie sich nicht täuschte.

Vermählung? Vermählung? Aber mit wem?

Mit klopfendem Herzen ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und blieb an Sir Hugh de Villiers hängen, dessen Gesicht plötzlich aschfahl war.

Nein, nein, nein! Bitte nicht er. Das musste ein Missverständnis sein! „Verzeiht, Father, was habt Ihr gerade gesagt?“, flüsterte sie und sah den gütigen Priester an.

Mit besorgtem Blick wiederholte der: „Unser Herr und Gebieter König John hat ein Verlöbnis zwischen Euch, Mylady, und …“ Father Thomas schluckte. „Und Sir Hugh de Villiers verfügt. Dem Überbringer dieser frohen Botschaft.“

Ihr stockte der Atem. Entsetzt blickte sie wieder auf Hugh de Villiers. Das Dröhnen in ihren Ohren erstickte jedes andere Geräusch im Raum. Sie spürte, wie sich Schweißtropfen auf ihrer Stirn bildeten und ihre Handflächen feucht wurden. Gütiger Gott, das durfte nicht wahr sein! Nicht schon wieder!

Sie schloss die Augen und suchte in ihrem Inneren nach einem Anker, nach Ruhe. Dann hörte sie durch das dumpfe Getöse in ihrem Kopf hindurch ganz schwach, wie jemand ihren Namen rief.

„Lady Eleanor?“

Es war die tröstliche Stimme von Father Thomas, die von weit her zu ihr herüberdrang.

„Mylady?“

Sie öffnete die Augen und suchte in seinem alten, zerfurchten Gesicht nach Unterstützung und Hilfe.

„Versteht Ihr, was das bedeutet, Lady Eleanor?“

Sie bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen und hieß den stechenden Schmerz willkommen. Dann atmete sie tief ein, straffte die Schultern und richtete sich auf.

„Ja, das tue ich!“, brachte sie mit klarer Stimme hervor, und die Anwesenden brachen in Jubel aus – alle bis auf, wie es schien, ihren zukünftigen Gemahl.

Hugh de Villiers schritt zähneknirschend auf sie zu, kniete vor ihr nieder und senkte den Kopf. Ebenso schnell stand er wieder auf und stürmte aus dem Palas, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Hugh durchschritt den Innenhof der Burg und stieß fast mit einem unglückseligen Jungen zusammen, der einen Laib Käse aus der Vorratskammer schleppte. Er bellte ihn an, er solle doch aufpassen, hob dann aber eine Hand als Entschuldigung für seine Überreaktion. Sofort blieb er stehen und atmete langsam aus, um seine miese Laune in den Griff zu bekommen. Er verlor sonst eigentlich nie die Kontrolle über sich, aber nach all den Tagen und Nächten des frustrierenden Wartens auf diese Frau, die seine Geduld schmerzlich strapaziert hatte, spürte er fast den Drang, seiner Wut einmal auf spektakuläre Art und Weise nachzugeben.

Es war doch wohl alles ein schlechter Witz – es musste ein Witz sein.

Gütiger Himmel! Was dachte sich König John dabei? Eine Vermählung mit Eleanor Tallany?

Er wusste, er sollte sich geehrt fühlen, dass man ihm solch eine reiche Erbin anvertraute, aber er wollte keine Gemahlin. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Frauen den unvermeidbaren Herzschmerz nicht wert waren, den sie verursachten. Die einzigen, die er in sein Leben ließ, waren die, die dem Soldatenlager folgten und sein Feldbett in der Nacht wärmten.

Die Ehe interessierte ihn nicht. Hugh war ein Soldat, ein Ritter, und alles, was er wollte, war ein Leben im Dienste seines Königs. Dennoch war er nun verpflichtet, dessen Befehl auszuführen. Er wäre verrückt, sich dem zu widersetzen – davon abgesehen wäre es überhaupt nicht möglich. Aber warum hatte John ihm nichts von seinen Absichten erzählt? Es hätte Hugh die Peinlichkeit erspart, diesen Priester anzuglotzen und zu murmeln, dass es sich da um einen Fehler handeln müsse. Das war kein guter Start im Angesicht der Frau, die bald seine Gemahlin sein würde …

Er kannte König John. Er würde sich an der gelungenen Überraschung erfreuen und erklären, dass die Erweiterung von Hughs Vermögen und die Erhöhung seines Stands, die mit der Vermählung einhergingen, ein angemessener Ehrensold dafür waren, dass Hugh seinem Herrn einmal das Leben gerettet hatte. John glaubte zweifelsohne, dass er ihm etwas schuldete. Aber das tat er nicht. Hugh war nur seiner Pflicht als Ritter nachgekommen, seinen König zu schützen – was er immer wieder tun würde.

Immerhin zeigte John mit diesem unerwarteten Geschenk, dass er Hugh vertraute. Und der König würde auch die Ländereien im Norden für immer an sich binden, wenn nun einer seiner Männer über das große Gebiet wachte.

Hugh blieb stehen und überlegte sorgfältig, was die Kunde des Königs für ihn genau bedeutete. Trotz seiner Vorbehalte gefiel ihm die Idee, ein eigenes Zuhause zu haben, einen Ort, an dem er, der seit dem zarten Alter von zwölf Jahren ständig unterwegs gewesen war, endlich Wurzeln schlagen konnte. Insgeheim hatte er sich das immer gewünscht. Schon sehr lange hatte er nicht mehr an diesen Traum gedacht. Denn um ihn zu verwirklichen, müsste er sich eine Frau nehmen. Eine, die König John für ihn auswählte.

Lady Eleanor Tallany …

Eine Frau wie sie – herrisch, eigensinnig, unverschämt und arrogant – war sicher nicht das, was er wollte.

Aber er hatte in dieser Angelegenheit keine Wahl.

Hugh fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Es wäre jetzt sicher angebracht, seine Verlobte zu suchen und sein unverzeihliches Verhalten von vorhin wiedergutzumachen. Auch wenn sie ihm das sicher nicht leicht machen würde.

Er hatte den seltsamen Verdacht, dass Lady Eleanor Tallany ihm nichts jemals leicht machen würde.

Eleanor schritt in ihrem Privatgemach auf und ab und versuchte, zumindest gedanklich Ordnung in dieses heillose Durcheinander zu bringen. Sie konnte es noch immer nicht fassen. Ein Gemahl? Ein Gemahl, der versuchen würde, sie unter seine Kontrolle zu bringen, der sie benutzen und misshandeln würde, so wie es ihr erster Ehemann getan hatte? Bei allen Heiligen, das würde sie nicht noch einmal ertragen.

Von all den Dingen, die der König ihr hätte aufzwingen können, war ein Gemahl das letzte, auf das sie gekommen wäre. Doch nicht in dieser unruhigen Zeit! Aber natürlich war es absolut vernünftig, sie an einen seiner eigenen Männer zu binden – insbesondere in einer Gegend Englands, in der man große Sympathien für die Sache der Rebellen hegte. So wie sie selbst auch.

Dieser Mann – dieser Hugh de Villiers – schien allerdings auch nicht besonders entzückt von der Vorstellung, eine Ehe mit ihr einzugehen. Das war wiederum überraschend, wenn man sich vor Augen hielt, wie er sie vor der offiziellen Vorstellung angesehen hatte. Und wenn man bedachte, dass die Ehe ihn zu einem mächtigen und reichen Mann machen würde.

Eleanor seufzte und ließ die Schultern hängen. Ihr erstes Treffen hätte nicht schlimmer verlaufen können. Sie hatte nicht nur einen Fehler gemacht, indem sie ihn tagelang auf eine Audienz hatte warten lassen, sondern bei der eigentlichen Begegnung hatte sie sich auch noch furchtbar verhalten. Sie hätte das nicht tun sollen. Sie hätte nicht so aggressiv sein dürfen. Das hatte sie nicht gut eingefädelt – schon gar nicht vor all diesen Fremden und ihren eigenen Untertanen …

Aber irgendetwas in ihr hatte einfach ausgesetzt, als er sie von Kopf bis Fuß gemustert hatte. Also hatte sie ihm eiskalte Blicke zugeworfen, sich aufrecht gehalten und die Hände gefaltet, um das angespannte Zittern zu verbergen.

Sie hatte angenommen, dass Hugh de Villiers die Wünsche des Königs kannte und seine neueste Errungenschaft in Augenschein nehmen wollte, aber beim Verlesen der Botschaft des Königs hatte er genauso erschrocken gewirkt wie sie.

Davor hatte er sie auf die gleiche Art angesehen wie viele Männer. Er war auch nicht anders als ihr grausamer erster Gemahl, oder als die Wachen im Tower, die sie verspottet und anzufassen versucht hatten. Nicht anders als jeder andere Mann, der sie und ihr Land und ihren Besitz haben wollte. Er unterschied sich nur in einer Hinsicht von ihnen: Sie würde bald ihm gehören, mit allem, was sie besaß.

Wenn sie doch nur die Vermählung verhindern könnte … Konnte sie sich einfach weigern?

Jemand klopfte an die Tür, dann öffnete ihre alte Magd Brunhilde und ließ Hugh de Villiers eintreten.

Eleanor drehte sich zu ihm um. „Nun, Sir Hugh, ich nehme an, das war für uns beide eine Überraschung?“

„Genauso ist es, Mylady.“

„Wie auch immer, es ist eine unwillkommene Überraschung. Und ich gehe davon aus, dass diese … Verlobung für Euch genauso geschmacklos ist wie für mich.“

„Was führt Euch zu dieser Annahme, Mylady?“

Die Tatsache, dass Ihr aus dem Palas gestürmt seid, nachdem das Schreiben verlesen wurde.

„Täusche ich mich?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte nie, dass ich je … Nun, ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden zur Gemahlin nehmen würde.“

Aus irgendeinem Grund löste seine Ehrlichkeit plötzlich ein Gefühl innerer Leere in ihr aus.

Wo war dieser Gedanke hergekommen?

„Und ich hätte nie gedacht, je wieder an einen Gemahl gekettet zu sein.“

„Ja, aber Euer Schicksal war es doch immer, verheiratet zu werden, Lady Eleanor – wie Ihr sehr wohl wisst.“ Er hob eine Augenbraue.

„Und wir Ihr sehr wohl wisst, Sir Hugh, wurde ich bereits einmal verheiratet.“ Nicht, dass ihre erste Ehe ein Anlass für besondere Feierlichkeiten gewesen wäre, aber das musste dieser Mann nicht wissen. „Ihr entschuldigt also meinen Widerwillen bezüglich des Gedankens, das alles erneut durchmachen zu müssen.“

Er kam näher, und unter seinem unverwandten Blick wurde ihr unwohl. Vielleicht hätte sie das nicht sagen sollen. Wieso nur bekam sie ihre ungezügelte Zunge nicht in den Griff? Sie wartete auf seine Antwort, aber er sagte nichts, sondern setzte stattdessen nur ein verständnisvolles Lächeln auf.

Sie schluckte und versuchte, sich zu beruhigen. Er war so unglaublich groß, stattlich und gut aussehend. War ihr das vorher nicht aufgefallen? Doch, natürlich. Sie hatte nur einfach beschlossen, es nicht wahrzunehmen.

Seine stattliche Größe und die breiten Schultern, über denen seine graue Tunika spannte. Sein dunkles Haar, das ihm in die Stirn fiel und eine Narbe versteckte, die seine Augenbraue spaltete. Die grünen Augen und die kleinen Fältchen neben den Augenwinkeln. Und ganz besonders die Art, wie sich auf seinen Lippen ein schiefes Lächeln abzeichnete, so wie gerade eben. All das hatte sie völlig ignoriert.

Innerlich seufzte sie. Ja, er war attraktiv, aber auf eine offensichtliche Art. Was ihm ohne Zweifel bewusst war. Nun, sein freimütiges Lächeln würde auf sie keinerlei Wirkung haben.

„Ich hatte gedacht, oder eher gehofft, dass man mich vergessen würde – insbesondere jetzt, da ich eine alte Witwe bin.“

„Eine ‚alte Witwe‘? Ihr könnt nicht älter als zwanzig sein, Mylady.“

„Ich bin einundzwanzig, Sir.“

„Ihr habt recht – das ist uralt.“ Er lachte in sich hinein und schüttelte den Kopf. „Und Euch vergessen? Das wäre unmöglich.“

Eleanor verdrehte die Augen, ging zum Bogenfenster hinüber und sah hinaus. „Nein, nicht bei all dem Reichtum, den ich mitbringe.“

„Das ist nicht das Einzige, Mylady.“ Er tat einen Schritt in ihre Richtung. „Sagt, seid Ihr immer so offen in Eurer Art?“

„Ich sage, was mir in den Sinn kommt“, sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen.

„Auch wenn es eher ungewöhnlich für eine Lady Eures Standes ist, so … unverblümt zu sein?“

Eleanor hörte, wie er sich auf sie zubewegte, und spürte, dass er nun direkt hinter ihr stand. „Ich nehme an, man könnte sagen, dass ich den geziemenden mädchenhaften Anstand nicht besitze, den Ihr ohne Zweifel gewohnt seid, Sir Hugh.“

„Ihr überrascht mich. Warum besitzt Ihr keinen mädchenhaften Anstand?“

„Die Notwendigkeit dafür hat nie bestanden“, murmelte sie und drehte sich zu ihm um. Es war nicht notwendig gewesen, gute Manieren an den Tag zu legen gegenüber einem brutalen Gemahl, den sie zu verachten gelernt hatte, und gegenüber dem König, dem er so treu gedient hatte – genau wie der Mann, der jetzt vor ihr stand.

„Wirklich?“, fragte er, während sie mit den Schultern zuckte. „Ihr würdet Anstand brauchen, wenn Ihr an meinen Hof kämt, Mylady, anstatt Euch hier oben zu begraben. Warum seid Ihr nicht gekommen?“

Gütiger Gott, wie hatte dieser Mann es geschafft, die Position des Fragestellers einzunehmen? Er war gut – gefährlich gut. Eleanor würde sich bei ihm in Acht nehmen müssen.

„Ich war unpässlich.“

„Ach … und deshalb habt Ihr den Aufruf Eures Königs ignoriert?“

„Natürlich nicht. Ihr müsst verstehen, dass es mir nicht gut ging“, sagte sie.

Er neigte den Kopf. „In der Tat. Ich bin hocherfreut, Euch nun bei guter Gesundheit angetroffen zu haben, Mylady.“

Eleanor stieß langsam den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte.

„Nun, Sir Hugh, was machen wir also mit unserem … Dilemma? Ihr kennt König John besser als ich. Wie kommen wir aus dieser ungewollten Ehe wieder heraus?“

„Es gibt keinen Weg aus unserem ‚Dilemma‘, wie Ihr es nennt. Wenn König John sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, kann man ihn nicht einfach so umstimmen.“

„Aber es muss doch etwas geben, das wir tun können?“

„Würdet Ihr Eurem König etwas verweigern?“ Er sah schockiert aus – sogar beleidigt.

„Sir Hugh, man hat mich nach der Mutter des Königs genannt, und meine eigene Mutter diente ihr, als sie Königin war. Meine Familie hat immer aus loyalen Untertanen bestanden, also werdet Ihr verstehen, dass ich Euch nicht die Ehre erweise, auf Eure Frage zu antworten.“

„Nun gut – aber gebt Euch keiner Illusion hin. Es steht außer Frage, die Forderung des Königs nach unserer Verlobung abzulehnen. Er würde es als ungeheure Kränkung auffassen, und es wäre in Eurem eigenen Interesse, nicht länger darauf zu beharren, Mylady.“

Man konnte den warnenden Unterton deutlich heraushören. Ja, Eleanor musste in der Tat vorsichtig sein, was Sir Hugh de Villiers anging. Andererseits konnte sie einem kleinen Vorstoß ihrerseits nicht widerstehen.

„Tut Ihr immer alles, was der König verlangt?“

„Natürlich. Ich habe einen Eid geleistet. Ich bin vielleicht ein Soldat und kein idealer Ehegatte, aber wenn es das ist, was König John will, dann soll es so sein.“

„So einfach ist das?“

„Das muss es sein“, sagte er beschwichtigend, und sein Blick huschte zu ihrem Mund, als sie sich auf die Lippe biss und abwandte.

Wie nur? Wie konnte sie ihn dazu bringen, zu verstehen, dass sie diese Situation unmöglich hinnehmen konnte?

Aber sie wusste, auch endlose Erklärungen konnten den Lauf, den ihr Leben gerade nahm, nicht aufhalten.

Noch immer sah er sie unverwandt an. „Also, Mylady, sind wir uns einig?“

„Nein … nein, das sind wir nicht.“

„Lady Eleanor, der König wird Euch jemand anderen heiraten lassen, wenn Ihr mich nicht nehmt. Und ich hoffe, dass ich besser bin als andere zukünftige Anwärter.“

Damit hatte er recht. Wenn er es nicht war, dann würde es ein anderer von König Johns Kumpanen werden.

Die Hoffnungslosigkeit der Situation verschlimmerte ihren Ärger. „Ich frage mich, was den König veranlasst hat, Euch auf diese Art ehren zu wollen, Sir Hugh? Könnte es etwas mit Eurer Tapferkeit oder Eurem Mut oder so etwas zu tun haben? Mit Euren Heldentaten in der Schlacht von Bouvines?“, sagte sie herablassend.

Es schien ihn zu überraschen, dass sie davon gehört hatte. „Wer weiß? John glaubt vielleicht, dass es eine passende Art ist, meine ‚Tapferkeit‘ und meinen ‚Mut‘ zu ehren“, erwiderte er in gleichermaßen sarkastischem Tonfall. „Aber da müsstet Ihr den König selbst fragen, Mylady. Er braucht jemanden, dem er vertrauen kann, um dieses Land zu sichern.“

„Euch, nehme ich an? Und durch eine Vermählung wird Euch ganz Tallany zufallen … einschließlich mir?“

Er zuckte zusammen; das war ihm offensichtlich unangenehm. „So scheint es. Und was Bouvines betrifft: Wenn ein Ritter Zeuge wird, wie sein König vom Pferd fällt und als Geisel genommen oder gar getötet werden soll, dann ist es überhaupt keine Frage, was er tun muss. Und als solcher habe ich nur meine Pflicht getan.“

„Wir Ihr es jetzt auch tut?“, entgegnete sie. „In diesem Fall scheint es tatsächlich keinen Ausweg aus dieser ungewollten Ehe zu geben.“

„Nein … Es tut mir leid, dass ich nicht das bin, was Ihr Euch vorgestellt habt, aber ich werde bestrebt sein, einen guten Gemahl abzugeben.“

Eleanor bezweifelte das – insbesondere, wenn Sir Hugh herausfinden würde, in welchem Ausmaß sie die Verschwörung gegen König John vorangetrieben hatte. Zudem wollte sie keinen weiteren Gemahl, zu dessen Eigentum sie wurde, der sie besitzen und ihr das Gefühl geben würde, völlig ohnmächtig zu sein. Nicht noch einmal. Sie schloss die Augen und drehte den Kopf weg.

„Es ist nicht so, dass ich mir jemand anderen als Gemahl vorgestellt hätte, Sir Hugh. Ich hatte eher gehofft, mir überhaupt keinen Gemahl mehr vorstellen zu müssen.“

Er betrachtete sie einen Augenblick lang, sodass sie sich wieder einmal wünschte, sie hätte den Mund gehalten.

„Das tut mir leid, Mylady, aber ich werde mich dem König nicht widersetzen, und Ihr solltet das auch nicht tun.“ Er atmete tief ein, bevor er fortfuhr. „Ich hoffe, Ihr könnt Euch mit dem Gedanken an unsere Ehe anfreunden, und hiermit möchte ich Euch bitten, Euch … den Hof machen zu dürfen.“

Eleanor war vorübergehend sprachlos ob der Bitte dieses Mannes. „Ihr wollt eine Vermählung und gleichzeitig um mich werben?“

Hugh trat näher heran und nahm mit einer leichten Bewegung ihre Hand in seine. „Das will ich …“

Er führte ihre behandschuhte Hand an seine Lippen und küsste sie ganz sanft, sodass Eleanor sich einer warmen Welle gewahr wurde, die ihren Arm hinaufzusteigen schien. Dann trat er einen Schritt zurück, ohne die Augen von ihr abzuwenden, neigte den Kopf, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Privatgemach.

2. KAPITEL

Es war eine elende Woche gewesen, die in der Hochzeitszeremonie mündete, und am nächsten Tag um diese Zeit würde Hugh mit der ständig ausweichenden Lady Eleanor Tallany vermählt sein. Heute ritten sie zusammen durch die Wälder, die an das Landgut grenzten. Es war ein warmer Frühlingsmorgen, und zwischen den alten Laubbäumen entdeckten sie einen Teppich aus lilafarbenen Blüten.

Hugh seufzte und blickte zu Eleanor hinüber, die auf ihrem grauen Zelter saß. Sie sah hinreißend aus, wenn auch ein wenig blass, in ihrem grünen, von Silberfäden durchwirkten Wollkleid, dem cremefarbenen Schleier und dem Silberreif im Haar. Wie sie so hochmütig dreinblickte, gerade aufgerichtet und die Falten des Kleides an der Seite des Pferdes drapiert, wirkte sie wahrhaft königlich.

„Welchen Weg würdet Ihr heute Morgen vorschlagen, Lady Eleanor?“

„Welcher auch immer Euch zusagt“, antwortete sie steif, drehte dann aber den Kopf, als habe sie es sich anders überlegt, und schenkte ihm ein Lächeln, das ihre Augen jedoch nicht erreichte.

Er verdrängte seinen Frust. „Ich hätte ganz gerne Eure Meinung gehört, denn Ihr kennt diese Gegend besser als ich, aber was soll’s. Wie wäre es, wenn wir nach Norden reiten? Der Haushofmeister hat mich wissen lassen, dass es dort einen Landstrich von natürlicher Schönheit gibt, der außerdem einen herrlichen Ausblick von dem Hügel bietet.“

Sie zuckte die Schultern. „Wie Ihr wünscht.“

„Was ich wünsche, ist, dass Ihr mehr preisgebt.“

„Wovon soll ich mehr preisgeben, Sir Hugh?“

Mehr von Euch, mehr von Eurem Leben …

Er atmete tief ein. „Mehr von allem, was Euch in den Sinn kommt. Erzählt mir etwas über Tallany. Über das Land, die Dörfer, die Menschen, die hier wohnen.“

Sie drehte schnell den Kopf und schluckte, aber als sie sprach, klang ihre Stimme wieder flach und kraftlos. „Fragt Gilbert Claymore, den Haushofmeister. Er wird Euch mit allen Informationen ausstatten, die Ihr braucht. So, sollen wir jetzt mal aus den Pferden herausholen, was geht?“ Sie hob die Augenbrauen und setzte ein künstliches Lächeln auf.

Ah, schon wieder klebte dieses falsche Lächeln auf ihrem Gesicht! Hugh stöhnte innerlich. Das würde ein weiterer schlechter Tag werden; er konnte es in den Knochen spüren. Er würde so schlecht werden wie der gestrige und der Tag davor. Tatsächlich wäre er froh, wenn er die gesamte vergangene Woche gegen einen Feldzug eintauschen könnte. Er würde lieber eine schmutzige, schwierige Schlacht schlagen, als einen weiteren Tag zu ertragen, an dem er seiner Verlobten vermeintlich den Hof machen musste, bevor sie vermählt wurden.

Was vollkommen lächerlich war, denn er wusste immer noch nicht mehr über Lady Eleanor als bei ihrem ersten Zusammentreffen. Wenn überhaupt, war sie ihm da noch lebendiger und authentischer erschienen als seither.

Sie mied ihn, ignorierte ihn oder gab ihm im besten Fall knappe Antworten auf seine Fragen, so wie gerade eben, mit ganz höflicher Unterwürfigkeit.

Eleanor Tallany war jetzt sogar noch frustrierender als anfangs, als man ihn ständig hatte auf sie warten lassen. Und diese Frau sollte seine Gemahlin werden. Seine Gemahlin, um Himmels willen … Und es lag ganz offensichtlich auf der Hand, dass sein Versuch, ihr den Hof zu machen, ihr ebenso zuwider war wie die Aussicht auf eine Ehe mit ihm.

Ihr den Hof machen? Nun, das war vollkommen lachhaft.

Hugh hatte gehofft, dass er Eleanor durch sein Werben um sie etwas erweichen konnte, sodass sie ein Kennenlernen zulassen würde, aber sie nahm seine Annährungen so freundlich auf wie einen Aderlass!

Und als wäre das nicht schon schlimm genug, fühlte er sich dummerweise auch noch jedes Mal, wenn er sie erblickte, zu ihr hingezogen. Er verstand es selbst nicht. Sie verkörperte alles, was er an anderen Menschen, insbesondere an Frauen, hasste: Hochmut, Zügellosigkeit und Dreistigkeit. Aber die Anziehungskraft war jedes Mal da, wenn er sie traf. Selbst der züchtige Kuss in ihrem Gemach, der ihre Verlobung besiegeln sollte, hatte in ihm den Wunsch nach mehr ausgelöst. Und dabei hatten seine Lippen nur den Handschuh berührt, bei Gott!

Hugh hatte Eleanor beobachtet, wenn sie mit ihren Leuten zusammen war, mit ihrem Haushofmeister oder ihrer Kammerjungfer. Daher wusste er, dass sie auch offen und warmherzig sein und aufrichtig lächeln konnte. Ganz anders sah es aus, wenn sie ihn anblickte.

Verdammt … Er wollte diese Frau doch bloß besser kennenlernen, sodass sie ein gegenseitiges Verständnis, eine Art gemeinsamer Basis errichten konnten, um darauf die erzwungene Ehe aufzubauen. Und das ungeachtet der Tatsache, dass es ihn Zeit kostete, wo er doch eigentlich Le Renard und seine Bande Gesetzloser finden und festsetzen musste. Nicht, dass Hugh auch nur annähernd wusste, wo der Fuchs sich aufhielt … noch nicht.

Das musste er ihnen lassen: Die Bandenmitglieder hatten sie alle listig getäuscht. Sie hatten es geschafft, mitten in der Nacht einige der Pferde seiner Männer freizulassen; von denen sie nur wenige wieder hatten einfangen können. Und ein paar Nächte zuvor hatten sie eine Kerbe in die Versorgung mit Nahrungsmitteln geschlagen, indem sie Weizen aus der Dorfmühle gestohlen hatten, sodass zum Brotbacken nur noch wenig zur Verfügung stand. Was angesichts der Hochzeitsfeier morgen höchst peinlich war.

Das Demütigendste jedoch war die Tatsache, dass die Gesetzlosen einige von König Johns Soldaten, die mit Hugh hergereist waren, entführt hatten. Man hatte sie nicht nur an einen Baum gefesselt im Dorf vor der Burg gefunden, nein, sie waren auch noch in Frauenkleider gehüllt für alle sichtbar zur Schau gestellt worden.

Ja, es war in der Tat eine schreckliche Woche gewesen.

Er versuchte, diese grimmigen Gedanken abzuschütteln, und wandte den Kopf. „Es ist ein schöner Morgen, nicht wahr, Lady Eleanor?“

„Verzeihung, habt Ihr etwas gesagt?“

„Nein, nichts von Bedeutung.“

„Ihr müsst entschuldigen, Sir Hugh. Ich war in Gedanken vertieft.“

Mit großen Augen und in aller Unschuld erwiderte sie seinen Blick.

„Und möchtet Ihr diese Gedanken teilen, Mylady?“

„Ich dachte über die unglücklichen Umstände nach, die mit den Angriffen dieser Gesetzlosen zusammenhängen. Seid Ihr ihnen auf der Spur?“

Er ärgerte sich plötzlich über sich selbst und über seine außerordentliche Unfähigkeit, ein paar gerissene Gesetzlose zu schnappen. Eigentlich war er aber in Gedanken ganz woanders gewesen. Es geschah schließlich nicht jeden Tag, dass ein Mann kurz davorstand, eine ungewollte Ehe mit einer Frau einzugehen, die zweifelsohne die Gesellschaft einer dreibeinigen Ziege der ihres Verlobten vorzog.

„Noch nicht, aber ich werde sie fangen. Früher oder später machen sie einen Fehler, und dann werde ich bereitstehen.“

„Das ist alles so seltsam. Wir hatten früher nie solche Schwierigkeiten. Wenigstens nicht seit dem Tod meines Vaters. Es jagt mir ziemliche Angst ein zu wissen, dass sich gefährliche Gesetzlose in der Nähe aufhalten.“

Hugh warf ihr einen Seitenblick zu im Bemühen, die Absicht hinter ihren Worten zu erkennen. „Deswegen bin ich schließlich hier, Mylady, um diese Ländereien zu sichern. Ihr habt nichts zu befürchten.“

„Meinen Dank, Sir Hugh. Was würde ich sonst ohne Euch tun?“

Ihre Stimme war ausdruckslos, und das falsche Lächeln klebte wieder in ihrem Gesicht und zerrte an seinem Geduldsfaden. Er fluchte in sich hinein. Wie lange würde sie noch vortäuschen, ein höfliches, fügsames und sanftmütiges zukünftiges Eheweib zu sein? Ehrlich gesagt wäre auch ihm im Moment jede andere Gesellschaft lieber als diese äußere Hülle Eleanor Tallanys – sogar die der dreibeinigen Ziege.

Hugh war klar, dass er die Anspannung, die sich in seinem Körper aufbaute, loswerden musste. „Lady Eleanor und ich reiten alleine weiter“, sagte er zu den paar Bediensteten und zu ihrem Kammerfräulein, die sie begleitet hatten.

Die Magd, die ewig treue Brunhilde, blickte ihre Herrin fragend an. Eleanor nickte ihr kurz zu.

Dann ritten Hugh und Eleanor auf einen Fluss zu, damit die Pferde trinken konnten, und schwiegen sich wieder an. Hugh sprang ab, ging zu ihrem Zelter herüber und streckte die Arme aus, um ihr beim Absteigen zu helfen. Eleanor schüttelte jedoch ablehnend den Kopf.

Was zum Teufel …! Er schien recht zu behalten: Es würde ein weiterer elender Tag werden.

Verbittert marschierte Hugh zum Fluss und spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht, nahm dann sein Gambeson ab und warf es über den Sattel. Es war bemerkenswert warm für einen Frühlingsmorgen, aber das war nicht der Grund, warum er Abkühlung suchte.

Als er sich umdrehte, sah Eleanor ihn mit teilnahmslosem Blick an und wandte sich dann ab. Er seufzte. Vielleicht rührte ihr seltsames Verhalten von ihrer Liebe zu Richard Millais her, ihrem ersten Ehemann, hatte er überlegt. Aber dann hatte sie etwas erwähnt, was ihn von dieser Idee wieder abgebracht hatte. Es passte auch nicht zu dem, was Hugh über Millais’ Hang zu Ausschweifung und Grausamkeit zu Ohren gekommen war. Aber wer wusste schon, wie er zu Frauen gestanden hatte?

Wer kannte Eleanor Tallany? Er sicher nicht. Seine einzige Erfahrung mit einer engen Beziehung zu einer Frau hatte ihm ein gebrochenes Herz und einen verletzten Stolz beschert.

Er rief sich wieder in Erinnerung, dass er das alles auch nicht gewollt hatte und Eleanors Ansichten bezüglich dieser erzwungenen Ehe teilte, aber er musste seiner Ehrverpflichtung nachkommen und dafür sorgen, dass es funktionierte. Und auch wenn die Anziehungskraft, die Eleanor auf ihn ausübte, nicht erwünscht war, fand Hugh sie betörend.

Warum hatte sich ihr Verhalten so gewandelt seit dem Tag, an dem sie erfahren hatten, dass sie verlobt werden sollten? Er hatte ihr mit allen Mitteln zu verstehen gegeben, dass er ein guter Gemahl sein würde, aber sie hatte nicht darauf reagiert. Er hatte auf jede erdenkliche Art versucht, sie zu einer Unterhaltung zu bewegen, aber es war ihm nicht gelungen. Sie war zu keiner Gefühlsregung fähig. Tatsächlich waren die einzigen Emotionen, die sie je gezeigt hatte, die Verärgerung und der Trotz bei ihrem ersten Zusammentreffen gewesen.

Nun ja … vielleicht könnte er diesen Ärger in ihr wieder entfesseln und ihr die Maske herunterreißen? Er hatte keine Ahnung, warum er das überhaupt wollte, aber es schien ihm irgendwie wichtig zu sein. Er warf Eleanor einen schnellen Blick zu. Sie sah noch immer hochmütig aus, aber ihre Mundwinkel gingen langsam nach oben.

Er stieg auf sein Pferd und ritt an ihre Seite. „Wie ich sagte, Lady Eleanor, es gibt keinen Anlass, sich wegen dieser Gesetzlosen oder irgendetwas anderem Sorgen zu machen“, sagte er trocken. „Nun, da ich hier bin, könnt Ihr Euch entspannt zurücklehnen und braucht Euch nicht länger mit der Verwaltung von Tallany zu belasten. Es ist Zeit für einen Wechsel.“

Ihre Haltung versteifte sich sofort. „Sir Hugh …?“

„Es braucht einen Mann an diesem Ort, um ein paar Veränderungen einzuführen.“

„So wie ich einen Mann brauche, nehme ich an?“

„Nun, ja. In der Tat glaube ich, dass Ihr das tut.“

Sie wandte sich ab. „Ich habe das bisher sehr gut alleine geschafft.“

Hugh spürte, dass sie den gereizten Tonfall unterdrücken wollte und dass ihr perfekt platziertes Lächeln allmählich Risse bekam. Das hätte ihm alles eher einfallen sollen, aber das Fass lief eben jetzt erst über. „Ach, aber das müsst Ihr doch nicht. Nicht jetzt, wo ich hier bin und dafür sorgen kann, dass alles so läuft, wie es soll.“ Er lächelte sie herablassend an und versuchte, dabei auch noch selbstgefällig und arrogant dreinzublicken.

„So, wie es soll? Ich kann Euch versichern, dass mein Haushofmeister Gilbert und ich es sehr gut im Griff haben und auch in schwierigen Zeiten hatten, und …“

„Oh, ich bin mir sicher, Mylady, dass Ihr Euer Bestes gegeben habt. So gut Ihr eben konntet“, machte er sich lustig. „Ihr habt Euch um die Dörfer, die Pächter und all die Ländereien gekümmert … wo Ihr doch bloß eine Frau seid.“

Der rosarote Ton auf ihren Wangen und ihrem Hals vertiefte sich, während sie ausatmete und zweifelsohne versuchte, ihre Wut zu kontrollieren. Sie hob eine Augenbraue und setzte ein leeres Lächeln auf.

„Bloß eine Frau, Sir Hugh? Ist das alles, was ich bin?“, fragte sie steif.

Sie galoppierten einen Anstieg hinauf, und vor ihnen öffnete sich eine weite Hügellandschaft, was eine willkommene Abwechslung zu dem dichten Wald darstellte.

Hugh neigte den Kopf und deutete eine Verbeugung an, ohne mehr sagen zu müssen.

„Ich verstehe“, sagte Eleanor. „Wie umsichtig von Euch. Ich beuge mich Eurem überragenden Wissen, aber ich würde Euch bitten, nicht zu vorschnell Vermutungen über mich oder irgendetwas sonst anzustellen.“

Er spürte, dass es nur eine Frage der Zeit war – einer sehr kurzen Zeit –, bis seine Sticheleien Eleanor dazu bringen würden, ihrem Ärger zu erliegen und hoffentlich ihr wahres Selbst zu zeigen.

„Warum sollte ich? Ich bin schließlich hier, um Tallany zu retten und alles zurechtzurücken.“

„Ich muss sagen, ich weiß überhaupt nicht, wie wir ohne Euch zurechtgekommen sind!“, murmelte sie und richtete den Blick auf die Landschaft.

„Und das müsst Ihr ja jetzt auch nicht mehr. Wie ich sagte, Ihr müsst Euch keine Gedanken mehr machen.“

„Welch unglaubliche Erleichterung.“

„Ja, nicht wahr?“, grinste er.

„Natürlich, denn mein hübscher kleiner Kopf kann nicht viel bewerkstelligen.“

„Genau, Mylady.“

„Und nun, da Ihr hier seid, um uns vor dem Untergang zu bewahren, erwartet Ihr was genau von mir, wenn wir vermählt sind?“

Hugh hob amüsiert eine Augenbraue und sagte nichts.

„Vergesst meine Frage“, sagte sie und wandte sich ab.

Hugh sah, wie ihre Hände, die wie immer in gehäkelten Handschuhen steckten, die Zügel fester umklammerten. Das lief gut. Sehr, sehr gut. Ihre fadenscheinige Maske begann zu verrutschen. Nur noch eine kleine Weile, und sie würde wieder sie selbst sein.

Eleanor atmete langsam aus und ließ den Blick weiter abgewandt, um nicht zu zeigen, dass Sir Hughs rüpelhafte Unhöflichkeit ihr etwas ausmachte. Aber er verhielt sich einfach unmöglich! Es fiel ihr schwer, ihre Verärgerung und Wut zu kontrollieren, und noch dazu fühlte sie sich völlig hilflos in dieser Lage, die ihr aufgezwungen worden war. Ihr dröhnte der Kopf angesichts all der Veränderungen, die man ihr nun wieder aufbürden würde.

Hugh de Villiers schien das alles amüsant zu finden. Es bereitete ihm Spaß, sich über sie lustig zu machen … was sie irritierte. Er war in der vergangenen Woche ein Musterbeispiel an Höflichkeit, Galanterie und Ritterlichkeit gewesen. Das hatte schon mit dem überraschend zarten Kuss begonnen, der sie kalt erwischt hatte. Es war zwar nur ein Kuss auf ihren Handrücken gewesen – ihren behandschuhten Handrücken sogar –, aber sie hatte ihn bis hinauf zu ihrem Scheitel gespürt.

Nicht, dass das oder seine beschwichtigenden Worte sie einen Deut kümmerten. Sie würde darauf nichts geben, denn sie wusste, dass sich die Laune eines Mannes augenblicklich ändern konnte, wenn sie nur mit dem Finger schnippte.

Die vergangene Woche war unglaublich anstrengend und schwierig gewesen. Eleanor hatte nicht nur ihre gefährliche Beziehung zu den Gesetzlosen verheimlichen, sondern sich auch mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass sie bald wieder jemandes Gemahlin sein würde.

Mit ihrer bevorstehenden Ehe zurechtzukommen bedeutete auch, dass sie ihren wahren Charakter unterdrücken und verstecken musste. Sie hatte Angst vor dem, was der ihr Angetraute tun würde, wenn er herausfand, dass sie gar nicht sanftmütig und untergeben war, sondern scharfzüngig, eigensinnig und willensstark. Richard hatte ihr oft gesagt, dass sie eine Furie sei, die jeder Gemahl verachten würde, ganz egal, ob sie eine reiche Erbin war oder nicht.

Verbitterung, Ärger und Angst tobten in ihr, und das störte sie. Sie hatte geglaubt, diese Gefühle vor langer Zeit begraben zu haben. Und es störte sie, dass man sie nun erneut gegen ihren Willen vermählen wollte – mit einem weiteren gut aussehenden jungen Ritter, der viel zu sehr von sich selbst überzeugt war.

„Wäre es unter Eurer Würde, eine Herausforderung anzunehmen, Sir Hugh?“, fragte sie. „Sie ist mit der Hoffnung verknüpft, dass Ihr Eure Meinung bezüglich der Beschränkungen, denen man als ‚bloß eine Frau‘ unterliegt, ändern werdet.“ Sie hielt den Kopf aufrecht, wagte aber nicht, ihn anzusehen.

„Ihr tragt keine Fesseln, Mylady.“ In seinem Gesicht blitzte dieses nachlässige, schiefe Grinsen auf, das ihn unglücklicherweise noch attraktiver machte.

„Tatsächlich?“ Sie atmete tief ein und versuchte, ihre Gereiztheit zu kontrollieren.

„Welche Herausforderung habt Ihr denn im Sinn?“, erkundigte er sich.

Eleanor durfte sich nicht erlauben, in seinen Plan mit einzusteigen, welchen er auch immer aushecken mochte. Stattdessen sollte sie die Unterhaltung wieder auf ein Thema lenken, das ihr nützliche Informationen bezüglich ihrer gesetzlosen Freunde, die Hugh de Villiers vielleicht liefern konnte, einbringen würde. Nicht, dass so ein Gespräch sicherer wäre. Aber sie könnte es in eine ihr genehme Richtung lenken, ohne zu riskieren, die Kontrolle über ihre Gefühle zu verlieren.

Sie ließ den Blick über die sanfte Hügellandschaft gleiten. Wunderschön, dachte sie wehmütig. Sie war hier aufgewachsen und kannte jeden Zweig und jeden Grashalm. Das war ihr Land, das Land ihrer Vorfahren, aber es würde bald ihm gehören, so wie sie selbst auch.

„Nun, Mylady?“

„Ein Rennen zu der dritten Eiche dort drüben – Ihr könnt sie in der Ferne erkennen.“

„Ich sehe sie. Aber … ein Rennen? Zu Pferde? Mit Euch?“ Sein Gesicht verzog sich langsam zu einem Lächeln, und er hob eine Augenbraue.

Autor

Melissa Oliver
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