Lieb mich unterm Mistelzweig

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Ihre Karriere hängt von dieser Sensationsstory ab! In ihrer TV-Show will Natalie unbedingt beweisen, dass CJ Wesley der uneheliche Sohn des skandalumwitterten Hardwick Beaumont ist. Doch als sie bei CJ vorfährt, um ihn zu interviewen, kommt ein mächtiger Blizzard auf. CJ gewährt ihr Unterschlupf. Schon bald ist er nicht mehr der Mann, den Natalie bloßstellen will, sondern ein attraktiver Traummann, der sie am Kaminfeuer küsst und in den eiskalten Nächten wärmt. Die Begegnung lässt sie zweifeln, ob sie in ihrem Leben die richtige Wahl getroffen hat.


  • Erscheinungstag 23.03.2020
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715816
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eine altmodische Glocke ertönte, als Natalie Baker Wilmers Futtermittelladen in Firestone betrat.

Unglaublich, wie schmutzig die Tür ist! Hoffentlich habe ich mir mein Kleid nicht ruiniert.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte der alte Mann am Verkaufstresen. Er trug ein Flanellhemd, eine sackartige Hose und Hosenträger. Als sein Blick auf Natalies High Heels und ihre Beine fiel, riss er die Augen auf. Immerhin war er höflich genug, nicht lange dorthin zu starren. Er schaute Natalie wieder ins Gesicht – und nun blieb ihm der Mund offen stehen. Die junge Dame war außergewöhnlich schön und zudem perfekt geschminkt.

„Hallo“, grüßte sie mit ihrer schönsten Fernsehstimme. „Ich könnte wirklich ein bisschen Hilfe gebrauchen.“

„Sie haben sich verfahren?“ Noch einmal musterte er ihre Erscheinung. Zweifellos wäre diese hinreißende Frau nicht in seinen Laden gekommen, wenn die Not sie nicht dazu gezwungen hätte. „Sie sehen ein bisschen verloren aus, Miss. Also, wenn Sie nach Denver wollen, dann biegen Sie an der Kreuzung hinter dem Parkplatz links ab …“

Sie blickte ihn unter halb gesenkten Wimpern an, und es gelang ihr zu erröten.

Er unterbrach sich.

Gut, er wird meinem Charme nicht widerstehen können.

„Eigentlich“, begann sie, „habe ich mich nicht verfahren. Ich suche jemanden und hoffe, dass Sie ihn kennen.“

Vor Stolz schien er ein wenig zu wachsen.

Natalie hatte nicht gelogen. Sie suchte wirklich jemanden, sofern die Information richtig war, dass Isabel Santino – die Isabel Santino – einen Rancher namens Patrick Wesley geheiratet hatte, der irgendwo in der Nähe von Firestone, Colorado, lebte. Es war nicht leicht gewesen, die Heiratsurkunde ausfindig zu machen. Es hatte Natalie mehrere Monate gekostet.

Ihre Nachforschungen hatten im Spätsommer begonnen, nachdem Zeb Richards und Daniel Lee anlässlich der Übernahme der Beaumont-Brauerei eine spektakuläre Pressekonferenz gegeben hatten. Damals hatten die beiden attraktiven jungen Männer die Bewohner von Denver darüber informiert, dass sie Hardwick Beaumonts uneheliche Söhne waren. Das hatte für einige Aufregung in der Stadt gesorgt, zumal es Gerüchte gab, dass Zeb Richards den traditionsreichen Familienbetrieb auf nicht ganz legale Art in seinen Besitz gebracht hatte.

Sein Halbbruder Daniel Lee hatte Zeb von Anfang an zur Seite gestanden und spielte inzwischen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Führung der Brauerei. Mit Erfolg. Die Verkaufszahlen der verschiedenen Beaumont-Biere waren im Herbst deutlich in die Höhe gegangen.

Das war bemerkenswert, wenn man bedachte, welche Turbulenzen es in den Jahren zuvor gegeben hatte. Viel interessanter jedoch – zumindest für Natalie – war, dass Zeb bei der Pressekonferenz in einem unbedachten Moment preisgegeben hatte, dass es einen dritten unehelichen Sohn von Hardwick Beaumont gab. Er hatte weder den Namen noch den Wohnort dieses Mannes genannt. Doch Natalies Ehrgeiz war geweckt gewesen.

In ihrer Fernsehshow A Good Morning with Natalie Baker hatte sie die Dramen im Leben der Mitglieder der Familie Beaumont immer wieder zum Thema gemacht. Es gab reichlich Stoff für Klatsch und Spekulationen, als sich herausstellte, dass die Braumeisterin Casey Johnson ein Kind von Zeb Richards erwartete. Hatten die beiden sich Hals über Kopf ineinander verliebt? Oder taten sie nur so, als wären sie glücklich, damit das Geschäft nicht litt? Wie dem auch sei: Ihre Hochzeit war ein Ereignis gewesen, das Natalie, als sie in ihrer Sendung darüber berichtete, einen Zuschauerrekord beschert hatte.

A Good Morning with Natalie Baker lebte von Neuigkeiten. Und leider gab es jetzt – es war inzwischen Dezember – über die Beaumonts ebenso wenig Neues zu berichten wie über andere lokale Berühmtheiten. Natalies Einschaltquoten waren in letzter Zeit schlecht gewesen. Sie brauchte ein spannendes neues Thema.

Zunächst hatte sie sich bemüht, mehr über Daniel Lee herauszufinden. Vergeblich. Es war allgemein bekannt, dass er als Berater mehrerer Politiker gearbeitet und deren Wahlkämpfe gemanagt hatte. Ansonsten schien er ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Sie hatte absolut nichts über sein Leben vor der Beraterkarriere in Erfahrung bringen können.

Für Natalie bedeutete das, dass ihr nur eine Möglichkeit blieb, die Quoten ihrer Sendung wieder zu verbessern. Sie musste Hardwicks dritten unehelichen Sohn finden. Sie brauchte ihn und seine Geschichte, weil sie ihre Show brauchte. Wofür sonst hätte sie jeden Morgen aufstehen und ins Fernsehstudio gehen sollen? Wofür sonst hätte sie so viele Tage mit harter journalistischer Arbeit verbringen sollen?

Die Stimme des Mannes, dem der Futtermittelladen vermutlich gehörte, riss Natalie aus ihren Gedanken.

„Ich kenne so ziemlich jeden hier in der Gegend. Wen suchen Sie denn? Bestimmt kann ich Ihnen weiterhelfen“, behauptete er.

„Ich glaube, er heißt Carlos Julian Santino. Möglicherweise nennt er sich aber Wesley.“ Sie klimperte mit den Wimpern. „Haben Sie eine Idee, wo ich ihn finden könnte?“

Der Alte sah plötzlich gar nicht mehr so freundlich aus. „Wen suchen Sie?“, fragte er, als Natalie bereits glaubte, er würde gar nicht antworten.

Vermutlich wusste er, wo der Gesuchte zu finden war. Sein langes Schweigen hatte ihn verraten. Aber er würde ihr keine Auskunft geben. Was sehr aufschlussreich war. Offenbar kam sie ihrem Ziel näher.

„Seine Mutter heißt Isabel oder Isabella.“

„Tut mir leid, Miss. Ich kenne diese Leute nicht.“

„Sind Sie sicher?“ Erneut klimperte sie mit den Wimpern. „Ich verspreche Ihnen eine Belohnung.“

Jetzt schaute der alte Mann regelrecht böse. „Ich kann Ihnen nicht helfen. Es sei denn, Sie brauchen Katzen- oder Hundefutter. Oder vielleicht einen Leckstein für das Vieh?“

Verdammt! Sie war nur einen Schritt von ihrem Ziel entfernt und hatte doch irgendetwas falsch gemacht.

Eine Stimme in ihrem Innern riet ihr aufzugeben. Aber sie ignorierte die Stimme, so wie sie es immer tat. Sie musste Carlos Julian Santino finden, wenn sie ihre Show nicht verlieren wollte. Steve, ihr Produzent, hatte ihr bereits gedroht.

Immerhin war klar, dass sie in diesem schmutzigen Laden nicht weiterkommen würde. Also würde sie ihr Glück als Nächstes im Café am Marktplatz versuchen oder in dem Lokal, das sie vom Auto aus bemerkt hatte. Sie hatte nur deshalb in dem Futtermittelgeschäft begonnen, weil Patrick Wesley nach allem, was sie wusste, eine Ranch und Vieh besaß. Leider war Natalie nicht einmal sicher, ob die Isabel Santino, die Patrick Wesley geheiratet hatte, dieselbe Frau war, die im Medical Center von Denver Hardwick Beaumonts Sohn zur Welt gebracht hatte. Auf der Heiratsurkunde der Wesleys war kein Kind vermerkt. Und so intensiv sie auch gesucht hatte, es war Natalie nicht gelungen, Unterlagen über eine Adoption aufzutreiben.

Es war also durchaus möglich, dass sie eine falsche Spur verfolgt hatte. Andererseits ließ die Reaktion des alten Mannes darauf schließen, dass er mehr wusste, als er zugeben wollte.

Sie hielt ihm eine ihrer Visitenkarten hin und sagte mit einem gewinnenden Lächeln: „Bitte, melden Sie sich, wenn Ihnen doch noch etwas einfällt.“ Da er sich nicht rührte, legte sie die Karte auf den Tresen. Dann wandte sie sich zur Tür – und blieb abrupt stehen. Denn da war wie aus dem Nichts ein großer breitschultriger Cowboy aufgetaucht. „Oh“, stammelte Natalie, „ich habe Sie gar nicht gesehen.“

War er die ganze Zeit über im Laden gewesen? Hatte er beobachtet, wie sie mit dem alten Mann geflirtet hatte?

Der Cowboy hatte den Hut tief in die Stirn gezogen, sodass sein Gesicht im Schatten lag. Doch seine ganze Erscheinung ließ vermuten, dass er sehr gut aussah. Kräftige Hände, muskulöse Oberschenkel, schmale Hüften. Und seine Schaffelljacke konnte nicht verbergen, wie beeindruckend breit seine Schultern waren.

„Sie suchen jemanden?“, fragte er. Seine Stimme war dunkel und sehr männlich. Sie klang fast ein wenig drohend.

Ein Schauer überlief Natalie. Es reizte sie, mit diesem Mann zu flirten. Wäre sie mit ihm allein gewesen, hätte sie behauptet, ihn zu suchen. Fasziniert musterte sie erneut seine Hände. Wie groß sie waren! Und wie rau! Sie stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde, wenn diese Hände sie streichelten, wenn sie ihre Brüste berührten und die Brustspitzen …

Natalie biss sich auf die Unterlippe. Mit einem Mann wie ihm konnte eine Frau viel Spaß haben. Trotzdem durfte sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren. „Kennen Sie eine Isabel oder einen Carlos Santino?“

Hätte sie nicht so oft Menschen getroffen, die Lügen erzählten, wäre es ihr sicher nicht aufgefallen. So aber bemerkte sie, wie ein Muskel an seiner Wange zuckte, ehe er Nein sagte.

Natalie schob eine Hüfte vor, wie sie es in einem Film mit Marilyn Monroe gesehen hatte. Es wirkte sexy und war im Allgemeinen sehr wirkungsvoll. Heute jedoch schien nicht gerade ihr Glückstag zu sein. Der Cowboy, der aussah, als wäre er gerade einer lustvollen weiblichen Fantasie entsprungen, wirkte unbeeindruckt und benahm sich ganz und gar nicht so, wie Natalie gehofft hatte.

„Habe nie von diesen Leuten gehört“, behauptete er. „Und Firestone ist eine kleine Stadt.“

„Was ist mit Wesley? Kennen Sie einen Patrick Wesley?“

„Klar, jeder hier kennt Pat Wesley. Der ist aber nicht da.“

Inzwischen fiel Natalie das Lächeln schwer. „Und wo ist er?“

Der Cowboy lehnte sich an einen Stapel mit Futtersäcken. Eigentlich war er gar nicht Natalies Typ. Trotzdem zog seine Härte sie irgendwie an. „Warum wollen Sie das wissen?“, erkundigte er sich. „Wesley ist ein Rancher, ein Mann, der wenig unter Leute geht und sein ganzes Leben hier verbracht hat. Über ihn gibt’s nichts zu erzählen.“

Ärger flammte in Natalie auf. Dieser attraktive Mann nahm sie nicht ernst. Er weigerte sich, mit ihr zu flirten. Er schien immun gegen ihren Charme zu sein. Und er verriet nichts, was ihr weitergeholfen hätte. Rancher, die ein langweiliges Leben führten, eigneten sich nicht als Thema für ihre Sendung.

„Vielleicht wissen Sie ja, ob er einen Adoptivsohn hat?“, unternahm Natalie einen letzten Versuch. Carlos Santino musste jetzt Mitte dreißig sein. Der Cowboy vermutlich auch. Doch da sie sein Gesicht nicht richtig sehen konnte, hatte sie keine Chance herauszufinden, ob sie mit ihrer Schätzung richtiglag.

Wieder fiel ihr auf, wie der Muskel an seiner Wange zuckte.

„Miss“, sagte der Cowboy, „es hat nie jemand erwähnt, dass er ein Kind adoptiert hat.“

Er log. Oder irrte sie sich?

Natürlich irrst du dich, sagte die Stimme in ihrem Innern. So musste es wohl sein, denn warum sollte ausgerechnet sie jemanden finden, dem es bisher gelungen war, sich vor der ganzen Welt zu verstecken? Sie würde in ihrer Sendung nicht über den dritten Beaumont-Bastard berichten können. Und man würde ihr die Show wegnehmen. Verflucht!

Sie schluckte. Ihre Enttäuschung hatte einen bitteren Geschmack.

In diesem Moment wandte der Cowboy den Kopf zur Seite, sodass ein wenig Licht auf sein Gesicht fiel. Er sah umwerfend aus.

Schade, dass er so wenig Interesse an mir zeigt.

Gern hätte sie mit den Fingern sein eigenwilliges Kinn und den Dreitagebart berührt. Und auch andere Stellen seines Körpers …

Welche Farbe seine Augen wohl haben?

Das war absurd. Ihr Interesse hätte höchstens der Augenfarbe von Hardwicks drittem unehelichem Sohn gelten sollen. Der älteste Beaumont-Bastard, Zeb Richards, hatte grüne Augen, äußerst ungewöhnlich bei einem Afroamerikaner. Sie waren das Erbe seines Vaters. Die Chancen standen gut, dass auch Carlos Santino diese Augen geerbt hatte.

Und der Cowboy? Was würden seine Augen ihr verraten? Dass er vor ihr auf der Hut war? Oder vielleicht, dass er sie begehrte?

Tatsächlich verrieten sie ihr gar nichts. Weil sie sie nicht zu sehen bekam. Ihr war klar, dass er darauf bedacht war, sein Gesicht vor ihr zu verbergen. Sie musste sich wohl geschlagen geben. Mit einem kleinen Seufzer holte sie eine weitere Visitenkarte hervor und hielt sie dem Cowboy hin. „Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, werde ich Sie großzügig belohnen.“

„Das kann ich mir vorstellen, Miss Baker“, gab er zurück, ohne die Karte zu berühren.

Er wusste, wer sie war? Sah er sich ihre Show an? War er womöglich ein Fan? Oder gehörte er zu jener Gruppe von Menschen, die sie insgeheim Trolle nannte? Zu jenen, die schimpften, beleidigten und drohten und die ihr doch wichtig waren, weil sie ihr zumindest Aufmerksamkeit schenkten?

Seltsamerweise schenkte er ihr keine weitere Beachtung. Er trat an den Tresen und begrüßte den alten Wilmer mit ein paar freundlichen Worten.

Kein Zweifel, Natalie war hier überflüssig.

„Gentlemen“, sagte sie und verließ hoch erhobenen Hauptes den Laden.

„Was sollte das?“, fragte Wilmer.

CJ Wesley behielt Natalie im Auge, solange sie noch durch das schmierige Fenster des Ladens zu sehen war. Er bewunderte sie, seit er zum ersten Mal ihre Sendung gesehen hatte. Und in Wirklichkeit war sie noch tausendmal schöner.

Ihm war klar, dass sie ihr sexy Outfit aus einem bestimmten Grund gewählt hatte. Schließlich würde kein normaler Mensch im Dezember so gekleidet in den Hügeln des nördlichen Colorado auftauchen. Eigentlich hätte sie in ihrem engen schwarzen Kleid mit dem Spitzenbesatz vor Kälte zittern müssen. Und diese High Heels! Erstaunlich, dass man darin überhaupt gehen konnte. Jedenfalls hatte sie Beine, über die man Gedichte schreiben sollte.

Aber ich bin weder ein Dichter, noch bin ich an Natalie Baker interessiert.

Gerade stieg sie in einen roten Mustang. Ein Cabrio. Etwas Unpassenderes für den Dezember in Colorado gab es kaum.

„Keine Ahnung, was sie wollte“, log CJ.

„Sie ist so eine Fernseh-Tussi“, stellte Wilmer fest.

CJ fragte sich, ob der alte Mann gelesen hatte, was auf der Visitenkarte stand, obwohl er doch so getan hatte, als interessierte sie ihn nicht. Zu denen, die sich schon vormittags irgendwelche Shows ansahen, gehörte Wilmer eher nicht. CJ selbst hingegen wusste genau, dass Natalie Baker diejenige war, die das Fernsehpublikum über die Seitensprünge der Promis informierte oder darüber, wer wegen Alkohol am Steuer mit einer Strafe rechnen musste. In ihrer Sendung hatte sie auch die Geschichte der Beaumonts ausgeschlachtet.

Und genau deshalb war sie wohl hier. Eine umwerfend schöne Frau, die ihre eigene Fernsehshow hatte, kam nicht ohne Grund nach Firestone.

„Warum will jemand vom Fernsehen was über deinen Dad wissen?“, erkundigte Wilmer sich.

„Keine Ahnung.“ Schon wieder eine Lüge. CJ wusste sehr gut, dass Natalie Bakers Interesse nicht Pat Wesley galt, sondern dem dritten sogenannten Beaumont-Bastard. „Mein Dad ist ja nicht einmal hier. Und bestimmt hat er in seinem ganzen Leben nichts getan, was auch nur im Entferntesten skandalös war.“

Jeder in Firestone kannte Pat Wesley, der vor 56 Jahren hier zur Welt gekommen war. Schon sein Vater und sein Großvater hatten die Ranch bewirtschaftet, auf der Pat wohnte und arbeitete. Er führte ein Leben, das vielen langweilig erscheinen musste. Tagsüber harte Arbeit, abends auf dem Sofa vor dem Fernseher eine Flasche Bier und am Wochenende vielleicht ein Ausflug in die nächste Stadt, um mit Freunden eine Runde Karten zu spielen. Pat gehörte zu denen, die sich im Allgemeinen schon nach zwei Stunden wieder auf den Heimweg machten.

Das war nichts, worüber Natalie Baker berichten würde.

Zorn wallte in CJ auf. Diese unglaublich attraktive Frau hatte nichts in Firestone verloren. Sie sollte keine Fragen stellen, die dazu führen konnten, dass man Pat und Bell Wesley hier womöglich bald anders behandeln würde als bisher.

Einen Moment lang war er auch auf sich selbst wütend. Er schaute sich Natalies Show regelmäßig an, obwohl er nichts für Klatsch und Tratsch übrig hatte. Es sei denn, es ging um die Beaumonts. Er mochte die glamouröse Familie nicht. Er mochte nicht einmal ihr Bier. Aber er fand es wichtig, auf dem Laufenden zu sein.

Und Natalie? Es wäre verlogen gewesen zu behaupten, dass er sie nicht reizvoll fand. Aber er wäre niemals auf die Idee gekommen, den Fernseher ihretwegen einzuschalten.

„Hm“, brummte Wilmer, „was will diese Frau hier? Du bist doch nicht adoptiert.“

„Zumindest weiß ich nichts davon“, sagte CJ und zwang sich zu einem Lachen. „Bestimmt sucht sie einen anderen Wesley.“

Wilmer nickte, und CJ nutzte die Chance, seine Bestellung aufzugeben. Es war ihm lieber, wenn sie das Thema Natalie Baker nicht vertieften, denn Wilmer teilte sein Wissen gern mit allen Kunden. Nachdem CJ seine Einkäufe bezahlt hatte, schleppte er sie zum Pick-up und machte sich auf den Heimweg.

Er würde seiner Mutter von Natalie Bakers Besuch in Firestone berichten müssen. Bell hatte jahrelang in der Furcht gelebt, die Beaumonts könnten CJ finden und ihn ihr wegnehmen. Es war eine Erleichterung für sie gewesen – und auch für CJ –, als die Nachricht von Hardwicks Tod durch die Medien ging. Es gab nichts, was CJ mit seinem biologischen Vater verband. Pat Wesley war der Mann, der ihn wie ein Vater geliebt und ihn großgezogen hatte. Das genügte.

CJ seufzte, als er sich vorstellte, wie sehr Natalie Bakers Fragen seine Mutter aufregen würden. Bell wusste natürlich, dass die Beaumonts inzwischen keine Macht mehr über ihren Sohn hatten. CJ war volljährig, und Hardwick war tot. Dennoch würde sie sich Sorgen machen.

Gut, dass sie wenigstens nicht daheim war. Seit ein paar Jahren verbrachten Pat und Bell Wesley die Wintermonate in Arizona. An den Weihnachtstagen vermisste CJ sie. Doch ansonsten gefiel es ihm, die Ranch für sich allein zu haben. Auch deshalb, weil seine Eltern so entspannt und glücklich wirkten, wenn sie im Frühjahr nach Hause kamen. Dann gab es nichts, was den Familienfrieden gefährdete.

Noch einmal stieß er einen langen Seufzer aus. Nicht auszudenken, wie entsetzt seine Mutter gewesen wäre, wenn Natalie Baker sie gefunden und mit Fragen traktiert hätte. Bell hätte vermutlich einen Nervenzusammenbruch erlitten.

In diesem Moment entdeckte CJ den roten Mustang. Er parkte vor dem Diner, dem Restaurant, wohin die Bewohner von Firestone gingen, wenn sie einmal nicht selbst kochen wollten.

Verflucht! CJ wusste, dass er und seine Nachbarn Natalie Baker so bald nicht loswerden würden.

Zum Glück ahnten die meisten Leute in Firestone nicht einmal, dass Bell eigentlich Isabel hieß und ursprünglich aus Lateinamerika stammte. Sie würden Natalie Baker nicht viele Informationen geben können. Aber die schöne Fernsehmoderatorin war nicht dumm. Wie lange mochte es dauern, bis sie die Verbindung zwischen CJ und Carlos Julian herstellte?

Wie lange mochte es dauern, bis sie ihn als den dritten Beaumont-Bastard enttarnte?

2. KAPITEL

Natalie Baker hatte keine besonders hohe Meinung von sich selbst. Sie wusste, dass sie vieles nicht war: talentiert, liebenswert, klug. Aber niemand konnte behaupten, sie sei nicht hartnäckig. Selbst ihr Vater gab zu, dass sie nicht so leicht aufgab, wenn sie sich etwas vorgenommen hatte. Er war der Meinung, das sei das einzig Vernünftige, was sie sich jemals von ihm habe beibringen lassen.

Leider war es manchmal sehr unangenehm, hartnäckig zu sein. Natalie zitterte vor Kälte, obwohl sie die Heizung im Auto bereits auf die höchste Stufe gestellt hatte. Wahrscheinlich hatte sie noch nie zuvor so gefroren. Kein Wunder! Der eiskalte Wind blies mit einer Macht, der das Stoffverdeck ihres Autos nichts entgegenzusetzen hatte.

Seit drei Wochen pendelte Natalie nun zwischen Denver und Firestone hin und her. Es war aufreibend und enttäuschend. Die Menschen auf dem Lande waren so stur! Ständig bemühte sie sich, freundschaftliche Kontakte zu ihnen aufzubauen und so an Informationen zu kommen. Vergeblich! Manchmal kam es ihr vor, als hätten alle sich gegen sie verschworen. Man lächelte sie an und zuckte dann die Schultern. Dabei stand außer Frage, dass die meisten Patrick Wesley und seine Familie kannten. Aber angeblich gab es nichts über ihn und seine Angehörigen zu berichten.

Wenn wenigstens der Kaffee im Restaurant oder im Café am Markt besser gewesen wäre!

Natalie seufzte. Mit wem sie auch sprach, stets gab man ihr mehr oder weniger taktvoll zu verstehen, dass sie nicht dazugehörte. Möglicherweise hätte man sie noch viel abweisender behandelt, wenn sie nicht durch ihre Fernsehshow bekannt gewesen wäre. Mit einer Fernsehberühmtheit gesehen zu werden übte auf viele Menschen einen gewissen Reiz aus. Frauen bewunderten Natalie für ihre Weltläufigkeit und ihre Eleganz. Männer fühlten sich geschmeichelt, wenn sie mit ihnen flirtete. Was vollkommen ungefährlich war, da zwar alle gern darauf eingingen, gleichzeitig aber realistisch genug waren, sich keine falschen Hoffnungen zu machen.

Okay, das traf nur auf beinahe alle zu. Tags zuvor hatte Natalie die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht, der mutiger als die anderen war. Er mochte auf die dreißig zugehen und hatte sich bereit erklärt zu reden, wenn Natalie ihn angemessen dafür belohne. Da er ihre einzige Hoffnung war, versprach sie ihm, dass er sich bei seinem nächsten Besuch in Denver bei ihr melden dürfe. Dabei hatte sie vielversprechend gelächelt. Der junge Mann war sich sehr wichtig vorgekommen. Seine Wangen hatten sich gerötet, und dann hatte er ihr verraten, dass Patrick Wesley – den anscheinend alle für eine Art Heiligen hielten – tatsächlich einen Sohn hatte. Das war an und für sich nicht weiter bemerkenswert. Aber dieser Sohn wurde CJ genannt.

Für Natalie stand fest: Carlos Julian Santino und CJ Wesley waren ein und dieselbe Person.

Also hatte sie sich informiert, wo die Ranch der Wesleys lag, und war dorthin gefahren. Inzwischen saß sie seit mehr als einer halben Stunde in ihrem Auto vor dem verlassen wirkenden Haus und fror erbärmlich. Sie kuschelte sich tiefer in ihren Mantel und rieb sich die Arme, um den Blutkreislauf anzuregen. Trotzdem spürte sie, dass sie die Kälte nicht mehr viel länger würde ertragen können.

Im Stillen ging sie noch einmal die Fragen durch, die sie CJ Wesley stellen wollte. Seltsamerweise schweiften ihre Gedanken ständig ab, und zwar zu dem Cowboy, den sie in dem Futtermittelladen getroffen hatte. Wahrscheinlich war ihr Denkvermögen eingefroren. Warum sonst hätte das Bild des großen breitschultrigen Mannes immer wieder vor ihrem inneren Auge auftauchen sollen? Schließlich war der Cowboy überhaupt nicht hilfsbereit gewesen.

Allerdings hatte er sie wohl zutiefst beeindruckt. Sie hatte sogar von ihm geträumt! Er hatte umwerfend ausgesehen, als er sich aus seiner dicken Lammfelljacke schälte und den Hut vom Kopf zog, um ihn achtlos in eine Ecke zu werfen. Ihr Herzschlag hatte sich beschleunigt, und ein Schauer lustvoller Vorfreude war ihr über den Rücken gelaufen. Zärtlich hatte der Cowboy sie mit seinen kräftigen rauen Händen berührt – und dann war sie allein in ihrem Bett aufgewacht. Erregt und zutiefst enttäuscht, dass alles nur ein Traum gewesen war.

Jetzt überlegte sie, ob er wohl jemals ihre Show ansah. Ob er sich fragte, was für ein Mensch sich hinter der Fernsehpersönlichkeit verbarg.

Während sie ihrer Fantasie freien Lauf ließ, rief sie auf dem Smartphone ihren Twitter-Account auf. Nach der Show am Vormittag hatte sie getwittert, dass sie am nächsten Tag einen berühmten Star begrüßen würde. Es gab nur vier Reaktionen darauf. Verdammt! Aber vielleicht sah es bei Instagram besser aus? Nein. Es war zum Verrücktwerden!

Vor allem aber machte es ihr Angst. Seit ein paar Wochen hatte sie bemerkt, dass die Zahl ihrer Follower kleiner wurde. Wie lange noch, bis niemand sich mehr für sie interessierte? Sie musste diesen Abwärtstrend stoppen, wenn sie ihre Sendung nicht verlieren wollte. Sie musste!

Ihr Smartphone gab einen kurzen Ton von sich. Eine Nachricht von Steve, ihrem Produzenten.

Irgendwelche Neuigkeiten?

Sie holte tief Luft. Versuchte, sich zu beruhigen.

Ich arbeite daran.

Die Antwort kam umgehend.

Ich habe die letzten Quoten auf dem Tisch. Kannst du dir vorstellen, wie schlecht sie sind? Wenn es dir nicht gelingt, das Steuer herumzureißen, werde ich deine Sendezeit an Kevin geben.

Einen Moment lang wurde ihr regelrecht übel. Sie musste sich zwingen, gleichmäßig zu atmen. Sie durfte jetzt nicht aufgeben! Sie musste kämpfen. Und das bedeutete, dass sie nicht warten konnte, bis das Beaumont-Baby – alle nannten es so, obwohl der Vater Zeb Richards und die Mutter Casey Johnson hieß – geboren wurde. Sie brauchte eine Geschichte, die ihr Publikum fesselte. Sie brauchte Hardwick Beaumonts Sohn Carlos Julian Santino oder wie immer er sich nannte. Und sie brauchte ihn jetzt!

Die Vorstellung, dass sie ihre Show an Kevin Durante verlieren würde, war unerträglich. Kevin hatte wundervolles Haar. Doch darüber hinaus hatte er nichts zu bieten. Er war ein Vollpfosten, dumm und sogar im Bett ungeschickt. Trotzdem verkörperte er den Typ, den gewisse Leute gern im Vormittagsprogramm sahen. Ich würde mir eher eine Hand abhacken, als Kevin meine Sendezeit zu überlassen!

Entschlossen tippte sie ein paar Worte in ihr Smartphone:

Keine Sorge. Ich melde mich bei dir, sobald ich die Sensation im Kasten habe.

Steves Antwort ließ beunruhigend lange auf sich warten.

Ich hoffe für dich, dass das bald ist.

Du weißt genau, dass ich nie falsche Versprechungen mache.

Das hörte sich zumindest selbstbewusst an. Tatsächlich war Natalie nicht besonders optimistisch. Ihr war klar, dass Geduld nicht zu Steves hervorstechenden Eigenschaften gehörte. Was verständlich war. Er trug die Verantwortung dafür, dass das Vormittagsprogramm bei den Leuten ankam. Fallende Quoten brachten Jobs in Gefahr. Und zwar nicht nur Natalies Job. Auch Steve musste aufpassen, dass er nicht in die Kritik geriet. Natürlich würde er Kevin die Sendezeit von A Good Morning geben, wenn er sich davon bessere Quoten versprach.

Natalie, die eben noch im Begriff gewesen war, nach Hause zu fahren, um der beißenden Kälte endlich zu entkommen, beschloss, noch etwas auszuharren.

Zehn Minuten später spürte sie ihre Zehen nicht mehr. Nun gut, sie würde nicht nach Denver zurückkehren, aber sie würde zum Café in Firestone fahren, den scheußlich schmeckenden, aber zumindest heißen Kaffee trinken und hoffen, dass der Cowboy dort auftauchte.

Vorher würde sie allerdings noch einmal nachschauen, ob es bei Twitter, Instagram oder Facebook etwas Neues gab.

Nichts.

Der Verzweiflung nahe schrieb sie:

Man munkelt, dass Matthew Beaumonts Braut Whitney Wildz – ein ehemaliger Kinderstar – ein Baby erwartet. Aber ist der Bräutigam auch der Vater?

Autor

Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
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