Liebe mich - rette mich!

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Seite an Seite retten sie Leben: Die junge Ärztin Holly Saxby und ihr attraktiver Kollege Cameron McCarrick. Und als er sie mutig aus größter Gefahr rettet, schmilzt Holly dahin. Eng kuschelt sie sich in seine starken Arme und erwidert stürmisch seine leidenschaftlichen Küsse. Doch irgendjemand neidet ihr das Glück: Auf Holly wird ein Anschlag verübt ...


  • Erscheinungstag 14.05.2021
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506106
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das ist nicht dein Ernst, Freundchen! Ärgerlich beobachtete Holly, wie die klapprige Kiste hinter ihr schon wieder zum Überholen ansetzte. Was für ein riskantes Manöver auf der gewundenen Küstenstraße!

Seit der Abzweigung nach Baronga Bluff im südlichen New South Wales klebte der Wagen fast an ihrer Stoßstange. In jeder Kurve röhrte der Motor ungeduldig auf, aber Holly blieb immer knapp unterhalb der erlaubten Geschwindigkeit und durchfuhr jede der gefährlich engen Kurven mit der erforderlichen Vorsicht.

Jetzt bot die Straße eine der wenigen geraden Strecken, und ihr Verfolger erkannte seine Chance. Wieder heulte der Motor auf.

„Nicht mit mir, du Idiot!“ Holly trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Zweihundertfünfzig PS pressten sie in den Sitz, als ihr Wagen mit einem Satz vorwärts schoss.

Leider war ihr nur ein kurzer Triumph vergönnt.

Aus einer Seitenstraße bog direkt vor ihr ein Traktor ein, und sie musste den Fuß vom Gas nehmen. Blauschwarzer Qualm quoll aus dem Auspuff des schweren Gefährts, während es sich abmühte, den steilen Hügel vor ihnen zu bewältigen.

Holly fluchte laut – ausnahmsweise. Männer! Die waren doch überall gleich. Ob in der Großstadt oder auf dem Land, sie benahmen sich, als gehörten alle Straßen ihnen!

Sie warf einen schnellen Blick in den Rückspiegel, und ihre Laune verschlechterte sich noch mehr.

Der Fahrer sah aus wie der typisch sorglose, waghalsige Surfer – das aufs Wagendach geschnallte Surfbrett war nicht der einzige Hinweis. Er war braun gebrannt, sein zerzaustes, salzverkrustetes dunkelbraunes Haar stellenweise von der Sonne gebleicht. Ein Strähnchen-Effekt, für den manche Frauen mindestens eine Stunde im Frisiersalon saßen.

Seine Augen konnte Holly nicht sehen, sie waren hinter einer großen verspiegelten Sonnenbrille verborgen. Aber sie erhaschte einen kurzen Blick auf seinen Mund. Wütend schnappte sie nach Luft.

Der unverschämte Kerl grinste.

Der Traktor vor ihr wurde immer langsamer und kroch nur noch im Schneckentempo dahin. Da sie dicht hinter ihm fuhr, hatte der Fahrer hinter ihr eindeutig die bessere Sicht auf die Straße. Zudem schien er die Strecke gut zu kennen, denn gerade als sie zum Überholen ansetzte, röhrte die Rostlaube mit ohrenbetäubendem Knattern an ihr vorbei.

Dass der Fahrer dem Traktorfahrer zuwinkte, verstärkte Hollys Schmach noch.

„Blödmann!“, schimpfte sie laut.

Aber er war weg, und langsam besserte sich ihre Laune. Bald konnte sie die Fahrt nach Baronga Beach wieder genießen. Der Küstenort würde für ein Jahr ihr Zuhause sein, und sie war schon gespannt auf die Gemeinschaftspraxis, in der sie als Allgemeinärztin arbeiten würde.

Das Städtchen lag an einer kleinen Bucht. Holly sah azurblaues Wasser bis zum Horizont, als sie den letzten Hügelkamm erreicht hatte, und sanfte grüne Hügel, auf denen Rinder und Pferde grasten. Ihr Fell schimmerte in der tief stehenden Nachmittagssonne. Die Luft roch salzig, und Holly atmete den Geruch tief ein, während sie auf der Suche nach der Praxis langsam die Hauptstraße entlangfuhr.

Und da war sie. Auch ohne Navigator leicht zu finden.

Die Baronga Beach Medical Clinic.

Sie lag einen Häuserblock von der Hauptstraße entfernt, ein kleines Pflegeheim mit einer angeschlossenen Praxis, die für knapp fünfzehntausend Menschen medizinische Versorgung bereitstellte. Das nächste größere Krankenhaus lag zwei Autostunden entfernt.

Soweit sie wusste, kamen nicht viele Touristen hierher. Die gefragten Urlaubsorte lagen weiter oben an der Küste.

Holly verzog das Gesicht, als sie an ihre impulsiv getroffene Entscheidung dachte. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung an der Mosman-Klinik in Sydney hatte sie nur noch weggewollt und deshalb das erstbeste Stellenangebot angenommen. In einem Provinznest, wie ihr Exverlobter verächtlich gesagt hätte.

Genau deshalb war sie hier. Weil sie ihm in Baronga Beach garantiert nicht über den Weg laufen würde. Holly sah Julian Drayberry vor sich, sein fleischiges Gesicht mit den glatten blonden Haaren, und fragte sich wieder, wieso sie sich überhaupt auf eine Beziehung mit ihm eingelassen hatte.

Holly bog auf den Praxisparkplatz ein und fand eine freie Nische neben einem Beet mit üppig blühenden rosa Mittagsblumen. Aber kaum war sie ausgestiegen, brüllte jemand hinter ihr: „Sie können hier nicht parken! Machen Sie den Parkplatz frei!“

Sie drehte sich um und sah einen älteren Mann heranhumpeln, der zornig seinen Krückstock schwenkte.

„Haben Sie nicht verstanden, Miss? Dieser Parkplatz ist ausschließlich für Marinepersonal reserviert. Wenn Sie Ihr Fahrzeug nicht umgehend entfernen, müssen Sie mit Konsequenzen rechnen!“

„Es tut mir leid …“ Holly schaute sich nach einem entsprechenden Hinweisschild um, konnte aber keins entdecken. Sie wandte sich wieder dem Mann zu, der sie wütend anstarrte. Ehe sie etwas Beruhigendes sagen konnte, erklang von der Eingangstür der Praxis her eine helle Stimme.

„Dr. Saxby? Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Karen Pritchard und arbeite am Empfang.“ Eine schlanke Frau Anfang vierzig kam auf sie zu und hielt ihr die Hand hin. „Willkommen in der Baronga Beach Medical Clinic.“

„Ich … danke“, sagte Holly und warf einen nervösen Blick auf den alten Mann.

„Verschwinden Sie von hier!“ Er stampfte mit dem Krückstock auf. „Das ist ein Befehl!“

„Aber, aber, Major Dixon“, sagte Karen beruhigend und nahm ihn beim Arm. „Ist es nicht Zeit für den Nachmittagstee? Sehen wir doch einmal, ob das Kasino pünktlich die Zeiten einhält.“ Sie führte ihn Richtung Pflegeheim und übergab ihn einer Pflegerin. Die beiden Frauen wechselten einen vielsagenden Blick.

„Kommen Sie, Major“, forderte ihn die Pflegerin auf. „Was wird Dr. McCarrick sagen, wenn er hört, dass Sie seine Anordnungen nicht befolgen? Wenn Sie nicht aufpassen, wird er Ihnen Ihre Verdienstorden wieder aberkennen.“

Der alte Mann murmelte undeutlich etwas vor sich hin, ließ sich aber von der jungen Frau ins Haus geleiten.

Karen kehrte zu Holly zurück und lächelte. „Entschuldigen Sie. Ich hoffe, er hat Ihnen keinen Schrecken eingejagt. Er ist einer unserer Pflegeheimbewohner.“

„Ist er wirklich Major?“

Karen grinste schief. „Nein, aber da er unter fortschreitendem Gedächtnisverlust leidet, machen wir das Spiel mit. Außerdem, welcher Mann gibt nicht ab und zu gern den Macho?“

Richtig, stimmte Holly innerlich zu, als sie an den unverschämten Fahrer von vorhin dachte.

„Also, dies ist unser Empfangsbereich, Dr. Saxby“, erklärte Karen, als sie das Gebäude betraten.

„Holly, bitte.“

„Gut, dann Holly.“ Karen lächelte. „Tut mir leid, dass nur so wenige zu Ihrer Begrüßung da sind, aber wir hatten heute Morgen einen Notfall. Es gab einen Autounfall. Ich glaube, Dr. McCarrick ist noch nicht zurück. Er hat den Krankentransport zum Jandawarra Community Hospital begleitet.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Der Doktor müsste bald hier sein.“

„Schon okay“, sagte Holly freundlich, „ich wollte sowieso nur kurz Hallo sagen. Ich muss mich ja noch in meinem neuen Heim einrichten.“ Sie wühlte in ihrer Handtasche nach dem Zettel mit der Adresse und entfaltete ihn. „Wo genau liegt der Shelley Drive?“

„Nur ein paar Straßen weit von hier entfernt. Es ist ein nettes kleines Doppelhaus. Dr. McCarrick wohnt in der anderen Hälfte. Er hat es vor ein paar Jahren gekauft und Ihre Hälfte vollständig renoviert. Im Moment ist der andere Teil dran.“ Sie gab Holly einen Schlüsselbund. „Hoffentlich macht er Sie nachts mit seinem Hämmern nicht wach.“

Holly lächelte. „Ich werde es nicht einmal mitbekommen. Drei Jahre lang habe ich in einer der lautesten Gegenden von Sydney gewohnt. Der Verkehr hörte keine Minute lang auf. Bestimmt wird es hier eine angenehme Abwechslung für mich.“

„Ganz bestimmt“, stimmte Karen ihr zu. „Insgesamt ist es bei uns sehr ruhig, und ich glaube, Sie werden nicht lange brauchen, sich hier einzugewöhnen. Und Sie werden Dr. McCarrick mögen. Er ist ein Gewinn für die Gemeinde. Seit Neville Cooper den Schlaganfall erlitten hat und in den Ruhestand gegangen ist, musste Dr. McCarrick allein die Stellung halten. Cameron wird sich freuen, Hilfe zu haben.“

„Wir kommen bestimmt gut miteinander aus“, sagte Holly und versuchte sich Dr. McCarrick vorzustellen. Sie sah das Bild eines typischen Landarztes vor sich: verheiratet, gemütlicher Bauchansatz, schütteres Haar, sehr beliebt in der Gemeinde.

„Ich könnte Ihnen einen schnellen Rundgang durch die Praxis anbieten, aber vielleicht möchten Sie noch einkaufen, ehe die Geschäfte schließen.“ Sie schaute wieder auf die Uhr. „Bei uns sind die Läden nicht durchgehend geöffnet, sondern machen Punkt halb sechs Feierabend.“

„Danke. Ich habe zwar schon einiges an Grundnahrungsmitteln mitgebracht, brauche aber noch Milch und frisches Obst.“

„Ich bin morgen ab acht Uhr hier, dann kann ich Ihnen alles zeigen“, bot Karen an. „Schlafen Sie gut.“

„Das werde ich“, erwiderte Holly zuversichtlich und machte sich auf den Weg.

Der Supermarkt hatte noch nicht geschlossen. Holly stellte ihren Sportwagen auf einen der freien Plätze und ging hinein.

Natürlich war der Laden nicht mit einem der riesigen Supermärkte Sydneys zu vergleichen, aber die Lebensmittel sahen recht frisch aus, und das Angebot war ausreichend, besonders bei den Tiefkühlgerichten.

„Sind Sie neu in der Stadt?“, erkundigte sich die junge Kassiererin Kaugummi kauend.

„Ja.“

„Schickes Auto“, kam die Antwort mit einem schnellen Blick hinüber zum Parkplatz. „Bleiben Sie lange?“

„Ungefähr ein Jahr.“

Der Kaugummi wanderte zur anderen Seite. „Sie wissen, worauf Sie sich einlassen, wenn Sie hier leben?“

„Es macht alles einen netten Eindruck.“ Holly wusste nicht, was sie antworten sollte.

„Ja …“ Das junge Mädchen bedachte sie mit einem gelangweilten Blick, der nur zu deutlich zeigte, dass es lieber gestern als heute von hier verschwunden wäre. „Das kann man wohl sagen …“

Holly nahm ihre Einkäufe und ging nach draußen. Die tief stehende Sonne blendete sie, und sie senkte den Kopf, während sie per Fernbedienung den Kofferraum öffnete.

„Hübscher Wagen“, sagte da eine männliche Stimme direkt neben ihr.

Holly wirbelte herum. Ein lässig gekleideter Mann Anfang dreißig lächelte sie an, die Augen hinter einer verspiegelten Sonnenbrille verborgen.

Ihr Verfolger!

Er lehnte an seiner alten Karre und musterte Holly ausgiebig von oben bis unten.

Er ist viel größer, als er hinter dem Steuer gewirkt hat, dachte sie und befeuchtete sich die trockenen Lippen mit der Zungenspitze. Und er sah extrem gut aus, so, als käme er gerade vom Surfen oder aus dem Bett.

Sie riss hastig den Blick von ihm los und schaute mit bewusst abschätzigem Ausdruck auf sein heruntergekommenes Gefährt. „Ich würde das Kompliment gern zurückgeben, aber mir fällt leider nichts ein.“

Der Mann legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

Der tiefe, sexy Laut löste ein Flattern in ihrem Bauch aus. Ihre Haut prickelte.

Ärgerlich hievte sie ihre Einkäufe in den Kofferraum. „Ich vermute, Sie finden es auch noch witzig, mit dem Leben anderer Leute zu spielen, stimmt’s?“, fragte sie so kühl wie möglich, während sie die Kofferraumhaube zuschlug.

Er nahm seine Sonnenbrille ab und zog eine Augenbraue hoch, den Mund immer noch zu einem Lächeln verzogen, das nur als gefährlich sexy zu beschreiben war.

„Sie sind mitten auf der Straße gefahren“, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der breiten Brust.

„Das ist nicht wahr!“

„Und langsamer als erlaubt. Damit bringen Sie sich hier bei uns in Gefahr.“

„So wie in Ihrem Fall?“ Sie sah ihn herausfordernd an und versuchte dabei zu verdrängen, wie unglaublich attraktiv seine Augen waren. Blau, mit einer Schattierung ins Grüne, das sie ans Meer erinnerte.

„Ich habe Sie nicht in Gefahr gebracht“, sagte er, „sondern nur die erste sichere Gelegenheit genutzt, Sie zu überholen.“

„Sie haben über Meilen förmlich an mir geklebt!“, erwiderte sie hitzig. „Fast hätten Sie mich von der Straße gedrängt. Eigentlich sollte ich Sie anzeigen. Es hätte einen Unfall geben können.“

„Das glaube ich nicht. Ich kenne mich mit Autos aus.“

Holly warf einen ironischen Blick auf sein Fahrzeug. „Das nennen Sie Auto?“

Er seufzte tief. „Hast du das gehört, Bluey?“ Gefühlvoll strich er über die verbeulte, mit Rostpickeln übersäte Motorhaube. „Diese junge Lady beleidigt dich, und das nach allem, was du heute für mich getan hast.“

Sie verdrehte die Augen und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. „Sehr komisch.“

Er blickte ihr direkt ins Gesicht, um die Mundwinkel immer noch ein leichtes Lächeln. „Es kommt in einer ländlichen Kleinstadt nicht gut an, Leute zu beleidigen“, warnte er sie. „Das könnte irgendwann auf einen zurückschlagen.“

Langsam betrachtete sie ihn von oben bis unten, von der unter den Arm geklemmten Flasche Whisky über seine ausgeblichene Bermudashorts hin zu den Trekkingsandalen, bevor ihr Blick wieder nach oben zu seinem Kinn glitt. Er sah aus, als hätte er sich seit zwei Tagen nicht rasiert.

„Ach, das Risiko gehe ich ein.“ Sie straffte die Schultern. „Männer wie Sie kenne ich. Da, wo ich gerade herkomme, gibt es genug davon. Möchtegernrennfahrer ohne die ersehnten PS unter der Motorhaube.“

Er musterte sie und verweilte dabei länger als nötig auf ihren Brüsten. „Wenn Sie jemals das Bedürfnis haben, unter meine … Haube zu schauen, sagen Sie mir Bescheid.“ Die Fahrertür quietschte, als er sie öffnete. „Ich zeige Ihnen gern, was ich zu bieten habe.“

Sprachlos starrte Holly ihn an. Wie konnte er es wagen, sie so anzusehen? Als würde er sie mit Blicken ausziehen!

Als ihr endlich eine gepfefferte Antwort einfiel, setzte er bereits den Wagen rückwärts. Der dunkle Qualm aus seinem Auspuff trieb ihr die Tränen in die Augen. Gleich darauf war der ungehobelte Kerl mitsamt seiner Schrottkarre verschwunden.

Holly war so wütend, dass sie dreimal falsch abbog, ehe sie endlich vor ihrem neuen Heim am Shelley Drive anhielt.

Es war genau so, wie Karen es beschrieben hatte. Eine wunderschön renovierte Doppelhaushälfte mit einem hellblau-weißen Zaun, der perfekt zu dem sahneweißen und blauen Anstrich des Hauses passte.

An der zweiten Haushälfte wurde eindeutig noch renoviert. Als sie zur Haustür ging, um sich mit ihrem Vermieter bekannt zu machen, konnte sie durch die gardinenlosen Fenster Farbeimer, – dosen und Gerüste sehen. Es standen wohl noch größere Arbeiten an.

Obwohl auf der Zufahrt ein Geländewagen stand, war im Haus nichts zu hören. Sie spähte durch die Eingangstür. Dr. McCarrick war offenbar unverheiratet. Keine Frau, die bei Verstand war, würde in einem solchen Chaos leben wollen.

Sie klopfte und wartete. Keine Antwort.

Heiß brannte die Sonne auf sie herab, und sie fühlte, wie ihr der Schweiß zwischen den Schulterblättern hinunterrann.

Holly klopfte wieder. Nichts rührte sich. Sie strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht und machte sich auf den Weg zur anderen Haushälfte.

Der Geruch nach frischer Farbe und poliertem Holzfußboden begrüßte sie, als sie ihr neues Heim betrat.

Interessiert sah sie sich um. Alles war geschmackvoll renoviert worden. Helle, zarte Gardinen umrahmten die Fenster, und Rolljalousien würden gegen unerwünschten Sonneneinfall schützen.

Die Küche war klein, aber gut ausgestattet. Zu ihrer Erleichterung entdeckte sie auch einen Mikrowellenherd hinter einer Schranktür. Kochen war nie ihre Stärke gewesen. Während ihres Studiums und der anschließenden Zeit als Assistenzärztin am Royal North Shore Hospital war kaum Zeit dazu gewesen, und so begnügte sie sich in der Regel mit möglichst gesunden Tiefkühl- oder Fertiggerichten.

Auch das einzige Schlafzimmer war nicht groß, wirkte aber wegen der Einbauschränke geräumiger. Das Doppelbett sah ein wenig schmal aus, aber da sie es gewohnt war, allein zu schlafen, und sich daran in nächster Zeit wohl auch nichts ändern würde, sah sie darin kein Problem.

Ihre Erfahrung mit Julian Drayberry war Holly eine Lehre gewesen. Jetzt würde sie sich voll auf ihre berufliche Karriere konzentrieren. Außerdem gab es, wenn sie sich nicht täuschte, in Baronga Beach ohnehin nur alte Männer mit irgendwelchen Ticks und Surfer-Hippies, die nichts Besseres zu tun hatten, als andere Leute von der Straße zu drängen.

Als sie wenig später ihre letzten Sachen aus dem Auto holen wollte, hörte sie einen Wagen in die Straße einbiegen. Sie blickte auf und sah ein inzwischen vertrautes Auto heranrattern, das schließlich vor einem schäbig aussehenden Haus ein paar Schritte entfernt anhielt.

Sie verzog das Gesicht, als sich der Fahrer aus dem Wagen schob, und griff nach ihrem Koffer. Na toll! Ausgerechnet den Typen musste sie als Nachbarn haben!

Sie versuchte den Koffer herauszuziehen, aber einer der Gurte hatte sich irgendwo verhakt. Auch kräftiges Zerren half nichts.

„Brauchen Sie Hilfe?“ Zum zweiten Mal an diesem Tag drang die tiefe Stimme an ihr Ohr.

Sie verdrehte die Augen, drehte sich um und lächelte zuckersüß. „Danke, ich komme allein zurecht“, sagte sie und zerrte noch einmal kräftig an dem widerspenstigen Gepäckstück.

Es flog mit Schwung heraus, landete krachend zu ihren Füßen und sprang auf. Kleidung, Schuhe und andere Gegenstände flogen in alle Richtungen.

Holly starrte auf das Chaos. Ihre ordentlich gepackten Sachen lagen auf der ganzen Auffahrt verstreut. Aber es kam noch schlimmer. Das Abschiedsgeschenk, das ihr die albernen jungen Kolleginnen von der Mosman-Klinik feierlich überreicht hatten, rutschte aus dem braunen Einwickelpapier und fing hektisch an zu vibrieren. Direkt vor den Füßen dieses Mannes!

Holly hätte auf der Stelle im Erdboden versinken können.

„Wow!“ Er bückte sich, hob es auf und inspizierte es von allen Seiten. „So etwas habe ich mir schon immer mal genauer ansehen wollen. Wie funktioniert es?“

Ihr fehlten die Worte.

„Wofür ist der Knopf hier?“ Er drückte ihn, und das Gerät gab mit einer sinnlich rauen Männerstimme erotische Handlungsanweisungen von sich. Holly wurde puterrot.

„Geben Sie her!“ Sie riss es ihm aus der Hand, fummelte nervös daran herum und würgte endlich Stimme und Motor ab. Hastig stopfte sie es wieder in den Koffer, bemüht, nicht den Mann anzusehen, der sich anscheinend noch immer köstlich amüsierte.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Er bückte sich nach einem zarten Seidenslip.

Noch vor einer Stunde wäre die Vorstellung, dass ein wildfremder Mann ihre rosa Höschen vom Fußweg aufsammeln würde, absurd gewesen. Aber nach der Sache mit dem Vibrator war ihr das kaum noch peinlich.

„Vielen Dank“, sagte sie steif und nahm das winzige Dessous entgegen.

„Sie brauchen wohl einen neuen Koffer“, meinte er, als er ihr einen schwarzen Spitzen-BH hinhielt.

Holly gab sich alle Mühe, die faszinierenden Lachfältchen an seinen Augen zu ignorieren. Er hatte die ausdrucksvollsten Augen, die sie je bei einem Mann gesehen hatte.

„Ja.“ Schnell warf sie die restlichen Sachen in den Koffer, klappte ihn zu und richtete sich auf. „Danke für Ihre Hilfe.“ Sie wusste, dass ihr Lächeln gekünstelt aussehen musste. „Jetzt möchte ich Sie nicht länger aufhalten.“

„Zufällig habe ich gerade nichts vor. Also, falls Sie weitere Hilfe gebrauchen können, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.“

„Nein danke“, erwiderte sie hölzern. „Ich denke, ich warte, bis mein Vermieter kommt. Bestimmt wird er mir alles zeigen wollen.“

Es folgte ein merkwürdiges kurzes Schweigen.

„Haben Sie ihn schon persönlich kennengelernt?“

„Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen. Kennen Sie ihn?“

„Ziemlich gut, denke ich.“ Er wippte auf den Fersen und pfiff leise durch die Zähne, während er sie betrachtete. „Sie sind also die neue Ärztin?“

Holly konnte sich einen herablassenden Blick nicht verkneifen. „Ja.“

„Woher kommen Sie?“

„Sydney.“

„Aus welchem Teil?“

„Nördliche Vororte.“

„Also eine Großstadtpflanze.“

Holly presste die Lippen zusammen. Aus seinem Mund klang es fast, als wäre es eine Schande. Der Mann war unerträglich.

„Und wie lange wollen Sie bleiben?“

„Mein Vertrag gilt für ein Jahr“, informierte sie ihn knapp. „Aber ich habe die Möglichkeit zu verlängern, wenn es mir gefällt.“

„Wenn Sie etwas können und die Menschen akzeptieren Sie, dann werden Sie sich hier gut einleben“, meinte er. „Dies ist ein kleiner Ort am Meer, jeder weiß alles über jeden. Meinen Sie, dass Sie damit zurechtkommen?“

Holly richtete sich zu voller Größe auf. „Selbstverständlich.“

Er warf ihr einen langen Blick zu. „Bei uns gibt es keine Nachtklubs und kein Kino, und das einzige Lokal ist ein China-Restaurant, das von einem einheimischen Landwirt im Ruhestand geführt wird. Nicht zu vergleichen mit Sydneys Chinatown.“ Seine blaugrünen Augen blitzten vergnügt. „Wir nennen es Hoo Flung Dung – Dungschleuder Hoo.“

Gegen ihren Willen musste Holly lächeln. Sie presste die Lippen zusammen. „Ich bin hier, um zu arbeiten. Alles andere interessiert mich nicht.“

Er nickte kurz zum Koffer hinüber. „Ich nehme an, im Moment haben Sie keinen Freund?“

„Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.“

Als er lächelte, spürte sie wieder das verwirrende Prickeln im Bauch. „Immerhin haben Sie sich gut vorbereitet.“ Er grinste und schaute vielsagend auf ihr Gepäck. „Wie klug von Ihnen.“

Holly beschloss, die Flucht zu ergreifen, bevor es noch peinlicher wurde. Sie bückte sich, griff nach ihrem Koffer, hastete zur Haustür und flehte den Himmel an, dass der Verschluss halten würde, bis sie sicher drinnen war.

„Bis dann!“, rief ihr der Mann munter nach.

Sie bedachte ihn mit einem letzten eisigen Blick und warf die Haustür hinter sich zu.

2. KAPITEL

Schon früh war Holly am nächsten Morgen in der Praxis, um sich dort ein wenig umzusehen. Die erste Nacht in ihrem neuen Zuhause hatte sie ruhig verbracht. Von nebenan war kein einziger Laut zu hören gewesen. Entweder war Dr. McCarrick nicht nach Hause gekommen oder leiser, als Karen vermutete.

„Die Toilette ist dort drüben, und dies hier ist der Pausenraum“, erklärte Karen ihr wenig später, als sie die Tür zu einem winzigen Zimmerchen öffnete.

Holly lugte an ihr vorbei und versuchte, nicht an das komfortabel ausgestattete Ärztezimmer an ihrem letzten Arbeitsplatz zu denken, mit seiner Espressomaschine, Ledersesseln und bequemen Sofas.

In der Baronga Beach Medical Clinic gab es einen alten Wasserkessel, ein paar angestoßene Becher und einen Kühlschrank, der stöhnende Geräusche von sich gab. Dazu einen kleinen Tisch und vier Stühle, von denen keiner sonderlich gemütlich aussah.

„Sicher sind Sie anderes gewohnt“, sprach Karen ihre Gedanken aus. „Aber der Aufenthaltsraum erfüllt seinen Zweck. Und außerdem können wir an manchen Tagen froh sein, wenn wir überhaupt Zeit für eine Teepause haben.“

Sie schloss die Tür und führte Holly zu den Sprechzimmern. „Dies ist Dr. McCarricks Zimmer.“

Holly sah einen großen Schreibtisch mit PC und ein breites Bücherregal, in dem Bücher und Fachzeitschriften ziemlich wild durcheinander standen. Dr. McCarrick schien nicht der Ordentlichste zu sein. Neben dem Schreibtisch lagen verstreut ein paar Zeitungen. Die Grünpflanze am Fenster brauchte dringend Wasser.

„Er will nicht, dass jemand hier aufräumt“, erklärte Karen. „Danach würde er nichts wiederfinden, meint er. Einmal im Monat veranstaltet er einen Großputz, aber nach wenigen Tagen sieht es schon wieder aus wie vorher. So, und nun zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.“

Auch das war völlig anders als das in der Mosman-Klinik, aber es enthielt alles Notwendige: Schreibtisch mit Arbeitsstuhl, Besuchersessel, ein kleines Bücherbord und eine Untersuchungsliege, daneben ein Instrumentenwagen. Das einzige Fenster bot Ausblick auf die Rückfront des Pflegeheims.

Holly drehte sich zu Karen um und lächelte schwach. „Es ist wirklich … nett.“

Autor

Melanie Milburne

Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der...

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