Liebeszauber an der Algarve

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Jetzt oder nie! Mit klopfendem Herzen geht Grace zu dem Golfhotel, wo der portugiesische Milliardär Marco Aguilar abgestiegen ist. Wer, wenn nicht er, könnte ihr bei dem Waisenhaus-Projekt in Afrika helfen? Seine Antwort gibt ihr Hoffnung: "Rufen Sie mich morgen an!" Am nächsten Tag erwartet sie eine Überraschung: Marco entführt sie in seine Luxuswelt. Grace glaubt zu träumen … bis sie die freche Bedingung erfährt, unter der Marco ihr Projekt unterstützen will: Sie soll ihren gesamten Urlaub mit ihm verbringen. In seiner Villa an der Algarve - in seinem Schlafzimmer?


  • Erscheinungstag 30.09.2012
  • Bandnummer 2047
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461349
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Grace Faulkner klappte die breite Krempe des Strohhuts hoch, dann lehnte sie sich in ihrem Liegestuhl zurück, blickte durch die XL-Sonnenbrille auf das glitzernde aquamarinblaue Meer … und seufzte. Sie sollte die friedliche, heitere Urlaubsstimmung ausnutzen und sich einfach entspannen, aber das war nicht so leicht, wenn ihr doch vor Aufregung ganz mulmig war.

Weil sie die Absicht hatte, einen der meistverehrten und reichsten Unternehmer der Gegend anzusprechen und ihn zu bitten, die Schirmherrschaft über das Kinderhilfsprojekt in Afrika zu übernehmen, das ihr besonders am Herzen lag. Außerdem wollte sie ihn um eine großzügige Spende für den Bau eines neuen Waisenhauses angehen. Dass das jetzige noch stand, grenzte an ein Wunder.

Richtig in Schwung gekommen war ihr Vorhaben am selben Tag, an dem Grace das Gerücht aufgeschnappt hatte, dass Marco Aguilar die Gegend besuchen würde. Sie hatte in einem Café gesessen und gehört, wie der Besitzer einem amerikanischen Touristen erzählte, dass er Marco Aguilar als kleinen Jungen gekannt hätte. Dieser sei in einem hiesigen Waisenhaus aufgewachsen. Wenn man seinen Start ins Leben bedachte, hätte er ja wirklich unglaublich viel erreicht.

Rein zufällig so etwas erfahren zu haben schien ihr eine Fügung des Schicksals zu sein, und Grace wollte sie nicht ungenutzt lassen. Wahrscheinlich hatte sie nur einen Moment lang Gelegenheit, den Geschäftsmann auf sich aufmerksam zu machen, bevor jemand von seinem Sicherheitspersonal sie vom Grundstück zerrte.

Aber das wäre halb so schlimm, wenn sie dafür vielleicht das Leben der Kinder verbesserte, die sie zutiefst gerührt hatten, und sie nicht mit der Nachricht nach Afrika zurückkehren musste, dass sie die dringend benötigten Geldmittel nicht beschafft hatte.

Vor Kurzem hatte sie mit eigenen Augen gesehen, in welchem Elend die Waisen lebten. Nur die Aussicht auf eine gute Schulbildung und engagierte Förderer konnte ihnen helfen. Bevor Grace abgereist war, hatte sie ihren Kollegen von der Wohltätigkeitsorganisation versprochen, ihr Möglichstes zu tun, um diese Chance Wirklichkeit werden zu lassen. Als Erstes mussten sie jedoch das neue Kinderheim bauen.

Das Dröhnen eines Hubschraubers schreckte Grace aus ihren Gedanken auf. Da sie nach ihrer Rückkehr aus Afrika so deprimiert und erschöpft gewesen war, hatten ihre Eltern sie überredet, Urlaub in ihrem Ferienhaus an der Algarve zu machen. Ein Mal hatte sie sich ihren Eltern – die immer ihre Aktivitäten steuern wollten – nicht widersetzt, und jetzt war sie froh darüber.

Am zweiten Tag ihres Aufenthalts hatte man im Ort nämlich gemunkelt, dass Marco Aguilar zu einer Vorstandssitzung in eins seiner zahllosen exklusiven Hotels kommen würde. Ebendieses Hotel gehörte zu der Ferienanlage auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und falls man sich auf das Gerede verlassen konnte, war heute der Termin.

Was die Ankunft des Hubschraubers ja wohl bestätigte?! Es war der erste in drei Tagen, den Grace hier hörte.

Mit klopfendem Herzen stand sie auf und eilte von der Terrasse, auf der es brütend heiß war, in die Küche. Dort warf sie den Strohhut auf einen Stuhl und steckte die Schlüssel in ihre Strohtasche, bevor sie das Haus verließ …

Der Hubschrauber war auf einem versteckten Landeplatz irgendwo hinter den Pinien gelandet, und jetzt parkten mehrere schnittige schwarze Autos vor dem Hotel. Schon rannten Reporter und Fotografen über den smaragdgrünen Rasen, der die moderne Fassade säumte, und verschwanden durch die Drehtür in die Eingangshalle. Grace überlegte gerade, was sie nun tun sollte, als ein glänzender schwarzer Jaguar vor dem Rasen vorfuhr.

Ein großer, muskulöser Bodyguard mit kurz geschnittenem Haar stieg zuerst aus und hielt dem Mann die Tür auf, der offensichtlich sein Boss war.

Wegen seines unglaublichen geschäftlichen Erfolgs und des angeblich rätselhaften Charakters, der seine Bewunderer so faszinierte, erschienen regelmäßig Fotos von Marco Aguilar auf der ganzen Welt in Zeitungen und Illustrierten, auch in Großbritannien. Kein Zweifel, er war es.

Fasziniert musterte Grace den Geschäftsmann, der sein Vermögen mit exklusiven Ferien- und Golfanlagen wie dieser hier gemacht hatte.

Ihr erster Eindruck von ihm war, dass er seinem Ruf mit seiner imposanten Erscheinung gerecht wurde. Ein eleganter cremefarbener Leinenanzug betonte seine athletische Figur, und der Reichtum, den er vom glänzenden schwarzen Haar bis zu den hellbraunen italienischen Schuhen verkörperte, gab zu verstehen, dass Marco Aguilar einen unfehlbaren Blick für das Allerbeste hatte.

Sogar seine Augen hatten den edlen Glanz feinster Zartbitterschokolade. Und trotz der Gluthitze wirkte der Mann kühl wie Eis.

Beklommen nahm Grace seine angespannte Miene in sich auf. Er sah furchterregend ernst aus … oder vielleicht wütend? Wenn ihn schon irgendetwas auf die Palme gebracht hat und er sich durch mich belästigt fühlt, ruft er womöglich die Polizei und lässt mich verhaften, dachte sie entsetzt.

Dann bemühte sie sich, lässig auf den Eingang zuzuschlendern, ganz so, als wäre sie ein Hotelgast. Weil dies sicher der Moment war, auf den sie gehofft hatte?! Die Reporter hatten den Fehler gemacht, anzunehmen, dass man den heiß begehrten VIP bereits durch einen Seiteneingang hineingeschmuggelt hatte.

Wenn ihr Herz bloß nicht so schnell geschlagen hätte! Um sich zu beruhigen, atmete Grace tief ein und aus. Sie musste das schaffen! Sein Ruf und seine Ausstrahlung schüchterten sie zwar ein, aber das durfte sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Mr Aguilar!“, rief Grace, als sie noch ungefähr anderthalb Meter von ihm entfernt war. Sofort bewegte sich der muskulöse Leibwächter auf sie zu, um zu verhindern, dass sie näher an seinen Boss herankam. „Mr Aguilar, haben Sie einen Moment Zeit, bevor Sie zu Ihrer Sitzung gehen?“

„Mit Presseleuten redet Mr Aguilar nur nach Vereinbarung.“

Der Leibwächter, der Englisch mit starkem portugiesischem Akzent sprach, fing Grace ruppig ab. Dass er mit seinen Riesenhänden grob ihre nackten Arme umfasste – sie trug ein ärmelloses Baumwollkleid –, empörte sie maßlos. „Lassen Sie mich los! Was fällt Ihnen ein? Nur zu Ihrer Information, ich bin keine Reporterin.“

„Sie haben kein Recht, mit Mr Aguilar zu sprechen.“

„Sehe ich etwa so aus, als würde ich eine Gefahr für ihn darstellen?“ Grace konnte ihre Enttäuschung nicht unterdrücken. Sie war so nah dran an dem Mann, und dann verweigerte man ihr im letzten Augenblick ein Gespräch mit ihm. Das war so unglaublich frustrierend.

„Lassen Sie sie los, José“, befahl Marco Aguilar scharf.

Sofort lockerte der Bodyguard seinen Griff, und sie stand endlich ihrer Zielperson gegenüber.

„Wenn Sie nicht zu dieser Meute von Presseleuten gehören, die mir Antworten auf Fragen nach meinem Privatleben zu entlocken versuchen, was wollen Sie dann von mir, Miss …?“

Zwar sprach er mit portugiesischem Akzent, aber sein Englisch war fast perfekt. Die Intensität seines prüfenden Blicks brachte Grace für einen Moment ins Schleudern. Die dunkelbraunen Augen mit ihren unergründlichen Tiefen schienen sie zu verzaubern.

„Faulkner“, erwiderte sie, und ihre Stimme klang nicht ganz so fest, wie Grace es sich wünschte. „Grace Faulkner. Nur damit Sie beruhigt sind, Ihr Privatleben interessiert mich überhaupt nicht, Mr Aguilar.“

„Wie erfrischend.“

Sie zwang sich, trotz seiner sarkastischen Bemerkung weiterzumachen. „Ich bin hier, weil ich Ihnen von einem Waisenhaus in Afrika erzählen möchte, für das Unterstützung benötigt wird, besonders finanzielle. Es ist in einer einsturzgefährdeten Hütte untergebracht, und das Geld ist für einen Neubau sowie für eine Schule und Lehrer bestimmt. Ich bin vor Kurzem von dort zurückgekehrt, und es ist einfach unglaublich, wie die armen Kinder leben … Das kann man nicht einmal Leben nennen, es ist bloßes Existieren.“

Jetzt war sie richtig in Fahrt. „Direkt vor dem Schlafraum gibt es einen offenen Abwasserkanal, und mehrere Kinder sind schon gestorben, weil sie verunreinigtes Wasser getrunken haben. Und das im einundzwanzigsten Jahrhundert! Wir hier im Westen sind so reich. Warum tun wir nicht mehr dagegen? Jeder von uns sollte sich täglich darüber empören!“

„Ich bewundere die leidenschaftliche Hingabe, mit der Sie sich für eine gute Sache einsetzen, Miss Faulkner, aber ich unterstütze bereits etliche Wohltätigkeitsorganisationen weltweit. Halten Sie es für fair, mich in die Enge zu treiben, wenn ich gerade auf dem Weg zu einer sehr wichtigen Sitzung bin?“

Grace blinzelte. Es ging das Gerücht, dass Marco Aguilar an der Algarve war, um das Übernahmeangebot für eine weniger rentable Ferienanlage zu leiten. Er war überragend darin, kränkelnde Urlaubshotels zu kaufen und sie wieder zum Erfolg zu führen, wodurch er die Gewinne einstrich. Wenn man den Zeitungen und Illustrierten glauben konnte, finanzierte er unter anderem damit seinen flotten Lebensstil.

Aber wie viel mehr Geld und Macht brauchte der Mann noch, bis er zu der Ansicht kam, dass es reichte?

Wütend fuhr sich Grace durch das blonde Haar und blickte den Milliardär fest an. „Fair? Meinen Sie, es ist fair, dass diese Kinder aus Mangel an einfachsten sanitären Einrichtungen sterben? Aus Mangel an Liebe und Aufmerksamkeit vom Rest der Menschheit? Wichtiger als das kann Ihre ‚sehr wichtige Sitzung‘ doch wohl nicht sein?“

Blitzschnell hatte sich Marco Aguilar vor sie gestellt. Ein Muskel zuckte an seiner Wange, was Grace warnte, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Gleichzeitig schien die Gluthitze die hypnotische Wirkung seines herben Eau de Cologne zu verstärken.

In der brennend heißen Sonne zu stehen und dabei den gekränkten Geschäftsmann vor sich zu haben war zu viel. Ihr wurde schwindlig, und Grace fragte sich, wie sie so kühn hatte sein können, auch nur einen Moment lang zu glauben, dass sie mit dieser Methode einen derart vermögenden und einflussreichen Unternehmer auf ihre Seite ziehen würde.

„Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben, Miss Faulkner: Bitte peilen Sie niemals einen Beruf an, der diplomatisches Geschick erfordert. Ich fürchte, Sie würden nicht über die erste Runde der Vorstellungsgespräche hinauskommen. Sie haben großes Glück, dass ich meinen Leibwächter nicht anweise, Sie von der Hotelanlage zu werfen.“

Spöttisch musterte Marco Aguilar sie von oben bis unten. „Ich vermute, Sie sind kein Gast. Wodurch Sie sich ohnehin schon auf gefährlichem Terrain bewegen, indem Sie mich hier ansprechen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss zu einer Vorstandssitzung. Die anderen Teilnehmer sind zwar nicht so Not leidend wie Ihre Waisenkinder, aber ich versichere Ihnen, dass sie Jagd auf mich machen, wenn ich mich nicht bald blicken lasse.“

„Es tut mir leid, wenn ich unhöflich zu Ihnen war, Mr Aguilar. Ehrlich, ich wollte Sie nicht beleidigen.“

Grace biss sich auf die Lippe und versuchte, ruhig zu bleiben. Was nicht verhinderte, dass sie mit ihrer Meinung herausplatzte.

„Trotzdem sollten Sie mich nicht so abfällig mustern und mich demütigen, damit Sie sich überlegen fühlen. Außerdem bin ich nicht hier, um Sie zu beeindrucken. Ich habe Sie aus einem einzigen Grund abgepasst: wegen der Waisenkinder. Ja, ich bin in dieser Sache sehr emotional. Ich möchte den sehen, der es nicht wäre, wenn er erlebt hätte, was ich während der vergangenen Wochen erlebt habe. Ich habe wirklich gehofft, Sie würden uns helfen. Besonders nachdem ich gehört hatte, dass Sie selbst in einem Waisenhaus aufgewachsen sind.“

Reglos stand der Geschäftsmann da und wurde trotz seiner Sonnenbräune blass. „Wo haben Sie das gehört?“, fragte er leise.

„Ich habe es kürzlich … irgendwo aufgeschnappt.“ Den Cafébesitzer wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Deshalb hob sie das Kinn und zwang sich, nicht vor dem stahlharten, wütenden Blick zurückzuweichen. „Stimmt es, Mr Aguilar?“

„Sie behaupten, keine Reporterin zu sein, Miss Faulkner, und dennoch fallen Sie wie eine über Ihr Opfer her. So unverschämt, wie Sie sind, müssen Sie ja wirklich dringend brauchen, was Sie haben wollen.“

„Ja, tue ich“, gab Grace zu. „Nur für die Kinder, nicht für mich selbst, das schwöre ich. Und es war nicht meine Absicht, unverschämt zu sein.“

Gerade als sie dachte, sie hätte jede Chance auf seine Hilfe vertan, und ihre Kühnheit bereute, überlegte Marco Aguilar es sich anscheinend anders.

„Ich habe jetzt keine Zeit, weiter über diese Angelegenheit zu sprechen, Miss Faulkner. Aber Sie haben mein Interesse geweckt, und ich kann Ihnen ein Treffen anbieten.“

Aus der Innentasche seines Jacketts nahm er einen Kugelschreiber und eine kleine schwarz-goldene Karte und schrieb etwas auf die unbedruckte Rückseite.

„Rufen Sie mich morgen gegen Mittag an. Aber ich warne Sie … Wenn Sie irgendjemandem von diesem Gespräch erzählen, können Sie meine Hilfe sofort vergessen. Übrigens, wie heißt die Wohltätigkeitsorganisation, für die Sie sich so leidenschaftlich einsetzen?“

Grace sagte es ihm.

„Nun, wir werden uns noch einmal unterhalten, Miss Faulkner. Ich erwarte Ihren Anruf morgen gegen Mittag.“

Damit drehte sich Marco Aguilar um und ging weg, gefolgt von seinem treuen Leibwächter. Wie gebannt blickte Grace den beiden nach, bis sie ins Hotel verschwanden.

Nach der unbarmherzigen Mittagshitze draußen dankbar für die Klimaanlage in dem luxuriös eingerichteten Konferenzraum, drehte Marco nervös seinen goldenen Kugelschreiber zwischen den Fingern, während er sich auf das gewissenhafte Vorstandsmitglied am anderen Ende des langen Mahagonitisches zu konzentrieren versuchte.

Der loyale Joseph Simonson drückte sich so klar aus wie immer, als er über das Übernahmeangebot berichtete. An der Präsentation des Mannes gab es nichts auszusetzen. Dennoch fiel es Marco schwer, bei der Eröffnungsrede aufzupassen, weil er ständig an vor Wut funkelnde strahlend blaue Augen und ein Gesicht denken musste, das seiner Vorstellung von Aphrodite, der griechischen Göttin der Liebe und Schönheit, so nahekam.

Grace Faulkner.

Aber nicht nur ihre Schönheit hatte ihn aus der Fassung gebracht. Marco fragte sich, wie die junge Frau erfahren hatte, dass er in einem Waisenhaus aufgewachsen war. Denn dies war etwas, was er niemals bereitwillig verbreitet hatte. Ein weiteres Gespräch ließ sich nicht umgehen, wenn er ihr einschärfen wollte, dass es dumm wäre, diese Information den Medien zuzuspielen. Natürlich gab es Einheimische, die schon immer gewusst hatten, dass es stimmte.

Vielleicht war es unklug gewesen, auf ihre Loyalität zu hoffen und zu glauben, sie würden mit Außenstehenden nicht über seine Vergangenheit reden? Er hatte mit der Presse schon einiges durchgemacht. Schlagzeilen mit einer neuen Enthüllung hatten ihm gerade noch gefehlt! Und diese wäre für ihn von allen wahrscheinlich am schwersten durchzustehen.

Seine Gedanken kehrten zu Grace Faulkner zurück. Sie hatte gesagt, sie wollte ihn nicht beeindrucken, doch unerklärlicherweise hatte sie genau das getan. Auf dem Weg in den Konferenzraum hatte er seine Sekretärin Martine angerufen und gebeten, Nachforschungen über Grace Faulkner und die Hilfsorganisation anzustellen.

Leider wäre es nicht das erste Mal, dass eine Frau log, um an ihn heranzukommen … dass sie eine erfundene Geschichte über sein Liebesleben an eine Zeitung verkaufte.

Er wünschte, die junge Frau vor dem Hotel wäre die, die sie zu sein behauptete. Und sie hätte ihn tatsächlich nur abgepasst, weil sie seine Hilfe für die gute Sache wollte, die ihr anscheinend so sehr am Herzen lag.

In jenem Moment, in dem er dicht vor ihr gestanden und ihr in die Augen gesehen hatte, die strahlten wie ein sonnenbeschienener blauer See, hatte sie nicht schuldbewusst weggesehen. Nein, sie hatte seinen Blick erwidert, als hätte sie nichts zu verbergen, als würde sie die Wahrheit sagen.

Das fand er so verführerisch und ansprechend. Im Lauf der Jahre hatte er Beziehungen zu einigen sehr schönen Frauen gehabt, aber ihre Selbstsucht war nicht schön gewesen.

Seine Exfreundin Jasmine, zum Beispiel. Das Model hatte versucht, ihn wegen Wortbruchs zu verklagen. Er hatte ihr angeblich versprochen, sie finanziell zu unterstützen, als das berühmte Modehaus, für das sie modelte, ihren Vertrag nicht verlängerte. Der Grund dafür war, dass sie lieber feierte und Drogen nahm, anstatt zur Arbeit zu erscheinen.

Doch er hatte ihr nichts dergleichen versprochen. Tatsächlich hatte er schon mit Jasmine Schluss gemacht, bevor ihre berühmten Arbeitgeber sie fallen ließen. Dank seiner Anwälte war die Klage aus Mangel an Beweisen vor Gericht abgewiesen worden.

Kurz danach hatte Jasmine ihre kleine Skandalgeschichte für eine lächerliche Summe an eine Boulevardzeitung verkauft, „Misshandlungen“ erfunden und ihn als einen verabscheuungswürdigen Frauenfeind hingestellt.

Dieser Reinfall lag inzwischen sechs Monate zurück. Seitdem war Marco noch argwöhnischer und zynischer, wenn Frauen sich mit ihm treffen wollten.

Nur schien Grace Faulkner wirklich mehr an andere zu denken als an sich selbst. Deshalb wollte er trotz seiner verständlichen Vorsicht mehr über die Schönheit mit dem engelhaften Gesicht herausfinden, die ein Herz für Not leidende Kinder und den Mut hatte, einfach auf ihn zuzugehen und ihr Anliegen vorzubringen, als hätte sie jedes Recht dazu …

„Marco?“

Da sich Joseph sichtlich unbehaglich fühlte, vermutete Marco, dass er ihn schon zweimal angesprochen hatte. Nicht daran gewöhnt, dass ihr Vorsitzender zerstreut war, wechselten die übrigen Vorstandsmitglieder betretene Blicke.

„Könnten Sie das noch einmal für mich erläutern, Joseph?“, bat Marco und lächelte entschuldigend. „Ich bin gestern erst spät am Abend aus Sydney eingeflogen und leide wohl ein bisschen an Jetlag.“

„Natürlich.“ Bei dieser freundlichen Erklärung entspannte sich der Brite merklich. „Nach Ihren Reisen sind Sie verständlicherweise müde. Wir werden uns alle bemühen, die Sitzung kurz zu halten.“

Mit einem Nicken bedankte sich Marco.

„Wie ist es, wieder zu Hause zu sein?“, fragte Joseph. „Es muss doch mindestens zwei Jahre her sein, dass Sie für längere Zeit hier waren?“

„Ja, ist es.“ Sofort war Marco wieder auf der Hut, und er überging die erste Frage ganz bewusst.

Trotz seines beträchtlichen Vermögens war der Begriff „Zuhause“ für ihn nie Wirklichkeit geworden. Wenn man in einem Waisenhaus aufgewachsen war, blieb „Zuhause“ ein Wunschtraum, dessen Erfüllung immer außer Reichweite war. Etwas, was einfach nicht auf der Tagesordnung stand, gleichgültig, wie sehr er sich danach sehnen mochte.

Obwohl er mehrere palastartige Villen auf der ganzen Welt besaß, hatte er kein Heim im eigentlichen Sinne des Wortes. In letzter Zeit hatte er besonders hart gearbeitet und geplant, für mindestens einige Wochen an der Algarve eine längst überfällige Ruhepause einzulegen.

Nur verlor die Idee ihren Reiz, sobald er sich an seine ärmliche Kindheit in Portugal erinnerte. Die Aussicht, seinen Urlaub allein zu verbringen, gefiel ihm auch nicht. Er hatte viele Bekannte, aber keine echten Freunde, bei denen er wirklich er selbst sein konnte.

Freundschaften zu schließen war ihm schon als Kind nicht leicht gefallen. Einer der Betreuer im Waisenhaus hatte einmal zu ihm gesagt, er wäre ein „komplizierter“ kleiner Junge. Mit seiner kindlichen Logik hatte er es so verstanden, dass es schwierig war, ihn zu lieben.

Wieder drehte Marco den Kugelschreiber zwischen den Fingern. Er hasste die Beklemmung, die ihn plötzlich überkam. Es war ein Zeichen dafür, dass er sich eingeengt fühlte, wie in einer Falle gefangen. Weil er keinen Trost darin finden konnte, an die Orte seiner Vergangenheit zurückzukehren.

„Machen wir weiter, ja? Ich bin sicher, dass jeder von uns heute noch viel zu tun hat, und die Zeit läuft“, sagte Marco kurz angebunden.

Verlegen schob Joseph Simonson die Papiere vor sich auf dem Tisch zusammen und räusperte sich, bevor er mit seinem Vortrag fortfuhr.

Es war zwei Minuten vor zwölf, und dreimal hatte Grace nun schon die zitternde Hand vom Telefon zurückgezogen. Gerade jetzt, da sie vielleicht dicht davor war, die finanzielle Unterstützung für den Bau des neuen Kinderheims zu bekommen, verlor sie die Nerven.

Gestern war sie aufgeputscht gewesen, mutig, als könnte nichts und niemand sie daran hindern, ihr Ziel zu erreichen. Heute, nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht, in der die Erinnerungen an Marco Aguilars faszinierende dunkle Augen sie häufig beunruhigt hatten, traute sie sich nicht viel zu.

„Das kann doch nicht wahr sein!“

Ärgerlich schnappte sie sich den Hörer des Wandtelefons in der Küche und tippte die Nummer ein, die sie auswendig gelernt hatte, für den Fall, dass sie die Karte verlegte und nicht wiederfand.

Gestern Nachmittag, als sie zurück ins Ferienhaus gekommen war, hatte sie verblüfft festgestellt, dass Marco Aguilar ihr die Nummer seines privaten Handys gegeben hatte. Sie stimmte mit keiner der Nummern auf der Vorderseite der Visitenkarte überein.

Jetzt rief sich Grace die hoffnungsvollen Gesichter der Kinder ins Gedächtnis, die sie in dem baufälligen afrikanischen Waisenhaus zurückgelassen hatte. Sofort erwachte wieder der leidenschaftliche Wunsch in ihr, ihnen zu helfen.

Marco Aguilar ist auch nur ein Mensch, sagte sie sich. Dass er maßgeschneiderte Anzüge trug, die wahrscheinlich ein Vermögen kosteten, dass er es regelmäßig auf die Liste der Milliardäre schaffte, spielte keine Rolle. In dieser Sache waren sie einfach zwei Menschen, die besprachen, wie man jenen helfen konnte, die nicht so viel Glück hatten wie sie beide.

Der Klingelton verstummte. Am anderen Ende hatte jemand abgenommen.

„Olá?“

„Olá.“

„Mr Aguilar?“

„Ah, sind Sie das, Grace?“

Sie hatte nicht erwartet, dass er sie mit ihrem Vornamen anredete. Und der Klang seiner Stimme und der leichte Akzent ließen ihr Herz schneller schlagen. Nervös strich Grace über ihre weiße Leinenhose.

„Ja, ich bin’s, Mr Aguilar.“

„‚Marco‘ genügt. Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, Sie genießen das herrliche Wetter?“

„Danke, mir geht es gut, und ja, ich genieße das Wetter.“ Überrascht, weil er so freundlich mit ihr sprach, war sie sich nicht ganz sicher, was sie als Nächstes sagen sollte. „Wie geht es Ihnen?“, fragte sie vorsichtig.

„Ein dermaßen langes Gespräch hatte ich eigentlich nicht geplant“, erwiderte Marco trocken.

Grace spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, und war froh, dass er sie jetzt nicht sehen konnte. Falls er sie für eine dieser Frauen hielt, die für Promis schwärmten und nicht intelligent genug waren, um Fantasiewelt und Wirklichkeit zu trennen.

„Dass Sie ein viel beschäftigter Mann sind, weiß ich. Also keine Sorge, ich werde Sie nicht zutexten.“ Entsetzt verzog sie das Gesicht. Sie hörte sich an wie ein unreifes Schulmädchen. „Entschuldigen Sie, das war eine dumme Bemerkung.“

„Warum? Glauben Sie, ich habe keinen Sinn für Humor? Ich hoffe, ich bekomme die Chance, Ihnen zu beweisen, dass Sie sich irren.“

Aufs Neue verblüfft, weil Marco Aguilar so locker war, brachte Grace kein Wort heraus.

„Ich habe heute Nachmittag unerwartet frei“, fuhr er fort. „Meinen Sie nicht auch, dass es angenehmer wäre, das Gespräch statt am Telefon bei mir im Haus zu führen? Ich könnte Ihnen meinen Chauffeur schicken.“

Sie musste träumen. Dem Milliardär vor dem exklusiven Golfhotel gegenüberzutreten war eine Sache, mit ihm zu telefonieren war etwas anderes. Aber sie hätte nie gedacht, dass ein Mann wie Marco Aguilar sie zu sich nach Hause einladen würde!

„Wenn Sie wirklich Zeit haben, dann ja … Ich finde, auf die Art über die Wohltätigkeitsorganisation zu sprechen wäre besser.“

„Also sind Sie damit einverstanden, dass mein Chauffeur Sie abholt und hierherbringt?“

„Ja. Danke, Mr Aguilar.“

„Habe ich Ihnen nicht schon gesagt, Sie sollen mich Marco nennen?“, erwiderte er freundlich.

Ihre Eltern wären von einer Ohnmacht in die andere gefallen, wenn sie gewusst hätten, dass sie im Ausland zu einem Fremden nach Hause gehen wollte, auch wenn dieser ein international bekannter Unternehmer war. Aber andererseits hatten sie sie immer überbehütet. Grace hatte sich ihre Unabhängigkeit regelrecht erkämpfen müssen.

Selbst als sie beschlossen hatte, das afrikanische Kinderhilfsprojekt der Wohltätigkeitsorganisation zu besuchen, für die sie in London arbeitete, hatte sie sich gegen ihre Eltern behaupten müssen.

„Ihr könnt mich nicht ewig in Watte packen“, hatte sie geltend gemacht. „Ich bin fünfundzwanzig und möchte etwas von der Welt sehen. Ich möchte Risiken auf mich nehmen und aus meinen Fehlern lernen.“

„Grace?“

Autor

Maggie Cox
Schreiben und Lesen gingen bei Maggie Cox schon immer Hand in Hand. Als Kind waren ihre liebsten Beschäftigungen Tagträumen und das Erfinden von Geschichten.
Auch als Maggie erwachsen wurde, zu arbeiten begann, heiratete und eine Familie gründete blieben ihre erfundenen Heldinnen und Helden ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Was immer auch...
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