Mehr als nur heiße Küsse am Strand - 6 sexy Romane und eine Kurzgeschichte

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SONNE, SEX UND HEIßE KÜSSE

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SEXY PRINZ GESUCHT!

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HEIßE KÜSSE AM RAUSCHENDEN MEER

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EROTIK IM SPIEL

Mit ihrer Werbeagentur ist die ehrgeizige Lucy so ausgebucht, dass sie nicht einmal für ihre Ehe Zeit hat. Frisch geschieden und nach dem Tod des Vaters auch noch Erbin eines Marine Parks auf den Bahamas, schwebt sie in Nassau ein- um die Hinterlassenschaft in Augenschein zu nehmen - und ist überwältigt!

VERFÜHRUNG UNTER PALMEN

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SÜSSE VERLOCKUNG IN MEXIKO

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  • Erscheinungstag 03.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734589
  • Seitenanzahl 936
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Natalie Anderson, Kathryn Jensen, Charlene Sands, Tina Wainscott, Maureen Child, Brenda Jackson, Patricia Kay

Mehr als nur heiße Küsse am Strand - 6 sexy Romane und eine Kurzgeschichte

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IMPRESSUM

JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG

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CORA Verlag GmbH & Co. KG ist ein Unternehmen der Harlequin Enterprises Ltd., Kanada

Geschäftsführung:

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Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Christine Boness

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

 

© 2011 by Natalie Anderson

Originaltitel: „Walk on the Wild Side“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN HEAT

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA

Band 172011 (17/3) 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Juliane Zaubitzer

Fotos: Corbis

Veröffentlicht als eBook in 08/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-86349-149-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

JULIA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY, TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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Natalie Anderson

Sonne, Sex und heiße Küsse

1. KAPITEL

Schon wieder eine rote Ampel. Zum etwa vierzigsten Mal bremste Kelsi Reid und griff leise fluchend nach dem Kamm auf dem Beifahrersitz.

Wahrscheinlich sahen die anderen Frauen im Schönheitssalon alle aus, als wären sie einer Modezeitschrift entsprungen. Kelsi dagegen hatte sich weder geschminkt noch gekämmt. Sie hatte gerade Zeit gehabt, ein Paar Kontaktlinsen einzusetzen und ihren vom Duschen noch feuchten Körper in ein Kleid zu zwängen.

Eigentlich konnte sie es sich gar nicht leisten, einen Tag freizunehmen.

Wäre sie gestern Abend nur nicht am Schreibtisch eingeschlafen. Wäre sie heute Morgen nur nicht mit dem Haar in einer Pfütze klebriger Limonade aufgewacht. Hätte sie ihr Haar nur nicht mit so viel Shampoo eingeschäumt, dass sie Ewigkeiten brauchte, um es wieder auszuspülen …

Hätte sie doch nur zu Hause bleiben können.

Stattdessen war sie unterwegs nach Merivale, dem vornehmsten Vorort von Christchurch, zu einem Termin im exklusiven L’Essence Spa, den sie aus Feingefühl nicht abzusagen wagte, und hatte auf dem Weg dorthin jede rote Ampel mitgenommen.

Kelsi kam sich vor wie eine Heuchlerin.

Ihre Kollegen und ihr Boss hatten zusammengelegt und ihr diesen Termin geschenkt. Eine Kombination aus Geburtstagsgeschenk und Anerkennung für ihre Arbeit. Rührend, aber so ziemlich das Letzte, was sie sich gewünscht hätte. Sie hasste die Gesellschaft schöner Frauen, weil sie definitiv nicht dazugehörte. Für ihre schlecht gefärbten Haare, ihre geringe Körpergröße und jungenhafte Figur war sie als Teenager oft genug gehänselt worden. Nicht einmal der eigene Vater wollte etwas mit ihr zu tun haben. Ironischerweise war es ausgerechnet ihr Vater, dem sie ihre wahre Haarfarbe verdankte.

Sie besaß so wenig Selbstbewusstsein, dass sie sich sogar von einem Exfreund einen komplett neuen Look verpassen ließ. Und dann war sie ihm trotzdem nicht hübsch genug gewesen. Seitdem waren viele Jahre vergangen, und inzwischen konnte Kelsi sich überhaupt nicht mehr vorstellen, sich so etwas gefallen zu lassen.

Irgendwann hatte sie rebelliert. Die Leute fanden sie also seltsam? Denen würde sie es zeigen. Von da an kleidete sie sich anders, schminkte ihre fast unnatürlich blasse Haut, verbarg ihre zu kleinen Brüste, ihr Haar, ihre Augen, ihr Selbst. Wenn ein Mann sich für sie interessierte, dann höchstens für ihren Verstand, ihren Humor, ihre faszinierende Persönlichkeit.

Zwar hatte sie seit Ewigkeiten kein Date mehr gehabt, aber sie hatte vor lauter Arbeit sowieso keine Zeit für so etwas. Und ihre Kollegen – die einzigen Leute, die sie in dieser Stadt kannte – standen auf Mädchen mit scharfer Munition und noch schärferen Brüsten wie die Heldinnen der Computerspiele, nach denen sie süchtig waren. Fantasiegestalten, mit anderen Worten.

Kelsi konnte schon mit den realen Schönheiten dieser Welt nicht mithalten, geschweige denn mit diesen Männerfantasien, also versuchte sie es erst gar nicht.

Doch ihre Arbeitskollegen – allesamt männlich – waren der Meinung, dass sich jede Frau über einen Tag im Schönheitssalon freute. Kelsi wusste, dass sie es nur gut meinten. Schließlich ahnten sie nichts von jenem Mann, der damals jeden einzelnen Scherenschnitt des Friseurs überwacht hatte, in dem Bemühen, sie nach seinem Schönheitsideal zu formen. Inzwischen schnitt sie ihr Haar selbst.

Doch sie brachte es nicht übers Herz abzulehnen. Sie wusste, wie teuer und exklusiv dieser Salon war, und sicher gab es dort auch Angebote nach ihrem Geschmack. Die Ganzkörpermassage klang gut, und eine professionelle Haarentfernung konnte man immer gebrauchen.

Nun war sie also auf dem Weg dorthin, und obwohl sie heute für ihre Verhältnisse dezent gekleidet war, würde sie mit ihren verstrubbelten, selbst gefärbten Haaren auffallen. Außerdem war sie spät dran.

Sie fuhr die hundert Meter zur nächsten Ampel, die hier, mitten in der Stadt, dicht aufeinander folgten. Und natürlich war wieder Rot.

Kelsi hob den Arm und bemühte sich vergeblich, das Lockenknäuel an ihrem Hinterkopf zu entwirren. Den Kopf vorgebeugt, versuchte sie den Kamm durchs Haar zu ziehen, und kniff vor Schmerz die Augen zusammen. Als sie es mit einem starken Ruck versuchte, rutschte ihr Fuß vom Bremspedal, und der Wagen rollte einen halben Meter vor.

Mitten in den Fußgänger, der gerade die Straße überquerte.

Kelsi hörte den dumpfen Aufprall, hörte den erstickten Fluch, hörte ihren eigenen Aufschrei.

Sofort trat sie wieder das Bremspedal, und das Auto kam mit einem Ruck zum Stehen. Beide Hände am Lenkrad blieb sie für den Bruchteil einer Sekunde wie erstarrt sitzen.

Das Einzige, was sich bewegte, war der Inhalt ihres Magens, der hochzukommen drohte. Sie riss die Tür auf und versuchte auszusteigen, doch der Sicherheitsgurt hielt sie zurück. Um sich zu befreien, schlug sie mit der flachen Hand auf den Verschluss. Endlich löste sich der Gurt. Sie knallte die Tür zu und lief auf die Straße, voller Angst vor dem Anblick, der sich ihr bieten würde. Sie konnte ihre Beine nicht spüren, konnte nicht denken, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie eventuell jemanden überfahren hatte.

„Geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen gut? Oh Gott.“ Sie rang nach Atem. „Geht es Ihnen gut?“

„Mir geht es gut.“

Es war ein Mann, und er stand schon wieder. Er lebte also, denn er hatte die Augen geöffnet – unglaublich blaue Augen – und atmete. Was mehr war, als sie von sich im Moment sagen konnte.

Entsetzt schüttelte sie den Kopf, unfähig zu begreifen, was gerade passiert war. „Ich habe Sie nicht gesehen.“

„Ich hatte Grün“, entgegnete er trocken.

„Sie sind einfach aus dem Nichts aufgetaucht.“ Er war mindestens einen Meter dreiundachtzig groß. Wenn sie ihn schon nicht gesehen hatte, war vielleicht noch jemanden verletzt. Kelsi bückte sich und schaute unter den Wagen.

„Ihrem Auto ist nichts passiert.“

„Darum geht es mir nicht“, erklärte sie, während sie fieberhaft suchte. „Habe ich noch jemanden erwischt? Oder nur Sie?“ Sie reckte den Hals, um ihm ins Gesicht zu sehen.

„Nur mich.“

„Oh, Gott sei Dank. Ich meine …“ Sie schluckte schwer. „Geht es Ihnen auch wirklich gut?“

„Es geht mir wirklich gut.“ Er lachte sogar. „Hören Sie, wollen Sie nicht Ihr Auto wegfahren? Sie halten ja den ganzen Verkehr auf.“

Benommen drehte sie sich um und erblickte den Stau. Doch die meisten Wagen wichen auf die andere Spur aus. Außerdem handelte es sich hier um eine Unfallstelle. Erneut wandte sie sich an den Unbekannten: „Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?“ Ihre Stimme klang schrill.

Er deutete auf den Fußweg. „Reden wir lieber dort drüben weiter.“

Wie betäubt ging sie ein paar Schritte, blieb aber gleich wieder stehen. „Oh, nein. Sie humpeln. Warum humpeln Sie? Wo habe ich Sie erwischt? Wo tut es weh?“

„Nein, das ist nur mein Knie, es ist …“

„Ihr Knie?“ Ihre Stimme stieg um weitere drei Oktaven. „Habe ich Sie am Knie erwischt? Lassen Sie mal sehen.“ Sie ging in die Hocke und wollte den Saum seiner langen grauen Shorts anheben, um den Schaden zu begutachten. Zu ihrer Erleichterung lief kein Blut an seinem Schienbein hinunter. Doch ehe sie seine gebräunten muskulösen Waden berühren konnte, wich er zurück.

„Schon gut.“ Mit seiner großen starken Hand umfasste er ihren Oberarm und zog sie hoch.

Widerwillig stand sie auf. „Sind Sie sicher?“ Hatte sie ihn überfahren? Sie wusste es nicht einmal. Als sie an den dumpfen Aufprall dachte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Sie hatte noch nie einen Unfall gehabt. Noch nie. Und jetzt hatte sie jemanden überfahren. „Brauchen Sie keinen Arzt? Bitte lassen Sie sich von mir zu einem Arzt fahren. Ich finde, ich sollte Sie zu einem Arzt fahren.“

„Ich brauche keinen Arzt“, stellte er fest. „Aber Sie werden immer blasser.“

Kelsi atmete stoßweise, als sie begriff, was gerade passiert war. Sie schlug die Hand vor den Mund. „Ich hätte Sie umbringen können.“

„Haben Sie aber nicht.“

Aber sie hätte auch ein Kind überfahren können. Lauter Super-GAU-Szenarien liefen vor ihrem inneren Auge ab. Es hätte ein Kleinkind an der Hand seiner Mutter sein können. Oder eine Frau mit Kinderwagen. Es war reines Glück, dass sie einen großen starken Mann erwischt hatte. Trotzdem hatte sie ihn verletzt. Sie sah zu ihm auf, ihr Blick verschwamm, und sie keuchte, als wäre sie gerade die tausend Stufen zu ihrem Büro im obersten Stockwerk zu Fuß gelaufen. Sie hatte ihn verletzt …

Schwer legten sich seine Hände auf ihre Schultern. Beruhigend. „Alles ist gut. Es ist nichts passiert.“ Er lächelte und nickte, jedes Wort betonend.

Sie schluckte.

„Hatten Sie es eilig, irgendwohin zu kommen?“, fragte er.

„Was? Ja.“ Sie blickte auf ihre Uhr, und er ließ seine Hände sinken. „Oh, nein.“ Jetzt kam sie wirklich zu spät.

„Wohin denn?“

„Das spielt jetzt keine Rolle.“ Und das tat es wirklich nicht. „Erlauben Sie mir, Sie ein Stück mitzunehmen.“ Sie drehte sich um und öffnete die Beifahrertür. „Es tut mir leid, dass ich Sie angefahren habe. Außerdem humpeln Sie. Soll ich Sie zu einem Arzt bringen?“

„Nein.“

Doch Kelsi hörte überhaupt nicht zu. Stattdessen versuchte sie, den Unbekannten ins Auto zu schieben, entschlossen, ihn sicherheitshalber mitzunehmen. Doch er war unbeweglich wie ein Fels in der Brandung. Unter ihren Handflächen spürte sie die durchtrainierten Muskeln seines Oberkörpers.

Als er zusammenzuckte, kam sie zur Besinnung. Oh, mein Gott, was dachte sie sich nur dabei, einen Fremden zu betasten?

„Verzeihung.“ Nervös sah sie auf, und sofort hielten seine strahlend blauen Augen ihren Blick gefangen. Sein Lächeln blendete sie geradezu, und während Kelsi sich darin sonnte, vergaß sie die Welt um sich herum. Himmelblau, seine Augen waren himmelblau. Sie konnte nicht blinzeln, konnte nicht atmen, konnte nicht denken …

Sie blinzelte. Das war doch verrückt. Sie hätte ihn fast überfahren – und nun starrte sie ihn an, als hätte sie noch nie einen Mann gesehen.

Nun, einen Mann, der so gebaut war, hatte sie tatsächlich noch nie gesehen. Die einzigen Männer, mit denen sie zu tun hatte, waren ihre Kollegen, und die waren entweder schmächtig oder übergewichtig. Das war natürlich ein Klischee, aber in Kelsis Welt traf es zu – Computerfreaks waren selten attraktiv. Punkt.

Der Mann, der vor ihr stand, war definitiv kein Computerfreak. Seine sonnengebräunte Haut und die goldenen Strähnen in seinem braunen Haar ließen darauf schließen, dass er viel an der frischen Luft war.

Lag es an ihren Kontaktlinsen, dass er so unverschämt attraktiv aussah? Welche Farbe hatte sie heute eingesetzt? Sie konnte sich nicht erinnern. Erneut blinzelte sie, versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen.

„Was halten Sie davon, wenn ich fahre?“ Die Frage kam so unerwartet, dass Kelsi erst dachte, sie hätte sich verhört.

„Wie bitte?“

Wieder legte er ihr eine Hand auf die Schulter und strich mit dem Daumen über ihre Haut, ein sanftes Streichen, und sofort hatte Kelsi vergessen, was er gerade gesagt hatte. Obwohl sie fröstelte, war ihr alles andere als kalt.

„Ich werde fahren“, wiederholte er ganz langsam.

Was wollte er? Alles, was sie wusste, war, dass er lächelte und die ganze Welt in Technicolor erstrahlte.

„Na, kommen Sie.“

Er schien zu versuchen, sie zu beruhigen. Sie musste sich nicht beruhigen. Mit ihr war alles in Ordnung – oder? Wie durch einen Nebel nahm sie war, dass sie von einer warmen festen Hand auf ihrem Rücken zu ihrem eigenen Beifahrersitz dirigiert wurde.

„Äh …“ Es hatte keinen Sinn zu widersprechen. Nachdem sie sich hingesetzt hatte, schloss er die Tür und ging zur Fahrerseite. Wieder bemerkte sie sein Humpeln und verzog gequält das Gesicht. Das war doch verrückt. Sie musste sich um ihn kümmern und nicht umgekehrt.

Kaum war er eingestiegen, fragte sie: „Sind Sie sicher, dass Sie fahren können?“

Statt einer Antwort lachte er leise. Es war ein nettes Lachen. „Wie heißen Sie?“

Kelsi starrte ihn an, das Echo seines Lachens hing noch in der Luft. In ihrem Auto sah er albern aus, die Knie fast an den Ohren, weil der Fahrersitz ganz nach vorn gestellt war, damit ihre Füße das Gaspedal erreichten. Er schob den Sitz bis zum Anschlag nach hinten, doch er wirkte immer noch wie ein Riese. Hatte er gerade etwas gesagt? Jedenfalls sah er sie so erwartungsvoll an.

„Wie bitte?“

„Ihr Name?“ Er beugte sich so nah zu ihr herüber, dass sie wie gelähmt war. Doch nicht vor Angst. Oh, nein, nicht vor Angst. Aus der Nähe konnte sie sein symmetrisches Gesicht betrachten, sein markantes Kinn mit dem Hauch eines Schattens, seine strahlend weißen Zähne, konnte seine Wärme spüren, seinen frischen Duft atmen. Sie hielt die Luft an, als er noch ein Stück näher kam. Wollte er sie etwa küssen? Sollte sie sich von diesem wildfremden Mann küssen lassen? Wie hypnotisiert blickte sie ihm in die Augen, seine lächelnden, verheißungsvollen Augen …

Aber ja. Natürlich würde sie ihn küssen. Sie konnte sich nicht denken, was dagegen sprechen sollte. Sie konnte überhaupt nicht denken …

Doch da war ein Piepen in ihrem Ohr. Oh. Enttäuschung überkam sie, als er den Sicherheitsgurt über ihren Körper zog und einrasten ließ. Natürlich wollte er sie nicht küssen. Männern wie ihm lagen die Frauen zu Füßen. Wieso sollte er ausgerechnet sie küssen? Ach, aber es wäre doch zu schön gewesen.

Schlaff ließ sie sich in den Sitz zurücksinken. Unter ihrem dünnen Sommerkleid hatte sie eine Gänsehaut bekommen. Oje, sie musste sich wirklich zusammenreißen.

Er ließ den Motor an, und kurz darauf riss sie sich vom Anblick seiner starken Hände am Lenkrad los, um zu sehen, wohin sie fuhren. Nicht, dass es eine Rolle spielte.

„Miss?“

Miss? Noch nie zuvor hatte sie jemand „Miss“ genannt. Endlich begriff sie, was er gefragt hatte. „Kelsi.“

„Kelsi, ich bin Jack.“

„Hi“, begann sie unsicher, und ihr Gehirn verabschiedete sich wieder, als sie ihn ansah. Kelsi liebte surrealistische Kunst, aber sie war nicht sicher, ob sie bereit für ein surrealistisches Leben war. Und dass ein Mann wie dieser sie gottweißwohin entführte, war definitiv surreal.

Er lachte erneut, und das Grübchen in seinem Kinn ließ ihn irgendwie verwegen aussehen. „Ich glaube, Sie müssen sich erstmal von dem Schreck erholen.“

„Es tut mir so leid.“ Sie seufzte und sah knapp an ihm vorbei, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er hatte recht. Sie musste sich erholen. Aber nicht von dem Unfall. Es lag an diesem atemberaubenden Mann, dass sie völlig durch den Wind war. „Sind Sie sicher, dass Ihnen nichts passiert ist?“

Er hob beschwichtigend eine Hand vom Lenkrad. „Bitte, fang nicht wieder damit an. Und nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben, sollten wir uns doch duzen, finde ich.“

„Na gut.“ Sie nickte.

„Ich kenne ein Café, wo es fantastischen Kaffee gibt“, sagte er. „Wie wär’s?“

Kaffee. Das war ihr Problem. Sie hatte heute Morgen nicht ihre tägliche Dosis Koffein bekommen. Deshalb fühlte sie sich so aufgedreht und zittrig. Es lag weder am Unfall noch an Jack.

Er fuhr auf einen Parkplatz und stellte den Motor aus.

„Hier kannst du nicht parken.“ Überall wiesen Schilder daraufhin, dass der Parkplatz ausschließlich für Kunden des Snow- und Skateboard-Ladens reserviert war.

Er würdigte die Schilder keines Blickes. „Das stört niemanden.“

Konnte diesen Mann eigentlich gar nichts aus der Ruhe bringen? Schmunzelnd steckte er ihre Autoschlüssel ein, während er auf dem Fußweg neben ihr herhumpelte. Sie versuchte, nicht hinzusehen, doch das schlechte Gewissen nagte an ihr. Dann packte er sie am Oberarm und dirigierte sie zum Eingang des Cafés. „Setz dich.“ Er blieb vor dem erstbesten Tisch stehen. „Ich besorge dir einen Kaffee.“

Kelsi ließ sich auf den Stuhl sinken, stützte die Ellbogen auf den Tisch, schloss die Augen und legte den Kopf in die Hände. Der Kaffee würde sie hoffentlich wieder zur Vernunft bringen.

Nachdenklich betrachtete Jack die leichenblasse, zierliche Frau. Man hätte meinen können, nicht er, sondern sie sei angefahren worden. Ehrlich gesagt, hatte das Auto ihn kaum berührt. Er hatte mit der Faust auf die Kühlerhaube geschlagen und war rechtzeitig zur Seite gesprungen. Dabei hatte er sich allerdings sein verletztes Knie verrenkt – deshalb das Humpeln. Die Operation war schon ein paar Wochen her, doch jetzt fühlte es sich an, als wäre sie gestern gewesen. Hoffentlich konnte er trotzdem bald wieder mit dem Training anfangen.

Zwei dampfende Tassen Kaffee in der Hand, kehrte er an den Tisch zurück. Als er Kelsis schmalen Rücken und die zerzauste Frisur sah, unterdrückte er ein Lachen.

Er stellte die Getränke auf den Tisch, riss drei Zuckertütchen auf und schüttete den Inhalt in die erste Tasse. Nachdem er die Flüssigkeit mit einem Löffel umgerührt hatte, schob er die Tasse Kelsi hin.

„Ich nehme keinen Zucker.“ Zusammengesunken auf ihrem Stuhl, lächelte sie schwach.

„Heute schon.“ Stark, heiß und süß. Es war genau das, was sie brauchte.

Er sah zu, wie sie erst vorsichtig einen kleinen Schluck trank, dann gierig mehr. Seufzend atmete sie aus.

„Besser?“ Er musste lachen.

„Viel besser.“

Ja, ihre sonderbar gefärbten Augen schienen die Umwelt wieder wahrzunehmen, und sie saß wieder gerade. Und das war gut, denn als sie sich zurückgelehnt hatte, war der Träger von ihrem Kleid verrutscht. Er hatte den Spitzenbesatz von einem hübschen schwarzen BH gesehen, aber jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um an Sex zu denken. Und das tat er – und zwar, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte.

Aber das war nicht der Grund, warum er sie zu einem Kaffee eingeladen hatte. Nein, das hatte er getan, um sie zu beruhigen. Er hatte das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht gesehen, weil sie glaubte, sie sei schuld an seinem Knie. Er musste sie von dieser Last befreien, denn obwohl sie sich so cool und ganz in schwarz kleidete, gehörte sie bestimmt zu den Menschen, denen so etwas schlaflose Nächte bereitete. Hinter der Fassade der abgebrühten Großstadtgöre erkannte er das verletzliche Mädchen.

Doch zunächst musste er sich um etwas anderes kümmern. Schmunzelnd stand er auf und ging um den Tisch herum. Sie erstarrte, als er sie berührte.

„Halt still“, murmelte er. „Sonst machst du es nur noch schlimmer.“

Als Kelsi begriff, dass der Kamm sich in den Locken ihres Hinterkopfs verfangen hatte, stöhnte sie auf. Jack nahm ihre geröteten Wangen und ihren beschleunigten Atem mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis. Er hatte also eine gewisse Wirkung auf sie.

Ausgezeichnet. Denn noch immer schwirrte in seinem Kopf der Gedanke an Sex herum. Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, ihr Haar zu entwirren, doch aus der Nähe kam ihm ihr Haar ungewöhnlich lockig, schockierend blond, aber auch weich vor. Es duftete süß nach Blumen. Wie ihre Augenfarbe war auch die Haarfarbe nicht echt, doch ihre ursprüngliche Haarfarbe musste relativ hell sein, denn sie hatte keinen dunklen Ansatz. Oder vielleicht waren sie frisch gefärbt. Jack kannte sich mit Blondinen aus, doch noch nie hatte er ein Blond gesehen, das so schlohweiß war. Oder so zerzaust.

Er schluckte. Mit trockenem Mund beugte er sich vor, um den Kamm aus ihrem Haar zu befreien, ohne ihr wehzutun. Ihr Duft war betörend. Sie erregte ihn, wie ihn lange keine Frau mehr erregt hatte – und Jack war, was Sex anging, kein Kind von Traurigkeit.

Normalerweise jedenfalls nicht. Die Knieoperation hatte ihm jede Art von Spaß für eine Weile verleidet – im Schnee wie auch im Schlafzimmer. Das war sicher auch der Grund, warum er so heftig auf diese Frau reagierte, denn eigentlich war sie gar nicht sein Typ. Er mochte starke, athletische Frauen, die ihm etwas entgegenzusetzen hatten, keine mageren Dinger, die aussahen, als könnte der Wind sie umpusten.

Und schon gar nicht stand er auf übertrieben gefühlsbetonte oder gar anhängliche Frauen. In seinem Leben war dafür kein Platz. Doch wie herzzerreißend sie ihn mit ihren Rehaugen angesehen hatte, als sie glaubte, sie hätte ihn verletzt, wie sie die Tränen fortgeblinzelt hatte, mit bebenden Lippen …Überhaupt: ihre rosigen Lippen. Im Gegensatz zum Rest waren die echt und ungeschminkt – und sehr verführerisch.

Jack hätte Kelsi gern getröstet.

Er hätte gern noch viel mehr mit ihr angestellt, als sie nur getröstet, hätte gern von den Köstlichkeiten genascht, die dieses bodenlange Trauerkleid verbarg.

Die Phase seiner Enthaltsamkeit würde noch andauern. Das war das Problem. Seit er wusste, dass ihm wahrscheinlich vier weitere sexfreie Wochen bevorstanden, konnte er an nichts anderes mehr denken als an Sex. Nur deshalb fiel es ihm plötzlich sogar in einem gut besuchten Café schwer, sich zu beherrschen. Nur deshalb fühlte er sich zu einer Frau hingezogen, die als Gespielin ungefähr so gut zu ihm passte wie ein Piranha zu einem Zierfisch.

Vorsichtig löste Jack den Kamm. Es dauerte länger als gedacht, doch das störte ihn nicht weiter. Dass er eine masochistische Ader hatte, war ihm gar nicht bewusst gewesen. Und so genoss er die bittersüße Qual, Kelsi wie zufällig mit den Fingern zu streifen, und widerstand mühsam der Verlockung, sie so zu berühren, wie er gern gewollt hätte. Zähneknirschend versuchte er, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren und das Verlangen, das durch seine Adern pulsierte, zu unterdrücken.

Unmöglich. Wie eine blasse faszinierende Statue saß sie vor ihm, ihre Verlegenheit greifbar. Doch da war noch mehr.

Jack war es gewohnt, begehrt zu werden, und er genoss es. Daher kannte er die Signale. Manchmal ignorierte er sie, manchmal nicht.

Da sein Knie endlich aufgehört hatte zu schmerzen, wusste er, dass er diesem ungewöhnlich heftigen Verlangen nachgeben würde. Obwohl es vielleicht unpassend war, konnte er nicht widerstehen. Er liebte Überraschungen. Die Herausforderung. Das Leben am Abgrund.

Was kümmerte es ihn, dass ihm nur vierundzwanzig Stunden blieben? Dass er eigentlich zu einem langweiligen Meeting musste? Das machte die Sache umso reizvoller. Jack Greene wusste, wie man das Leben genoss.

2. KAPITEL

Kelsi war wie gelähmt. Als Jack den limonengrünen Kamm vor ihr auf den Tisch legte, wagte sie nicht, ihm in die Augen zu sehen. Während er sich auf den Stuhl ihr gegenüber setzte, murmelte sie ein kaum hörbares Danke.

Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen. Doch hatte sie dieses Prachtexemplar von einem Mann fast überfahren, und statt es wiedergutzumachen, hatte sie sich von ihm zu einem Kaffee einladen lassen. Wie konnte sie ihn da einfach stehen lassen? Sie musste bleiben – allein aus Höflichkeit. Außerdem hatte er sowieso noch ihren Autoschlüssel. Ihren Termin im Schönheitssalon konnte sie also vergessen.

Kaum sah sie ihn an, war es um ihre Gemütsruhe wieder geschehen. Seine Augen funkelten gefährlich, und er musterte sie schamlos. Kelsi unterdrückte den spontanen Impuls, sich mit der Zunge über die Lippen zu fahren. Ein attraktiver Mann wie er war es zweifellos gewohnt, eine hypnotisierende Wirkung auf Frauen zu haben. Daher auch das verführerische Lächeln, das sich jetzt auf seinem Gesicht ausbreitete.

Statt sich mit der Zunge über die Lippen zu fahren, trank sie noch einen Schluck Kaffee. Die Wärme tat ihr gut und vertrieb auch den Rest des kalten, unguten Gefühls. Noch während sie schluckte, begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten. Endlich.

Wenn sie es vermied, ihm in die Augen zu sehen, kam sie vielleicht wieder zur Vernunft. Um Jack aus dem Kopf zu bekommen, versuchte sie, ihn in eine Schublade zu stecken. Doch er war einfach zu groß, zu durchtrainiert, zu atemberaubend, um in eines der Fächer in ihrem Kopf zu passen.

Tief durchatmen.

Erneut ließ er sein megacharmantes Lächeln aufblitzen, aber sie war schlau genug, stattdessen in ihre Kaffeetasse zu starren. Nur noch ein Schluck, und sie hatte ausgetrunken. Dann konnte sie gehen.

„Wo wolltest du eigentlich so eilig hin?“, fragte er, als sie die Tasse an den Mund hob.

Während sie die Tasse wieder sinken ließ, spürte sie, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. „Nirgendwohin.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Ach, komm. Nun sag schon.“

„Zu einem Schönheitssalon“, gestand sie widerstrebend.

„Wohin?“ Sein Unverständnis wirkte gespielt.

„Zu einem Schönheitssalon“, wiederholte sie klar und deutlich. Und zwar dem exklusivsten der Stadt. Ihre Kollegen waren offenbar der Meinung, dass sie es nötig hatte – und dieser Jack sicher auch.

„Und was wolltest du dort?“

„Gesichtsbehandlung, Massage, Haare.“ Achselzuckend hob sie die Tasse an den Mund.

„Schneiden oder waxen?“

Fast hätte sie sich am Kaffee verschluckt. „Schneiden.“ Das war natürlich gelogen, und sofort spürte Kelsi, wie sie rot wurde. So eine Frechheit!

Jetzt schmunzelte er. Offensichtlich machte er sich über ihre Pläne für den heutigen Tag lustig, und dummerweise hatte sie auch noch das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen – obwohl es gar nicht ihre Idee gewesen war. „Ich habe seit vier Monaten keinen einzigen Tag frei gehabt. Mein Boss meinte, ich soll neue Kraft tanken.“

„Ob ein Schönheitssalon dafür der richtige Ort ist?“

Nein. Kelsi hätte eine Kunstgalerie vorgezogen. Am liebsten eine in Paris. Eines Tages würde sie wirklich dorthin reisen – wenn sie beruflich auf festen Beinen stand.

„Wie wäre es mit etwas frischer Luft? Ein kleiner Spaziergang? Würde das nicht eher die Energiereserven ankurbeln?“

Ein Frischluftfanatiker. Natürlich. Sicher liebte er Extremsportarten wie Freeclimbing, brauchte den Nervenkitzel, um sich lebendig zu fühlen. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen. Sie wollte sich einfach nur entspannen – und ausruhen. „Frische Luft ist nicht gut für meine Haut“, erklärte sie mit einer hilflosen Geste.

„Ach nein?“

War der Mann denn blind? Sie war praktisch ein Albino. Na ja, abgesehen von den hunderten von Sommersprossen. „Ich verbrenne leicht.“

„Du könntest ja einen Hut tragen.“

Mit Unschuldsmiene riss sie die Augen auf und klimperte kokett mit den Wimpern. „Und mir die Frisur ruinieren?“

Sein Blick wanderte kurz zu ihrer Frisur, ehe er ihr wieder in die Augen sah. Für den Bruchteil einer Sekunde blickten sie sich nur an.

Dann fingen beide gleichzeitig an zu lachen. Kelsi schüttelte den Kopf über ihren lahmen Witz, doch sein Lachen wärmte sie mehr als der belebende Kaffee, den sie gerade getrunken hatte.

„Ich sage dir etwas, Mrs. Schönheitssalon, da du deinen Termin verpasst hast, biete ich dir als Ausgleich einen Tag an der frischen Luft an. Danach geht es dir bestimmt besser.“

Es fiel ihr schwer, das Prickeln auf ihrer Haut zu ignorieren, als sie in seine verführerisch blauen Augen blickte. Hatte sie sich bei dem Unfall am Kopf verletzt? Denn es kam ihr so vor, als würde der Typ mit ihr flirten. Und das konnte einfach nicht sein. „Äh …“

„Ach, komm schon. Wir werden bestimmt Spaß haben.“

„Draußen kann man keinen Spaß haben.“

„Du hast Angst.“ Sein Blick verriet, dass er sie provozieren wollte.

„Nein“, widersprach sie. „Ich bin nur nicht … interessiert.“

„Wirklich nicht?“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. „Auch nicht ein ganz kleines bisschen?“

Sie schluckte. Zweifellos wusste er, wie gut er aussah.

„Willst du ernsthaft behaupten, ein Tag an der frischen Luft würde mir besser bekommen als ein Tag im Schönheitssalon?“, brachte sie schließlich hervor.

„Hundert Mal besser.“

„Das ist eine gewagte These.“ Sie trank den letzten bitteren Tropfen von ihrem Kaffee und rümpfte die Nase.

„Nimmst du mich beim Wort?“

Während sie darüber nachdachte, wich sie seinem Blick aus. Dabei bedurfte es keiner langen Überlegung. Für den Schönheitssalon war es jetzt sowieso zu spät. Und zur Arbeit konnte sie auch nicht. Als einzige weibliche Webdesignerin empfand Kelsi einen gewissen Druck, besser als die Männer zu sein, doch die vielen Überstunden der letzten Wochen hatten sie ausgepowert – und ihr Boss hatte das bemerkt. Daher die Sache mit dem Schönheitssalon. Im Büro durfte niemand erfahren, dass sie nicht hingegangen war.

Und was sollte sie sonst tun? Seit sie hierhergezogen war, hatte sie immer nur gearbeitet und keine Zeit gehabt, außerhalb des Jobs Leute kennenzulernen. Um ehrlich zu sein, hatte sie auch mit ihren Kollegen kaum Kontakt, die im Gegensatz zu ihr am liebsten vor dem Computer hockten. Solche Sorgen hatte jemand, der so charmant und attraktiv wie Jack war, mit Sicherheit nicht.

„Hast du etwas Besseres vor?“

„Eigentlich nicht. Nein.“ Plötzlich klang sein Angebot äußerst verlockend. „Aber was springt für dich dabei heraus?“

„Dich für die gute Sache zu gewinnen, ist Belohung genug.“

„Die Fraktion der Frischluftfanatiker, meinst du?“

„Allerdings müssen wir etwas anderes zum Anziehen für dich finden.“ Seine Augen funkelten.

Kelsi erstarrte. Wollte er ihr etwa vorschreiben, was sie anziehen sollte?

„Ich dachte, mit zwanzig ist man allmählich zu alt dafür, sich wie ein Grufti zu kleiden.“

Sein Lächeln war so warm, dass Kelsis Zorn sogleich wieder verflog. Wenn sie seinen Gesichtsausdruck richtig deutete, gefiel ihm ihr Kleid sogar.

„Ich bin kein Grufti“, erklärte sie, während sein glühender Blick auf ihrer Haut brannte.

„Dann Emo? Dieses ganze Vampir-Zeug?“, fragte er vorsichtig. „Blasse Haut, gefärbte Kontaktlinsen und weite schwarze Klamotten.“

Kelsi verschränkte die Arme, um ihre Nervosität – und ihre aufgerichteten Brustspitzen – zu verbergen. „Weder noch. Ich wechsle meine Haar- und Augenfarbe ständig. Und für meine blasse Haut kann ich nichts.“ Mit den weiten schwarzen Kleidern hatte er allerdings recht. „Und das Kleid trage ich, um mich vor der Sonne zu schützen.“

Wieder musterte er sie von Kopf bis Fuß, und fast wünschte sie, sie hätte nicht ausgerechnet heute ein eng anliegendes Kleid mit Spagettiträgern angezogen, sondern ihre üblichen zehn Schichten Stoff.

„Siehst du, du bist doch ein Vampir.“ Er schmunzelte. „Du versteckst dein wahres Ich.“

„Im Gegenteil“, tat sie seine alberne Bemerkung ab. „Durch meine Kleidung drücke ich mich aus. In meiner Branche ist man kreativ.“

„Und deshalb musst du so flippig wie möglich aussehen? Mit gefärbten Haaren und unnatürlichen Augen?“ Mit bohrendem Blick beugte er sich vor. „Welche Farbe haben die eigentlich wirklich?“

Sie senkte den Blick. „Nichts Aufregendes.“

„Nein?“

„Manche Leute wechseln ständig ihre Handtaschen oder ihre Schuhe oder beides. Ich wechsle meine Augenfarbe oder das Muster.“

„Das Muster?“ Skeptisch zog er die Augenbrauen hoch. „Augenmuster?“

„Klar.“ Ihre Kontaktlinsensammlung umfasste die kuriosesten Stücke. Oft erlag sie der Versuchung, im Internet einzukaufen.

„Warum?“

„Warum nicht?“ Weil es anders war. Da sie weder hübsch noch schön war, musste sie sich eben auf andere Weise von der Masse abheben.

„Du bist wie ein Chamäleon. Du hoffst, dass die Leute nicht durch die Oberfläche hindurchsehen können.“ Er hatte sie durchschaut. Einfach so. Er trank seinen Kaffee aus und stand auf. „Na, dann los. Wenn das Sonnenlicht dir nicht den Garaus macht, sollten wir gehen.“

Es war nicht die Sonne, die ihr den Garaus machte. Es war dieser Mann.

Draußen warf er ihr die Autoschlüssel zu. „Ich muss nur kurz etwas holen. Bin in einer Minute zurück.“

Sie fing die Schlüssel auf und sah ihm nach, wie er über den Parkplatz zum Snowboardladen humpelte.

Das war ihre Gelegenheit zu fliehen. Einfach ins Auto steigen, den Fuß aufs Gaspedal, zum Schönheitssalon fahren und sich für die Verspätung entschuldigen. Doch das würde sie schön bleiben lassen. Als würde sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, den Tag mit einem Mann zu verbringen, der aussah, als sei er einem Katalog für Sportbekleidung entsprungen.

Vielleicht war sie anders, aber verrückt war sie nicht.

Sie setzte sich ins Auto und zog den Fahrersitz wieder vor, damit ihre Füße das Gaspedal erreichten. Wie versprochen war er nach einer Minute zurück, in der Hand eine schicke recyclebare Tüte mit dem Logo des Ladens.

„Hast du da Freunde?“

Statt einer Antwort zwinkerte er ihr zu und legte die Tüte auf den Rücksitz. „Bist du sicher, dass du wieder fahren kannst?“

Unbeirrt schloss sie die Finger ums Lenkrad. „Mir geht es gut.“

Er beugte sich zu ihr hinüber. „Keine dringenden Termine in Sachen Schönheitspflege mehr?“ Seine Stimme klang wie Schokoladensauce, zart schmelzend und verführerisch.

„Ich denke, die Fußgänger dieser Stadt sind jetzt vor mir sicher“, murmelte sie, doch ihr Puls raste.

„Schön. Dann fahr die erste links.“

Genau das tat sie, und es dauerte keine hundert Meter, bis sie an einer roten Ampel halten musste. Natürlich. Doch während sie standen, beugte Jack sich vor und griff mit seinem langen Arm zwischen ihren Beinen hindurch.

„Was tust du da?“, keuchte sie. „Ich versuche, Auto zu fahren.“ Fassungslos hob sie beide Hände vom Lenkrad. Sein Kopf befand sich praktisch auf ihrem Schoß! „Lass das.“ Eigentlich meinte sie es nicht so. Die sündigsten Gedanken schossen ihr durch den Kopf, als sie seinen dunklen Schopf zwischen ihren Schenkeln sah … „Wir haben Rot. Ich versuche, mich zu konzentrieren.“

Was im Moment vollkommen unmöglich war. Er bewegte seine Hand, rieb seine Schulter an ihrem Bein und zog die Handbremse zwischen ihnen. Dann bückte er sich erneut zwischen ihre Beine. Seine Hand umkreiste ihren Knöchel, ehe er ihren Fuß einen Zentimeter anhob und ihr den Schuh auszog.

„Jack!“

Zufrieden lächelnd richtete er sich wieder auf, den Schuh in der Hand. „Mit solchen Schuhen kannst du nicht sicher Auto fahren. Geschweige denn laufen.“

„Doch, ich kann“, stieß sie hervor. „Wenn du so klein wärst wie ich, was du eindeutig nicht bist, würdest du das verstehen.“

„Ich will nur lebend ankommen.“

Empört stieß sie die Luft aus. Als die Autos hinter ihr ungeduldig zu hupen begannen, fiel ihr ein, dass sie erst die Handbremse lösen musste. Ärgerlicherweise war es tatsächlich leichter, barfuß zu fahren – doch das würde sie ihm gegenüber natürlich nicht zugeben. „Das war echt gefährlich.“

„Nicht gefährlicher, als sich bei Rot die Haare zu kämmen. Diesmal war wenigstens die Handbremse angezogen.“

„Wo fahren wir überhaupt hin?“ Sie zog es vor, das Thema zu wechseln.

„Erstmal geradeaus.“ Er lächelte charmant. „Macht es dir etwas aus, in den Bergen zu fahren?“

„Hör auf, meine Fahrkünste anzuzweifeln. Die Berge machen mir nichts aus.“ Innerlich knirschte sie mit den Zähnen, denn in Wahrheit war sie nicht besonders geübt darin, in den Bergen zu fahren. Doch das würde sie ihm bestimmt nicht auf die Nase binden.

„Auf der Strecke gibt es ein paar Haarnadelkurven. Wenn du willst, kann ich fahren.“

Statt einer Antwort gab sie Gas. Nur wenige Minuten später fuhren sie stadtauswärts den Berg hinauf, in Richtung der Halbinsel, die der Stadt vorgelagert war. Die Berge waren karg und braun – keine Bäume oder Sträucher, nur im Wind wogende Grasbüschel. Vor dem strahlend blauen Himmel sahen die Berge majestätisch aus. Kelsi genoss den Anblick der nackten glatten Felsen vor dem klaren Himmel und dem blauen Wasser. Bis eine dieser Haarnadelkurven kam.

„Soll ich die Klimaanlage anschalten?“

Also hatte er bemerkt, dass sie schwitzte.

„Die funktioniert nicht.“ Eines von vielen Dingen, um die sie sich irgendwann kümmern musste.

„In der Stadt solltest du sowieso lieber zu Fuß gehen.“

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.

„Ökologischer Fußabdruck“, erklärte er mit gespieltem Vorwurf in der Stimme.

„Meine Absätze hinterlassen jedenfalls kaum einen Fußabdruck.“

Er lachte und schwieg dann. Den Weg musste er nicht erklären, denn es gab sowieso nur diese eine Straße, der sie folgen konnte. Außerdem musste sie sich konzentrieren und durfte sich nicht von dem Adonis ablenken lassen, neben dem ihr Auto kaum größer als eine Streichholzschachtel wirkte. Doch nachdem das schlimmste Stück der Serpentinen überstanden war, begann sie, sich zu entspannen und den weiten Blick über bronzefarbene Erde, blauen Himmel und glitzerndes Wasser in sich aufzunehmen. Das Schweigen war nicht unangenehm. Es fühlte sich gut an – als hätten sie den ganzen Lärm, den ganzen Stress der Großstadt hinter sich gelassen.

„Also, Kelsi, ich bin neugierig. Warum musst du neue Energie tanken? Was hast du für einen Job, der so stressig ist?“

„Computer“, antwortete sie. „Webdesign.“

„Du sitzt den ganzen Tag vor dem Computer?“

„Und weißt du, was das Schlimmste ist?“ Lächelnd trat sie das Gaspedal durch. „Es gefällt mir.“

Jack schüttelte den Kopf. „Verrückt.“

Er bat sie, links abzubiegen, als die Straße sich gabelte. Die Schotterpiste führte bergab Richtung Meer. Und dann war sie plötzlich zu Ende. Kelsi parkte unter einem der wenigen Bäume. Auf einem Schuh humpelnd, stieg sie aus. Jack nahm die Tasche vom Rücksitz und zog etwas heraus.

„Was ist das?“ Sie starrte ihn an.

Sein Lächeln war unverschämt breit. „Wonach sieht es denn aus?“

„Du glaubst doch nicht, dass ich das anziehe?“

„Im Laden gab es keine Sonnencreme. Und ich wette, du hast keine dabei.“

Nein, hatte sie nicht. Weil sie immer, immer, immer im Schatten blieb. Resigniert nahm sie den riesengroßen, breitkrempigen Hut und setzte ihn auf.

„Ich habe auch ein Tuch für deine Schultern.“

Sie nahm den Stoff und ermahnte sich, den Blickkontakt mit Jack zu meiden. Sonst musste sie ständig grinsen wie ein Idiotin.

„Ich hatte so ein Gefühl, dass dir die Farbe gefallen würde.“

Es war schwarz. Wie alles, was sie trug.

„Wie überaus scharfsinnig von dir.“ Das Tuch um die Schultern geschlungen, ging sie ein paar Schritte. Dann blieb sie stehen. „Wie soll ich so laufen?“

„Vielleicht solltest du den anderen Schuh auch noch ausziehen. Mach dir die Füße nass.“

„Mach dir die Füße schmutzig, meinst du wohl.“ Mit einem Blick auf den Sand unterdrückte sie ein Schaudern. „Ich hasse den Strand. Alles, was beißt oder sticht, hat es auf mich abgesehen. Man sieht die Insekten über mir kreisen, ehe sie zum Sturzflug ansetzen.“

„Du musst süßes Blut haben.“

„Und wer klingt jetzt wie ein Vampir?“ Verschmitzt sah ihn an. „Sand mag ich auch nicht. Der kratzt.“

„Dann kann ich dich wohl nicht überreden, dich mit mir in die Wellen zu stürzen?“

„Wie bitte?“ Abrupt blieb sie stehen.

„Wellenreiten“, erklärte er und zwinkerte ihr zu. „Hast du keine Lust, zu surfen? Ich weiß, wo wir uns zwei Neopren-Anzüge leihen können.“

„Ich surfe nicht, und ich trage bestimmt keinen Neopren-Anzug.“ Ihr Schaudern ließ sich nicht länger unterdrücken.

Er lachte. „Gleich erzählst du mir noch, dass du nicht im Meer schwimmst.“

„Nie“, gab sie verlegen zu. „Ich bade lieber im Swimmingpool.“

„Mit all den Chemikalien?“

Okay. Sie wusste, das war albern. Aber sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn ein bisschen zu provozieren. „Ist das Meer nicht viel verschmutzter?“

„Nicht an diesem Strand.“

In einer dramatischen Geste legte sie die Hand an ihr Herz. „Aber dort könnten Haie sein.“

„Oder freundliche Delfine.“

„Oder Quallen.“ Sie wedelte mit den Händen vor seinem Gesicht herum.

„Wunderschöne Seesterne und Muscheln.“ Lächelnd fing er ihre Hände und hielt sie fest. „Gib es auf, du kannst nicht gewinnen. Die Natur mag Gefahren bergen, aber ihre Schönheit ist das Risiko wert.“

Kelsis Argumente waren erschöpft. Zu abgelenkt war sie von dem Wunder der Natur, das sich vor ihr entfaltete. Die meerblauen Augen, das etwas struppige dunkle Haar und die goldene Haut, ganz der athletische Surfertyp. Lässig und naturverbunden, kein Gramm Fett, dafür umso mehr Muskeln. Selbst in seinem lockeren Griff spürte sie seine Kraft.

Ihr letztes Date mit so einem attraktiven Mann war sehr, sehr lange her. Okay, zugegeben, es war ihr erstes.

Und der Typ war wirklich zum Anbeißen.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie außer Atem war – fast keuchte sie – dabei hatten sie den Abstieg über die Dünen zum Wasser noch nicht einmal begonnen. Sie befreite ihre Hände aus seinem Griff und zwang sich, ihn nicht länger anzustarren. Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass ihr bei seinem Anblick förmlich das Wasser im Mund zusammenlief. Damit er nicht sah, dass sie rot wurde, drehte sie sich rasch um und tat so, als würde sie die Landschaft bewundern.

Kein anderes Auto auf dem Parkplatz, keine Menschenseele in der kleinen Bucht, keine Boote in der Ferne am Horizont. Es hatte den Anschein, als wären sie die beiden letzten Menschen auf der Erde.

Irgendwie ein befreiender Gedanke.

Als sie sich wieder umdrehte, schlüpfte Jack gerade aus seinen Schuhen und deutete vielsagend auf den einen, den sie noch am Fuß trug. Seufzend zog sie ihn aus und ignorierte den weichen, warmen Sand unter ihren Füßen.

Das war doch verrückt. Total verrückt. Sie war mit einem fremden Mann an einem einsamen Strand. Sie war in der Sonne.

Aber es war himmlisch.

Während Jack neben ihr herging, warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu. Sein Humpeln war kaum noch zu sehen – Gott sei Dank. Aber irgendetwas schien ihn zu amüsieren, denn er lächelte in sich hinein.

„Was?“

Da lachte er, und Kelsi begriff, dass es längst zu spät war. Sie war dem Zauber der Umgebung bereits erlegen. Obwohl sie wusste, dass sich die Sandfliegen zum Angriff bereitmachten, obwohl sie die gefährliche Kraft der Sonne spürte. Ihre Lungen füllten sich mit frischer Luft, und sie befand sich in Gesellschaft eines Mannes, der selbst wie eine frische Brise war.

Der Knoten in ihrem Bauch löste sich. Das Büro war meilenweit weg, ihr Computer war meilenweit weg, der Stress war meilenweit weg. Stattdessen gab es nur das tiefe Blau des Meeres und des Himmels, das bis zum Horizont reichte. Und die Wärme unter ihren Füßen und auf ihrer Haut ließ auch die Kälte in ihrem Innern schmelzen.

Jack ging zwei Meter hinter ihr im flachen Wasser, und sie hörte das sanfte Platschen, das seine Füße mit jedem Schritt machten.

„Was ist deine liebste Jahreszeit?“, fragte er unvermittelt. „Sicher der Winter, oder?“

„Ja.“ Sie musste selbst darüber lächeln, wie berechenbar sie war.

„Meine auch.“

„Niemals.“ Überrascht drehte sie sich um und lief rückwärts weiter, um ihn ansehen zu können.

„Doch.“ Er nickte. „Mein ganzes Leben reise ich dem Winter hinterher.“

Sie runzelte die Stirn. „Dabei bist du so braun.“

Er lachte. „Weil ich mich hier den Sommer über erholt habe.“ Mit der Hand rieb er sich das Knie. „Das ist eine alte Verletzung. Daran hast du keine Schuld.“

„Wirklich?“

„Vor ein paar Wochen wurde ich operiert. Morgen fliege ich zur Reha nach Kanada. So langsam muss ich wieder mit dem Training anfangen.“

„Training wofür?“

Er lächelte ein wenig verlegen. „Ich bin Snowboarder.“

Jetzt blieb sie ganz stehen. „Beruflich?“

„Professioneller Snowboarder. Ja.“

„Im Ernst?“ Kein Wunder, dass er so durchtrainiert aussah. Sie musste ein nervöses Kichern unterdrücken. Nie zuvor war sie einem Berufssportler so nah gekommen.

„Dann …“ Sie räusperte sich. „… trainierst du für die Olympischen Spiele?“

„Die Olympischen Spiele sind erst wieder in ein paar Jahren. Bis dahin gibt es noch ein paar andere wichtige Meisterschaften zu gewinnen. Aber ja, langfristig trainiere ich auch für die Olympischen Spiele.“

„Hast du schon mal teilgenommen?“

Er lächelte. Oh, mein Gott, er hat!

„Aber nächstes Mal hole ich Gold.“ Sein Lächeln war verschwunden. Zum ersten Mal wirkte er absolut ernst.

Und sie glaubte ihm. „Du reist also mit den Jahreszeiten? Zwischen hier und Kanada?“

„Oder Frankreich, China.“ Er nickte. „Wo immer es den besten Schnee gibt.“

„Wie finanzierst du das? Hast du einen Sponsor?“

Für eine Sekunde blitzte Überraschung in seinen Augen auf. Sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass professionelle Snowboarder besonders gut verdienten. Es war schließlich nicht Fußball und ständig auf den Titelseiten.

„Äh, so ähnlich.“ Er nickte. „Bist du schon mal Snowboard gefahren?“

Sie schüttelte den Kopf und ging weiter.

„Ski?“

„Nein.“

„Aber ich dachte, du magst den Winter.“

„Das tue ich.“ Sie schlang die Arme um den Körper. „Wenn ich gemütlich vor dem Kamin sitzen kann.“

„Nach einem Tag auf der Piste vielleicht.“

Wieder schauderte sie.

„Solltest du bei Gelegenheit mal versuchen.“ Seine Stimme klang warm. „Du wirst sehen, ich habe recht. Wie hiermit.“

Sie hörte Wasser spritzen, und als sie sich umdrehte, sah sie gerade noch, wie er ein zweites Mal ins Wasser trat, sodass die Gischt den Saum ihres Kleides durchnässte.

„Ist doch gar nicht so schwer, oder?“, fragte er.

„Was?“ Ihr war, als würden in ihrem Bauch Luftblasen sprudeln.

„Sich geschlagen zu geben.“

Ohne nachzudenken, ging sie durch das Wasser auf ihn zu. Es war überhaupt nicht so kalt, wie sie erwartet hatte.

Entspannt lächelte er ihr entgegen. Selbstbewusst. Erfolgreich. Attraktiv.

Und interessiert. Sie konnte es kaum glauben, aber sein Lächeln ließ daran keinen Zweifel. Noch nie hatte jemand sie so unverhohlen gemustert. Schon gar niemand, der so attraktiv war.

Es war wie ein Rausch. Sie fühlte sich stärker und schöner und kühner als je zuvor in ihrem Leben. Plötzlich erwachte die Femme fatale in ihr. Wilde, schamlose Gefühle. Und in der Hitze der Mittagssonne gab sie ihrem Verlangen nach.

„Jetzt bin ich ganz feucht“, sagte sie. Ihre Blicke trafen sich. „Willst du nicht zu Ende bringen, was du angefangen hast?“

Seine Augen funkelten, als er auf sie zuschritt, und er lächelte verführerisch. Seine Stimme klang heiser. „An was hast du denn gedacht?“

Erregung ergriff von jedem Muskel ihres Körpers Besitz. Sie neigte den Kopf zurück, um den Blickkontakt zu halten. „Schlaf mit mir.“

3. KAPITEL

Mit den Fingerspitzen strich Jack über ihre Schlüsselbeine, dann hob er ihr Kinn an. „Bist du sicher?“

Wildes Verlangen durchströmte Kelsi. „Ja“, flüsterte sie.

Von der Sonne geblendet, schloss sie die Augen, als er sich zu ihr hinabbeugte. Ganz sanft streifte er ihre Lippen – hin und her – bis sie den Mund ganz leicht öffnete und sich auf die Zehenspitzen stellte, nach mehr verlangend.

Die Hände an ihrem Hinterkopf tauchte er mit der Zunge in ihren hungrigen Mund. Er streichelte sie – wild und leidenschaftlich und mit eindeutigen Absichten. Seine Direktheit erregte Kelsi umso mehr. Die Wucht ihres Verlangens überraschte sie – wie von seiner sinnlichen Ausstrahlung entfesselt, pulsierte es durch ihre Adern. Obwohl sie sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen fühlte, hatte sie die Chemie zwischen ihnen unterschätzt. Nach diesem ersten Kuss waren alle Hemmungen, jede Zurückhaltung, jedes Zögern vergessen.

„Kelsi“, murmelte er wenige Millimeter vor ihrem Mund. „Ich fliege morgen nach Kanada.“

Seine Worte drangen wie durch einen Nebel zu ihr. „Schön.“

Er lachte leise. „Ja, aber …“

„Schon gut, Jack.“ Sie fuhr mit den Fingern über sein Kinn. „Lass uns diesen Nachmittag einfach genießen.“

Hier an diesem Strand, an den seit ewigen Zeiten die Wellen schlugen, hatte sie das Gefühl, dass der Nachmittag so endlos war wie das Universum selbst. Dass Jack morgen fort sein würde, war einfach perfekt. So konnte sie nicht verletzt werden, wie so oft in der Vergangenheit. Zu oft. Es war ein befreiendes Gefühl, nur im Hier und Jetzt zu leben.

Er blickte ihr forschend in die Augen, bis er mit dem, was er sah, zufrieden schien. Und das sollte er auch, denn er fand absolute Hingabe darin. Es war, als hätte er einen Schalter in ihr umgelegt, doch sie hatte nicht geahnt, dass sie so leidenschaftlicher Gefühle überhaupt fähig war.

Jack war so groß, dass sie sich zurückneigen musste, um ihn zu küssen. Doch das war gut, denn er presste sie fest an sich, und die Berührung ließ ihre Nervenenden prickeln. Mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sie sich danach, mit ihm zu verschmelzen.

Es gelang ihr nicht, die Hüften stillzuhalten, jetzt, wo sie der Erfüllung so nah war. Eine Hand an ihrem Rücken, zog er sie noch näher, ahmte die Bewegungen der Vereinigung nach, sodass sie vor Lust schier verging.

Sekunden später war sie kurz davor, den Gipfel zu erreichen, stöhnte in seinen Mund, während die geballte sexuelle Energie in ihrem Körper danach drängte, sich zu entladen. Als er sich erneut von ihr löste, stöhnte sie noch lauter. Doch er ging um sie herum, Küsse auf ihrem Gesicht und ihrem Hals verteilend, bis sie nach Atem rang. Mit den Fingern strich er über ihre Schultern, spielte mit den dünnen Trägern von ihrem Kleid. Bis er hinter ihr stand, sodass sie beide zum Horizont blickten. Doch war sie blind dafür, hilflos verloren in diesem Moment der Sinnlichkeit.

Als er mit den Händen an ihren Schenkeln entlangfuhr und dabei das Kleid hochschob, begann ihr Körper zu beben. Es kümmerte sie nicht, wie unmöglich andere es finden mochten, was sie hier taten. Wie schnell alles ging. Alles, was sie wollte, war seine Berührung – überall.

Obwohl jeder Muskel ihres Körpers angespannt war, wollten ihre Beine sie nicht mehr tragen. Sie lehnte sich an ihn. Die starken Hände um ihre Taille zog er sie auf die Knie, und erfrischend kühl umspülte das Wasser ihre Beine.

Während er ihren Hals küsste, versuchte sie, ihre Knie weiter zu spreizen, doch sie versanken nur tiefer im feuchten Sand. Jack kniete sich ebenfalls hin, die Brust an ihrem Rücken, die Beine außen an ihren Schenkeln, und sie spürte seine drängende Erregung. Ihr stockte der Atem, als er ihre Schultern küsste. Sein heißer Atem kitzelte ihre Brustspitzen.

Den Arm über ihrem Bauch fasste er unter ihr Kleid, hakte die Finger unter ihr Spitzenhöschen. Ihr lief ein wohliger Schauer über den Rücken, als er sie zärtlich streichelte – bis er ihre empfindlichste Stelle fand. Mit der anderen Hand liebkoste er ihre Brüste, massierte sie sanft, neckte ihre aufgerichteten Brustspitzen.

Kelsi drehte den Kopf und berührte seinen Mund mit ihren Lippen. Sie liebte seine wilden Küsse, liebte das Gefühl, ihm ganz ausgeliefert zu sein. Er war überall, und gefangen in seinen Armen hatte sie das Gefühl zu fliegen. Seine rhythmischen Liebkosungen, sein leidenschaftlicher Kuss waren süße Qual.

Mit den Händen strich sie über seine Oberschenkel, spreizte die Finger über seinen steinharten Muskeln, rieb mit wachsender Erregung immer ungestümer. Als Antwort wurden auch seine Berührungen schneller, drängender, intensiver.

Als er mit den Fingern in sie stieß, stöhnte sie auf. Sein Daumen massierte ihre empfindlichste Stelle, trieb ihre Erregung in ungeahnte Höhen – doch es war noch nicht genug. Sie ließ den Kopf zurück auf seine Schulter sinken. Er küsste ihren Hals, saugte daran, während er mit dem Finger tiefer in sie drang.

Stöhnend vor Verlangen, unfähig zu sprechen, ihm zu sagen, was sie wollte, mehr, alles, die absolute Erfüllung, grub sie die Finger in seine Schenkel, doch es war zu spät. Sie hatte das Gefühl, innerlich zu zerspringen, und er hielt sie fest an sich gedrückt, während ihre Erregung sich in süßen Wellen entlud.

Mit geschlossenen Augen schrie sie lustvoll auf, und ihre heisere Stimme hallte über den leeren Strand.

Am ganzen Körper bebend, ließ sie sich zurücksinken. Zärtlich strich er die Innenseite ihrer Oberschenkel und sandte heiße Blitze durch ihre Körper. Nicht Blut floss mehr durch ihre Adern, sondern gleißendes Licht – ein Kaleidoskop prachtvoller Farben und Empfindungen.

„Fühlst du dich jetzt besser?“, fragte er sanft an ihrem Ohr.

Obwohl sie langsam wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte, brachte sie keine Antwort heraus. Für das, was sie empfand, gab es keine Worte. Kein Mann hatte das je getan, kein Mann hatte sie je so gehalten, sich so ausschließlich auf sie und ihre Bedürfnisse konzentriert. Bei keinem Mann hatte sie sich je so lebendig, so befriedigt gefühlt, nie so ein intensives Verlangen verspürt.

Langsam drehte sie sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. Sie sagte kein Wort, verschränkte nur die Arme, zog sich das Kleid über den Kopf und warf es hinter ihn in den Sand.

Unverwandt blickte er sie an, doch sie sah, wie er schluckte, sah, wie seine Wangen sich röteten, sah den Schweiß auf seiner Stirn glänzen, seine angespannten Muskeln. Er wollte sie wirklich.

Sie war froh, dass sie für den Schönheitssalon heute Morgen ihren besten schwarzen BH und das passende Höschen angezogen hatte. Wie albern es war, sich für eine andere Frau hübsch zu machen, vor allem für eine, die einem die intimsten Stellen enthaarte. Doch jetzt genoss sie den kleinen Sieg, als er schwer atmend die schwarze Spitzenunterwäsche in sich aufnahm, die mehr zeigte, als sie verhüllte. Ihre Brüste drängten gegen den Stoff, ihr Höschen war feucht, doch das wusste er längst.

Als sie nach dem Saum von seinem T-Shirt griff, hob er die Arme, damit sie es ihm ausziehen konnte.

„Du willst alles?“, murmelte er heiser.

„Ja, bitte.“ Sie beugte sich vor und küsste seinen Hals, knabberte an seinem leicht stoppeligen Kinn.

„Bist du sicher?“

Sie hielt kurz inne, um ihm in die Augen zu sehen. „Willst du es nicht auch?“

„Oh, Süße.“ Er unterdrückte ein Lachen. „Du ahnst ja nicht, wie sehr. Aber du sollst nicht das Gefühl haben, als müsstest du …“

„Oh, aber ich muss unbedingt.“ Lächelnd fuhr sie mit den Händen über seine Brust und bewunderte seinen Körperbau. Er war groß und durchtrainiert, aber nicht bullig wie ein Bodybuilder, sondern eher schlank. Seine Haut spannte sich warm und glatt über den Muskeln, ohne ein Gramm Fett. Gestochen scharf wie ein Hochglanzfoto. Als sie die Fingerspitzen über seine appetitlichen Brustspitzen gleiten ließ, sah sie das Spiel seiner Muskeln.

Ja. Auch sie wollte es mehr, als er ahnte.

Die Hand an seinem Kopf, küsste sie ihn, sog seine Lippen in ihren Mund und verspürte die aufregende Freiheit, jede Fantasie mit ihm ausleben zu können. Denn es war alles wie ein Traum – ein traumhafter Moment an einem Traumstrand, den sie voll auskosten wollte. Mit den Händen umfasste er ihre Taille, und sie küsste ihn, wie sie nie einen Mann geküsst hatte – mit unverhüllter Leidenschaft, kein bisschen unsicher oder schüchtern oder ungeschickt, sondern einfach nur erregt, bereit, ihrem Verlangen, ihrer Lust nachzugeben.

Sie rückte näher, setzte sich auf seinen Schoß. „Komm.“ Sie wollte ihn in sich spüren, wollte sich ihm ganz hingeben.

„Nimm mich.“ Seine Augen funkelten.

Es war mehr als eine Aufforderung zum Spiel, und sie nahm die Herausforderung an. Sie würde dafür sorgen, dass er ebenso einen Orgasmus erleben würde wie den, der immer noch in ihr nachbebte und der in ihr die unstillbare Sehnsucht nach mehr geweckt hatte.

Während Jack sich nicht rührte, öffnete sie den Knopf seiner Shorts, zog den Reißverschluss auf – und erblickte ihn in seiner ganzen Pracht. Offenbar hielt er nichts von Unterwäsche. Die Hand an seiner Brust, drückte sie Jack nach hinten. Lächelnd ließ er sich auf den Sand sinken, wo das Wasser seinen Astralkörper umspülte. Nur in Unterwäsche setzte sie sich rittlings auf ihn und blickte auf dieses Abbild perfekter Sinnlichkeit herab.

Als erfahrener Liebhaber wusste er, was er tat, er wusste es ganz genau. Das war ihr nur recht, denn heute wollte sie nur das Beste. Bisher hatte sie im Bett wenig gute Erfahrungen gemacht und war selbst keine Leuchte, wie ihr Ex sie grausam aufgeklärt hatte. Doch der fantastischste Orgasmus ihres Lebens gab ihr Mut, und Jack machte nicht den Eindruck, als hätte er Grund sich zu beklagen.

Ihr Lächeln war also ebenso lasziv wie seines – bis ihr auffiel, dass sie nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Unentschlossen biss sie sich auf die Unterlippe und fuhr mit dem Finger über seine Haut, während sie überlegte. Als sie spürte, wie ihn ein wohliger Schauer durchlief, folgte sie der Spur mit den Lippen, und allzu bald wusste sie, was er wollte. Tief in ihr spürte sie das Verlangen, ihn in den Mund zu nehmen, ihn zu liebkosen, bis er nur noch Sterne sah. Und genau das tat sie jetzt.

Sie nahm ihn in die Hand, und er stöhnte, als sie ihn küsste. Sein ganzer Körper versteifte sich. Langsam ließ sie die Zunge um die Spitze seiner Erektion kreisen, dann öffnete sie den Mund und nahm ihn in sich auf. Mit der Hand folgte sie der Bewegung ihres Mundes, berauscht von seinem Duft und dem salzigen Geschmack, der Hitze der Sonne, die ihr auf den Rücken brannte. Sein Atem wurde schwerer, als sie nun mit beiden Händen und ihrer Zunge immer schneller wurde, immer heftiger saugte.

„Kelsi“, keuchte er. „Wenn du willst, was ich denke, musst du aufhören.“ Seine Finger gruben sich in ihre Arme. „Jetzt.“

Das Gesicht gerötet, hob sie den Kopf und sah zu ihm auf. „Ich will nicht aufhören.“ Sie wollte, dass er kam – ebenso intensiv und unkontrolliert wie sie.

Er schloss die Augen. Dann riss er sie plötzlich wieder auf, Entschlossenheit im Blick. Mit flinken Bewegungen zog er die Träger ihres BHs herunter, dann die Körbchen, sodass ihre Brüste in seinen Händen lagen.

„Wunderschön.“ Dann hauchte er heiße Luft auf ihre Brustspitzen, bevor er sie mit den Lippen umschloss.

Ihr Körper erbebte, und endlich lockerte sie ihren Griff. Daraufhin drehte er sie auf den Sand. Sie spürte, wie die Wellen an ihren Körper schlugen, während er ihren Bauch küsste und mit den Händen ihr feuchtes Höschen abstreifte.

Als er ihren entblößten Körper erblickte, weiteten sich seine Augen. „Du hast ja rote Haare.“

Frustriert schloss Kelsi die Augen. Sie hatte keine roten Haare. Schön wär’s – ein sattes kastanienrot zum Beispiel. In Wahrheit war sie orange. Wie eine Karotte. Außerdem hatte sie eine fast durchsichtige Haut und bekam schon Sommersprossen, wenn sie nur daran dachte, in die Sonne zu gehen. Als Kind war sie ständig gehänselt worden, und sobald sie alt genug war, hatte sie sich die Haare gefärbt.

Dort unten war sie jedoch immer noch orange, und obwohl sie oft daran dachte, verzichtete sie ihrer empfindlichen Haut zuliebe aufs Färben. Die Lust war ihr auf einmal vergangen, und sie wich verunsichert zurück, wollte sich am liebsten verkriechen, damit er sie nicht mehr ansah. Der jahrelange Spott holte sie wieder ein. Doch Jack ergriff ihre Hände und hielt sie mit dem Gewicht seiner Beine gefangen. Mit seinen blauen Augen schien er sie zu durchbohren.

„Sag nicht, dass du deswegen heute in den Schönheitssalon wolltest.“ Er fuhr mit dem Finger über den schmalen Haarstreifen, und plötzlich wollte sie gar nicht mehr weg. „Es ist wunderschön.“ Er streichelte sie weiter, dann beugte er sich herab und liebkoste sie langsam und genüsslich mit der Zunge. „Lass ja die Finger davon.“

Es war das erste Mal, dass ein Mann sein Gefallen bekundete. Die wenigen anderen, mit denen sie zusammen gewesen war, schien es höchstens zu amüsieren – was ihr nicht gerade das Gefühl gab, besonders sexy zu sein.

Als Jack bemerkte, dass sie sich nicht rührte, blickte er auf. „Das ist mein Ernst.“ Dann senkte er den Kopf wieder, um sie anders als mit Worten zu überzeugen.

Unter seinen Liebkosungen erwachte erneut brennendes Verlangen in ihr.

„Jack.“

„Ja.“ Er griff nach seiner Hose, die um seine Fußgelenke lag, zog sie ganz aus und holte ein Portemonnaie aus der Tasche, aus dem er ein Kondom nahm. Sie war froh, dass er daran gedacht hatte, denn in diesem Strudel der Lust hatte sie Verhütung völlig vergessen. Sekundenschnell streifte er es über und war wieder neben ihr, seine Hand auf ihrem Bauch.

„Seit dem Moment, wo ich dich zum ersten Mal sah, wollte ich dich“, sagte er geradeheraus. „Ging es dir auch so?“

„Natürlich.“ Mit den Fingern fuhr sie über sein Kinn, mit dem Daumen über seine Unterlippe. „Du siehst ziemlich gut aus.“

„Du hast mich verhext.“

Ihr Körper reagierte prompt auf das Kompliment. Ihre Brustspitzen wurden hart, die Innenseite ihrer Oberschenkel prickelte. Lächelnd klimperte sie mit den Wimpern und blickte kokett zu ihm auf. „Jetzt bin ich eine Hexe? Ich dachte, ich bin ein Vampir.“

Den Kopf zur Seite geneigt, musterte er sie eingehend. Sein Lächeln wurde breiter. „Eher eine Nymphe.“

„Oh-h-h.“ Sie wurde feuchter. „Eine Nymphe.“ Aufreizend presste sie ihre Hüften an ihn. „Findest du?“

„Eine sehr verführerische Nymphe.“ Er legte eine Hand an ihre Wange. „Ein Nymphe, die ich unbedingt haben muss.“

„Dann nimm mich.“

Der Sand war warm und feucht an ihrem Rücken, doch sein Körper strahlte glühende Hitze aus. Stirnrunzelnd stützte er sich auf. „Du bist winzig.“

Oh. Auch darüber hatte es in der Vergangenheit Beschwerden gegeben. Eigentlich brauchte sie nicht einmal einen BH.

„Ich möchte dich nicht zerquetschen“, erklärte er mit erstickter Stimme.

Oh. Er meinte gar nicht ihre Brüste. Zögernd blickte sie an seinem Körper hinunter. Zwar war er um Einiges größer als sie, aber sie war nicht aus Porzellan. „Keine Sorge.“

Doch er war ganz vorsichtig, als er sich auf sie legte – zu vorsichtig. Drängend bog sie sich ihm entgegen, presste aufreizend ihre Hüften an ihn, war nah genug, um ihre feuchte Erregung an seiner Männlichkeit zu reiben. Sie wollte keinen Blümchensex. Sie wollte wilden, leidenschaftlichen Sex. Und zwar sofort.

Mit seiner großen Hand packte er ihre Hüfte und stoppte sie. Ihre Blicke trafen sich, und dann drang er mit einer kräftigen Bewegung in sie ein. Ein geschickter, kräftiger Stoß. Sie schrie auf, als er sie ausfüllte.

„Zu heftig?“, stieß er hervor.

„Mehr“, flehte sie, halb wahnsinnig vor Lust. „Bitte mehr.“

Ein kurzes Zögern, dann stieß er erneut in sie.

Sie bebte vor Wollust, stöhnte laut, als er tiefer und tiefer in sie drang. Wie eine Ertrinkende sog sie die frische Seeluft in ihre Lungen. Und dann, ein paar Atemzüge später, fand sie neue Kraft, folgte seinem Rhythmus Stoß für Stoß, halb stöhnend, halb lachend, zog mit den Händen Spuren über seinen unglaublichen Körper und ergötzte sich daran.

Oh, war dieser Mann unersättlich. Und während sie zu einem einzigen, perfekten Rhythmus verschmolzen, drehte er sie mit einer schnellen Bewegung nach oben, sodass sie rittlings auf ihm saß und er unten war. Das Wasser, das ihre Körper umspülte, konnte sie nicht abkühlen.

Kelsi blickte auf ihn herab. „Ich möchte dich nicht zerquetschen.“

Laut stöhnend verstärkte er seinen Griff und setzte sich auf – in einem köstlichen Winkel, der ihr den Atem stocken ließ.

„Jetzt bist du fällig, Süße.“ Salzwasser tropfte aus seinem Haar, und er lächelte lasziv.

Ihre feuchten Oberkörper berührten sich, als er sie mit seinen großen Händen auf und ab bewegte. Bis sie stöhnte, nach Luft schnappte, ihn anflehte … Doch noch schenkte er ihr keine Erleichterung. Nein, stattdessen zog er sich zurück, legte Kelsi sachte auf den Sand, und die süße Qual begann erneut.

Gewärmt von der Sonne, umspült von den Wellen gaben sich ihre nackten Körper ganz der Wollust hin. Es gab keine Vergangenheit, keine Zukunft, keine Unschuld und keine Erfahrung. Nichts als sie beide und die Magie dieses Moments. Es war ein berauschendes Gefühl der Freiheit.

Blinde Berührungen, pure Sinnlichkeit, hemmungsloser Sex.

Und Ekstase.

Wilde Ekstase.

Kelsi öffnete ihre Augen nur einen winzigen Spalt und blinzelte in den strahlend blauen Himmel. Vollkommen nackt lag sie unter einem praktisch Fremden an einem einsamen Strand. Ihre Herzen schlugen im gleichen Takt, während die Wellen ihre Körper umspülten.

„Danke“, murmelte sie.

Sie spürte, wie er tief einatmete, spürte, wie er sich noch etwas mehr entspannte, als er ausatmete. „Es war mir ein Vergnügen.“ Auf eine Hand gestützt, lächelte er ein wenig schuldbewusst. „Ich wollte, dass dieser Ort dich verführt“, gab er zu. „Ich wollte dich verführen.“

„Und das war gut so.“

Jack lächelte.

Das Rauschen der Wellen hatte eine beglückende Wirkung auf sie. „Es ist so ein Klischee“, lachte sie leise.

„Eher eine universelle Wahrheit. Frische Luft tut gut.“

Frische Luft und ein Adonis, der jede erotische Fantasie wahr werden ließ.

„Aber du musst aus der Sonne“, warnte er und fuhr mit einem Finger über ihre Schulter, bevor er sich umdrehte und ins Wasser lief.

Als er hinausschwamm, kam es Kelsi einen Moment lang so vor, als existierte dieser Traummann nur in ihrer Fantasie.

Träge seufzend setzte sie sich auf und sah sich suchend nach ihren Kleidern um. Ihre teuersten Dessous trieben im Flachwasser, von Sand und Salzwasser ruiniert. Nachdem sie alles ausgewrungen hatte, verstaute sie Unterwäsche und Tuch in ihrem durchweichten Hut. Zum Glück war ihr Kleid etwas weiter am Strand gelandet und fast trocken geblieben. Zwar ließ sich der Sand aus dem Kleid einigermaßen herausschütteln, aber der halbe Strand klebte noch in ihrem Haar und an ihrem Körper. Es war ihr egal. Es war ihr vollkommen egal. Noch immer war sie wie berauscht von dieser einzigartigen sinnlichen Erfahrung.

Als sie sich umdrehte, kam Jack gerade aus dem Wasser. Der Abdruck ihrer Körper im Sand wurde langsam von den Wellen fortgespült. Einfach so. Als wäre nichts gewesen. Niemand würde je davon erfahren. Doch Kelsi wollte die Erinnerung festhalten. Wollte sie hüten wie einen Schatz.

Während sie ihr Kleid anzog und Jack in seine Shorts stieg, versuchte sie, nicht allzu auffällig zu ihm hinüberzusehen. Sein Körper war wirklich atemberaubend.

Verlegen räusperte sie sich. „Du fliegst also zum Training nach Kanada?“

„Ja. Ich bin viel geschwommen, um mich fit zu halten, aber ich will wieder auf die Piste.“ Nebeneinander gingen sie am Strand zurück und bogen in Richtung Parkplatz ab. Aus dem Augenwinkel betrachtete Kelsi seinen halbnackten gebräunten Körper.

Ihr Innerstes öffnete sich, ihre Brüste spannten sich, als sie noch einmal an die köstlichen Momente zurückdachte, die viel zu schnell vergangen waren. Wenn sie beim Auto waren, würde der Zauber brechen. Doch sie wollte die Magie noch einmal spüren. Wollte ihn noch einmal spüren. Ein letztes Mal.

Kelsi schluckte schwer und versuchte, ihren beschleunigten Puls zu beruhigen, während sie sich dem Auto näherten. Sie wollte, dass er sie küsste, wollte alles wiederholen und noch mehr. Dieses unersättliche Verlangen erfasste sie von neuem. Sie stolperte.

Jack packte sie am Handgelenk. „Kelsi?“ Sanft zog er sie an sich.

Von Gefühlen überwältigt, blickte sie zu ihm auf. Nie hatte sie so empfunden, nie sich so begehrt gefühlt, nie einem Mann so nah. Nie war sie so intensiv gekommen wie bei ihm.

Und sie war so dankbar, dass sie fast in Tränen ausbrach.

Jack hob sie hoch, um sie erneut zu küssen, wobei er ein frustriertes Stöhnen unterdrückte – wie ein Bär, der soeben aus dem Winterschlaf erwacht und völlig ausgehungert war. Sein Körper bebte vor Verlangen – doch es durfte nicht sein.

Als er sie auf die Kühlerhaube ihres Wagens setzte, zitterte sie.

„Ich hatte nur das eine Kondom.“ Er seufzte. „Kinder gehören nicht zu meinem Plan.“

„Nein“, pflichtete sie ihm bei.

„Wir müssen aufhören.“

„Mmm …“ Zärtlich strich sie ihm über die Brust.

Er packte ihre Hände. „Das ist nicht hilfreich, Kelsi.“

Doch er konnte der Versuchung, sie zu küssen, einfach nicht widerstehen. Nicht, wenn sie ihn so enttäuscht ansah, wie er sich fühlte. Er mochte wilden, leidenschaftlichen Sex. Hart und schonungslos, bis zur totalen Erschöpfung. Wie bei allem ging er gern an seine Grenzen. Der Strand war für ihn die bisher extremste Erfahrung gewesen. Nie hätte er gedacht, dass er so schnell danach schon wieder bereit war. Doch es waren keine fünfzehn Minuten vergangen.

Innerlich fluchend küsste er diese überraschend unersättliche Frau, die nicht weniger hungrig schien als er selbst und mit der er gerade den überwältigendsten Sex seines Lebens gehabt hatte. Dennoch zwang er sich zur Zurückhaltung.

Aber er konnte einfach nicht aufhören, sie zu küssen, zu berühren, während sie an seiner Unterlippe saugte, die Finger in seinem Haar.

Ja, ihre Küsse waren unwiderstehlich. Und der Gedanke, wieder in ihr zu sein, ließ ihn nicht los. Er konnte sie mit in sein Hotel nehmen und die Nacht mit ihr verbringen. Mit ihr fühlte er sich unbesiegbar, unerschöpflich. Die erotische Anziehungskraft zwischen ihnen war erstaunlich, wenn man bedachte, wie unterschiedlich sie äußerlich waren.

Inzwischen hatte sie Farbe bekommen. Mit rosaroten Wangen sah sie viel hübscher aus als so leichenblass wie kurz nach dem Unfall. Die frische Luft bekam ihr.

Als er aufblickte, sah er, dass der Himmel sich verdunkelte. Schwere Wolken zogen sich zusammen. Canterbury war berüchtigt für schnelle Wetterumschwünge, und plötzlich schien aus dem Sommer Winter geworden zu sein. Der Wind frischte böig auf, und er konnte die Gänsehaut auf Kelsis Oberarmen sehen.

„Wir müssen zurück in die Stadt“, sagte er schroffer als gewollt. „Es fängt gleich an zu regnen.“

Ihre Augen verdunkelten sich vor Enttäuschung, und zum ersten Mal sah er, wie müde sie war. Deshalb küsste er sie erneut und rieb mit den Händen sanft ihre Oberarme. Dann sagte er: „Ich fahre.“

Er sah ihr Zögern, wusste, dass sie widersprechen würde, deshalb küsste er sie einfach so lange, bis er spürte, dass sie sich entspannte. Dann wiederholte er seine Absicht und lächelte, als sie eine Zustimmung murmelte.

Nach zehn Minuten Fahrt hatte sie sich in ihren Sitz gekuschelt und war eingeschlafen. Lächelnd. Sie sah so süß aus. So verletzlich. Und so gar nicht sein Typ. Hoppla, dachte er und blickte wieder auf die Straße.

Obwohl sie so abgeklärt tat, war sie in ihrem tiefsten Innern sehr sensibel. Er hatte gesehen, wie sehr der Unfall sie mitnahm. Doch als sie ihn am Strand verführte, hatte er es schlicht und ergreifend vergessen. Außerdem war sein Verlangen zu groß gewesen, um darauf Rücksicht zu nehmen. Er hatte sie gewollt, und er hatte sie bekommen – wie immer.

Aber sie war eine zarte Seele. Und wenn sie noch mehr Zeit mit ihm verbrachte, würde diese zarte Seele noch beschädigt. Mit Frauen, die genauso stark waren wie er, hatte er gern Spaß. Frauen, die Sex ohne Gefühle verkrafteten. Kelsi verkraftete nicht mal einen Beinaheunfall. Wahrscheinlich stand sie immer noch unter Schock, und er hatte die Situation schamlos ausgenutzt.

Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Er wollte ihr wirklich nicht wehtun, und er hatte in ihren Augen gesehen, wie verletzlich sie war. Kelsi war keine Frau für eine Nacht.

Während er auf der Stadtseite des Berges an einer roten Ampel wartete, weckte er sie mit einem letzten, zärtlichen Kuss. „Wo wohnst du?“

Sie erwachte, blinzelte verschlafen und sagte es ihm. Ohne Umwege fuhr er dorthin, entschlossen, dieses prickelnde Intermezzo zu beenden, ehe er erneut in Versuchung geriet.

„Soll ich dich nicht irgendwo absetzen?“ Träge richtete sie sich auf.

Er schüttelte den Kopf. „Ein kleiner Spaziergang wird meinem Knie guttun.“

Wenn sie auch nur in Nähe seines Hotels kam, konnte er für nichts garantieren.

„Großes Haus“, bemerkte er, als er davor hielt.

Ihre hübsche Nase kräuselte sich. „Es wurde in vier Wohnungen umgewandelt. Drinnen ist alles verbaut.“

Eingehend betrachtete er das alte herrschaftliche Haus. Eines der letzten alten Häuser in der Straße. Ein Schild im Vorgarten verkündete, dass es zum Verkauf stand. Wahrscheinlich würde Kelsi also bald umziehen müssen. Man würde das Haus abreißen und an seiner Stelle zehn neue bauen. Dasselbe war mit dem Rest der Straße geschehen. Schade um die alte Dame, die zwar ziemlich heruntergekommen, aber immer noch prachtvoll aussah.

Das flaue Gefühl im Bauch ignorierend, stieg er aus dem Wagen. Er mochte keine ausgedehnten Abschiede. Doch sie stand vor ihm, die nackten Füße auf Zehenspitzen, die Finger sanft an seinem Kinn.

„Du hattest recht, weißt du?“, sagte sie schlicht. „Vielen Dank, Jack.“

Er schluckte, nickte und brachte es einfach nicht fertig, sie zu küssen. Irgendwie kränkte es ihn ein bisschen, dass sie den endgültigen Abschied einfach so hinnahm. Ihm war nicht wohl dabei, dass sie ihm dankte, als habe er eine Dienstleistung erbracht – wie ein Masseur zum Beispiel.

Vielleicht war sie doch abgebrühter, als sie aussah. Vielleicht sollte er sie einfach ins Haus begleiten und ihr Bett testen. Doch sie entfernte sich bereits. Als wäre es ihr völlig egal – und das war ja auch besser so.

„Viel Glück beim Training“, rief sie.

Er blieb auf dem Gehweg stehen und sah sie die große Holztür öffnen. Die Versuchung, ihr zu folgen, sie zu erneut zu verführen, war groß, und so wagte er erst, sich zu rühren, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. Dann drehte er sich um und ging. Es war nichts weiter als ein schöner Tag am Strand mit einem netten Mädchen gewesen. Das war alles. Nichts sonst. Nichts Ernstes.

Doch er wurde das Gefühl nicht los, dass er mit Kelsi auch einen Teil von sich selbst zurückließ.

4. KAPITEL

Es gab immer eine Nadel, die die Seifenblase platzen ließ. Und Kelsi brauchte nicht lange, um sie zu finden. Sie brauchte nur „Jack“ und „professioneller Snowboarder“ und „Neuseeland“ in ihren Computer eingeben.

Zu Jack Greene gab es unzählige Internetseiten. Und kein Wunder, dass er aussah, als wäre er einem Katalog entsprungen – denn das war er tatsächlich. Er modelte für die Snowboardladenkette, wo er ihr den Hut und das Tuch besorgt hatte. Für deren exklusiv in Neuseeland hergestellte Snowboardkleidung. Er war ihr Gesicht.

Nicht nur das. Er war auch der Jack Greene vom Pure Greene Trust, der sich dem Schutz der Karearea widmete – wie die Maori den neuseeländischen Falken nannten – und ihm gehörte eine privates Skigebiet. Nur wenige Stunden mit dem Auto von Christchurch entfernt, war es im Winter ein begehrtes Ziel für Neuseelands Sportelite und die Superreichen und Schönen. Heimat einer exklusiven, nachhaltigen Luxuslodge, wo Hollywoodstars abstiegen, wenn sie drehfrei hatten. Kelsi stand der Mund offen, als sie die Bilder auf der Internetseite ansah. Der Mann war steinreich.

Außerdem gab es Videoclips, die sie völlig gefangen nahmen. Manchmal musste sie die Hand vor die Augen halten, wenn er Schwerkraft, Logik und gesundem Menschenverstand trotzte und von Klippen sprang, sich dreißig Mal in der Luft drehte und dann lässig auf dem Schnee landete und auf seinem Snowboard weiterzischte. Eine falsche Bewegung und er hätte sich sämtliche Knochen gebrochen.

Und dann waren da die Frauen. Auf Twitter berichteten sie, wenn sie ihn irgendwo gesichtet hatten, und stellten Fotos ins Netz, auf denen sie neben Jack in die Kamera lächelten. Auf Facebook gab es nicht weniger als fünf Fanseiten – mit alten Modelfotos und Aufnahmen, die ihn hoch in der Luft bei irgendwelchen Sprüngen zeigten.

Dass es eine so große Snowboardszene gab, hatte Kelsi nicht gewusst. Wie Rockstars schienen auch Snowboarder Groupies zu haben – schöne, sportliche Frauen mit langen Beinen und offensichtlich zu allen Schandtaten bereit. Manche von ihnen vollführten selbst halsbrecherische Sprünge, manche trugen auf der Piste Bikinis.

Also warum hatte Jack Greene sich überhaupt mit ihr abgegeben?

Wahrscheinlich war er aus purer Langeweile einem spontanen Impuls gefolgt. Um sich vor dem langen Flug noch ein bisschen zu amüsieren. Es war die einzige Erklärung. Wie langweilig sie ihm vorgekommen sein musste. Zum Glück war sie beim Abschied cool geblieben. Obwohl sie heimlich gehofft hatte, er würde sie bitten, den Tag mit ihm zu verbringen.

Noch nie hatte sie so spontanen, sinnlichen Sex gehabt. Noch nie draußen. Nie einen One-Night-Stand. In einer ihrer insgesamt zwei Beziehungen hatte Sex überhaupt nur im Dunkeln und unter der Bettdecke stattgefunden.

Am nächsten Morgen erwachte sie mit schwerem Herzen und musste sich zwingen aufzustehen. Sie versuchte sich einzureden, alles wäre nur ein Traum gewesen. Doch die köstlichen Male auf ihrer Haut, die schmerzenden Muskeln, die pulsierende Sehnsucht nach mehr straften sie Lügen.

Mehr. Immer verlangte sie mehr – vom Leben, von den Männern, von sich selbst. Seufzend schlug sie die Bettdecke zurück. Wie sollte sie ihren Kollegen in die Augen sehen? Wie sollte sie ihnen erklären, warum sie den Termin verpasst hatte?

„Wow, du siehst toll aus“, wurde sie von Tom begrüßt, der seinen Tisch auf der anderen Seite der Trennwand hatte. „Du strahlst geradezu.“

Wahrscheinlich der leichte Sonnenbrand, den sie am ganzen Körper hatte und vom Hals abwärts unter einem hauchdünnen schwarzen Outfit verbarg.

„Was hast du machen lassen?“ Tom starrte sie immer noch an.

Kelsi errötete. „Ein ganz neues Sandpeeling.“

„Sand? Vom Toten Meer oder so?“

„So ähnlich.“ Das war noch nicht einmal gelogen.

„Wahnsinn.“ Toms Augen waren vor Staunen geweitet. „So ein Sandpeeling muss ich auch mal für meine Freundin buchen. Es scheint ja Wunder zu wirken.“ Er trat einen Schritt auf sie zu und blickte ihr in die Augen. „Welche Farbe?“

„Rosa.“ Heute brauchte sie so etwas wie eine rosarote Brille, um den Tag zu überstehen.

Kelsi nahm ihre Feuchtigkeitscreme aus der Schublade und cremte sich die Hände ein, während sie ihre E-Mails checkte. Dann zwang sie sich, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Vielleicht war es vererbbar, auf Schürzenjäger hereinzufallen, denn ihre Mutter hatte denselben Fehler begangen. Kelsis Vater war ein richtiger Don Juan gewesen. So schwer sie sich das auch vorstellen konnte. Doch sein Haar war eher rotblond als rot, seine Haut nicht ganz so blass und weniger sommersprossig. Und er war unglaublich charmant gewesen.

Ihre Mutter hatte ihm immer wieder verziehen, bis er sie schließlich endgültig verließ. Da hatte er eine andere Frau gefunden, mit der er die perfekte Familie gründen konnte. Diese Frau hatte die hübsche Tochter, die seine leibliche Tochter nie sein würde. Und auch Kelsi war ihm aufgesessen, hatte seine Lügen geglaubt und war immer wieder enttäuscht worden.

Allerdings spielte Jack Greene in einer anderen Liga als ihr Vater. Jack war ein Siegertyp, wie sie jetzt wusste. Was sie nicht überraschte. Erfolg und Erfahrung mit Frauen waren ihm anzumerken. Und wenn er eine Frau erobert hatte, suchte er neue Herausforderungen. Ein Leben auf der Überholspur.

Und das war in Ordnung. Sie machte ihm keinen Vorwurf. Schließlich hatte er ihr nichts versprochen. Er hatte ihr ganz im Gegenteil behutsam eingeschärft, dass sie sich keine falschen Hoffnungen machen sollte.

Natürlich hatte er genau gewusst, wie er sie ansehen, wie er sie berühren musste, sodass es schier unmöglich war, Nein zu sagen. Er war ein Meister der Leidenschaft. Der ultimative Playboy. Und obwohl es nicht verboten war, in Erinnerungen zu schwelgen, war es wahrscheinlich das Beste, ihn einfach zu vergessen. Es war nichts Besonderes gewesen – jedenfalls nicht für ihn.

Doch egal, wie oft sie ihr Auto staubsaugte, sie bekam den Sand nicht ganz weg. Schließlich leistete sie sich eine professionelle Autoreinigung. Danach roch der Wagen so stark nach Chemie, dass sie Kopfschmerzen bekam. Immer noch besser als der Duft nach Sonne und Strand und Sex, der noch Tage später in der Luft hing. Jedes Mal, wenn sie einstieg, sah sie ihn wie eine Fata Morgana vor sich – seine breiten Schultern, den Kopf auf ihrem Schoß, als er ihren Schuh auszog. Ja, in ihrer Fantasie sah sie viel zu oft seinen Kopf in ihrem Schoß.

Vielleicht hatte sie eine heimliche Schwäche für heißen Sex am Strand. Vielleicht sollte sie es noch einmal probieren. Doch der Gedanke an andere Männer war ihr zuwider. Kein anderer wirkte attraktiv auf sie, kein anderer ließ sich mit ihm vergleichen. Sie bekam ihn einfach nicht aus dem Kopf. Sie träumte von ihm oder meinte, ihn irgendwo zu sehen. Im Büro starrte sie ständig aus dem Fenster und hing ihren Tagträumen nach.

Um die Erinnerungen zu verdrängen, arbeitete sie noch härter als zuvor, nahm verschiedene neue Projekte an. Sie machte so viele Überstunden, dass sie am Ende eines jeden Tages erschöpft genug war, um einzuschlafen – auch wenn sie nachts immer wieder aus dem Schlaf schreckte.

Wochen später parkte sie, völlig erschöpft von der Arbeit, vor ihrer Wohnung. Das alte Haus war noch immer nicht verkauft, und obwohl sie als einziger Mieter noch in dem großen Gebäude wohnte, war sie froh darüber.

Nachdem sie das Auto abgeschlossen hatte, sah sie, dass jemand auf der Veranda saß. Ihre Schritte verlangsamten sich, als sie sich näherte, nicht sicher, ob sie ihren Augen trauen sollte. Das Haar, das Gesicht, vor allem der Körper kamen ihr vertraut vor. Seit einem Monat träumte sie von nichts anderem.

Wie angewurzelt blieb sie am Fuß der Treppe stehen.

„Hey, Kelsi.“ Mit athletischer Anmut stand er auf und lächelte.

„Jack.“ Sie schluckte. „Was für eine Überraschung.“

„Ja“, pflichtete er ihr bei. „Ich wollte dich sehen.“

Warum? Alle möglichen Gründe schossen ihr durch den Kopf, doch keiner schien plausibel. Wahrscheinlich war er nur zufällig in der Gegend.

Sie wagte nicht zu fragen, wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen, denn das Beste an der Zeit mit Jack war, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, sie zurückzuweisen – und die wollte sie ihm auch jetzt nicht geben. Stattdessen wählte sie eine sichere Frage. „Willst du auf einen Kaffee reinkommen?“

Eine nicht ganz uneigennützige Einladung. Vom Kaffee würde sie einen klaren Kopf bekommen. Vielleicht war das alles ja nur ein Traum.

„Danke, gern.“

Jack konnte den Blick nicht abwenden, als er Kelsi die Stufen hinauf folgte. Eine Mütze bedeckte ihr Haar, nur ein paar blonde Strähnen ragten darunter hervor. Ihr Gesicht war blass wie immer, aber ihre Augen waren silbern, sodass man sich fast darin spiegeln konnte. Perfekt abgestimmt auf das silbern schimmernde Kleid, das sie über dem schwarzen Stoff trug, der fast jeden Zentimeter ihrer Haut bedeckte. Eine ätherische Nymphe der Nacht, die ihn wahnsinnig erregte.

Am liebsten hätte er ihr den glänzenden dünnen Stoff vom Leib gerissen, um den perfekten zierlichen Körper darunter zu enthüllen. Er wollte ihre wahre Augenfarbe sehen, die sie so konsequent verbarg – den wahren Ausdruck ihrer Augen. Ihr ganzes Outfit war Tarnung. Ebenso wie ihre kühle Reaktion auf seinen Besuch – hoffte er jedenfalls, denn er war von anderen Frauen einen herzlicheren Empfang gewohnt. Aber Kelsi war eben nicht wie andere Frauen. Das war das Problem – sie war die Einzige, die ihm nicht aus dem Kopf ging.

Vor ihm schloss sie die Tür auf. Er konnte sehen, dass ihr Atem beschleunigt, ihre Wangen leicht gerötet waren, und spürte, wie intensiv er selbst auf sie reagierte. Seit Wochen dachte er nur noch daran, wie sinnlich sie an diesem verrückten Tag am Strand gewesen war. Wie süß, wie wild, wie sexy.

Allmählich begann sein Training darunter zu leiden, dass er mit seinen Gedanken ständig woanders war. Er musste dringend etwas unternehmen, um Kelsi aus dem Kopf zu bekommen. Nie zuvor hatte eine Frau ihn so aus der Bahn geworfen. Nie zuvor hatte er für eine Frau seine Pläne geändert. Natürlich ahnte sie nichts davon – und sie würde es nie erfahren. Nein, er musste sich Kelsi endgültig aus dem Kopf schlagen. Er durfte nicht zulassen, dass sein Privatleben sein Training beeinträchtigte. Die Goldmedaille gehörte ihm.

Nur hatte er gehofft, eine kurze Begegnung würde reichen, um ihn zur Vernunft zu bringen und ihm begreiflich zu machen, dass sie gar nicht so hinreißend war wie in seiner Erinnerung.

Doch jetzt war er hier, und jetzt war alles nur noch schlimmer. Alles, was er wollte, war, sie zu besitzen, sie kennenzulernen, sie zum Lachen zu bringen. Sie war genauso süß, wie er sie in Erinnerung hatte, genauso verrückt, genauso atemberaubend. Sie trug auch wieder turmhohe Plateau-Schuhe, die ihr wahrscheinlich die Zehen zerquetschten, und dennoch brannte sein Verlangen heißer als ein Meteor, der in die Atmosphäre eindrang.

Kelsi dagegen war distanziert und mied seinen Blick. So eine Reaktion war er nicht gewohnt.

Um Zeit zu gewinnen, sah er sich in ihrer kleinen Wohnung um. Und es gab viel zu sehen, denn sie war von oben bis unten vollgestellt mit allem möglichen Kram. Bücher, zum Beispiel, die eine ganze Wand einnahmen. Er überflog die Buchtitel. Viele hatte er gelesen, doch er bewahrte sie nicht auf. Er gab sie weiter, ließ sie irgendwo zurück.

Kelsi dagegen war offensichtlich ein Mensch, der alles aufbewahrte. Jeder Zentimeter ihrer Wohnung offenbarte einen ausgesuchten Geschmack und vielseitige Interessen. Das Chaos, das ihn umgab, bereitete ihm Kopfschmerzen. Es kam ihm vor, als würden die Wände näherrücken. Jack bewahrte nie etwas auf, konnte keinen Ballast brauchen, wollte frei und unabhängig sein.

Blinzelnd betrachtete er das Durcheinander von Gegenständen, doch allmählich begann er in dem ganzen Chaos eine gewisse Ordnung zu erkennen. Alles hatte seinen Platz. Und es gab die verrücktesten Sachen. Wie die winzige Wendeltreppe in einer Ecke, die in der Wand endete. An die Wand war nicht, wie man vielleicht erwartet hätte, eine Tür gemalt, sondern ein japanischer Fächer.

„Warum?“ Er deutete auf das Bild und sah Kelsi fragend an.

Flüchtig blickte sie zu der Minitreppe hinüber. „Warum nicht?“

Okay. Er schmunzelte. Er hätte es wissen sollen. Und, oje, ihre abweisende Haltung reizte ihn. Um auf andere Gedanken zu kommen, wandte er sich ab, sonst hätte er sie noch an sich gerissen wie ein Höhlenmensch, und er hoffte doch inständig, sich besser beherrschen zu können als ein Höhlenmensch. Vielleicht war ihre Zurückhaltung ja ein Zeichen dafür, dass sie bereute, was zwischen ihnen vorgefallen war. Hoffentlich nicht. Denn alles, was er bereute, war, dass er gegangen war. Hätte er sie damals mit in sein Hotel genommen, würde nicht dieses ungestillte Verlangen in ihm brennen.

An einer der Wände prangte ein riesengroßer, vergoldeter Bilderrahmen. Doch er war leer. „Erklär mir das.“

„Sieh hin.“ Sie drückte einen Schalter, und auf der weißen Wand im Rahmen erschien plötzlich ein Bild.

Jack sah nach oben – unter der Decke hing ein alter Diaprojektor. Er blickte zurück zum Bilderrahmen, und Kelsi klickte sich durch eine Reihe von Dias – hauptsächlich moderne Malerei. Offen gesagt, ziemlich seltsame Malerei.

„Du hast Kunst studiert“, stellte er fest.

„Kunstgeschichte, ja.“

„Aber du malst?“

Sie runzelte die Stirn. „Ich experimentiere nur gern.“ Es folgten weitere gewöhnungsbedürftige Bilder.

„Hast du keine Landschaften?“, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen.

„Du meinst Berge und so was?“

„Ja.“ Er lächelte.

„Nein“, erklärte sie schlicht und legte die Fernbedienung beiseite.

Jack lachte leise und sah sich weiter um. Auf dem Tisch stand eine einzelne Blume – die so empfindlich aussah, als dürfte man sie nicht berühren. Doch Kelsi hatte sie in eine alte Glasflasche gestellt, auf der „Gift“ stand. Er schmunzelte über den Stilbruch. Dann fiel sein Blick wieder auf die Treppe ins Nirgendwo, die Bilder, die Vasen, den kitschigen Nippes auf einem Regal und das vollkommen leere Regal daneben. „Du hast ganz schön seltsame Sachen.“

„Sachen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt einen Sinn ergeben“, gab sie zu. „Dadurch wird meine Fantasie, meine Kreativität angeregt.“

Durch Plastiktiere, die die Wand hochlaufen? Skeptisch betrachtete er das Nashorn, an dessen Horn ein kleiner Flaschenöffner hing.

„Die ganze Welt steckt voller Geheimnisse“, fuhr sie fort. „Darauf kommt es an.“

Er sah sie an. Ja, eines dieser Geheimnisse stand direkt vor ihm. Adrenalin pumpte durch seine Adern, drängte ihn zu kämpfen, zu gewinnen. In diesem Moment wollte er sie mehr, als er je eine Frau gewollt hatte.

Jack blickte sie unverwandt an. Stand einfach da und starrte sie an, bis ihr so heiß wurde, dass sie sich fühlte wie knuspriger Frühstücksspeck auf dem Grill.

„Was tust du eigentlich hier?“, fragte sie, ohne nachzudenken.

„Ich frage mich, ob du echt bist oder eine durch Jetlag verursachte Halluzination.“

Jetlag? War er gerade aus Kanada zurückgekommen?

„Und wie willst du das herausfinden?“ Kelsi stockte der Atem.

Er lächelte lasziv, und sie war so geblendet, dass sie blinzeln musste. Oh, er war aber auch so attraktiv. Ein einziger Blick von ihm, und schon drohte sie all ihre guten Vorsätze zu vergessen.

Sie beugte sich vor – gefährlich nah. „Ich bin nur eine Illusion“, flüsterte sie.

Er lachte leise.

„Wie war deine Reise?“ Sie wich zurück und beschäftigte ihre Hände, in dem sie in die Küche ging und Tassen aus einem Regal nahm. „Ist das Training gut gelaufen?“

„Nicht so gut wie erwartet.“ Er folgte ihr und lehnte sich in den Türrahmen.

„Nein?“

Sein Gesichtsausdruck sagte alles. „Mein Knie braucht doch länger, als wir gedacht haben. Ich bin zurück, weil ich nochmal zum Physiotherapeuten muss. Im Schnee komme ich nur auf dumme Gedanken.“

„Oh.“ So weit sie gesehen hatte, bereiteten ihm die Stufen keine Probleme, und er bewegte sich geschmeidig wie ein Panther. Doch halsbrecherische Sprünge verkraftete sein Knie wahrscheinlich noch nicht wieder.

„Was ist mit dir? Geht es dir gut?“ Er trat neben sie an den Küchentresen. Überwältigend, schwindelerregend nah.

Sie starrte auf den Saum seines T-Shirts und musste sich zwingen, weiter zu atmen. Sie durfte jetzt nicht überreagieren. Auf keinen Fall durfte er merken, was er in ihr auslöste – das war einfach zu peinlich. Der Mann war Profi – beim Sport und beim Sex. Und sie war nur eine von vielen. Am besten, sie sorgte für einen Lacher und tat, als würde ihr das alles nichts bedeuten.

„Ehrlich gesagt, nein“, sagte sie mit fester Stimme. „Mein Leben ist nicht mehr dasselbe, seit du fort bist.“

Er erstarrte. „Nein?“

„Nein“, bestätigte sie düster. „Deinetwegen bin ich fürs Leben gezeichnet.“ Mit dramatischer Geste zeigte sie auf ihre Nase. „Ich habe drei neue Sommersprossen.“

„Sommersprossen“, echote er verblüfft. „Du hast Sommersprossen bekommen.“

„Drei Stück“, nickte sie eifrig. „Von der Sonne.“

Mit einem Krokodilslächeln lehnte er sich an den Küchentresen.

Sie lächelte zurück. „Dir ist offenbar nicht bewusst, wie ernst die Sache ist.“

Er lachte. Dann verstummte er plötzlich und rieb sich stöhnend die Brust. „Verdammt, für einen Moment dachte ich, es sei etwas Schlimmes.“

„Was könnte schlimmer sein?“, fragte sie ungläubig.

„Irgendwelche Spätfolgen von unserem Tag am Strand.“

„Sommersprossen sind eine Spätfolge“, widersprach sie. „Man wird sie nie wieder los. Nie wieder. Glaub mir, ich habe es versucht.“

„Aber Kinder sind schlimmer.“ Kopfschüttelnd lächelte er. „Ich dachte, du willst mir sagen, dass du schwanger bist.“

Schwanger?

Auch Kelsi lachte – kicherte wie ein albernes Schulmädchen.

Doch während ihr eigenes Lachen ihr in den Ohren klang, begann ihr Gehirn zu arbeiten. Ihr Lachen erstarb.

„Kelsi?“

Kopfschüttelnd wandte sie sich von ihm ab und versuchte, sich zu konzentrieren. Schwanger. Nein. Hatte sie nicht zwischendurch ihre Tage gehabt?

„Es ist einen Monat her, Kelsi. Müsstest du das nicht inzwischen wissen?“

Natürlich, wenn sie darauf geachtet hätte. Aber um sich abzulenken, hatte sie so viele Überstunden gemacht, dass sie gar nicht wusste, wo ihr der Kopf stand.

An ihren Zyklus hatte sie nun wirklich nicht gedacht. Sie hatte ja nicht einmal Zeit gehabt, sich die Haare nachzufärben, weshalb sie im Moment immer Mützen trug.

„Kelsi?“

Ihre Gedanken fuhren Karussell. Wann war ihre letzte Periode gewesen? Ihr Kopf war leer. Eine Leere, die nichts Gutes bedeuten konnte.

„Ich habe ein Kondom benutzt.“ Offenbar dachte er dasselbe.

„Ja.“ Ihre Stimme überschlug sich. „Bist du sicher, dass es dicht war?“

Er starrte sie an, ohne sie wirklich zu sehen. Bis zur Hüfte im Wasser hatten sie immer wieder die Stellung gewechselt, ohne dabei groß auf das Kondom zu achten.

Sein Gesicht versteinerte sich von Sekunde zu Sekunde mehr. „Danach war ich schwimmen. Ich habe es einfach in die Tasche gesteckt und später weggeworfen.“

Also wusste er nicht, ob es gehalten hatte. Bei der Belastung, der es ausgesetzt war, war es wahrscheinlich gerissen.

Oh, nein.

„Komm mit“, sagte er unvermittelt, nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her aus der Wohnung wie ein Holzspielzeug auf Rädern.

Er setzte sich auf den Fahrersitz ihres Wagens. „Schlüssel.“

„Ich dachte, du gehst lieber zu Fuß“, stichelte sie.

„Im Moment würde ich am liebsten rennen.“

Ha, ha.

Sie stieg ein und presste die Hände vor der Brust zusammen. „Wo fahren wir hin?“

„Zum Supermarkt.“

Verständnislos sah sie ihn an.

„Um einen Schwangerschaftstest zu kaufen.“

In Supermärkten gab es Schwangerschaftstests? Woher wusste er das?

„Dort gibt es alles. Wenn nicht, versuchen wir es in der Apotheke.“

Aber der Supermarkt hatte Schwangerschaftstests – gleich neben Gleitgel und genoppten Kondomen.

„Ich kann das nicht.“ Ihr Blick wanderte zu den Pflastern – bunte Kinderpflaster mit Comicfiguren darauf. Von dem anderen Regal sprangen ihr Kinderzahnpasta, Kindershampoo, Babypuder ins Auge. Ein Stück weiter standen die Windeln – Windeln!

Nein, nein, nein und nochmals nein.

Statt einer Antwort griff Jack nach zwei verschiedenen Schachteln. Dann packte er Kelsi wieder am Arm, dirigierte sie zu den Getränken.

„Ich mag am liebsten Apfelsaft“, sagte sie, um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie die Kontrolle nicht völlig abgegeben hatte.

„Hier muss doch irgendwo eine Toilette sein.“ Suchend blickte er sich um.

„Ich werde diesen Test nicht auf einer öffentlichen Toilette machen.“ Empört schüttelte sie den Kopf. „Ich fahre nach Hause.“

Zwar runzelte er die Stirn, doch er nickte. „Ich komme mit.“

Ein Blick in seine Augen verriet ihr, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. Weil sie keine Lust auf den abschätzenden Blick der Kassiererin hatte, ging sie vor.

Als er ins Auto stieg, reichte er ihr den Saft. Sie hielt die Flasche fest umklammert, brachte jedoch keinen Tropfen herunter. Auf dem kurzen Fußweg zu ihrer Wohnung blieb Jack dich hinter ihr. Als sie die Tür aufschloss, spürte sie seinen Atem auf ihrer Schulter, doch als er ihr ins Bad folgen wollte, war Schluss.

„Dafür brauche ich meine Ruhe.“

„Natürlich. Ich warte hier.“ Er reichte ihr die Plastiktüte, dann lehnte er sich direkt vor der Tür an die Wand.

Das durfte doch einfach nicht wahr sein.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen Schwangerschaftstest gemacht, aber so schwer konnte das ja nicht sein. Ihr war vor Aufregung schlecht, als sie den kleinen Stab vor sich hielt, der ihr verraten würde, ob ihr Leben wirklich ruiniert war. Den teuersten nahm sie zuerst, in der Hoffnung auf größere Genauigkeit. Doch es half nichts. Die Schrift war in einem fröhlichen Pink gehalten – schwanger!

Als wäre es die beste Nachricht der Welt.

Für manche Frauen war es das wahrscheinlich. Für manche Frauen war es das Ergebnis, auf das sie seit Monaten vergeblich gehofft hatten. Aber für Kelsi?

Sie ließ die Schultern hängen. Eine ungewollte Schwangerschaft war schlimm genug. Aber nach einem One-Night-Stand? Ohne feste Beziehung? Zwischen ihnen gab es keine Basis, auf der man versuchen konnte, das Beste aus der Situation zu machen, nichts, nur eine geradezu animalische sexuelle Anziehungskraft – für ihn alltäglich, für sie überwältigend.

Seufzend schloss sie die Augen – und sah immer noch das eine, alles verändernde Wort vor sich aufblinken.

Es konnte nicht sein, durfte nicht sein.

Hastig riss sie die zweite Schachtel auf.

5. KAPITEL

Ungeduldig klopfte Jack an die Tür. „Kelsi? Alles in Ordnung? Mach auf.“

Schweigen. Seit zehn endlosen Minuten herrschte auf der andern Seite der Tür Schweigen.

„Wenn du nicht sofort aufmachst, breche ich die Tür auf.“

Es fehlte nicht viel. Durch seine Adern pumpte mehr Adrenalin als bei seinen waghalsigsten Sprüngen. Mit aller Macht zwang er sich, seine Fäuste zu lösen und sich zu entspannen. Eine halbe Sekunde später klopfte er erneut.

Eine erstickte Antwort war zu hören. Kein gutes Zeichen.

Die Tür öffnete sich, und er sah ihr Gesicht.

Es sah besorgniserregend aus. Es sah definitiv besorgniserregend aus.

„Keine Angst.“ Er war nicht sicher, wen er zu beruhigen versuchte – sie oder sich selbst. „Alles wird gut.“

Oh, verdammt, nichts wurde gut. Während sie an ihm vorbeirauschte, drückte sie ihm den positiven Schwangerschaftstest in die Hand – genauer gesagt zwei. Er hatte genug Filme gesehen, um zu wissen, was die blauen Linien bedeuteten. Er brauchte keinen neonfarbenen Schriftzug.

War das der Grund, warum sie ihm in den letzten Wochen nicht aus dem Kopf gegangen war? Gab es so etwas wie männliche Intuition?

Nein. Es war pures Verlangen. Den ganzen Tag, die ganze Nacht konnte er an nichts anderes denken, bis er dem Verlangen schließlich nachgegeben und sich ins Flugzeug gesetzt hatte. Sogar sein Training hatte er abgesagt, um zu beenden, was sie angefangen hatten. Jetzt hatte sich der Albtraum zu einem echten Horrorfilm ausgewachsen.

Plötzlich kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. Hatte sie es gewusst? Am Anfang hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt – hatte sie gewusst, dass sie schwanger war und es ihm verheimlichen wollen?

Er starrte sie an. Natürlich hatte sie es nicht gewusst. So gut konnte niemand schauspielern. Aber hätte sie es ihm gesagt, wenn sie es gewusst hätte? Die Ungewissheit nagte an ihm.

„Damit werden wir fertig“, sagte er in die Stille, immer noch bemüht, wen auch immer zu beruhigen.

Sie sagte kein Wort, starrte nur fassungslos ins Leere.

Er musste sich etwas einfallen lassen, irgendeinen Plan, doch im Moment konnte er nichts anderes denken als schwanger.

Und dann überkam ihn die Panik. Nackte, eiskalte Panik bei dem Gedanken an ein Baby und seine Geburt und seinen eigenen missglückten Start in diese Welt.

„Es ist doch von mir, oder?“, stieß er hervor, ohne nachzudenken.

Sie erstarrte. „Ja.“

Großer Fehler.

„Ich übernehme die volle Verantwortung“, beeilte er sich zu sagen. „Schließlich war ich es, der …“

„Ich wollte es auch“, unterbrach sie ihn schroff. „Dich trifft keine Schuld.“

Schweigen. Sehr langes Schweigen. Doch in ihm nagte der Zweifel, und schließlich konnte ausgerechnet er, der sonst so große Stücke auf seine Selbstdisziplin hielt, sich nicht beherrschen: „Kann ich dich etwas fragen?“

Sie zuckte die Schultern. „Klar.“

„Wenn ich heute nicht gekommen wäre, hättest du es mir dann erzählt? Hätte ich je erfahren, dass ich Vater werde?“

„Natürlich hättest du es erfahren.“

Sie stellte sich ans Fenster und wandte ihm den Rücken zu. Was für ein Schlamassel. Sie musste die Situation so schnell wie möglich in den Griff bekommen. Und als allererstes musste sie Jack von der Last der Verantwortung befreien. Sie hätte es nicht ertragen, für sein Unglück verantwortlich zu sein. Oder ihre Selbstachtung zu verlieren wie ihre Mutter.

Kelsi wollte nicht, dass er in ihrem Leben auftauchte und verschwand, wie es ihm passte. Oder im Leben ihres Kindes. Wollte ihrem Kind nicht die Enttäuschung zumuten, wenn sein Papa mal wieder nicht auftauchte. Außerdem verletzte sie seine Frage, ob das Kind von ihm sei. Bei seinem Lebenswandel war die Frage vielleicht angebracht, bei ihrem nicht.

Sie warf den Kopf zurück „Weißt du was? Ich schäme mich nicht für das, was wir am Strand getan haben. Aber es wird eine Weile dauern, bis ich mich an den Gedanken gewöhnt habe.“ Sie schluckte. „Ich brauche Zeit, um zu entscheiden, was ich tun werde.“ Sie wollte, dass er ging, damit sie in Ruhe nachdenken konnte.

„Habe ich da auch ein Wörtchen mitzureden?“

„Nein.“ Sie hielt seinem scharfen Blick stand. „Du kennst mich nicht. Du hast keine Ahnung von meinem Leben.“

„Dann schlage ich vor, dass wir uns besser kennenlernen.“ Er ging auf sie zu. „Und zwar schnell.“

Die Angriffslust in seiner Stimme und seiner Körperhaltung ließ sie erstarren. Hoffentlich machte er jetzt nicht auf Macho. Hoffentlich versuchte er nicht zu bestimmen, was sie tun sollte. Und hoffentlich hatte er nicht vor, das bisschen Leben, was ihr noch blieb, auch noch zu ruinieren, indem er sie in eine Beziehung zwang, die keiner von ihnen wollte.

„Ich werde dich nicht allein lassen, Kelsi.“ Er sprach schnell, ganz Mann der Tat, und ihr schwante, dass er genau das vorhatte. „Wir schaffen das schon. Wir können …“

„Ich werde dich nicht heiraten“, unterbrach sie ihn, ehe er es aussprechen konnte. „Das kommt überhaupt nicht infrage.“

Vollkommen verblüfft schwieg er und sah sie mit geweiteten Augen an.

„Du brauchst dir keine Sorgen machen“, fuhr sie wütend fort. „Ich habe keinen Vater, der dich mit der Schrotflinte jagt.“

Er schwieg und schien erstmal durchatmen zu müssen. Kelsi wünschte, er würde endlich gehen. Am liebsten hätte sie geheult – allein.

„Kelsi“, begann er leise. „Ich möchte auch nicht heiraten. Ich habe nicht die Absicht, je zu heiraten.“

Kelsi wurde heiß. Wie gern wäre sie jetzt im Erdboden versunken.

„Du hast recht.“ Seine Stimme war ganz sanft. „Heutzutage heiratet man wegen einer ungewollten Schwangerschaft nicht mehr.“

Obwohl sie ihm vollkommen zustimmte, machte es sie irgendwie wütend, die Worte aus seinem Mund zu hören. Seine brutale Aufrichtigkeit tat weh. „Heutzutage muss man das Kind auch nicht mehr bekommen.“

Er sog so scharf die Luft ein, dass sie unwillkürlich zurückwich.

„Ich will jetzt kein Kind“, erklärte sie schroff. „Ich habe einen Beruf, ich muss arbeiten …“

„Um Geld brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, unterbrach er sie wütend. „Ich unterstütze dich und das Kind.“

„Nein.“ Sie ließ die Schultern hängen. „Das brauchst du nicht. Vergiss es einfach.“ Sie wollte nicht, dass er sich zu irgendetwas verpflichtet fühlte.

Er wurde blass. „Du willst es wegmachen lassen.“

Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzukämpfen. „Nein“, widersprach sie leise. „Tut mir leid, aber das kommt für mich nicht infrage.“

Sie war selbst das Ergebnis einer ungewollten Schwangerschaft mit überstürzter Hochzeit. Daher wusste sie nur zu gut, dass solche Ehen zum Scheitern verurteilt waren. Doch sie war dankbar für ihr Leben. Das Kind traf keine Schuld, und obwohl es nicht geplant war, würde sie es über alles lieben. Ihr Kind sollte nicht darunter leiden, dass sie einen Fehler gemacht hatte.

Jack wandte sich ab. „Das muss dir nicht leid tun“, sagte er schließlich. „Ich bin froh darüber.“

Kelsi stockte der Atem.

„Wir schaffen das schon.“ Er sah sie wieder an.

Abwehrend hob sie die Hände. Abgedroschene Platituden wollte sie jetzt wirklich nicht hören. „Wir müssen gar nichts“, seufzte sie. „Lass uns das nicht jetzt besprechen.“

„Kelsi, wo ist deine Mutter?“, fragte er leise.

Sie zuckte zusammen. Wie sollte sie es ihrer Mutter beibringen? Ihr ganzes Leben hatte sie sich bemüht, ihre Mutter nicht zu enttäuschen – doch genau das hatte sie gerade getan. Nachdem sie begriffen hatte, dass sie ihrem Vater nicht hübsch genug war, hatte sie sich ganz darauf konzentriert, die Erwartungen ihrer Mutter zu erfüllen. Sie war ein braves Mädchen, eine gute Schülerin, eine verantwortungsbewusste Erwachsene. Kein flatterhaftes Flittchen, das für heißen Sex am Strand alles aufgab. Nachdem sie so hart um die Anerkennung ihrer Mutter gekämpft hatte, war der Gedanke an ihren missbilligenden Blick unerträglich.

Als Kelsi antwortete, war ihre Stimme ein kaum hörbares Flüstern. „Ich werde ihr noch nichts davon sagen.“

Jetzt fühlte Jack sich erst recht elend. Sie wirkte so zierlich, so verletzlich. So verdammt verletzlich. Und er hätte sie am liebsten getröstet. Doch sie wich vor seiner Berührung zurück und funkelte ihn wütend an.

„Lass das.“

Okay, ihre Reaktion war verständlich. Ihm war auch nicht nach Gefühlsduselei zumute. Aber er machte sich Sorgen um sie – mehr als er sich eingestehen wollte. „Du hast noch nichts gegessen.“

„Ich habe keinen Hunger.“

Er auch nicht. Aber so hatte er einen Vorwand zu bleiben. „Ich hole uns etwas. Bin in zwanzig Minuten zurück. Dann reden wir weiter.“

Etwas Abstand würde ihnen beiden gut tun. Sein Knie schmerzte auf dem Weg zur Ladenzeile am Ende der Straße, schlimmer aber waren die bohrenden Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Nie hatte er für jemanden verantwortlich sein wollen. Mit großer Sorgfalt hatte er darauf geachtet, keiner Frau Hoffnungen zu machen. Er war einfach noch nicht bereit für eine Familie – und würde es nie sein. Er liebte die Vielfalt, die Herausforderung – beruflich wie privat. Von Komplikationen hielt er sich lieber fern. Er bevorzugte kurze heiße Affären, nach denen man im Guten auseinanderging.

Er liebte seine Freiheit. Er brauchte sie, um sich auf seine Karriere zu konzentrieren. Und trotzdem wurmte es ihn, dass er nicht gebraucht wurde. Dass er unerwünscht war. Es reizte ihn zum Widerspruch. Für einen verrückten Moment war er sogar kurz davor gewesen, um ihre Hand anzuhalten. Nur um ihr zu beweisen, dass sie gar nicht so unabhängig war, wie sie dachte. Natürlich hatte sie einen Job und ein Auto und alles, aber schließlich wohnte sie nur zur Miete und war alles andere als reich. So leicht würde er sich nicht abwimmeln lassen.

Doch in Wahrheit hatte er überhaupt nicht an einen Heiratsantrag gedacht, bevor sie voreilig abgelehnt hatte. Außerdem konnte er sie schlecht zwingen.

Die Vernunft siegte. Kelsi hatte recht. Niemand musste heutzutage noch heiraten. Natürlich würde er ihr gemeinsames Kind finanziell unterstützen. Das war das Einzige, was er zu bieten hatte. Er wusste, wie schwer es für seinen eigenen Vater am Anfang gewesen war, als er versucht hatte, eine Firma aufzubauen, während er sich gleichzeitig allein um ein Baby kümmern musste. Finanzielle Sicherheit ging Jack über alles. Wenigstens darum musste Kelsi sich keine Sorgen machen.

Seine Karriere machte es ihm unmöglich, immer da zu sein, aber das hieß noch lange nicht, dass er sich vollkommen heraushielt – wie Kelsi es offenbar wünschte. Sie zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Nie hätte er damit gerechnet, dass sie die Tigermutter spielen würde, die das Männchen vertreibt. In den Minuten, während er auf das Ergebnis wartete, hatte er sich tränenreiche Szenen vorgestellt, in denen sie sich schwach und hilflos und anlehnungsbedürftig an seiner Schulter ausheulte. Die Wirklichkeit ihrer Zurückweisung traf ihn hart.

Und dann waren da die körperlichen Auswirkungen einer Schwangerschaft. Wie Schlangengift breiteten sich seine Ängste in seinem Körper aus. Kelsi war klein und zierlich. Am Strand hatte er fast Angst, sie zu zerquetschen. Der Gedanke, dass sein Kind in ihr heranwuchs, war beängstigend.

Sein Kind würde sie umbringen. Er wusste es. Denn er selbst hatte seine Mutter umgebracht. Weniger als zwei Stunden nach seiner Geburt war sie gestorben.

Er beschleunigte seinen Schritt, versuchte, seiner Angst zu entrinnen.

Soweit durfte es nicht kommen. Er würde es nicht zulassen. Im Gegensatz zu seiner Mutter würde Kelsi die beste medizinische Versorgung erhalten. Die Geschichte würde sich nicht wiederholen.

Zwanzig Minuten später, als er mit ein paar Kartons Nudeln in Kelsis Wohnung zurückkehrte, war er immer noch genauso wütend, genauso entschlossen, genauso erschüttert.

Keiner von ihnen aß etwas.

„Alles wird gut.“ Sie lächelte, aber es war kein echtes Lächeln. „Du wirst schon sehen.“

„Ach ja?“, erwiderte er überrascht. Sie stand noch immer mit dem Rücken ans Fenster gelehnt, so weit von ihm entfernt wie möglich.

„Klar“, nickte sie. „Ich habe einen sicheren Job. Ich habe keine Geldsorgen. Es wird nicht leicht sein, aber es ist zu schaffen.“

Irgendwie tröstete ihn das nicht. Jetzt wollte sie nicht einmal sein Geld. Das war doch albern. „Was willst du mit dem Baby machen?“, fragte er angriffslustig.

„Wenn es da ist, kann ich von zu Hause aus arbeiten. Und wenn es größer ist, gehe ich halbtags ins Büro.“

„Du hast ja schon alles durchdacht.“ Er machte sich nicht die Mühe, den Sarkasmus in seiner Stimme zu unterdrücken.

Ihr Blick war kühl. „Komischerweise denke ich im Moment kaum an etwas anderes.“

Okay, er wusste, sie schrieben das einundzwanzigste Jahrhundert, und es gab da draußen jede Menge Mütter, die zur Arbeit gingen, jede Menge alleinerziehende Mütter, und doch regte sich in ihm ein uralter Instinkt, dass ein Mann für seine Frau und sein Kind sorgen muss. Und noch ein anderer Instinkt regte sich, der stärker war als alles andere – sein Verlangen nach dieser Frau. Und dieser Instinkt trieb ihn dazu, etwas zu tun, was er sich nie hätte träumen lassen. „Und wo passe ich da hinein?“

„Gar nicht.“

„Wie bitte?“ Jacks Stimme überschlug sich.

„Ich habe dir doch gesagt, du musst dir keine Sorgen machen.“ Kelsi vermied es, ihm in die Augen zu sehen. „Ich komme wunderbar allein zurecht.“ Und das würde sie auch.

„Ach wirklich.“ Er sah wütend aus. „Okay, nehmen wir nur mal für eine Sekunde an, dass das stimmt.“ Als er auf sie zukam, schien sein Zorn ihn wie eine unsichtbare Wolke zu umhüllen. „Nehmen wir an, du kommst wunderbar allein zurecht, und du brauchst mich nicht.“

Kelsi erstarrte, obwohl ihr Instinkt ihr sagte, davonzulaufen. Und dann war es zu spät. Geschwind nahm er sie in seine Arme, hob sie einfach so von den Füßen. Ihr Herz pochte, als er sie an sich presste. Und als sich sein Mund ihren Lippen näherte, hatte sie das Gefühl, es würde zerspringen.

Ihr ganzer Körper bebte, als er seine Lippen auf die ihren presste. Was sie schmeckte, war Zorn, aber auch Sehnsucht. Und sie konnte gar nicht anders, als die Hände um seinen Hals zu schlingen und seinen Kuss mit derselben Leidenschaft, derselben Wildheit zu erwidern. Bis sie es plötzlich mit der Angst bekam und ihn heftig von sich fort stieß.

Nachdem er sie abgesetzt hatte, schnappte sie nach Luft.

„Und was ist damit?“, wollte er wissen.

Hastig wich Kelsi drei Schritte zurück, ihre Gefühle wie Nussschalen im aufgepeitschten Meer. Was dachte er sich dabei, sie so zu küssen? „Hältst du es für eine gute Idee, alles noch komplizierter zu machen?“, fragte sie mit brüchiger Stimme.

„Es ist schon so kompliziert. Ich glaube kaum, dass es einen Unterschied macht.“

„Du machst Witze.“

„Ich will dich noch immer.“

Unsägliche Wut stieg in ihr auf. „Du willst alles, was zwei Beine hat.“

Schockiert warf er den Kopf zurück. Oh, jetzt war sie zu weit gegangen. Doch es war ihr egal. Sie konnte kaum sprechen vor Wut. Wut auf ihn, aber vor allem auch auf sich selbst – weil er es schaffte, sie in diesem Moment, wo ihr ganzes Leben ein Scherbenhaufen war, zu erregen. Atemlos von einem einzigen kleinen Kuss, dachte sie an Sex statt an den Ernst der Lage. Und diese Wut machte sie noch zickiger. „Wie oft hast du das schon gemacht? Wie viele Frauen hast du an diesem Strand schon verführt? Ist das deine Masche?“

„Wenn das so wäre, glaubst du nicht, dann hätte ich mehr als ein Kondom dabeigehabt?“, fauchte er zurück. „Ja, ich war mit anderen Frauen zusammen, Kelsi, aber nie habe ich eine mit an diesen Strand genommen. Und ich habe so etwas auch noch nie am helllichten Tag gemacht. Ich habe auch noch nie wegen irgendeiner flippigen Frau, die gerade versucht hat, mich zu überfahren, ein wichtiges Meeting sausen lassen. Für mich war das auch das erste Mal.“

Flippig. Das war ja klar.

„Warum gehst du nicht einfach, Jack?“, flehte sie verzweifelt. „Ich entbinde dich von jeder Verpflichtung. Vergiss mich einfach. Das Baby und ich kommen schon zurecht.“

„Das kann ich nicht, Kelsi“, stieß er wütend hervor. „So gern ich das Angebot auch annehmen würde. Ich kann es einfach nicht.“

So sehr er es auch wollte.

„Warum nicht? Du brauchst deine Freiheit, Jack. Du lebst von Saison zu Saison. Du hast selbst gesagt, in deinem Leben ist kein Platz für eine Familie. Und das ist in Ordnung. Hier geht es nicht um dich. Hier geht es darum, was für das Baby das Beste ist. Und das Beste, was du jetzt tun kannst, ist zu gehen.“

Er musste doch begreifen, dass es nicht funktionieren würde. Dass es niemandem gegenüber fair war, etwas zu erzwingen, was nicht sein sollte.

Jack erstarrte, dann machte er drei Schritte in ihre Richtung, sodass er sie wieder überragte. „Für dich ist es vielleicht das Beste, Kelsi, aber nicht für unser Kind. Und du wirst mich nicht dazu bringen, das zu glauben. Das Kind hat ein Recht auf zwei Eltern, die es lieben.“

So wie ihr Vater sie geliebt hatte? Ihr Vater, der sie immer und immer wieder enttäuscht hatte. Ihr Vater, der genauso ein Luftikus war wie Jack. Der die eigenen Bedürfnisse immer über die der Familie gestellt hatte. Und der sie durch eine perfektere Tochter ersetzt hatte.

„Bist du denn fähig, es zu lieben, Jack?“ Ihre Stimme klang schrill. „Bist du fähig, Verantwortung zu übernehmen?“

Als das Schweigen unerträglich wurde, sah sie schließlich zu ihm auf. Er war blass, und Kelsi sah ihm an, dass er kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren.

„Ich brauche keine Belehrungen von dir, wie ich mich als Vater zu verhalten habe“, sagte er bedrohlich leise. „Du weißt gar nichts über mich, Kelsi, aber das wird sich ändern. Das kann ich dir versprechen.“ Er wandte sich ab. „Ich gehe jetzt, bevor einer von uns etwas sagt, was ihm hinterher leidtut. Ich melde mich morgen.“

Die schwere Holztür fiel mit einem Knall ins Schloss und erschütterte das alte Gebäude in seinen Grundfesten.

6. KAPITEL

Sie wusste nichts von ihm? Sie wusste genug. Vor allem wusste Kelsi, dass sie recht hatte. Sie wollte Jack nicht an sich binden. Er hatte sein Leben, seine Träume, und die ließen sich nicht mit einer Familie vereinbaren. Außerdem wollte sie für ihr Kind keinen Vater, der kam und ging, wie es ihm beliebte – der es immer wieder enttäuschte. Denn sie wusste, wie weh das tat.

Als kleines Mädchen hatte sie so oft gehofft, dass ihr Vater auftauchen würde, wie er es versprochen hatte. Aber das tat er nie. Und sie erinnerte sich noch genau, wie es sich angefühlt hatte, als er eine andere Familie fand, bei der er lieber war. Der Schmerz saß so tief, das er ein Teil von ihr geworden war. Unwiderruflich.

Kelsi würde alles dafür tun, ihr eigenes Kind davor zu bewahren. Ihr Baby war ohne Vater besser dran als mit so einem Vater. Auch wenn Jack nur das Beste wollte, war es nur eine Frage der Zeit, bevor er sie im Stich lassen würde. Deshalb musste sie ihn irgendwie davon überzeugen, dass sie ihn nicht brauchte.

Doch gleich am nächsten Morgen rief er an.

„Was kann ich für dich tun?“, frage sie, als wäre sie Telefonistin in einem Callcenter.

„Kelsi, spiel nicht die Dumme. Wir müssen reden.“ Wie konnte er schon wieder so gut gelaunt klingen?

„Eigentlich nicht, Jack.“ Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Ich halte es für besser, wenn wir uns nicht wiedersehen.“

„Was?“

„Wir sollten die Sache hier und jetzt beenden.“ Kelsi hielt die Luft an und wartete, dass die Bombe explodierte.

Doch er lachte nur. „Glaubst du wirklich, das ist möglich?“

„Klar.“ Glücklicherweise konnte er nicht sehen, wie sie zitterte.

„Du wirst das nicht allein durchziehen, Kelsi.“

„Wart nur ab“, widersprach sie. „Meine Mutter hat es auch geschafft. Millionen von Frauen tun es.“

„Es geht nicht darum, ob du es schaffst.“

Sie umklammerte den Hörer noch fester. Oh, doch, genau darum ging es. Und sie würde es schaffen.

Das Schweigen lastete schwer zwischen ihnen.

„Ich werde um das gemeinsame Sorgerecht kämpfen.“ Jede Heiterkeit war aus seiner Stimme verschwunden.

Kelsi schnappte nach Luft. Allein seine Worte ließen die Temperatur um fünfzehn Grad sinken. „Das ist nicht dein Ernst.“ Es konnte nicht sein Ernst sein. Es würde sein ganzes Leben ruinieren. Ganz zu schweigen von seinen Abenteuern in Übersee. Ihm ging es nur darum, seinen Willen durchzusetzen.

„Und ob. Ich möchte am Leben des Kindes teilhaben, Kelsi.“

Sie fröstelte. Die Temperatur sank unter Null. Die globale Erwärmung war ein Mythos, die Eiszeit war wieder ausgebrochen.

„Also, na gut.“ Sie seufzte. „Du kannst es ja versuchen.“ Und wenn er es wirklich versuchte, würde sie mit allen Mitteln dagegen kämpfen. Aber sie nahm an, dass er innerhalb der nächsten neun Monate sowieso das Interesse verlor, weil der nächste Wettbewerb anstand und die nächsten zehn Frauen warteten, die er ins Bett bekommen wollte. „Aber bis das Baby da ist, brauchen wir uns nicht zu sehen. Nach der Geburt kannst du über deinen Anwalt mit mir Kontakt aufnehmen.“

Er schwieg so lange, dass sie schon dachte, er hätte aufgelegt.

„Kelsi?“ Seine Stimme war kalt.

„Was?“ Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

„Komm bloß nicht auf die Idee wegzulaufen.“

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen legte sie auf. Bevor sie zur Arbeit ging, setzte sie noch schwarze Kontaktlinsen ein, die ihre düstere Stimmung widerspiegelten. Wegzulaufen stand für sie nicht zur Debatte. Das Leben, das sie sich hier aufgebaut hatte, den hervorragenden Ruf, den sie sich erarbeitet hatte, wollte sie um keinen Preis aufgeben. Noch weniger wollte sie nach Hause zurückkehren und ihrer Mutter alles beichten – sie war doch so stolz auf das, was Kelsi erreicht hatte.

Und Kelsi hatte alle Erwartungen ihrer Mutter erfüllt, war aus ihrer kleinen Heimatstadt weggezogen, auf die Universität gegangen, hatte einen fantastischen Job ergattert und eine kleine, aber feine Wohnung in einem begehrten Viertel der Stadt gemietet. Sie hatte all das getan, was die Snobs, für die ihre Mutter putzte, ihr nie zugetraut hätten. Und ihre Mutter war froh und stolz auf sie gewesen.

Der Gedanke an das enttäuschte Gesicht ihrer Mutter, wenn sie erfuhr, dass Kelsi genau das getan hatte, wovor ihre Mutter sie immer am meisten gewarnt hatte, war unerträglich. Kelsi wusste, dass ihre Mutter nicht bereute, sie bekommen zu haben. Aber sie wollte für Kelsi die Freiheit und die Möglichkeiten, die sie selbst sich durch eine ungewollte Schwangerschaft verbaut hatte. Kelsi sollte all das tun, was ihr verwehrt geblieben war, sollte nicht dieselben Fehler begehen.

Jacks Drohung nahm sie nicht ernst. Was sie viel mehr beunruhigte, waren ihre Gefühle für ihn. Wenn sie zu lange in seiner Nähe war, konnte sie einfach nicht Nein sagen. Es lag an seinen betörend blauen Augen, dem charmanten Lächeln, dem atemberaubenden Körper. Jede Zelle ihres Körpers reagierte auf seine magnetische Anziehungskraft. Doch sein Leben war ein Tanz auf dem Vulkan. Er liebte das Abenteuer … viele Abenteuer.

Das war der Grund, warum sie ihn nicht wiedersehen wollte. Damit er ihr nicht so wehtat, wie ihr Vater ihrer Mutter wehgetan hatte – mit seiner Untreue, seinen leeren Versprechungen. Sie wusste, dass Jack ein Playboy war. Und das war okay. Aber er war nicht der Richtige, um eine Familie zu gründen.

Jack brauchte eine Weile, bis er sich von dem unerfreulichen Telefonat mit Kelsi erholt hatte. Seine Hoffnung, dass sie sich über Nacht beruhigen würde, war vergeblich gewesen. Nach den bitteren Worten, die gestern zwischen ihnen gefallen waren, brauchte er selbst mehrere Stunden, um sich abzuregen, doch innerhalb weniger Sekunden, nachdem er ihre Nummer gewählt hatte, war er wieder auf hundertachtzig und sagte Dinge, die er gar nicht so meinte.

Gemeinsames Sorgerecht? Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht? Wie sollte das funktionieren, wenn er die Hälfte des Jahres im Ausland war? Doch Kelsi brauchte seine Hilfe, ob es ihr nun passte oder nicht, und er würde dafür sorgen, dass sie diese Hilfe auch annahm.

Er atmete tief durch und zählte langsam bis zehn. Denn er kannte den wahren Grund, warum sie so widerborstig, so stur war.

Sie hatte Angst. Und er machte ihr keinen Vorwurf. Weil er selbst Angst hatte.

Es hätte nie passieren dürfen. Der Zeitpunkt hätte nicht schlechter gewählt sein können. Jack musste zu seiner alten Form zurückfinden, wenn er seine Karriere als Snowboarder nicht an den Nagel hängen wollte – und das wollte er nicht. Er wollte bei der nächsten Olympiade Gold holen. Eigentlich sollte er längst in Whistler sein und trainieren. Die Sache musste also jetzt geklärt werden.

Kelsi traute ihm nicht. Und auch das warf er ihr nicht vor. Doch obwohl sie ihn kaum kannte, packte sie ihn in eine Schublade, und das passte ihm ganz und gar nicht. Denn sie irrte sich. Wahrscheinlich hatte sie ihn gegoogelt. Wusste sie denn nicht, dass man nicht alles glauben durfte, was im Internet stand? Er fühlte sich ungerecht behandelt, denn er wollte sie wirklich unterstützten. Und er hatte auch schon eine Idee, wie er das anstellen würde.

Und was die Anziehungskraft zwischen ihnen anging – ja, die war noch da. Allein der Gedanke an sie erregte ihn. Aber sie hielt ihn für einen Playboy, der nichts anbrennen ließ. Natürlich war er kein Kind von Traurigkeit, aber er stieg doch nicht wahllos mit jeder Frau ins Bett. Er respektierte die Frauen, mit denen er zusammen war, er benutzte sie nicht. Es war ein Geben und Nehmen, auch wenn er sich natürlich nicht binden konnte und wollte. Und er erinnerte sich sehr gut, dass sie ebenfalls auf ihre Kosten gekommen war.

In Wahrheit war er seit Wochen mit keiner Frau mehr zusammen gewesen. Seit vier Wochen, um genau zu sein – seit jenem Tag am Strand. Ironischerweise hatte Kelsi nicht die geringste Ahnung, dass hauptsächlich sie schuld daran war. Und sie würde es auch nie erfahren. Jedenfalls nicht, solange sie so eine schlechte Meinung von ihm hatte. Er würde schon über sie hinwegkommen. Einerseits ärgerte er sich, dass er überhaupt zurückgekehrt war, andererseits war er froh. So konnte er wenigstens sicherstellen, dass sie gut versorgt war.

Sein Verlangen würde er eben einfach unterdrücken müssen. Dabei war er sicher, dass sie ihn ebenfalls immer noch begehrte. So wie sie auf seinen Kuss reagiert hatte…

Es war wirklich ein Jammer.

Doch er wollte die Situation nicht unnötig komplizieren. Außerdem hatte ihr körperliches Wohl Vorrang. So sehr er sie auch begehrte, er würde nie etwas tun, was ihr oder dem Baby schaden könnte. Und obwohl er wusste, dass Sex während der Schwangerschaft erlaubt war, wollte er doch lieber nichts riskieren. Keine Komplikationen – weder gesundheitlich noch seelisch.

Er wollte, dass sie ihn besser kennenlernte und begriff, dass sie ihn falsch einschätzte. Er wollte ihr beweisen, dass er mehr als ein paar Chromosomen beizusteuern hatte.

Jack war noch nie vor einer Herausforderung zurückgeschreckt, und ihre Zurückweisung spornte ihn umso mehr an. Außerdem hatte er nicht vor, sich von ihr seine gute Laune verderben zu lassen. Schließlich ging es im Leben darum, Spaß zu haben.

Er kontaktierte seinen Anwalt, und noch vor der Mittagszeit betraten sie das Gebäude. Die drei anderen Wohnungen waren nicht vermietet. Als er das sah, wusste er, dass er sofort handeln musste. Kelsi war verletzlich. Er würde nicht zulassen, dass sie auch nur eine weitere Nacht in dieser leer stehenden Bruchbude mitten in der Stadt blieb.

Kelsi war nicht wie die anderen Frauen, die er kannte – robuste, unverwüstliche Überlebenskünstler. Kelsi war zart und zerbrechlich. Und sie trug sein Kind unter ihrem Herzen.

Bei diesem Gedanken lief es ihm jedes Mal kalt den Rücken hinunter. Er – ein Mann, der das Risiko liebte. Der den Nervenkitzel brauchte. Dem es Spaß brachte, an seine Grenzen zu gehen. Ausgerechnet er machte sich Sorgen, dass diese natürlichste Sache der Welt zu viel für die zierliche Kelsi war. Allerdings hatte er allen Grund, sich Sorgen zu machen, und genau aus diesem Grund behielt er seine Sorgen auch für sich. Er wollte sie nicht unnötig aufregen. Noch nicht. Solange sie einen guten Arzt hatte. Den besten. Ein ganzes Team. Mit allen Schikanen. Er würde dafür sorgen, dass ihr nichts passierte, dass dem Baby nichts passierte.

Sein Anwalt riet ihm, noch einmal über die Sache zu schlafen, aber sein Entschluss stand fest. Noch heute wollte er die Verträge unterschreiben und alles auf den Weg bringen. Je eher das Haus renoviert wurde, desto eher würde er sich wieder einigermaßen frei fühlen.

Kelsi nahm sich den Vormittag frei, um zum Arzt zu gehen, aber am Nachmittag erschien sie mit rosaroten Kontaktlinsen im Büro. Sie war froh über den Berg von Arbeit, der auf sie wartete. Sich abzulenken, war ihre Art, mit der Situation fertig zu werden. Sie würde es schaffen. Irgendwie würde sie das alles schaffen. Und dass sie ihren Job behielt, war der Schlüssel dazu.

Doch als sie später am Abend nach Hause kam, klebte ein großer roter Aufkleber mit der Aufschrift „Verkauft“ auf dem Schild, das sie seit Wochen ignorierte – in der Hoffnung, dass sich kein Käufer finden würde. Jetzt musste sie also auch noch umziehen.

Im Briefkasten fand sich jedoch kein Brief der Hausverwaltung. Als sie sah, dass die Haustür offenstand, begann ihr Herz zu klopfen. Von drinnen hörte man Stimmen. Sie ging hinein und entdeckte auf dem Treppenabsatz vier Männer, die sich unterhielten. Als sie wie angewurzelt auf der dritten Stufe stehen blieb, löste sich einer der Männer aus der Gruppe und kam auf sie zu.

„Was tust du hier?“ Ihr Puls raste.

„Ich wohne jetzt hier“, antwortete Jack ungerührt.

„Was?“ Vorsichtig spähte sie an ihm vorbei zu den anderen Männern, die die Wände begutachteten und sich eifrig Notizen machten.

„Ich habe das Haus gekauft.“

„Du hast was?“

„Es stand zum Verkauf. Und ich habe es gekauft.“

„Einfach so?“

„Ich habe bar bezahlt.“ Er lächelte unvermittelt. „Das beschleunigt vieles.“

Sie schluckte. „Was willst du mit vier Wohnungen?“

„Ich wandle alles wieder zu einer einzigen Wohneinheit um.“

Sie musste sich am Treppengeländer festhalten, um nicht umzukippen. „Du wirfst mich raus?“

Er lachte und kam noch ein paar Stufen näher. „Nein. Deine Wohnung bleibt erhalten. Wenn das Baby da ist, kannst du die große Wohnung haben, und ich ziehe in die kleine. Auf diese Weise bin ich in eurer Nähe. Du kannst von Zuhause aus arbeiten, während ich mich ums Baby kümmere. Es ist die perfekte Lösung.“

Für Kelsi klang es alles andere als perfekt. Sie sollten unter demselben Dach leben? Als WG? Wie sollte sie so über ihn hinwegkommen?

„Ab sofort brauchst du keine Miete mehr zu zahlen.“

Kelsi stützte sich mit beiden Händen am Geländer ab.

„Es kann in nächster Zeit etwas laut werden, aber ich möchte so schnell wie möglich mit dem Umbau beginnen.“ Er kam noch eine Stufe auf sie zu, sodass er nur einen Schritt von ihr entfernt war. „Während der Renovierungsarbeiten ist das Haus nicht sicher. Darf ich dich für ein paar Wochen in ein Hotel ausquartieren?“

„Nein. Ich bleibe hier“, erklärte sie mit fester Stimme.

„Ja, das habe ich mir gedacht.“ Wieder lächelte er. „Deshalb bin ich nebenan eingezogen.“

„Du bist was?“

„Ich habe die Wohnung neben dir.“

Sie wohnten Wand an Wand? Ausgeschlossen!

„Du brauchst nicht hier zu wohnen.“ Sie ignorierte das angenehme Prickeln in ihrem Bauch.

Sein strahlend blauer Blick schien sie zu durchbohren. „Oh, doch.“

„Aber nicht meinetwegen.“ Sie versuchte, durch ihn hindurchzusehen, doch es war zwecklos – sie konnte seiner Anziehungskraft nicht widerstehen.

„Nein, ich habe genug von Hotels. Keine Sorge.“ Er beugte sich vor und flüsterte: „Du wirst mich gar nicht bemerken.“

Als wäre es möglich, diesen Schrank von einem Mann zu übersehen. Und irgendwie gefiel ihr der Gedanke, dass er so nah war. Wahrscheinlich war sie masochistisch veranlagt. Eilig drängelte sie sich an ihm vorbei, lief die Treppe hinauf und schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf. Resigniert ließ sie sich aufs Sofa sinken und stützte den Kopf in die Hände.

Es ging alles viel zu schnell. In weniger als vierundzwanzig Stunden war ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden – wie eine umgestülpte Papiertüte.

Die Stimmen im Treppenhaus waren noch eine Weile zu hören, doch Kelsi verschloss die Ohren. Dann hörte sie die Haustür ins Schloss fallen, und es kehrte wieder Stille ein.

Endlich konnte sie sich entspannen. Erleichtert streckte sie sich auf den weichen Polstern aus und hoffte, das Gedankenchaos in ihrem Kopf so weit zu ordnen, dass sie ein wenig schlafen konnte. Zu erschöpft, um sich etwas zu essen zu machen oder mit jemandem zu reden – vor allem mit ihrer Mutter – und zu müde, um zu weinen. Sie schloss die Augen und versuchte loszulassen.

Das Klopfen an der Tür ließ ihren Adrenalinspiegel erneut ansteigen. Es konnte nur einer sein. Nur einer hatte außer ihr jetzt den Haustürschlüssel.

Sie öffnete die Tür nur einen Spalt. Sein Lächeln war verdächtig kleinlaut.

„Der Herd in meiner Wohnung funktioniert nicht, und die Wohnungen unten haben keinen Strom. Macht es dir etwas aus, wenn ich deinen benutze?“

„Du willst meinen Herd benutzen?“

„Ich habe nicht zu Mittag gegessen.“ Er deutete auf die Einkaufstüte in seiner Hand. „Ich habe einen Bärenhunger.“

„Du willst kochen?“

„Ja.“

Zu müde, um zu streiten, ließ sie ihr herein und sank dann wieder aufs Sofa. Er schloss die Tür hinter sich und warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Du hast keinen Kaffee getrunken“, stellte er fest.

Den ganzen Tag nicht. Ihr Kopfschmerz war der Beweis dafür. Kaffee war bestimmt nicht gut für das Baby. Aber die Entzugserscheinungen am ersten Tag? Es fühlte sich an, als hätte sie die Schlafkrankheit. „Ich muss mich nur kurz ausruhen.“

Sollte er in der Küche machen, was er wollte. Eine Weile lauschte sie den Geräuschen und versuchte, nicht an ihn zu denken. Unmöglich. Und warum sollte sie eigentlich nicht an ihn denken, seinen schönen Körper, sein schönes Lächeln. Nur für ein paar Minuten …

„Kelsi.“

Sie schlug die Augen auf – und blickte direkt in seine. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt – genau wie eben in ihrem Traum.

„Es ist genug für uns beide da, falls du interessiert bist“, sagte er einladend.

Falls sie interessiert war? Und ob sie interessiert war – aber wovon redete er eigentlich? Sie betrachtete das leicht verstrubbelte Haar, das ihm in die Stirn fiel, das markante Kinn, auf dem sich erste Stoppeln abzeichneten, die Fältchen in seinen Augenwinkeln, als er lächelte. Doch dann erstarb das Lächeln.

„Kelsi.“ Jetzt klang seine Stimme fast schroff.

Sie blinzelte. Langsam lichtete sich der Nebel in ihrem Kopf, und sie kam zur Besinnung. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen. „Hier riecht es aber gut.“ Sie atmete tief ein und setzte sich auf. „Köstlich.“

„Komm und sieh es dir an.“

Benommen schüttelte sie den Kopf und folgte ihm zum Tisch, der bereits für zwei gedeckt war.

Es gab Steak, junge Kartoffeln, und in der Mitte des Tisches stand eine große Schüssel frischer Salat mit gerösteten Pinienkernen und Avocado.

„Es ist nichts Ausgefallenes“, erklärte er, als er sich setzte.

Es war auf jeden Fall ausgefallener als die Spaghetti mit Fertigsauce, die sie sonst immer aß. „Das wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Nachdem ich so ein Chaos in deiner Küche veranstaltet habe, war es das Mindeste, was ich tun konnte.“

Als sie an ihm vorbei zur Küche spähte, lachte er. „Ist schon wieder beseitigt. Ich hatte Angst, dass du mich sonst nie wieder hereinlässt.

Sie setzte sich neben ihn, bemüht, sich nicht von seinem Charme einwickeln zu lassen. „Aber du lässt den Herd in deiner Wohnung doch reparieren, oder?“

„Mmm“, brummte er mit vollem Mund.

Und nach dem ersten Bissen verstummte auch Kelsi. Sie hatte nicht gewusst, wie hungrig sie war. Sie hatte nicht gewusst, dass Jack so gut kochen konnte.

„Für den Anfang nicht schlecht“, brach er schließlich das Schweigen und deutete mit einem Kopfnicken auf ihren fast leeren Teller. „Aber du solltest zum Arzt gehen. Du musst Vitamine nehmen. Folsäure zum Beispiel.“

„Ich wusste gar nicht, dass du eine wandelnde Schwangerschaftsfibel bist.“ Um ihre aufsteigende Wut zu unterdrücken, trank sie einen Schluck Orangesaft.

„Ich habe mich schlau gemacht. Da es das einzige Kind ist, das ich je bekommen werde, dachte ich …“

Ich bin diejenige, die dieses Kind bekommen wird, Jack.“

„Aber wir haben uns doch schon darauf geeinigt, dass ich mich auch darum kümmern werde.“ Sein Lächeln duldete keinen Widerspruch. „Und zwar ab sofort.“

Ihre Hand schloss sich fester um den Messergriff. „Nun, du musst dir keine Sorgen machen. Heute Morgen war ich beim Arzt. Ich habe die Vitamine und alle Informationen, die ich brauche.“

„Wer ist dein Arzt? Hoffentlich ein Spezialist.“

Überrascht von der Schärfe in seiner Stimme, sah Kelsi ihn an. „Mein Hausarzt. In ein paar Wochen kümmere ich mich um eine Hebamme.“

„Und um einen Spezialisten. Du brauchst einen Spezialisten.“

War eine Hebamme denn kein Spezialist? Was stellte er sich vor – ein ganzes Team von Gynäkologen? Der letzte Bissen von ihrem Steak wäre Kelsi fast im Hals stecken geblieben. Sie wollte keinen Streit anfangen – nicht heute Abend. Dazu war sie einfach zu müde. „Ich werde mich darum kümmern.“

„Findest du nicht, du solltest weniger arbeiten?“

„Nein.“ Der Drang, einen Streit anzufangen, wurde stärker. „Ich bin schwanger, Jack. Nicht krank.“

Grimmig rückte er seinem Steak zu Leibe.

„Du musst das mit dem Haus nicht tun.“ Also gut, sie konnte einfach nicht anders, als einen Streit anzufangen.

„Oh, doch. Du brauchst ein Zuhause, und du fühlst dich hier wohl. Und du hättest es dir schlecht selbst kaufen können.“

Nein, aber in ein paar Jahren würde sie sich irgendwo anders etwas Kleines leisten können.

„Um Geld brauchst du dir nie wieder Sorgen zu machen, Kelsi.

Plötzlich wurde ihr übel, und sie musste das Besteck beiseite legen.

„Du kannst mir vertrauen.“ Seine Stimme klang gepresst. „Weißt du was? Ich vertraue dir. Ich vertraue darauf, dass du auf dich und unser Baby gut Acht gibst.“

„Mir bleibt nichts anderes übrig.“

„Ich weiß. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als dir dabei zu helfen, so gut ich kann. Ich werde dafür sorgen, dass es dir und dem Baby gut geht.“

Doch sie wollte sich lieber nicht auf ihn verlassen. Wollte sich nicht von ihm abhängig machen, nur damit er sie dann sitzen ließ – was er früher oder später tun würde. So war es immer.

„Tut mir leid, wenn es dir gegen den Strich geht, meine Hilfe anzunehmen.“ In Wahrheit schien es ihm nicht im Geringsten leidzutun.

Außerdem ging es nicht um sie, sondern um das Kind, das in ihrem Bauch heranwuchs. Sie musste es beschützten. Und dazu musste sie mehr über ihn erfahren. „Wie kommt es, dass du keine Wohnung hast?“

Jack stach die Gabel in den letzten Bissen seines Steaks. „Weil ich nie lang genug an einem Ort bin.“

Das Fleisch schmeckte nach nichts. Plötzlich wollte er so schnell wie möglich von hier verschwinden. Ihre Nähe machte ihn nervös. Doch er hatte geahnt, dass sie zu erschöpft war, um sich etwas zu kochen. Sie sah noch blasser aus als sonst. Blass – und wunderschön.

Schwanger.

Ihm zog sich immer noch der Magen zusammen, wenn er daran dachte. Kelsi so nah zu sein, aber nicht mit ihr zusammen zu sein, machte alles nur noch schlimmer. „Meistens wohne ich in Hotels.“ Ein Hotelzimmer wäre jetzt auch gut. Oder eine kalte Dusche.

„Was ist mit der Lodge?“

„Karearea?“

Sie nickte.

Also hatte sie sich über ihn informiert. Was glaubte sie zu wissen? „Das ist auch ein Hotel“, winkte er ab. „Ich bin selten dort. Und wenn, schlafe ich auch in einem Gästezimmer.“

„Aber es ist dein Zuhause, nicht wahr?“

Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Er fühlte sich nirgends zu Hause. Am wohlsten fühlte er sich auf dem Snowboard. „Ein Zuhause würde ich es nicht nennen. Ich habe einen Manager, der sich darum kümmert.“

Seit seiner Geburt war er mit seinem Vater immer unterwegs gewesen. Der Gedanke daran, irgendwo zu verweilen, machte ihn nervös. Er brauchte seine Freiheit. Und wenn ihn das Gefühl innerer Leere überkam, konzentrierte er sich auf seine sportlichen Erfolge.

„Die Idee für die Lodge stammt von meinem Vater“, erklärte er. „Er starb, bevor sie fertig war. Ich habe sie fertiggestellt und jemanden engagiert, der sich darum kümmert. Die Skistation gehörte einem Verein, der sich die Instandhaltung nicht mehr leisten konnte. Die Piste ist zu abgelegen. Aber der Berg ist traumhaft. Der alte Lift bringt einen bis ganz nach oben, und einen gemütlichen Weg nach unten gibt es nicht.“ Als er an die Pisten dachte, brachte er sogar ein Lächeln zustande. „Man hat nur die Wahl zwischen verschiedenen schwarzen Pisten.“

„Es ist dein Spielplatz.“

„Stimmt.“ Das war es wirklich. Wie er sich wünschte, jetzt dort zu sein – um seinen Frust abzubauen, sich bis zur totalen Erschöpfung zu verausgaben, damit er endlich nicht mehr an sie dachte. „Es gibt auch Sprungschanzen und Hindernisse. Und jede Saison bauen wir eine Halfpipe auf.“

„Und das rentiert sich.“

„Mit der Lodge, ja“, gab er zu. „Wir konkurrieren nicht mit den großen, kommerziellen Skiressorts. Wir wollen keine Menschenmassen auf den Pisten. Das Schönste ist, morgens nach einem Sturm der Erste zu sein. Dafür bezahlen unsere Gäste.“

Die exklusive, reiche Klientel, die mit dem Hubschrauber anreiste und sich die unverschämt teure Luxuslodge leisten konnte. So hielt er die Massen fern. Die Natur war zu schön, um sie von Tausenden von Menschen überrennen zu lassen. „Viele internationale Sportler kommen dorthin, um zu trainieren, weil sie dort ihre Ruhe haben“, fügte er hinzu.

Internationale Athleten wie er. Kelsi nickte, während sie versuchte, diese ach-so-exklusive Welt zu begreifen. Zur Saison kam er also her und reiste dann ans andere Ende der Welt, wenn der Sommer kam? Was für ein Leben, nur seiner Leidenschaft zu frönen. Neid flammte in ihr auf. Wenige Menschen besaßen diese Freiheit. Sie jedenfalls nicht.

Aber gegen ihr Leben war doch nichts zu sagen, oder? Ihr gefiel die Sicherheit, die Dinge, die ihr etwas bedeuteten, um sich zu haben, schöne, interessante Dinge und ein ruhiges, glückliches, friedliches Leben …

Doch es war zu spät – der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Hatte sie etwas verpasst, weil sie immer nur gearbeitet, immer nur an die Karriere gedacht hatte? Immer nur auf Nummer sicher ging? Alle Reisepläne auf den unbestimmten Zeitpunkt verschob, wenn sie auf der Karriereleiter ganz oben angekommen war – wie ihre Mutter es ihr geraten hatte?

Das war nur vernünftig – und ihrer Mutter zuliebe war Kelsi immer vernünftig. Die Aufmerksamkeit ihres Vaters blieb ihr verwehrt, doch mit ihrem beruflichen Erfolg war ihr wenigstens die Aufmerksamkeit ihrer Mutter sicher. Nie hatte sie über die Stränge geschlagen, weil sie die Zuneigung ihrer Mutter nicht riskieren wollte.

Nur dass sie jetzt vollkommen aus der Bahn geraten war – ganz aus Versehen. Und es war zu spät für ein Leben als Weltenbummler, wie Jack es führte. In wenigen Monaten würde ihr Leben vorwiegend aus Windelwechseln bestehen.

Als sie sich umdrehte, stellte Jack gerade das Geschirr in die Mini-Spülmaschine. Dann wischte er den Tisch ab und griff nach der Mülltüte, um sie mit nach draußen zu nehmen – ein Bild von einem Hausmann. Nur dass er eine ungemütliche Geschäftigkeit verbreitete – als könnte er es nicht erwarten, endlich zu gehen.

„Danke, dass ich deine Küche benutzen durfte“, sagte er schroff.

Sie nickte und starrte in ihren Orangensaft, um ihn nicht ansehen zu müssen.

„Versuch, ein bisschen zu schlafen.“

Und ehe sie etwas erwidern konnte, war er fort.

7. KAPITEL

Viel zu früh am nächsten Morgen tauchten fremde Menschen auf und veranstalteten nebenan einen Heidenlärm. Wenig begeistert stand Kelsi auf. Trotz ihrer Müdigkeit war sie erst im Morgengrauen eingeschlafen. Nachdem sie ihre blutroten Kontaktlinsen eingesetzt hatte – die ihrer mordlustigen Stimmung Ausdruck verliehen – schlug sie lautstark die Tür hinter sich zu und ging ins Büro.

Als sie nach der Arbeit nach Hause kam, sah sie, dass der Gartenzaun durch einen zwei Meter hohen Bauzaun ersetzt worden war. Das provisorische Eingangstor war mit einem massiven Kettenschloss gesichert. Jack war in ein Gespräch mit zwei Handwerkern von einer Sicherheitsfirma vertieft. Mit einem Blick entdeckte sie das blinkende Licht neben der Haustür – eine Alarmanlage. Unglaublich.

Als Jack sie entdeckte, kam er auf sie zu, sein Schritt immer noch so lässig, als könnte er kein Wässerchen trüben.

„Muss ich mir jetzt irgendeine zwanzigstellige Pin-Nummer merken und eine Blutprobe abgeben, um in meine Wohnung zu kommen?“ Mit dem Daumen deutete sie auf den hoch aufragenden Zaun.

„Das System funktioniert mit Iris-Scan. Auf deine Kontaktlinsen wirst du also in Zukunft verzichten müssen.“

Er lachte, als sie ihn fassungslos ansah.

„Oh, nein!“, tat er entsetzt. „Das würde ja bedeuten, dass man sieht, was in dir vorgeht!“

Kelsi presste die Lippen aufeinander.

Er ging neben ihr her zum Haus. „Interessiert dich, was alles geplant ist?“

„Eigentlich nicht.“

Ihre abweisende Art versetzte Jack einen Stich. Nein, natürlich zeigte Kelsi ihm die kalte Schulter. Doch er kannte keine Frau, die nicht neugierig war. Und er wusste auch schon, wie er sie aus der Reserve locken konnte.

„Ich möchte dir Alice vorstellen“, sagte er, als er ihr die Tür aufhielt. „Sie ist Innenarchitektin und hilft mir mit meinen Ideen.“

Kelsis Miene verhärtete sich, und Jack unterdrückte ein Lächeln.

Alice stand vor einer der Erdgeschoss-Wohnungen, in die sie stirnrunzelnd hineingespäht hatte. Sie war eine Designerin, wie man sie aus Hochglanzmagazinen kannte: minimalistisch in neutralen Farben, aber teuer und extrem geschmackvoll gekleidet. Ein bisschen langweilig, wenn Jack ehrlich war, aber wenigstens das genaue Gegenteil von Kelsis flippigem Stil. Sie würde diese glatte Karrierefrau hassen. Zufrieden sah er zu, wie die beiden Frauen sich eisig zunickten. Er würde sich einen Spaß daraus machen, die beiden zu foppen.

„Ich dachte, wir könnten eine Feuerwehrstange einbauen, damit man schneller nach unten kommt. Jedenfalls, solange die Treppe repariert wird.“ Vage deutete er nach oben. „Schließlich wird das Haus komplett entkernt.“

Beide Frauen starrten ihn mit offenen Mündern an.

Alice machte ihren zu und wieder auf, als wollte sie etwas sagen – doch es kam nichts.

„Eine Feuerwehrstange?“ Kelsis Stimme klang ein bisschen schrill, aber ihre scharlachroten Augen durchbohrten ihn. „Prima, dann kannst du ein paar von deinen Stripteasetänzerinnen einladen.“

Gut gekontert. „Ja, und für die Bibliothek dachte ich an rot.“ Ihre Augenfarbe war wirklich inspirierend.

„Es gibt eine Bibliothek?“ Kelsi klang überrascht.

„Warum nicht? Du scheinst Bücher zu mögen.“ Und er auch. Selbst wenn er sie nicht behielt, nachdem er sie gelesen hatte. Dagegen schien es Kelsi wichtig zu sein, alles zu horten.

Ihre Augen weiteten sich, doch ihr Mund klappte wieder zu.

„Eine Bibliothek wäre fantastisch“, flötete Alice. „Sehr zeitgemäß.“

Jack musste schmunzeln, als Kelsis Miene versteinerte. „Das finde ich auch.“

„Würdet ihr mich bitte entschuldigen?“, murmelte Kelsi. „Hat mich sehr gefreut, Alice.

Jack entschuldigte sich ebenfalls und überließ Alice sich selbst, die sich eifrig weiter umsah. Er folgte Kelsi nach oben, wobei er versuchte, nicht auf ihren langen Secondhand-Rock zu treten, der anmutete, als stammte er aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ihre Auswahl an Kleidern, unter der sie ihren Körper versteckte, überraschte ihn immer wieder. In diesem Fall waren es mindestens fünf Schichten Stoff, vielleicht sogar acht, wenn man die langen fingerlosen Handschuhe mitzählte – und er stellte sich vor, wie er sie langsam von jeder einzelnen Schicht befreite. „Sie hat bestimmt ein paar fantastische Ideen“, begann er.

„Oh, da bin ich sicher.“ Ungeduldig kramte sie in dem Handtäschchen, das von ihrem Handgelenk baumelte, nach ihrem Schlüssel.

„Vielleicht solltest du ihr deine Wohnung zeigen.“

Sie ließ ihre Handtasche zuschnappen. „Das glaube ich kaum.“

„Befürchtest du, dass sie einen anderen Geschmack hat als du?“ Genau, wie er es geplant hatte. „Vielleicht solltest du dich dann lieber selbst um die Einrichtung kümmern.“

Mit erhobenem Kinn stieß sie den Schlüssel wie einen Dolch ins Schloss. „Deine Alice macht das schon.“

Mist, sie war ihm auf die Schliche gekommen.

An den Türpfosten gelehnt, sah er zu, wie sie mit dem alten Schloss kämpfte, und empfand das unwiderstehliche Verlangen, ihr nahe zu sein.

Obwohl die Tür inzwischen offen war, rührte sie sich nicht. Worauf wartete sie?

Etwa auf ihn?

Er empfand eine tiefe Genugtuung. Deutlich spürte er ihre Reaktion – ja, die Gefühle waren nicht einseitig. Doch obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte, als sie zu küssen und noch ganz andere Dinge mit ihr anzustellen, durfte er seinem Verlangen nicht nachgeben.

Es gab Wichtigeres als seine persönlichen Bedürfnisse. Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Da waren Sponsoren, die von ihm abhingen, andere Athleten, die sich auf ihn verließen. Sein Trainer hatte schon dreimal versucht, ihn zu erreichen.

Die Hände zu Fäusten geballt, versuchte er, sich zusammenzureißen. „Darf ich heute Abend wieder deine Küche benutzen? Mein Herd ist immer noch nicht repariert“, sagte er schroff.

„Nein?“ Ihre Stimme überschlug sich. „Warum hast du dich noch nicht darum gekümmert?“

„Es gab Wichtigeres“, erwiderte er. „Die Küche wird sowieso herausgerissen.“

Endlich betrat sie ihre Wohnung und zögerte kurz, ehe sie die Tür hinter sich schloss. „Na gut, aber nur, wenn du wieder genug für uns beide kochst.“

Mit einem grimmigen Lächeln ging er die Treppe hinunter. Immerhin würde er dafür sorgen, dass sie gesund blieb – auch wenn es ihn innerlich zerriss.

Kelsi zog die Schuhe aus und ließ sich erschöpft aufs Sofa fallen. Um eine weitere Stunde mit Jack zu überstehen, musste sie erst wieder Kraft schöpfen.

Wenn er dachte, sie würde mit ihm das glückliche Paar spielen, hatte er sich geschnitten. Kelsi wusste ganz genau, was er vorhatte. Er wollte sie provozieren. Doch sie würde nicht auf seinen routinierten Charme hereinfallen. Und sie würde sich auch nicht daran gewöhnen, dass er in ihrer Nähe war. Denn sobald es seinem Knie besser ging, war es damit vorbei, und sie würde mit dem Kind allein dastehen.

Außerdem kam sie nicht darüber hinweg, dass er gar nicht hier wäre, wenn sie nicht schwanger wäre. Das war überhaupt nicht gut für ihr Selbstbewusstsein.

Sie hörte, wie er sich im Vorgarten von Alice verabschiedete. Bestimmt war sie eine ganz reizende Person, aber Kelsi konnte sich nicht vorstellen, dass sie bei der Renovierung der alten Villa einen gemeinsamen Nenner finden würden. Alice wollte sicher alles modernisieren, während Kelsi daran gelegen war, so viel wie möglich von den ursprünglichen Details zu erhalten. Wenigstens würde Alice Jack die Idee mit der Feuerwehrstange ausreden.

Sie verdrängte die Bilder, die sich ihr bei dem Gedanken an die Rutschstange aufdrängten, versuchte, ihre Gefühle auszuschalten. Jack jedenfalls empfand ganz offensichtlich nichts für sie. Seit jenem Abend, an dem sie von der Schwangerschaft erfahren hatten, hielt er Abstand. Keine Berührung, kein Blick. Nicht wie damals am Strand. Na gut, er hatte seinen Spaß gehabt – dagegen war nichts zu sagen. Aber offensichtlich war ein Mal genug für ihn.

Für sie bedauerlicherweise nicht. Irgendwie hatte sie gedacht, eine Schwangerschaft würde das sexuelle Verlangen der Frau mindern. Das Gegenteil war der Fall. Sie konnte kaum noch an etwas anderes denken als an Jack nackt am Strand.

Autor

Kathryn Jensen

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