Mr. & Mr. Band 1

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HIGHLANDS CALLING – VERLIEBT IN EINEN SCHOTTEN von K. C. LEONARD
Ein sexy Schotte! Eigentlich wollte Luke Smithe, Ex-Boygroup-Sänger aus London, nur die geerbte Farm in den Highlands verkaufen. Doch der breitschultrige Verwalter Duncan McDunn weckt sofort heiße Lust in ihm – auch wenn Luke noch gar nicht weiß, ob Duncan überhaupt auf Männer steht …

MIAMI DAYS AND NIGHTS von LORENA MORRISSEN
Als Anwalt Julien Allistar den attraktiven David in Miami Beach wiedersieht, spürt er sofort: Er will seinen heimlichen Highschool-Crush, inzwischen erfolgreicher und vermögender Nachtclubbesitzer, noch so sehr wie einst! Bildet er es sich nur ein, oder flirtet David diesmal mit ihm?

BEAUTY OF REVENGE – LODERND WIE DIE RACHE von ZOE LARSEN
„Werden Sie mein Aktmodell.“ Hat er das wirklich zu Damian St. Clair gesagt? Eigentlich will Künstler Rick sich an dem arroganten Adligen rächen, weil der die Schuld am Tod seiner Schwester trägt. Doch als Damian sich in seinem Atelier langsam auszieht, lodert nicht nur das Rachefeuer!


  • Erscheinungstag 08.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522731
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

K. C. Leonard, Lorena Morrissen, Zoe Larsen

MR. & MR. BAND 1

1. KAPITEL

LUKE

Keuchend und schnaufend quält sich mein armer Wagen die gewundene Landstraße hinauf – wobei ich die Bezeichnung Straße für diese Aneinanderreihung von Schlaglöchern wirklich nur schwer rechtfertigen kann. Und das von mir, einem echten Londoner Stadtkind.

In Brixton können wir eine Straße von rund dreihundert Metern Länge mit sage und schreibe einhundertfünfundneunzig Schlaglöchern unser Eigen nennen! Das ist durchschnittlich ein Schlagloch alle anderthalb Meter. Kein Rekord, den es unbedingt zu brechen gilt. Trotzdem scheint, wer immer hier rund um Glenfinnan für die Instandhaltung des Straßenbelags verantwortlich ist, das offenbar als Herausforderung verstanden zu haben, der er nicht widerstehen konnte.

Es ist brüllend heiß – und das liegt nicht etwa daran, dass die schottischen Highlands sich plötzlich in ein tropisches Urlaubsparadies verwandelt hätten. Mitnichten. Aber schon seit etwa sechzig Meilen klettert die Motortemperaturanzeige meines Autos langsam, aber beharrlich dem roten Bereich entgegen. Und ich mag kein Automechaniker sein – ich kann meinen Wagen tanken und fahren, aber damit hat es sich auch –, aber das wirkt auf mich doch irgendwie bedenklich.

Ich habe keine Ahnung mehr wo, aber ich meine, online mal gelesen zu haben, dass es in solchen Fällen hilft, alle überflüssigen Stromfresser abzuschalten und die Heizung auf vollen Touren laufen zu lassen. Entsprechend sind es im Inneren meines kleinen MG nun locker dreißig Grad, und ich sehe mich gezwungen, die Seitenscheibe herunterzulassen.

Gleich im nächsten Moment bereue ich es auch schon wieder.

Bitterlich.

Die Leute, die immer von frischer Landluft schwadronieren, würde ich mal herzlich bitten, sich ein Näschen von dem zu genehmigen, was da zu mir hereinweht.

Frische Luft? Also, für mich riecht das ganz klar nur nach einem: Kuhscheiße.

Ich habe also die Qual der Wahl. Sahara im Hochsommer oder Eau de Jauchegrube. Na, wunderbar. Hätte mir jemand vor einem halben Jahr erzählt, dass ich mich heute in dieser Situation wiederfinden würde, ich hätte ihm geradewegs ins Gesicht gelacht.

Ich, auf dem Weg in ein schottisches Kaff am Ende der Welt. Das ist, als würde man versuchen, sich Lady Gaga bei einer sonntäglichen Bibelgruppe vorzustellen. Man tut es nicht. Und warum? Es passt ganz einfach nicht. Genauso wenig wie das Landleben zu mir.

Ich bin Luke Smithe, fünfundzwanzig Jahre alt, und eigentlich kennt mich jeder. Gosh, außer man hat hinterm Mond gelebt.

Okay, zugegeben, es ist schon ein paar Jahre her, dass BoyZ4U groß in den Schlagzeilen waren, aber mal ehrlich, unsere Songs wurden doch überall rauf und runter gespielt. Und The Girl Next Door ist nun wirklich jedem ein Begriff. Anderthalb Jahre waren wir die neuesten Sterne am Pop-Olymp. Halbwüchsige Mädchen überall auf der Welt hatten Poster von uns über ihren Betten hängen.

Man könnte vermuten, wir hätten damit gut Kohle gemacht. Tja, Fehlanzeige – und zwar auf der ganzen Linie. Nicht, dass wir grundsätzlich schlecht verdient hätten. Aber jeder wollte was vom Kuchen abhaben. Unser Produzent das größte Stück, aber da waren auch noch unser Agent, die PR-Leute und so weiter und so fort. Und was soll ich sagen? Wir vier waren jung! Zwischen sechzehn und achtzehn Jahre alt, und ganz egal, wie erwachsen wir uns auch vorgekommen sein mögen, wir waren es nicht.

Nachdem unsere Karriere als Boyband schließlich beinahe so schnell zu Ende war, wie sie begonnen hatte, war ich zwar recht vermögend für einen Neunzehnjährigen – aber keineswegs reich. Nein, ich will mich nicht beschweren, immerhin habe ich bis heute recht gut davon leben können.

Und da haben wir das richtige Stichwort. Bis heute.

Es ist nicht so, als hätte ich in den vergangenen Jahren einfach nur die Hände in den Schoß gelegt und nichts getan. Ganz im Gegenteil sogar. Ich habe die vergangenen Jahre damit verbracht, meine Solokarriere anzukurbeln. Nur leider ohne großen Erfolg.

Okay, okay, ich gebe es zu, das ist noch milde ausgedrückt. Die Wahrheit ist: Es lief bislang absolut katastrophal. Zwei Soloalben habe ich rausgebracht. Vom ersten verkauften sich sage und schreibe fünfhundertachtundzwanzig Exemplare. Und meinen Schätzungen zufolge sind meine Mutter und die Damen aus ihrem Kirchenchor für mindestens achtundzwanzig davon verantwortlich.

Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Platte ein absoluter Flop war, und es hat mich einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, mein Label dazu zu überreden, noch einen zweiten Versuch mit mir zu wagen.

Nicht allzu schwer zu erraten, was passiert ist, da ich mich gerade auf dem Weg in ein kleines schottisches Dorf befinde und nicht zu den Studios von Top of the Pops. Es lief nicht gut. Ganz und gar nicht sogar. Die wenigen Kritiken, die überhaupt geschrieben wurden, waren vernichtend, das Feedback der Fanbase so verhalten enthusiastisch, dass es eigentlich nur eines bedeuten konnte: Das Album war der letzte Schrott. Denn ganz gleich, wie schlecht etwas auch sein mag, Hardcore-Fans finden eigentlich immer etwas Positives zu sagen.

Nun, die Plattenfirma hat mir nach diesem Reinfall endgültig den Stecker gezogen, und um ein weiteres Album zu veröffentlichen, hätte ich alles selbst finanzieren müssen. Und ganz davon abgesehen, dass ich mir das nicht leisten kann, glaube ich auch ehrlich gesagt nicht, dass es großen Sinn machen würde.

So sehr es mich auch schmerzt, mir das einzugestehen, aber wenn kein Wunder geschieht, sieht es ganz so aus, als wäre meine Karriere als Musiker bereits vor meinem sechsundzwanzigsten Geburtstag zu Ende.

Die einzigen Personen, die mich noch in meinem Traum unterstützen, weiterhin Musik zu machen, sind meine Mum und meine beste Freundin Beyoncé. Nein, nicht Knowles. Meine Beyoncé hat nicht einen Funken Rhythmus im Blut – und das sage ich nicht, weil ich ein Musik-Snob bin oder so. Wir sind mal völlig betrunken in einer Karaoke-Bar gelandet … Nein, ich hatte Bey bei meinem Leben schwören müssen, diesen Vorfall niemals wieder zu erwähnen. Außerdem gehört die Geschichte jetzt wirklich nicht hier hin.

Was mich zurück zur eigentlichen Frage bringt: Warum ist ein Typ wie ich in einer gottverlassenen Gegend wie dieser hier unterwegs?

Die Antwort darauf ist natürlich vielschichtig, aber im Grunde genommen läuft es auf zwei Dinge hinaus: Ich bin pleite – und ich habe geerbt. Das Anwesen meiner Tante Gwendolyn, die ich als kleiner Junge zum letzten Mal gesehen habe.

Nun, Anwesen … Das Wort trifft es vielleicht nicht so ganz, wenn ich ehrlich sein soll. Es ist im Grunde genommen eher ein landwirtschaftlicher Betrieb.

Ja, schön, es ist ein Bauernhof. Und das bedeutet, dass ich für unbestimmte Zeit auf einem Bauernhof mitten in den schottischen Highlands wohnen werde.

Wenn ich denn dort ankomme. Was angesichts der Tatsache, dass mein Wagen immer lauter keucht und schnauft, durchaus fraglich ist. Die Nadel für die Motortemperaturanzeige ist jetzt auch komplett am Anschlag (vielen Dank für den tollen Tipp, Internet!), und im Armaturenbrett sind ein paar Warnlichter angegangen, von deren Existenz ich bisher nicht einmal etwas geahnt habe.

Und dann gibt es einen Knall. Im nächsten Moment dringt Dampf unter der Motorhaube hervor, und ich sehe erst mal gar nichts mehr. Macht aber nichts, denn es ist ja nicht so, als würde ich mich noch vorwärtsbewegen.

Es sieht ganz so aus, als hätte mein treuer alter MG das Zeitliche gesegnet. Der Motor ist aus, die Anzeigen tot.

Verdammt.

Ich ziehe die Handbremse an und steige aus. Obwohl ich keine Ahnung habe, was das bringen soll, strecke ich die Hand nach der Verriegelung der Motorhaube aus. Ist ja nicht so, als würde irgendetwas, das sich darunter verbirgt, für mich einen Sinn ergeben.

„Das würde ich an Ihrer Stelle lieber lassen“, erklingt plötzlich eine Stimme hinter mir, und ich fahre erschrocken zusammen.

„Heilige Scheiße!“, stoße ich fluchend hervor. Ich wirble herum und will gerade richtig loslegen, als ich plötzlich alles vergesse, was ich sagen wollte. Wie gingen Worte noch mal? Und wozu sind die gut, wo man stattdessen doch einfach nur dieses göttliche Exemplar Mann anstarren kann, das wie aus dem Nichts plötzlich hinter mir aufgetaucht ist?

Keine Ahnung, wie lange ich so dastehe. Einen besonders intelligenten Eindruck mache ich dabei ganz sicher nicht. Aber da mein Kopf in diesem Moment wie leergefegt ist, kann von Intelligenz auch nicht die Rede sein.

Dabei bin ich sonst eigentlich überhaupt nicht so.

Ehrlich.

Ich meine, sicher, ich lasse nichts anbrennen. Ein gut aussehender Typ, der mich anflirtet? Da sage ich nicht Nein. Aber dieser Typ hier, der hat mich nicht angeflirtet. Überhaupt hat er nicht gerade besonders viel gesagt, wenn ich recht darüber nachdenke.

Na immerhin, ich kann wieder denken, mein Gehirn ist also wieder angesprungen.

Was man vom Motor meines Wagens nicht behaupten kann.

„Ich … äh … was?“

Okay, vielleicht ist es noch nicht so ganz angesprungen.

Er hebt eine Braue. „Ich sagte, dass ich die Motorhaube an Ihrer Stelle lieber nicht anfassen würde.“

Was soll das jetzt? Wir kennen uns keine zwei Minuten, und schon will der Typ mir Vorschriften machen? So weit kommt es noch!

Ich strecke meine Hand gerade wieder nach der Verriegelung der Motorhaube aus, als er ein tiefes Grollen ausstößt (das mich irgendwie total anmacht – Oh! Em! Gee!) und mir (auch Oh! Em! Gee! – aber anders) einen Schubs gibt, der mich zur Seite taumeln lässt.

„Hey! Was soll das?“

Er runzelte die Stirn. „Hören Sie schlecht? Ich sagte, Sie sollen …“

„Ich soll meine Finger von der Motorhaube meines Wagens lassen – ich habe Sie schon verstanden“, falle ich ihm barsch ins Wort. „Allerdings lasse ich mir nicht gern sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Schon gar nicht von einem Wildfremden, der mitten in den Highlands wie aus dem Nichts plötzlich hinter mir auftaucht!“

Achselzuckend tritt er beiseite. „Bitte sehr“, sagt er. „Von mir aus verbrennen Sie sich ruhig Ihre Finger an der Motorhaube, die vermutlich heiß genug ist, dass man ein Spiegelei drauf braten könnte. Nicht mein Problem.“

Oh …

Oh!

„Im Übrigen“, spricht er weiter, „bin ich nicht aus dem Nichts plötzlich hinter Ihnen aufgetaucht. Ich komme von dahinten.“ Er deutet zur Kuppe eines Hügels, hinter der, jetzt, wo ich genauer hinsehe, das Dach eines Hauses zu erkennen ist. „Das Schnauben und Ächzen Ihres Wagens war schon von Weitem zu hören. Ich wollte einfach nur sehen, ob ich eventuell helfen kann. Aber ganz offensichtlich kommen Sie ja ganz wunderbar allein zurecht, nicht wahr?“

Also, das läuft nicht ganz so optimal, wie ich zugeben muss. Und ich fühle mich jetzt nicht nur ziemlich dumm, sondern auch ein bisschen schlecht, weil ich mich ihm gegenüber so aufgeführt habe. Er will ja nur helfen.

Behauptet er zumindest.

Gut, der Stadtjunge in mir wird gleich schon wieder misstrauisch. Meiner Erfahrung nach tut niemand etwas Nettes, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten. Wenn mir dasselbe auf einer Straße irgendwo in Camden passiert wäre, würde ich jetzt in meiner Jackentasche nach dem Pfefferspray greifen.

Aber hier draußen? Am Arsch der Welt?

Ich hole tief Luft. „Also, um ehrlich zu sein, ich schätze, ich könnte schon ein bisschen Hilfe brauchen.“

Einen Moment lang schaut er mich nur an. Versucht er jetzt, meine Gedanken zu lesen? Das wäre … nicht so gut. Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf dieser Welt dafür wirklich bereit ist.

Schließlich zuckt einer seiner Mundwinkel, was ich als Lächeln deute. Er scheint mir eher der stoische Typ zu sein, sodass das für ihn vermutlich bereits ein regelrechter Gefühlsausbruch ist.

„Na, dann kommen Sie mal mit“, sagt er, und ich blinzle.

„Mit? Wohin?“

Er rollt mit den Augen, so als wäre das mit Abstand die dämlichste Frage, die ihm je gestellt worden ist. „Na, zum Haus. Ich habe es Ihnen doch vorhin gezeigt.“ Er deutet wieder in Richtung des Hügels.

Ich schüttle den Kopf. „Nein, nein, ich meine, warum? Ich dachte, Sie wollten mir mit dem Wagen helfen.“

„Und mir die Finger verbrennen? Nein, danke. Der Wagen muss erst einmal abkühlen. Und Sie brauchen dringend ein Glas Wasser und etwas Schatten, ihr Kopf ist ja schon ganz rot.“

„Charmant.“

Er hebt eine Braue. „Es gehört nicht zu meinen Angewohnheiten, mit jedem dahergelaufenen Fremden zu flirten. Nicht, dass sich besonders oft jemand hierher verirren würde. Was mich zur nächsten Frage bringt: Was genau haben Sie hier draußen verloren? Haben Sie sich verfahren?“

Mein Gehirn hängt immer noch irgendwie beim ersten Teil seiner Erwiderung fest. Er flirtet nicht mit Fremden? Mit Bekannten aber schon, oder wie?

Ehe ich auf irgendwelche dummen Ideen komme, winke ich innerlich ab. Er sprach sicher nicht von männlichen Fremden – oder männlichen Bekannten. Verdammt, er hat mich echt aus dem Konzept gebracht.

Hatte er noch etwas gesagt? Ich bin mir plötzlich nicht mehr so sicher.

Ach, ja, doch, jetzt fällt es mir wieder ein.

„Oh … äh … nein, ich habe mich nicht verfahren“, erwidere ich. „Auch wenn ich mir vorstellen kann, dass es so aussehen muss. Ich meine, ich bin jetzt nicht so der Typ Landei.“ Ups, habe ich das gerade wirklich gesagt? Das war jetzt vielleicht nicht so besonders diplomatisch, was?

Ist ihm offensichtlich auch nicht entgangen, so wie er mich ansieht.

„Also, nicht, dass ich damit sagen will, dass Sie ein Landei sind“, spreche ich schnell weiter. „Sind Sie nämlich nicht. Denke ich jedenfalls. Ich kenne aber auch nicht so viele Landeier, ich komme nämlich aus der Großstadt. London, um genau zu sein.“

„Ein Londoner.“

Warum nur klingt das aus seinem Munde wie ein Schimpfwort? Also, ich war eigentlich immer stolz darauf, aus einer Millionenmetropole zu kommen. London ist … fantastisch?

Na schön, es ist laut, überfüllt und schmutzig. Aber es hat auch seine guten Seiten. Ganz sicher. Ich brauche nur einen Moment, um mir in Erinnerung zu rufen, welche.

„Ja, in Notting Hill geboren und aufgewachsen. Aber das wissen Sie ja vermutlich längst.“

Jetzt blinzelt er überrascht. „Woher sollte ich das wissen?“

Nein, kann nicht sein. Er weiß nicht, wer ich bin? Gibt es denn auf dieser Welt keinen Menschen mit einem Funken Musikgeschmack mehr? Ich meine, mal ehrlich, BoyZ4U mögen nur eine kurze Zeit des Ruhms gehabt haben, aber wir haben immerhin Stadien gefüllt.

Jetzt nicht die ganz großen, zugegeben. Aber immerhin. Wir waren im Fernsehen, und im Radio hat man unsere Songs rauf und runter gespielt. Es kann doch nicht sein, dass sich daran niemand mehr erinnert!

Ich winke ab. „Ist nicht so wichtig. Auf jeden Fall bin ich hier, weil ich von einer entfernten Tante ein Haus geerbt habe.“

Bilde ich mir das nur ein, oder verfinstert sich seine Miene plötzlich?

„Ein Haus, soso.“

„Na ja, genau genommen ist es wohl eher ein Bauernhof.“

„Das ist ja interessant.“

„Also, das ist dann wohl Ansichtssache. Ich muss offen gestehen, dass ich anfangs nicht besonders angetan von dem Gedanken war. Ich meine, ich und ein Bauernhof? Das passt nicht so wirklich, oder wirke ich auf Sie wie jemand, der Ställe ausmistet oder Kühle melkt?“

„Nein“, entgegnet er ausdruckslos. „Das ist wohl eher ein Job für Landeier wie mich.“

Verdammt, schon wieder mitten ins Fettnäpfchen.

Ich sollte daraus echt einen Beruf machen. Wenn ich in einem wirklich gut bin, dann darin, Dinge zu sagen, die ich besser nicht sagen sollte. Ich rede nämlich meistens, ohne vorher nachzudenken, was mich schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hat.

„So habe ich das nicht gemeint. Echt nicht.“ Ich breite die Arme aus. „Ich bin einfach ein Stadtkind, was soll ich sagen? Bei mir gehen sogar Topfpflanzen ein, weil ich es nicht auf die Reihe kriege, sie regelmäßig zu gießen. Und da soll ich mich um echte lebende Wesen kümmern? Ich glaube kaum, dass das eine besonders gute Idee ist.“

Mein Gegenüber verschränkt die Arme vor der Brust. „Und trotzdem sind Sie hier.“

Ich sehe zu ihm auf. Er ist echt riesig. Ein Berg von einem Mann. Und wirklich verdammt attraktiv, habe ich das schon erwähnt? Breite Schultern, kräftige Arme, die von Stunden harter körperlicher Arbeit sprechen. Das blonde Haar ist von der Sonne gebleicht, sodass es golden schimmert, und ein Dreitagebart verleiht ihm etwas leicht Verwegenes. Ich habe mich auch mal daran versucht. Bei mir sah es absolut bescheuert aus.

Sein Gesicht mag jetzt nicht klassisch schön sein, nein, wirklich nicht. Dazu ist seine Nase ein wenig zu groß und sein Kinn zu kantig. Außerdem sind seine Brauen etwas zu buschig. Aber was soll ich sagen, er ist genau mein Typ. Ich mag Männer, die wissen, was sie wollen und auch in der Lage sind, es sich zu nehmen, und ja, damit meine ich natürlich in beiderseitigem Einverständnis.

Dumm nur, dass genau dieser Typ Mann meistens stock-hetero ist. Macht vermutlich auch irgendwie Sinn. Wenn ich aussähe wie ein schottischer Baumfäller-Adonis und mir alle Frauen zwischen sechzehn und sechzig auf der Straße hinterherschauen, hätte ich vielleicht auch Zweifel an meiner Homosexualität. Andererseits wahrscheinlich auch nicht. Denn ich will ehrlich sein: Mir könnte man die schönste Frau der Welt auf den Bauch binden, und es würde nichts passieren. Nada. Niente. Ist nicht so, als hätte ich es nicht wenigstens versucht.

Ich meine, mal ehrlich, ich war gerade mal siebzehn, als BoyZ4U den ersten – und letzten – wirklich großen Hit landete, den wir nie wieder toppen konnten. Praktisch über Nacht war ich der Traum aller weiblichen Zuschauer von Top of the Pops. Diese Situation hätte ja wohl jeder genutzt, um es wenigstens mal auszuprobieren?

Denn Schwulsein ist auch heute im ach so fortschrittlichen einundzwanzigsten Jahrhundert noch immer kein Zuckerschlecken. Sicher, in den meisten zivilisierten Ländern ist es heutzutage zumindest nicht mehr strafbar. Aber das bedeutet nicht, dass jeder da draußen tolerant und weltoffen ist. Ich brauche ja nur auf meine eigene Familie zu schauen, um das zu wissen. Aber ich schweife ab. Wie üblich.

Jedenfalls ist mein freundlicher – nun ja, sagen wir pflichtbewusster – Helfer ganz sicher alles, aber nicht schwul. Und außerdem scheint er mich auch nicht sonderlich sympathisch zu finden. Schade eigentlich. Aber vielleicht auch besser so, immerhin habe ich andere Prioritäten.

„Ja“, sage ich. „Trotzdem bin ich hier. Weil mir bedauerlicherweise keine andere Wahl bleibt.“

DUNCAN

Ich starre ihn an. Den Mann, der all meine Hoffnungen, meine schönen Zukunftspläne mit einem Schlag zunichtegemacht hat. Denn dass er es ist, daran hege ich inzwischen nicht mehr den geringsten Zweifel.

Das erste Mal von ihm erfahren habe ich bei der Eröffnung von Gwendolyns Testament. Und, ja, es war ein ganz schöner Schock. Zum einen, weil Gwendolyn nie auch nur die Existenz eines Neffen angedeutet hatte. Und zum anderen, weil sie Sunny Acres eigentlich mir versprochen hat.

Mir, dem Mann, der die vergangenen fünfzehn Jahre bei ihr auf dem Hof gelebt und gearbeitet hat. Der sich den Rücken für sie krummgebuckelt hat, während dieser … dieser Milchbubi in London vermutlich gemütlich in irgendeinem Büro gehockt und Akten hin- und hergeschoben hat.

Dabei hatte ich so viele Pläne mit Sunny Acres. Ich wollte den Hof komplett umorganisieren und auf Bio umstellen. Sogar mit einigen Restaurants in der Gegend habe ich schon gesprochen und erstes Interesse für mein Projekt wecken können. Regional, nachhaltig, Bio. Das sind die Dinge, die heutzutage immer mehr Menschen interessieren, die dann auch oft bereit sind, dafür etwas mehr springen zu lassen, auch wenn das Geld vielen längst nicht mehr so locker sitzt wie noch vor ein paar Jahren.

Da ist es umso wichtiger, sich im Markt zu positionieren. Eine Nische zu finden und sich dort einen Namen zu machen.

Keine Ahnung, wie oft ich Gwendolyn diese Predigt gehalten habe. Und sie hat immer milde gelächelt und gesagt, dass ich mit dem Hof machen könne, was ich wollte, wenn sie einmal nicht mehr sein sollte.

Pustekuchen!

„Sie sind wirklich zu bedauern“, sage ich – lauter als beabsichtigt, denn er sieht mich jetzt an und hebt eine Braue.

„Wie bitte?“

Ich winke ab. „Ich habe einfach so dahergeredet. Vergessen Sie es.“

Aber er schüttelt den Kopf. „Nein, ich wüsste jetzt schon gern, wie Sie das gemeint haben. Sie kennen mich doch gar nicht. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie bereits ein Urteil über mich gefällt haben.“

„Das bilden Sie sich ein“, knurre ich. „Kommen Sie jetzt mit oder wollen Sie in der gleißenden Sonne stehen bleiben, bis Sie umkippen?“

Ein durchaus nicht zu unterschätzendes Risiko, so wie ich das sehe. Als Junge habe ich mal einen Cartoon gesehen, bei dem der Protagonist sich so aufgeregt hat, dass sich sein Kopf in einen Dampfkochtopf verwandelt hat, unter dessen Deckel der Dampf hervorquoll. Daran muss ich jetzt denken, als ich ihn ansehe.

Er zögert noch, doch als ich mich abwende und in Richtung Sunny Acres davongehe, spüre ich, auch ohne über meine Schulter zurückzublicken, dass er mir folgt. Gut. Es wird Zeit, dass er sein Erbe antritt – und zwar mit allem, was dazugehört.

LUKE

„Schön haben Sie’s hier“, sage ich.

Es ist eine glatte Lüge, aber man will ja nicht unhöflich sein. Trotzdem, als schön kann man den schäbigen kleinen Bauernhof, zu dem er mich führt, nicht gerade bezeichnen.

Er besteht, soweit ich das erkennen kann, aus einem großen Haupthaus (groß natürlich nur im Vergleich zu den angrenzenden Gebäuden), etwas, das wie ein Geräteschuppen aussieht, einer Scheune und zwei weiteren Gebäuden, in denen, dem Geruch und den Geräuschen nach zu urteilen, die daraus hervordringen, Tiere untergebracht sind.

Auf dem Hof laufen außerdem einige Hühner frei herum, die mich neugierig mustern, aber zum Glück Abstand wahren. Eine grau-schwarz getigerte Katze liegt auf der unebenen Treppe, die zur Haustür führt, in der Sonne, und … ist das eine Ziege? Ja, ich bin ziemlich sicher, dass es sich bei dem Tier, das ein Stück weit entfernt an einem Stein zu lecken scheint, um eine Ziege handelt. Nicht, dass ich da ein Experte wäre. Aber ich glaube so ein Tier schon einmal im Streichelzoo in London gesehen zu haben.

Wie von meinen Gedanken magisch angelockt, blickt die Ziege jetzt auf und geradewegs in meine Richtung. Dann stößt sie einen meckernden Laut aus, woraufhin ein, nein zwei … nein drei Artgenossen aus irgendwelchen Schlupflöchern angerannt kommen.

Und zwar geradewegs auf mich zu.

Ich muss einen Laut des Entsetzens ausgestoßen haben, denn ich höre meinen neuen Bekannten zuerst spöttisch schnauben und dann leise lachen. Die Pluspunkte, die er sich verdient hat, als er mich vorhin vor üblen Verbrennungen bewahrte, verliert er hier gleich wieder, weil er sich jetzt über mich lustig macht.

Wobei ich, um ganz fair zu sein, vermutlich wirklich ein ziemlich absurdes Bild abgebe, als ich jetzt mit weit aufgerissenen Augen einer kleinen Herde Ziegen gegenüberstehe. Ich habe nur mit Mühe meinem ersten Impuls, die Flucht zu ergreifen, nicht nachgegeben. Und das im Grunde auch nur, weil ich mal irgendwo gelesen habe, dass man bei Hunden, wenn man vor ihnen davonläuft, den Jagdinstinkt weckt. Wer weiß, vielleicht ist das bei Ziegen ja genauso?

Jedenfalls umkreisen sie mich jetzt laut meckernd und versuchen, mit ihren weichen Nasen in meine Jacken- und Hosentaschen zu gelangen.

„Hey, geht’s noch?“, kreische, nein, schimpfe ich, als eine der Ziegen anfängt, auf dem Stoff meiner Hosen herumzukauen und dabei meinem besten Stück bedenklich nahe kommt. 

Jeder Versuch, einen Ziegenkopf wegzuschieben, wird nur damit belohnt, dass ein anderer seinen Platz einnimmt. Ich komme mir vor wie Sisyphus, der immer wieder denselben Felsbrocken den Hang hinaufrollt, nur um ihn dann wieder herunterpurzeln zu sehen. Sisyphus hatte aber den Vorteil, dass der Felsbrocken nicht an seinen Familienjuwelen interessiert war.

„Die suchen nur nach Futter“, erklärt mein neuer Bekannter, und ich kann das spöttische Schmunzeln in seiner Stimme regelrecht hören.

„Lassen Sie die Biester aushungern, um sie als Wachhunde zu verwenden?“, frage ich und keuche auf, als eine der Ziegen auf die Idee kommt, an mir hochzuklettern. Zum Glück haben sie keine Krallen, aber diese harten kleinen Hufe tun auch ganz schön weh.

Sein Lachen begleitet mich, als ich nun doch mein Heil in der Flucht suche und auf die grobe, aus einem einzigen Holzstamm geschnitzte Bank klettere, die unter einem der Fenster des Haupthauses steht.

„Es ist ja wirklich schön, dass meine kleine Zwangslage ein solcher Quell der Erheiterung für Sie ist“, stoße ich bitter hervor. „Aber vielleicht könnten Sie für einen Moment damit aufhören, sich auf meine Kosten zu amüsieren, und mir ein wenig helfen? Vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Ich hab’s nicht so mit Tieren.“

Die einzige Ausnahme ist mein Kater Theo, der im Moment bei Bey untergekommen ist, aber das muss der Unbekannte ja nicht unbedingt wissen, oder?

Ein schrilles Pfeifen erklingt, und die Ziege, die gerade noch fröhlich an meinem Hemdsaum geknabbert hat, während sie sich mit den Hufen an meinen Unterschenkeln abstützte, sinkt mit einem beleidigten Meckern wieder auf den Boden hinunter.

„Dancer“, ruft mein neuer Bekannter. „Vixen, Prancer, lasst den Mann in Ruhe, ich glaube, er ist noch nicht bereit für euren ganz speziellen Sinn für Humor.“

Fassungslos starre ich ihn an. „Dancer, Vixen und Prancer? Sie haben Ihre Ziegen nach den Rentieren benannt, die den Schlitten von Santa Claus ziehen? Ist das Ihr Ernst?“

Er zuckt die Achseln, dann klatscht er in die Hände, und die Ziegen verschwinden dorthin zurück, wo sie hergekommen sind.

„Sind Sie so was wie ein Ziegenflüsterer?“

Einen Moment lang starrt er mich einfach nur an, dann fängt er an, schallend zu lachen. Und auch wenn er auf meine Kosten lacht, kann ich doch nicht anders, als mitzulachen, so ansteckend ist es. Ich lache und lache, bis mir die Seiten wehtun, und vergesse beinahe, warum ich hier bin, in Schottland, und was für Probleme ich habe (kein Geld, ein kaputtes Auto …). Die Situation ist so skurril, dass es tatsächlich eine Weile dauert, bis ich bemerke, dass ich der Einzige bin, der noch lacht.

Blinzelnd richte ich mich auf, die Hände in die Seiten gepresst, und ertappe meinen schottischen Adonis dabei, wie er mich anstarrt. Für einen Moment bleibt mir regelrecht die Spucke weg, und mein Herz fängt an, wie verrückt zu hämmern.

Es dauert allerdings nicht lange, bis ich mich wieder im Griff habe. Schön bescheuert, da irgendetwas hineinzuinterpretieren. Vor allem, weil ich vermutlich kaum mehr als eine halbe Stunde mit ihm zu tun haben werde.

Einen Schluck trinken, warten, bis der Wagen abgekühlt ist, und dann hoffen, dass ein Wunder geschieht und der Motor einfach wieder anspringt. Wobei ich nicht wirklich an Wunder glaube.

„Gibt es hier in der Gegend eine gute Werkstatt?“, frage ich, als wir das Gebäude betreten. Mit gut meine ich vor allem billig, aber ich will nicht so ins Detail gehen, denn wenn ich ganz ehrlich bin, dann möchte ich nicht, dass er mich für einen total abgebrannten Versager hält. Der ich vermutlich bin, aber das tut ja jetzt nichts zur Sache.

Es ist gleich sehr viel kühler im Inneren des Hauses, was nach der Hitze draußen eine echte Erleichterung ist. Ich atme auf und blicke mich um. Zuerst sehe ich allerdings nicht viel, denn es ist auch sehr viel dunkler als draußen. Aber bald haben sich meine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt, und ich blinzle überrascht.

Okay, es ist jetzt nicht supermodern, aber auch nicht so altbacken eingerichtet, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Wobei es mich fast schon überrascht, dass ich etwas erwartet habe.

Der Eingangsbereich ist winzig. Nur dadurch, dass gleich drei Türen davon abgehen, die allesamt offen stehen, wirkt er nicht klaustrophobisch. Und ich bin echt an winzige Besenkammern gewöhnt, die in Central London als Appartements bezeichnet und für viel Geld vermietet werden.

An der Wand direkt neben der Tür ist eine Garderobe angebracht, an der ein quietschgelber Regenmantel mit Matschspritzern hängt. Auf der gegenüberliegenden Seite steht eine schmale Kommode samt Spiegel, auf der, eingezwängt zwischen einer Schale mit Schlüsseln und einer Vase mit Trockenblumen, eine schwarze Katze liegt und leise schnurrend döst.

Sie öffnet kurz ein Auge und mustert mich, bevor sie offenbar zu dem Schluss kommt, dass von mir keine Bedrohung ausgeht, es wieder schließt und weiterschläft.

„Die Küche ist dort drüben“, sagt mein neuer Bekannter – ich sollte ihn vielleicht mal nach seinem Namen fragen – und deutet zur Tür geradeaus. „Setzen Sie sich ruhig schon mal, ich komme gleich.“

Er zieht seine Gummistiefel (ebenfalls quietschgelb, was man unter der dicken Schmutzschicht aber kaum sehen kann) aus und stellt sie unter die Garderobe. Dann blickt er auf. „Was ist? Brauchen Sie eine Extraeinladung?“

„Nein … nein, natürlich nicht.“ Ich merke, wie meine Wangen heiß werden, und eile voraus in die Küche. Die ist ebenfalls klein, aber sehr gemütlich eingerichtet mit einem Kachelofen, der im Winter bestimmt herrliche Wärme verströmt, einer Eckbank, zwei Stühlen und einem Tisch sowie einer Küchenzeile, die zwar alt aussieht, aber noch gut in Schuss zu sein scheint.

Wie geheißen setze ich mich und schaue zum Fenster hinaus, vor dem auf halber Höhe eine Spitzengardine hängt. Der Ausblick ist nicht so wahnsinnig spektakulär, muss ich sagen. Man sieht den Hof, dessen Boden mehr oder weniger aus fest getretener Erde zu bestehen scheint, die in der Sommerhitze offenbar knochenhart ist. Bei Regen, das stelle ich mir zumindest vor, verwandelt er sich vermutlich in eine regelrechte Moorlandschaft.

Ein Schauer durchrieselt mich.

Ich möchte definitiv nicht hier sein, wenn das Wetter umschlägt.

Aber allein der Gedanke ist völlig absurd. Warum sollte ich hier sein? Ich muss weiter zu meinem eigenen Hof, und zwar so schnell wie möglich. Und zwar nicht, um dort zu leben oder irgendwas in der Art. Nein, natürlich nicht. Fürs Landleben bin ich einfach nicht geschaffen, ganz gleich, ob ich nun stolzer Bauernhofbesitzer bin oder nicht.

Der ich im Übrigen nicht mehr lange zu sein beabsichtige. Ich gedenke nämlich, den Hof so schnell wie irgend möglich zu verkaufen. Von dem Geld, das ich damit mache, kann ich hoffentlich für eine Weile über die Runden kommen. Zumindest so lange, bis ich die Plattenfirma davon überzeugt habe, dass mein aktuelles Projekt es wert ist, darin zu investieren. Oder bis ich einen Job gefunden habe, der es mir erlaubt, in London zu leben und nicht bloß zu überleben, ohne dafür meine Seele verkaufen zu müssen. Je nachdem, was zuerst kommt.

Dass ich überhaupt hierher nach Schottland kommen musste, geht mir schon gewaltig gegen den Strich. Ich meine, warum der ganze Aufwand? Ich muss mir den Hof doch nicht persönlich ansehen, um ihn zu verkaufen, oder? Man sollte doch meinen, dass es in Zeiten von E-Mail und Internet möglich ist, solche Dinge unkomplizierter abzuwickeln. Aber nein, der Brief des Notars, der auch der Testamentsverwalter meiner Tante gewesen ist, war da mehr als deutlich. Entweder ich schwinge meinen knackigen Hintern (stand so nicht im Brief, hätte aber durchaus da stehen können, entspricht nämlich den Tatsachen) hierher in die Highlands, oder ich muss auf das Erbe verzichten.

Und das kommt für mich natürlich nicht infrage. Ergo …

Ein Glas Wasser wird vor mir auf den Tisch geknallt, und ich kehre blinzelnd in die Gegenwart zurück.

„Trinken“, sagt mein schottischer Adonis und nickt in Richtung des Glases. „Mit was anderem als Kranwasser kann ich nicht dienen. Ihr Gaumen ist vermutlich an anderes gewöhnt, aber da kann ich Ihnen leider nicht helfen.“

Ich nehme das Glas und trinke einen Schluck. Es schmeckt nach … Wasser. Große Überraschung. Aber ich hatte vermutlich irgendeinen Nachgeschmack erwartet, weil ich … ja, weil ich nun mal ein Snob aus der Großstadt bin, der denkt, dass Wasser in PET-Flaschen an Bäumen wächst.

Vielleicht schmeckt es mir auch nur deshalb so gut, weil ich kurz vorm Verdursten war und dieses Kranwasser wie erfrischende Ambrosia meine trockene Kehle hinunterrinnt. Was immer davon auch zutrifft, ich habe keinen Grund, mich zu beschweren.

„Kann ich noch eins haben?“, frage ich, als ich ausgetrunken habe, und halte ihm das Glas hin.

Er stößt sich mit dem Hintern von der Arbeitsplatte ab, an der er lehnt, und nimmt das Glas entgegen.

„Sicher“, sagt er nüchtern. „Gehört ja eh Ihnen.“

Ich blinzle. „Wie darf ich das verstehen?“

„Na, wie ich es gesagt habe“, erwidert er, und wenn mich nicht alles täuscht, glaube ich einen Hauch von Missbilligung in seiner Stimme mitschwingen zu hören. „Das Wasser gehört Ihnen. Ebenso wie das Glas, der Stuhl, auf dem Sie sitzen, der Tisch, überhaupt die ganze Küche, der Hof und die Tiere, die dazugehören.“

Einen Moment brauche ich noch, um eins und eins zusammenzuzählen. Vermutlich, weil mein Verstand von der Hitze ein bisschen weichgekocht ist. Doch dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

„Das hier ist …“

„Sunny Acres, der Hof Ihrer verstorbenen Tante Gwendolyn, ganz genau.“

2. KAPITEL

Duncan

Er hat also wirklich und wahrhaftig keine Ahnung gehabt, wo er sich befindet? Es war reiner Zufall, dass er auf der Zufahrtsstraße gleich unterhalb des Hofes mit seinem Wagen liegen geblieben ist?

Im Ernst?

Na ja, letzten Endes macht es ja auch nicht wirklich einen Unterschied, wie er hier gelandet ist. Fest steht nur, dass er jetzt hier ist – und dass ihm der Hof gehört. Ihm und nicht mir.

Ja, ich bin bitter, das kann ich nicht bestreiten. Aber durchaus nicht zu Unrecht, wie ich finde. Immerhin war ich es, der hier jeden Tag aufs Neue geschuftet hat, damit der Hof am Laufen bleibt, nicht er. Und Gwendolyn … Na ja, die war in den letzten Jahren auch nicht wirklich eine große Hilfe, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Ich habe Sunny Acres mehr oder weniger allein betrieben. Und das ist kein Zuckerschlecken.

Jeden Morgen noch vor Sonnenaufgang raus und die Tiere versorgen, dann die ganzen anderen Arbeiten erledigen, die jeden Tag anfallen und von Städtern so gern romantisiert werden. Zu Unrecht. An Ställe ausmisten und Exkremente schaufeln ist nun wirklich nichts romantisch.

Absolut gar nichts.

Trotzdem sind das natürlich Dinge, die erledigt werden müssen, ob sie einem nun gefallen oder nicht. Und so ein kleiner Hof wie Sunny Acres wirft nun mal nicht genug ab, um Hilfsarbeiter einstellen zu können. Ich muss es wissen, schließlich habe ich all die Jahre, neben Kost und Logis, für einen Hungerlohn geschuftet.

Natürlich habe ich das nicht aus reiner Herzensgüte getan. Ich mochte Gwendolyn, sicher. Sie war eine bewundernswerte Frau, ein bisschen verschroben vielleicht und mit ziemlich festgefahrenen Ansichten. Aber sie war auch offen, ehrlich und erfrischend geradeheraus. Und – was in meiner Situation ein großer Vorteil war – aufgeschlossen gegenüber meinem, wie man es hier in der Gegend so schön nennt, alternativen Lebensstil.

Ja, ich bin schwul. Und, nein, das wird hier im eher ländlichen Teil Schottlands keineswegs mit großer Begeisterung und flatternden Pride-Fähnchen aufgenommen. Was ein Grund dafür ist, dass die meisten schwulen oder bisexuellen Männer es vorziehen, nicht offen zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen.

Ich kann das gut nachvollziehen, aber für mich war das einfach nichts. Und vielleicht hatte ich es auch ein bisschen einfacher als so manch anderer, weil ich aussehe, wie ich nun mal aussehe. Und das ist allem Anschein nach so, wie sich der schottische Durchschnittsbürger einen schwulen Mann eben nicht vorstellt.

Aber ich schweife ab.

Was ich eigentlich sagen wollte, war, dass Gwendolyn mich immer so akzeptiert hat, wie ich bin. Und dafür bin ich ihr auch wirklich dankbar. Was aber nicht heißt, dass ich deswegen nicht sauer auf sie wäre.

Das bin ich nämlich.

Sie hat mehr als einmal angedeutet, dass ich Sunny Acres eines Tages mir gehören sollte. Und ich Idiot habe fest damit gerechnet, dass das nicht nur leere Worte waren. Bei der Testamentseröffnung kam dann das böse Erwachen. Ich habe nicht schlecht gestaunt, das können Sie mir ruhig glauben. Irgendeinem Neffen, von dessen Existenz ich bis dahin noch nie auch nur gehört hatte, hat sie den Hof vererbt. Und seitdem hänge ich jetzt praktisch in der Luft, führe den Hof weiter, kann aber keine Entscheidungen treffen und keine Veränderungen vornehmen. Im Grunde sollte ich vermutlich einfach meine Koffer packen, verschwinden und woanders neu anfangen.

Aber, verdammt, ich hänge an Sunny Acres. Der Hof und die Tiere sind mir in den vergangenen Jahren echt ans Herz gewachsen. Und ich hatte so viele Pläne, die ich jetzt nicht einfach so aufgeben kann oder will.

Jedenfalls nicht, solange noch ein winziger Hoffnungsschimmer besteht, dass am Ende doch alles gut wird.

„Ich … Also …“ Er reibt sich mit der rechten Hand den Nacken und wirkt dabei fast ein bisschen wie ein verlegener Schuljunge. „Ich hatte keine Ahnung. Vermutlich sollte ich mich erst mal vorstellen.“ Er nimmt die Hand vom Nacken und streckt sie mir entgegen. „Luke Smithe. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„McDunn“, knurre ich zurück. Mir ist schon klar, dass ich mich ziemlich zickig verhalte. Er kann ja nichts dafür, dass seine Tante mich über den Tisch gezogen hat. Sozusagen. Wobei man das eigentlich so auch nicht stehenlassen kann. Egal. Nach kurzem Zögern erinnere ich mich an meine Manieren und ergreife seine Hand. „Duncan McDunn.“

Er sieht mich an, und ihm steht deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er ein Lachen nur mit großer Mühe zurückhalten kann. Ist jetzt nicht so furchtbar ungewöhnlich, um ehrlich zu sein. Bei Nicht-Schotten ruft mein Name nicht selten Erheiterung hervor. Hat wohl damit zu tun, dass er ein bisschen klischeehaft klingt. Dabei ist der Name McDunn gar nicht so häufig. Da gibt es so einige, die im Namensranking noch viel weiter vorn liegen. Jetzt mal abgesehen von Smith und Brown sind da McDonald, Mackenzie und Macleod ganz vorne mit dabei.

Ich gehe darüber hinweg – mir ist jetzt nicht so danach, das Thema zu diskutieren.

„Sie arbeiten also hier. Mr. … McDunn?“, fragt er, und ich muss ihm zugutehalten, dass es ihm gelingt, eine gelassene Miene zu bewahren.

Er nickt. „Schon seit ein paar Jahren. Wussten Sie wohl nicht, oder? Nicht weiter verwunderlich, denn solange ich hier lebe und arbeite, haben Sie sich kein einziges Mal blicken lassen.“

„Jetzt schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an“, kontert er. „Ich war noch ein kleiner Junge, als ich Tante Gwendolyn zum letzten Mal gesehen habe. Ich kann mich nicht mal mehr richtig an sie erinnern. Es gab irgendeinen Streit, weswegen meine Eltern und sie den Kontakt zueinander abgebrochen haben. Aber auch was das betrifft, bin ich ratlos. Mein Vater lebt nicht mehr, und meine Mutter weigert sich nach wie vor vehement, über Gwendolyn zu sprechen. Und Sie können mir glauben, ich hab’s versucht, nachdem mir der Brief vom Notar ins Haus geschneit ist.“

„Na, prima, dann hat Gwendolyn den Hof also nicht nur einem Städter überlassen, sondern auch noch einem Städter, den sie im Grunde gar nicht kannte.“

Er runzelt die Stirn. „Passt Ihnen nicht, dass ich geerbt habe?“

Jetzt ist Vorsicht geboten. Wenn ich zu forsch vorgehe, könnte mir das hinterher schaden. Aber lügen will ich auch nicht. „Ich will jetzt nicht sagen, dass es mir nicht passt. Aber die Absprache, die ich mit Ihrer Tante hatte, war ein klein wenig anders.“

„Oh?“ Er horcht auf. „Sie hatten eine Absprache? Und wie sah die aus, wenn ich fragen darf?“

Ich zucke mit den Schultern und drehe mich zur Spüle um – vorgeblich, um sein Glas neu zu füllen, aber vor allem, weil ich nur schwer meine wahren Gefühle verbergen kann. „Sie hat mir versprochen, dass ich Sunny Acres bekomme, wenn sie einmal nicht mehr ist. Aber ganz offensichtlich hat sie es sich noch einmal anders überlegt. Ansonsten wären Sie schließlich nicht hier.“

„Stimmt“, erwidert er, nimmt das Glas entgegen und trinkt nachdenklich einen Schluck. „Sie … Also, ich weiß ja noch nicht genau, wie es hier weitergehen wird, aber … solange das alles noch in der Schwebe ist, können Sie gern weiter hier wohnen und arbeiten.“

„Sie meinen, so wie zu Lebzeiten Ihrer Tante? Als ich mehr oder weniger für Kost und Logis gearbeitet habe, weil sie mir in Aussicht gestellt hat, den Hof eines Tages übernehmen zu können?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Tut mir leid, aber ich muss leider sagen, dass mich das nicht besonders reizt.“

Jetzt wirkt er beinahe alarmiert. „Wollen Sie damit sagen, Sie lassen mich hier mit allem im Stich? Ich habe doch überhaupt keine Ahnung von den Arbeitsabläufen auf so einem Hof!“

„Das ist aber nicht mein Problem, oder sehen Sie das anders?“

Er starrt mit ungläubig an, und für einen Moment fühle ich mich an das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht erinnert.

„Schon gut“, seufze ich. „Für die nächsten Tage bleibe ich erst einmal. Bis dahin sollten Sie ja hoffentlich geklärt haben, wie es weitergeht.“

Das Strahlen, das über sein Gesicht gleitet, wärmt etwas in mir. Klingt albern und kitschig, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll.

„Danke“, sagt er, und es klingt zu meiner Überraschung vollkommen ehrlich. Als würde es von Herzen kommen. Und das, obwohl wir uns im Grunde überhaupt nicht kennen.

Aber dann sage ich mir, dass er auch allen Grund hat, dankbar zu sein. Immerhin würde hier ohne mich mit ziemlicher Sicherheit alles zusammenbrechen. Er hat ja selbst gesagt, dass er keine Ahnung hat, wie es auf einem Hof wie dem hier abläuft, und ich hege keinen Zweifel daran, dass das stimmt. Er würde vermutlich versuchen, die Schweine zu melken und im Ziegenstall nach Eiern suchen.

Nicht, dass ich ihn für dumm halte. Nein, aber er ist ein Stadtmensch, und ich wäre an seiner Stelle vermutlich ebenso verloren. Wenn man mich in der Großstadt aussetzen würde … Ich mag den Gedanken gar nicht zu Ende denken. Die Vorstellung ist mir ein Graus. Es ist nicht so, dass ich noch nie in der Stadt gewesen wäre oder so. Aber ich kann auch nicht behaupten, dass sie mich besonders anzieht. All der Lärm, der Gestank, die vielen Menschen …

Nein, das ist einfach nichts für mich. Zumindest nicht auf Dauer. Und vermutlich sieht Luke Smithe das ganz genauso – nur eben umgekehrt.

„Dann rufe ich jetzt mal Frank von der Werkstatt an, dass er sich um Ihren Wagen kümmert.“

„Deinen“, korrigiert er, und ich blinzle.

„Meinen?“

Er lacht. „Nein, ich meine … Wenn wir hier jetzt so eine Art vorübergehende Wohngemeinschaft sind … Wäre es nicht albern, wenn wir weiterhin so förmlich miteinander sprechen?“ Zum zweiten Mal innerhalb weniger als einer Stunde reicht er mir die Hand. „Luke“, sagt er.

Dieses Mal zögere ich nicht lange und schlage ein. „Duncan.“

LUKE

„Nein, Bey, ich hab’s dir doch schon drei Mal erklärt. Er hat für meine Tante gearbeitet, und jetzt arbeitet er halt fürs Erste weiter auf dem Hof. Weil er vermutlich ebenso gut wie ich weiß, dass ich als Landarbeiter vollkommen nutzlos bin.“

„Aber er sieht gut aus?“

Beyoncé ist meine beste Freundin, ja, aber manchmal kann sie einen echt in den Wahnsinn treiben.

Es ist mein erster Abend auf Sunny Acres, und ich sitze in der kleinen Kammer, die Duncan mir als Schlafzimmer zugewiesen hat, während ich telefoniere. Und natürlich will Beyoncé alles wissen. Vor allem, als sie erfahren hat, dass ich nicht allein auf dem Hof bin.

Keine Ahnung, woher sie das wissen will, aber sie hat sich direkt in den Kopf gesetzt, dass Duncan ein umwerfend attraktiver Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften und Knackarsch ist. Das Schlimmste ist, dass ich ihr kaum widersprechen kann, ohne mich vollkommen zum Narren zu machen.

Denn Duncan ist attraktiv, hat breite Schultern, schmale Hüften und den am perfektesten geformten Hintern, den ich je in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe.

Dabei habe ich schon so einige Hintern gesehen. Ich stehe auf Sex, was soll ich sagen? Und Duncan wäre sicherlich niemand, den ich von der Bettkante schubsen würde.

Unter anderen Umständen.

Aber die Umstände sind nun einmal so, wie sie sind, und Duncan und ich werden zumindest für die nächsten Tage zusammenwohnen und – arbeiten müssen. Und ich fürchte, dass Sex alles nur verkomplizieren würde.

„Ja, er sieht gut aus“, wiederhole ich und versuche gar nicht erst, den gereizten Unterton in meiner Stimme zu verbergen. „Aber das hat ganz und gar nichts zu sagen, Bey. Ich bin hier, weil ich vollkommen abgebrannt und uninspiriert bin. Ich muss mein Leben in den Griff kriegen und mich wieder voll und ganz der Musik widmen. Und schon allein deshalb ist es ganz egal, wie gut Duncan McDunn aussieht – zwischen uns wird definitiv nichts passieren.“

Einen Moment lang herrscht Stille am anderen Ende der Leitung, dann höre ich meine Freundin kichern. „Duncan McDunn? Du verarschst mich, oder?“

Seufzend fahre ich mir durchs Haar. „Für seinen Namen kann er ja wohl nichts.“

„Nein, dafür darf er sich dann wohl bei seinen Eltern bedanken.“

Ich schnaube missbilligend, wobei ich mich im nächsten Augenblick schon wieder frage, warum ich überhaupt den Drang verspüre, ihn zu verteidigen. Und das vor meiner besten Freundin, die immer für mich da war, egal um was es ging.

Zum Glück stichelt Bey nicht weiter und sagt stattdessen: „Na ja, ich lasse dich dann wohl besser in Ruhe. Immerhin hast du eine lange, anstrengende Fahrt hinter dir. Da ist es kein Wunder, dass du ein bisschen gereizt bist.“

Im ersten Moment will ich protestieren. Ich? Gereizt? Aber dann seufze ich nur. „Du hast natürlich recht. Sorry, Bey. Aber ich bin echt durch. Wir sprechen uns die Tage, ja? Ich halte dich über alles auf dem Laufenden.“

„Und ich kümmere mich um deine Mum, damit sie nicht so allein ist“, verspricht sie, ehe wir das Gespräch beenden.

Ich lasse mich auf dem Bett zurücksinken und schaue zur Decke hinauf, die quer von zwei dunkelbraun gestrichenen Balken durchzogen wird. Die gleichen Balken finden sich auch an den Wänden und um das Fenster herum wieder. Es wirkt rustikal, aber nicht auf eine schlechte Art und Weise. Auch hier ist die Einrichtung eher schlicht, aber durchaus modern, im Stil einer gewissen bekannten schwedischen Möbelmarke. Billy, Knut und Co. haben also auch hier oben, in den Highlands, bereits ihren Einzug gehalten.

Sollte mich vermutlich nicht wundern. Tut es aber.

Ich trete ans Fenster, als ich von unten auf dem Hof lautes Gemeckere höre, und lächle. Duncan ist mit einem Eimer in Richtung eines der Ställe unterwegs. Die Ziegen laufen neben ihm her und versuchen immer wieder, ihre Köpfe in den Eimer zu stecken, in dem sich vermutlich etwas Essbares befindet. Kurz darauf verschwindet er – ohne die Ziegen, die protestierend noch eine Weile vor dem Tor stehen – im Stall, und ich ziehe mich wieder vom Fenster zurück.

Okay, schön, hier bin ich nun.

Morgen werde ich als Erstes beim Notar anrufen und meine Ankunft verkünden. Die Notwendigkeit meines persönlichen Erscheinens hat er mehr als deutlich klargestellt. Hat wohl irgendwie mit dem Testament von Tante Gwendolyn zu tun.

Passte mir zwar nicht wirklich in den Kram, wie ich zugeben muss. Aber dann kam die Kündigung durch meinen Vermieter, und mir wurde klar, dass es vielleicht auch eine Chance für mich sein könnte.

Eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen und endlich etwas aus mir zu machen. Denn, wir wollen mal ehrlich sein, die letzten Jahre habe ich mehr oder weniger vor mich hin vegetiert. Nicht, dass ich nicht an Songs gearbeitet hätte. Nein, mitnichten. Aber das Album, das dabei zustande gekommen ist, hat nie das Licht der Welt erblickt, und rückblickend ist das vermutlich auch besser so.

Die Songs sind … wie soll ich sagen? Gut, bringen wir es auf den Punkt: Sie sind schlecht. Echt richtig mies. Und ich spreche hier nicht allein von der Musik. Nein, die Melodien von einigen Tracks sind sogar ganz eingängig. Nichts Besonderes oder so. Aber dafür müsste ich mich nicht schämen.

Die Lyrics aber …

Dass ich je gedacht habe „Baby, Baby, du machst mich heiß, deine Küsse sind süß wie Erdbeereis“ wäre als Textzeile irgendwie catchy, ist mir heute echt mordspeinlich. Aber das lässt sich alles im Nachhinein natürlich nicht mehr ändern – außer, indem ich es in Zukunft einfach besser mache. Und genau das habe ich vor.

Und wo könnte man besser wieder ans Schreiben kommen als hier in den schottischen Highlands, wo nichts und niemand mich von meiner Arbeit ablenken kann?

Na ja, fast nichts.

Oder besser fast niemand.

Ich setze mich an den Schreibtisch und schalte die kleine Lampe ein, die darauf steht. Dann nehme ich einen Kugelschreiber, streiche das Blatt Papier glatt, um das ich Duncan gebeten hatte. Ich starre auf die blütenweiße Fläche vor mir. Und für einen Moment steigt Panik in mir auf, weil ich fürchte, dass ich vielleicht gar keine Songs mehr schreiben kann.

Dass ich ausgebrannt bin.

Leer.

Doch dann bewegt sich der Stift übers Papier, und die Worte beginnen zu fließen.

Auch als die Sonne blutrot hinter den Berggipfeln versinkt, ist der Strom noch nicht versiegt.

3. KAPITEL

Luke

„Warum bist du eigentlich so nervös?“, fragt Duncan mich, als ich am nächsten Tag mit ihm im Wartezimmer des Notars meiner verstorbenen Tante sitze.

Mein Wagen ist inzwischen in der Werkstatt, und wie ich es verstanden habe, wird es wohl eine Weile dauern, bis er wieder fahrtüchtig ist. Das Ersatzteil, das gebraucht wird, ist zum Glück nicht teuer, aber leider auch nicht ganz leicht zu beschaffen. Und deshalb war Duncan so freundlich, mich mit dem Pick-up zu fahren, der wohl eigentlich einem Bekannten aus dem Ort gehört und den er sich geliehen hat, um größere Besorgungen zu machen, die er mit seinem Motorrad nicht erledigen kann.

Ja, richtig: Duncan fährt Motorrad. Und irgendwie wird mir bei der Vorstellung allein schon so heiß, dass ich mir am liebsten Luft zufächeln will.

Mache ich natürlich nicht. Er soll schließlich nicht merken, dass er mein Blut in Wallung geraten lässt. Aber bestreiten kann ich es nicht. Ich brauche ihn ja nur anzusehen, um Hitzewallungen zu bekommen. Und wenn ich zulasse, dass meine Gedanken in eine noch weniger angemessene Richtung wandern, und mir vorstelle, dass seine großen, von harter Arbeit schwieligen Hände über meinen Körper gleiten …

Okay, Notbremse!

Wenn ich nicht aufpasse, liefere ich sonst noch hier, mitten im Wartezimmer des Notars, eine echt peinliche Show ab. Und das würde ich, ehrlich gesagt, lieber vermeiden, wenn ich irgendwie kann.

„Ich bin nicht nervös“, behaupte ich – eine glatte Lüge, aber egal. „Ich will das einfach nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich bin kein großer Fan von angestaubten alten Anwaltskanzleien.“

Duncan hebt eine Braue, sagt aber nichts.

Ist vermutlich auch besser so.

Es vergehen noch einmal geschlagene zwanzig Minuten, bis die Tür zum Wartezimmer aufgeht und die Dame vom Empfang verkündet: „Mr. Bates ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.“

Das wird aber auch mal Zeit. Immerhin habe ich ja nicht darum gebeten, hier auf der Matte stehen zu müssen. Ich erhebe mich, und als Duncan keinerlei Anstalten macht, aufzustehen, sehe ich ihn fragend an. „Kommst du nicht mit?“

„Ich?“ Er blinzelt überrascht. „Aber ich bin doch nur als persönliches Taxi mitgekommen.“

„Na und? In der Einladung stand nichts davon, dass ich allein kommen muss. Wenn ich dich also als moralische Stütze dabeihaben will, sollte das doch kein Problem sein, oder? Es sei denn, du hast etwas dagegen?“

„Nein“, sagt er. „Ganz und gar nicht.“

Kurz darauf sitzen wir nebeneinander im Büro des Notars, eines etwa sechzigjährigen Mannes, dessen Bauch sich über den Bund seiner Hosen wölbt. Er verschränkt die Hände auf der Platte des wuchtigen Schreibtischs. „So, Mr. Smithe. Es freut mich sehr, dass Sie es einrichten konnten, heute hier zu erscheinen.“

Ich runzle die Stirn. „Lassen wir doch die Plattitüden und kommen gleich zur Sache, ja? Ich würde gern erfahren, warum Sie mich herzitiert haben. Meine Tante hat mir ihren Hof vererbt – ist damit nicht eigentlich schon alles geklärt?“

„Unter normalen Umständen wäre das wohl so“, entgegnet der Notar. „Aber Ihre Tante hat eine kleine Klausel in ihr Testament eingefügt, die alles ein wenig … komplizierter macht.“

„Eine Klausel?“, wiederhole ich misstrauisch. „Was genau hat es damit auf sich?“

„Dazu wollte ich gerade kommen, Mr. Smithe. Ihre Tante hat verfügt, dass sie den Hof nur unter einer Bedingung erben.“

„Und die wäre?“, frage ich atemlos.

„Sie dürfen das Anwesen für mindestens ein halbes Jahr nicht verkaufen oder verpachten.“

„Was?“ Ich setze mich kerzengerade auf. „Das ist jetzt aber hoffentlich nicht Ihr Ernst!“

„Mein voller Ernst, das versichere ich Ihnen, Mr. Smithe“, entgegnet er milde.

„Ich muss aber jetzt nicht die nächsten sechs Monate hier verbringen, oder? Ich habe nämlich auch noch ein Leben zu Hause in London, das ich nicht einfach so hinter mir zurücklassen kann.“ Dass ich keine Wohnung mehr habe, bedeutet ja nicht, dass ich einfach alles so dauerhaft hinter mir lassen kann.

„Keine Sorge“, beschwichtigt der Notar. „Sie sollten zwar schon eine gewisse Zeit des Monats auf Sunny Acres verbringen, aber Ihre Tante war eine vernünftige Frau. Sie erwartete nicht, dass Sie all Ihre sonstigen Verpflichtungen einfach für sie zurückstellen. Ich würde sagen, drei von vier Wochen des Monats hier in Schottland dürften angemessen sein.“

„Wirklich sehr großmütig“, grummle ich. „Und hat sie sonst noch irgendwelche vollkommen vernünftigen Forderungen gestellt?“

„Nun, da Sie danach fragen …“

Unglaublich.

„Nun rücken Sie schon raus mit der Sprache!“

„Sie hat den dringenden Wunsch geäußert, dass Mr. McDunn für die Dauer Ihres Aufenthalts bei Ihnen beschäftigt bleiben soll. Da Sie beide hier zusammen vor mir sitzen, nehme ich an, das sollte kein Problem darstellen?“

Fragend sehe ich Duncan an.

Der schüttelt den Kopf. „Von meiner Seite nicht. Ich habe aktuell ohnehin keine anderen Pläne, also kann ich gern weiterhin auf dem Hof arbeiten. Aber ich verstehe nicht ganz, warum Gwendolyn so eine seltsame Klausel in ihr Testament aufgenommen hat. Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.“

Der Notar neigt den Kopf zur Seite. „Mit dieser Information kann ich Ihnen leider nicht dienen. Ich habe das Dokument lediglich nach den Vorgaben meiner Klientin aufgesetzt. Alles Weitere hat mich nicht zu interessieren.“ Er holt eine dünne Aktenmappe aus der obersten Schublade seines Schreibtischs hervor. „Wenn Sie dann also mit den Bedingungen einverstanden sind, Mr. Smithe, bitte ich Sie, hier zu unterzeichnen. Das Testament wird dann mit sofortiger Wirkung rechtskräftig, und Sie werden, sofern Sie sich an die Regeln halten, in sechs Monaten der alleinige Besitzer von Sunny Acres sein. Danach steht es Ihnen selbstverständlich frei, mit dem Hof zu verfahren, wie Sie wünschen.“

Ich fühle mich noch immer wie betäubt, als ich keine zehn Minuten später neben Duncan ins Freie trete. Ein halbes Jahr in Schottland?

Sicher, pleite und wohnungslos, wie ich bin, sollte das für mich eigentlich keinen Unterschied machen. Aber das tut es. Denn bis vor meinem Termin mit dem Notar war ich noch freiwillig hier. Jetzt bin ich regelrecht angekettet. Ich muss nicht die ganze Zeit über hier sein, was schon mal eine kleine Erleichterung ist. Aber trotzdem schmecken mir die Bedingungen nicht, die meine Tante sich da ausgedacht hat. Allerdings muss ich mir nun erst mal keine Gedanken darüber machen, wie es wohnungstechnisch bei mir weitergeht.

Es könnte also vermutlich alles schlimmer sein. Denn immerhin gibt es ja auch noch Duncan. Die Vorstellung, die nächsten Monate in seiner Gesellschaft zu verbringen, ist mir jetzt nicht so furchtbar unangenehm. Wobei ich mir das aus dem Kopf schlagen sollte.

Konzentrier dich lieber darauf, endlich wieder ein paar Songs zu schreiben, die den Namen auch verdienen, sage ich zu mir selbst. Dann gelingt es dir vielleicht auch, die Plattenfirma davon zu überzeugen, dir noch eine Chance zu geben.

Die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt.

Duncan

Also schön, er bleibt jetzt erst mal hier.

Mir ist nicht ganz klar, ob ich mich darüber freuen oder enttäuscht sein soll.

Wobei – warum sollte ich enttäuscht sein? Keine Ahnung, was mit dem Hof passieren würde, hätte Luke nicht eingewilligt, die Bedingungen von Gwendolyns Testament zu erfüllen. Eines aber steht wohl fest: An mich würde er definitiv nicht fallen.

Auf diese Weise bleibt mir wenigstens Zeit, einen Weg zu finden, an genug Geld zu kommen, um Sunny Acres selbst zu kaufen.

Ich denke zurück zu dem Moment, in dem wir nebeneinander die Kanzlei verließen. Luke war total aufgebracht, weil er gerade erfahren hatte, dass er erstens für eine Weile in Schottland bleiben muss, um zu erben, und den Hof deshalb auch erst frühestens nach Ablauf dieser Zeit verkaufen kann.

„Es dürfte nicht so leicht werden, einen Käufer zu finden“, habe ich zu ihm gesagt – warum, weiß der Teufel. Denn das war eine glatte Lüge.

Es gibt nämlich sehr wohl einen Interessenten. Einen, der Gwendolyn jahrelang damit in den Ohren lag, dass er ihr den Hof abkaufen wollte, weil sein Grundstück direkt an Sunny Acres grenzte.

Horace Douglas, ein echt unangenehmer Typ, der, soweit es mich betrifft, den Hof nie in seine schmierigen Finger bekommen sollte. Aber dummerweise weiß ich auch, dass er sowohl in der Lage als auch bereit ist, so einiges hinzublättern.

Etwas, das ich definitiv nicht kann.

Um ganz ehrlich zu sein, ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie ich das mit dem Kauf hinkriegen soll. In mickrigen sechs Monaten. Nach unserer Rückkehr vom Notar gestern habe ich mir den ganzen Abend den Kopf darüber zerbrochen – ergebnislos. Aber solange mir wenigstens noch ein bisschen Zeit bleibt, bin ich nicht bereit, aufzugeben.

Irgendeine Lösung wird sich schon finden.

Zumindest hoffe ich das sehr.

Mit einem Seufzen ziehe ich meine Gummistiefel über. Es ist noch früh am Morgen, die aufgehende Sonne lässt die Berge in leuchtendem Rot erglühen, doch mein Tag hat bereits vor drei Stunden angefangen.

Ich stehe immer früh auf. Geht nicht anders. Die Tiere wollen versorgt werden, und es gibt auf einem Bauernhof auch sonst jede Menge zu tun. Vor allem, wenn man sich allein um alles kümmern muss.

Ich verlasse also das Haus und schnappe mir die Schubkarre, die neben der Tür steht. Als ich gerade die Tür zum Kuhstall öffne, bemerke ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung.

Ich drehe mich um – und stutze überrascht, als mir Luke zuwinkt, der gerade aus der Haustür tritt. Und zwar in tief sitzenden Jeans, die so eng anliegen, dass ich mich frage, wie er überhaupt noch Luft bekommt, einem ebenfalls unglaublich engen Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgerollt sind und dessen oberste Knöpfe offen stehen.

Das Highlight aber sind die Lederschuhe, die er dazu trägt. Schmal, ein wenig spitz zulaufend. Cognacfarben mit Metallschnallen an den Seiten. Schöne Schuhe, keine Frage. Aber er wird schnell feststellen, dass die für das Leben auf einem Bauernhof alles andere als geeignet sind.

Zwei Schritte später verzieht er auch schon das Gesicht, als er in einen kleinen Haufen Ziegenscheiße tritt. Ich kann mir das Lachen kaum verkneifen. Hastig wende ich mich ab und hebe die Schubkarre an, in der Hoffnung, dass er nicht bemerkt, wie meine Schultern beben.

...

Autor

K C Leonard
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Lorena Morrissen
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Zoe Larsen
Neben dem Schreiben liebt die Hamburgerin Zoe Larsen die Liebe und Mousse au chocolat in allen Varianten. Trotzdem lässt ausgerechnet Paris sie zu ihrer Schande kalt. Deshalb spielen ihre Geschichten in allen anderen Winkeln der Erde. Vom Großstadtdschungel New Yorks bis zu den grünen Hügeln Irlands – Inspiration findet sie...
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