Plädoyer für unsere Liebe

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Warum hat sie niemand gewarnt, was für ein Traummann dieser Walker Jones ist? Die junge Rechtsanwältin Lindsay hatte eine klare Strategie, um den Fall gegen ihn zu gewinnen. Aber als Walker sie nach dem ersten Prozesstag küsst, wird daraus ein sinnliches Plädoyer für die Liebe …


  • Erscheinungstag 25.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739843
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Mutter von Walker Jones III. erzählte gern jedem, der es hören wollte, dass ihr ältester Sohn mit einem Hang zum Debattieren auf die Welt gekommen war. Er diskutierte ständig über alles, von der Farbe des Himmels bis zur Temperatur im Raum.

In dieser Hinsicht glich er seinem Vater. Daher war es nicht verwunderlich, dass er in der Chefetage des Familienunternehmens Jones Holdings, Inc. in dessen Fußstapfen getreten war.

Walker Jones II. war ein hartgesottener Geschäftsmann, doch sein fortgeschrittenes Alter zwang ihn, beruflich kürzerzutreten.

Walker Jones III. hatte also die Führung des Betriebs übernommen und dessen Größe und Einfluss verdoppelt.

Nun hatte sein Drang, die ganze Welt zu erobern, ihn zu einem Abstecher in das beschauliche Landleben von Montana gezwungen, da es dort die Interessen eines Unternehmenszweiges zu vertreten galt.

Durch seine Augen als eingefleischter Stadtmensch waren Rust Creek Falls und der benachbarte Gerichtsort Kalispell typische Vertreter der dörflichen Idylle, die er sonst mied.

Daher hatte er anlässlich der dortigen Eröffnung seines ersten Kindergartens namens Just Us Kids Day Care vor einigen Monaten so wenig Zeit wie möglich dort verbracht. Eigentlich hatte er nur die Tür aufgeschlossen und seinen Bruder Hudson, der aus unerfindlichen Gründen Gefallen an dem Nest fand, zum Geschäftsführer ernannt.

Auch diesmal beabsichtigte Walker nicht, sich für längere Zeit in Rust Creek Falls aufzuhalten. Gerade lange genug, um ein ärgerliches Gerichtsverfahren und eine Anwältin namens Lindsay Dalton abzufertigen. Sie war frisch von der juristischen Fakultät in die Kanzlei ihres Vaters eingestiegen, der ihr diesen Fall vermutlich trotz mangelnder Fachkompetenz zugeschustert hatte. Insofern war Walker recht zuversichtlich, dass er die ganze Sache schnellstens abwickeln und in die Unternehmenszentrale in Tulsa zurückkehren konnte.

An einem Freitagmorgen betrat er also den Gerichtssaal in Kalispell in der Annahme, bei Sonnenuntergang wieder zu Hause zu sein.

Er zog seinen Kaschmirmantel aus, hängte ihn ordentlich auf seine Stuhllehne und nahm am Tisch des Beklagten Platz. Er legte einen Notizblock mittig vor sich, einen Aktenordner zur Linken und einige Kugelschreiber ordentlich ausgerichtet zur Rechten. Es waren Requisiten, die der Klägerpartei seine Kampfbereitschaft signalisieren sollten.

Sein Anwalt, Marty Peyton, der jahrzehntelange Gerichtserfahrung besaß, kam herein und setzte sich neben ihn.

„Das Eilverfahren durchzuboxen dürfte ein Kinderspiel sein“, prophezeite Walker. „Die Vorwürfe sind total unbegründet.“

„Das würde ich nicht unbedingt sagen.“ Marty schob sich die Brille hoch und strich sich durch das kurze weiße Haar. „Wenn Lindsay Dalton nach ihrem Vater kommt, ist sie eine brillante Anwältin.“

Walker winkte ab. Er pflegte es mit weit eindrucksvolleren Kontrahenten als einer unerfahrenen Provinzanwältin aufzunehmen.

„Außerdem geht es um kranke Kinder. Da haben Sie von vornherein die öffentliche Meinung gegen sich.“

„Nur um ein krankes Kind. Sie vertritt lediglich eine einzige Familie. Außerdem werden Kinder ständig krank. Sie sind praktisch lebende Bakterienfabriken.“

Marty schürzte die Lippen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Hoffentlich haben Sie recht. Diese Art von negativer Publicity können Sie nicht gebrauchen. Vor allem nicht, da Sie in diesem Jahr die Eröffnung fünf weiterer Kindergärten geplant haben.“

„Es wird schon gut gehen. Wir schaffen uns diese Anwältin und ihre lächerliche Klage im Handumdrehen vom Hals.“ Walker wandte den Kopf, als die Tür aufging und seine Widersacherin hereinkam.

Lindsay Dalton entsprach nicht seiner Erwartung. Nicht einmal annähernd. Angesichts des prägnanten Umgangstons ihrer Briefe und Sprachnachrichten hatte er den Typ Bibliothekarin erwartet: zugeknöpft und streng, mit Nickelbrille und farb- sowie formloser Kleidung.

Stattdessen sah sie aus wie ein Model. Sie war schlank und hochgewachsen und sehr ansehnlich gekleidet im perlgrauen Schneiderkostüm zur Seidenbluse in Pink, deren oberste Knöpfe offen standen. Ganz zu schweigen von atemberaubenden High Heels und unglaublich langen Beinen. Kurzum: Sie war faszinierend.

Ihre langen braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, Ponyfransen fielen ihr frech in die Stirn. Eine Spur Make-up betonte große blaue Augen.

Sie lächelte ihre Mandanten an – ein junges Paar, das offensichtlich seinen Sonntagsstaat trug.

Und dieses Lächeln ging ihm unter die Haut. Es war blendend, umwerfend, überwältigend. Heiliger Bimbam!Das ist Lindsay Dalton?“

Marty zuckte die Achseln. „Ich nehme es an. Ein hübsches Mädchen.“

„Gutes Aussehen macht sie nicht zu einer guten Anwältin.“

Ohne die Gegenseite eines Blickes zu würdigen, durchquerte sie den Gerichtssaal und setzte sich zu ihren Mandanten. Sie drehte sich zum Zuschauerraum und winkte mit den Fingern einem Baby, das auf dem Schoß einer älteren Frau saß.

Es gurrte.

Lindsay hielt sich eine Hand vor die Augen, öffnete die Finger und flüsterte: „Kuckuck.“

Das Baby krähte entzückt.

Sie wiederholte den Akt zwei Mal, bevor sie sich zum vorderen Teil des Gerichtssaals umdrehte.

Walker wusste, dass die Anwesenheit des Babys und dieses alberne Spielchen sorgfältig inszeniert waren, um Sympathiepunkte einzuheimsen.

Die Tür hinter dem Richtertisch öffnete sich; alle Anwesenden erhoben sich.

Richter Sheldon Andrews betrat den Saal. Er war klein, bebrillt und ein wenig dicklich. Er blickte sich um, nickte knapp und nahm seinen Platz ein. „Sie dürfen sich setzen.“

Und damit begann die Anhörung.

Diesen Teil mochte Walker am liebsten, ob in einem Gerichtssaal oder einem Konferenzraum. Stets verspürte er ein erwartungsvolles Flattern im Bauch, wenn eine Verhandlung anfing.

Richter Andrews wandte sich an Marty. „Wir sind hier aufgrund eines Antrags auf Eilverfahren bezüglich der von Ms. Dalton im Namen von Peter und Heather Marshall eingereichten Klage. Richtig?“

„Ja, Euer Ehren.“

„Dann erteile ich Ihnen das Wort, Mr. Peyton.“

„Danke, Euer Ehren.“ Marty stand auf. „Dieser Prozess gegen Mr. Jones’ Tagesstätte ist reine Zeitverschwendung. Die Klage entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Es gibt keinerlei Indiz dafür, dass sich das Kind der Kläger die gewöhnliche Erkältung bei Just Us Kids zugezogen hat. Krankheitserreger sind eine Gegebenheit des Lebens und befinden sich überall. Die Marshalls könnten sie selbst in ihr Haus gebracht haben. Dazu braucht es nur Kontakt mit einer infizierten Oberfläche an einem öffentlichen Ort oder ein Niesen von einem Fremden. Sicherlich kann man Mr. Jones’ Tagesstätte nicht verantwortlich machen für die Unfähigkeit der Welt, zur rechten Zeit ein Kleenex parat zu halten.“

Diese letzte Phrase schien den Richter zu amüsieren. Der Hauch eines Schmunzelns huschte über sein Gesicht.

„Euer Ehren“, fuhr Marty fort, „es besteht keinerlei Anlass, ein Tageszentrum zur Rechenschaft zu ziehen, wenn ein Kind sich erkältet. Daher ersuchen wir das Gericht, in einem Eilverfahren zugunsten des Beklagten zu urteilen und die unbegründete Klage abzuweisen.“

Richter Andrews wandte sich an die Gegenpartei. „Ms. Dalton?“

Sie stand auf, strich mit einer Hand ihre Kostümjacke glatt und atmete tief ein, wie um ihre Mitte zu finden.

Sie ist nervös. Sehr gut! Walker war sich seines Sieges sicher.

„Euer Ehren, Mr. Peyton bagatellisiert die Umstände. Es handelt sich keineswegs um eine gewöhnliche Erkältung. Wir werden nachweisen, dass Mr. Jones’ Tagesstätte grob fahrlässig in puncto Hygiene gehandelt hat, was zu einer lebensbedrohlichen RSV-Infektion bei der damals drei Monate alten Georgina geführt hat. Die Marshalls haben die Einrichtung mit der Fürsorge für ihr über alles geliebtes Kind betraut, nur um an seinem Krankenbett zu enden und um sein Leben beten zu müssen.“

Marty erhob sich. „Euer Ehren, RSV ist eine Atemwegsinfektion, die von Husten und Schnupfen gekennzeichnet ist. Genau wie eine gewöhnliche Erkältung.“

„Georgina hat nichts mehr gegessen“, konterte Lindsay. „Sie hat zwei Pfund verloren, was einen dramatischen Gewichtsverlust bei einem Baby ihrer Größe darstellt. Das behandelnde Krankenhaus hat die Krankheit nicht als gewöhnliche Erkältung abgetan, sondern als lebensbedrohlich bezeichnet.“ Sie starrte direkt zu Walker hinüber. „Eine lebensbedrohliche Krankheit, die durch Mr. Jones’ Nachlässigkeit verursacht wurde.“

Als ob ich persönlich dafür verantwortlich wäre, Abend für Abend die Fußböden zu schrubben und die Spielzeuge zu desinfizieren! Vielmehr war er mit der Wahrung der umfangreichen Geschäftsinteressen von Jones Holdings, Inc. hinreichend ausgelastet und hatte bisher kaum einen Fuß in die Tagesstätte in Rust Creek Falls gesetzt. Er hatte seinem Bruder Hudson und einer qualifizierten Kindergärtnerin die Leitung übertragen und zweifelte nicht daran, dass bei Just Us Kids alles so glatt lief wie bei einem Schweizer Uhrwerk.

Ms. Dalton fuhr fort: „Euer Ehren, ich ersuche Sie, das Krankenblatt zu lesen, das ich eingereicht habe. Daraus geht hervor, dass die Marshalls um ein Haar ihr einziges kostbares Kind verloren hätten.“

Marty sprang auf. „Einspruch, Euer Ehren! Die Wortwahl der Verteidigung ist höchst unsachlich. Alle Kinder sind kostbar. Bei allem Respekt vor den Marshalls ist ihr Kind nicht kostbarer als jedes andere.“

„Stattgegeben. Ms. Dalton, halten Sie sich bitte an die Fakten.“

„Die Fakten sind eindeutig, Euer Ehren“, erwiderte Lindsay. „Das Baby der Marshalls hat sich mit RSV infiziert – als unmittelbares Resultat ihres Aufenthalts in Mr. Jones’ Tagesstätte. Ebenso wie viele andere Kinder …“

„Dieses Verfahren befasst sich nur mit den Marshalls“, unterbrach Walker. „Es handelt sich nicht um eine Sammelklage.“

Sie fixierte ihn mit finsterem Blick. „Die Marshalls wollen nur Gerechtigkeit für das schwere Leid, das ihrer Tochter zugefügt wurde.“

Die wollen doch bloß einen großzügigen Vergleich, damit sie nie wieder arbeiten müssen. Walker hatte genug von Leuten, die das Rechtssystem benutzten, um schnelles Geld zu machen. „Das Kind ist jetzt gesund“, sagte er zu dem Richter, obwohl Marty versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. „Es war eine kurze Krankheit, und festzustellen, wo das Kind sich angesteckt hat, gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Es kann unmöglich meine Tagesstätte dafür verantwortlich gemacht werden.“

Der Richter blickte ihn streng an. „Mr. Jones, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Argumentation Ihrem Anwalt überließen. Sie sind hier und heute nicht als Zeuge geladen.“

„Ich entschuldige mich für das ungebührliche Verhalten meines Mandanten, Euer Ehren“, erwiderte Marty. „Es liegt nur daran, dass die Vorwürfe gegen ihn so offensichtlich unbegründet sind. Deswegen beantragen wir, die Klage abzuweisen, bevor noch mehr Zeit des Gerichts verschwendet wird.“

Richter Andrews nickte bedächtig und blätterte in den Papieren vor sich. Beide Anwälte nahmen Platz und warteten auf seinen Spruch.

Nach außen hin gab Walker sich gelassen, obwohl eine Niederlage einen schweren Rückschlag für sein Unternehmen bedeutet hätte. Jones Holdings, Inc. war stabil genug, um eine kleine Schlappe wegzustecken. Allerdings stand sein Traum von einer Kindergartenkette auf dem Spiel. Er war sich nicht sicher, ob Just Us Kids Day Care die anhaltende negative Publicity verkraften konnte, falls der Antrag auf Eilverfahren abgewiesen wurde.

Lindsay Dalton hielt die Beine übereinandergeschlagen. Ihr rechter Fuß wippte in einem nervösen Rhythmus unter dem Tisch. Sie flüsterte Heather Marshall etwas zu, die mit Tränen in den Augen nickte.

Ob die Tränen echt waren oder nur Effekthascherei, vermochte Walker nicht zu entscheiden. Er hatte in seiner beruflichen Laufbahn schon so viele vorgetäuschte Gefühle erlebt, dass ihn ein paar Krokodilstränen nicht länger rührten.

Richter Andrews räusperte sich und blickte von den Papieren auf. „Nach Auffassung des Gerichts liegen dennoch genügend Indizien vor, um diesen Fall zur Verhandlung zu bringen. Leider kann ich den ursprünglich dafür vorgesehenen Termin in vier Wochen nicht wahrnehmen. Zu den Freuden des Alterns gehört für mich ein neues Knie, und ich weiß nicht, wie lange die OP mich außer Gefecht setzen wird. Dank eines glücklichen Zufalls hat sich aber eine unerwartete Lücke in meinem Terminkalender ergeben, sodass ich die Hauptverhandlung am nächsten Dienstag eröffnen werde.“

Lindsay Dalton sprang auf. „Einspruch, Euer Ehren! Ich brauche mehr Zeit, um mich angemessen vorbereiten zu …“

„Nach meiner Einschätzung sind Sie hinreichend vorbereitet. Die Eröffnungsplädoyers werden für Dienstag, neun Uhr, festgelegt. Es sei denn, Sie und Ihre Mandanten wollen diesen Prozess unnötig in die Länge ziehen?“

Die Marshalls schüttelten die Köpfe, und Lindsay nahm wieder Platz.

„Gut. Das Gericht vertagt sich.“ Er schlug mit dem Hammer auf den Tisch und erhob sich.

Alle Anwesenden standen auf und warteten, bis der Richter den Saal verlassen hatte. Die Anwälte sammelten ihre Papiere ein.

Walker beugte sich zu Marty. „Das ist nur ein temporärer Rückschlag.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Sie mag zwar neu sein, aber wir werden uns ranhalten müssen.“

„Keine Sorge, das wird ein Kinderspiel.“

Die Marshalls gingen an ihm vorbei, Händchen haltend und mit Tränen in den Augen. Sie wirkten nicht wie Schmarotzer, die aus einer unbegründeten Klage Kapital zu schlagen versuchten. Und Lindsay Dalton wirkte nicht wie eine unfähige, von ihrem Vater protegierte Provinzanwältin, sondern eher wie eine nette Person mit strengen Prinzipien, die aus Überzeugung für Gerechtigkeit eintrat und die Welt verbessern wollte.

Aber Walker wusste es besser. Sie war nicht vor Gericht erschienen, um sich lieb und nett zu verhalten, und er beabsichtigte nicht, sie gewinnen zu lassen.

Selbst wenn die Terminänderung meine Pläne durchkreuzt und die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr groß ist, dass ich wesentlich länger als beabsichtigt in Rust Creek Falls ausharren muss

Die Spiegelwand hinter den Tresen im Ace in the Hole reflektierte mehr als nur die Schnapsflaschen auf dem Regal. Sie führte Lindsay Dalton ihre niedergeschlagene Miene vor Augen. Obwohl sie den Gerichtssaal schon vor Stunden verlassen hatte, fühlte sie sich noch immer aufgewühlt und gestresst. Sie hatte zwar einen kleinen Etappensieg davongetragen, doch das war erst der Anfang, und ihr Gegner war nicht der, den sie erwartet hatte.

Bei ihren Recherchen über Walker Jones war sie auf einen älteren Gentleman gestoßen, der schon fast im Pensionsalter war und ein leichter Gegner zu sein schien. Ganz eindeutig hatte sie ihre Hausaufgaben nicht gut genug gemacht, denn der Mann, der stattdessen im Gerichtssaal aufgetaucht war, sah weder alt noch zerbrechlich aus. Er war jung und dynamisch, ansehnlich und … beeindruckend.

Ja, das war genau das richtige Wort, um Walker Jones III. zu beschreiben. Beeindruckend. Er strahlte ein unbekümmertes Selbstvertrauen aus. Seine Attitüde vermittelte den Eindruck, dass er genau wusste, was er tat, und es nicht gewohnt war zu verlieren.

Sie dagegen war eine frischgebackene Anwältin aus einer Kleinstadt. Sie besaß Überzeugung und Passion, aber das reichte womöglich nicht gegen sein weltmännisches Auftreten, gepaart mit der Erfahrung eines Spitzenanwalts aus der Großstadt.

„Du siehst aus, als könntest du das gebrauchen.“ Lindsays Schwester Lani schob ein Glas Chardonnay über den Tresen. Sie half von Zeit zu Zeit in der Bar aus. Lani strahlte ein solches Glück aus, seit sie sich vor gut einem Jahr in Russ Campbell verliebt hatte, mit dem sie nun auch verlobt war.

„Danke. Ich habe gar nicht erwartet, dich heute hier anzutreffen.“

„Annie hat ein Date, und ich bin für sie eingesprungen.“

Annie gehörte als erfahrene Barkeeperin zum Stammpersonal des Ace in the Hole, der beliebtesten Kneipe in Rust Creek Falls. Mit Pferdestangen draußen und Neon-Bierreklamen drinnen bot das Lokal eine heimelige Atmosphäre, in der die Gäste sich gemütlich mit Freunden unterhalten und sogar eine flotte Sohle vor der Jukebox aufs Parkett legen konnten.

Da es noch früh an einem Freitagabend war, herrschte wenig Betrieb. Ein Pärchen saß in eine Nische gekuschelt, vier Männer diskutierten an einem Tisch über die letzten Footballspiele, einige Stammgäste sahen sich am anderen Ende des Tresens eine Sportsendung im Fernsehen an.

„Also, wie ist es bei Gericht gelaufen?“, erkundigte sich Lani.

„Ich habe gewonnen.“ Lindsay grinste. „Es ging zwar nur um die Entscheidung, ob ich eine berechtigte Klage eingereicht habe, aber es ist trotzdem ein schönes Gefühl.“

„Wenn ich an unsere zahlreichen Streits früher denke, bezweifle ich nicht, dass du eine großartige Anwältin abgibst.“ Lani wischte einen Wasserfleck vom Tresen. „Ich habe vorhin mit Daddy gesprochen. Er ist stolz wie ein Gockel. Es wundert mich, dass er keine Plakatwand mit dem Richterspruch aufgestellt hat.“

Lindsay lachte. Ihr Vater Ben war unverhohlen stolz auf sie, seit sie beschlossen hatte, in seine Fußstapfen zu treten. „Es ist eine wirklich unbedeutende Entscheidung. Die Hauptverhandlung steht erst bevor. Mir bleiben nur ein paar Tage bis zum Eröffnungsplädoyer.“ Sie atmete tief durch. „Ich bin verdammt nervös.“

„Wieso denn? Du bist eine großartige Anwältin.“

„Aber ich habe das Studium erst vor ein paar Monaten beendet. Meine Erfahrung beschränkt sich auf total belanglose Fälle wie die Frage, ob George Lamberts Eiche auf Lee Reynolds Kartoffelfeld übergreift und wem das Eigentumsrecht für einen Zwergspitz gebührt.“ Weil sie noch so neu in der Kanzlei ihres Vaters war, übertrug er ihr im Allgemeinen die leichteren Fälle, damit sie in dem Metier erst einmal Fuß fassen konnte.

„Die du alle mit Bravour gewonnen hast.“

Lindsay seufzte. Sie war Anwältin geworden, weil sie in ihrer Heimatstadt etwas bewirken wollte. Bisher hatte sie nur für einen Hund und einen Garten etwas erreicht. Ob sie der Herausforderung gewachsen war, die Marshalls zu vertreten, wusste sie noch nicht. Doch sie hatte das aufgelöste Paar nicht abweisen können. Sie mochte unerfahren sein, aber sie brannte leidenschaftlich für Gerechtigkeit.

„Eins zu null für die Kartoffeln“, scherzte sie. „Jetzt mal im Ernst: Der gegnerische Anwalt ist sehr gewieft. Und der Inhaber der Tagesstätte ist genauso smart und dazu verdammt hübsch.“

Lani zog eine Augenbraue hoch. „Hübsch?“

Habe ich das wirklich gesagt? Gütiger Himmel! „Ich meinte attraktiv“, korrigierte Lindsay sich hastig, doch das klang auch nicht viel besser. Sie suchte nach einer Beschreibung, die nicht vermuten ließ, dass er sie faszinierte. Denn das war nicht der Fall. Selbst wenn er seinen blauen Nadelstreifenanzug ausfüllte wie ein Model für Brooks Brothers. Er war für sie der Feind und ein verantwortungsloser Geschäftsinhaber. „Auf eine verwirrende Weise. Das könnte den Richter beeinflussen.“

„Richter Andrews? Geht der nicht auf die hundert zu?“

„Nun, ja, aber …“ Lindsay leerte ihr Glas und schob es Lani hin. „Kriege ich Nachschub?“

„Ist das deine neueste Methode, das Thema zu wechseln?“

„Ja. Nein. Vielleicht.“

„Ich fürchte, das nützt dir nichts.“

„Sag bloß nicht, dass du mir eine Million Fragen über den Typ stellen willst! Ich möchte ihn total vergessen, bis ich ihn nächste Woche vor Gericht wiedersehen muss.“

„Das wirst du nicht schaffen.“ Lani schob das nachgefüllte Glas zurück. „Da kommt nämlich gerade ein Mann reinspaziert, der wie der sexy Betreiber eines Kindergartens aussieht.“

Lindsay wirbelte herum. Walker Jones III. betrat tatsächlich den Gastraum. Er trug noch den Nadelstreifenanzug und den Kaschmirmantel aus dem Gerichtssaal und wirkte wie jemand, der feindliches Gebiet erobern wollte. „Was will der denn hier?“

„Wahrscheinlich etwas trinken wie der Rest von Rust Creek Falls. In diesem Kaff gibt es schließlich kaum Alternativen.“

„Warum ist er überhaupt hier? Warum ist er nicht in Kalispell geblieben oder noch besser in seinen Sarg zurückgekehrt?“

„Wieso Sarg?“

„Nur Vampire sind so hübsch und ruchlos.“

Lani schmunzelte und rückte zur Tresenmitte, als Walker sich näherte. „Willkommen im Ace in the Hole. Was darf ich Ihnen bringen?“

„Woodford Reserve, auf Eis.“

„Den haben wir leider nicht. Aber ich kann Ihnen eine breite Auswahl an Bieren anbieten.“

„Dann Ihr bestes Craft Beer, bitte.“

„Kommt sofort.“

Nach außen hin gelassen nippte Lindsay an ihrem Glas und gab vor, ihn nicht zu bemerken. In Wirklichkeit raste ihr Herz, und sie sah aus den Augenwinkeln nichts anderes als ihn. Über eins achtzig groß, mit dunkelblonden Haaren und blauen Augen beherrschte er den Raum um sich her.

Sie musste sich in Erinnerung rufen, dass Georgina und viele andere Kinder durch seine verantwortungslose Geschäftspraktik erkrankt waren. Was wäre, wenn es die Stockton-Drillinge erwischt hätte? Die mutterlosen Frühlinge beanspruchten selbst in gesundem Zustand eine ganze Schar freiwilliger Helfer. Der RSV-Ausbruch hätte wesentlich schwerer wiegende Konsequenzen nach sich ziehen können.

„Frau Anwältin“, murmelte Walker jetzt mit einem knappen Kopfnicken.

„Mr. Jones. Schön, Sie wiederzusehen.“ Die Begrüßungsfloskel ging ihr über die Lippen, bevor sie sich zurückhalten konnte. Es war eine Art masochistischer Automatismus. Es ist überhaupt nicht schön, ihn wiederzusehen. Ganz und gar nicht.

Lani stellte ihm ein Bier hin. „Zum Wohl. Soll ich es aufschreiben?“

„Ja, bitte. Ich denke, ich bleibe eine Weile.“

Lindsays Glas war noch fast voll, aber auf keinen Fall wollte sie neben ihm sitzen bleiben. Sie fischte ein paar Geldscheine aus der Tasche und legte sie auf den Tresen. „Danke, Lani. Man sieht sich.“

Autor

Shirley Jump
Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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