Romana Exklusiv Band 179

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WIEDERSEHEN AUF DEN BERMUDAS von MATHER, ANNE
Sie ist tatsächlich eine Traumfrau! Richard gibt seinem Sohn völlig recht, als der ihn mit Helen auf den Bermudas besuchen kommt. Dass die schöne Frau jene zauberhafte Helen ist, mit der er vor Jahren eine leidenschaftliche Affäre hatte, erkennt er viel zu spät …

EIN PARADIES DER LEIDENSCHAFT von DONALD, ROBYN
Während einer Geschäftsreise auf die Pazifikinsel Longopai geraten Gerry und der charmante Robert immer wieder heftig aneinander. Erst als sein Boot vor einer einsamen Koralleninsel ankern muss, können beide ihre wahren Gefühle füreinander nicht länger verbergen …

LIEBE IM SPIEL von MCCARTHY, SUSANNE
Seit der geheimnisvolle Hugh Garratt auf der Karibikinsel Spaniard’s Cove aufgetaucht ist, bewegt die Casino-Besitzerin Natasha nur noch eine Frage: Hat es der attraktive Mann auf ihr Vermögen abgesehen - oder darf sie ihren Gefühlen trauen? Geht es um Geld oder Liebe?


  • Erscheinungstag 14.10.2008
  • Bandnummer 179
  • ISBN / Artikelnummer 9783863495640
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

ANNE MATHER

WIEDERSEHEN AUF DEN BERMUDAS

Hellen trifft fast der Schlag, als sie auf den Bermudas dem Vater ihres jungen Bekannten vorgestellt wird: Es ist Richard, mit dem sie vor Jahren eine heiße Affäre hatte – der Vater ihrer Tochter, von der er nie erfahren darf! Doch er erkennt Helen nicht. Erst bei einem gemeinsamen Ausflug erwacht die Erinnerung, und mit ihr die alte Leidenschaft …

SUSANNE MCCARTHY

LIEBE IM SPIEL

Wer ist dieser faszinierende Mann mit dem entwaffnenden Lächeln? Die Spielbankbesitzerin Natasha hat ihn noch nie auf der Karibikinsel Spaniards’s Cove gesehen und ist elektrisiert. Doch der schöne Fremde ist nur gekommen, um ihren zwielichtigen Stiefvater der Geldwäsche zu überführen. Für zärtliche Gefühle scheint da kein Platz …

ROBYN DONALD

EIN PARADIES DER LEIDENSCHAFT

Eine grüne Insel im Pazifik, ein gleißender Strand,eine blaue Lagune. Als das Wasserflugzeug auf Longopai landet, glaubt Gerry, im Paradies zu sein. Aber was macht Robert Falconer hier? Auf diesen arroganten Kerl hätte sie wirklich verzichten können! Bei einem romantischen Bootstrip lernt sie jedoch plötzlich eine ganz neue Seite an Robert kennen …

1. KAPITEL

„Warum muss Jonathan an diesem Wochenende kommen?“ Victoria Savage betrachtete ihren Bruder, der, den Kopf gesenkt, am Frühstückstisch saß, mit unverhohlenem Ärger. Seitdem ihr Neffe Jon telefonisch mitgeteilt hatte, dass er Anfang Juli für einige Wochen nach Hause kommen und einen Gast mitbringen werde, hatte Victoria mehrmals versucht, mit ihrem Bruder zu sprechen. Aber entweder hatte Richard nicht zugehört oder sich einfach geweigert, ihr eine vernünftige Antwort zu geben. Nun stand Jonathans Ankunft unmittelbar bevor, und es war zu spät, den Besuch abzuwenden.

„Richard!“, sagte Victoria erneut scharf und ungeduldig. Endlich blickte ihr Bruder von der Luftpostausgabe der Financial Times hoch.

„Das ist auch Jonathans Zuhause, Vicky“, entgegnete Richard sanft, obwohl er nicht völlig gelassen wirkte. „So häufig besucht er uns sowieso nicht. Was soll ich denn machen? Ihm sagen, dass er nicht kommen darf?“

„Nein, natürlich nicht.“ Victoria krallte nervös die rot lackierten Fingernägel in den feinen Leinenstoff der Serviette. „Es geht mir um die Party. Ich habe mir bei den Vorbereitungen viel Mühe gegeben und will keinesfalls, dass Jonathan oder eine seiner merkwürdigen Freundinnen mir das Fest verderben. Richard, die Galerieeröffnung ist mir sehr wichtig. Ich habe alle wichtigen Journalisten eingeladen. Außerdem möchte ich, dass Luther Styles’ erste Ausstellung ein Erfolg wird.“ Sie zog einen Schmollmund. „Wenn Jon kommt, wird der Abend sicher ein Reinfall.“

Richard seufzte. Die Zeitungslektüre konnte er für heute Morgen vergessen. Solange er seine Schwester nicht beruhigt hatte, würde er keine friedliche Minute mehr haben. „Nun, was soll ich deiner Meinung nach tun?“

Victoria zuckte die Schultern. „Woher soll ich das wissen?“

„Du weißt es nicht?“ Richard hatte Mühe, seine Ungeduld zu unterdrücken. „Und ich dachte, du hättest dir längst eine Lösung für das Problem überlegt.“

„Nein, leider nicht. Aber ich verstehe einfach nicht, warum Jonathan ausgerechnet an diesem Wochenende nach Hause kommen muss. Wie du selbst gerade gesagt hast, lässt er sich nicht allzu häufig bei uns blicken. Und wenn, dann fühlt er sich hier weniger zu Hause als in einem Hotel. Unser Haus ist für ihn doch nur ein Ort, an den er sich zurückzieht, wenn er gerade keine Arbeit oder kein Geld hat.“

„Auf den Bermudas kenne ich kein einziges Hotel, das ihm einen derartigen Service bieten würde“, antwortete Richard trocken. „Außerdem kann ich mich nicht erinnern, gesagt zu haben, dass Jon unser Haus nicht als sein Heim betrachtet. Ganz im Gegenteil, gerade weil er es als sein Zuhause ansieht, geht er davon aus, jederzeit herkommen zu können. Und was ist dagegen einzuwenden, dass er eine Freundin mitbringt?“

„Mir geht es um die Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlt“, meinte Victoria verächtlich. „Hast du etwa dieses Hippiemädchen vergessen, mit dem er vor zwei Jahren hier auftauchte? Sie hat behauptet, sich für Kunst zu interessieren. Dabei konnte sie nicht einmal einen Monet von einem Matisse unterscheiden.“

„Ich kenne viele Leute, die den Unterschied zwischen einem Monet und einem Matisse vermutlich nicht kennen.“

„Und was war mit der Tänzerin, die er letztes Jahr mitgebracht hat? Die angeblich Bildhauern Modell stand? Erst als sie eines Abends zu viel getrunken hatte und ihre Kleidung auszuziehen begann, fanden wir heraus, dass sie in Wirklichkeit Stripteasetänzerin war. Noch nie in meinem Leben habe ich mich in einer derart peinlichen Situation befunden.“

Richard seufzte resigniert. Offensichtlich war seine Schwester nicht bereit, das Thema ohne weitere Diskussionen fallen zu lassen. Ihr mürrischer Gesichtsausdruck verhieß jedenfalls nichts Gutes.

„Nun?“, fragte Victoria und zog den Seidenmorgenmantel fester um ihren üppigen Körper. „Wie üblich bist du taub für alle vernünftigen Argumente. Na schön! Aber schieb mir hinterher nicht die Schuld in die Schuhe, wenn die Galerieeröffnung ein Fiasko wird. Es ist schließlich nicht mein Geld, das verschwendet wird.“

Richard schob den Stuhl zurück und stand auf. „Willst du mir ernsthaft weismachen, dass Jonathans Ankunft die Sache gefährdet?“

„Ich will damit nur sagen, dass wir keine negative Publicity gebrauchen können. Immerhin ist Jon eine Art … Berühmtheit auf der Insel. Wenn er bei der Eröffnung eines dieser schrecklichen Frauenzimmer im Schlepptau hat, kannst du dir das Gerede vorstellen. Die Regenbogenpresse druckt bestimmt lieber einen Artikel über Jon und seine jüngste Eroberung, als sich mit dem eigentlichen Ereignis zu beschäftigen.“

„Und das wäre?“

„Über Luther Styles und die anderen Maler zu berichten und sie der Öffentlichkeit vorzustellen“, rief Victoria ungeduldig. „Wie ich sehe, ist es dir völlig egal, wie viel Arbeit ich in das Projekt gesteckt habe!“

Richard schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Ich weiß, dass du hart gearbeitet hast, um die Galerie auf die Beine zu stellen.“ Er zögerte. „Wie wäre es, wenn ich Jon ausdrücklich bitten würde, nicht an der Eröffnungsparty teilzunehmen? Außerdem interessiert er sich sowieso nicht dafür. Da er einen Gast mitbringt, wird er froh sein, deine Einladung ausschlagen zu können.“

Victoria schniefte und schaute zweifelnd zu ihrem Bruder auf. Mit seinen ein Meter neunzig war er beträchtlich größer als sie. Trotz ihrer üppigen Figur war sie sich neben ihm immer zierlich, klein und feminin vorgekommen. Richard war bisher der einzige Mann gewesen, der ihr dieses Gefühl vermittelt hatte. Und da sie wusste, dass sie ihre gesellschaftliche Stellung der Tatsache verdankte, dass ihr Bruder eine einflussreiche Position bekleidete, war sie im Nachhinein froh, dass seine Ehe gescheitert war.

Richards Beziehung zu Daphne war von Anfang an problematisch gewesen. Obwohl Daphne aus einer angesehenen Familie stammte, war sie zu ungestüm und abenteuerlustig, um sich an ein ruhiges Familienleben zu gewöhnen. Sie hatte ständig Abwechslung, Vergnügen und Aufmerksamkeit gesucht. Was Richard ihr nicht geben konnte, hatte sie bei anderen Männern gefunden. Deswegen hat sich Jon auch so entwickelt, überlegte Victoria. Was konnte man anderes erwarten? Schließlich hatten seine Eltern in den ersten zwölf Jahren seines jungen Lebens einen nervenaufreibenden Ehekrieg geführt. Aber Victoria hatte aus den Fehlern ihres Bruders gelernt und nie heiraten wollen. Erst nach Richards Scheidung war sie aus Amerika zurückgekehrt, um ihrem Bruder beizustehen.

Victoria zwang sich zu lächeln und strich Richard liebevoll über die Wange. „Willst du das wirklich tun? Dafür wäre ich dir natürlich sehr dankbar. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wichtig es für mich ist, hier in Hamilton eine Galerie aufzumachen. Damit erfüllt sich für mich ein lang gehegter Traum.“

Richard wusste, dass seine Schwester seit ihrer Rückkehr auf die Insel darauf hingearbeitet hatte. Natürlich war sie unter dem Vorwand zurückgekommen, die Rolle zu übernehmen, die Daphne in seinem Leben nie gespielt hatte – sich um Jonathan und den Haushalt zu kümmern. Dennoch hatte er von Anfang an erkannt, dass Victoria eigene Ziele verfolgte. Früher hatte sie sich damit zufriedengegeben, in anderen Galerien zu arbeiten. Aber anscheinend hatte dies sie nicht ausgefüllt.

Kurz nach Richards Heirat war sie nach Amerika gezogen. In den Jahren davor hatte sie die Insel noch nie verlassen, und Ehrgeiz war für sie ein Fremdwort gewesen. Aber Victoria und Daphne waren nie gut miteinander ausgekommen, was ihn nicht überrascht hatte. Daphne konnte wirklich widerwärtig sein. Bei der Erinnerung an seine frühere Ehefrau verzog Richard gequält das Gesicht. Er hatte selbst oft genug unter ihrer Unberechenbarkeit leiden müssen.

Victoria hatte sich eines Tages entschlossen, die Bermudas zu verlassen und zu Freunden nach Long Island zu ziehen. Von dort aus war sie mit Richards tatkräftiger Unterstützung in eine eigene Wohnung in der Upper East Side von Manhattan gezogen. Schnell hatte sie einen Job in einer Galerie gefunden und sich energiegeladen in die Arbeit gestürzt, um so viel wie möglich über den Handel mit Bildern und Kunstobjekten zu lernen.

Es war jedoch ein beachtenswerter Schritt von der Arbeit in einer fremden Galerie bis zur Eröffnung einer eigenen. Vermutlich macht Victoria sich deshalb so große Sorgen wegen der Party, überlegte Richard, während er in seine Anzugjacke schlüpfte. Und da seine Schwester immer da gewesen war, wenn er sie gebraucht hatte, musste er ihr nun helfen, damit die Party ein Erfolg würde. Notfalls musste er Jon gegenüber den strengen Vater spielen. Aber sein Sohn verachtete sowieso die „feine Gesellschaft“ – wie er die Kreise nannte, in denen sein Vater verkehrte.

Wenige Minuten später fuhr Richard los in Richtung Büro. Von seinem Haus aus, das auf einen Felsvorsprung gebaut worden war, konnte man über die Bucht blicken und in der Ferne Hamilton sehen, die Hauptstadt der Insel. Das Anwesen der Familie Savage war mehrere tausend Quadratmeter groß und die Eingrenzung dicht mit Büschen bepflanzt worden, um das Haus vor den Blicken Neugieriger zu schützen. Eine kleine Privatstraße mündete in die Harbour Road, die in die Stadt führte. Die Fahrt dorthin dauerte mit dem Auto im Schnitt nur eine Viertelstunde.

Es ist wirklich ein wunderschöner Morgen, dachte Richard. Aber war nicht beinah jeder Morgen auf den Bermudas schön? Auf der Insel herrschten nahezu ideale Klimabedingungen. Obwohl er schon mehrmals überlegt hatte, vielleicht doch in eine der großen Finanzmetropolen der Welt zu ziehen, hatte er es nicht übers Herz gebracht, die Bermudas zu verlassen.

Richards Vater war mit der ganzen Familie vor fünfunddreißig Jahren hierher gezogen. Robert Savage hatte damals völlig unerwartet von einem entfernten Verwandten eine halbe Million Pfund geerbt. Daraufhin hatte er beschlossen, seine Stelle als Lehrer aufzugeben, England zu verlassen und auf die Bermudas zu ziehen. Erst später hatte er begriffen, dass das ein großer Fehler gewesen war. Ohne Arbeit und ohne Freunde musste Richards Vater sehr bald feststellen, dass das Leben als reicher Mann schnell glanzlos wurde. Wäre er nicht ein unglaublich stolzer Mann gewesen, hätte er sicher seinen Besitz auf den Bermudas verkauft und wäre wieder nach England zurückgegangen, was jedoch einer Niederlage gleichgekommen wäre.

Stattdessen hatte er zu trinken und zu spielen angefangen. Als Richard sechzehn Jahre alt gewesen war, war die Ehe seiner Eltern völlig zerrüttet gewesen. Während er gerade sein erstes Semester an der Universität absolvierte, geschah das große Unglück: Richards Vater fuhr auf dem Rückweg von einer Party in betrunkenem Zustand gegen einen Baum. Er und die Frau in seiner Begleitung waren auf der Stelle tot. Dieser Schock war für Richards Mutter zu viel gewesen. Am Tag nach der Beerdigung ihres Mannes hatte sie einen Schlaganfall, von dem sie sich nie wieder erholte. Damals hatte Richard sein Studium aufgegeben und war nach Hause zurückgekehrt, um bei seiner sechzehnjährigen Schwester zu sein.

Aber der Tod meiner Eltern ist nun fünfundzwanzig Jahre her, überlegte Richard bitter. Obwohl sein Vater sich auf den Bermudas nie heimisch gefühlt hatte, liebte Richard die Inseln über alles. Er wäre nie auf die Idee gekommen, die Koffer zu packen und nach England zurückzukehren. Glücklicherweise war damals noch genug Geld vorhanden gewesen, um eine Hausangestellte einzustellen, damit Victoria und er in Ruhe ihre Ausbildungen abschließen konnten.

Natürlich hatte er auch viel Glück gehabt. Zumindest, was seine Karriere anging. Es war, als habe das mangelnde Geschick seines Vaters, mit Geld umzugehen, ihm den Willen zum Erfolg verliehen. Sein Geschäftssinn und sein Gespür für neue Entwicklungen hatten ihm schnell Anerkennung gebracht. Da ihn das Bankwesen schon immer fasziniert hatte, hatte Richard nach dem Studium begonnen, bei einer großen Handelsbank zu arbeiten.

Leider war sein Privatleben nicht so erfolgreich verlaufen. Die überstürzte Heirat mit Daphne Charters gleich nach dem Universitätsabschluss war ein großer Fehler gewesen. Für eine lebenslange Verbindung waren sie beide noch zu jung gewesen. Im Gegensatz zu Victoria machte er Daphne jedoch keine Vorwürfe für das, was passiert war. Während der ersten Jahre ihrer Beziehung hatte er sehr viele Geschäftsreisen unternommen, um die Filialen von Jensen Lockwood, einer bedeutenden Investmentfirma, zu besuchen und die internationalen Geldmärkte gründlich kennenzulernen. Daphne hatte ihn darum beneidet, ein derartig aufregendes Leben führen zu können. Sie selbst war mit einem Baby, das sie eigentlich nicht hatte haben wollen, ans Haus gefesselt und musste mit einer Schwägerin zusammenleben, die sie nicht mochte.

Wäre Jonathan nicht gewesen, hätten sie sich sicher schon früher getrennt. Stattdessen hatte Richard seine Ehe zum Wohl des Kindes aufrechtzuerhalten versucht, obwohl ihm der gesunde Menschenverstand sagte, dass sein Sohn in jedem Fall darunter leiden würde. Eines Tages hatte Daphne ihn dann wegen eines amerikanischen Footballspielers verlassen, den sie auf einer ihrer Reisen in die Vereinigten Staaten kennengelernt hatte. Damals hatte er sogar Erleichterung verspürt, besonders, als Jon sich wünschte, bei seinem Vater zu bleiben.

Richard seufzte laut, während er den Mercedes durch die Menge der Touristen lenkte, die gerade ein Kreuzfahrtschiff verließen. Hamilton hatte einen ungewöhnlich tiefen natürlichen Hafen, sodass die Boote mitten in der Stadt vor Anker gehen konnten. In den Sommermonaten war es nichts Besonderes, dass mehrere Schiffe am Kai der Front Street angelegt hatten.

Richard dachte wieder an den bevorstehenden Besuch seines Sohnes. Vor sechs Monaten hatte er Jonathan zuletzt gesehen, und er verspürte noch immer eine gewisse Verantwortung für den Jungen. Nur dass er kein Junge mehr ist, hielt er sich schnell vor. Jon war mittlerweile zweiundzwanzig Jahre alt – ein Jahr älter, als Richard bei der Heirat mit Daphne gewesen war. Während der letzten vier Jahre hatte Jon sich sein Geld als Gitarrist einer mittelmäßig erfolgreichen Rockgruppe, den Fortune Cookies, verdient.

Victoria war nicht begeistert gewesen, als Jon mit sechzehn die Schule verlassen und angekündigt hatte, er wolle Popstar werden. In den Jahren, in denen Richard für die Firma Jensen Lockwood arbeitete, hatte sich Victorias Leben verändert. Außerdem war ihr Bruder zum Teilhaber der Bank aufgestiegen, und der Gedanke, dass sein Sohn – ihr Neffe Jonathan – sich einen Namen als Rockmusiker machen wollte, erfüllte sie mit Abscheu.

Tatsächlich war Jon ein guter Musiker. Und obwohl er nicht genug Geld verdiente, um seinen aufwendigen Lebensstil aufrechtzuerhalten, zog er es vor, in England zu leben – wo etwas los war, wie er es ausdrückte. Er besuchte seinen Vater so häufig wie nötig, um sicherzustellen, dass der großzügige Scheck nicht ausblieb, mit dem Richard ihn jeden Monat unterstützte. Victoria war gegen diese Zahlungen, aber Richard beruhigte damit sein schlechtes Gewissen, denn er fühlte sich in gewisser Weise für die Entwicklung seines Sohnes verantwortlich.

Aber jedes Mal, wenn Jon wieder auf die Insel kam, geriet Richards Leben in Aufruhr. Genau wie seine Mutter schaffte Jon es, ihm auf die Nerven zu gehen. Er war impulsiv, sorglos und manchmal nervtötend. Gelegentlich konnte er jedoch auch sehr charmant sein. Richard beschloss, diesmal besonders tolerant gegenüber seinem Sohn zu sein.

Das Flugzeug der British Airways hatte London vormittags um Viertel nach elf Uhr verlassen. Sechseinhalb Stunden später war über dem Atlantik noch immer früher Nachmittag. Gelegentlich tauchten unter dem Flugzeug in dem unendlichen blauen Meer kleine schwarze Flecken auf. Jon hatte Helen erklärt, dass diese zu den hundertfünfzig Inseln gehörten, die den Bermuda-Archipel bildeten. Die sieben Hauptinseln waren miteinander verbunden. Außerdem gab es über hundert unbewohnte Inseln. Helen war begeistert von dem ungewöhnlichen Anblick und schmiegte sich erwartungsvoll an Jon.

Während des Flugs hatte sie viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Nachdem das Mittagessen serviert und die Fenster der ersten Klasse verdunkelt worden waren und bevor der Bordfilm gezeigt wurde, war Jon eingeschlafen. Helen, die sich nicht für den Film interessierte, konnte jedoch nicht schlafen. Sie machte sich Gedanken über den bevorstehenden Besuch bei Jons Verwandten.

Es war das erste Mal, dass sie mit einem Freund zu dessen Eltern beziehungsweise dessen Vater nach Hause fuhr. Jons Vater schien ein einflussreicher Mann zu sein. Helen hatte Schwierigkeiten, sich ihn vorzustellen. Ob er so hektisch wie sein Sohn war? Hoffentlich würde er sie nett finden und keine Vorurteile haben.

Schließlich musste sie an Diana denken. Helen hatte ihre Tochter schon öfter bei den Großeltern zurückgelassen. So lange wie dieses Mal war sie jedoch noch nie fort gewesen. Da Helen als persönliche Assistentin für den Direktor eines Maschinenbauunternehmens arbeitete, musste sie häufig nach Paris, München oder Brüssel reisen.

Diana war es gewohnt, bei ihren Großeltern in Chiswick zu bleiben. Dennoch machte Helen sich Sorgen und fragte sich, ob sie das Richtige getan hatte.

Nicht, dass Diana etwas gegen die Reise ihrer Mutter eingewendet hatte. Sie war ein glückliches Kind – fröhlich, klug und ausgeglichen. Ohne Vater aufzuwachsen schien ihr nichts auszumachen. In ihrer Schule gab es mehrere Kinder, die nur einen Elternteil hatten. Vielleicht ertrug Diana die Situation deshalb so gelassen.

Helen wusste, dass sie ihre Tochter vermissen würde. Wenn sie abends vom Büro nach Hause kam, freute sie sich immer darauf, die verbleibende Zeit mit Diana zu verbringen. Vielleicht hat es deswegen nur wenige Männer in meinem Leben gegeben, dachte Helen lächelnd. Diejenigen, denen es nichts ausmachte, eine lebhafte Neunjährige zu ertragen, waren meistens ziemlich langweilig gewesen. Nur Jon hatte sich als eine Ausnahme erwiesen – obwohl er vier Jahre jünger war als Helen und als Musiker arbeitete.

Helen hatte noch immer Schwierigkeiten, das Bild, das sie von ihm hatte, mit dem eines Rockstars in Einklang zu bringen. Nicht, dass Jon ein wirklicher Star war. Die Gruppe, bei der er spielte, war nicht besonders bekannt. Dennoch hatte er treue Fans, und würde Helen ihn inzwischen nicht gut kennen, hätte sie ihn als einen wilden Rocker abgetan – wie die Presse ihn darstellte.

Vermutlich hätte sie ein anderes Bild von Jon bekommen, wenn sie vor ihrer Bekanntschaft eines seiner Konzerte besucht hätte.

Helen hatte in einer Münchner Hotelbar auf ihren Chef gewartet, der noch in einer Sitzung war, als ein dunkelhaariger, gut aussehender Mann in Jeans und einer Lederjacke auf dem Hocker neben ihr Platz genommen hatte. Helen selbst hätte von sich aus wahrscheinlich niemals eine Unterhaltung begonnen. Sie hasste es, von Fremden angesprochen zu werden.

Als Helen aufstand, um die Hotelbar zu verlassen, war ihre Handtasche zu Boden gefallen. Während sie sich bückte, um ihre Sachen aufzuheben, war sie mit Jon zusammengestoßen, der ihr helfen wollte.

„Tut mir leid …“, entschuldigte er sich auf Deutsch mit eindeutigem Akzent.

„Das macht nichts. Außerdem bin ich Engländerin“, hatte Helen ihn schnell unterbrochen. Daraufhin hatten sie beide herzhaft gelacht, und das Eis war gebrochen.

Helen war überrascht, in Jon einen sehr unterhaltsamen Gesprächspartner gefunden zu haben. Und als ihr Chef schließlich in die Bar kam, hatte sich bereits eine gewisse Vertrautheit zwischen ihr und Jon entwickelt.

In gewisser Weise erschien er ihr sehr viel älter zu sein als sie selbst, was in krassem Gegensatz zu seiner Jugend und Unreife stand, die sich aber positiv gegenüber Helens Ernsthaftigkeit ausmachten. Vom ersten Augenblick erinnerte er sie irgendwie an jemanden, aber an wen, fand sie nicht heraus. Jedenfalls beschlossen sie, sich wiederzusehen.

Obwohl die Fortune Cookies gerade auf großer Deutschlandtournee waren und Helen in London arbeitete, schafften sie es, sich während der nächsten Monate zumindest einmal in der Woche zu treffen. Eines Tages lud Helen Jon dann zu sich nach Hause ein, damit er Diana kennenlernte.

Natürlich wusste Jon, dass sie eine Tochter hatte. Gleich zu Anfang ihrer Beziehung hatte Helen ihm erzählt, alleinerziehende Mutter zu sein und ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Tochter zu haben. Jon schien dies jedoch nicht zu stören. Im Gegensatz zu den anderen Männern, mit denen sie gelegentlich ausgegangen war, hatte er keine Scheu, sich den neugierigen Fragen einer Neunjährigen zu stellen.

Diana hatte ihn vom ersten Moment an gemocht und sich gut mit ihm verstanden. Nachdem ihre Schulkameraden herausgefunden hatten, dass sie einen Rockmusiker kannte, war ihr Ansehen gestiegen. Helen hatte häufig den Eindruck, dass Diana Jon wie einen älteren Bruder behandelte. Vielleicht reagierte sie deshalb auch nicht eifersüchtig, wenn ihre Mutter mit ihm zusammen war.

Obwohl Helen erleichtert beobachtete, dass ihre Tochter so gut mit ihrem Freund zurechtkam, war sie unsicher, was sie selbst für Jon empfand. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie einen Mann kennengelernt, der Diana akzeptierte. Aber mag ich ihn wirklich?, fragte Helen sich. Oder interessiere ich mich nur deswegen für ihn, weil er Diana ein guter Vater sein würde?

Auf diese Frage musste sie so schnell wie möglich eine Antwort finden. Dieser Urlaub und der Besuch in Jons Elternhaus auf den Bermudas konnten ihr dabei helfen. Helen wusste, dass Jon während der vergangenen vier Jahre nur selten zu Hause gewesen war. Manchmal hatte sie sich schon gefragt, ob das Verhältnis zu seinem Vater vielleicht in irgendeiner Weise getrübt war. Aber als sie Jon darauf angesprochen hatte, hatte er ihr zunächst energisch widersprochen, dann jedoch zugegeben, dass es in den letzten Jahren zu Diskussionen über seinen Lebensstil gekommen war und dass es gelegentlich heftige Reibereien gab. Jon machte dafür hauptsächlich seine Tante verantwortlich, die mit seinem Vater in einem Haus lebte. Offensichtlich glaubte sie, Jon würde seine musikalische Begabung mit unsinnigem Geklimper vergeuden.

„Tante Vicki hätte am liebsten, dass ich klassische Gitarre spiele“, hatte er mit einem boshaften Funkeln in den Augen erzählt. Daraus schloss Helen, dass es ihm anscheinend Spaß machte, seine Tante zu provozieren.

Helen fürchtete sich jedoch vor allem vor Jons Vater. Sie hatte Angst, er würde die Tatsache, dass sie vier Jahre älter als sein Sohn war und eine neunjährige Tochter hatte, als unüberwindbare Barriere für eine ernsthafte Beziehung zu Jon sehen.

2. KAPITEL

Nach Jons Beschreibungen hatte Helen sich ein Bild von seiner Tante zu machen versucht – aber so hatte sie sich Victoria nicht vorgestellt. Insgeheim hatte sie gedacht, dass eine Frau, die ihre besten Jahre opferte, um für ihren Bruder und dessen Sohn zu sorgen, mütterlich aussehen und rosige Wangen haben müsste. Victoria Roberts entsprach dieser Vorstellung jedoch überhaupt nicht.

Obwohl sie mindestens vierzig Pfund Übergewicht hatte, wirkte Jons Tante so exotisch wie ihre Umgebung. Sie tippelte auf etwa zehn Zentimeter hohen Absätzen in die Empfangshalle. Helen bezweifelte, dass sie selbst in solchen Schuhen stehen, geschweige denn darin gehen könnte. Aber da Tante Vicki nicht sehr groß war, wollte sie offensichtlich die fehlenden Zentimeter auf diese Weise ausgleichen. Zu den Stöckelschuhen trug sie ein weites, flatterndes Chiffonkleid in bunten Regenbogenfarben und einen breitkrempigen Hut, um den sie ein buntes Band geschlungen hatte, dessen Enden hinter ihr herflatterten.

Helen hatte am Anfang nicht gewusst, dass dies Tante Vicki war. Ihr war die Frau nur aufgefallen – genau wie den übrigen Reisenden. Erst als Jon laut pfiff und die Frau verlegen errötete, war klar, um wen es sich handeln musste.

„Hallo, Prinzessin Vicki“, begrüßte Jon seine Tante schelmisch, übergab die Koffer einem Träger und nahm Victoria stürmisch in die Arme. „Du hast uns also doch abgeholt! Das finde ich aber nett. Ich hätte gar nicht gedacht, dass du so darauf brennst, mich wiederzusehen.“

„Das tue ich auch nicht“, erwiderte Victoria kurz angebunden. Helen spürte sofort, dass die Frau vor irgendetwas Angst hatte. Dann aber sah sie Jon schalkhaft blinzeln. „Lass mich bitte los, Jon. Du ruinierst meine Frisur. Dein Vater hat mich gebeten, ihm den Gefallen zu tun, da er in einer Geschäftsbesprechung ist. Im Gegensatz zu mir war er der Meinung, dass jemand aus der Familie dich und deine … Freundin empfangen sollte.“

Als Victoria das Wort „Freundin“, aussprach, krampfte sich Helens Magen zusammen. Jon ließ sich jedoch nicht beirren. „Wenn ich nicht wüsste, Tantchen, dass ich dein Lieblingsneffe bin, würde ich jetzt beleidigt sein“, erklärte er und lockerte seinen Griff. „Und nun möchte ich dir Helen vorstellen.“

„Du sollst mich nicht immer Tantchen nennen.“ Victoria schob mit einer Hand, die in einem weißen Handschuh steckte, die Locken unter den Strohhut und streckte Helen die andere Hand entgegen.

„Miss Roberts, vielen Dank für die freundliche Einladung“, murmelte Helen höflich.

„Roberts?“ Victoria runzelte die Stirn. „Ich heiße nicht Roberts, Miss … Helen.“

Helen blickte sie verwirrt an. „Aber ich dachte …“ Stimmte es etwa nicht, dass Jons Tante nie verheiratet gewesen war?

„Das ist mein Fehler“, mischte Jon sich ein und grinste fröhlich. „Ich hätte es dir natürlich sagen sollen, meine Liebe. Roberts ist mein Künstlername. Eigentlich heiße ich Jonathan Robert Savage.“

„Savage!“ Panik erfasste Helen, als sie den Namen hörte. Ganz egal, wie viele Jahre seit jener Nacht vergangen waren, noch immer verkrampfte sie sich innerlich, wenn sie daran dachte.

„Ja, Savage“, bestätigte Jon und betrachtete sie misstrauisch. „Ist etwas nicht in Ordnung? Du bist plötzlich so blass.“

„Das liegt vermutlich an der Hitze“, erklärte Victoria schnippisch. „Manche Menschen vertragen sie eben nicht.“ Dann blickte sie sich um. „Ist das alles euer Gepäck? Der Träger soll es zum Wagen hinausschaffen!“

Der Wagen war eine große Limousine, die Jons Tante, einschließlich des Chauffeurs, in der Stadt gemietet hatte. Victoria setzte sich schwerfällig neben den Fahrer auf den Beifahrersitz, während Helen und Jon im hinteren Teil des Autos Platz nahmen.

Helen war froh, dass sie durch die Aufregung, die beim Verstauen des Gepäcks im Kofferraum entstanden war, Zeit gehabt hatte, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Als Victoria sich wenig später zu ihr umdrehte und sich erkundigte, wie ihr die Insel gefiele, konnte sie wahrheitsgemäß antworten: „Ich finde sie zauberhaft.“

Während sie über die Schnellstraße fuhren, die den Flughafen mit der nördlichen Küstenstraße verband, genoss Helen die Aussicht auf Castle Harbour und das klare blaugrüne Meer. Danach wand sich die Straße zwischen blühenden Sträuchern hindurch an der Küste entlang. Die Häuser und Kirchen erinnerten Helen an England. Außerdem entdeckte sie winzige Piers und Buchten, wo Segelboote in allen Größen vor Anker lagen.

„Sie leben bestimmt in London“, meinte Victoria nun, und Jon verzog das Gesicht bei dem unverhohlenen Versuch seiner Tante, seine Freundin einzuordnen. „Sind Sie auch im Musikgeschäft tätig, Miss … äh … Helen?“

„Sie heißt Helen Caldwell, und sie arbeitet nicht im Musikgeschäft“, antwortete Jon rasch. „Zumindest nicht direkt“, fügte er dann zu Helens Erstaunen hinzu. „Wenn du es genau wissen willst, sie ist Go-go-Girl in einer Bar.“

Als Helen sah, dass Tante Vicki allmählich wütend wurde, griff sie schnell ein: „Nein, nein, ich arbeite in einem Maschinenbauunternehmen als Assistentin des Chefs, Miss … Savage.“ Sie zwang sich, den Namen ohne Zögern auszusprechen. Dabei warf sie Jon einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ja, ich lebe in London, in Hammersmith. Das ist nicht weit von Earl’s Court entfernt, wenn Sie schon davon gehört haben.“

„Natürlich habe ich davon gehört“, erwiderte Victoria steif. „Ich kenne mich nämlich in London sehr gut aus und habe ausgezeichnete Kontakte zu den dortigen Galerien.“

„Wirklich?“, hakte Helen erstaunt nach, bevor Jon sich wieder einmischte.

„Meine Tante ist ein Engel, musst du wissen. Nicht wahr, Tantchen? Sie spielt die große Beschützerin hungernder Künstler.“

„Das sind Maler, Jonathan“, wies seine Tante ihn zurecht. „Und ich bin kein Engel, sondern tue lediglich, was in meiner Macht steht, damit talentierte Maler Anerkennung finden.“

„Und dabei bist du sehr erfolgreich“, bestätigte Jon mit hinterhältig blitzenden Augen, und Victoria wendete sich wütend ab.

„Sie haben großes Glück, hier leben zu dürfen“, versuchte Helen, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Aber offensichtlich hatte sie wieder etwas Falsches gesagt, denn Victoria warf ihr einen unfreundlichen Blick zu.

„Was meinen Sie damit? Warum sollte ich nicht hier leben? Das ist schließlich mein Zuhause.“

„Natürlich, aber …“, begann Helen unsicher und blickte Hilfe suchend zu Jon.

Beschwichtigend und gleichzeitig beruhigend legte er ihr den Arm um die Schulter. „Helen hat es nicht bös gemeint, Vicki. Sie findet ganz einfach, dass du dich glücklich schätzen kannst, in so einer idyllischen Umgebung zu leben. Und das stimmt doch auch.“

„Oh, natürlich, ja. Wenn Sie es so meinen …“ Allmählich wich die Feindseligkeit aus Victorias Stimme. „Es ist nur, dass ich … nun, sagen wir, ich bin ein bisschen müde. In der letzten Zeit habe ich hart gearbeitet. Die Galerie und vieles andere mehr … ganz zu schweigen von deinem Vater, um den ich mich ja auch kümmern muss …“

„Oh ja. Wie geht es Dad denn? Gut? In seinem letzten Brief erwähnte er etwas von deiner neuen Galerie. Bestimmt hat er da die Hand mit im Spiel. Habe ich recht? Was Vicki will, bekommt sie auch, nicht wahr?“

„Ich glaube nicht, dass du Grund hast, so etwas zu sagen“, erklärte Victoria barsch. „Soweit ich weiß, hast du von deinem Vater immer alles bekommen, was du wolltest. Nur mit deiner Entscheidung, Rockmusiker zu werden, hat er sicherlich nichts zu tun.“ Sie rümpfte die Nase. „Aber darüber möchte ich nicht mehr mit dir diskutieren. Falls es dich interessiert, deinem Vater geht es gut. Er arbeitet viel, wie immer. Aber das kannst du ja nicht verstehen!“

„Was meinst du? Dass er viel arbeitet? Es ist doch für uns alle ein großes Glück, dass er dabei so erfolgreich ist – für mich, für dich und für deine Galerie.“

Helen seufzte und rückte ans Wagenfenster. Diese Seite von Jon hatte sie bislang noch nicht kennengelernt, und sie gefiel ihr gar nicht. Necken und spotten war eines, aber beleidigend zu sein etwas ganz anderes. Entschlossen, die angespannte Atmosphäre etwas aufzulockern, holte sie tief Luft. „Es ist wirklich kaum zu glauben, wie traumhaft das Wasser aussieht.“ Sie beugte sich vor, um besser aus dem Fenster blicken zu können. Die Schattierungen, die von Tiefblau bis zu hellem Türkis gingen, waren wirklich unbeschreiblich. Zusammen mit den dunklen Felsen und rosa getönten Stränden boten sie ein Bild unverdorbener Schönheit.

„Ja, es ist wirklich sehr hübsch hier“, stimmte Victoria ihr nach kurzem Zögern zu. „Ich kann mir nicht vorstellen, an einem anderen Ort der Welt zu leben.“

„Haben Sie immer hier gelebt?“, erkundigte Helen sich und hoffte insgeheim, damit nicht wieder ein heikles Thema angeschnitten zu haben.

Victoria nickte. „Ja, mit Ausnahme von ein paar Jahren, als Jonathan klein war“, antwortete sie und achtete gar nicht auf Jons warnende Blicke. „Als mein Bruder und seine Frau sich vor zehn Jahren trennten, kehrte ich nach Hause zurück, um … vermutlich, um meinem Bruder zu helfen. Er hat jemanden gebraucht, der sich um alles kümmerte, und ich war froh, diese Aufgabe zu übernehmen.“

Vor zehn Jahren! Helen zuckte zusammen. Damals hatte sie ihre schwerste Zeit durchgemacht! Vor zehn Jahren hatte sie Dianas Vater kennengelernt.

Inzwischen näherten sie sich Hamilton. Die Straßenschilder zeigten an, dass die Inselhauptstadt nur wenige Kilometer entfernt war. Bevor sie die Stadt erreichten, bogen sie jedoch in die Harbour Road ein. Auf der anderen Seite der schmalen Bucht konnte Helen die Häuser entlang der Front Street sehen. Am Kai hatte ein riesiges Kreuzfahrtschiff angelegt.

„Das ist aber hübsch!“, rief Helen und bewunderte die rosafarbenen und weißen Dächer der Stadt und den sonnenbeschienenen Bootshafen. Sie hatte erwartet, dass die Bermudas exotisch aussehen würden, aber die verschwenderische Schönheit überwältigte sie.

„Gefällt es dir?“, wollte Jon wissen, und Helen nickte eifrig.

„Wem würde es hier nicht gefallen? Diana würde es bestimmt traumhaft finden“, fügte sie dann lächelnd hinzu.

„Diana?“, fragte Victoria neugierig und zog die Hutkrempe etwas tiefer. „Wer ist Diana? Ihre Schwester?“

„Diana ist Helens Tochter“, erklärte Jon kühl, und Helen sah sofort den Ausdruck des Misstrauens in Victorias Augen. Sicher überlegt sie gerade, ob Diana auch Jons Tochter ist. Helen wünschte sich, besser aufgepasst zu haben. Eigentlich hatte sie Diana überhaupt nicht erwähnen wollen. Nun würde sie Erklärungen abgeben müssen, und Victoria Savage würde sicherlich wenig Verständnis für ihre Lage haben.

„Sie haben eine Tochter, Miss … Caldwell?“

Jon seufzte. „Nenn sie doch bitte Helen“, rief er und warf seiner Tante einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ja, sie hat eine Tochter. Eine neunjährige Tochter sogar. Ich bin also keinesfalls der Vater, auch wenn dich das zutiefst enttäuschen wird.“

Victorias Wagen überzogen sich mit flammender Röte. „Wirklich, Jonathan, ich glaube nicht, dass ich danach gefragt habe.“

„Nicht? Nun, dann haben wir zumindest klare Verhältnisse geschaffen, und du musst dir keine Gedanken machen, wie du es Dad beibringen wirst. Helen ist für Diana verantwortlich, damit haben wir nichts zu tun. Obwohl ich zugeben muss, ich hätte nichts dagegen einzuwenden, Diana zur Tochter zu haben.“

Vermutlich sollte ich Jon für diese Bemerkung dankbar sein, überlegte Helen. Dennoch wünschte sie, er hätte nicht so provozierend mit seiner Tante gesprochen. Victoria würde nun bestimmt nachrechnen und herausfinden, dass Helen älter war als Jonathan – sonst hätte sie Diana schon im Alter von dreizehn Jahren zur Welt gebracht.

Da der Chauffeur den Wagen von der Hauptstraße in eine schmale Seitenstraße lenkte, schien die Fahrt sich ihrem Ende zu nähern. Gelegentlich konnte Helen hinter den Häusern oder Hecken das Meer aufblitzen sehen. Sie konnte es kaum erwarten, Victorias forschenden Blick und neugierigen Fragen zu entkommen. Gleichzeitig versuchte sie sich einzureden, dass sie auf das Haus gespannt war, in dem Jon aufgewachsen war. Sie würde den Aufenthalt auf dieser schönen Insel genießen. Aber etwas, eine Art Instinkt, warnte sie, dass der Urlaub nicht so harmonisch verlaufen würde, wie sie gehofft hatte.

Trotz der Art, wie Jon seine Tante behandelte, vermutete Helen, dass Victoria Savages Äußeres keine Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit zuließ. Sie mochte geschmacklos angezogen sein und nicht allzu klug wirken, aber Helen war sicher, dass Tante Vicki eine intelligente Frau war. Dass sie die vergangenen zehn Jahre erfolgreich den Haushalt ihres Bruders geführt hatte, sprach für sie. Da Jons Vater bei der Scheidung noch sehr jung gewesen sein musste und plötzlich mit einem Kind dagestanden hatte, hätte er eigentlich wieder heiraten sollen – aber er war allein geblieben.

Natürlich wusste Helen nicht, weshalb seine Ehe gescheitert war. Jon hatte ihr lediglich erzählt, dass er nach der Scheidung bei seinem Vater gelebt hatte. Daraus hatte Helen geschlossen, dass seine Mutter an der Trennung schuld gewesen sein musste. Vielleicht war die Scheidung für Jons Vater eine derartig schmerzliche Erfahrung gewesen, dass er beschlossen hatte, nie wieder zu heiraten. Vielleicht hatte Victoria Savage es ihm aber auch schwer gemacht, eine neue Frau ins Haus zu bringen.

Der Chauffeur steuerte den Wagen in eine große Einfahrt, die von zwei Steinpfosten flankiert wurde. Helen schob entschlossen ihre Gedanken beiseite. Sie hatte keinen Grund, derartige Überlegungen über Jons Familie anzustellen. Nur weil Jons Tante ihr auf der Fahrt vom Flughafen einige Fragen gestellt hatte, war ihre Fantasie mit ihr durchgegangen, und sie hatte sich Dinge ausgemalt, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten. Sie war nicht hier, um Spekulationen über Jons Tante oder seinen Vater anzustellen. Sie musste herausfinden, ob die Gefühle, die sie für Jon empfand, stark genug waren, um eine festere Beziehung zu ihm einzugehen. Sie musste sich darüber klar werden, ob sie sich nur deswegen für ihn interessierte, weil er mit Diana gut auskam.

Nein, dachte Helen, ich habe Jon wirklich gern. Und in ihrem Alter glaubte sie schließlich nicht mehr an die große Liebe. Echte Freundschaft und liebevolle Geborgenheit waren bereits mehr, als sie erwarten konnte.

Die Ausfahrt machte eine Kurve, und die dichten, blühenden Sträucher, die das Haus bislang abgeschirmt hatten, gaben nun die Sicht frei auf einen gepflegten Rasen und eine gekachelte Terrasse. Ein üppiger Busch mit exotischen Weihnachtssternen verdeckte teilweise die gemauerte Umrandung der Veranda. Die weiß gestrichenen Dächer überragten jedoch die feuerroten Blüten, erstreckten sich in alle Richtungen und verrieten die wahren Ausmaße des Gebäudes.

Helen war gleichzeitig beeindruckt und verwirrt. Eigentlich hätte sie durch Victoria Savages Auftreten erahnen können, dass Jon ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Zwar hatte er häufig von seinem Elternhaus gesprochen, aber sie hatte keinesfalls die Villa eines Millionärs erwartet. Nicht einmal die vielen prachtvollen Häuser, die sie auf der Fahrt hierher gesehen hatte, hatten sie auf den Gedanken gebracht. Jon war immer so … normal und bescheiden gewesen. Er hatte sich in ihr Leben eingefügt, ohne dass sie den Eindruck gewonnen hätte, er müsse sich extra anpassen. Aber mittlerweile vermutete sie, dass er nur eine Rolle gespielt hatte, und sie bezweifelte, in seine Welt zu gehören.

„Herzlich willkommen in Palmer’s Sund“, sagte er nun. Aber nach einem kurzen Blick zu Helen schien er ihre Vorbehalte zu spüren. „Gefällt es dir etwa nicht?“

„Hast du denn erwartet, dass es mir gefallen würde?“, konterte sie angespannt, und Jon stieß einen lauten Seufzer aus.

„Das heißt also Nein“, stellte er fest. „Bitte, mach mir daraus keinen Vorwurf. Hier bin ich nun mal aufgewachsen. Wie du weißt, mag ich deine Wohnung viel lieber als dieses Haus hier. Zumindest ist sie ein Heim und kein Ausstellungsstück.“

„Behandle mich bitte nicht so gönnerhaft, Jon.“ Helen wandte sich von ihm ab und sah auf die pinkfarbene Kuppel, die eine Gruppe von Dattelpalmen überragte. Kein Wunder, dass Victoria Savage darauf achtet, ihre Stellung hier zu halten und sich gegen jeden Eindringling wehrt, überlegte Helen.

„Gefällt Ihnen das Haus nicht, Miss Caldwell?“, erkundigte Victoria sich ungläubig und erleichtert zugleich.

„Ganz im Gegenteil, Miss Savage. Es ist wunderschön. Ist das der Atlantik? Er sieht so blau aus. Ich kann gar nicht verstehen, dass Jon überhaupt woanders leben kann.“

Victoria presste die Lippen zusammen. Inzwischen hatte der Chauffeur den Wagen unter einer Säulenvorhalle geparkt. Jon öffnete die Wagentür und stieg aus. „Das ist der Sund“, verbesserte Victoria und machte eine ausladende Handbewegung. „Sie wissen vermutlich, was ein Sund ist?“

„Ich denke doch.“ Aber Helen weigerte sich, ihr eine Erklärung zu geben. Dann ließ sie sich von Jon beim Aussteigen helfen und schaute sich staunend um. Durch die offen stehende Flügeltür konnte sie in die schattige Eingangshalle des Hauses sehen. Auf dem Parkettfußboden lag ein großer cremefarbener Chinateppich. An der Decke drehte sich ein Ventilator beständig und sorgte für einen angenehmen kühlen Luftzug.

„Alles in Ordnung?“, fragte Jon leise, und Helen nickte zögernd. Sie ließ es sogar zu, dass er sie zu sich heranzog. In dieser intimen Umarmung befanden sie sich noch, als ein Mann die Halle betrat und auf sie zukam.

Helens erster Gedanke war, dass dies ein Dienstbote sein musste. Aber der Mann war kein Hausangestellter. Sie spürte es sofort, noch bevor er in die Säulenhalle hinausging. Obwohl er knielange Bermudas, ein weißes Hemd und eine Krawatte trug, strahlte er Autorität aus. Aber erst, als er im Sonnenlicht stand, gelang es ihr, auch sein Gesicht zu sehen.

Als Jon bemerkte, dass Helen den Mann betrachtete, räusperte er sich. „Dad!“, rief er erfreut aus, drückte kurz ihren Arm und eilte dann dem Mann entgegen. „Fein, dich wiederzusehen“, sagte er, als er seinem Vater die Hand gab. „Vicki hat erzählt, dass du in einer Sitzung bist.“

„Das war ich auch“, bestätigte Jons Vater. Helen hörte den beiden jedoch kaum zu. Sie hielt sich krampfhaft am Wagendach fest und versuchte sich einzureden, dass sie sich täuschte. Es war nicht das unerwartete Auftauchen von Jons Vater, das sie schockiert hatte, und auch nicht Verlegenheit darüber, dass er sie in den Armen seines Sohnes angetroffen hatte. Trotz Victoria Savages Feindseligkeit und Jons Geheimniskrämerei über seinen familiären Hintergrund wäre sie mit allem zurechtgekommen. Schließlich hatte sie es auch damals geschafft, als sie mit sechzehn Jahren schwanger geworden war. Sie war damit fertig geworden, eine ledige Mutter zu sein.

Als Diana noch ein Baby war, hatte Helen tagsüber Geld verdient und abends eine Schule besucht. Im Abendunterricht hatte sie die Ausbildung zur Sekretärin abschließen können, die sie während der Schwangerschaft hatte unterbrechen müssen. Sonst hätte sie nie die Qualifikation besessen, Alan Wrights Assistentin zu werden.

Trotz aller Vorbehalte, die sie bei der Vorstellung verspürt hatte, Jons Vater gegenüberzutreten, war Helen überzeugt gewesen, die Situation zu meistern. Schließlich war er ein Mann wie viele andere. Aber sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, jenem Mann zu begegnen, den sie seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Richard Savage, dachte sie ungläubig und versuchte verzweifelt, das innere Gleichgewicht wiederzuerlangen. Was wird passieren, wenn er mich erkennt? Wie in aller Welt konnte sie all dem entkommen?

3. KAPITEL

Wenige Stunden später trat Helen auf den Balkon ihres Zimmers hinaus und holte tief Luft. Zwei Trennwände an jeder Seite versperrten den Blick zu den beiden Balkons der Nebenzimmer. Über Helens Kopf befand sich ein Vordach, das vor der Sonne schützen sollte. Aber das war im Augenblick nicht nötig. Die Sonne versank bereits rot glühend in der Bucht und tauchte die Inseln in der Meerenge in ein warmes Licht.

Helen legte die Hände auf das Geländer und blickte auf den Garten. Ihr Zimmer lag im ersten Stock, und direkt unter dem Balkon blühte ein üppiger Bougainvilleastrauch. Hinter dem Busch zog sich der Rasen über einen sanften Abhang zum Meer hinunter. In der Bucht lagen mehrere Boote vor Anker, deren Positionslichter umso deutlicher zu erkennen waren, je mehr sich der Himmel verdunkelte. In der Ferne tauchten allmählich die immer zahlreicher werdenden Lichter von Hamilton und die Lichterkette eines langsam vorbeiziehenden Kreuzfahrtschiffes auf.

Obwohl der Anblick außergewöhnlich schön war, konnte Helen ihn momentan nicht genießen. Im Gegenteil, sie fühlte sich wie betäubt. Trotzdem sie mit ihrem Blick die Schönheit der Umgebung erfasste, drang die Empfindung nicht bis zu ihrem Gehirn vor.

Aber solange sie von diesem dumpfen Gefühl erfüllt wurde, war die Situation für sie unerträglich. Nur wenn ihr die Wirklichkeit zu Bewusstsein kam, spürte sie, dass sie das Gleichgewicht verlor. Falls sie es schaffte, die aufkeimende Nervosität zu unterdrücken, hatte sie vermutlich nichts zu befürchten. Denn Richard Savage hatte sie nicht wiedererkannt!

So unwahrscheinlich es ihr zunächst erschienen war, er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als Jon sie vorstellte. Richard hatte sie herzlich begrüßt und sich wegen ihres Unwohlseins sehr besorgt gezeigt – im Gegensatz zu seiner ungeduldigen Schwester.

Helen legte den Kopf zurück. Sofort spürte sie die Verkrampfung in ihren Schultern. Wie habe ich die Begegnung mit Richard Savage nur überstanden?, wunderte sie sich nun. Wie habe ich es geschafft, seine Hand zu schütteln, ohne ihm bittere Anklagen ins Gesicht zu schleudern? Als Jon sich zu ihr umgedreht und sie an sich gezogen hatte, wäre sie am liebsten davongelaufen. Stattdessen hatte sie tapfer ihre Angst hinuntergeschluckt und darauf gewartet, irgendwann einmal zusammenzubrechen.

Aber nichts dergleichen war geschehen. Nichts Unerwartetes war passiert – außer dass ihre Haut ganz feucht wurde vor Angstschweiß. Als Richard ihre Hand ergriffen hatte, hatte sie erwartet, dass er zurückzucken würde, so nass waren ihre Handflächen. Aber er hatte nur gefragt, ob sie sich nicht wohlfühlen würde, und sie hatte daraufhin etwas von einem Migräneanfall gestammelt. Sofort waren Vater und Sohn voller Besorgnis gewesen.

Warum hatte sie so etwas überhaupt gesagt? Statt ein kühles Äußeres zu bewahren und wie Richard so zu tun, als würde man sich das erste Mal begegnen, hatte sie die Aufmerksamkeit der anderen auf sich gelenkt.

„Sie ist doch hoffentlich nicht schwanger, oder?“, hatte Victoria bissig ins Ohr ihres Neffen gezischt, während Richard gerade vorschlug, ins Haus zu gehen. Leider hatte Helen Jons Antwort nicht gehört. Dafür war ihr die Kälte in der Stimme seines Vaters nicht entgangen, als er seine Schwester zum Schweigen brachte. In diesem Augenblick wurde Helen klar, dass Richard in Wirklichkeit der Herr im Haus war – obwohl Victoria ständig versuchte, ihre Autorität unter Beweis zu stellen.

Das passt zu ihm, dachte Helen bitter. Richard Savage war ein Mann, der seine Ziele verfolgte und sie auch durchsetzte. Sie wusste das nur zu gut, denn sie hatte es am eigenen Leib zu spüren bekommen. Hatte ihn seine Frau vielleicht aus diesem Grund verlassen? Weil sie es nicht hatte ertragen können, dass ihr Mann eine oder sogar mehrere Geliebte gehabt hatte?

Helen stöhnte innerlich. Warum machte sie sich darüber Gedanken? Richard Savages Beziehungen gingen sie gar nichts an. Was sie jedoch anging, war, dass sie sich nun in einer unmöglichen Situation befand. Und ganz egal, von welcher Seite sie ihre Lage betrachtete, sie fand keinen Ausweg.

Merkwürdigerweise war es Richard gewesen, der ihr geholfen hatte, den bevorstehenden Problemen vorübergehend zu entfliehen. Nachdem er sie in die angenehm kühle Eingangshalle geführt hatte, rief er ein asiatisches Hausmädchen, das sie in die Gästesuite bringen und mit heißem Tee und Aspirin versorgen sollte.

„Ich schlage vor, Sie versuchen, eine Weile zu schlafen“, sagte er, während Jon hilflos neben ihm stand. „Wir essen gewöhnlich nicht allzu früh. Sie haben also ausreichend Zeit, sich auszuruhen. Falls Sie sich nicht wohl genug fühlen, um uns beim Abendessen Gesellschaft zu leisten, machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben Verständnis dafür.“

Natürlich hatte Jon sie nach oben begleitet und ihr das Zimmer gezeigt. „Du Ärmste, warum hast du mir denn nicht schon früher von deiner Migräne erzählt?“, wollte er wissen, als Helen schuldbewusst in der Mitte des Raums stand. „Dann hätte ich Vicki verboten, all diese dummen Fragen zu stellen. Sie ist eine alte, neugierige Hexe!“

„Reg dich nicht auf, das ist schon in Ordnung!“

Für Helen war die Situation schon peinlich genug, und sie war erleichtert, als ein junger dunkelhäutiger Mann mit ihrem Gepäck eintrat. Jon war danach zusammen mit ihm aus dem Zimmer gegangen, damit sie sich ausruhen konnte.

Natürlich hatte sie nicht geschlafen. Es war ihr nicht einmal gelungen, sich etwas zu entspannen. Außerdem hatte sie noch immer keine Entscheidung getroffen, was sie als Nächstes tun sollte. Wie konnte sie hierbleiben und die Gastfreundschaft eines Mannes annehmen, den sie nie wieder hatte sehen wollen? Aber wie sollte sie Jons Familie eine überstürzte Abreise erklären, ohne Fragen aufzuwerfen, die sie nicht beantworten wollte?

Weshalb hatte der Mann, der der Vater ihres Kindes war, sie nicht erkannt? Natürlich war ihre Begegnung zehn Jahre her, und Helen hatte sich zweifelsohne verändert. Aber doch nicht so sehr! Sie würde sein Gesicht jedenfalls nie vergessen.

Wahrscheinlich hatte die Affäre mir wohl mehr bedeutet als ihm, dachte Helen. In jener Nacht hatte sie mehr verloren als ihre Unschuld. An diesem Abend war Diana gezeugt worden, ihre Tochter, die neun Monate später zur Welt kam, ohne dass Richard Savage etwas davon wusste oder sich auch nur dafür interessierte. Dass Jons Vater gleichzeitig auch Dianas Vater war, erschien Helen beinahe unfassbar. Kein Wunder, dass sie sich immer gefragt hatte, an wen Jon sie erinnerte. An Diana natürlich, schließlich waren die beiden Stiefgeschwister.

Helen seufzte tief. Dann wickelte sie die Enden des Badehandtuchs, das sie nach der Dusche wie einen Sarong um ihren schlanken Körper geschlungen hatte, enger um sich und bewunderte erneut die herrliche Aussicht. Die Sonne versank auf den Bermudas sehr viel schneller als in England, und die ersten Sterne tauchten bereits an dem mit Silberstreifen durchzogenen Horizont auf. Trotzdem war es nicht kalt. Die Luft war mild und verführerisch und strich ihr über die Haut, als wolle sie sie daran erinnern, dass sie auf der Insel ihren Urlaub verbrachte.

Aber wie kann ich mich hier entspannen?, fragte Helen sich hilflos. Bis jetzt hatte sie eine Unterhaltung mit Richard Savage vermeiden können. Aber wie lange würde sie ihm noch ausweichen können? Er würde sicherlich die Frau näher kennenlernen wollen, die sein Sohn mit nach Hause gebracht hatte. Er würde alles über sie wissen wollen, und nachdem sie Victoria bereits von ihrer Tochter erzählt hatte, würde er vermutlich schon bald von Diana erfahren. Und was wäre, wenn er dann zwei und zwei zusammenzählte? Würde er am Ende etwa versuchen, ihr Diana wegzunehmen? Große Güte, sie hätte nicht hierherkommen sollen! Es war ein schrecklicher Fehler gewesen.

Damals, als sie Richard in London kennengelernt hatte, hatte Helen nicht gewusst, dass er ein einflussreicher Mann war. Allein der Gedanke, dass er seine Beziehungen ausnutzen könnte, um ihr Diana wegzunehmen, versetzte sie in Schrecken. Verzweifelt versuchte Helen, ihre Panik zu unterdrücken. Gleichzeitig schalt sie sich eine Närrin, dass sie sich Probleme ausmalte, die noch keine waren. Es war unwahrscheinlich, dass Richard sich an sie erinnerte. Ich muss mich zusammenreißen, sagte sie sich. Wenn ich einen klaren Kopf behalte, werde ich von Richard nichts zu befürchten haben.

Inzwischen war es schon reichlich spät. Helen ging zurück ins Schlafzimmer und knipste die Nachttischlampe an. Die zunehmende Dunkelheit draußen hatte ihr plötzlich Angst gemacht. Sie benötigte Licht und Sicherheit und die Vertrautheit ihrer persönlichen Sachen um sich herum.

Wie gern würde sie jetzt Diana anrufen, aber in England war es bereits weit nach Mitternacht. Außerdem würde ihre Tochter sicher eine Menge neugierige Fragen stellen. Was könnte sie ihr darauf antworten? Ach, übrigens, Diana, ich habe heute zufällig deinen Vater wiedergetroffen. Jon und ich wohnen sogar bei ihm. Ist das nicht nett?

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie nur noch knapp eine halbe Stunde Zeit hatte, um zu den anderen hinunterzugehen. Jon hatte ihr erklärt, dass das Abendessen üblicherweise um halb neun Uhr serviert wurde. Am liebsten hätte Helen weiterhin Kopfschmerzen vorgetäuscht, aber dadurch würde sie die unangenehme Konfrontation mit Richard nur vor sich herschieben.

Sie setzte sich auf das Bett, das so groß war, dass es ihre Londoner Wohnung ausgefüllt hätte. In diesen Raum passte es jedoch sehr gut, und sie musste zugeben, dass die Zimmer, die man ihr zugewiesen hatte, sehr gemütlich waren. Das Schlafzimmer allein war schon sehr beeindruckend, aber zu der Gästesuite gehörte noch ein Wohnzimmer mit weich gepolsterten Stühlen und einem hübschen Schreibtisch, auf dem sogar Briefpapier bereitlag. Der Boden war mit einem wollweißen Teppich ausgelegt, in dem Helen beim Barfußgehen fast versank. Das Badezimmer war mit Marmorfliesen in einem leichten Grauton und einer feinen cremefarbenen Maserung gekachelt. Obwohl die Einrichtung wirklich sehr geschmackvoll wirkte, war es nicht die Art Unterkunft, die Helen erwartet hatte, als Jon sie in sein Elternhaus eingeladen hatte.

Helen beschloss, endlich ihren Koffer auszupacken und sich zu überlegen, was sie heute Abend anziehen sollte. Glücklicherweise hatte sie auf den Rat ihrer Mutter gehört und mehrere knitterfreie Kleider eingepackt, die sie tagsüber und am Abend tragen konnte. Normalerweise bevorzugte sie lässige, sportliche Kleidung wie lange Hosen, Leggings, weite Pullover oder lose fallende Hemden. Natürlich wären Leggings für dieses Klima nicht geeignet, deshalb hatte sie vor allem Shorts, dünne Hosen und Röcke eingepackt.

Heute Abend wollte sie sich jedoch besonders hübsch machen. Das würde ihr Selbstvertrauen stärken. Das blau-weiß gestreifte Kleid schien genau das Richtige zu sein. Es wirkte streng und verführerisch zugleich. Der Halsausschnitt gab den Blick auf ihren Brustansatz frei, und der Wickelrock zeigte nicht zu viel von ihren Oberschenkeln. Helen wusste nicht, wie sie ihr Haar frisieren sollte. Sie hatte es unter der Dusche gewaschen und dann ihre Naturlocken an der Luft trocknen lassen. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als es zu einem kurzen Zopf zu flechten. Aber der Zopf passt nicht zu dem Kleid, überlegte Helen grimmig. Schließlich steckte sie ihr Haar zu einem Nackenknoten auf. Dadurch wirkte sie zwar etwas älter, aber Jon mochte diese Frisur an ihr. Und schließlich war er der einzige Mensch, dem sie gefallen wollte.

Helen betrachtete kritisch ihr Bild im Spiegel. Eine rotblonde Haarsträhne hatte sich bereits wieder gelöst und ringelte sich frech im Nacken. Helen seufzte, bevor sie das Klopfen an der Tür hörte. Auf in den Kampf!, befahl sie sich. Wirklich schade, dass ich keine Schauspielerin bin. Heute hätte ich die Chance meines Lebens, mein Können unter Beweis zu stellen.

Mit leicht unsicheren Schritten ging sie zur Tür und öffnete. Draußen stand das asiatische Hausmädchen, das sie bereits am Nachmittag gesehen hatte.

„Mr. Savage lässt fragen, ob Sie sich wohl genug fühlen, um gemeinsam mit der Familie zu Abend zu essen“, sagte das Mädchen und warf Helen einen anerkennenden Blick zu. „Aber wie mir scheint, geht es Ihnen viel besser“, fügte sie mit freundlichem Lächeln hinzu. „Darf ich Sie hinunterbegleiten?“

Helen holte tief Luft. „Ja, gerne“, stimmte sie zu. In dem Augenblick ging der Mann, über den sie in den letzten Minuten so viel nachgedacht hatte, über den Flur. Mit seinem weißen Hemd, der engen schwarzen Hose und einem Gürtel um die schlanke Taille wirkte Richard Savage noch attraktiver als heute Mittag. Die letzten zehn Jahre hatten ihm offensichtlich wenig anhaben können. Wie alt er inzwischen wohl ist?, überlegte Helen. Zweiundvierzig? Dreiundvierzig? Jedenfalls sah er viel jünger aus. Nur die zahlreichen kleinen Fältchen um seine Augen deuteten auf eine gewisse Lebenserfahrung hin.

Kein Wunder, dass ich mich vor zehn Jahren so zu ihm hingezogen gefühlt habe, dachte Helen. Groß, schlank und muskulös erinnerte Richard eher an einen Sportler als an einen Bankier. Auch seine gebräunte Haut zeigte, dass er sich viel an der frischen Luft aufhielt. Dabei konnte man nicht einmal sagen, dass er ein außergewöhnlich gut aussehender Mann war. Dafür lagen seine Augen zu tief, war seine Nase zu lang und seine Lippen zu schmal. Aber seine Augen wurden von langen, dichten Wimpern umrahmt, sein Gesicht strahlte Intelligenz aus, und der Mund – mit dem er einst jeden Zentimeter ihres Körpers erforscht hatte – zeugte von Wärme und Sinnlichkeit. Damals hatte sie Richard einfach nicht widerstehen können.

Ja, dachte Helen unbehaglich, er hat nichts von seiner sexuellen Anziehung verloren. Auch wenn mittlerweile einige graue Strähnen sein Haar durchzogen, wirkte er noch immer so vital wie damals. Komisch, dass er nie wieder geheiratet hatte! Gelegenheit dazu hatte sich ihm sicher geboten.

„Ah, Helen“, sagte er nun und lächelte, aber sie spürte, dass er überrascht war, sie zu sehen. Wunderte er sich, dass sie sich so schnell von ihrer Migräne erholt hatte? Oder verwirrte ihn ihr verändertes Aussehen? Vermutlich machte sie jetzt einen völlig anderen Eindruck als heute Nachmittag. Immerhin konnte sie ihr Zittern vor ihm verbergen, und ihre Haut war leicht gerötet und nicht mehr mit dieser erschreckenden Blässe überzogen.

„Offensichtlich geht es Ihnen wieder besser“, sagte Richard und blieb stehen.

„Ja.“ Obwohl Helen sich bemühte, normal zu sprechen, klang ihre Stimme angespannt. Es fiel ihr schwer, höflich zu ihm zu sein, und sie wünschte, Jon wäre hier, um ihr beizustehen.

„Fein.“ Richards Tonfall war wesentlich wärmer als ihrer. Sollte er ihre Feindseligkeit spüren, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. „Ich wollte gerade Laura sagen …“ Er machte eine Handbewegung in Richtung des Hausmädchens, das noch immer an der Treppe stand. „Sie soll Sie keinesfalls stören. Aber ich freue mich, dass Ihre Kopfschmerzen nachgelassen haben. Sind Sie fertig? Meine Schwester wartet unten in der Bibliothek auf uns.“

Hastig schloss Helen die Zimmertür und lief über den Flur. Richard begleitete sie und versuchte, seine Schritte an ihr Tempo anzugleichen. Während sie nebeneinander die Stufen hinuntergingen, täuschte Helen lebhaftes Interesse an der Einrichtung des Hauses vor. Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete eingehend den riesigen Kronleuchter, der im Treppenhaus an der Decke hing. Besorgt stützte Richard sie mit einer Hand am Ellbogen. Sofort zuckte sie zusammen und wich ihm aus, als habe er sie tätlich angegriffen. Dabei hatte sie Mühe, den Wunsch zu unterdrücken, über die Stelle zu wischen, an der er sie berührt hatte.

„Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe“, entschuldigte Richard sich und kniff die Augen zusammen. „Sie haben nicht aufgepasst, wohin Sie traten. Es würde mir leidtun, wenn Sie ausrutschen und hinfallen würden – bei all dem Misstrauen, das Sie diesem Haus und unserer Familie entgegenbringen.“

„Misstrauen?“, wiederholte sie, und Richard nickte.

„Sie können mich gern verbessern, wenn ich unrecht habe, aber ich glaube, Sie sind nicht gerade überwältigt vor Freude, hier zu sein“, bemerkte er. Dabei schob er die Hände in die Hosentaschen und sah Helen fragend an. „Jon hat mir schon erzählt, dass Victoria Ihnen auf der Fahrt vom Flughafen eine Menge sehr persönlicher Fragen gestellt hat. Stimmt das?“

„Hm … einige“, räumte Helen nach kurzem Zögern ein.

Richard seufzte. „Typisch! Lassen Sie sich jedoch nicht von Victoria aus der Fassung bringen. Sie kann manchmal wirklich anstrengend sein.“

Helen verzog das Gesicht und lächelte verkrampft. Dabei schwor sie sich, sich vor Richard in Acht zu nehmen. Trotz allem, was sie von ihm wusste, spürte sie, wie sie sich allmählich von seinem Charme einwickeln ließ.

„Jon ist am Verhalten seiner Tante nicht ganz unschuldig“, erklärte Richard, während sie die Treppe hinuntergingen. „Gelegentlich brachte er … recht eigenartige Leute mit nach Hause.“ Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Damit will ich natürlich nicht sagen, dass Sie in irgendeiner Weise eigenartig sind“, fügte er schnell hinzu. „Ganz im Gegenteil. Meine Schwester ist nur sehr altmodisch …“

„Und Sie nicht, Mr. Savage?“

„Oh doch, ich auch“, gab er zu. „Ich bin ebenso konservativ wie meine Schwester, aber ich versuche, dagegen anzukämpfen. Vermutlich bringt das das Alter mit sich, Helen. Und wenn Sie mich weiterhin Mr. Savage nennen, komme ich mir noch älter vor.“

Obwohl sein Lächeln entwaffnend war, ließ Helen sich nicht täuschen. Was würde er antworten, wenn sie ihn fragte, wie er sich vor zehn Jahren nach der Party in London verhalten hatte?

„Ich hoffe, ich kann Sie davon überzeugen, dass unsere Insel einen Besuch wert ist.“ Mittlerweile waren sie im Erdgeschoss angekommen. „Zu schade, dass Sie Ihre Tochter nicht mitbringen konnten. Die Strände hier würden ihr sicherlich gefallen.“

Helen hielt den Atem an. „Sie wissen von Diana?“

„Heißt Ihre Tochter so? Victoria hat mir von ihr erzählt. Durfte sie das etwa nicht?“

Helen bemühte sich verzweifelt, die Fassung wiederzuerlangen. Beinahe hätte sie einen schrecklichen Moment lang geglaubt, nun würde er sagen, er wisse längst über sie Bescheid. Dabei hatte sie völlig vergessen, dass sie aus Unachtsamkeit mit Victoria über Diana gesprochen hatte.

„Doch, doch“, wehrte Helen schnell ab. Hoffentlich waren sie bald in der Bibliothek! Mehrere lange Gänge zweigten von der Eingangshalle ab, und sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wo sich der Raum befand.

„Hier entlang“, erklärte Richard, als habe er ihre Gedanken erraten. „Wir nennen diesen Teil die Galerie – aus unübersehbaren Gründen. Victoria ist sehr um die schönen Künste bemüht, und hier hängen die Werke von einigen ihrer Schützlinge.“

„Die Bilder sind sehr schön“, erwiderte Helen zaghaft und betrachtete die Bilder an der Wand, ohne sie richtig wahrzunehmen. Sicher hielt Richard sie wegen dieser einsilbigen Antwort für unwissend und einfältig. Aber schließlich war er der letzte Mensch, den sie beeindrucken wollte. Dennoch, wenn sie die Zeit hier überstehen wollte, musste sie sich zusammenreißen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, um peinliche Fragen zu vermeiden. Nachdem sie entdeckt hatte, dass sie von Richard nichts zu befürchten hatte, wäre es merkwürdig, wenn nun ausgerechnet Jon Verdacht schöpfen würde. Aber wollte sie die Beziehung zu ihm wirklich weiterführen? Ganz egal, was sie für Jon empfand, er war Richards Sohn. Und die Vorstellung, eines Tages ein Teil der Familie Savage zu werden, war für sie unerträglich.

Durch die Fenster konnte Helen Lichter in der Dunkelheit flimmern sehen, und der unverkennbare Duft des Oleanders hing süß und verführerisch in der Luft. Aus der Ferne erklang beschwingte Calypsomusik. Die tropische Umgebung, exotische Musik – eigentlich sollte sie überwältigt sein. Aber als Richard die Flügeltür am Ende der Galerie öffnete und sie bat einzutreten, dachte Helen nur daran, wie sie so schnell wie möglich fliehen konnte.

4. KAPITEL

Auf der Party anlässlich der Galerieeröffnung herrschte eine ausgelassene Stimmung. Richard trank bereits das dritte Glas Champagner. Er hatte sich vor eines der großen Fenster gestellt und betrachtete spöttisch das Gedrängel der Gäste. Insgeheim musste er Victoria Respekt zollen. Sie hatte Talent, wenn es darum ging, die Werbetrommel für sich zu rühren. Sie hatte den Ablauf des Abends perfekt organisiert. Luther Styles erwies sich als sehr erfolgreich, aber auch die Arbeiten der weniger bekannten Künstler waren in der Ausstellung nicht übersehen worden. Viele der Bilder waren bereits mit dem kleinen roten Punkt versehen, der anzeigte, dass sie einen Käufer gefunden hatten.

Victoria genoss den Erfolg ganz offensichtlich. Umgeben von einer Schar Zeitungsreporter und Bewunderer stand sie in der Mitte des Ausstellungsraums und sprach über die Schwierigkeiten der Künstler auf dem Kunstmarkt. Luther Styles war an ihrer Seite, und Richard bemerkte, dass sich seine Schwester bei ihm eingehakt hatte. Glaubte sie etwa, dass Styles sich ernsthaft für sie interessierte? Richard runzelte nachdenklich die Stirn. Er selbst bezweifelte es. In seinen Augen war der Mann arrogant und kriecherisch. Mehrfach hatte er beobachtet, wie der Maler mit lüsternen Blicken andere Frauen verfolgt hatte. Sobald Victoria jedoch das Wort an ihn richtete, verbarg er schnell sein offensichtliches Interesse an zierlicheren weiblichen Formen. Richard vermutete, dass er Victoria nur ausnutzte und sie sicher noch tief verletzen würde.

Aber das geht mich nichts an, überlegte er und starrte in sein leeres Glas. Obwohl Victoria einige Jahre jünger war als er, war sie eine erwachsene Frau und sicherlich in der Lage, ihr Leben zu meistern. Nein, er fühlte sich nicht mehr für sie verantwortlich. Das einzige Problem war nur, dass Victoria im Umgang mit Männern so gut wie keine Erfahrung hatte.

Vicki hat keine besonders glückliche Jugend verbracht, dachte Richard, schließlich war sie erst sechzehn Jahre alt, als unsere Eltern starben. In der Zeit, in der man normalerweise bei Freunden oder auf Partys ist, war sie zu Hause geblieben, um sich um den Haushalt zu kümmern und zu lesen. Eigentlich war Vicki in die Rolle der Mutter geschlüpft, und erst als er Daphne geheiratet hatte, hatte seine Schwester erkannt, dass sie so nicht weiterleben konnte.

Richard seufzte. Vielleicht war er nicht ganz schuldlos an Vickis Entwicklung. Wenn er eine Frau gewählt hätte, die sich mit Victoria verstanden hätte, wäre möglicherweise alles anders gekommen. Dann wäre Victoria bestimmt nicht weggezogen. Aber gerade während der Jahre in Amerika hatte seine Schwester wie eine emanzipierte, selbstständige Frau gelebt. Sie hatte gearbeitet und sich aus beruflichen Gründen häufig in London und Paris aufgehalten. Nach seiner Scheidung von Daphne hatte Victoria jedoch sofort ihre Sachen gepackt und war wieder nach Hause gezogen. Vermutlich habe ich ihre Gutmütigkeit ausgenutzt, gestand Richard sich reumütig ein.

Trotzdem hatte Victoria in den letzten zehn Jahren sehr viel Selbstvertrauen bekommen. Sie würde es sich sicherlich verbeten haben, dass er sich in ihre Angelegenheiten einmischte. In ihren Augen konnte Luther Styles nichts Böses tun, und sie würde ihrem Bruder vermutlich nicht einmal zuhören, wenn er prophezeite, dass der Maler sie wie eine heiße Kartoffel würde fallen lassen – sobald er sein Ziel erreicht hatte. Victoria war von der Loyalität des Mannes vollkommen überzeugt. Alles, was Richard gegen Styles vorbrachte, würde ihr Misstrauen erwecken.

In der Beziehung gleicht sie unserem Gast, dachte Richard und nahm ein volles Glas von dem Tablett, das einer der Kellner vorbeitrug. Jons neue Freundin war wirklich eine sehr abweisende junge Frau. Warum nur? Jon hatte ihr anscheinend nichts über sein Elternhaus erzählt, bevor er sie hierher gebracht hatte. Aber das war noch lange kein Grund, um ihn, Richard, zu behandeln, als sei er an all den Missverständnissen schuld! Er hatte sich Mühe gegeben, ein freundlicher Gastgeber zu sein, während Victoria Helen wie eine von Jons früheren Freundinnen behandelt hatte. Meine Schwester neigt leider zu Vorurteilen, dachte Richard, und sie hat die Tatsache noch immer nicht verkraftet, dass Helen eine Tochter hat – eine uneheliche Tochter, wie Victoria betonte. Dabei war Helen nicht wie die anderen Frauen, die Jon mitgebracht hatte. Es war offensichtlich, dass sein Sohn sie wirklich gernhatte, viel lieber als all die anderen. Wenn die Beziehung nicht klappte, lag es sicher nicht daran, dass Jon sich keine Mühe gab.

Richard hatte Schwierigkeiten, Helens Haltung ihm gegenüber zu verstehen. Falls sie an Jon ernsthaft interessiert war, würde sie doch bestimmt versuchen, auch zu den anderen Familienmitgliedern ein gutes Verhältnis aufzubauen. Aber jedes Mal, wenn er Helen in ein Gespräch verwickeln wollte, erteilte sie ihm eine Abfuhr. Dabei war es weniger das, was sie sagte, als die Art, wie sie es sagte. Offen und unmissverständlich zeigte sie ihm, dass sie keine Lust hatte, sich mit ihm abzugeben.

Richard stand vor einem Rätsel. Bislang hatten Frauen eigentlich gern seine Gesellschaft gesucht. Umso ungewöhnlicher war Helens Verhalten. Er hatte sie beobachtet, als sie mit Jon zusammen gewesen war. Bei seinem Sohn war sie jedoch stets entspannt und fröhlich. Nein, die abweisende Haltung nahm sie nur dann ein, wenn sie mit ihm, Richard, allein war, und diese Erkenntnis gefiel ihm gar nicht.

Eigenartigerweise erinnerte Helen ihn an jemanden. Nicht, dass er glaubte, ihr schon jemals begegnet zu sein. Dazu war er zu alt. Vielleicht würde er noch dahinterkommen, weshalb sie ihm bekannt vorkam.

Richard musste zugeben, dass Helens Verhältnis zu Victoria ebenfalls nicht besonders gut war. Aber das lag vor allem an seiner Schwester. Victoria ärgerte sich noch immer über das Gespräch, das er mit ihr in der Nacht vor Helens und Jons Ankunft geführt hatte. Außerdem war sie viel zu sehr mit den Vorbereitungen für die Galerieeröffnung beschäftigt gewesen. Am meisten hatte sie sich darum gesorgt, dass ihr Bruder sein Versprechen halte und seinen Sohn bitten würde, der Party fernzubleiben.

Richard war von Anfang an gegen die Unterhaltung mit Jon gewesen. Und die Reaktion seines Sohnes hatte ihn in dieser Meinung bestärkt.

„Was ist denn los?“, hatte Jon sich sarkastisch erkundigt. „Hat Victoria Angst, dass ich ihr die Schau stehle?“

„In gewisser Weise“, hatte Richard eingeräumt, da es wenig Sinn machte, die Wahrheit abzustreiten. „Wundert dich das? Du kennst doch deine Tante!“

Jon seufzte. „Nun, manchmal treibt sie mich einfach zum Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, dass ich eigentlich nur noch als Besucher in meinem Zuhause geduldet werde. Und nur weil du ihr nie widersprichst, ist sie zu dir höflich und freundlich.“

„Jetzt reicht es aber!“, warnte Richard seinen Sohn. „Wenn du dich hier wie ein Besucher fühlst, dann liegt das an dir selbst. Wir bekommen dich nur zu sehen, wenn du etwas willst – sei es Geld, ein neues Auto oder eine Unterkunft für eine deiner Freundinnen. Erstaunt es dich wirklich, dass deine Tante dir gegenüber manchmal die Geduld verliert? Sie hat dich gern, Jon, aber das merkst du nicht einmal.“

„Mag schon sein. Vielleicht hast du recht, und ich habe dieses Haus in den letzten Jahren wie ein Hotel benutzt, aber das könnte sich in Zukunft ändern.“

„Ändern?“ Richard hob eine Augenbraue.

„Ja. Ich denke daran, die Band zu verlassen. Ich habe es satt, immer nur aus dem Koffer zu leben und von Auftritt zu Auftritt zu reisen. Seit ich Helen kenne, glaube ich allmählich, dass ich eher komponieren sollte, statt Musik zu machen. Möglicherweise könnte ich sogar sesshaft werden.“

„Etwa auf der Insel?“, fragte Richard irritiert.

„Schon möglich“, antwortete Jon. „Also sollte sich Tante Vicki langsam an meine Anwesenheit gewöhnen. Aber wenn sie damit ein Problem hat, muss sie andere Vorkehrungen treffen.“

Dennoch hat Jon meine Bitte respektiert, musste Richard einräumen. Er hatte versprochen, die Party nicht zu stören, und Victoria würde keinen Grund zur Klage haben. Und was Helen betraf …

„Hallo, Richard, warum versteckst du dich denn hier?“, unterbrach die herausfordernde Stimme einer hübschen Frau Mitte dreißig Richard in seinen Überlegungen. Die Frau trug ein tief ausgeschnittenes Kleid, das freizügig ihren Brustansatz zeigte. Besitzergreifend strich sie Richard mit den Fingern über den Ärmel. Dabei öffnete sie einladend die knallroten Lippen und befeuchtete sie mit der Zungenspitze.

Richard richtete sich auf und versuchte verstohlen, einen gewissen Abstand zwischen sich und der Frau herzustellen. „Hallo, Amanda“, grüßte er zurückhaltend. „Wo ist denn Harry? Willst du mir etwa sagen, dass er dich aus den Augen gelassen hat?“, fügte er hinzu.

Sofort verdunkelte sich Amandas strahlendes Gesicht. „Als ob dich das etwas angeht“, erwiderte sie kaum hörbar. „Aber sei unbesorgt, Harry ist schon irgendwo. Übrigens, verrate mir doch, wo sich dein attraktiver Sohn versteckt hält. Wie ich höre, ist er derzeit auf der Insel.“

„Ja, Jon ist zurück“, bestätigte Richard. „Aber er ist heute Abend nicht hier. Er ist … Ich möchte im Moment nicht darüber sprechen.“

„Ich habe gehört, er hätte eine Frau mitgebracht. Ist sie der Grund für seine Abwesenheit?“

Richard seufzte. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Du weißt es ganz genau.“ Amanda blickte ihn herausfordernd an. „Ich wette, die gute Victoria hat ihm den Zutritt zu ihrer Party untersagt. Also, wie ist Jons Freundin? Kann man sie nicht vorzeigen?“

Richard drehte den Kopf zur Seite und wünschte, sie würde sich einen anderen Gesprächspartner suchen. Er hatte keine Lust, sich mit ihr über Helen zu unterhalten. Vielleicht sollte er eine boshafte Bemerkung machen, um Amanda zumindest für diesen Abend zu vertreiben? Richard wurde durch den Lärm an der Eingangstür in seinen Gedanken unterbrochen. Der Türsteher, den Victoria für den Abend angestellt hatte, und jemand, der versuchte Einlass zu erhalten, lieferten sich einen heftigen Wortwechsel.

Unvermittelt brach Amanda in fröhliches Gelächter aus. „Oh Darling!“ Aufgeregt berührte sie Richard am Arm. „Siehst du, was ich sehe? Mir scheint, gleich werde ich die Antwort auf meine Frage erhalten.“

Richard schüttelte seine Gesprächspartnerin ab und eilte zur Tür. Jon!, dachte er verärgert und reichte das leere Glas einem Kellner, der in der Nähe stand. Eigentlich hätte er es wissen müssen! Wann hatte sein Sohn jemals auf ihn gehört? Mittlerweile hatten Jon und seine Begleiterin den Raum betreten. Offensichtlich hatte einer der Gäste seinen Sohn erkannt und den Türsteher aufgeklärt. Wer wollte schon den Neffen der Galeristin an einem Besuch hindern?

„Hallo, Dad!“, begrüßte Jon seinen Vater mit einem leicht entschuldigenden Lächeln.

Da so viele Menschen um sie herumstanden, war Richard gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Hallo, Jon. Hallo, Helen. Was hat dich bewogen, doch zu kommen? Ich dachte, das hier sei nicht deine Szene?“

„Es war Helens Idee“, antwortete Jon unbekümmert. Obwohl Helen bei dieser Antwort entsetzt das Gesicht verzog, widersprach sie ihm nicht. „Sie hat früher einmal in einer Galerie in London gearbeitet. Als ich ihr von der Ausstellung erzählte, wollte sie unbedingt herkommen.“

Autor

Anne Mather

Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...

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