Romana Exklusiv Band 270

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GESTÄNDNIS UNTER SÜDLICHER SONNE von LENNOX, MARION
Wie ein Ritter auf seinem weißen Pferd hat Ramón Jenny aus dem grauen Alltag entführt. Als Köchin auf seiner Luxusjacht segelt sie mit ihm in den Sonnenuntergang, und in seinen Armen fühlt sie sich sicher und geborgen. Aber ist Ramón wirklich der, für den er sich ausgibt?

VERLIEB DICH NIE IN DEINEN CHEF von WILLIAMS, CATHY
Finger weg von Leo West! Heather weiß, dass sie mit ihren üppigen Kurven nicht dem Geschmack eines so attraktiven Mannes entspricht. Da ist sie als Kindermädchen für seinen Sohn genau die Richtige. Was sie nicht ahnt: Der Millionär will sie nicht nur als Nanny, sondern auch in seinem Bett ...

TATSÄCHLICH LIEBE? von GORDON, LUCY
Als Athens begehrtester Junggeselle genießt Lysandros Demetriou sein zügelloses Leben. Bis er Petra begegnet. Ihrer betörenden Schönheit kann er nicht widerstehen. Und ihre Küsse wecken eine Sehnsucht in ihm, die keine Affäre stillen kann. Ist das tatsächlich Liebe?


  • Erscheinungstag 06.05.2016
  • Bandnummer 0270
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743505
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marion Lennox, Cathy Williams, Lucy Gordon

ROMANA EXKLUSIV BAND 270

PROLOG

„Ramón verbringt sein Leben in Jeans und T-Shirts. Er ist reich und frei. Warum sollte er den Thron wollen?“

Mitfühlend betrachtete Señor Rodriguez, der Rechtsberater des Fürstenhauses von Cepheus, die ihm gegenübersitzende Frau. Vor sechzig Jahren hatte Prinzessin Sofía den Palast verlassen müssen. Zweifellos wäre sie jetzt lieber nicht hier. Ihr Gesicht war verweint, und sie rang die Hände.

„Ich hatte zwei Brüder, Señor Rodriguez, doch durfte ich nur einen behalten. Im Alter von zehn Jahren wurde ich mit meinem jüngeren Bruder und meiner Mutter in die Verbannung geschickt. Und damit endete die Grausamkeit meines Vaters nicht. Mein Neffe Ramón ist ein einziges Mal hier im Palast gewesen, und zwar in der Nacht, als sein Vater starb. Ich bin aus Pflichtbewusstsein zurückgekommen. Aber wie können wir von Ramón erwarten, dass er an den Ort zurückkehrt, an dem sein Vater den Tod fand?“

„Prinz Ramón hat keine Wahl“, antwortete der Anwalt kategorisch. „Und selbstverständlich wird er den Thron wollen.“

„Von ‚selbstverständlich‘ kann keine Rede sein. Ramón ist jedes Jahr sechs Monate in Bangladesch, um für eine karitative Organisation Häuser zu bauen. Die restliche Zeit verbringt er auf seiner Segeljacht. Warum sollte er dieses Leben aufgeben?“

„Um Fürst zu werden.“

„Sie meinen, dass die Krone alles bedeutet? Mein Neffe ist ein liebenswürdiger Mann von fünfunddreißig. Er möchte nichts mit dem Thron zu tun haben. Der Palast ist ein Albtraum für ihn und für uns alle.“

„Er muss zurückkommen.“

„Und wie wollen Sie ihn finden? Wenn er in Bangladesch arbeitet, schaut er in seine Mails. Doch die übrige Zeit ist er irgendwo mit der Jacht unterwegs. Seit dem Tod seiner Mutter und seiner Schwester lässt er den Wind sein Ziel bestimmen. Aber selbst wenn Sie ihn aufspüren …“, fuhr Sofía fort, „… wie glauben Sie, wird er reagieren, wenn man ihm erklärt, er solle dieses Chaos bereinigen?“

„Es wird kein Chaos geben, wenn er nach Hause zurückkehrt. Und er wird kommen. Genauso wie Sie es getan haben. Er wird begreifen, dass er keine Wahl hat.“

„Was ist mit dem kleinen Jungen?“

„Philippe wird bei Pflegeeltern untergebracht. Auch in dem Punkt gibt es keine Wahl.“

„Noch ein Kind, das für die Krone nutzlos ist“, sagte Sofía kaum hörbar. „Wenn ich du wäre, Ramón, würde ich weiter die Segel setzen.“

1. KAPITEL

„Vergiss deine Muffins, Jenny, und leb endlich wieder!“

Gianetta Bertin, kurz Jenny genannt, blickte ihre beste Freundin Cathy vernichtend an, bevor sie sich erneut der Arbeit zuwandte. Sie musste dringend Muffins backen, denn es waren fast keine mehr vorhanden. Wie jeden Tag herrschte im „Coffee ‚n‘ Cakes“ im australischen Seaport reger Betrieb.

„Ich habe keine Zeit für eine Gardinenpredigt.“

„Du musst sie haben.“ Cathy setzte sich auf die Arbeitsplatte. „Du darfst nicht für immer in diesem Loch bleiben.“

„Es gibt schlimmere Löcher. Und jetzt verschwinde von da. Wenn Charlie kommt, feuert er mich. Dann habe ich überhaupt kein Loch mehr.“

„Das wird er nicht. Du bist die beste Köchin weit und breit. Ohne dich würde das Café nicht laufen. Charlie behandelt dich wie Dreck, nur weil du dich nicht wehrst. Ich weiß, dass du in seiner Schuld stehst. Aber du kannst dir einen anderen Job suchen und ihm das Geld anders zurückzahlen.“

„Wie zum Beispiel?“ Jenny beförderte das Blech mit Muffins in den Ofen und schob sich eine dunkle Locke hinters Ohr. Obwohl sie eine Kochmütze trug, waren ihre Haare zu widerspenstig, um sie völlig zu zähmen. Mit Sicherheit hatte sie jetzt Mehl am Ohr. Doch war es nicht egal, wie sie aussah?

„Schau dich an“, sagte die Freundin, als hätte sie ihre Gedanken erraten. „Du bist eine bildhübsche, intelligente Frau von neunundzwanzig, auf die die ganze Welt wartet. Und trotzdem bist du hier, versteckst deine tolle Figur unter der blöden weißen Kleidung, hast Mehl auf der Nase … Nein, wisch es nicht weg. Du machst es bloß schlimmer.“

„Wer bemerkt es schon? Darf ich jetzt weiterarbeiten? Draußen sind Gäste.“

„Ja, das stimmt“, bestätigte Cathy warmherzig, während sie durch die Durchreiche blickte. „Rund zwanzig Leute. Sie alle kommen wegen deiner Muffins her und verschwinden dann wieder hinaus ins Leben. Auch du solltest daran teilnehmen. Siehst du den umwerfenden Typ dort drüben? Du verpasst so viel, indem du tagein, tagaus hier festhängst.“

Jenny schaute ebenfalls nach nebenan und wusste sofort, wen die Freundin meinte. Der Mann war schätzungsweise Mitte dreißig und höchst attraktiv. Er trug ein ausgeblichenes schwarzes T-Shirt, verwaschene Jeans und Bootsschuhe. Auf der Rückenlehne des freien Stuhls neben ihm hing ein nasser Südwester.

Er muss ein Skipper sein, dachte sie unwillkürlich. Sie arbeitete seit Jahren hier und kannte sich mit der Kundschaft aus. Die Fischer bewahrten das „Coffee ‚n‘ Cakes“ vor der Pleite. Dann waren da die alten Seebären, die kleine Motorboote besaßen und zumeist darauf schliefen. An den Wochenenden verirrten sich oft Freizeitsegler in Designerkleidung hierher. Sie verließen das Café aber schnell wieder, wenn sie feststellten, dass man keinen Champagner servierte.

Und schließlich gab es die Skipper. Das südlich von Sydney gelegene Seaport hatte einen Tiefwasserhafen und war mit seinem großen Trockendock ein Magnet für noble Hochseejachten. Der Mann mit den breiten Schultern wirkte, als würde er von einem solchen Schiff kommen.

Sein Südwester war zwar ziemlich ramponiert, doch zweifellos ein Designerprodukt. Er hatte schwarze Haare, die an den Spitzen von der Sonne ausgebleicht waren, und seine Haut war herrlich gebräunt. Er sah aus, als würde er seine Tage auf dem Wasser verbringen.

Ja, er musste ein Berufssegler sein. Wie sie aus Erfahrung wusste, waren die Eigner von Hochseejachten im Allgemeinen Ende vierzig oder älter. Sie hielten sich nie sehr lange an Bord auf und überließen die Seefahrt bezahlten Kräften.

Er macht einen äußerst fähigen Eindruck, dachte sie, während sie ihn weiter betrachtete. Vermutlich brachte er die Jacht gerade zu einem vom Besitzer gewünschten Ort.

Jenny gestattete es sich, einen Moment neidisch zu sein. Wie schön wäre es, sich vom Wind treiben zu lassen … Seaport den Rücken zu kehren … Nein. Dies bedeutete Anstrengung, Planung und Hoffnung. Nichts davon interessierte sie mehr. Außerdem hatte sie Schulden, die sie hier anketteten.

Plötzlich blickte der Mann von seinem Teller auf und zu ihnen hin. Er hob grüßend das letzte Stück seines Muffins und schob es sich in den Mund. Jenny fühlte sich ertappt. Sie errötete und schloss schnell die Durchreiche.

„Siehst du, was du verpasst?“ Cathy lachte. „Er ist umwerfend, oder? Warum gehst du nicht raus und fragst ihn, ob er noch einen Muffin möchte?“

„Zu bedienen ist Susies Job. Ich bin bloß die Köchin. Bitte verschwinde. Du gefährdest meine Gelassenheit.“

„Steck dir deine Gelassenheit an den Hut. Es ist jetzt zwei Jahre her.“ Cathy verstummte, als sie den schmerzlichen Ausdruck in Jennys Gesicht bemerkte. Sie schwang sich von der Arbeitsplatte und umarmte die Freundin tröstend. „Ich weiß. Nach vorne zu schauen gelingt nie vollständig. Nur kannst du dich nicht ständig verstecken.“

„Dr. Matheson sagt, dass ich auf einem guten Weg bin.“

„Ja, und er empfiehlt dir Ruhe und Gelassenheit. Doch davon hast du jetzt genug gehabt. Du brauchst Leben um dich herum. Und auch das Segeln … Du liebst das Meer, aber du meidest es nach besten Kräften. Es gibt so viele Leute, die fürs Wochenende eine Deckshilfe suchen. Dieser Typ da draußen vermutlich ebenfalls. Würde er mir einen Job anbieten, wäre ich länger als nur ein paar Tage weg.“

„Ich will nichts weiter …“

„… als in Ruhe gelassen werden. Das habe ich mittlerweile zur Genüge gehört.“

Energisch öffnete Cathy die Durchreiche. Und bevor Jenny es verhindern konnte, läutete die Freundin die Glocke, mit der sie Susie immer anzeigte, dass eine Bestellung bereitstand.

„Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren!“, rief Cathy in den Gastraum. „Mir ist klar, dass es ungewöhnlich ist, doch habe ich Ihnen etwas Sensationelles mitzuteilen. Hier in der Küche ist die beste Köchin und Seglerin der Welt. Jenny heuert bei jedem an, der ihr Spaß, Abenteuer und einen Weg aus dieser Stadt ermöglicht. Sie braucht nichts weiter als eine super Bezahlung und einen Boss, der ihre Fähigkeiten zu schätzen weiß. Interessenten können sich hier und jetzt melden.“

„Cathy!“ Jenny sah sie entsetzt an und schloss die Durchreiche, als die Freundin in Lachen ausbrach. „Hast du den Verstand verloren?“

„Ich mag dich sehr und versuche nur, dir zu helfen.“

„Dafür zu sorgen, dass ich gefeuert werde, ist nicht hilfreich.“

„Susie wird Charlie nichts erzählen. Sie ist ganz meiner Meinung. Oder nicht, Susie?“, fragte sie die Mittvierzigerin, die gerade in die Küche kam. „Stehen die Leute draußen Schlange, um unsere Jenny zu engagieren?“

„Sie hätten das nicht tun sollen. Sie haben sie in schreckliche Verlegenheit gebracht.“

„Ach was. Alle sind viel zu sehr mit ihren Muffins beschäftigt, um sich um anderes zu kümmern. Aber ehrlich, Jenny, du solltest in der Zeitung inserieren oder zumindest anfangen, die Stellenanzeigen zu studieren. Susie hat einen Mann, vier Kinder, zwei Hunde und eine Farm. Das Café spielt in ihrem Leben nur eine kleine Rolle, in deinem jedoch die einzige. So kann es nicht bleiben.“

„Alles, was ich will, ist meine Ruhe.“

„So ein Unsinn.“

„Das finde ich auch“, pflichtete Cathy Susie bei und wandte sich zum Gehen. „Okay, Phase eins meiner Mission ist beendet. Wenn ich nichts bewirkt habe, werde ich Phase zwei starten, und die könnte dann wirklich ungemütlich werden.“

Das „Coffee ‚n‘ Cakes“ war ein Tagescafé. Eigentlich sollte Charlie es um fünf Uhr schließen. Da er jedoch immer mehr Zeit im Pub verbrachte, machte Jenny es heute wie zuletzt fast jeden Nachmittag.

Offenbar ist ihm nichts zu Ohren gekommen, dachte sie erleichtert, als sie den Heimweg antrat. Sie war nicht so sicher wie Cathy, dass er sie nicht feuern und sein Geld zurückfordern würde. Früher war er ein netter Chef gewesen. Aber seit dem Tod seiner Frau hatte er sich verändert und war immer unberechenbarer geworden.

Jemanden zu verlieren konnte Schreckliches mit einem anstellen, wie sie aus Erfahrung wusste. Sie war darüber depressiv geworden, und Charlie hatte sich mehr und mehr in den Alkohol geflüchtet.

Seufzend schob sie die Hände in die Manteltaschen. Sie hatte ihn wegen des Regens heute Morgen angezogen. Inzwischen schien die Sonne, und es war warm. Trotzdem hatte sie ihn wieder übergestreift. Sie fühlte sich so irgendwie geschützter. Cathys Verhalten hatte sie ziemlich verunsichert.

„Entschuldigung?“

Jenny drehte sich um. Vor ihr stand der attraktive Mann aus dem Café und lächelte umwerfend. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um ihn vor Überraschung nicht einfach dumm anzustarren. Es war schon so lange her, seit sie … Nein, denk gar nicht erst in diese Richtung, ermahnte sie sich sogleich.

„Sind Sie Jenny? Kann ich mit Ihnen reden?“

Er sprach mit, wie sie vermutete, mit spanischem Akzent, der in jedem Fall sehr sexy war. Jenny bekam weiche Knie. Hey, du bist kein Teenager mehr, rief sie sich zur Vernunft.

„Ja, ich bin Jenny.“ Verflixt, sie klang ziemlich piepsig. Schnell räusperte sie sich und versuchte es erneut. „Natürlich können Sie mit mir reden.“

„Die Frau im Café sagte, Sie seien an einem Job interessiert. Ich suche jemanden, der mir hilft.“

Jenny bemerkte seinen abschätzenden Blick und wünschte sich plötzlich, sie hätte etwas anderes an. Nicht die abgewetzten Jeans und den alten Mantel, der nie mehr als nützlich hatte sein sollen, sondern Sachen, die ein wenig Schick besaßen.

Wenn das nicht verrückt war. Was sollte sie mit modischen Klamotten? Sie war unterwegs nach Hause, wo sie wie jeden Tag die Füße hochlegen und nach dem Fernsehen ins Bett gehen würde.

Er will mit dir über einen Job sprechen, dachte sie und ermahnte sich zur Ruhe. Alle großen Jachten, die Seaport ansteuerten, brauchten ein, zwei Deckshilfen. Doch die Skipper waren die Einzigen an Bord, die vom Eigner vernünftig bezahlt wurden.

Trotzdem fanden sich fast in jedem Hafen solche billigen Kräfte. Es waren zumeist junge Leute, die ein Abenteuer suchten und sich für kurze Zeit anheuern ließen. Glaubte dieser Mann allen Ernstes, sie wäre an so einem Job interessiert?

„Meine Freundin hat sich auf meine Kosten einen Scherz erlaubt.“ Wie gut, sie klang wieder normal, obwohl ihre Knie noch ein wenig weich waren. „Es tut mir leid, aber ich bin etwas zu alt, um alles stehen und liegen zu lassen und eine Fahrt ins Ungewisse zu machen.“

„Ist man dazu je zu alt?“

„Ja“, antwortete sie bissig und fing sich dann wieder. „Entschuldigung. Doch ich muss jetzt weiter.“

„Also haben Sie kein Interesse.“

„Im Jachtklub gibt es ein Schwarzes Brett. Dort hängen immer Anzeigen von jungen Leuten, die einen Job suchen. Ich habe bereits einen.“

„Das stimmt“, sagte er lächelnd.

Aus der Nähe betrachtet, sah er noch umwerfender aus. Er war groß und hatte einen schlanken, durchtrainierten Körper. Seine Augen waren meerblau, und die Fältchen deuteten darauf hin, dass er gern lachte. Auch wirkte er auf eine angenehme Weise selbstbewusst.

„Und falls Sie die Muffins gebacken haben“, fuhr er fort, „sind Sie sehr gut in Ihrem Job. Sollten Sie als Arbeitskraft verfügbar sein, wäre man dumm, Sie nicht anzuheuern.“

„Aber das bin ich nicht.“ Warum hatte sie erneut bissig geantwortet? Eigentlich war er ein netter Kerl. „Entschuldigung. Doch nein danke.“

„Haben Sie einen Pass?“

„Ja, aber …“

„Ich breche nach Europa auf, sobald ich eine helfende Hand gefunden habe. Für einen Alleingang ist meine Route nicht geeignet.“

„Ums Kap Hoorn?“ Sie spürte, wie ihr Interesse erwachte.

„Ja, das ist der schnellste Weg.“

Das stimmte. Vermutlich hatte der Eigner der Jacht einen Segelurlaub in Australien gemacht. Jetzt war er wohl nach Europa zurückgeflogen und hatte seinen Skipper angewiesen, das Schiff baldmöglichst zurückzubringen.

„Dann viel Glück.“ Jenny setzte sich in Bewegung, und der Fremde gesellte sich an ihre Seite.

„Das Angebot ist ernst gemeint.“

„Die Ablehnung ebenfalls.“

„Ablehnungen mag ich nicht.“

„Ihr Pech. Die Zeiten sind vorbei, in denen Männer betrunken gemacht und an Bord geschleppt wurden. Presspatrouillen sind illegal.“

„Sie würden mir das Leben erleichtern.“

„Nein.“ Seine Nähe machte sie immer nervöser. „Eine zwangsverpflichtete Crew, die auf hoher See verkatert aufwacht, sorgt nicht gerade für eine ruhige Fahrt.“

„Ich bin nicht auf Ruhe aus.“

Sie blieb unvermittelt stehen. Seine Antwort war ein Echo ihrer Gedanken, die sie heute beschäftigt hatten. Energisch rief sie sich zur Vernunft. „Ruhe ist wichtig“, stieß sie hervor und befahl sich, weiterzugehen. „Vielen Dank, aber ich habe bereits Nein gesagt. Wollen Sie sonst noch etwas?“

„Ich zahle gut.“

„Ich weiß, was Deckshilfen bekommen.“

„Sie wissen nicht, was ich zahle. Warum fragen Sie nicht?“

„Weil es mich nicht interessiert.“

„Verstehen Sie sich wirklich aufs Segeln?“

Jenny schritt schneller aus, doch er ließ sich nicht abschütteln. „Früher bin ich viel gesegelt … Bevor das Leben ernst geworden ist.“

„Ihr Leben wurde ernst? Inwiefern?“ Besorgt sah er sie an und fasste dann nach ihrer Hand. Nein, sie trug keinen Ring. „Haben Sie einen Partner?“

„Das geht Sie nichts an.“

„Aber ich möchte es trotzdem wissen.“

Sein Englisch war ausgezeichnet und sein Akzent ebenso charmant wie sein Lächeln. Lass dich bloß nicht verzaubern, ermahnte sie sich. Sie musste hart bleiben. Doch er wartete auf eine Antwort. Warum befriedigte sie seine Neugier nicht ein wenig, um ihn loszuwerden? „Ich bin ein glücklicher Single.“

„Sie haben gesagt, Ihr Leben sei ernst geworden. Dann können Sie kein so glücklicher Single sein. Vielleicht ist ein Törn genau das, was Sie brauchen.“

Ärgerlich entzog sie ihm die Hand. „Ich bin kein Teenager auf Abenteuersuche. Ich habe hier Verpflichtungen. Sie bieten mir also einen Trip nach Europa an? Und was habe ich davon? Ich würde für eine geringe Heuer wie eine Blöde schuften, irgendwo in der Fremde landen und nicht genug Geld verdient haben, um nach Hause zurückzukehren. Ich bin kein Rucksacktourist, Mr. Namenlos, und ich lebe hier. Ich kenne Sie nicht, vertraue Ihnen nicht und bin an dem Job nicht interessiert.“

„Ich heiße Ramón Cavellero und bin sehr vertrauenswürdig“, erklärte er mit einem Lächeln, das Jenny vom Gegenteil überzeugte. „Und ich segle die Marquita. Haben Sie sie gesehen?“

Jeder in Seaport hatte das große Schiff gesehen. Gleich nachdem es vor vier Tagen in den Hafen eingelaufen war, hatte die Lokalpresse ein Bild abgedruckt. Die Marquita war die herrlichste Jacht, die Jenny je erblickt hatte, und vermutlich auch die teuerste.

Wenn er der Skipper ist, dachte sie, dürfte er einen anständigen Lohn zahlen können. Schnell verdrängte sie den Gedanken, bevor er sich in ihrem Kopf festsetzte. Sie würde Seaport noch auf Jahre nicht verlassen können und musste vernünftig sein.

„Hören Sie, Mr. Cavellero.“ Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm. „Ihr Boot ist das schönste im Hafen. Man wird sich um den Job reißen. Aber was mich betrifft … Meine Freundin hat sich nur einen Scherz erlaubt. Das ist alles. Vielen Dank und goodbye.“

Jenny nahm seine Hand und schüttelte sie, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Doch Ramón ließ ihre Rechte nicht los. Oder zog sie sie vielleicht nicht wirklich zurück?

Bevor sie sich darüber klar werden konnte, hielt plötzlich ein Wagen neben ihnen. Sie sah zur Seite und stöhnte auf. Es war Charlie. Und er schien wieder einmal alkoholisiert zu sein.

Irgendwann würde ihn die Polizei erwischen. Einerseits hoffte sie, es würde bald geschehen, doch sie wusste auch, dass er dann nur noch übler gelaunt wäre. Als er noch nicht getrunken hatte, war er ein netter Kerl gewesen. Inzwischen erlebte sie ihn allerdings praktisch nie mehr nüchtern.

Jenny wappnete sich für die Begegnung, denn er stieg aus und kam auf sie zu. Sie entzog Ramón die Hand, und er ließ sie los, stellte sich aber näher zu ihr. Charlies Körpersprache war zweifellos aggressiv.

Wer immer Ramón ist, er beschützt offenbar seine Leute, schoss es ihr durch den Kopf. Seine Leute? Welch ein dummer Gedanke. Trotzdem war sie plötzlich froh, dass er da war.

„Hey, ich will mit dir reden, du blöde Kuh. Lass deinen Freund stehen.“

Anscheinend hatte ihr Boss von dem Vorfall im Café erfahren. Einer der Gäste musste es ihm erzählt haben. Charlie hatte sich überall unbeliebt gemacht. Wenn eine seiner Angestellten sich nach einem Job umsah, würde man ihm dies gern unter die Nase reiben.

Und Ramóns Anwesenheit wird die Situation weiter verschärfen, überlegte Jenny. Sie sollte sich wirklich besser von ihm verabschieden. „Bis dann.“ Demonstrativ wandte sie sich ihrem Boss zu. „Hallo, Charlie.“

„Was, zum Teufel, ist dir eingefallen, während deiner Arbeitszeit in meinem Café eine persönliche Anfrage zu starten?“, erkundigte er sich wütend. „Du suchst einen anderen Job? Wenn du bei mir aufhörst, wird der Kredit noch am selben Tag fällig. Du weißt, was du mir schuldest. Du wirst die nächsten drei Jahre bei mir arbeiten, oder ich ruiniere dich und deine Freundin gleich mit. Ich könnte dich jetzt rauswerfen, und deine Freundin würde ihre Wohnung verlieren. Du würdest ihr ganz schön was einbrocken. Als Wiedergutmachung wirst du die nächsten vier Wochenenden umsonst arbeiten, oder du fliegst raus.“

Jenny schloss die Augen. Charlie war imstande, seine Drohungen wahr zu machen. Dieser Mann war zu allem fähig. Warum hatte sie sich bloß je Geld von ihm geliehen?

Weil sie verzweifelt gewesen war. Es war am Ende von Mattys Krankheit gewesen. Sie hatte alles verkauft, was sie besaß. Doch dann war da noch diese Behandlung gewesen – eine letzte kleine Chance.

Sie hatte damals vier Stunden täglich im Café gearbeitet, um die Miete zu bezahlen, und die restliche Zeit bei Matty verbracht. Eines Nachmittags hatte sie im Hinterzimmer geweint. Cathy war dort aufgetaucht, und kurz darauf auch Charlie.

Er hatte angeboten, ihr das Geld zu leihen. Sie sollte es über fünf Jahre zurückzahlen, indem sie zum halben Lohn arbeitete. Allerdings brauche er eine Sicherheit, falls sie sich aus dem Staub mache, hatte er gesagt.

„Sie wird sich nicht aus dem Staub machen“, hatte Cathy protestiert. „Wenn Matty gesund ist, wird sie zur Ruhe kommen und glücklich und zufrieden weiterleben.“

„Trotzdem brauche ich eine Sicherheit.“

„Ich vertraue ihr und verpfände meine Wohnung.“

Cathy und sie waren so aufgewühlt gewesen, dass sie die Sache nicht durchdacht hatten. Sie hatte nur schnellstens zu Matty ins Krankenhaus zurückkehren wollen. Alles andere war ihr egal gewesen.

Sie hatte sich bei der Freundin für die Großzügigkeit bedankt und nicht erkannt, welche Fesseln sie sich anlegte. Nun gab es nur noch diese Fesseln, denn Matty war einen Monat später gestorben.

Selbst Cathy hat nicht gesehen, wie real die Gefahr einer Zwangsvollstreckung war, überlegte Jenny deprimiert. Die Freundin hatte den Kreditvertrag kaum eines Blickes gewürdigt und vollstes Vertrauen in sie gehabt. Und natürlich war sie ihrer Verpflichtung nachgekommen.

Cathy hatte das hübsche Apartment mit Blick auf den Hafen von ihrer Mutter geerbt. Es war alles, was sie besaß. Sie war Künstlerin und lebte von der Hand in den Mund.

Du hast keine Wahl, dachte Jenny und schob die Hände in die Manteltaschen. Wie schon so oft schluckte sie eine ärgerliche Antwort hinunter. „Es tut mir leid, Charlie. Selbstverständlich werde ich die Wochenenden umsonst arbeiten.“

„Wie bitte?“ Ramón, der noch immer da war, klang erstaunt und ansatzweise wütend. „Was soll das? Der Lohn von vier Wochenenden für zwei Minuten Spaß?“

„Das geht Sie nichts an“, erwiderte Charlie. „Verschwinden Sie gefälligst.“

„Ich war im Café. Das Ganze war ein Scherz.“

„Aber ich scherze nicht. Und mischen Sie sich nicht ein. Jenny wird die Wochenenden absolvieren. Ihr bleibt nichts anderes übrig.“ Charlie grinste sie an, kehrte leicht wankend zum Auto zurück und fuhr davon.

Wie sollte sie Ramón erklären, was gerade geschehen war? Nein, sie konnte es nicht. Stumm setzte sie sich in Bewegung und hoffte, er würde sie ihrem Schicksal überlassen.

Ramón sah dem davonbrausenden Wagen hinterher und nahm dann das Handy aus der Hosentasche. Nachdem er kurz telefoniert hatte, folgte er Jenny und gesellte sich erneut an ihre Seite.

„Wie viel schulden Sie ihm?“

Verblüfft wandte sie den Kopf. „Wie bitte?“

„Sie haben mich sehr wohl verstanden. Also?“

„Ich glaube nicht, dass es Sie etwas …“

„… angeht. Das hat Ihr Boss mir bereits erzählt. Doch als Ihr zukünftiger Arbeitgeber kann ich es zu meiner Angelegenheit machen.“

„Sie sind nicht mein zukünftiger Arbeitgeber.“

„Verraten Sie es mir einfach, Jenny“, sagte er so warmherzig, dass sie ihm die Summe zu ihrer eigenen Überraschung nannte.

„Das ist nicht so viel“, meinte er, nachdem er einen Moment nachdenklich geschwiegen hatte.

„Für Sie vielleicht nicht, aber für mich schon … Meine beste Freundin bürgt mit ihrer Wohnung für den Kredit. Wenn ich nicht zahle, verliert sie ihr Zuhause.“

„Sie könnten einen anderen Job annehmen. Sie müssen nicht bei diesem Mistkerl bleiben. Warum beantragen Sie kein Darlehen bei der Bank?“

„Ihnen ist wohl nicht klar, wie pleite ich bin.“ Warum reagierte sie so gereizt auf ihn? „Entschuldigung. Sie sind nett, und ich sollte meinen Ärger nicht an Ihnen auslassen. Ich bin ziemlich müde und aufgebracht und stecke in finanziellen Schwierigkeiten. Ich kann es mir nicht einmal leisten, eine Woche nicht zu arbeiten und mich stattdessen nach einem Job umzusehen. Keine Bank wird mir einen Kredit gewähren. Das Gleiche gilt für meine Freundin. Sie ist Künstlerin und lebt von der Hand in den Mund. Deshalb arbeite ich bei Charlie und kann nicht alles stehen und liegen lassen, um mit Ihnen nach Europa zu segeln. Wenn Sie wüssten, wie gern ich es machen würde …“

„Sie wollen gern mitkommen?“ Durchdringend blickte er sie an, als würde er versuchen, schlau aus ihr zu werden. „Wie gut verstehen Sie sich aufs Segeln?“

Welch seltsame Frage. Doch sie zu beantworten war besser, als über ihre Schulden zu reden. „Ich bin quasi auf dem Wasser aufgewachsen. Mein Dad hat eine Jacht gebaut, mit der wir bis zu seinem Tod viel unterwegs waren. In seinen letzten Jahren haben wir an Bord gewohnt. Ich fühle mich auf See wohler als an Land.“

„Trotzdem sind Sie Köchin.“

„Wenn man viel Zeit in einer kleinen Kombüse verbringt, weckt das die Sehnsucht nach richtigem Kochen. Da meine Mutter früh gestorben ist, konnte sie es mir nicht zeigen. Ich wollte es unbedingt lernen. Mit siebzehn habe ich eine Lehre gemacht. Ich musste meinen Dad zwingen, während meiner Schichten mit dem Boot im Hafen zu bleiben.“

„Was war es für ein Schiff?“

„Eine sieben Meter fünfzig lange Flamingo. Sie war nichts Besonderes, aber wir waren stolz auf sie.“

„Sie wurde inzwischen zwecks Schuldentilgung verkauft?“

Unsanft landete Jenny wieder in der Wirklichkeit. „Ja, und bevor Sie fragen … Ich bin spielsüchtig.“

„Warum glaube ich Ihnen das nicht?“

„Warum glauben Sie mir überhaupt etwas?“ Tief atmete sie ein. „Eigentlich ist das Gespräch sinnlos. Ich bin geschafft und will nach Hause. Vergessen wir die Unterhaltung einfach. Es war verrückt von mir, Ihnen meine Probleme zu erzählen, und ich erwarte bestimmt nicht, dass Sie etwas unternehmen. Aber danke, dass ich darüber reden konnte.“ Aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer, sich zu verabschieden. „Goodbye, Mr. Cavellero. Vielen Dank, dass Sie mich für den Job in Betracht gezogen haben. Und wissen Sie was … Hätte ich keine Schulden, wäre ich echt versucht, bei Ihnen anzuheuern.“ Langsam ging sie davon.

„Jenny?“

Etwas schwang in seiner Stimme mit, das sie stehen bleiben und sich umdrehen ließ. „Ja?“

„Ich werde Ihre Schulden bezahlen.“

Sie rührte sich nicht von der Stelle. Fieberhaft überlegte sie, was sie sagen sollte, und spürte, wie sie errötete.

„Es ist keine Wohltätigkeit“, erklärte Ramón schnell. „Es handelt sich vielmehr um ein Angebot.“

„Wovon sprechen Sie?“

„Ich hatte noch keine Zeit, die Einzelheiten zu durchdenken. Im Wesentlichen geht es darum, dass ich Ihren Boss auszahle, wenn Sie sich verpflichten, ein Jahr für mich zu arbeiten. Sie werden quasi zwei Hilfskräfte zugleich sein. Einmal an Deck, wenn ich Sie dort brauche, und die restliche Zeit fungieren Sie als Köchin. Gelegentlich werden die Jobs Sie ziemlich in Trab halten, aber das ist nicht die Regel. Ich werde Ihnen auch ein Taschengeld zahlen“, informierte er sie und nannte eine Summe, die ihr den Atem verschlug.

„Da Sie auf dem Boot leben, sollte es genügen“, fuhr er fort und ignorierte ihr Erstaunen. „Nach Ablauf der zwölf Monate organisiere ich Ihnen einen Rückflug in die Heimat, egal in welchem Hafen die Marquita zu dem Zeitpunkt liegt. Was meinen Sie dazu?“ Er lächelte herzerwärmend. „Werden Sie als Charlies Sklavin hierbleiben oder bei mir anheuern, Muffins backen und die Welt sehen? Die Marquita wartet auf Sie.“

„Es handelt sich um Schulden von drei Jahren.“ War er verrückt?

„In meinen Augen ist es ein Jahreslohn für eine tüchtige Köchin und Seglerin.“

„Der Jachteigner kann nicht einverstanden sein, so viel zu zahlen.“

Ramón zögerte kurz und lächelte dann. „Er lässt mir freie Hand. Er weiß, wenn ich … er miserabel zahlt, bekommt er keine fähigen Leute. Ich möchte eine gute und loyale Kraft, und die würde ich mit Ihnen erhalten.“

„Sie kennen mich nicht. Außerdem müssen Sie nicht ganz bei Verstand sein. Ist Ihnen klar, wie viele Hilfskräfte Sie für das Geld engagieren können?“

„Aber ich will Sie. Und Ihre Muffins“, fügte er hinzu, als sie ihn nur starr anblickte. „Mit Ihren Muffins versüßen Sie jedem das Leben.“

„Wer ist zurzeit fürs Kochen zuständig?“ Jenny konnte noch immer nicht fassen, welches Angebot er ihr unterbreitete.

„Ich oder eine Hilfskraft … Und das Ergebnis ist nicht gerade umwerfend.“

„Müsste ich auch für den Eigner kochen?“

„Ja.“

„Ebenfalls bei irgendwelchen Partys?“

„Auf der Maquita finden nicht viele Partys statt. Der Eigner ist ähnlich wie ich ein zurückhaltender Mensch.“

„So wirken Sie nicht gerade“, erwiderte Jenny, als sie das Lachen in seinen blauen Augen bemerkte.

„Wie auch immer, ich brauche trotzdem jemanden, der kocht.“

Als Köchin auf einer Jacht … Zusammen mit diesem Mann … Hör auf zu träumen, rief sie sich zur Vernunft. Sie hatte sich schon einmal spontan auf etwas eingelassen, und was hatte es ihr eingetragen? Matty und jede Menge Kummer und Leid.

„Was ist los?“, fragte Ramón, als er ihren veränderten Gesichtsausdruck bemerkte. „Es gibt keinen Haken. Ich schwöre, dass Sie sich nicht im Laderaum angekettet als siebzehnte Frau in meinem Harem wiederfinden werden. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen sogar Referenzen vorlegen. Ich bin ein sehr ehrenwerter Mann.“

Jenny lächelte verhalten. „Das sind Sie bestimmt. Aber ich kenne Sie nicht, und Referenzen ändern daran nichts.“ Tief atmete sie ein. Sie sollte vernünftig sein. „Es tut mir leid. Ihr Angebot ist fantastisch. Doch habe ich mir von Charlie Geld geliehen, ohne es mir richtig zu überlegen. Und Sie sehen, wohin das geführt hat. Auch habe ich schon bei anderen Gelegenheiten nicht gründlich nachgedacht und mir Schwierigkeiten eingehandelt. Ich habe daraus gelernt. Vielen Dank für Ihr Angebot, Mr. Cavellero …“

„Ramón.“

„Mr. Cavellero“, wiederholte sie unbeirrt. „Ich bin sicher, dass Sie bei der guten Heuer problemlos eine geeignete Kraft finden werden.“

Und bevor die innere Stimme sie weiter drängen konnte, spontan zu sein, wandte sie sich um und ging weiter. Du darfst nicht wieder so dumm sein wie in der Vergangenheit, ermahnte sie sich und zwang sich, stur geradeaus zu blicken.

2. KAPITEL

Zwei Seelen stritten in Jennys Brust, während sie einen Fuß vor den anderen setzte. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie sich richtig entschieden hatte. Sie kannte Ramón nicht und würde vermutlich vom Regen in die Traufe kommen. Ihr Herz forderte sie jedoch auf, ein Risiko einzugehen. Aber es hatte sie früher schon fehlgeleitet, und deshalb würde sie es ignorieren.

„Denken Sie darüber nach!“, rief Ramón, und sie war stark versucht, stehen zu bleiben und sich umzudrehen.

Nein, du bist jetzt eine vernünftige Frau, die sich nicht mehr blind in ein Abenteuer stürzt, ermahnte sie sich und marschierte weiter. Sie bog um die nächste Ecke und schlenderte schließlich die Straße entlang, in der Charlie wohnte.

Ein Polizeiauto parkte vor seinem Haus. Momente später sah sie ihren Boss, der sich offenbar einem Alkoholtest unterziehen musste. Große Güte, er würde weit über der Promillegrenze liegen und seinen Führerschein verlieren.

Plötzlich fiel ihr ein, dass sie vorhin vage wahrgenommen hatte, wie Ramón kurz telefonierte. Hatte er etwa … Ja, es konnte nicht anders sein. Und Charlie würde es erraten. Er wird es mir nie verzeihen, dachte sie und verschwand schnell außer Sichtweite.

Ihr Puls raste, als sie endlich die Treppe zu ihrem kleinen Apartment hinaufeilte. Sie öffnete die Tür, schlug sie hinter sich zu und lehnte sich schwer atmend von innen dagegen. Was hatte Ramón getan? Charlie würde sie gründlich dafür büßen lassen.

Aber Ramón hat dir auch einen Job angeboten, schoss es ihr durch den Kopf, während sie den Mantel an die Garderobe hängte. Sie ging ins Bad, um sich wie jeden Abend Wasser in die Wanne einlaufen zu lassen. Er war bereit, ihre Schulden zu begleichen, sie von Charlie zu befreien …

Fang bloß nicht an, über das verrückte Angebot nachzudenken, ermahnte sie sich. Wenn er ihr so viel zahlen wollte, erwartete er vermutlich nicht bloß, dass sie an Deck half und das Essen kochte.

Doch ein so attraktiver Mann wie er hatte es nicht nötig, eine Frau mit Geld zu locken. Es gab jede Menge hübsche junge Rucksacktouristinnen, die bestimmt gern bei ihm anheuern würden. Warum wollte er ausgerechnet sie?

Steht er vielleicht auf reifere Frauen, überlegte sie und hätte fast gelacht, als sie sich im Spiegel erblickte. Von begehrenswert konnte nicht die Rede sein. Sie hatte Mehl in den Haaren, und man sah ihr an, dass sie den Tag in einer dampfigen Küche verbracht hatte. Außerdem trug sie kein Make-up, und ihre Nase glänzte wie Speck. Unter den Augen waren dunkle Ränder. Sie hatte zwar genug Zeit zum Schlafen, wälzte sich aber nachts oft im Bett hin und her. Die von ihrem Arzt verschriebenen Pillen hatte sie abgesetzt. Sie bemühte sich verzweifelt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nach vorne zu schauen.

„Wäre das nicht jetzt die Gelegenheit, etwas zu verändern?“, fragte sie leise ihr Spiegelbild. „Die Zusammenarbeit mit Charlie wird unerträglich werden, und Ramón ist ein umwerfender Typ und scheint wirklich nett zu sein. Er segelt ein tolles Boot, und ich wäre wieder auf See.“

Ihr Herz und ihr Verstand stritten weiter miteinander, während sie sich auszog und schließlich in der Wanne lag. Sollte es auf der Marquita nicht klappen, könnte sie die Jacht in Neuseeland verlassen. Natürlich würde Ramón dann sein Geld zurückverlangen. Sie würde in seiner Schuld stehen anstatt in Charlies. Allerdings wäre Cathys Apartment nicht mehr gefährdet. Die Schulden wären ganz allein ihre Sache.

Ja, das klang sogar vernünftig. Ein erregender Schauer überlief sie, als sie den Kopf zurücklegte, die Augen schloss und so tief ins warme Wasser eintauchte wie möglich. Mit Ramón auf große Fahrt zu gehen …

Jenny riss die Augen auf. Sie war schon einmal sehr dumm gewesen. Ein charmanter Skipper, und dann war Matty gekommen. Das musste sich nicht wiederholen. Sie konnte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, bevor sie zu dem Törn aufbrach.

Bevor sie zu dem Törn aufbrach? Ruckartig setzte sie sich auf. Sie dachte doch tatsächlich darüber nach, Seaport den Rücken zuzuwenden und mit Ramón davonzusegeln.

„Du hast ihm vorhin erzählt, wo er nach Hilfskräften suchen soll“, sagte sie laut. „Er wird inzwischen jemand anderen gefunden haben.“

Nein!

„Steig aus der Wanne, zieh dich an, und mach dich auf zum Hafen. Sofort, bevor du es dir anders überlegst … Du bist verrückt … Was kann Schlimmeres passieren, als hier festzustecken?“

Schon stand sie auf, nahm ein Handtuch und trocknete sich ab. Ihr war, als wäre endlich wieder etwas von dem Elan zurückgekehrt, der ihr in den letzten zwei Jahren gefehlt hatte. Sie hatte sich praktisch zu allem und jedem zwingen müssen.

„Geh auf die Marquita, und erklär ihm, dass du mitfahren möchtest“, forderte sie ihr Spiegelbild auf. „Selbst wenn es der größte Irrsinn ist.“

Ramón verstand sich selbst nicht mehr. Was hatte ihn nur dazu getrieben, einer Frau anzubieten, mit ihm zu segeln. Einer Frau, die so aussah, als könnte sie klammern.

Zweifellos hatte sie recht. Er brauchte Hilfskräfte. Allerdings hatte er von den Teenagern allmählich genug. Die Marquita war jedoch zu groß, um allein mit ihr klarzukommen. Zumindest bei stürmischer See.

Zudem war die Fahrt rund ums Kap Hoorn lang und anspruchsvoll. Er würde gerade rechtzeitig in Europa zurück sein, bevor er wieder nach Bangladesch aufbrechen musste. Der Törn stellte eine Herausforderung dar, auf die er sich freute. Aber er konnte gut auf die Schwierigkeiten verzichten, die sich zuweilen mit den jungen Hilfskräften ergaben.

Jenny wirkte so anders als die Rucksacktouristen, die er für gewöhnlich anheuerte. Sie schien warmherzig und schlicht zu sein und eine gewisse Reife zu besitzen. Auch machte sie den Eindruck, als hätte sie Humor. Und sie konnte kochen.

Außer einer ziemlich pampigen Paella konnte er nur Steaks zubereiten. Die Teenager waren oft nicht einmal dazu in der Lage. Jennys Muffins hingegen waren köstlich gewesen, und sie hatte mit dem Mehl am Ohr so nett ausgesehen.

Kurzerhand hatte er alle Bedenken in den Wind geschlagen und ihr den Job angeboten. Als er dann miterlebt hatte, wie ihr Boss mit ihr umsprang, hatte er sich obendrein bereit erklärt, ihre Schulden zu begleichen. Es war nicht unbedingt vernünftig gewesen. Sie hatte ihn betrachtet, als würde sie ihn verdächtigen, sie für seinen Harem kaufen zu wollen. Was er ihr nicht verübelte.

Es ist schon gut, dass sie abgelehnt hat, dachte er und fand, dass es Zeit fürs Abendessen war. Ob er in ein Restaurant im Hafen ging? Nein, eigentlich war ihm nicht danach. Seit der Begegnung mit Jenny fühlte er sich seltsam lustlos. Ihm war, als hätte er etwas entdeckt, das er gern hätte, aber nicht bekommen konnte.

Wieso beschäftigt dich diese Frau überhaupt, fragte er sich, während er den Kühlschrank öffnete. Er holte ein Steak heraus und stutzte dann. Hatte er nicht jemanden Hallo rufen hören?

Er schlenderte an Deck und sah Jenny auf dem Landesteg stehen. Ihr Erscheinungsbild war fast das gleiche wie vorhin. Sie trug denselben Mantel und verwaschene Jeans, hatte aber kein Mehl mehr in den feucht schimmernden Haaren. Und sie wirkte nervös.

„Jenny.“ Er konnte die Freude nicht verbergen – und wollte es auch nicht.

„Ich … ich mache gerade einen Spaziergang.“

„Prima.“

„Charlie ist wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen worden.“

„So?“

„Das hat wohl nichts mit Ihnen zu tun, oder?“

„Mit mir?“ Ramón klang wie die Unschuld in Person. „Möchten Sie an Bord kommen?“

„Ich … ja.“ Schon eilte sie an Deck, als hätte sie Angst, er könnte die Einladung zurückziehen. Und plötzlich schien sie nicht mehr im Mindesten nervös, sondern blickte sich ehrfürchtig um. „Wow!“

Dem konnte er sich nur anschließen. Die Marquita war ein majestätischer Holzschoner, den Bootsbauer, die ihr Handwerk noch liebten und verstanden, vor sechzig Jahren gebaut hatten. Der Rumpf und die Kajüten waren weiß gestrichen, die Planken an Deck jedoch eingeölt. Sie schimmerten in warmem Honiggelb. Die Messingbeschläge glänzten in der Abendsonne, und die Eichenmasten schwangen leicht hin und her in der hereinkommenden Flut.

Die Marquita war fünfzehn Meter lang und zweifellos der Inbegriff von Komfort und Luxus. Ramón hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt und betrachtete jetzt aufmerksam den Ausdruck in Jennys fein geschnittenem Gesicht. Offenbar erging es ihr genauso.

„Was für eine herrlich restaurierte Jacht. Sie ist ein echtes Juwel.“

Wenn das keine neue Erfahrung war! Fast jeder, der die Marquita sah, wandte sich anschließend an ihn und sagte: „Sie muss ein Vermögen gekostet haben.“ Nicht so Jenny. Sie konzentrierte sich einzig auf die Schönheit.

Mit leuchtenden Augen schaute sie sich auf Deck um und nahm jedes Detail in sich auf. Sie ist ausgesprochen hübsch, schoss es Ramón plötzlich durch den Kopf, während er sie beobachtete.

Sie hatte, wie er, leicht gebräunte Haut und war klein und schlank. Ihre dunklen Locken schimmerten seidig. Auch hatte sie einen sehr wachen Blick und schien jemand zu sein, der lachen konnte.

„Darf ich unter Deck gehen?“, fragte sie mit vor Ehrfurcht leiser Stimme.

„Natürlich.“

Er hatte kaum ausgeredet, als sie schon auf der Treppe war, die in den Salon führte. Fast könnte man wegen ihres Verhaltens eifersüchtig werden, dachte er, während er ihr folgte. Sie zeigte nicht das geringste Interesse an ihm, sondern war völlig von seiner Jacht fasziniert.

Beinahe wäre er in sie hineingelaufen, denn sie war auf der untersten Stufe stehen geblieben. Er hatte gerade noch stoppen können und wartete jetzt schweigend hinter ihr.

Für gewöhnlich gerieten die Leute beim Anblick dieses Raums sofort ins Schwärmen. Und es gab auch viel, wovon man begeistert sein konnte. Die herrliche Eichenholztäfelung, die mit weichem Leder bezogenen Sofas, die wunderschönen Farben und Stoffe der Vorhänge und Kissen …

Als er das Boot unmittelbar nach dem Unfalltod seiner Mutter und seiner Schwester gekauft hatte, war es kaum mehr als eine schwimmende Hülle gewesen. Er hatte viel Zeit, Sorgfalt und Herzblut in die Restaurierung gesteckt.

Seine Tante Sofía hatte ihn ebenfalls mit Rat und Tat unterstützt. Vielleicht war sie bei einigen Dingen, die sie gekauft oder veranlasst hatte, etwas übers Ziel hinausgeschossen. Doch hatte er nicht protestiert, denn er hing sehr an ihr und wollte sie nicht verletzen.

Er liebte die Jacht – und momentan liebte er Jennys Reaktion. Völlig hingerissen, schlenderte sie durch den Salon, nahm jedes Detail in sich auf und strich fast andächtig über die Vertäfelung.

Dann erkundete sie die Kombüse. Aufmerksam inspizierte sie den Gasherd, der für jedes Boot eine tödliche Gefahrenquelle darstellte. Dieser nicht, denn er hatte eine zusätzliche Sicherheitsausrüstung.

Schließlich öffnete sie sogar den Schrank unter der Spüle. Lächelnd beobachtete er, wie sie die Rohre und Ventile begutachtete. Dann blickte sie kurz zu ihm hin und errötete.

„Entschuldigung. Aber es ist so interessant. Darf ich mir das System anschauen?“

„Natürlich. Es hat sich nur bislang noch niemand dafür begeistert.“

„Diese Pumpe hier … Ich habe sie in einem Katalog gesehen … Haben Sie solche im ganzen Boot?“

„In allen drei Bädern.“ Ramón versuchte, nicht selbstgefällig zu klingen.

„Es gibt drei Bäder?“, fragte sie atemlos. „Mein Dad war gegen sanitäre Anlagen. Er sagte, echte Seeleute würden Eimer benutzen. Vermutlich ist der Eigner kein ‚Eimertyp‘.“

„Nein, ganz bestimmt nicht.“

Jenny lächelte und setzte die Erkundungstour fort. Sie schlenderte zum Navigationstisch, blätterte in den Karten und betrachtete die Instrumente. „Sie lassen das Funkgerät aus?“

„Ich benutze es bloß zum Senden.“

„Hat der Eigner nichts dagegen? Angesichts dieser Jacht hätte ich gedacht, dass er Sie täglich kontaktiert.“

Jetzt musste er wohl Farbe bekennen und ihr erzählen, dass die Marquita ihm gehörte. Aber Jenny fing gerade an, aufzutauen. Er hatte schon zur Genüge erfahren, wie Frauen reagierten, wenn sie das wahre Ausmaß seines Reichtums erfassten. Aus irgendeinem Grund wollte er diese Reaktion zumindest jetzt noch nicht bei ihr erleben.

„Der Eigner und ich stimmen überein, dass wir nur wenn nötig in Verbindung treten“, antwortete er ernst.

„Wie schön für Sie, einen Boss zu haben, der Ihnen nicht ständig auf die Finger schaut“, erwiderte sie und sah sich weiter um.

Ramón beobachtete sie immer faszinierter. Es waren schon viele Gäste an Bord gewesen. Die einen hatten sich primär für die technische Ausrüstung interessiert, und die anderen hatten nicht frei von Neid die luxuriöse Ausstattung kommentiert. Jenny beurteilte die Jacht als Ganzes und versuchte zugleich, auch ihn etwas einzuschätzen.

Unter dem Aspekt eines möglichen Arbeitgebers? Ja, dachte er und spürte, dass er optimistisch wurde. Jenny musste jetzt den Eindruck haben, dass der Eigner ihm voll vertraute. Was nur von Vorteil sein konnte.

Schließlich hatte sie alles erkundet und wandte sich ihm erneut zu. „Jetzt ist wohl der Moment gekommen, festzustellen, was für eine herrliche Jacht dies ist. Nur erübrigt es sich. Denn sie ist es“, sagte sie lächelnd.

„Ja.“ Er mochte ihr Lächeln, das jedoch nicht wirklich strahlend war. Vermutlich hatte sie auf schmerzliche Weise gelernt, dass sie niemandem vertrauen konnte. „Möchten Sie auch den Rest noch anschauen?“

„Ja, gern. Aber … ich möchte nicht aufdringlich sein.“

„Es ist mir ein Vergnügen.“ Wie gut, dass er heute Morgen das Bett gemacht hatte und in der Kabine Ordnung herrschte. Das trug ihm vermutlich einen weiteren Pluspunkt ein.

Ramón führte sie zunächst zum zweiten Schlafraum, den Sofía, anders als seine Kajüte, nach ihrem Geschmack gestaltet hatte. Kaum hatte er die Tür richtig geöffnet, blickte Jenny erst verblüfft drein und brach dann in Lachen aus.

„Das sieht wie das Schlafgemach eines Scheichs oder einer Haremsdame aus.“

„Nun mal halblang.“ Ramón versuchte, gekränkt zu klingen, konnte sich ein Lächeln jedoch nicht verkneifen. Sofía war hier wirklich etwas übers Ziel hinausgeschossen. Sie hatte eigens einen Trip nach Marrakesch gemacht und einen Raum fast wie aus Tausendundeiner Nacht geschaffen.

Auf dem breiten burgunderfarbenen Himmelbett lagen lila- und goldfarbene Decken und Kissen. Die weißen Laken harmonierten mit der weißen Seidentapete, die maritime Motive schmückten. Und der hochflorige Teppichboden schimmerte edel in einem zarten Rosé. Da die Marquita im Hafen lag, waren die Fenster geöffnet, und die Vorhänge bauschten sich in der sanften Brise.

„Hier würden Sie schlafen.“

„Ich, die Hilfskraft?“ Jenny blickte ihn entgeistert an.

„Unten gibt es natürlich auch Kojen. Nur sehe ich keinen Grund, warum wir es nicht bequem haben sollten. Oder gefällt Ihnen die Kabine nicht?“

„Sie ist wunderschön … Aber hat der Eigner nichts dagegen?“

„Nein.“

„Wo schlafen Sie? Sie können mir nicht die beste Kajüte überlassen.“

„Es ist nicht die beste.“

„Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“

Ramón lächelte und führte sie den Niedergang hinunter. Er öffnete eine Tür und bedeutete Jenny, einzutreten. Diesen Raum hatte er praktisch allein eingerichtet. Allerdings hatte Sofía sich bei der Ausstattung des Bads eingemischt, weshalb es ein wenig … eigenwillig war, um nicht zu sagen peinlich.

Die Kabine war größer und die Atmosphäre maskuliner. Das Bett war zwar ebenfalls riesig, hatte jedoch keinen Himmel. Wie der Salon war sie in goldgelben, rötlichen und bläulichen Tönen gehalten und der Teppichboden kurzflorig und funktional. Zwei sehr bekannte Bilder hingen an einer Wand.

Jenny rang nach Atem. „Bitte erzählen Sie mir, dass sie nicht echt sind.“

Ihr Wunsch war ihm Befehl. „Sie sind nicht echt“, antwortete er gehorsam, obwohl sie es waren. „Möchten Sie das Bad anschauen?“ Er hatte nicht widerstehen können. Momente später öffnete er die Tür, trat zurück und beobachtete lächelnd, wie Jenny die Augen aufriss und der Unterkiefer herunterfiel.

Während die Marquita neu ausgerüstet worden war, hatte er nach Bangladesch zurückkehren müssen. Vorher war es ihm nicht mehr möglich gewesen, mit dem Installateur über die sanitären Anlagen zu reden. Also hatte Sofía beschlossen, sich darum zu kümmern.

Die Schwester seines verstorbenen Vaters hatte zuweilen einen etwas extravaganten Geschmack. Außerdem wollte sie, dass er es so angenehm und bequem wie möglich hatte. Überdies las sie gern Liebesromane, die ihre Fantasie beflügelten.

Deshalb besaß er nun eine vergoldete Wanne in Form einer Botticelli-Muschel. Sie thronte mitten im Raum auf einem Sockel. Auch hatte Sofía den Wellengang auf hoher See berücksichtigt. Rund um die Wanne schienen Kletterpflanzen zu wachsen, die in Wirklichkeit Handläufe waren. Und an der Wand befand sich ein riesiges Trugbild, das den Eindruck vermittelte, man würde im Meer baden.

Als er nach der Rückkehr aus Bangladesch hier hereingekommen war, hatte ihn vor Entsetzen fast der Schlag getroffen. Seine Tante war bei ihm gewesen und hatte vor Aufregung gebebt.

„Ich wollte so gern etwas ganz Besonderes für dich“, hatte sie ihm erklärt.

Sofía war alles, was ihm von seiner Familie noch geblieben war. Er würde ihr nie wehtun. Also hatte er sie umarmt und ihr gesagt, wie sehr es ihm gefalle. Und an jenem Abend hatte er sogar in dem Ding gebadet. Seine Tante brauchte nicht zu wissen, dass er sonst unter die Dusche am Ende des Ganges ging.

„Sie … Sie schlafen hier?“

„Nicht im Bad.“ Ramón lächelte.

„Wo schläft der Eigner?“ Jenny blickte sich entgeistert um. „Auf der Jacht ist kein Platz mehr für noch so eine Kabine.“

„Ich … Wenn nötig, benutze ich eine der Kojen.“

Es war gelogen, aber er wünschte sich immer mehr, diese Frau anzuheuern. Zweifellos verhielt er sich moralisch nicht ganz einwandfrei. Doch war es nicht egal, dass sie glaubte, er wäre ein bezahlter Skipper? Sie hatte die Chance auf ein besseres Leben verdient. Wenn eine kleine Lüge ihr dazu verhalf …

Wie würde sie reagieren, wenn er ihr die Wahrheit erzählte? Mit Angst. Er hatte sie in ihrem Gesicht gelesen, als er ihr den Job anbot. Sie hatte befürchtet, dass er sich nicht nur für ihre Koch- und Segelkünste interessierte. Wie viel schlimmer würde diese Angst erst sein, wüsste sie, dass er unvorstellbar reich war? Ja, er sollte zumindest erst einmal schweigen.

„Der Eigner möchte, dass sich jeder an Bord wohlfühlt.“

„Wow!“, stieß Jenny hervor, während sie erneut ins Bad blickte.

„Ich dusche für gewöhnlich im Gemeinschaftsbad.“

„Was für eine Verschwendung.“

„Sie können gern dieses benutzen.“

„Träumen Sie nicht einmal davon! Dagegen wirkt ein Harem harmlos.“

„Auch wenn es eine tolle Jacht ist, wird trotzdem darauf gearbeitet. Ich verspreche Ihnen, dass sie nicht das Geringste mit einem Harem gemein hat.“

„Schwören Sie es?“ Durchdringend sah sie ihn an.

„Ja. Ich bin der Skipper der Marquita, und sie wird professionell geführt.“

Prüfend schaute sie ihn noch einen langen Moment an, und Ramón wich ihrem Blick nicht aus. Schließlich schien sie zufrieden, nickte und wandte sich ab. „Sie müssen das Boot schnell nach Europa zurückbringen?“

„In längstens drei Monaten.“ Wenigstens das war nicht gelogen. Sein Team würde dann nach Bangladesch aufbrechen, und er beabsichtigte, mit seinen Leuten zu fliegen. „Fahren Sie mit?“

„Ihr Angebot steht noch?“

„Ja.“ Er geleitete sie hinaus auf den schmalen Gang und schloss die Tür. Die Kabine mit dem verrückten Bad eignete sich nicht für diese Unterredung.

„Sie heuern niemand anderen an?“

„Nicht, wenn Sie an Bord kommen.“

„Sie wissen noch nicht einmal, ob ich segeln kann.“ Jenny klang erneut höchst erstaunt.

Ramón sah sie an. Sie wirkte leicht nervös auf ihn. Doch hatte sein Angebot wohl irgendetwas in ihr angesprochen. Sogar das Bad hatte sie nicht abgeschreckt. Vermutlich erging es ihr wie ihm. Sie liebte das Meer, und es zog sie magisch an.

„Dann zeigen Sie mir, dass Sie segeln können. Der Wind frischt auf, sodass es nicht langweilig werden dürfte. Fahren wir mit der Marquita hinaus.“

„Jetzt?“

„Ja. Trauen Sie sich!“

„Ich kann nicht.“ Leise Panik schwang in ihrer Stimme mit.

„Warum nicht?“

Jenny schaute ihn an, als käme er von einem anderen Stern. „Sie brechen einfach auf, wann immer Ihnen danach ist?“

„Einzig die Leinen um die Poller am Kai halten uns zurück.“ Ramón lächelte, als er die Angst in ihren Augen las. „Aber keine Sorge, wir kehren heute wieder um. Es ist jetzt sieben. Wir können bis Mitternacht zurück sein.“

„Sie erwarten allen Ernstes, dass ich nun mit Ihnen segle?“

„Der Mond scheint hell, und der Wind ist gut. Warum nicht?“

„Übernehmen Sie das Steuer, Jenny? Ich muss mich ums Abendessen kümmern“, fragte Ramón eine halbe Stunde später, als sie sich zu ihm gesellte, nachdem sie den Klüver straffer getrimmt hatte.

Er hatte sie vorhin aufgefordert, selbst die Segel zu setzen. Natürlich hatte sie beim ersten Mal Hilfe gebraucht. Doch war er nicht derjenige gewesen, der die Anweisungen gegeben hatte, sondern er war ihren gefolgt.

„Ich könnte es zubereiten.“ Wollte er ihre Seefestigkeit testen? Bei hohem Wellengang zu kochen war nichts für Leute mit schwachem Magen.

„Sie werden wirklich nicht seekrank?“

„Nein, werde ich nicht.“

„Eine rühmliche Ausnahme“, sagte er leise und lächelte dann. „Dennoch vielen Dank. Es wäre unfair, Sie kochen zu lassen. Dies ist Ihr Abend auf dem Wasser, den Sie sich nach dem heutigen Tag hart verdient haben. Haben Sie schon etwas gegessen?“

„Vor ein paar Stunden.“

„Ich könnte ein Steak für Sie mit braten.“

„Nein danke.“

Jenny setzte sich, übernahm das Steuer, und er verschwand in die Kombüse. Sie genoss es, den Skipper zu spielen. Die Marquita war ein tolles Boot. Ja, sie sollte mit ihr auf große Fahrt gehen. Als Ramón ihr das Angebot machte, hätte sie es gleich akzeptieren sollen.

Lächelnd kam er nach einer knappen halben Stunde mit zwei Tellern zurück. Da wusste sie, warum sie es nicht getan hatte. Dieses Lächeln verursachte ihr ziemliches Unbehagen.

„Ich habe doch eines für Sie mit zubereitet. Wenn Sie wirklich seefest sind …“

„Ich muss also etwas essen, um es zu beweisen?“

„Es ist eine echte Mutprobe. Wenn Sie meine Kochkünste unbeschadet überstehen, haben Sie wirklich einen Pferdemagen.“ Ramón setzte sich neben sie und reichte ihr einen Teller.

Ein Blick auf das Fleisch genügte Jenny, um zu erkennen, dass er es im Supermarkt gekauft hatte. Dann nahm sie die Gabel und stach sie ohne großen Erfolg hinein.

„Seien Sie höflich. Sonst werden meine Gefühle verletzt.“

„Machen Sie sich darauf gefasst, dass Ihre Gefühle verletzt werden.“

„Kosten Sie es zumindest.“

Jenny ließ das Steuer los und mühte sich mit dem Steak ab. „Können wir den Autopiloten einschalten? Dies wird wohl etwas dauern.“

„Hey, ich bin Ihr Gastgeber.“

„Und ich bin Köchin. Wie lange haben Sie das Fleisch gebraten?“

„Keine Ahnung. Vielleicht zwanzig Minuten. Ich musste noch die Karten studieren.“

„Sie waren also mit etwas anderem beschäftigt, während das Steak in der Pfanne brutzelte?“

„Ja. Warum nicht?“

„Ich würde es Ihnen sagen.“ Endlich hatte sie es geschafft, ein Stück abzuschneiden. Sie schob es in den Mund, kaute tapfer darauf herum und schluckte. „Nur haben Sie recht. Sie sind mein Gastgeber.“

„Ich wäre gern Ihr Arbeitgeber. Würden Sie Köchin auf der Marquita werden?“

Jetzt galt es, sich zu entscheiden. Für oder gegen eine Verrücktheit. Für oder gegen das Leben. „Ihr Angebot war also wirklich ernst gemeint?“

„Das war und ist es.“

„Sie würden mir nur die Heuer für ein Jahr zu bezahlen brauchen. Vielleicht kann ich etwas arrangieren …“ Nein, das konnte sie nicht, und er wusste es.

„Das Angebot lautet, dass ich Ihre Schulden begleiche und Sie ohne finanzielle Belastung mit mir fortsegeln. Entweder nehmen Sie es an oder nicht.“

„Das klingt wie eine Szene aus einem Liebesroman. Der Held galoppiert auf einem Schimmel heran und rettet die Heldin vor dem Bösewicht. Aber ich bin kein Schwächling.“

Ramón lächelte. „Sie klingen wie meine Tante Sofía. Sie liest auch gern diese Schmöker … Und ich habe nie behauptet oder gedacht, dass Sie ein Schwächling sind.“

„Was die Rückzahlung betrifft …“

„Nein“, unterbrach er sie energisch und stellte ihren Teller weg. Er umfasste ihre Hände, und Jenny spürte seine Kraft, Sicherheit und Autorität.

Dieser Mann ist es gewohnt, seinen Willen zu bekommen, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht sollte sie lieber weglaufen. Wenn sie Ja sagte, würde sie ein Jahr lang nicht weglaufen können.

„Sie werden mir nichts zurückzahlen“, meinte er grimmig. „Ein Deal ist ein Deal. Sie werden auf dem Boot kochen und mir helfen, es zu segeln. Mehr werde ich nicht verlangen.“

Das klang ernst, zu ernst. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was sich hinter seinen Worten verbergen könnte. Und vielleicht wollte sie das Versprechen überhaupt nicht haben …

Er betrachtete ihre Schulden als nicht besonders hoch. Für sie stellten sie jedoch eine ungeheure Last dar, die sie lähmte. Aber möglicherweise war es an der Zeit, ihren Stolz hinunterzuschlucken und Ramón den Helden spielen zu lassen.

„Vielen Dank.“

„Jenny?“

„Ja?“

„Ich bin der Skipper. Die meisten Kapitäne dulden keine Insubordination. Bei mir ist es anders. Sollten Sie während der ganzen Fahrt ums Kap Hoorn herum mit mir streiten wollen, ist es für mich in Ordnung.“

„Sie wollen, dass ich mich mit Ihnen anlege?“ Sie saß viel zu nah bei ihm. Außerdem hielt er noch immer ihre Hände fest. Es fühlte sich beunruhigend gut an.

„Ja. Und ich will Muffins.“

„Wirklich?“

„Also was ist? Muffins und keine Insubordination, ja oder nein?“

Sie sahen sich im Mondschein an, und ihr Herz begann, wie verrückt zu klopfen. Worauf lasse ich mich da ein, fragte sie sich, doch plötzlich war es ihr egal. Der Abend war warm, die Jacht herrlich und die Ausstrahlung dieses Mannes faszinierend.

Aber du musst vorsichtig sein, ermahnte sie sich. „Ja“, sagte sie dann schnell, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Was hast du getan, überlegte Ramón. Er würde drei Monate mit einer Frau auf hoher See verbringen, deren Nachnamen er nicht einmal kannte. Er wusste lediglich, dass sie segeln und kochen konnte.

Über die jungen Leute, die er für gewöhnlich anheuerte, war er besser informiert. Bevor er sie an Bord nahm, prüfte er zumindest kurz deren Herkunft. Außerdem engagierte er sie jeweils nur für die Strecke bis in den nächsten Hafen.

Jenny hatte er für ein ganzes Jahr eingestellt! So lange würde er gar nicht auf der Marquita sein. Hatte er das durchdacht? Nein, und er sollte es schnellstens nachholen.

Sollte er ehrlich sein und ihr sagen: „Ich habe Ihnen das Angebot aus Mitgefühl gemacht. Hätte ich Ihnen nur Arbeit für drei Monate gegeben, hätten Sie die Begleichung Ihrer Schulden nicht akzeptiert.“

Dies war nicht die volle Wahrheit. Neben Mitleid hatten ihn noch andere Gründe zu dem Vorschlag veranlasst. Und deshalb herrschte in seinem Kopf nun ein ziemliches Chaos.

In drei Monaten würde er nach Bangladesch fliegen. Musste er überhaupt dorthin? Genau genommen, brauchte er nichts zu tun. Er hatte das riesige Erbe von seiner Großmutter gut investiert. Wenn er wollte, konnte er sein restliches Leben die Hände in den Schoß legen und den Luxus genießen.

Nur hatte dies ihm und seinen nächsten Angehörigen noch nie behagt. Zwar waren die Mitglieder des Fürstenhauses von Cepheus für ihren Müßiggang, ihre Verschwendung und sogar für ihre Grausamkeit bekannt. Doch nachdem seine Großmutter aus der Fürstenfamilie ausgeschlossen worden war, hatte sie angefangen, sich nützlich zu machen.

Sie hatte sich für hilfsbedürftige Menschen engagiert. Und so hatte sie mit ihren Kindern, seinem Vater und seiner Tante, eine wohltätige Stiftung in Bangladesch gegründet. Diese finanzierte den Bau von Häusern in tief liegenden Deltagebieten. Es waren Häuser mit Schwimmböden, die sich dem steigenden Wasserpegel anpassten.

Das Projekt hatte ihn schon als Junge fasziniert. Nach dem Tod seines Vaters war er dann noch entschlossener gewesen, dass er nichts mit dem Fürstenhaus zu tun haben und sein Leben sinnvoll gestalten wollte. Also hatte er mit siebzehn begonnen, das Bauwesen von der Pike auf zu lernen. Inzwischen unterstützte er das Projekt nicht nur finanziell, sondern auch mit seiner Hände Arbeit.

Während der Regenzeit konnte nicht gebaut werden. In diesen Monaten war er früher auf die Insel zurückgekehrt, die er noch immer sein Zuhause nannte. Er hatte Zeit mit seiner Mutter und seiner Schwester verbracht und sich um Investitionen gekümmert, um das wohltätige Engagement dauerhaft zu sichern.

Doch dann waren seine Mutter und seine Schwester tödlich verunglückt. Ein alkoholisierter Autofahrer hatte ihm seine Liebsten genommen. Plötzlich war es ihm unerträglich gewesen, nach Hause zu kommen. Er hatte die Leitung des Finanzimperiums seiner Familie mehreren Topleuten übertragen und die Marquita gekauft.

Wenn er nicht in Bangladesch arbeitete, war er mit der Jacht unterwegs und maß seine Kräfte mit dem Meer. Auch das tat ihm gut. Trotzdem spürte er noch immer die große Lücke, die seine Mutter und seine Schwester hinterlassen hatten. Er würde sie nie füllen können – und er wollte es auch nicht, wie er rund ein Jahr nach deren Tod beschlossen hatte. Wenn der Verlust geliebter Menschen so schmerzte, schien es dumm, zu einem anderen wieder Nähe zuzulassen.

Warum also hatte er Jenny an Bord geholt? Er ahnte doch bereits, dass „Nähe“ ein echtes Problem werden könnte. Aber es war ihm vorgekommen, als hätte aus ihm ein fremder Ramón gesprochen.

Wie sollte er ihr die Sache mit Bangladesch erklären? Musste er es überhaupt? Wenn sie in Cepheus waren, konnte er einfach sagen, der Eigner würde das Boot sechs Monate nicht benötigen und es deshalb stilllegen. Jenny könne nach Australien zurückfliegen – das Ticket würde er natürlich bezahlen – und die restliche Vertragszeit ein halbes Jahr später erfüllen.

Das würde allerdings heißen, dass er nicht nur jetzt, sondern auch zukünftig einen Mitsegler hatte. Und zwar eine Frau! Du begibst dich auf sehr gefährliches Terrain, warnte ihn die Stimme des Ramón, den er kannte und dem er vertraute.

Nein, er musste sich nur vernünftig verhalten. Die Jacht war groß genug, um sich zurückzuziehen. Das hatte er in den Jahren gelernt, in denen er nun schon mit Hilfskräften unterwegs war.

Wie er wusste, fanden ihn die jungen Leute unnahbar. Und unnahbar zu sein war gut. Es bedeutete, dass man sich vor schrecklichem Schmerz bewahrte. Aber es bedeutete ebenfalls, dass man keine Frau wie Jenny auf einen Törn einlud. Was er gerade getan hatte!

„Die Marquita soll Fidschi vor zwei Wochen verlassen haben. Wir glauben, dass der Prinz in Australien ist.“

„Du liebe Güte.“ Verblüfft blickte Sofía Señor Rodriguez an. „Was will er dort?“

„Da bin ich überfragt. Er hat niemanden informiert.“

„Er konnte nicht ahnen, was passieren würde. Es ist nie die Rede davon gewesen, dass er den Thron erben könnte.“

„Was uns jetzt das Leben schwer macht. Er reagiert noch nicht einmal auf Funksprüche.“

„Ramón ist seit dem Verlust seiner Familie ein Einzelgänger.“ Sofía seufzte. „Ihr Tod hat mich sehr erschüttert. Wie schlimm muss es erst für ihn sein. Wenn er allein sein will … Wer sind wir, dass wir ihn daran hindern?“

„Es muss sein“, erwiderte der Anwalt. „Ich werde nach Australien fliegen. Da er von den Fidschis kommt, wird er die Ostküste ansteuern. Wir haben Leute, die in jeder großen Hafenstadt nach ihm Ausschau halten. Von Sydney aus kann ich innerhalb von Stunden bei ihm sein.“

„Können wir nicht warten, bis er selbst Kontakt aufnimmt? Er schickt mir ganz gelegentlich eine E-Mail.“

„Er muss den Thron bis zum Monatsende beanspruchen, sonst fällt er an Carlos.“

„An Carlos? Oje.“

„Sie verstehen also, warum es eilt. Wenn ich schon vor Ort bin, kann ich nach Sichtung der Jacht schnellstens bei Prinz Ramón sein. Er muss nach Hause zurückkehren. Sofort.“

„Ich wünschte, ich könnte mit ihm sprechen, bevor ich eine Entscheidung wegen Philippe treffe“, sagte Sofía.

„Ich dachte, Sie hätten Pflegeeltern für ihn gefunden.“

„Ja, aber es scheint mir falsch, ihn aus dem Palast fortzuschicken. Was, glauben Sie, würde Ramón tun?“

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Prinz sich Gedanken über ein Kind machen möchte.“

„Ja, vielleicht haben Sie recht. Er wird sich jetzt mit so vielen Dingen befassen müssen. Warum sollte er bezüglich der Zukunft eines Jungen, den er nicht kennt, mitreden wollen?“

„Er wird es nicht wollen. Geben Sie ihn zu den Pflegeeltern.“

„Ja“, meinte Sofía traurig. „Ich selbst weiß nicht, wie man ein Kind aufzieht. Der Kleine hat schon genug Nannys gehabt. Es ist wohl für alle das Beste.“

3. KAPITEL

Wenn das keine Riesenverrücktheit ist, dachte Jenny. Sie erlaubte einem fremden Mann, ihre Schulden zu bezahlen und sie ans andere Ende der Welt zu entführen. Sie war so entsetzt über sich, dass sie nicht aufhören konnte, vor sich hin zu lächeln, während sie das Deck schrubbte.

„Das ist reiner Wahnsinn“, hatte Cathy schreckensbleich gesagt. „Du weißt nicht das Geringste über ihn.“

„Mir ist sehr wohl klar, dass ich ein Risiko eingehe. Doch du hast recht damit, dass ich von hier wegmuss. Deshalb habe ich bei ihm angeheuert.“

Und auf der Marquita mit Ramón am Steuer den Hafen von Seaport zu verlassen hatte etwas Märchenhaftes gehabt. Was man vom Decksäubern nicht unbedingt behaupten kann, fand Jenny, während sie unverdrossen weiterarbeitete.

Heute war ihr sechster Tag an Bord. Vorhin hatte eine Schar Seeschwalben sie besucht. Möglicherweise war es der letzte Schwarm gewesen, bis sie sich wieder Land näherten. Sie hoffte es sehr, denn die Vögel hatten viel Schmutz hinterlassen.

Ganz selbstverständlich war Ramón ebenfalls auf allen vieren und beteiligte sich an der Reinigungsaktion. Er kehrte nicht den Skipper heraus und hatte vorgeschlagen, dass sie sich duzten. Sie seien nun ein Team und auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig, hatte er erklärt und ihr praktisch jede Argumentationsbasis entzogen. Also hatte sie – nicht ungern – dazu genickt.

Jenny gönnte sich eine kleine Pause und setzte sich auf die Fersen. Sie trug lediglich Shorts und T-Shirt und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, damit sie sie nicht behinderten. So glücklich bin ich schon lange nicht mehr gewesen, dachte sie, während sie das Gesicht in die sanfte Brise hielt.

„Eigentlich solltest du dich beschweren“, sagte Ramón, der sie beobachtet hatte. „Alle, die ich je angeheuert habe, hätten es inzwischen getan.“

„Worüber, in aller Welt, sollte ich mich beklagen?“

„Übers Schrubben vielleicht?“

„Ich würde von hier bis China schrubben, um auf diesem Boot zu bleiben“, erwiderte sie heiter, sah dann seinen Gesichtsausdruck und fügte hinzu: „Nein, das ist nicht ernst gemeint. Glaub ruhig weiter, dass ich hart für mein Geld arbeite. Aber ehrlich, Ramón, du hast den besten Job auf Erden. Und ich habe den zweitbesten.“

„Den habe ich – oder?“

Sein Lächeln verschwand, und Jenny merkte ihm an, dass auch in seinem Leben wohl nicht alles eitel Freude und Sonnenschein war. Sollte sie ihn fragen? Vielleicht lieber nicht.

Sie kannte ihn jetzt über eine Woche und hatte schon einiges über ihn erfahren. Er war ein ausgezeichneter Segler mit viel Umsicht und Bedacht. In der zweiten Nacht auf See hatte es einen Sturm gegeben. Ein ängstlicher Skipper hätte möglicherweise die Segel gerefft und das Ende abgewartet. Ramón hingegen hatte die Karten studiert, den Kurs geändert und den Klüver gesetzt gelassen.

Die Marquita war mit unglaublicher Geschwindigkeit über das Wasser gejagt. Als der Sturm im Morgengrauen abflaute, waren sie rund zweihundert Seemeilen näher an Neuseeland, als sie es sonst gewesen wären.

In jener Nacht hatte sie für eine Weile das Steuer übernommen. Ramón war nach unten verschwunden, hatte aber mit Sicherheit nicht geschlafen. Sie hatte seine Anwesenheit gespürt und gewusst, dass er verfolgte, wie sie das Boot handhabte.

Was nicht hieß, dass er ihr misstraute. Sie war erst kurz an Bord. Sich in einem solchen Sturm schlafen zu legen, während sie das Ruder führte, hätte gefährlich sein können. Sein Verhalten zeugte von Kompetenz.

Er hatte ihr jedoch nicht gesagt, dass er sie überwachen würde, was ihr sehr gefiel. Wie dir auch vieles andere an ihm gefällt, gestand sie sich ehrlich ein. Allerdings schien Ramón ein Einzelgänger zu sein. Sollte sie tatsächlich Befürchtungen gehegt haben, dass er sie als Bettgefährtin wollte, hatte sie sich umsonst gesorgt. Seit sie auf See waren, hatte er sich reserviert gegeben, fast schon unnahbar.

„Wie lange bist du hier bereits der Skipper?“ Jenny fing wieder zu schrubben an. Sie hatte inzwischen gemerkt, dass sie beim Arbeiten recht leicht miteinander reden konnten. Sobald sie nichts mehr taten, wurde er schweigsam.

„Seit zehn Jahren.“

„Wow. Dann musst du bei deiner Erstanstellung fast noch ein Kind gewesen sein.“

„Ich hatte Glück“, erwiderte er schroff, und sie wusste sofort, dass sie das Thema besser wechseln sollte. Sie hatte ihn bereits ein paar Dinge über den Eigner gefragt, und jedes Mal hatte Ramón dann die Unterhaltung abrupt beendet.

„Wie viele Hilfskräfte hast du im Lauf der Zeit angeheuert?“

„Zahllose. Fast in jedem Hafen neue.“

„Aber mich hast du ein ganzes Jahr.“

„Stimmt.“

Jenny sah zu ihm hin und meinte, in seinem Gesicht flüchtig einen Ausdruck von Zufriedenheit zu lesen. Sie lächelte und schrubbte seltsam froh weiter. „Das klingt, als hätte dir meine Paella vorhin geschmeckt.“

„Sie war klasse. Wo hast du gelernt, dieses spanische Gericht zu kochen?“

„In meinen Adern fließt spanisches Blut. Mein Vater war Spanier. Er ist sehr abenteuerlustig gewesen und in jungen Jahren nach Australien gereist. Dort hat er meine ebenfalls spanische Großmutter besucht, die eine Freundin seiner Familie war. Dabei hat er meine Mutter kennengelernt und ist dann ihretwegen nach Australien ausgewandert.“

„Aha. Sprichst du Spanisch? Hablas espagñol?

„Sí.“

„Das ist unglaublich.“

„Ich habe Talente ohne Ende!“ Schalkhaft lächelte sie ihn dabei an.

„Warum hast du mir nichts von deinen spanischen Vorfahren gesagt?“

„Du hast mich nicht gefragt.“ Sie zögerte einen Moment. „Du hast mich vieles nicht gefragt, sondern mir einfach ein tolles Angebot gemacht. Warum sollte ich es durch belanglose Details ruinieren? Ich hätte dir erzählen können, dass ich das bronzene Lebensrettungsabzeichen habe, auf Bäume klettern und ‚Waltzing Matilda‘ auf einem Gummibaumblatt spielen kann. Aber dann hättest du womöglich gedacht, ich sei eine Aufschneiderin.“

„Eine ‚Aufschneiderin‘? Das Wort kenne ich nicht.“

„Das ist jemand, der sich als Miss Wonderful darstellt.“

„Dennoch scheine ich eine Miss Wonderful angeheuert zu haben. Allerdings erstaunt mich bei so vielen spanischen Vorfahren der Name ‚Jenny‘.“

„Eigentlich heiße ich Gianetta.“

„Gianetta.“

Es klang wie aus dem Mund ihrer Eltern. Nein, es klang noch schöner. Es klang so sexy, dass ein erregender Schauer sie durchrieselte.

„Er wäre mir bei der Vertragsunterzeichnung aufgefallen“, fuhr Ramón fort und lächelte dann. „Da wir gerade davon sprechen … Vielleicht ist es an der Zeit, dass du ihn unterschreibst. Ich möchte nicht, dass mir jemand entwischt, der ‚Waltzing Matilda‘ auf einem Gummibaumblatt spielen kann.“

„Es ist eine aussterbende Kunst“, witzelte Jenny und hatte sich wieder gefangen. Sie hatte sich ohnehin schon gewundert, dass er noch nicht wegen der Unterschrift an sie herangetreten war.

Am Tag, bevor sie losgesegelt waren, hatte er Charlie einen Scheck gegeben. Sie hatte ihn gefragt, woher er wisse, dass er ihr vertrauen könne und sie ihren Teil der Vereinbarung einhalten werde. Ramón hatte sie lange angesehen und schließlich genickt. „Ich kann es“, hatte er geantwortet, und das war es gewesen.

„Eine aussterbende Kunst?“

„Ja, ich muss es eines Tages meinen Kindern beibringen.“ Kaum hatte sie ausgeredet, wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte. Sogleich machte sich in ihr wieder die schmerzliche Leere breit.

„Was ist los?“ Besorgt schaute er sie an.

Im nächsten Moment verschwand die schmerzliche Leere, und ein erregender Schauer durchrieselte sie erneut. Ahnte Ramón auch nur ansatzweise, was sein Blick zuweilen bei ihr bewirkte? Gerade hatte es ihr jedoch geholfen. Allerdings sollte sie schnell das Thema wechseln.

„Vermute ich richtig, dass du Spanier bist?“

„Nein, das bin ich absolut nicht.“

„Aber du klingst so.“ Nein, nicht ganz. In seinem Akzent schwang möglicherweise noch etwas Französisches mit.

„Ich komme aus Cepheus.“

Ja, sie hatte schon von dem Fürstentum am Mittelmeer gehört. Die Bewohner waren sehr stolz und auf ihre Unabhängigkeit bedacht. „Mein Papà hat mir von Cepheus erzählt. Er wurde unweit der Grenze geboren und war als Junge oft dort. Er sagte, es sei das herrlichste Land der Welt und gehöre zu Spanien.“

„Und ein Franzose würde behaupten, dass es zu Frankreich gehört“, erwiderte Ramón grimmig. „Sie haben sich über Generationen um mein Land wie Adler um einen kleinen Vogel gestritten. Inzwischen mussten sie jedoch erkennen, dass der kleine Vogel Krallen besitzt und sich schützen kann. Momentan lassen sie uns in Ruhe. Wir sind Cepheser, und nichts anderes.“

„Aber du sprichst spanisch.“

„Die Franzosen und die Spanier haben sich Teile unserer Sprache angeeignet“, erklärte er, und Jenny musste lachen. „Was findest du so lustig?“ Finster sah er sie an.

„Deinen Patriotismus. Die Australier sagen, dass die Engländer australisch reden, als hätten sie eine heiße Kartoffel im Mund.“

„Das ist etwas anderes“, meinte Ramón und lächelte dann wieder.

Sie lächelte zurück und spürte, wie ihr erneut anders wurde. Was hatte er nur an sich? Die Antwort lag auf der Hand. Er war der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. Groß, breitschultrig, intelligent, mit einer himmlischen Stimme und einem faszinierenden Lächeln.

Tief atmete sie ein und konzentrierte sich wieder aufs Schrubben. Ja, er zog sie unglaublich an. Aber sie durfte nicht vergessen, dass sie lediglich seine Angestellte war.

„Wie kam es zu den Schulden?“

Er hatte sich ehrlich interessiert angehört. Sollte sie es ihm erzählen? Warum nicht? Vielleicht hatte er sogar Anspruch darauf, es zu erfahren.

„Ich habe mein Kind verloren.“ Vergebens versuchte sie, so zu klingen, als wäre sie darüber hinweg. Doch selbst nach zwei Jahren fiel es ihr schwer, es überhaupt auszusprechen. „Matty wurde mit einem Herzfehler geboren. Er hatte diverse Operationen, die eine gefährlicher als die andere. Schließlich gab es nur noch eine einzige Möglichkeit. Es war ein neues Verfahren und deshalb sehr kostspielig. Es war seine letzte Chance. Ich musste sie ergreifen. Aber ich hatte keine Rücklagen mehr. Ich habe zu der Zeit täglich über Mittag vier Stunden bei Charlie gearbeitet. Matty war im Krankenhaus, und ich fand es schrecklich, ihn allein zu lassen. Doch ich musste die Miete bezahlen. Als die Dinge sich dann zuspitzten, hat Charlie mir das Geld unter der Bedingung geliehen, dass ich weiter für ihn arbeite.“

Energisch schrubbte Jenny ein Teilstück, das bereits sauber war. Und während Ramón schwieg, beschloss sie, die Geschichte zu Ende zu erzählen. „Ich hatte im Hafen gekocht, seit ich siebzehn war. Die Leute kannten mein Essen. Charlies Café lief nicht gut, und er brauchte meine Hilfe. Die Operation brachte nicht den gewünschten Erfolg. Matty ist gestorben, als er zwei Jahre, drei Monate und fünf Tage alt war. Ich habe ihn beerdigt und weiter für Charlie gearbeitet.“

„Es tut mir sehr leid.“

Ramón setzte sich auf die Fersen und betrachtete sie. Jenny schaute nicht auf, konnte es einfach nicht und reinigte weiter das Deck. Sie spürte seinen Blick und war sich seines Schweigens überdeutlich bewusst.

„Charlie hat von dir verlangt, deinen Kleinen in seinen letzten Tagen während jener Stunden allein zu lassen?“

Autor

Marion Lennox
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