Romana Exklusiv Band 296

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TI AMO, DARLING von LYONS, MARY
Antonia Simpson soll sein neuer Bodyguard sein? Lorenzo ist skeptisch, doch die blonde Amazone gibt sich größte Mühe ihn von ihren Qualitäten zu überzeugen. Und er muss sich eingestehen: Er begehrt Antonia und wünscht sich nichts mehr, als dass sie mit ihm nach Italien kommt.

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ENTFÜHR MICH INS GLÜCK, GELIEBTER von HEWITT, KATE
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  • Erscheinungstag 04.05.2018
  • Bandnummer 296
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744496
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mary Lyons, Melanie Milburne, Kate Hewitt

ROMANA EXKLUSIV BAND 296

1. KAPITEL

„Lorenzo, seien Sie doch bitte vernünftig! Sie sind in Gefahr!“

„Unsinn!“

Lorenzo Foscari stand hinter dem Schreibtisch aus Chrom und Glas und schob Papiere in seine Aktentasche. Er zuckte abschätzig mit den Achseln. „Offen gesagt, Matteo, ich finde, dass Sie und die anderen Direktoren diese lächerlichen Drohungen viel zu ernst nehmen.“

Matteo Barocci seufzte resigniert, bevor er einen weiteren Anlauf nahm, den jüngeren Mann zur Vernunft zu bringen. Seine Chancen standen schlecht, das wusste Matteo. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich würde kein achtunddreißigjähriger gestandener Mann sich darum reißen, sein Privatleben ernsthaft beschnitten zu sehen – und schon gar kein gut aussehender Junggeselle mit zehn Freundinnen an jedem Finger.

Doch als Direktor eines multinationalen Industriekonzerns blieb Matteo nichts anderes übrig, als den Wünschen der Versicherungsgesellschaft Folge zu leisten. Immerhin war Lorenzo in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender und Mitglied der Geschäftsleitung eine viel zu wichtige Person, als dass man eine Gefährdung seines Lebens auf die leichte Schulter nehmen sollte.

„Bitte, Lorenzo, nehmen Sie doch endlich Vernunft an“, versuchte Matteo es noch einmal. „Es wäre eine Riesendummheit, die Drohbriefe, die man Ihnen geschickt hat, einfach zu ignorieren.“

„Sì, d’accordo … da stimme ich Ihnen zu. Sie haben recht, darauf zu bestehen, dass ich Vorkehrungen treffe. Und genau das beabsichtige ich auch zu tun.“

„Sie sind also damit einverstanden, einen Bodyguard zu engagieren, und …“

„Absolut nicht.“ Lorenzo schüttelte den Kopf. „Ich bin zwar bereit, vorsichtig zu sein, aber ich lehne es ab, zu glauben, dass ich ernsthaft in Gefahr schwebe. Jedenfalls nicht ernsthaft genug, um die Dienste eines Bodyguards in Anspruch zu nehmen.“

„Aber die Versicherung und die anderen Direktoren bestehen darauf, dass …“

„Zum Teufel, Matteo!“ Seine blauen Augen blitzten auf. „Wir wissen doch beide, dass der Mann bloß ein Dieb war. Ein … kleiner Mann, der in seiner Position als Chefbuchhalter unseren Trust um Millionen Lire betrogen hat, bevor ich ihm auf die Schliche kam. Richtig?“

„Ja, aber …“

„Ja … ja, ich weiß, dass es vermutlich er ist, der hinter diesen Drohungen steckt. Aber ich begreife einfach nicht, warum alle so ein Drama daraus machen …“

„Ich habe doch bereits erklärt, dass …“

„Oh, bitte! Giovanni mag ja ein mieser kleiner Gauner sein, der keinerlei Skrupel hatte, seine Firma zu bestehlen. Aber die Vorstellung, dass er plötzlich zu einem gefährlichen Killer mutiert sein soll, ist einfach absurd.“ Lorenzo ignorierte die Proteste des anderen Mannes, nahm seine Aktentasche und durchquerte mit raschen Schritten sein großzügig geschnittenes Büro in Richtung Tür, wobei der hochflorige, kostbare Teppich seine Schritte dämpfte. „Ich wage zum Beispiel zu bezweifeln, dass Giovanni überhaupt einen Revolver erkennt, wenn er einen vor sich hat, geschweige denn, dass er dazu fähig wäre abzudrücken. Es ist also kompletter Blödsinn, wegen eines solchen Clowns einen Bodyguard einzustellen.“

„Aber die Herren von der Versicherung bestehen darauf, dass Sie Vorkehrungen treffen müssen“, protestierte Matteo atemlos, nur mühsam Schritt haltend mit dem großen schlanken Mann, der jetzt den marmorgefliesten Korridor zu seinem persönlichen Fahrstuhl entlangeilte.

„Und wie lange soll ich mich mit diesem Bodyguard herumplagen – einen Monat? Sechs Monate? Ein Jahr?“

„Nun, äh, ich habe keine Ahnung“, räumte Matteo ein. „Ich nehme an, es könnte schon einige Zeit dauern.“

„Zu genau diesem Schluss bin ich auch gekommen“, sagte Lorenzo. Die Fahrstuhltüren glitten lautlos auseinander, und er betrat die mit Kristallspiegeln und Edelholz ausgeschlagene Kabine, gefolgt von Matteo. „Was mich betrifft, vergessen Sie’s! Ich denke gar nicht daran, auf unbestimmte Zeit mit einem muskelbepackten, hirnlosen Gorilla zusammenzuleben.“

Jetzt ist es natürlich zu spät, dachte Lorenzo grimmig. Viel zu spät, um zu bedauern, dass er nicht sofort die Polizei eingeschaltet hatte, als er erfuhr, dass es in der Buchhaltung der Firma ein ernsthaftes Problem gab. Anstatt rasch zu handeln, was eine Menge Zeit und Ärger gespart hätte, hatte er einem Anflug von Mitleid nachgegeben.

Nachdem er seinen Oberbuchhalter Giovanni Parini in sein Büro zitiert und zur Rede gestellt hatte, war der Mann vor seinen Augen zusammengebrochen – er hatte nicht nur seine Schuld gestanden, sondern tränenreich darüber lamentiert, was nun aus seiner Frau und seinen zahlreichen Kindern werden sollte. So hatte Lorenzo den Mann lediglich von seinen Sicherheitsleuten vor die Tür setzen lassen, anstatt ihn anzuzeigen.

Was war er bloß für ein Idiot gewesen! Schon bald darauf kam heraus, dass es keine Frau und schon gar keine zahlreichen Kinder gab. Giovanni, der mit seiner gut situierten alten Mutter zusammenlebte, war inzwischen getürmt. Aber nicht, ohne noch einen Brief zu hinterlassen, in dem er drohte, Lorenzo umzubringen – die Person, die dumm genug gewesen war, Milde walten zu lassen.

Geschieht dir ganz recht, schalt Lorenzo sich im Stillen. Wenn er den Kerl jetzt in die Finger bekäme, dann gnade ihm Gott!

Die Lifttüren öffneten sich, und beide Männer traten hinaus. Lorenzo stieß die Glastür auf, hinter der schon sein Chauffeur neben einer schwarzen Limousine auf ihn wartete.

„Der Versicherungsagent hat unmissverständlich durchblicken lassen, dass sie die Deckung platzen lassen, wenn Sie sich ihren Wünschen nicht fügen“, redete Matteo weiter mit Engelszungen auf Lorenzo ein.

Lorenzo blieb abrupt stehen und wirbelte herum. „Das ist ja lächerlich“, konterte er aufgebracht. „Die können doch nicht ernsthaft glauben, dass Giovanni in der Lage sei, meine Fußspuren durch ganz Europa zu verfolgen! Meine Pläne für die nächsten Wochen stehen ja noch nicht mal fest. Wie soll er da an Informationen über meine Geschäftsreisen in die Schweiz, nach Deutschland und Großbritannien kommen? Woher soll er wissen, an welchem Tag ich wo sein werden, wenn ich es noch nicht mal weiß?“

Matteo zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Die Versicherung traut es ihm jedenfalls zu, daran besteht kein Zweifel. Sie sind einfach zu wichtig für diese Firma, um ein Risiko einzugehen.“

Lorenzo stieß einen unterdrückten Fluch aus und warf einen raschen Blick auf seine goldene Armbanduhr. „Wenn ich mich nicht beeile, verpasse ich noch meinen Flug nach Zürich. Ich habe keine Zeit mehr, mich noch länger wegen dieses leidigen Themas mit Ihnen herumzustreiten“, stieß er verärgert hervor. Er reichte dem Chauffeur seine Aktentasche, bevor er in den Fond des Wagens stieg.

„Es tut mir leid …“ Matteo seufzte. „Glauben Sie mir, ich habe versucht, diese Versicherungsfritzen zur Vernunft zu bringen. Umsonst. Doch wenigstens haben sie es übernommen, sich um einen Bodyguard zu kümmern, der Sie in London erwartet. Und sie übernehmen auch alle Kosten.“

„Das will ich auch schwer hoffen!“, polterte Lorenzo. „Besonders wenn ich an die astronomischen Summen denke, die die Versicherung über all die Jahre an uns verdient hat. Straßenräuber, das sind die sauberen Herren!“ Er hatte Mühe, sein Temperament zu zügeln. „Eines ist denen hoffentlich klar“, schnaubte er, als er die Tür zuknallte und das Fenster herunterließ. „Wenn sie mir schon einen verdammten Bodyguard aufzwingen, dann will ich nur hoffen, dass sie mir auch den Besten besorgen!“

Mehr als sechshundert Kilometer vom mondänen Mailand entfernt lehnte Antonia Simpson sich seufzend in dem Beifahrersitz des von einem Chauffeur gesteuerten Rolls-Royce zurück.

Sehnsüchtig blickte sie in den strahlenden Sonnenschein hinaus. Eine leichte Brise ließ die Blätter an den Bäumen rascheln, die das Rollfeld säumten. Antonia ertappte sich bei dem Gedanken, dass es endlich Zeit sei, eine Pause einzulegen.

Es war schön und gut, sein eigener Chef zu sein. Und sie verdiente zweifellos auch eine Menge Geld. Doch der ständige Druck, immer und überall hellwach und sich jeder Gefahr bewusst zu sein, forderte seinen Tribut.

Was im Grunde lächerlich war, denn sie hatte während der vergangenen Jahre alle Aspekte ihres Jobs ausgiebig genossen – elf Jahre, in denen sie mehr Abenteuer erlebt hatte als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben.

Die meisten ihrer Freundinnen waren inzwischen längst verheiratet und hatten eine Familie gegründet. Und obwohl sie definitiv keinen Mann suchte – und das Kinderkriegen zog sie schon gar nicht in Betracht –, wurde sie sich immer häufiger eines Gefühls der Unzufriedenheit bewusst, ohne dass sie dieses genauer hätte definieren können.

Vermutlich brauchte sie einfach nur mal Urlaub. Sie war nicht der Typ, der sich beim stundenlangen Sonnenbaden am Strand erholte. Viel reizvoller fand sie die Idee, irgendwo hoch oben in den Bergen von Griechenland oder Italien eine Villa zu mieten.

Antonia malte sich gerade aus, wie herrlich es sein müsste, frische Bergluft zu atmen, als ein sanfter Ruck sie aus ihren Gedanken riss. Langsam und behutsam kam der Rolls-Royce zum Stehen.

„Reißen Sie sich doch bitte am Riemen, Harold. Sie müssen sich wirklich etwas mehr Mühe geben! Wie oft soll ich es denn noch wiederholen: Beim geringsten Anzeichen eines vorsätzlich errichteten Hindernisses sofort in die Eisen gehen!“

„Ist schon klar, Miss“, erwiderte der Chauffeur geknickt. „Irgendwie bringe ich es einfach nicht fertig, dem Wagen wehzutun.“

„Okay.“ Antonia seufzte genervt. „Ich weiß, es ist schwer, mit lebenslangen Gewohnheiten zu brechen. Aber wenn es darum geht zu entscheiden, den Wagen zu schonen oder dem Fahrgast das Leben zu retten, dann gibt es eigentlich keine Wahl, stimmt’s? Also, versuchen wir es noch einmal?“

Harold stieß einen schweren Seufzer aus. Ganz offensichtlich verabscheute er jede einzelne Minute des Kurses, der darauf angelegt war, Fahrer wohlhabender und einflussreicher Geschäftsleute zu trainieren, gefährliche Situationen zu meistern.

„Das war schon viel besser! Langsam kommen Sie dahinter“, lobte Antonia den Mann wenige Minuten später, als der große schwere Wagen abrupt zum Stehen kam, weil ein anderer Wagen die Fahrbahn blockierte. Dann raste er mit Höchstgeschwindigkeit im Rückwärtsgang über das Rollfeld.

„Jetzt lasse ich Sie ein bisschen allein üben.“ Antonia öffnete den Sicherheitsgurt. „Ich möchte, dass Sie die Übung so lange wiederholen, bis Sie instinktiv auf ein Problem reagieren, ohne vorher anhalten und nachdenken zu müssen. Anschließend wird einer meiner Assistenten Ihnen zeigen, wie man den Wagen auch noch auf einer ölverschmierten Fahrbahn beherrscht. Okay?“

Der Chauffeur nickte zuversichtlich. Antonia stieg aus und ging über die Wiese zu einem großen, baufälligen Gebäude auf der anderen Seite des stillgelegten Flugplatzes – ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg.

Wenn die Sonne scheint, ist England im Juni einfach perfekt, sagte sich Antonia, als sie den Schutzhelm abnahm und das schulterlange blonde Haar schüttelte. Die Luft war erfüllt vom Duft frisch gemähten Heus und vom fröhlichen Tschilpen der Vögel. Das gebieterische Summen ihres Handys zerstörte die friedliche Stimmung jedoch sofort.

Der Anrufer war James Riley, wie sie an der Nummer auf dem Display erkannte, ein ehemaliger Kollege, dem jetzt eine Top-Security-Firma gehörte. James konnte sehr überzeugend sein, doch Antonia war fest entschlossen, sich diesmal nicht zu einem seiner faulen Jobs überreden zu lassen.

Sie holte tief Luft und sprudelte los, ohne ihn überhaupt zu Wort kommen zu lassen. „Ich bin definitiv nicht daran interessiert, auf eine arabische Prinzessin aufzupassen. Deine letzte Klientin war eine neurotische Kaufsüchtige! Bond Street und Knightsbridge können mir dank dieser Irren bis an mein Lebensende gestohlen bleiben.“

„Schalt mal einen Gang runter, Tony!“, protestierte er. „Diesmal ist es etwas völlig anderes.“

„Ach, ja? Damit wir uns recht verstehen: Zum einen bin ich mit meiner eigenen Agentur im Moment total ausgelastet. Ich habe mehr Arbeit, als ich bewältigen kann. Also …“

„Hey, ganz ruhig. Du hast ja recht“, räumte er beschwichtigend ein. „Ich hätte dich nicht mit diesem Job belästigen sollen. Es war ein Fehler, okay? Ganz sicher nicht das Richtige für jemanden mit deiner Erfahrung und deinem Können. Schließlich bist du eine der Besten im Geschäft. Stimmt’s?“

„Uh, das hört sich aber verdächtig nach Süßholzraspeln an, James. Wenn du anfängst, mit Komplimenten um dich zu werfen, dann weiß ich, dass du einen lausigen Job für mich in der Hinterhand hast. Also, was ist es diesmal?“

„Du tust mir unrecht“, erwiderte er bedrückt. „Dabei biete ich dir einen wirklich gemütlichen, kinderleichten Job an. Du brauchst lediglich zehn Tage lang auf einen hochkarätigen Industriellen in einem Londoner Hotel aufzupassen. Absolut unspektakulär. Wie ich schon sagte, eine kinderleichte Sache. Und die Bezahlung ist mehr als fürstlich.“

„Und wo ist der Haken?“, fragte sie misstrauisch.

„Es gibt keinen“, versicherte er.

„Wenn es wirklich so leicht ist, wie du sagst, warum hast du dann mich angerufen?“

„Nun, um die Wahrheit zu sagen …“ James stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Ich hatte eigentlich Pete Davis für diesen Job vorgesehen. Aber dieser Dummkopf ist gestern Nacht auf dem Nachhauseweg tatsächlich am Steuer eingeschlafen. Jetzt liegt der Ärmste von Kopf bis Fuß eingegipst im Krankenhaus.“

„Also …?“

„So kurzfristig finde ich niemand Passenden mehr für diesen Auftrag“, gab James offen zu. „Mein Klient ist nicht identisch mit dem Schutzobjekt. Es ist eine Versicherungsgesellschaft. Er selbst nimmt die Drohungen gegen sein Leben nicht ernst, aber die Versicherer schon. Also, der Knabe braucht unbedingt dichten Personenschutz. Nebenbei, er ist Italiener und ganz und gar nicht scharf auf einen Bodyguard. Es muss also jemand sein, der sich möglichst nahtlos in sein Leben einfügt und nicht auffällt wie ein bunter Hund. Da kommst du ins Spiel. Meinen Informationen nach scheint er eine Art Schürzenjäger zu sein.“

„Nein, danke!“

„Nichts, womit du nicht fertig würdest“, beeilte James sich zu versichern. „Einfach nur eine Vorliebe für hübsche junge Damen … du weißt schon.“

„Unglücklicherweise ja“, konterte sie grimmig. „Okay, wie viel Kohle springt dabei raus?“

James nannte ihr eine Summe, die ihr lediglich ein müdes Lachen entlockte. „Vergiss es!“

„Komm schon, Tony. Mach mich nicht unglücklich.“

„Unglücklich, dich? Ich bin es doch, die sich mit einem Kerl herumschlagen soll, der einer Vorliebe für hübsche junge Damen frönt, wie du es so charmant ausgedrückt hast. Was, wenn mich meine bisherige Erfahrung nicht trügt, einen Haufen Ärger bedeutet. Wenn du mich also wirklich willst, musst du die Summe verdoppeln, alle Vorkehrungen treffen und ein Spezialistenteam für die Rund-um-die-Uhr-Überwachung besorgen. Sonst bin ich nicht interessiert.“

„Du bist ein harter Verhandlungspartner“, stöhnte er, bevor er widerstrebend ihre Forderungen akzeptierte.

Lorenzo stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er sich in der geräumigen Hotelsuite umsah. Nach einer Reihe anstrengender Geschäftstermine in Zürich und Bonn freute er sich auf einen erholsamen Aufenthalt in London.

Er fühlte sich müde und verschwitzt und schlüpfte erleichtert aus dem Jackett seines dunklen Anzugs. Dann lockerte er seine Krawatte. Das war schon viel besser. Bevor er unter die Dusche ging, wollte er noch in aller Ruhe einen Drink nehmen.

Glücklicherweise erwartete ihn hier in London nur ein einziger Geschäftstermin, was bedeutete, dass ihm eine Menge Zeit blieb, um alte Freunde zu treffen und seine Nichte zu besuchen, die zur Zeit an einem Englischkurs in Cambridge teilnahm.

Aber zu allererst, rief er sich grimmig in Erinnerung, musste er eine Lösung finden für diese lästige Angelegenheit mit dem Bodyguard. Die Versicherungsgesellschaft hatte ihre Drohung wahr gemacht und jemanden von einer Top-Security-Firma engagiert, der ihm hier in London Personenschutz geben sollte.

Er hatte den Fragebogen gesehen, mit dem diese Firma Informationen zu seiner Person erbat: Blutgruppe, Kopie des Ausweises, Anschrift des behandelnden Arztes – das mochte ja noch angehen. Dann aber kamen Fragen wie „Reist die zu schützende Person auch unter anderen Namen?“, „Hält die zu schützende Person Kontakt zu politischen Gruppierungen?“, „Waren schon einmal professionelle Killer auf die zu schützende Person angesetzt?“. Was glaubten die eigentlich, wer er war – James Bond mit Alzheimer?

Was für eine Farce, dachte er, während er an seinem Whisky nippte und bedrückt aus den deckenhohen Fenstern auf den regen Verkehr hinabsah. Wenn dieser verdammte Bodyguard … wie war doch gleich sein Name? Er nahm das Fax von „Worldwide Security Inc.“ zur Hand, das man ihm bei seiner Ankunft im Hotel überreicht hatte. Wenn dieser Kerl, Tony Simpson, sich einbildete, dass er, Lorenzo, bereit sei, sich Tag und Nacht beschatten zu lassen, dann war er aber gehörig auf dem Holzweg!

Lorenzo hatte während der vergangenen Tage ausgiebig darüber nachgedacht und auch eine so geniale wie einfache Lösung für sein Problem gefunden. Wenn die Versicherungsgesellschaft schon auf einem Bodyguard bestand, dann würde er dem Mann das Doppelte oder Dreifache seines Honorars bieten, damit er ihn in Ruhe ließ. Auf diese Weise dürften alle Parteien zufrieden gestellt sein.

Einige Zeit später – er hatte sich gegen eine heiße Dusche und für ein gemütliches Vollbad entschieden – blickte Lorenzo schon weit zuversichtlicher in die Zukunft. Nur die Geschichte mit dem Bodyguard entwickelte sich bei ihm langsam zur fixen Idee, erkannte er kleinlaut. Die Sache ist sicher nur halb so wild, sagte er sich, während er mit langen, sonnengebräunten Fingern seine dunkle Fliege band. Er beschloss, sich stattdessen auf den bevorstehenden Abend zu konzentrieren: eine Einladung alter Bekannter zu einer Gala-Aufführung der Verdi-Oper „Otello“.

Der Gedanke amüsierte ihn, dass er als Mailänder Hunderte von Kilometern reiste, um sich eine italienische Oper anzusehen. Dabei sollte er eigentlich kein Opernhaus neben der Scala gelten lassen.

Ein lautes Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Als er öffnete, fand er sich nicht wie erwartet einer Hotelangestellten, sondern einer hoch gewachsenen, schlanken jungen Frau mit kühlen grauen Augen gegenüber.

„Signor Foscari?“

„Sì“, erwiderte er, als ihm bewusst wurde, dass er es unzweifelhaft mit einer sehr englischen jungen Dame zu tun hatte. „Ja … ja, ich bin Lorenzo Foscari. Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte er sich höflich.

Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich dachte, dass eher ich etwas für Sie tun könnte.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Mein Name ist Antonia Simpson. Ich glaube, Sie erwarten mich.“

Verwirrt schüttelte er ihr die Hand. Woher kannte die Frau seinen Namen? Seine Verblüffung wuchs, als sie wie selbstverständlich eintrat und die Tür hinter sich schloss.

„Wirklich sehr komfortabel“, bemerkte sie, während sie sich anerkennend im Wohnzimmer mit den tiefen Sofas und den großen, bequemen Sesseln umsah. „Von hier aus haben Sie einen umwerfenden Blick auf Aspley House und Hyde Park Corner, nicht wahr?“ Sie trat an die großzügige Fensterfront und warf einen Blick hinaus.

„Ja, scheint so“, murmelte er. Er lehnte sich in den Türrahmen und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust, während er seinen ungebetenen Gast mit verhaltener Belustigung musterte.

Lorenzo war weit genug herumgekommen, um zu wissen, dass es gewisse Frauen gab, die in den Top-Hotels der Welt auf reiche Kundschaft aus waren und die sich dabei nicht gerade schüchtern anstellten. Doch seine Besucherin in diese Kategorie einzuordnen, verwarf er sogleich wieder. Dazu war sie viel zu erlesen und teuer gekleidet. Ihre ganze Erscheinung drückte vornehme Eleganz aus: die exquisite Handtasche, die ihr an einer zarten Goldkette über die Schulter hing, das hoch geschlossene ärmellose schwarze Cocktailkleid, das ihren schlanken, athletischen Körper umschmeichelte und die schlichten, blitzenden Diamantohrringe, halb verborgen unter dem klassisch geschnittenen schulterlangen blonden Haar.

Die Frau hatte Klasse … Was um alles in der Welt suchte sie also hier?

Antonia unterzog ihren neuen Klienten einer ebenso eingehenden Musterung. Er entsprach so gar nicht dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, und sie war dementsprechend überrascht. Der Mann sprach nahezu perfekt Englisch, nur ein klitzekleiner Akzent verriet seine Herkunft. Und er war so unerwartet groß … die meisten Italiener, die sie kannte, waren eher klein und untersetzt.

Aber am meisten beeindruckte sie seine männliche Ausstrahlung. Er war nicht im klassischen Sinn gut aussehend zu nennen, dazu hatte er zu hohe Wangenknochen und eine zu ausgeprägte Nase. Vielleicht hatte seine ungeheure Attraktivität etwas mit dem Lachen zu tun, das in seinen dunklen, von dichten Wimpern umrahmten Augen aufblitzte. Oder dem amüsierten Lächeln, das seine sinnlichen Lippen umspielte. Selbst hier, auf der anderen Seite des Zimmers, war sein herber, männlicher Sexappeal fast greifbar zu spüren.

Nie wieder würde sie diesem hinterhältigen Schuft James Riley auch nur ein Wort glauben! Es stand außer Frage, dass dieser Mann nur deshalb eine Schwäche für hübsche junge Ladys hatte, weil sich ihm diese zweifellos bereits an den Hals geworfen hatten, kaum dass er den Windeln entwachsen war.

Wie auch immer, der Blick, mit dem Lorenzo Foscari sie musterte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Und zwar in erster Linie deshalb, weil er sie verunsicherte.

„Es ist unbestreitbar ein großes Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen“, bemerkte er gedehnt. „Nichtsdestotrotz würde ich es begrüßen, wenn Sie mir verraten, was Sie hierher geführt hat.“

Sie sah ihn einen Moment lang entgeistert an, bevor sie kurz den Kopf schüttelte und missbilligend mit der Zunge schnalzte. Sie trat zu ihm und reichte ihm ihre Karte. „Es tut mir leid, anscheinend gibt es hier wohl ein kleines Durcheinander. Ich war davon ausgegangen, dass die Agentur Sie von meinem Kommen verständigt.“

„Die Agentur?“

„James Riley von ‚Worldwide Security‘ arbeitet normalerweise sehr effizient“, versicherte sie dem verwirrt dreinblickenden Lorenzo. „Kein Grund zur Sorge“, meinte sie mit einem raschen Blick auf ihre zierliche goldene Uhr. „Ich habe mich persönlich um alles gekümmert. Wenn Sie also jetzt fertig sind …“ Sie heftete den Blick auf sein schwarzes Dinnerjacket, das über einer Stuhllehne hing. „Der Chauffeur wartet am Hintereingang, und …“

„Einen Moment mal!“, protestierte Lorenzo. Seine gute Laune war wie weggeblasen, als er den Namen auf der Visitenkarte las. „Hier liegt offenbar ein Missverständnis vor!“

„Ein Missverständnis?“ Antonia runzelte die Stirn. „Aber auf dem mir vorliegenden Zeitplan ist für heute Abend ein Besuch in der Albert Hall vorgesehen …“

Ich weiß, wo ich heute hin will!“, fuhr er sie verärgert an. „Mir macht vielmehr Sorgen, was Sie glauben, hier zu suchen zu haben!“

„Bedaure, Signor Foscari. Es scheint da wirklich ein Kommunikationsproblem zwischen ‚Worldwide Security‘ und Ihnen gegeben zu haben“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. Sie gab sich alle Mühe, die Situation zu entschärfen. „Um es auf den Punkt zu bringen, man hat mich als Ihren Bodyguard engagiert.“

„Unsinn!“

„Und ich werde meinen Auftrag während Ihres Aufenthaltes hier in Großbritannien nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen“, fuhr sie ruhig fort.

„Aber … aber ich habe einen Mann erwartet! Einen Mr. Tony Simpson! Ganz bestimmt keine Miss Antonia Simpson. Um Himmels willen – das ist ja einfach lächerlich!“, ereiferte er sich. „Man kann wohl kaum von mir erwarten, mich von einer Frau beschützen zu lassen!“

Womit wir mal wieder beim Thema wären! durchfuhr es Antonia in grimmiger Resignation. Genau dieses dumme frauenfeindliche Vorurteil hatte sie veranlasst, ihre eigene Agentur zu gründen.

Ihr war klar, dass sie die Situation so schnell wie möglich in die Hand bekommen musste. Es wurde allmählich spät, und sie liefen Gefahr, ihre sorgfältig ausgefeilten Arrangements durcheinander zu bringen.

„Wie clever von Ihnen, zu bemerken, dass ich eine Frau bin“, sagte sie mit einem entwaffnenden Lächeln. Sie griff nach dem Dinnerjacket und hielt es ihm hin. „Die Zeit rennt. Wenn Sie das also bitte anziehen möchten …“

„Wagen Sie es ja nicht, mich herumzukommandieren!“, brauste Lorenzo auf. In seinen Augen sah sie ein gefährliches Funkeln, und er stieß einen leisen Fluch aus, der wohl in erster Linie auf ihn selbst gemünzt war. Er war ohne nachzudenken tatsächlich brav in die Ärmel des Jacketts geschlüpft.

„Ich möchte klarstellen, dass ich ganz und gar nicht gewillt bin …“

„Natürlich nicht“, murmelte sie geduldig. Antonia kannte diese Ausbrüche zur Genüge, um zu wissen, dass sie nichts weiter waren als ein Produkt jener Mischung aus Angst und verletztem Stolz, die den meisten Leuten zusetzte, deren Leben plötzlich bedroht war.

Mit sanftem Nachdruck schob sie ihn zur Tür. „Wir müssen uns jetzt wirklich beeilen.“

„Santo cielo …“, explodierte er und wirbelte herum. „Ich gehe nirgends hin. Und schon gar nicht mit Ihnen. Capisce?“

Antonia maß ihn mit einem kühlen Blick. „Oh, natürlich. Ich verstehe – laut und deutlich!“

Daran gewöhnt, mit schwierigen Klienten umzugehen, war ihr bewusst, dass sie – zumindest im Moment noch – die Oberhand hatte. Dieser Mann entpuppte sich jedoch nicht nur als schwierig, sondern auch als unberechenbar. Es hatte also keinen Zweck, es auf die harte Tour zu versuchen. Sie musste das Problem auf subtile Art angehen.

„Ehrlich gesagt; Signor Foscari, bin ich kein großer Opern-Fan“, gestand sie achselzuckend. „Wenn es Ihnen also nichts ausmacht; ihre Freunde zu versetzen, ist das okay für mich. Mir ist es nur recht, einen ruhigen Abend hier im Hotel zu verbringen. Es liegt ganz bei Ihnen.“

Lorenzo blickte mit verhaltener Wut auf die Frau hinab, die ihn buchstäblich in die Ecke gedrängt hatte. Natürlich konnte er seine Freunde nicht versetzen! Schon gar nicht im letzten Moment und ohne abzusagen.

„Nun gut“, brummte er. „Anscheinend bleibt mir keine andere Wahl. Aber ich versichere Ihnen, dass ich diese absurde Situation als Allererstes morgen früh mit Ihrem Vorgesetzten kläre!“

„In Ordnung.“ Sie glitt an ihm vorbei und öffnete die Tür. Mit einem knappen Nicken bedeutete sie dem Mann, den sie vor Lorenzos Suite positioniert hatte, den Chauffeur zu verständigen, dass sie jetzt das Hotel verlassen wollten.

Der Mann sprach in das schwarze Funkgerät und hielt Lorenzo die Tür auf.

„Bitte, Signor Foscari.“

„Danke, Miss Simpson“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er betrachtete Antonia mit unverhohlenem Abscheu, als er ihr widerstrebend den Flur entlang folgte.

2. KAPITEL

„Es tut mir leid. Das ist nicht gerade der ansprechendste Teil des Hotels, aber …“

„Sie haben vollkommen recht – das ist es ganz gewiss nicht!“, erwiderte Lorenzo barsch. Starr vor Abscheu blickte er auf die überquellenden Mülleimer, die die schmale Straße am Hintereingang säumten.

„Okay, wir haben Sie gleich raus hier“, versicherte Antonia ihm, als die schwarze Stretch-Limousine neben ihnen vorfuhr. „Wenn Sie bitte einsteigen wollen?“ Sie öffnete Lorenzo den Schlag, achtete aber sorgfältig darauf, jeglichen direkten Augenkontakt mit ihm zu vermeiden.

„Mir ist weder diese Limousine noch ihr Fahrer bekannt“, meinte er anklagend. „Wer hat Ihnen gestattet, diesbezüglich neue Arrangements zu treffen?“

Antonia ermahnte sich, ruhig zu bleiben, obwohl sie dem arroganten Kerl am liebsten einen Tritt gegen das Schienbein versetzt hätte. „Das ist eine reine Routinemaßnahme beim Personenschutz und dient einzig und allein Ihrer Sicherheit“, entgegnete sie so neutral wie möglich.

„Meiner Sicherheit?“ Lorenzo schnaubte verächtlich. „Ich war absolut sicher, bevor Sie hier aufgetaucht sind und dieser … dieser Gorilla!“ Er warf einen wütenden Blick auf den muskelbepackten Mann hinter sich. Zu allem Überfluss reagierte der Mann auf Lorenzos Beleidigung auch noch mit einem fröhlichen Grinsen.

„Ich versichere Ihnen, dass Martin ein sehr erfahrener, perfekt ausgebildeter Mitarbeiter ist. Und über den neuen Chauffeur brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Er ist mit allen Aspekten des Personenschutzes vertraut, und im Notfall würde er sofort …“

Lorenzos sarkastisches Lachen schnitt ihr das Wort ab. „Ersparen Sie mir Ihre Werbesprüche, Miss Simpson!“, fuhr er ihr ins Wort. Er funkelte sie wütend an, zuckte schließlich mit den Schultern und setzte sich in den Wagen.

Antonia stieß einen hörbaren Seufzer der Erleichterung aus. Sie gab es nur ungern zu, aber einen kurzen Moment lang war sie wirklich nervös geworden. Was natürlich völlig lächerlich war. Schließlich war sie es gewohnt, mit weitaus härteren Typen als Lorenzo Foscari umzugehen.

Sie wartete, bis Martin neben dem Fahrer Platz genommen hatte, bevor sie sich zu Lorenzo in den Fond setzte. Sie nahm ihr Sprechfunkgerät aus der Handtasche und informierte den Fahrer des Ersatzfahrzeugs, das um die Ecke geparkt war, dass sie jetzt losfahren würden. Voll und ganz darauf konzentriert, ihre Checkliste durchzugehen, registrierte sie nur am Rande, dass ihr Schutzbefohlener bemerkenswert ruhig blieb.

Hoffentlich hält das noch ein bisschen an, flehte sie im Stillen, während sie dem hoch gewachsenen Mann neben sich einen raschen Seitenblick zuwarf: Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne zauberten einen rosigen Schimmer auf die sonnengebräunte Haut seines markanten Profils. Er hatte den Blick starr geradeaus gerichtet und schien tief in Gedanken versunken. Seine undurchdringliche Miene ließ nicht erkennen, woran er gerade dachte. Antonia konnte bloß hoffen, dass er sich allmählich beruhigte und die Situation ein wenig nüchterner betrachtete. Doch bei ihrem Glück war es genauso gut möglich, dass er kurz vor der Explosion stand.

Sie lauschte dem scharfen Krächzen, das aus ihrem Funkgerät drang.

„Das ist zwar lästig, aber nicht zu ändern“, sagte sie in die Sprechmuschel. „Ich schlage vor, Sie biegen bei der nächsten Gelegenheit rechts ab, und wir nehmen den Weg durch den Park, okay?“ Sie wartete, bis ihre Anweisungen bestätigt wurden, und wandte sich dann an Lorenzo.

„Da vorne scheint es einen Verkehrsstau zu geben“, informierte sie ihn. „Deshalb machen wir einen kleinen Umweg durch den Hyde Park.“

„Ich komme dadurch doch hoffentlich nicht zu spät in die Albert Hall?“, wollte er wissen.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, erleichtert, festzustellen, dass ihr Klient sich offenbar ein wenig gefangen hatte. „Wir sollten noch früh genug ankommen, um einen Drink mit Ihren Freunden zu nehmen, bevor die Vorstellung beginnt.“

„Das freut mich zu hören.“ Er bedachte Antonia mit einem überraschend freundlichen Lächeln. Dann fiel sein Blick auf das Funkgerät in ihrer Hand.

„Ich verstehe zwar, warum Sie in ständigem Funkkontakt mit dem Wagen vor uns stehen müssen. Aber ich begreife nicht, dass Sie nicht einfach die Trennscheibe öffnen, wenn Sie dem Chauffeur etwas mitteilen möchten.“

„Wenn Sie im Fond einen Bodyguard neben sich haben, bleibt die Trennscheibe immer geschlossen“, erklärte sie. „Sie besteht aus kugelsicherem Glas – wie alle anderen Fenster in diesem Wagen auch. Falls also dem Fahrer irgendetwas passiert …“

„Wie zum Beispiel erschossen zu werden?“

„Nun, irgendwas in der Art“, räumte sie ein, fügte aber rasch hinzu: „Obwohl das wirklich sehr unwahrscheinlich ist. Ich meine, Sie brauchen sich über solche Details wirklich nicht den Kopf zu zerbrechen.“

„Oh, ich zerbreche mir ganz und gar nicht den Kopf, Miss Simpson“, erwiderte er gelassen und schenkte ihr ein charmantes Lächeln. „Um die Wahrheit zu sagen, ich habe diese so genannte Bedrohung meines Lebens von Anfang an für kompletten Unsinn gehalten.“

„Wenn jemand sich erst mal dazu hinreißen lässt, einen anderen Menschen zu bedrohen, besteht immer das Risiko, dass er diese Drohungen auch in die Tat umsetzt.“ Leicht irritiert stellte sie fest, dass sie dem plötzlichen Charme des gut aussehenden Mannes neben sich bereits zu erliegen begann. Ganz zu schweigen von dem hinreißend sexy klingenden italienischen Akzent, der einen sonderbaren Einfluss auf ihr gesamtes Nervensystem ausübte.

„Sie haben vermutlich ganz recht“, erwiderte er seufzend. „Ehrlich gesagt …“, er zögerte, „… mir wird jetzt erst klar, wie unhöflich ich mich vorhin im Hotel benommen habe. Diese viele Fliegerei … das macht mich völlig kaputt. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Nun, ja …“

„Ich hoffe also inständig, liebe Miss Simpson, dass Sie mir mein mangelhaftes Benehmen vorhin verzeihen werden.“

Puuh! Das nennt man Kehrtwendung! Sie spürte, wie sein warmes, beinahe vertrauliches Lächeln sie zum Schmelzen brachte.

Na gut! Eins war jetzt jedenfalls klar: Der Typ hatte nicht nur beschlossen, vernünftig zu werden – er startete sogar eine hochkarätige Charme-Offensive! Und gemessen an ihrem beschleunigten Puls erwies sich dieser Waffeneinsatz als äußerst effektiv.

„Ich verstehe schon. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, räumte sie ein und zwang sich, sich zusammenzureißen.

Was ihr überraschend schwer fiel. Besonders da ihr Verstand aus irgendeinem Grund nicht mehr richtig zu funktionieren schien. Aber vielleicht lag das auch an der prickelnden Atmosphäre, die plötzlich im Fond des Wagens herrschte.

Bemüht, die große, dunkle Gestalt neben sich zu ignorieren, versuchte Antonia dahinter zu kommen, was Lorenzo im Schilde führte. Sie wurde unsanft aus ihren Gedanken gerissen, als der Fahrer des Wagens vor ihnen abrupt bremste. Sie beugte sich vor und registrierte, dass sein Fortkommen durch eine Gruppe von Jugendlichen auf Roller-Blades behindert wurde.

Mit raschem Blick scannte sie die Umgebung. Sie entdeckte nur ein paar flirtende Pärchen auf dem Rasen und auf den Bänken. Rasch hob sie das Funkgerät an die Lippen. „Nur die Ruhe … die Kids amüsieren sich bloß ein bisschen. Ignorier sie einfach … das Spielchen wird ihnen bald langweilig, und dann lassen sie uns in Ruhe.“

Ihre Einschätzung der Situation erwies sich als richtig. Schon bald zerstreute sich die junge Bande und machte sich auf die Suche nach neuen Opfern.

Lorenzo lehnte sich entspannt in seinen weichen Ledersitz zurück und betrachtete abschätzend die junge Frau neben sich. Sie ist definitiv nicht mein Typ, sagte er sich energisch. Überhebliche, dominante Frauen, die sich mit Männern auf die gleiche Stufe stellten, hatte er noch nie besonders attraktiv gefunden. Fast ohne Ausnahme waren seine Freundinnen dunkel und zierlich gewesen. Und keine Einzige hatte je versucht, ihn herumzukommandieren.

Andererseits, wenn er nicht so verärgert über sie wäre, war er fast bereit zuzugeben, dass Antonia Simpson durchaus eine höchst attraktive Frau war. Er ließ den Blick über ihre festen kleinen Brüste gleiten und nahm dann die langen, schlanken schwarzbestrumpften Beine in Augenschein, die unter dem kurzen Rocksaum bestens zur Geltung kamen.

Ohne genau zu wissen warum, beschloss Lorenzo unvermittelt, seine Taktik noch einmal über den Haufen zu werfen. Mit Charme und Schmeicheleien kam man bei dieser Sorte Frau nicht weiter. Und auch sein Bestechungsversuch während der Fahrt im Hotelfahrstuhl war nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Auf seinen Vorschlag hin, ihr das Doppelte ihres Gehalts zu zahlen, wenn sie ihn in Ruhe ließ, hatte sie ihn kalt lächelnd abblitzen lassen. „Entspannen Sie sich, Signor Foscari! Glauben Sie mir, ich weiß Ihren italienischen Charme wirklich zu schätzen. Aber es ist reine Zeitverschwendung, mir den Job auszureden, für den ich angeheuert wurde. Und Sie können mir so viel Geld anbieten, wie Sie wollen. Ich habe einen Vertrag mit Ihrer Versicherungsgesellschaft. Und solange die mich nicht rausschmeißen, fürchte ich, dass wir zwei Hübschen es noch ein Weilchen miteinander aushalten müssen. Capisce?“

Vermutlich hab ich diesen letzten, verbalen Schlag ins Gesicht verdient, sagte sich Lorenzo grimmig. Sie war ein beeindruckender Gegner, das musste er zugeben.

Wie auch immer, die Situation, der er sich ausgeliefert sah, war einfach unannehmbar. Er musste sich etwas einfallen lassen, um diese Frau in ihre Schranken zu weisen.

Kurze Zeit später kam die Limousine vor der Albert Hall zum Stehen. „Und jetzt?“, zischte Lorenzo. „Wie beabsichtigen Sie, den Abend zu verbringen? Es macht vermutlich nicht besonders Spaß, drei Stunden lang vor meiner Loge Wache zu schieben.“

„Man bezahlt mir nicht einen Haufen Geld, um Spaß zu haben“, konterte sie kühl. Sie öffnete die Wagentür, und in Windeseile eskortierten sie und Martin Lorenzo in die imposante Eingangshalle.

„Hallo! Wir haben uns schon gefragt, ob du überhaupt noch auftauchst“, rief Giles Harding aus und bahnte sich seinen Weg durch die Menge.

„Du hast einfach kein Vertrauen zu mir“, mokierte sich Lorenzo und begrüßte seinen alten Freund und dessen Frau Susie.

„Aha! Du Glückspilz! Ich hätte mir ja denken können, dass du mit einer umwerfenden Freundin im Schlepptau hier auftauchst“, grinste Giles mit einem anerkennenden Blick auf die kühle Schöne hinter Lorenzo. „Nett, Sie kennen zu lernen.“ Strahlend nahm er ihren Arm, bevor Lorenzo Gelegenheit hatte zu erklären, dass Miss Simpson ganz entschieden nicht seine Freundin war.

„Mit den Plätzen gibt es kein Problem, zwei unserer Bekannten haben in letzter Minute abgesagt“, fügte Giles hinzu und stellte Antonia seine Frau vor.

Lorenzo musste sich eingestehen, dass er die Situation erst mal so hinnehmen musste. Denn er hatte entschieden keine Lust, lang und breit zu erklären, warum er einen Leibwächter brauchte, und dazu auch noch eine Frau.

Überrascht, sich plötzlich als Lorenzos Freundin vorgestellt zu sehen, warf Antonia ihm einen Blick zu, der ihr Einverständnis signalisieren sollte, die Scharade noch eine Zeit lang fortzusetzen. In ihrem Job war sie häufig mal gezwungen, in eine andere Rolle zu schlüpfen – die der hingebungsvollen Gattin oder der liebenden Verlobten –, besonders wenn sie undercover arbeitete. Lorenzos Verlobte zu spielen, erschien ihr deswegen nicht übermäßig schwer.

Und vielleicht … hätte er wenigstens den leisesten Versuch unternommen, seine Rolle zu spielen, dann hätte sie vielleicht nicht die Geduld mit dem Schuft verloren. Doch kaum hatte er klargemacht, dass Antonia seine neueste Eroberung war, ignorierte er sie völlig, indem er ihr den Rücken zukehrte und mit Giles und dessen Bekannten schwatzte, als hätte er nie von ihrer Existenz gehört.

Antonia hatte für diesen Abend schon genug einstecken müssen. Allmählich reichte es ihr. Als das Schrillen der Glocke anzeigte, dass die Vorstellung in wenigen Minuten begann, hakte sie sich gewandt bei Lorenzo unter. „Darling! Du willst mich doch nicht etwa hier zurücklassen, oder?“, zwitscherte sie und bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln.

Zufrieden registrierte sie, dass ihre Nähe nicht ohne Wirkung blieb: Er wirkte auf einmal sehr angespannt, und ein Ausdruck blanken Entsetzens huschte über seine Züge. Lächelnd wandte sie sich an die Hardings. „Ich bin so glücklich, dass Lorenzo mich heute Abend mitgenommen hat. Ich will diese Oper schon seit Ewigkeiten sehen. Welch ein Vergnügen!“ Sie bedachte Lorenzo mit einem glücklichen Lächeln und verstärkte den Griff um seinen Arm, während sie die Loge der Hardings betraten.

Sie musterte die plüschig rote Ausstattung, die vermutlich noch aus der Zeit Queen Victorias stammte, und machte mit geübtem Blick sogleich den richtigen Platz für Lorenzo aus. Antonia ließ seinen Arm los und zog beiläufig einen der Stühle in eine Position, die Lorenzo vor einem möglichen Attentat aus dem Publikum abschirmte. Und trotzdem gewährte der Platz eine gute Aussicht auf die Bühne unter ihnen.

„Setz dich doch hierher, Darling“, drängte sie mit einem liebreizenden Lächeln.

„Nein, vielen Dank“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. Es machte ihn schier wahnsinnig, dass er den Hardings zuliebe ein freundliches Lächeln beibehalten musste. „Ich bin sicher, eine der Ladys würde hier gern …“

„Sei nicht albern, Darling. Ich bestehe darauf, dass du hier sitzt“, wiederholte sie mit Nachdruck, immer noch mit einem süßen Lächeln auf den Lippen.

„Scheren Sie sich zum Teufel“, zischte er ihr zu, während er widerstrebend Platz nahm.

„Nur wenn du vorangehst, Süßer“, flötete sie und setzte sich direkt hinter ihn.

In der Pause servierte Susie Harding eine kleine, delikate Stärkung, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Antonia ging ihr zur Hand, froh, sich für die freundliche Einladung der Hardings erkenntlich zeigen zu können.

„Nur etwas ganz Simples“, erklärte Susie, während sie verschiedene Platten aus dem Picknickkorb zu Tage förderte. „Champagner, Sandwiches mit Räucherlachs und Erdbeeren mit Sahne.“

„Das hört sich absolut delikat an – und ganz und gar nicht simpel!“, protestierte Antonia lachend.

„Also … ich wollte sagen, es hat überhaupt keine Arbeit gemacht“, räumte Susie augenzwinkernd ein. Sie reichte den Champagner an ihren Mann weiter mit der brüsken Anweisung, auch ja darauf zu achten, dass jeder genug zu trinken bekam.

„Also, schießen Sie los.“ Sie schüttete die Erdbeeren in eine große Schüssel. „Kennen Sie Lorenzo schon lange?“

„Nein. Äh, wir sind uns erst kürzlich begegnet.“

„Giles und er sind zusammen zur Schule gegangen. Er ist also einer unserer ältesten Freunde“, erklärte Susie. „Er ist umwerfend, stimmt’s? So attraktiv und charmant … und so reich! Eine absolut tödliche Kombination!“

Ob das wohl eine versteckte Warnung sein sollte? Antonia wollte ihrer Gastgeberin gerade versichern, dass Lorenzo und sie ganz sicher keine feste Beziehung im Auge hätten, als Susie rasch den Kopf schüttelte.

„Oh, nein – verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Giles und ich freuen uns wirklich sehr, dass Lorenzo Sie heute Abend mitgebracht hat.“ Sie platzierte die Sandwiches auf kleinen Tellern, um diese unter ihren Gästen zu verteilen. „Es wird höchste Zeit für ihn, das Leben auf der Überholspur aufzugeben und sich mit einer netten jungen Frau häuslich niederzulassen – und natürlich auch mit vielen süßen Bambini!“, fügte Susie lachend hinzu. „Wenn er dieses schreckliche Weib, diese Gina Lombardi, endlich abserviert hat, dann umso besser. Ich finde, Sie und Lorenzo passen wunderbar zusammen!“

Das wird ja immer besser, dachte Antonia verzweifelt. Sie bedachte die ältere Frau mit einem unverbindlichen Lächeln. Giles und Susie waren wirklich sehr nett, und Antonia hatte ein schlechtes Gewissen, ihnen diese Liebes-Scharade aufzutischen.

„Um die Wahrheit zu sagen, Susie, was Lorenzo und mich betrifft …“ Sie suchte nach den passenden Worten. „Also, Tatsache ist …“

„Tatsache ist, dass wir ganz verrückt gegeneinander sind!“, beendete Lorenzo ihren Satz mit einem boshaften Glitzern in den Augen und einem strahlenden Lächeln auf den Lippen.

„Das seid ihr hundertprozentig nicht“, kicherte Susie. „Es heißt verrückt nacheinander, nicht gegeneinander.“

Antonia überlegte einen Moment lang, ob Lorenzo wirklich nur ein Fehler in der Wortwahl unterlaufen war, als er ihr auch schon den Arm um die Taille und sie zu sich zog. „Dann eben nacheinander. Hauptsache wir sind verrückt, nicht wahr, Süße?“

Verrückt, das ist genau der richtige Ausdruck, dachte sie aufgebracht und überlegte angestrengt, wie er sich nur so an sie hatte heranschleichen können. Gerade ihr dürften solche unliebsamen Überraschungen eigentlich nicht passieren. Dummerweise hatte sie keine Möglichkeit, sich aus der Umarmung zu lösen, ohne eine Szene zu provozieren.

„Ich bin so froh, dass Antonia sich um mich kümmert. Wir führen eine sehr innige Beziehung“, wandte sich Lorenzo an seine Gastgeberin. „Mmm … Erdbeeren! Wie lecker! Das sind meine Lieblingsfrüchte.“ Er streckte die Hand aus und wählte eine besonders große, saftige Beere. „Du magst sie doch auch, nicht?“ Er lächelte so zärtlich und fürsorglich auf die junge Frau herab, die dank seines festen Griffs förmlich an seiner Seite klebte, dass Susie unwillkürlich einen neiderfüllten Seufzer ausstieß.

„Ja“, erwiderte Antonia, noch immer ziemlich verblüfft, wie rasch Lorenzo in die Rolle des heißblütigen Liebhabers geschlüpft war. Besonders, da sie sich des eiskalten Blicks, den er anscheinend nur für sie reserviert hatte, nur zu bewusst war.

„Aber egal, ich wollte Susie gerade erzählen, dass … Whaa-aa …“, keuchte sie, als Lorenzo ihr geschickt die ganze Erdbeere in den halb geöffneten Mund stopfte.

„Mmm … ja, die sind wirklich lecker!“ Seine Lippen umspielte ein ironisches Lächeln, während er fasziniert beobachtete, wie Antonias Wangen sich im Kampf mit der saftigen Frucht blähten.

„Möchtest du noch mehr, Darling?“, fragte er fürsorglich, während er Anstalten machte, eine weitere besonders große Erdbeere auszusuchen.

„Nein!“, nuschelte Antonia hilflos und schüttelte heftig den Kopf.

„Ist sie nicht hinreißend?“, rief Lorenzo aus, als Antonia die Erdbeere endlich hinunterwürgte. Unter Susies wohlwollenden Blicken beugte er sich vor, als wolle er Antonia küssen.

Diese drehte instinktiv das Gesicht zur Seite, bevor ihr aufging, dass er nie die Absicht gehabt hatte, sie zu küssen. Weit gefehlt.

Er presste die Lippen gegen ihr Ohr und zischte: „Lassen Sie sich das eine Lehre sein, Süße! Versuchen Sie ja nie wieder, mir ins Handwerk zu pfuschen, oder es wird Ihnen sehr leid tun! Okay?“

Er wartete, bis sie kaum merklich nickte, bevor er sie endlich freigab und sich zu Giles Harding gesellte.

„Sie sind wirklich ein Glückspilz!“, seufzte Susie. Sie wandte sich ab, um die Teller mit den Sandwiches unter ihren Gästen zu verteilen.

Ach, wirklich? grollte Antonia, den Blick voll unterdrückter Wut auf Lorenzo gerichtet, der sich soeben köstlich über etwas amüsierte, was Giles ihm erzählte. Sie würde es diesem arroganten Kerl schon noch heimzahlen, das schwor sie sich.

Die Fahrt zurück ins Hotel verlief schweigend. Was in erster Linie daran lag, dass Antonias Zorn noch immer nicht verraucht war. Ein rascher Seitenblick zeigte ihr, dass Lorenzo im Gegensatz zu ihr in äußerst gelöster Stimmung zu sein schien. Gut gelaunt summte er eine Opernmelodie vor sich hin, während er interessiert die zahlreichen Juweliergeschäfte betrachtete, die sie passierten.

Nachdem der Wagen am Hintereingang des Hotels vorgefahren war und Antonia die Arrangements für die Nachtschicht getroffen hatte, begleitete sie Lorenzo über die Hintertreppe zu seiner Suite hinauf.

Beruhig dich endlich, ermahnte sie sich. Wenn Lorenzo Foscari Lust auf alberne Spielchen hatte, war das seine Sache. Sie für ihren Teil durfte ihre Professionalität nicht für eine Sekunde aufgeben.

„Tja, das war wirklich ein sehr interessanter Abend“, bemerkte er, als sie gemeinsam die Suite betraten. „Kann ich Ihnen einen Drink mixen?“ Er ging über den dicken Teppich zur holzverkleideten Bar.

„Nein, danke. Ich trinke nie im Dienst.“

„Ah, ja. Ich habe gerade über Ihre Pflichten als meine Leibwächterin nachgedacht“, er schenkte sich einen Whiskey ein und bedachte Antonia mit einem breiten Lächeln, „und ich bin zu zwei interessanten Schlussfolgerungen gekommen.“

„Und die wären?“ Vorsicht war geboten. Wenn Lorenzo seinen Charme spielen ließ, hatte er meist etwas Niederträchtiges im Sinn, so viel wusste sie inzwischen.

„Wir wissen ja beide, wie begeistert ich darüber war, mir einen Bodyguard aufzwingen zu lassen. Noch dazu einen weiblichen. Ich habe nichts gegen Frauen, aber …“

„Nein, wirklich? Darauf wäre ich nie gekommen.“

Ohne ihren Einwand zu beachten, fuhr er fort: „Ich habe nur einige … äh … Komplikationen befürchtet, was dieses Arrangement betrifft. Aber nach gründlicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gelangt, dass diese angeblichen Komplikationen in Wirklichkeit von Vorteil sind.“

„Tut mir leid – ich habe keinen Schimmer, was Sie meinen.“

„Ich meine die Tatsache, dass Sie als mein Bodyguard mit dem dichten und persönlichen Schutz meines Körpers betraut sind“, erwiderte er genüsslich. Er trat zu ihr.

„Also?“

„Wenn ich richtig verstanden habe, sind Sie verpflichtet, meinen Leib vierundzwanzig Stunden am Tag zu beschützen.“

„Ja, theoretisch schon. Aber …“

„Sehen Sie!“ Er bedachte sie mit einem listigen Grinsen. „Es wäre doch regelrecht ungehobelt, es abzulehnen, Ihnen auch nachts die Gelegenheit zum dichten Personenschutz zu geben.“

Sie sah ihn einen Moment lang verblüfft an, bevor sie den Sinn seiner Worte begriff. „Sie machen wohl Witze!“, lachte sie.

„Aber ganz und gar nicht.“ Seine Augen blitzten. „Tatsächlich freue ich mich schon auf die Aussicht, die Nacht mit Ihnen zu verbringen. Verraten Sie mir, auf welcher Seite des Betts Sie am liebsten schlafen?“

„Das ist ja lächerlich!“, höhnte sie. Sie war sich beinahe sicher, dass er sie für dumm verkaufen wollte. Dennoch, Sie würde ihm gleich etwas erzählen über das Verhältnis von Bodyguard und Klient! Was bildete er sich ein, wer sie war? Eine Art Mata Hari?

„Ihre Versicherungsgesellschaft hat mich als Ihren persönlichen Leibwächter engagiert“, erklärte sie bestimmt. „Und ja, ich bin dafür verantwortlich, dass Sie rund um die Uhr geschützt werden. Aber …“

„Wunderbar!“, rief er freudestrahlend aus. „Ich trage allerdings keinen Pyjama. Aber Sie als Profi besitzen sicher einen ganze Kollektion von sexy Nachtkleidern.“

„Also, jetzt halten Sie mal die Luft an! Können Sie nicht einmal richtig zuhören, was ich sage?“ Sie war fest entschlossen, sich von seiner imposanten Erscheinung nicht beeindrucken zu lassen. „Glauben Sie mir, ich habe absolut nicht vor, die Nacht hier in Ihrer Suite zu verbringen.“

„Wie? Wollen Sie sich etwa vor Ihrer Pflicht drücken?“, fragte er in gespielter Entrüstung. „Wie schändlich! Diese Pflichtverletzung werde ich leider an Ihre Vorgesetzten berichten müssen.“

„Haha! Sehr witzig!“, konterte sie. „Bitte, überzeugen Sie sich selbst. Sie werden feststellen, dass draußen im Flur eine Leibwache postiert ist. Zusammen mit einem Kollegen stellt er sicher, dass Sie heute Nacht garantiert nicht belästigt werden.“

„Und Sie?“

„Ich bin in der Suite nebenan – mit sorgfältig verschlossener Tür! Wie Sie auch nur auf die Idee kommen, dass ich mit Ihnen das Bett teilen möchte, ist mir ein Rätsel!“, erklärte sie mit einem schrillen Lachen. „Sie mögen sich ja für unwiderstehlich halten. Aber, ehrlich gesagt, so nötig habe ich es nun auch wieder nicht, Süßer!“

Er machte einen Schritt auf sie zu. Seine Miene war plötzlich düster und bedrohlich. „Hüten Sie Ihre Zunge, Antonia! Wie Sie unschwer erkannt haben, habe ich mir einen kleinen Spaß mit Ihnen erlaubt. Wie auch immer, ich lasse nicht zu, dass man in diesem respektlosen Ton mit mir spricht.“

Ohne auf seine Worte zu achten, fuhr sie aufgebracht fort: „Glauben Sie mir, wenn ich so dringend einen Mann bräuchte, würde ich ganz gewiss nicht meine Zeit mit einem verklemmten Chauvinisten wie Ihnen verschwenden!“

In dem tödlichen Schweigen, das nun folgte, war nur Lorenzos scharfes Luftholen zu hören. Zornesröte überzog seine Wangen.

„Oh, wirklich?“ Er bohrte den stahlharten Blick seiner blauen Augen in ihren und schloss die Hände um ihre Schultern.

„Okay, beruhigen wir uns doch, ja?“, stieß sie atemlos hervor. Was um alles in der Welt war bloß in sie gefahren, sich auf diese Art und Weise mit einem Kunden anzulegen? Dieses Benehmen war unentschuldbar.

Doch was dann folgte, ließ Antonia zum zweiten Mal an diesem Abend an ihrer Menschenkenntnis zweifeln. Und an ihrem Reaktionsvermögen. Ehe ihr bewusst wurde, was geschah, fand sie sich in Lorenzos kräftigen Armen wieder. Er hob ihr Gesicht an, senkte den Kopf – und presste die Lippen auf ihren Mund, um sie wild und leidenschaftlich zu küssen.

3. KAPITEL

Völlig überrumpelt, brauchte Antonia ein paar Sekunden, ehe sie begann, sich gegen Lorenzo zur Wehr zu setzen. Sie fühlte sich gleichermaßen beschämt und verärgert, dass sie diesen Mann wieder einmal unterschätzt hatte.

Und ihre eigenen Gefühle offensichtlich auch.

Als seine Hand langsam und verführerisch ihren Rücken hinunterwanderte und er die harten, muskulösen Schenkel gegen ihre presste, überlief sie so plötzlich ein heißer Schauer der Erregung, dass ihre Abwehr erlahmte. Alles ging so schnell. Sie wusste nur, dass aus dem Spiel Ernst zu werden drohte. Als Lorenzo seinen Mund hart auf ihre Lippen presste und mit der Zunge das zarte Innere ihres Mundes erkundete, wurde Antonia ganz schwindlig vor Verlangen. Mit den Händen fuhr er liebkosend über ihren Körper. Antonia spürte dumpf seinen beschleunigten Herzschlag, und ihr stieg der betörend frische Duft seines After Shaves in die Nase. Sein Kuss wurde immer sanfter, bis er schließlich nur ganz leicht und aufreizend mit den heißen Lippen über ihre strich.

Es war, als sei die Zeit stehen geblieben. Antonia fühlte sich hoffnungslos in ihren eigenen Gefühlen gefangen. Ihr schien keine andere Wahl zu bleiben, als der Erregung und dem lustvollen Verlangen, das durch ihren Körper pulsierte, nachzugeben.

Dann zog er den Reißverschluss ihres Kleides ruckartig herunter und streichelte ihre nackte Haut. Sie erschauerte erwartungsvoll, während er mit den Fingerspitzen ihr Rückgrat entlangglitt, um ihren BH aufzuhaken. Das war der Moment, als die harte Realität in ihr Bewusstsein zurückzusickern begann.

Oh, mein Gott, was um alles in der Welt machte sie bloß? Dieser Mann war ein Klient, um Himmels willen!

Es kostete sie eine gewaltige Willensanstrengung, aber es gelang ihr endlich, sich aus Lorenzos Armen zu befreien. Sie stieß ihn mit beiden Händen heftig von sich, wobei sie selbst rückwärts stolperte und gegen die Wand prallte. „Autsch!“

Stirnrunzelnd machte er einen Schritt auf sie zu. „Sind Sie okay?“

„Bleiben Sie mir ja vom Leib!“, fauchte sie. Sie wandte sich ab, um mit zitternden Fingern ihren BH zu schließen und den Reißverschluss ihres Kleides wieder hochzuziehen. Dann wirbelte sie herum und funkelte Lorenzo wütend an. „Was haben Sie sich denn dabei gedacht?“, stieß sie keuchend hervor.

Doch während sie völlig aufgelöst war, schien Lorenzo ganz gelassen. „Ich glaube, Sie haben da ein kleines, grammatikalisches Problem“, gab er kühl zurück. „Ihre Frage hätte lauten müssen, was wir uns dabei gedacht haben.“

„Singular oder Plural, wen kümmert’s?“ Sie war nicht nur wütend auf ihn, sondern noch viel mehr auf sich selbst. Wie hatte sie sich nur so naiv vom Charme dieses Mannes verführen lassen können? „Wie ich sehe, besitzen Sie nicht mal so viel Anstand, sich für Ihr schändliches Benehmen zu entschuldigen.“

„Entschuldigen?“ Er hob erstaunt die dunklen Brauen. „Meine liebe Antonia, warum um alles in der Welt sollte ich mich für diesen wunderbaren Kuss entschuldigen? Ich fand es einfach hinreißend, wie enthusiastisch Sie reagiert haben. Sind Sie sich auch wirklich sicher, dass Sie heute Nacht nicht meinen Körper behüten wollen?“

„Oh – halten Sie bloß den Mund!“ Der spöttische Blick, den er ihr aus seinen tiefblauen Augen zuwarf, brachte sie restlos aus der Balance. Sie musste diese entwürdigende Szene sofort beenden, bevor sie wirklich noch ihre Selbstbeherrschung verlor. „Ich gehe jetzt“, erklärte sie mit dem letzten Rest Würde, der ihr geblieben war. „Und wenn Sie nicht bis neun Uhr morgen früh mit einer Entschuldigung bei mir auf der Schwelle stehen, betrachte ich unseren Vertrag als beendet.“

Ihr wenig beeindruckender Abgang wurde begleitet von seinem leisen, amüsierten Lachen, das ihr noch die halbe Nacht in den Ohren hallte.

Antonia seufzte resigniert. Nachdem sie sich zwei geschlagene Stunden lang im Bett hin und her gewälzt hatte, musste sie sich eingestehen, dass an Schlaf nicht zu denken war. Sie knipste ihre Nachttischlampe an und warf die Bettdecke beiseite. Dann schlüpfte sie in einen leichten Morgenrock und tappte barfuß über den dicken Teppich in den Salon der geräumigen Suite – ein Spiegelbild der Suite nebenan, die von ihrem Klienten bewohnt wurde.

Knauserigkeit konnte man der Versicherungsgesellschaft sicher nicht vorwerfen. Lorenzo Foscari musste ein bedeutender Mann sein, wenn man sogar bereit war, seinen Bodyguard derart luxuriös unterzubringen.

Antonia nahm den Telefonhörer ab und bestellte sich beim Zimmerservice eine Kanne Tee. Da sie nun schon einmal wach war, beschloss sie, auch den Wachmann zu kontaktieren, den sie vor Lorenzos Suite abgestellt hatte.

„Keine Probleme, Tony.“ Seine Stimme, durch das Funkgerät verzerrt, erklang schwach und unwirklich an ihrem Ohr. „Aber Sie sollten lieber versuchen, zur Ruhe zu kommen. Schlafmangel zahlt sich in unserem Job nicht aus.“

„Wem sagen Sie das“, meinte sie grimmig und schaltete das Funkgerät aus. Er hat ganz recht, sagte sich Antonia einige Zeit später, als sie sich eine Tasse heißen, süßen Tees einschenkte. Es war ganz sicher nicht besonders clever, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen – besonders nicht für jemanden, der am nächsten Tag hellwach und reaktionsschnell sein musste. Tatsächlich hatte sie auch nie zuvor unter Schlafproblemen gelitten. Sie schlief immer sofort ein, sobald sie den Kopf aufs Kissen gebettet hatte.

Aber, rief sie sich aufseufzend in Erinnerung, sie hatte auch noch nie solche Schwierigkeiten mit einem Kunden gehabt wie mit Lorenzo Foscari. Und das Schlimmste daran war, dass sie zum größten Teil selbst für diese Schwierigkeiten verantwortlich war.

Es hatte keinen Sinn, sich selbst zu belügen. Sie hatte sich total unprofessionell benommen und geradezu lehrbuchmäßige Amateurfehler begangen. Aber das ließ sich jetzt sowieso nicht mehr ungeschehen machen. Viel schwieriger war es zu entscheiden, was sie nun machen sollte.

Sie hatte sich nie zuvor in eine derart verfahrene Situation hineinmanövriert und wusste nicht, wie sie sich daraus befreien sollte. Vielleicht erwies sich ihr in der Hitze des Augenblicks gestelltes Ultimatum am Ende als richtige Entscheidung? Ehe sie die Situation nicht geklärt hatten, konnten sie beide unmöglich weiter so eine enge Beziehung wie die zwischen Bodyguard und Klient aufrechterhalten.

Alles in allem schien ihr kaum eine andere Möglichkeit zu bleiben, als den Job sofort hinzuwerfen. Was, ehrlich gesagt, eine große Erleichterung für sie wäre. Vielleicht wäre es also doch am besten, James Riley gleich morgen früh zu informieren, dass sie sich nicht länger an ihren Vertrag gebunden fühlte.

Das würde natürlich sehr unangenehm werden. Lorenzo Foscari würde ihr zweifellos so viele Scherereien bereiten, wie er nur konnte.

Da musst du eben durch, redete sie sich im Stillen Mut zu. Sie konnte ohnehin nichts daran ändern. Und was ihren guten Ruf betraf, hatte sie längst beschlossen, sich aus dem aktiven Geschäft zurückzuziehen und sich lieber darauf zu konzentrieren, zukünftige Bodyguards auszubilden.

Sie musste diesen Vertrag einfach als Impuls betrachten, ihren Entschluss endlich auch konsequent umzusetzen. Gut, sie hatte sich wie ein Dummkopf verhalten und die Situation völlig falsch eingeschätzt. Aber jetzt wurde es höchste Zeit, einen Schlussstrich unter die unglückselige Angelegenheit zu ziehen und nach vorne in eine weitaus rosigere Zukunft zu blicken.

Antonia stand auf und tappte gedankenverloren ins Schlafzimmer zurück. Sie hatte so etwas wie eine Vorahnung, dass es gar nicht so problemlos ablaufen würde, sich Lorenzo Foscari vom Hals zu schaffen.

Wie sich herausstellte, lag Antonia mit ihrer Ahnung richtig – und wiederum auch falsch.

James Riley reagierte wie vorausgesehen nicht gerade kooperativ auf Antonias Ankündigung am nächsten Morgen. „Das kannst du mir nicht antun, Tony!“, stöhnte er entnervt auf.

„Es tut mir wirklich leid …“

„Du weißt doch, dass wir um diese Jahreszeit immer jede Menge Aufträge haben. Wimbledon, Ascot, die Henley Regatta … wir haben Klienten aus aller Welt in London. Und sie alle erwarten einen erstklassigen Service von uns.“

„Ja, ich weiß, aber …“

„Keine Chance, dass ich dich vom Haken lasse“, fuhr er energisch fort. „Wir haben schließlich einen Vertrag miteinander. Wenn du auch nur mit dem Gedanken spielst, dich da irgendwie rauszuwinden, ruiniere ich deinen Namen in der ganzen Branche, das schwöre ich dir! Kapiert?“

„Versuch ja nicht, mich zu erpressen“, gab sie verärgert zurück. „Ich habe meinen Entschluss nicht aus einer Laune heraus gefällt. Ehrlich gesagt, war es eine Fehlentscheidung deinerseits, dem Kerl einen weiblichen Bodyguard zu beschaffen. Glaub mir, er ist völlig ausgetickt, als er mich gesehen hat! Und nach unserem Zusammenstoß letzte Nacht bin ich mir ziemlich sicher, dass er ohnehin verlangt, mich von diesem Fall abzuziehen.“

„Ach ja. Was ist denn eigentlich gestern Nacht vorgefallen?“

„Das geht dich gar nichts an!“, fuhr sie ihn an. Sie war sich nur zu bewusst, wie sehr James es liebte, pikanten Tratsch unter den Kollegen zu verbreiten. „Glaub mir einfach, dass Signor Foscari genauso scharf darauf ist, unseren Vertrag zu kippen wie ich.“

James seufzte. „Okay, Tony. Ich wende mich an die Versicherungsgesellschaft und sehe mal, was sich machen lässt. Sobald ich Näheres weiß, melde ich mich wieder bei dir.“

Schlecht gelaunt und unausgeschlafen würgte Antonia eine Scheibe Toast herunter und tigerte nervös im Wohnzimmer auf und ab.

Unglücklicherweise konnte sie ihren Job nicht so einfach an den Nagel hängen, so gern sie das auch wollte. Das wurde ihr jetzt erst so richtig bewusst. Bis James nicht einen Nachfolger für sie organisiert hatte, waren ihr die Hände gebunden. Sie musste weiterhin ihren Job tun und sich ansonsten in Geduld fassen. Tatsächlich hatte sie sich als Allererstes heute Morgen versichert, dass es ihrem Klienten gut ging. Der Wachposten vor seiner Suite hatte ihr versichert, dass Lorenzo sich bester Gesundheit erfreute und soeben genüsslich ein ausführliches englisches Frühstück verspeiste. So weit, so gut.

Als James endlich eine halbe Stunde später zurückrief, traf es sie wie ein Schlag zu hören, dass Lorenzo Foscari – anstatt ihre sofortige Entlassung zu fordern – seine Zufriedenheit mit ihren Diensten betont hatte.

„Was? Was um alles in der Welt meinst du mit zufrieden?“, wollte sie völlig baff wissen.

„Ich weiß auch nicht mehr darüber als du. Die Versicherungsgesellschaft hat mit Signor Foscari Rücksprache gehalten und mir dann diese Antwort mitgeteilt. Was mich und die Versicherung betrifft, wir fühlen uns weiterhin an den Vertrag gebunden. Und das solltest du besser auch.“

„Aber das kann ich nicht! Dieser Typ ist absolut unmöglich!“, protestierte sie. „Und falls dieser Mistkerl darauf aus ist, mit dieser Scharade weiterzumachen …“

„Mich interessieren deine Probleme nicht, Tony – ich hab genug eigene!“, erwiderte James barsch. „Du hast einen Job zu erledigen. Also reiß dich zusammen und erledige ihn!“ Damit legte er den Hörer auf.

„Na toll!“ Wütend warf sie den Hörer auf die Gabel. Was um alles in der Welt sollte sie jetzt bloß tun?

Offensichtlich blieb ihr nichts anderes übrig, als den Bissen zu schlucken. Aber sie konnte wenigstens Vorkehrungen treffen, damit die Sache zukünftig nicht noch einmal aus dem Ruder lief. Dazu war es nötig, einige strenge Regeln aufzusetzen, die die Beziehung zwischen ihr und Lorenzo Foscari regelten. Falls dieser unverschämte Kerl sich nämlich einbildete, er könne sie auch weiterhin zum Narren machen, hatte er sich geschnitten!

Als Antonia wenige Minuten später seine Suite betrat, rechnete sie damit, sich wieder mit dem arroganten, selbstgefälligen Gehabe von gestern Abend konfrontiert zu sehen. Stattdessen begegnete Lorenzo ihr mit kühler Zurückhaltung.

„Guten Morgen, Miss Simpson.“ Er ließ die Zeitung sinken und bedachte sie mit einem unverbindlichen Blick.

„Es wird höchste Zeit, dass wir beide uns mal gründlich unterhalten“, eröffnete sie, ohne sich mit überflüssigen Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.

„Sì, d’accordo.“ Er schenkte sich gelassen eine Tasse Kaffee ein. „Ja, da stimme ich Ihnen zu. Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir offen miteinander sprechen. Haben Sie schon gefrühstückt?“

„Ja, danke.“ Sie trat ans Fenster und starrte mit blindem Blick nach draußen. In Gedanken ging sie noch einmal rasch ihre geplante Strategie durch. „Jetzt spitzen Sie bitte mal die Ohren, Signor Foscari“, begann sie mit fester Stimme und wandte sich zu ihm um. „Ich weiß nicht, was für ein Spiel Sie spielen und warum Sie der Versicherungsgesellschaft zu verstehen gegeben haben, Sie seien sehr zufrieden mit meinem Einsatz. Ehrlich gesagt ist es mir auch egal. Ich möchte nur ein für alle Mal klarstellen, dass ich nicht gewillt bin, mich noch weiter von Ihnen lächerlich machen zu lassen so wie gestern Abend.“

Lorenzo setzte seine Tasse Kaffee ab, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und musterte schweigend die junge Frau am anderen Ende des Zimmers. „Ich bin bereit, die Ohren zu spitzen, wie Sie es ausdrücken“, wählte er schließlich bedächtig seine Worte. „Aber vielleicht wäre es besser, vorher erst mal die Atmosphäre zu reinigen, nein? Ich möchte mich nämlich vorbehaltlos bei Ihnen für den … unglücklichen Zwischenfall gestern entschuldigen.“

„Tatsächlich?“ Antonia sah ihn ungläubig an.

„Die Beherrschung zu verlieren ist natürlich unentschuldbar“, fuhr er ruhig fort. „Ich kann mir meinen Ausrutscher nur so erklären, dass ich total übermüdet und gestresst war, mehr als üblich jedenfalls.“ Er winkte verächtlich ab. „Mein Verhalten war selbstverständlich abscheulich. Ich versichere Ihnen, dass so etwas nie wieder passieren wird.“

„Da haben Sie allerdings verdammt recht!“, fauchte Antonia, leicht irritiert, dass er so problemlos klein beigab. Eigentlich hatte sie mit einer hochnotpeinlichen Auseinandersetzung gerechnet. Mit seinem freimütigen Eingeständnis hatte er ihr gewissermaßen den Wind aus den Segeln genommen, und sie wusste nicht, wie sie jetzt weitermachen sollte. Sie suchte so angestrengt nach einer passenden Erwiderung, dass sie das amüsierte Glitzern in seinen Augen nicht bemerkte.

„Darf ich vorschlagen, dass wir beide unser Bestes tun, um diesen unglücklichen Zwischenfall zu vergessen?“, meinte er schließlich beschwichtigend. „Besonders, da ich bereit bin, Ihnen mein Ehrenwort zu geben, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.“

„Nun …“ Sie sah ihn verunsichert an.

„Und darf ich weiterhin vorschlagen, dass Sie jetzt hierher kommen und sich setzen – und eine zivilisierte Tasse Kaffee mit mir trinken? Es ist nicht leicht, sich mit jemandem zu unterhalten, der sich Meter weit weg befindet.“ Er unterstrich seine Worte mit einem freundlichen Lächeln.

Schleimer, durchfuhr es Antonia im Stillen. Sie musste zugeben, dass er sein Handwerk vorzüglich verstand. Es war einfach meisterhaft, wie er sein schlechtes Benehmen schöngeredet hatte. Und wie er das Ruder an sich gerissen hatte, das doch eigentlich sie in der Hand behalten wollte. Dummerweise schaffte sie es nicht, den Finger darauf zu legen, was hier faul war. Doch eines stand außer Zweifel: Sie war gut beraten, in Zukunft immer auf der Hut zu sein, was diesen speziellen Klienten betraf.

„Wie trinken Sie Ihren Kaffee, Miss Simpson?“, erkundigte er sich höflich, als sie sich zu ihm setzte.

Er hob die Kanne, und sie nutzte die Gelegenheit zu einer raschen Musterung.

Es gab keine Gerechtigkeit auf dieser Welt! Während sie eine schlaflose Nacht hinter sich hatte und auch dementsprechend aussah, wirkte Lorenzo wie frisch aus dem Ei gepellt.

Unglücklicherweise schien am vergangenen Abend etwas Seltsames mit ihr passiert zu sein. Sie hatte früher schon für berühmte und sehr attraktive Männer gearbeitet, sich aber nie davon beeindrucken lassen. Während sie auf Lorenzos makellos weißes Hemd und die marineblaue Seidenkrawatte starrte, war sie sich nur zu bewusst, wie das teuer schimmernde Material seinen muskulösen Oberkörper umspielte und die breiten Schultern und die schmale Taille betonte.

Als er die Kanne abstellte und die Zeitung zusammenfaltete, richtete sie den Blick wie hypnotisiert auf die schmale goldene Armbanduhr, die sein kräftiges Handgelenk umspannte, und auf die langen, sonnengebräunten Finger. Finger, die nur wenige Stunden zuvor verführerisch über ihren Körper geglitten waren …

Um Himmels willen, reiß dich endlich zusammen! schalt sie sich selbst und führte rasch die Kaffeetasse an die Lippen.

„Also, dann …“ Lorenzo lehnte sich zurück und sah Antonia an. Interessiert registrierte er, wie eine zarte Röte ihre Wangen überzog und wie offensichtlich entschlossen sie war, direkten Blickkontakt mit ihm zu vermeiden. Was genau er eigentlich an dieser ziemlich aggressiven jungen Frau so attraktiv fand, konnte er nicht sagen.

Abgesehen von diesen bemerkenswert großen, klaren grauen Augen und dem selten aufblitzenden charmanten Lächeln war sie nicht unbedingt eine klassische Schönheit. Und obwohl er bereits einen deutlichen Vorgeschmack auf die Reize ihres schlanken Körpers bekommen hatte, legte sie es offensichtlich nicht darauf an, seine Aufmerksamkeit auf ihre gute Figur zu lenken.

Sie trug schlichte, wenn auch teure und elegante Kleidung, hatte nur ein Minimum an Make-up aufgelegt und die schulterlangen blonden Haare zu einem akkuraten Bob frisiert, der ihr energisches kleines Kinn betonte. Sie war ganz zweifellos eine junge Dame mit Haltung.

Und gerade das fand er so ungemein erfrischend.

„Also?“

„Hm?“, meinte er zerstreut, bis ihm bewusst wurde, dass sie darauf wartete, dass er weiterredete. „Ah, ja. Ich wollte Ihnen mitteilen, dass ich gestern spätabends noch einen Anruf aus Italien erhalten habe. Wie es scheint, ist die römische Polizei dem Mann auf der Spur, der mich bedroht hat.“

„Sie meinen …?“

Er nickte. „Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit bis zu seiner Festnahme. Das macht es ziemlich unwahrscheinlich, dass Giovanni Parini plötzlich hier in Großbritannien auftaucht. Die Versicherungsgesellschaft hat sich einverstanden erklärt, meinen Personenschutz herunterzufahren.“ Er zuckte die Achseln. „Offensichtlich bin ich in der Risikoskala einige Kategorien nach unten gerutscht. Das heißt, ich benötige nur noch einen einzigen Bodyguard und einen Fahrer.“

„Darüber sind Sie sicher sehr erleichtert.“ Antonia fragte sich, warum sie selbst es nicht als Erleichterung empfand, vom Haken springen zu können. „Ich bin sicher, ‚Worldwide Security‘ wird Ihnen einen kompetenten Mann zur Seite stellen, und …“

„Nein, Sie verstehen nicht richtig“, fiel er ihr eine Spur schärfer als beabsichtigt ins Wort. „Ich wollte Ihnen erklären, warum ich darauf bestanden habe, Ihre Dienste auch weiterhin in Anspruch zu nehmen.“

Antonia runzelte die Stirn.

Autor

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