Romana Gold Band 52

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LIEBESURLAUB AUF MALLORCA von LAWRENCE, KIM
Sonnenschein, Meeresrauschen … Verwirrt erwacht Kate in der Flitterwochen-Suite eines Luxushotels auf Mallorca. Wie ist sie nur hierhergekommen Und wer ist der umwerfend attraktive Mann in ihrem Bett? Träumt sie vielleicht doch noch? Aber dann streichelt der Fremde sie zärtlich …

LIEBESZAUBER AUF MALLORCA von MORTIMER, CAROLE
Es muss ein Liebeszauber in der lauen Luft von Mallorca liegen! Warum sonst würde Liam sie leidenschaftlich in die Arme ziehen und küssen? Juliet genießt jede Sekunde. Doch wird ihr Traummann auch dann noch zu seinen Gefühlen stehen, wenn der Zauber der Sonneninsel sie nicht länger umgibt?

KOMM MIT MIR NACH MALLORCA von TAYLOR, JENNIFER
Dr. Felipe Valdez ist Beckys letzte Rettung: Er muss ihr helfen, damit sie den kleinen Josh nicht verliert! Hoffnungsvoll fliegt sie nach Mallorca, wo der attraktive Arzt eine exklusive Privatklinik leitet. Doch der spanische Spezialist reagiert unerwartet ...


  • Erscheinungstag 02.08.2019
  • Bandnummer 52
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745141
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kim Lawrence, Carole Mortimer, Jennifer Taylor

ROMANA GOLD BAND 52

1. KAPITEL

Javier fuhr durch die schmiedeeisernen Tore die lange gewundene Auffahrt hinauf zu dem maurischen Turm, der sich weiß von den dahinter liegenden Bergen abhob. Links und rechts des Weges befanden sich Olivenhaine. Er stellte den Mercedes neben einem ziemlich zerbeulten VW-Käfer ab, der zwischen den anderen eleganten Autos auf dem Hotelparkplatz wie ein Fremdkörper wirkte.

Serge hat Sarah also immer noch nicht dazu überreden können, ihr altes Auto verschrotten zu lassen, stellte er fest. Dabei war sie eine Frau, die normalerweise alles für ihren Mann tat.

Javier selbst war unverheiratet, aber es fehlte ihm nicht an weiblicher Gesellschaft. Es hatte nie viel Anstrengung von seiner Seite bedurft, damit attraktive Frauen an seinen Lippen hingen. Allerdings hatte es unter seinen Verehrerinnen nie eine gegeben, die ihm wirklich etwas bedeutet hatte.

Dann traf er Sarah.

Jetzt war er zweiunddreißig Jahre alt und nahm nichts mehr als gegeben hin. Er war wählerisch, was Frauen anbelangte, zu wählerisch, wie sein Großvater fand, der seinen auserwählten Erben endlich verheiratet sehen wollte.

Javier hätte es sich leicht machen und sich eine Frau mit ähnlichem gesellschaftlichen Hintergrund suchen können, die mit dem Druck umgehen konnte, in eine der reichsten Familien Europas einzuheiraten. So, wie es sein Vater vor ihm getan hatte. Aber genau das war das Problem. Jedes Mal, wenn Javier überlegte, den einfachen Weg zu wählen, fiel ihm die katastrophale Ehe seiner Eltern ein.

Bevor er vom Familiensitz in Andalusien nach Mallorca aufgebrochen war, hatte ihm der alte Herr ein Ultimatum gestellt.

„Heirate, bevor ich sterbe, sonst werde ich alles Jose oder sonst jemandem aus der Familie hinterlassen“, hatte Felipe Montero seinem Lieblingsenkel gedroht.

Javiers erste Reaktion auf diese Erpressung war Ärger gewesen: Kannte sein Großvater ihn so wenig, dass er glaubte, ihn kaufen zu können …?

Er hätte Felipe fast ein stolzes Nein hingeschleudert, wie dieser es nicht hätte besser machen können. Doch was er im scharf geschnittenen Gesicht seines Großvaters las, ließ ihn sich eine spitze Bemerkung verkneifen.

Javier machte sich keine Illusionen, wozu sein Großvater fähig war. Felipe Montero war gerissen, tyrannisch, intrigant. Kurz gesagt, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, konnte er vollkommen rücksichtslos sein. Aber er war nie grob in seinen Methoden. Was jedoch bedeutsamer war, Javier hatte seinen Großvater nie zuvor ängstlich erlebt.

„Du wirst noch lange unter uns weilen …“

Felipe lächelte, aber es war kein fröhliches Lächeln.

„Nein, da muss ich dich leider enttäuschen. Die Ärzte geben mir höchstens noch sechs Monate.“

Javier widersprach Felipe nicht, er weinte auch nicht, wie Leute das oft taten, wenn sie mit dem Verlust eines ihrer liebsten Mitmenschen konfrontiert wurden. Er klagte nicht, dass die Ärzte doch etwas dagegen tun mussten.

Natürlich hätte er es am liebsten getan, aber er tat es nicht.

Stattdessen fragte er: „Was ist es?“

„Krebs. Hat sich von der Lunge aus in meinem Körper verteilt. Nichts mehr zu machen.“ Felipe sog fest an seiner Zigarre. „Und dass du niemandem etwas davon erzählst, hörst du! Niemandem! Wenn die Nachricht nach draußen dringt, bevor alles geregelt ist, wird das die Firma Millionen kosten, der Börsenkurs wird in den Keller fallen …“ Ein kurzer Anflug von Abscheu flackerte in den Augen des alten Herrn auf. „Und ich bezweifle nicht, dass mich alle für senil halten werden“, fügte er mit einem leisen Zittern in der Stimme hinzu. Es war nicht der Tod, der Felipe Montero ängstigte, sondern die Art und Weise, wie er kam.

„Niemand wird das tun.“

Ein stummes Versprechen lag in dem Blick, den die beiden Männer austauschten.

Felipe seufzte zufrieden. „Unglücklicherweise kommt das zum ungünstigen Zeitpunkt, dieser Vertrag in Brüssel …“

Als äußerst disziplinierter Mensch verlor Javier selten die Beherrschung über seine Gefühle. Als er jedoch seinen Großvater über die Zukunft des Imperiums lamentieren hörte, das er im Laufe seines Lebens aufgebaut hatte, zerbrach etwas in ihm.

„Gibt es etwa einen guten Zeitpunkt zum Sterben? Zum Teufel mit der Firma.“ Seine Stimme brach. „Du wirst sterben, Großvater.“

„Wir müssen alle sterben“, antwortete der Alte. „Und wenn es dich wirklich kümmert“, stichelte er hinterhältig, „dann zeige es mir jetzt. Heirate Aria … sie liebt dich.“

Ein müdes Lächeln umspielte Javiers Lippen. „Du gibst wohl nie auf, was?“

Falls er überhaupt jemals heiraten würde, das wusste Javier, würde es jedenfalls keine Frau sein, die ihn bedingungslos anbetete, so wie seine Mutter seinen Vater geliebt hatte und daran zugrunde gegangen war. Sie war zart und sensibel gewesen und hatte nicht begreifen wollen, dass sie die Affären ihres Mannes am besten verdrängt hätte. Stattdessen hatte sie sich alles zu Herzen genommen. Das Einzige, was sein Vater von seiner Frau erwartet hatte, war, dass sie attraktiv aussah, den gemeinsamen Sohn gut erzog und die gute Gastgeberin auf Empfängen spielte.

„Das ist nicht komisch, Javier“, warf ihm der alte Herr vor. „Kontinuität, das Fortbestehen der Familie, das ist wichtig. Du brauchst Söhne.“

„Es tut mir leid, aber es geht nicht.“

Die Vorstellung, enterbt zu werden, machte Javier keine Angst.

Teilweise begrüßte er sogar die Veränderung. Für jemanden, der ständig neue körperliche und geistige Herausforderungen suchte, konnte es kaum etwas Aufregenderes geben, als noch einmal ganz von vorn anzufangen. Wo er am Abend wissen würde, dass das, was er erreicht hatte, allein auf seine Mühe zurückzuführen war und nichts damit zu tun hatte, in eine reiche Dynastie hineingeboren worden zu sein.

Reichtum brachte gewisse Privilegien mit sich, aber Javier war so erzogen worden, darin auch eine Verantwortung zu sehen. Sein tief verwurzelter Sinn für Familienehre und – pflichten würden es ihm nie erlauben, einfach alles hinzuwerfen, auch wenn er gelegentlich davon träumte, allein über sein Schicksal bestimmen zu können.

Im Innersten war er ziemlich sicher, dass sein Großvater ihn nicht enterben würde, nur weil er seine eigene Meinung vertrat. Das war nicht die Art seines Großvaters. Er konnte wohl nicht mehr viel für ihn tun, er konnte ihm nur helfen, in den letzten Monaten seines Lebens weiter die Rolle des herzlosen Tyrannen zu spielen, wie er sich gern nach außen gab.

Felipe studierte den Gesichtsausdruck seines Enkels, der ihm verriet, dass dieser nicht bereit war, sich auf sein Ultimatum einzulassen. „Ich vermute, es geht um diese alberne Blondine, die Serge geheiratet hat, oder? Du bist selbst schuld, wenn du sie dir hast wegschnappen lassen. Schau nicht so überrascht, mein Junge.“ Er lachte. „Glaubst du etwa, ich bin blind? Aber wenn du meine Meinung hören willst, es wäre eine verhängnisvolle Ehe geworden.“

Javier schluckte mit Mühe seine Wut hinunter.

„Sie ist viel zu süß und formbar. Du brauchst jemand mit mehr Power …“

„Wie Aria …“, unterbrach Javier ihn trocken.

Felipe brummte. „Na ja, es muss ja nicht unbedingt sie sein … aber wenn du mich beerben willst, wirst du heiraten müssen, und zwar bald …“

„Wir sollten nicht streiten … jetzt nicht …“

„Warum soll auf einmal alles anders sein? Wenn du mir auf einmal alles recht machst, werden die anderen in der Familie sofort spüren, dass etwas nicht stimmt. Und ich werde keinen Schritt mehr machen können, weil jeder versucht, besonders nett zu mir zu sein“, stellte er mit Schaudern fest.

Wenn zwei so willensstarke Männer zusammenarbeiteten, von denen keiner Kompromisse eingehen wollte, sprühten gelegentlich Funken. Javiers Beziehung zu seinem Großvater war nie ohne Konflikte gewesen. Felipe wurde dann laut und ausfallend, Javier zog sich zurück und verweigerte das Gespräch.

Von Javiers Gegnern innerhalb der Familie wurde das genau beobachtet. So manches Familienmitglied hoffte insgeheim, dass der Streit zwischen Javier und Felipe ausarten und man dann der lachende Dritte sein könnte. Was die meisten allerdings nicht begriffen, war, dass die Beziehung der beiden Männer trotz aller Auseinandersetzungen von höchstem Respekt füreinander geprägt war.

„Es tut mir leid.“

„Du bist ein starrköpfiger Idiot!“, rief der alte Herr seinem Enkel hinterher, als dieser sich zurückzog.

Als Mensch von außerordentlicher Selbstdisziplin schob Javier die Gedanken an seine privaten Angelegenheiten weit von sich, als er aus der angenehmen Kühle seines Mercedes ausstieg. Er registrierte kaum die brütende Hitze, die ihn im Freien erwartete. Es war einer der heißesten Julimonate, die es je gegeben hatte.

Er warf einen kurzen Blick auf seine teure, aber schlichte Armbanduhr. Er hatte noch etwas Zeit. Unpünktlichkeit war etwas, was er nicht ausstehen konnte. Javier bemühte sich, seine Machtposition nicht auszunutzen und andere warten zu lassen. Das war für ihn eine Sache der guten Manieren.

Während er in Richtung Hintereingang ging, ließ er den Blick über das große Steingebäude wandern. Selbst seinem kritischen Blick fiel kein Makel in den wunderschönen terrassenartigen Gärten und dem weitläufigen Park auf. Der Pool lag verlassen da, bis auf ein paar Touristen, die trotz der Mittagshitze in der Sonne lagen.

„Hast du gesehen, wer das war?“, zischte eine Frau ihrem Mann zu, als sie aus dem Pool kletterte.

Dieser öffnete nur kurz die Augen, als sie ihn mit nassen Händen an der Schulter packte. „Wer … was …?“

„Schau mal, das ist Javier Montero!“, flüsterte sie, während der hochgewachsene Mann in dem perfekt geschnittenen Anzug den älteren Gärtner freundlich mit Handschlag begrüßte.

„Sicher, Javier Montero ist auf du und du mit jedem Handwerker auf der Insel …“

„Ich sage dir, er war es. Es gibt keinen Zweiten, der so unverschämt gut aussieht.“

„Überlege doch einmal, was sollte er denn hier wollen?“

„Warum sollte er nicht hierherkommen?“, antwortete sie und machte eine weit ausholende Handbewegung, um auf die großzügige Hotelanlage mit dem imposanten maurischen Turm und den weitläufigen Gärten zu deuten. „Ihm gehört das Hotel.“

Ein ganzes Heer von ortsansässigen Handwerkern hatte dem einst ziemlich verfallenen Anwesen wieder seinen ursprünglichen Glanz verliehen. Etwas versteckt in der Sierra de Tramuntana gelegen, war das exklusive Hotel ein idealer Rückzugsort für Menschen, die in ihrem Urlaub das Besondere suchten, aber auf Komfort nicht verzichten wollten. Hier gab es beste mediterrane Küche und exzellenten Service von diskreten Mitarbeitern.

Natürlich hatte ein solcher Luxus seinen Preis, aber für die Besucher spielte das keine Rolle.

Die Monteros besaßen zusätzlich noch zwei weitere Hotels auf Mallorca. Jedes wandte sich an eine andere Kundschaft, war nach unterschiedlichen Marketingstrategien ausgerichtet worden. Menschen, die es eher städtisch mochten, stiegen im Palace ab, das sich im Zentrum der Altstadt von Palma befand. Von dort aus konnten sie die eleganten Läden und Cafés im Umfeld des Hotels erforschen. Wellness-Anhänger und Gourmets dagegen zog es in das Hotel im Norden der Insel, wo es Spezialitätenrestaurants gab, dazu ein Fitnessstudio mit den besten Lehrern, ein Schwimmbad und die Möglichkeit, ausgefallene Sportarten zu betreiben.

„Sicher, den Monteros gehört dieses Hotel hier, und ich weiß nicht, wie viele Hotels sonst noch. Sie haben sogar eine eigene Fluglinie und züchten Rennpferde. Außerdem machen sie weltweit viel Geld mit Immobilien. Gibt es überhaupt einen Wirtschaftsbereich, wo die Monteros nicht ihre Finger im Spiel haben? Ich glaube nicht, dass sich jemand wie Javier Montero um das Tagesgeschäft in einem Hotel kümmern würde“, sagte der Mann und legte sich hin, um weiterzudösen.

„Er war es“, erwiderte die Frau.

„Wenn du meinst.“ Es war viel zu heiß, um sich zu streiten.

In einer Sache hatte er ganz sicher recht gehabt: Obwohl Javier gelegentlich Hotels einer gründlichen Inspektion unterzog, übernahm er niemals die Geschäftsführung eines einzelnen Etablissements. Seine Talente lagen woanders.

Schon immer hatte er ein bemerkenswertes Gespür für Marktnischen gehabt. Aber das war nicht der einzige Bereich, in dem er sich hervortat. Er entwickelte nicht nur Ideen, sondern schaffte es auch, die Gewerkschaften zufriedenzustellen und Rechtsstreitigkeiten auszuräumen.

Der Grund, warum er nach Mallorca geflogen war, ließ das attraktive Gesicht von Javier zu einer Maske erstarren, während er an die schwere Eichentür zu Serges Büro klopfte.

„Javier!“ Serge, ein braun gebrannter, kräftiger Mann mit breiten Schultern, erhob sich mit einem freudigen Lächeln, und die beiden Männer umarmten sich. „Wir haben uns lange nicht gesehen.“

„Stimmt.“ Javiers warmes Lächeln hätte die Journalisten, die ihn immer als Mr. Tiefkühltruhe bezeichneten, eines Besseren belehrt. „Wie geht es dem kleinen Raul … und was macht Sarah?“ Niemand, der ihn so lächeln sah, hätte vermutet, wie schwer es ihm fiel, diesen Namen so beiläufig über die Lippen zu bringen. „Ist sie hier? Ich habe ihr Auto gesehen …“

„Es hat den Geist aufgegeben, als sie das letzte Mal hier war“, gab sein Freund reuig zu. „Ich musste dieses verdammte Ding abschleppen lassen, weil sie nicht bereit ist, die alte Rostlaube endlich abzuschaffen. Sie hat eine mir unverständliche Zuneigung zu diesem Blechhaufen. Ansonsten geht es Sarah blendend, obwohl dein Patenkind uns nachts um den Schlaf bringt.“

„Und dann komme ich und will, dass du etwas für mich in Erfahrung bringst …“

„Für dich tue ich alles, was in meiner Macht steht, das weißt du doch“, lächelte Serge. „Ich weiß, du magst das nicht hören, aber selbst wenn ich hundert Jahre alt werde, kann ich nicht das zurückzahlen, was ich dir schulde.“

„Du schuldest mir gar nichts“, wehrte Javier ab und wechselte schnell das Thema. „Bist du sicher, dass deine Vermutungen stimmen?“

Serge seufzte. „Ich fürchte, ja. Die Berichte, die ich dir habe zukommen lassen, haben sich leider bestätigt.“

„Und weißt du, um wen es sich handelt?“

„Es ist ein Kellner, der in einem der Restaurants arbeitet. Luis Gonzales, etwa Mitte zwanzig. Er hat erst zu Saisonbeginn dort angefangen …“

Javier musste sich den Namen nicht aufschreiben. Er würde den Schuldigen für seine Taten zur Rechenschaft ziehen.

„Seine Referenzen?“, erkundigte sich Javier. Er fieberte danach, die Sache endlich selbst in die Hand nehmen zu können.

„Perfekte Fälschungen.“

„Ist sonst jemand in die Angelegenheit verwickelt? Vorgesetzte …?“

Serge Simeone schüttelte den Kopf.

Javier zuckte die Schultern.

Als ihm zu Ohren gekommen war, dass ein Hotelmitarbeiter mit Drogen handelte, hatte Javier Serge auf den Fall angesetzt, den Menschen, dem er absolut vertraute.

„Hast du die Polizei benachrichtigt?“

„Du hattest mich doch gebeten, nichts zu tun, bevor du da bist. Was willst du tun, Javier?“ Serge wusste, dass Javier kein Pardon kannte, wenn es um Drogen ging, seit seine jüngere Schwester fast an ihrer Drogensucht gestorben wäre.

„Wir werden Luis einen Besuch abstatten.“

Kate Anderson versuchte, sich ihren Schock nicht anmerken zu lassen, als sie den Stapel von leicht unscharfen Fotos durchschaute, den ihre jüngere Schwester ihr stumm in die Hand gedrückt hatte.

„Sicher kann es doch nicht so schlimm sein, oder?“, hatte sie gefragt. Jetzt wusste sie, dass es sich nicht um ein paar Oben-ohne-Fotos vom Strand handelte, die ihre konservativen Eltern mit einem Lächeln hätten abtun können.

„Es könnte doch irgendjemand sein …“, stieß sie hervor und versuchte verzweifelt, etwas Positives an der Situation zu finden, während sie Susie die Fotos zurückgab, die sie voller Wut zerriss und zu Boden warf.

Da sie jedoch nicht die Negative besaßen, war das sinnlos.

„Es ist nicht irgendjemand! Ich bin es! Du musst mir helfen, Kate!“, fügte Susie flehend hinzu. Ihrem Gesicht war anzusehen, dass sie darauf vertraute, dass ihre Schwester sie aus dieser Notsituation befreite. Schließlich hatte sie das in den vergangenen Jahren häufig genug getan. „Du darfst nicht zulassen, dass Mum und Dad das herausfinden … Ich würde sterben …“

Wahrscheinlicher war, dass die Eltern Susie den Unterhaltsscheck kürzen würden, aber das war für ihre Schwester wohl dasselbe.

„Ja, das wäre wohl nicht so gut“, gab Kate zu. Sich die Gesichter ihrer Eltern vorzustellen, wie sie die Fotos ihrer fast nackten Tochter ansahen, verhieß nichts Gutes. Und was war, wenn die Fotos in die Presse gerieten? Für einige Klatschzeitungen wäre es ein gefundenes Fressen, Nacktfotos der Tochter eines Richters vom High Court zu veröffentlichen.

„Was ist, wenn er die Fotos Chris schickt …? Er wird mir niemals glauben, dass ich nicht mit Luis geschlafen habe.“

„Und hast du?“

Susies Jammern wurde immer lauter. „Siehst du? Selbst du bist dir nicht sicher, ob ich nicht vielleicht doch etwas mit ihm hatte. Luis war ein netter Kerl, mit dem ich gern in die Clubs gegangen bin …“ Sie schaute ihre Schwester anklagend an. „Du glaubst mir nicht …“

„Doch, natürlich. Sei ruhig, Susie, ich muss nachdenken …“

Während sie versuchte, sich auf das Problem zu konzentrieren, vertiefte sich die Falte zwischen ihren schmalen dunklen Augenbrauen, die im Kontrast zu dem hellblonden Haar standen, das beide Schwestern von ihrer Mutter geerbt hatten.

Anders als bei ihrer Schwester waren Kates Gesichtszüge nicht völlig ebenmäßig, sie hatte einen breiten Mund und eine relativ große Nase. Ihre schönen mandelförmigen braunen Augen versteckte sie viel zu oft hinter einer Nickelbrille.

Der erste Eindruck, den Kate Anderson machte, war der einer jungen Frau von hoher Intelligenz, scharfzüngigem Witz und unglaublicher Energie.

„Susie hat mein Aussehen geerbt, Kate ist die Vernünftige“, hatte Kate ihre Mutter immer wieder sagen hören.

Kate genoss es, das Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. Nur manchmal, wenn sie bemerkte, wie die Männer sich verhielten, wenn Susie einen Raum betrat, wünschte sie sich, etwas mehr Sex-Appeal zu besitzen.

Kate ließ sich in einen Korbstuhl fallen. „Was zum Teufel hat dich dazu bewogen, dich mit diesem Mann einzulassen? Ich denke, du bist mit Chris verlobt … Oder hast du auf einmal Angst vor deiner Entscheidung bekommen?“

„Erzähl mir nur nicht schon wieder, dass ich zu jung zum Heiraten bin.“ Susie schürzte die Lippen. „Ich bin nicht wie du. Ich möchte nicht Karriere machen. Außerdem kann man doch verlobt sein und trotzdem Spaß haben“, erklärte sie und warf die lange Haarmähne trotzig zurück.

„Spaß? Hättet ihr nicht Beachvolleyball spielen können?“

Dies rief nur ein mattes Lächeln hervor. „Wärst du letzte Woche gekommen, wäre das nicht passiert. Dann hätte ich mich nicht so gelangweilt …“ Susie streckte die langen Beine von sich.

Nur Susie konnte es fertigbringen, die Dinge so hinzudrehen, als sei ihre ältere Schwester an allem schuld.

„Ich musste arbeiten, das weißt du.“

„Arbeiten! Wenn ich das schon höre!“, schnaubte Susie verächtlich. „Das ist alles, woran du denken kannst. Kein Wunder, dass Seb dich hat sitzen lassen.“ Sie hob den Kopf und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Rasch verzog sie entschuldigend das Gesicht. „Tut mir leid, das war gemein von mir“, gab sie zu. „Aber das war ein absolut bescheuerter Urlaub. Den ganzen Tag musste ich mit Mum und Dad langweilige Kirchen besichtigen.“

„Immerhin hat Dad alles bezahlt“, stellte Kate fest.

„Gott sei Dank sind sie wenigstens nicht in dieses Hotel in den Bergen gezogen, wo du unbedingt hin wolltest.“

„Dort hätte es besagten Luis nicht gegeben.“

„Übrigens, ich glaube er hat mir irgendwas in den Drink getan. Ich bin mir zwar nicht hundertprozentig sicher, aber ich kenne ein Mädchen, dem das passiert ist.“

„Was für ein widerlicher Kerl. Wir sollten zur Polizei gehen.“

„Ich bin normalerweise sehr vorsichtig und lasse mir nie von irgendwelchen fremden Typen einen Drink spendieren und mein Glas irgendwo stehen.“

„Natürlich“, antwortete Kate leise. Während sie Susie lauschte, was für Vorsichtsmaßnahmen sie unternahm, wenn sie ausging, überlegte Kate, warum solche Katastrophen ihr nie passierten.

„Was mich aufregt, ist, dass er gar nicht hinter mir her war, sondern nur an Dads Geld ran wollte.“

„Gott sei Dank!“

„Ich fühle mich wie eine Idiotin! Ich habe noch überlegt, wie ich es ihm beibringen soll, dass ich verlobt bin. Ich dachte, er sei in mich verliebt. Oh Katie, was soll ich nur tun?“

„Mach dir keine Sorgen“, versuchte Kate sie zu trösten. „Es wird schon alles wieder in Ordnung kommen, Susie.“ Zumindest hoffte sie das.

„Wirst du mir das Geld leihen, damit ich ihn bezahlen kann …?“ Susie hob hoffnungsvoll das tränenüberströmte Gesicht.

„Wir werden ihm keinen Penny geben. Ich werde schon irgendwie an die Negative kommen.“

„Aber wie?“

„Das weiß ich noch nicht“, gestand Kate.

„Das ist keine gute Idee. Ein- oder zweimal habe ich Luis mit merkwürdigen Gestalten reden sehen. Ich denke, er könnte ziemlich sauer reagieren …“ Sie verzog den Mund zu einem verschämten Lächeln. „Irgendwie fand ich es aufregend, dass er so gefährlich wirkte.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich habe nicht vor, mich verprügeln zu lassen, Susie.“

Kate hatte eine gute Stunde im Dunkeln gewartet und den Bungalow der Angestellten beobachtet, bis sie zufrieden feststellte, dass niemand zu Hause war. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Nicht einmal bei ihrem ersten Prozess als junge Anwältin hatte sie solche Angst gehabt.

Sie konnte ihr Glück kaum fassen, als die Tür sich ohne Probleme öffnen ließ. Ihre Erleichterung war groß, dass sie ihre zugegebenermaßen minimalen Kenntnisse darüber, wie man eine verschlossene Tür öffnet – sie hatte eine Kreditkarte in der Hosentasche ihrer Jeans stecken – nicht in die Tat umsetzen musste. Kate schob sich die Kapuze ihres schwarzen Sweatshirts über den Kopf, um das helle Haar darunter zu verbergen.

Mit der Taschenlampe leuchtete sie in alle Ecken des Raumes. Ihre Hände zitterten, als sie vorsichtig die oberste Kommodenschublade öffnete, wo sie die Fotos vermutete. Sie entdeckte einen vielversprechenden Umschlag …

Ihr Selbstvertrauen verwandelte sich rasch in Panik, als plötzlich ein heller Lichtstrahl den Raum erfüllte. Sie hatte keine Zeit zu reagieren. Schon hatten zwei Hände sie an den Armen gepackt.

Kate verstand nicht, was der Angreifer in schnellem Spanisch von sich gab. Aber so schnell ließ sie sich nicht einschüchtern, sie begann wie wild zu kämpfen. Einen Arm konnte sie befreien und versuchte damit, so heftig wie möglich auf die Person hinter ihr einzuschlagen. Das Ergebnis war, dass ihre Brille am Boden landete.

Ihre heftige Gegenwehr bewirkte allerdings nicht, dass der Angreifer sie losließ, nicht einmal als sie ihm heftig gegen das Schienbein trat, wie man ihr das im Selbstverteidigungskurs beigebracht hatte. Es wäre besser gewesen, sie hätte hochhackige Schuhe getragen, mit Absätzen hätte sie ihm mehr Schmerzen zufügen können. Aber es schien ihm immerhin wehzutun, denn er fluchte laut.

Kate war nicht gerade klein und zart gebaut, trotzdem wurde ihr klar, dass sie gegen den Angreifer keine Chance hatte.

„Bitte lassen Sie mich los!“, versuchte sie eine andere Taktik.

„Sie sind Engländerin?“ Die Stimme passte so gar nicht zu einem Einbrecher. Ihr Angreifer sprach bestes Englisch mit einem leichten Akzent. Er schien außerdem nicht allein zu sein.

Was ging hier vor sich? Wollte man sie gefangen nehmen? Wie lange würde es dauern, bis ihre Eltern sie vermissten? Frühestens am nächsten Vormittag, dachte sie voller Entsetzen.

Sie hatte sich früh zurückgezogen unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben. Und Susie würde sich bestimmt die Nacht in der Diskothek um die Ohren schlagen.

Ihr Angreifer ließ einen ihrer Arme los und leuchtete ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht.

„Könnten Sie das bitte lassen“, bat sie und hob die Hand, um ihre Augen zu schützen.

Nach einem kurzen Augenblick tat er, worum sie gebeten hatte.

Sie kniff die Augen zusammen, um die beiden Männer auch ohne Brille ein wenig schärfer sehen zu können. Der eine war nur als Umriss am Eingang zu sehen, der Mann vor ihr war ein ganz anderes Kaliber. Er war wie sie von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf.

Der hochgewachsene, muskulöse Mann vor ihr sah nicht aus wie ein Einbrecher. Er war überhaupt der attraktivste Mann, der ihr je gegenübergestanden hatte. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften und lange Beine. Und sein Gesicht war von außergewöhnlicher, geradezu klassischer Schönheit.

Mit offenem Mund bemerkte sie jede Einzelheit seines ebenmäßigen Gesichts mit wie gemeißelten Wangenknochen, einer aristokratisch hohen Stirn und einer Adlernase, wie sie typisch für eine maurische Herkunft war. Seine Haut schimmerte goldfarben, sein Mund war üppig und verriet sowohl Kontrolle als auch Leidenschaft. Dazu hatte er die unglaublichsten blauen Augen, die sie jemals gesehen hatte.

Und mit diesen Augen musterte er sie, als wolle er bis auf den Grund ihrer Seele blicken.

„Nun, Señorita, wo ist Gonzales?“, fragte er ungeduldig.

2. KAPITEL

Stumm schüttelte Kate den Kopf.

Er warf ihr einen spöttischen Blick zu und rief seinem Begleiter etwas auf Spanisch zu, woraufhin dieser die Taschenlampe löschte.

Einen Augenblick lang herrschte völlige Dunkelheit. Kate versuchte angestrengt zu überlegen, wie ihre Chancen standen, es zur Tür zu schaffen.

„Denken Sie nicht einmal daran.“

Sie zuckte zusammen und blinzelte, als der Strahl einer Taschenlampe auf ihr Gesicht gerichtet wurde.

„Erwarten Sie ihn heute Abend zurück?“, fragte der große Mann, der ganz offensichtlich der Boss war.

„Ich kenne Gonzales nicht“, erwiderte sie.

Kate vermutete, dass sie in den Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Banden geraten war. Sie hatte nicht vor, einer Seite unvermutet einen Vorteil zu verschaffen, der ihre Situation noch verschlimmern würde.

Unter den gegebenen Umständen war es vielleicht das Klügste, unbeteiligt zu tun. Es war sowieso purer Wahnsinn gewesen, hier einzudringen. Vermutlich wollten die beiden diesem Gonzales auflauern.

„Sie sind ganz zufällig hier hereinspaziert?“ Er betrachtete interessiert ihre schwarze Kleidung. „Und das soll ich Ihnen glauben?“

„Meinen Sie, Sie sehen besser aus?“

„Finden Sie das lustig?“

Der zweite Mann hatte sich zurückgezogen. Vielleicht war er ein Bodyguard. Andererseits sah ihr Gegenüber nicht so aus, als würde er Hilfe brauchen. Er hatte eine beeindruckende Statur und schien behände wie ein Panther auf der Lauer.

Kate holte tief Luft und versuchte, ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen. Wenn sie heil aus dieser Sache herauskommen wollte, musste sie mit Nummer eins verhandeln, das war klar. Sie musste ihn überreden, sie freizulassen. Einfach würde es nicht werden, wenn sie seinen Gesichtsausdruck richtig deutete.

„Oh ja. Ich bin ganz verrückt danach, im Dunkeln hinterrücks angefallen zu werden.“ Sie rieb sich die schmerzenden Unterarme. „Morgen früh bin ich sicher grün und blau“, fuhr sie fort. Reden gab ihr Zeit zum Nachdenken.

„Wenn ich ein bösartiger Kerl von begrenzter Intelligenz bin, sollten Sie mich nicht mit mehr Respekt behandeln?“

Punkt für ihn. Mangelnde Intelligenz merkte man ihm allerdings nicht an.

„Ist das eine Drohung?“

„Wenn es eine wäre, würden Sie es merken.“

„Also keine Drohung, sondern schlechte Manieren? Aber ich lasse mir nicht den Mund verbieten.“ Sie sah ihn an und hielt seinem kritischen Blick stand. „Sie haben mich angegriffen, das steht fest. Ich weiß, ich sollte zwar den Mund halten, aber ich rede viel, wenn ich nervös bin …“

„Das nehme ich Ihnen nicht ab“, unterbrach er sie. „Hinter dieser vermeintlichen Offenheit verbirgt sich etwas, das spüre ich. Sind Sie hier mit Gonzales verabredet? Oder hat er Sie geschickt, um etwas für ihn zu holen? Weiß er, dass wir hinter ihm her sind? Ich will Antworten.“

„Es hilft Ihnen nicht, mich unter Druck zu setzen.“ Sie schüttelte energisch den Kopf, sodass ihre Kapuze vom Kopf rutschte.

Er hob eine Augenbraue, während die langen silberblonden Haare, die sie mit einem Kamm auf dem Kopf festgesteckt hatte, ihr über die Schulter hinabfielen.

Kate wich zurück.

„Vielleicht wollten Sie sich privat bedienen …?“ Er wandte sich um. „Was hat sie da aus der Schublade genommen, Serge?“

„Es stimmt, ich bin nicht zufällig hier“, gestand Kate, während der zweite Mann mit behänden Schritten hinüber zur Kommode mit der offenen Schublade ging.

Kates Puls raste. Und daran war nur dieser Kleiderschrank schuld! Sie warf ihm einen finsteren Blick zu.

Es war unglaublich, was für eine Ausstrahlung er hatte. Ihr wurde ganz heiß unter seinem Blick. Er war sexy, brachte sie tatsächlich aus dem Gleichgewicht. Eine so sinnliche Wirkung hatte noch kein Mann auf sie ausgeübt.

Sofort begann ihr scharfer Verstand, diese Reaktion zu überdenken. War sie etwa so wie Susie, die die Gefahr als etwas Anziehendes betrachtete?

„Ich kam hierher, um etwas zurückzuholen, was dieser Gonzales unrechtmäßig besitzt. Es gehört … mir.“ Sie bemühte sich, möglichst kühl zu wirken, dennoch wanderte ihr Blick nervös hinüber zu dem zweiten Mann, der den Inhalt der Schublade, der zerstreut am Boden lag, durchforstete.

„Ich glaube, sie hielt dieses Päckchen in der Hand, als wir auftauchten.“

Kate machte einen Satz, um ihm den Umschlag mit den Fotos zu entreißen. „Die gehören mir“, schrie sie.

Einen Moment lang widerstand sie dem Druck der Finger, die ihr Handgelenk festhielten, bis sie schließlich die Finger von dem Umschlag löste. Tränen des Schmerzes standen ihr in den Augen.

„Sie haben kein Recht …“ Ihre Stimme verstummte, während Javier vorsichtig den Umschlag öffnete. Wie gelähmt stand sie da und schaute zu, wie er ein Farbfoto herausholte und es hochhielt.

Kates Gesicht wurde flammend rot, während er abwechselnd auf das Bild und auf sie schaute. Er zog einen Streifen Negative heraus und hielt ihn ans Licht der Taschenlampe. Seine Nasenflügel bebten, während er sich mit offensichtlichem Missfallen die Bilder anschaute.

Der andere Mann fragte ihn kurz etwas auf Spanisch. Die Antwort ließ den anderen Mann überrascht auflachen. Kate ballte die Hände zur Faust und biss die Zähne zusammen.

„Machen Sie das berufsmäßig oder nur als Hobby?“

Kate öffnete unwillkürlich den Mund, um zu widersprechen. Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht geschmeichelt gefühlt, dass man sie mit ihrer Schwester verwechselte, aber bei den Fotos wäre sie ihm am liebsten an die Gurgel gegangen.

Hätte ihr Gegner nicht außerordentlich schnelle Reflexe gehabt, hätte er ihre Faust auf seiner Wange gespürt.

„Lassen Sie mich los“, fluchte sie und trat ihm gegen das Schienbein, bis er sie packte und dicht an sich gepresst hielt, sodass sie sich nicht mehr wehren konnte.

„Ah, endlich zeigen Sie Ihren wahren Charakter“, stellte er verächtlich fest. „Beruhigen Sie sich, Schätzchen. Ich habe kein Interesse an Ihren schäbigen Fotos. Sie können sie haben …“

Kate war so erleichtert, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre.

„… natürlich erst, wenn Sie mir die Informationen geben, die ich brauche“, vollendete Javier.

Kate ließ den Kopf sinken. „Ich weiß nichts“, erklärte sie müde und rieb sich über das schmerzende Handgelenk. Der Abdruck seiner Finger schien wie eingebrannt in ihre Haut.

„Hören Sie auf, das Unschuldslamm zu spielen. Sie kennen ihn ganz offensichtlich. Sie würden doch nicht pornografische Fotos von einem völlig Unbekannten aufnehmen lassen, oder?“

„Die sind nicht pornografisch, sondern sehr … geschmackvoll.“

„Große Kunst, was?“, murmelte er. „Welche Beziehung haben Sie zu Gonzales? Ist er Ihr Liebhaber oder Ihr Dealer?“

„Dealer?“, echote sie. Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff, was er ihr unterstellte. „Glauben Sie, ich hätte etwas mit Drogen zu tun?“ Du meine Güte, in was bin ich da hineingeraten, fragte sie sich. Hatte Luis Gonzales diese beiden Typen hintergangen? „Das ist ein Missverständnis“, stotterte sie. „Ich weiß nichts von Drogen.“

„Natürlich nicht.“

„Sehe ich wie eine Drogenabhängige aus?“

„Sie meinen, man kann das sehen?“ Wenn es so einfach wäre, dann hätte er seiner Schwester die schweren Monate des Drogenentzugs ersparen können.

„Sie sollten es doch wissen, es ist Ihr Geschäft, nicht meins.“

Javier erstarrte. Nicht ein Muskel in seinem Gesicht zuckte, aber seine Augen blitzten. „Verstehe einer Frauen wie Sie! Warum beschützen Sie ihn?“, fragte er. „Aus Angst oder aus einem falsch verstandenen Gefühl von Loyalität? Ein Mann wie er wird Sie auf sein Niveau runterziehen, und wenn Sie sich erst einmal auf ein so würdeloses Leben eingelassen haben, wird er Sie im Stich lassen …“

Ohne eine Vorwarnung packte er sie am Arm, rollte den Ärmel hoch und fuhr mit den Fingern über die Venen ihres Unterarms, um nach Einstichen zu suchen.

Kate erbebte unter dieser herabwürdigenden Behandlung, aber da war auch eine merkwürdige Erregung, die sie bei seiner Berührung ergriffen hatte.

„Und, zufrieden?“ Sie riss sich los und rollte den Ärmel ihres Sweatshirts wieder herunter.

„Noch nicht ganz.“

Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie bemerkte, was er vorhatte. Ihre Blicke trafen sich.

„Das mache ich selbst“, sagte sie und rollte den Ärmel an ihrem rechten Arm hoch. Mit erhobenem Kinn hielt sie ihm den Arm vor die Nase. „Und?“

Sie wartete vergeblich, dass er schockiert, verlegen oder angewidert den Blick von ihr abwenden würde, denn abgesehen von der Stelle, die sich durch seinen festen Griff leicht gerötet hatte, war eine Narbe auf ihrem Oberarm zu sehen, die von einem Verbrennungsunfall als Kind herrührte, die auch mit plastischer Chirurgie nicht vollständig hatte beseitigt werden können.

Es war erstaunlich, wie so eine Narbe manche Leute völlig aus der Bahn werfen konnte. Kate gab schon lange nichts mehr auf die Reaktion der anderen, sie kam damit zurecht, das war das Einzige, das zählte.

Aber dieser Mann sah nicht höflich weg, wie Seb das immer gemacht hatte. Vielmehr ergriff er sie am Arm, drehte ihn so, dass er ihre Verletzung ganz sehen konnte. Dann streichelte er sanft über die Narbe. Kate erbebte unter der Berührung. „Eine Verbrennung?“

Sie räusperte sich. „Sind Sie immer so neugierig …?“

„Fällt es Ihnen schwer, darüber zu reden?“

Er war nicht nur verrückt und gefährlich, jetzt fing er auch noch an, den Amateurpsychologen zu spielen! „Nur mit Mördern und Verrückten.“

„Kennen Sie viele …?“

Kate schüttelte den Kopf. „Die meisten Morde passieren innerhalb der Familie“, erklärte sie mit dem Rest von Autorität, den sie noch besaß. „Wenn Sie genug gesehen haben, könnte ich vielleicht meinen Arm …?“

„Ich hoffe, Sie tragen nicht deswegen ständig langärmlige Kleider.“

Die Situation geriet außer Kontrolle. Jetzt erhielt sie von einem Kriminellen auch noch Ratschläge, wie sie mit ihrer Narbe umgehen sollte!

„Nur wenn ich irgendwo einbreche“, erwiderte sie sarkastisch. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ironie war ein Luxus, den sie sich in dieser Situation nicht leisten konnte. Ermutigt durch das amüsierte Blitzen in seinen Augen, deutete sie auf die Fotos. „Hören Sie“, begann sie mit aller Überredungskunst, die sie aufbringen konnte. „Ich kenne diesen Gonzales nicht. Ich bin nur ein Gast im Hotel. Ich bin heute angekommen … Lassen Sie mich gehen, ich verrate keinem, dass ich Sie hier gesehen habe.“

Der zweite Mann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf und gesellte sich an die Seite ihres Widersachers. „Sie könnte ihn warnen“, erklärte er.

„Falls Sie versuchen, mir ein Haar zu krümmen, werde ich so laut schreien, dass sich das ganze Hotel hier versammelt …“

„So wie Sie hier herumschreien, dauert es nicht mehr lange, und ein Gast oder ein Angestellter wird die Polizei rufen.“

Das war das Beste, was sie an diesem Tag gehört hatte. Und es war ein verdammt langer Tag gewesen. War sie wirklich erst an diesem Vormittag nach Palma gekommen?

„Kürzen wir das doch ab“, schlug sie vor und reichte Javier den Telefonhörer. Sie hatte das Gefühl, dass sie mit Tränen und Bitten bei den beiden Männern nichts erreichen würde.

„Ich würde mich natürlich verpflichtet fühlen, der Polizei diese Bilder auszuhändigen.“ Er wedelte mit den Fotos vor ihren Augen herum.

„Ich denke, Sie hätten einige Rechtfertigungsprobleme. Mir würde die Polizei eher glauben“, konterte sie.

„Glauben Sie?“

Vielleicht macht er ja Geschäfte mit der Polizei, überlegte sie. „Da bin ich mir ganz sicher.“

„Nun, ich könnte mich von Ihrer Überzeugungskraft und Ihren großen braunen Augen beeinflussen lassen, aber die Polizei verlangt in der Regel Beweise …“

„Sie wollen einen Beweis …?“ Mit einem triumphierenden Lächeln erinnerte sie sich an die Kreditkarte in ihrer Hosentasche. Sie wedelte mit der Karte vor seiner Nase herum. „Ich teile einen Bungalow mit meiner … mit meiner Freundin.“

„Die Karte könnten Sie gestohlen haben“, erwiderte er, ohne ihre Goldkarte eines Blickes zu würdigen. „Ich halte das für höchst wahrscheinlich.“

Kates Brust hob und senkte sich bei seiner Unterstellung, sie habe eine Straftat begangen. Wütend blitzte sie ihn an, während er genüsslich seinen Blick über ihren Körper wandern ließ.

Du elender Frauenverächter, dachte sie.

„Wie ich bereits erklärt habe, ist das meine eigene Karte. Ich habe sie mitgenommen für den Fall, dass die Tür …“ Sie hielt, abrupt inne. Die Erklärung, dass sie damit die Tür hatte öffnen wollen, hätte sie besser für sich behalten.

„… verschlossen war?“ Die feinen Fältchen um seine Augen vertieften sich.

Kate errötete unter seinem Blick.

„Was für eine clevere Frau Sie doch sind … Sie haben mir noch immer nicht verraten, was Sie hier wollten.“

„Warum sollte ich? Sie haben mir ja auch nicht gesagt, was Sie hier suchen“, murmelte sie.

„Pst! … Serge, hast du auch etwas gehört?“

Der andere Mann nickte. „Das könnte Gonzales sein.“ Auch Kate hörte Schritte vor dem Fenster. Ihr war es gleichgültig, wer da kam. Es bot ihr die Chance, von hier zu verschwinden. Sie öffnete den Mund, um laut um Hilfe zu rufen.

Bevor sie die Chance hatte, das zu tun, legte sich eine Hand auf ihren Mund, um sie daran zu hindern. „Wollen Sie etwa Ihren Liebhaber warnen?“, fauchte er. Kate versuchte, den Kopf wegzudrehen, aber es gelang ihr nicht. Sie hasste es, seinen warmen Atem in ihrem Nacken zu spüren. Und war entsetzt, was das für Gefühle bei ihr auslöste. „Ich glaube nicht …“

Sie biss so fest in seine Hand, wie nur irgend möglich. Sie war völlig verzweifelt, wusste keinen anderen Rat mehr.

Er schrie nicht, obwohl sie sein Blut schmeckte, aber sein Griff um ihren Körper ließ nach. Kate nutzte die Gelegenheit, um sich loszureißen. Mit einem energischen Stoß befreite sie sich und sprintete mit gesenktem Kopf los.

3. KAPITEL

Kate öffnete die Augen und stöhnte. Ihr Kopf schmerzte. Das war neu für sie – in einem fremden Bett aufzuwachen in einer fremden Wohnung ohne Erinnerung daran, wie sie dahin gekommen war. Aber nicht alle neuen Erfahrungen waren gut.

Sie konnte nicht an Amnesie leiden. Sie wusste ihren Namen und die Geheimnummer ihrer Bank sowie andere persönliche Details. Nur eines war ihr schleierhaft, nämlich wie sie in dieses Bett gekommen war. Nur keine Panik, Kate, sagte sie sich. Es gibt bestimmt eine ganz einfache Erklärung für alles. Das Letzte, an das sie sich erinnern konnte, war ihr Abflug nach Palma.

Aber was war, wenn sie gar nicht allein im Bett lag? Sie hielt den Atem an und tastete vorsichtig zur Seite. Erleichtert seufzte sie auf, als die Suche nicht zu einem Ergebnis führte.

Javier betrat den Raum genau in dem Augenblick, als sie Kopfkissen und Laken abtastete. Er erriet sofort, warum sie das tat. Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht, während er sich mit einem Nachthemd auf dem Arm dem Bett näherte.

Kate M. Anderson schien nicht die Frau zu sein, der das häufiger passierte. Es hatte nicht lange gedauert, um über die Rezeption die Identität seines Gastes herauszufinden.

Javier überlegte genüsslich, wie sie sich wohl verhalten hätte, wäre sie im Bett neben ihm aufgewacht. Für einen kurzen Augenblick versuchte er sich vorzustellen, wie sie einladend die Arme ausstreckte und ihn mit ihren weichen üppigen Lippen anlächelte. Doch vermutlich hätte sie den nächstbesten Gegenstand in ihrer Umgebung gepackt, um ihn damit bewusstlos zu schlagen. Doch trotz größter Anstrengungen gelang es Javier nicht ganz, dieses Bild von warmen empfänglichen Armen völlig zu verdrängen.

Mit gerunzelter Stirn drehte sich Kate auf den Rücken. Der große Ventilator über ihr bewegte sich leise in dem im Kolonialstil eingerichteten Raum. Der Bungalow ihrer Eltern war ähnlich möbliert, nur nicht ganz so groß und elegant gewesen.

Natürlich! Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie war im Urlaub. „Oh, tut mir der Kopf weh“, klagte sie.

„Das wundert mich nicht“, meldete sich Javier zu Wort.

„Sie!“, schrie Kate entsetzt.

Sie setzte sich abrupt auf und sank sofort wieder erschöpft in das Kissen zurück. Die Erlebnisse des vergangenen Abends waren auf einmal allgegenwärtig.

„Wie bin ich hierhergekommen?“, fragte sie. „Kidnapping ist eine schwere Straftat.“

„Da stimme ich Ihnen zu“, antwortete er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Es war ganz offensichtlich, dass ihre Warnung ihn eigentlich nur belustigte.

„Eine ganze Reihe von Menschen werden mich vermissen …“, schimpfte sie, brach jedoch abrupt mitten im Satz ab, als ein heftiger Schmerz an ihren Schläfen zu pochen begann.

Trotz der Schmerzattacke spürte Kate, wie die Matratze unter dem Gewicht des Mannes nachgab, als er sich zu ihr auf das Bett setzte. Sein warmer Körper verströmte einen angenehmen männlichen Duft. Mit einem erstickten Aufschrei versuchte sie, von ihm wegzurutschen, aber eine Hand auf ihrem Arm hinderte sie daran.

„Ich tue Ihnen nichts. Sie sollten ruhig liegen bleiben. Sie haben sich ziemlich heftig den Kopf angestoßen.“

„Sie waren schuld daran“, fauchte sie.

„Nun, Sie sind einfach losgespurtet und direkt in den Garderobenschrank aus solidem Mahagoni gerannt.“

„Das klingt ja so, als hätte ich das absichtlich gemacht“, murmelte sie aufsässig.

Sie blinzelte ihn aus dunkel umränderten Augen an, während er ihr vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Fast hätte sie ihm das Gesicht entgegengereckt, um noch ein paar mehr Streicheleinheiten abzubekommen. Irgendwie schien die Wirkung seines männlichen Dufts ihr Denken auszuschalten.

„Wenn ich mir die Stärke Ihrer Brillengläser anschaue, hätte es nicht viel geändert, wenn Sie Licht gehabt hätten“, erwiderte er amüsiert. „Ist es zu hell für Sie?“, erkundigte er sich dann besorgt, als sie die Augen schloss.

„Ein wenig. Haben Sie meine Brille?“, erkundigte sie sich vorsichtig. „Ohne die fühle ich mich halb nackt“, fügte sie hinzu. Es war schwierig, jemandem, der normal sah, zu erklären, wie verletzlich sich ein Kurzsichtiger ohne Brille fühlte.

„Ich fürchte, ich bin im Dunkeln draufgetreten.“

„Oh nein! Das haben Sie bestimmt absichtlich gemacht!“

„Man sagt, dass, wenn man schlecht sieht, sich die anderen Sinne schärfen“, fuhr er mit sinnlichem Unterton in der Stimme fort.

Dieser Mann war wirklich ein Phänomen. Er hatte mehr Sex-Appeal in seinem kleinen Finger, als andere Männer überhaupt.

„Das hilft vielleicht, damit Sie sich weniger nackt und ausgeliefert fühlen.“

Kate blickte auf das cremefarbene Baumwollnachthemd, das er ihr reichte. Sie tastete mit den Händen unter die Bettdecke und war erleichtert festzustellen, dass sie zumindest ihre Unterwäsche trug.

„Haben Sie mich ausgezogen?“

„Allerdings“, gab er kühl zu. „Es schien mir das Vernünftigste. Sonst wäre Ihnen beim Schlafen zu warm geworden.“

Dafür bekam sie jetzt Hitzewallungen! Mit einem leisen Seufzer zog sie die Bettdecke bis zum Hals.

„Kein Grund für falsche Bescheidenheit. Frauen am Strand tragen weniger als Sie jetzt im Bett.“ Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Wesentlich weniger“, fügte er mit trockenem Humor hinzu. „Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben, ich habe mich unter Kontrolle.“

Ihr Kopf schmerzte. Trotzdem ließ sie das nicht auf sich sitzen. „Sie kommen mir wie ein Moralapostel vor“, fauchte sie. „Frauen am Strand werden in der Regel nicht von Verrückten angegriffen.“

„Haben Sie immer so lebhafte Fantasien?“

Kate wurde rot vor Wut. Er hatte es geschafft, mit dem bloßen Heben der Augenbrauen den Eindruck zu vermitteln, als würde er sie nicht einmal anfassen, wenn sie die einzige Frau auf der Welt wäre. „Zumindest keine, in der Sie eine Rolle spielen.“ Auch wenn er ihr gefährlich werden konnte. Doch das brauchte er nicht zu wissen. Wichtig war nur, zu ihrer Familie zurückzukehren.

Javier bemerkte, wie sie zusammenzuckte. „Sie sollten sich nicht aufregen.“

„Ich komme gut ohne Ihre Ratschläge aus.“

Er zuckte mit den Schultern. „Für einen Diebstahl war die Kleidung perfekt geeignet, zum Schlafen bei dieser Hitze jedoch nicht.“

„Wollen Sie mich etwa als Dieb bezeichnen?“

„Wenn der Deckel auf den Topf passt …“

„Aber nur dann!“

„‚Es braucht einen Dieb, um einen Dieb zu fangen‘. Gibt es nicht so ein Sprichwort im Englischen?“

„Ich kann es einfach nicht glauben. Sie kidnappen mich, während ich bewusstlos bin. Und wir reden über englische Redensarten!“

„Tja, Briten sind eben unverwüstlich.“

„Wie bitte?“

„Nun, sie weigern sich, eine andere Sprache als die ihre zu lernen.“ Er sah sie kritisch an. „Ich befürchte fast, Sie haben Fieber.“

Kate versteifte sich, als er ihre heiße Stirn mit seiner kühlen Hand berührte.

„Lassen wir die kleinen Späße, ja? Ich bin in England zur Schule gegangen.“

Kate runzelte die Stirn. „Sie waren in einem Internat?“ Das deutete auf einen gehobenen Lebensstandard hin, wie sein arrogantes Verhalten insgesamt. Wie war er auf die schiefe Bahn geraten? Aus freien Stücken oder hatten ihn die Umstände dazu gezwungen?

„Höre ich da ein Missfallen heraus?“

Er schien sich auf ihre Kosten zu amüsieren. „Nun, wenn ich Kinder hätte, würde ich sie nicht einfach irgendwohin verfrachten …“ Das amüsierte Glitzern seiner Augen ließ sie innehalten. Was ging es ihn an, was sie mit ihren Kindern tun würde?

„Mir hat es nicht geschadet.“

Kate schnaubte. „Wenn ich sehe, wohin es Sie gebracht hat. Kidnapping, mindestens … !“

„Bedeutet das, dass Sie sofort zur Polizei laufen, wenn ich Sie gehen lasse?“

„Ich werde wohl kaum die Polizei aufsuchen, sonst würde man mich fragen, was ich in der Wohnung gemacht habe.“ Kate stellte zu ihrem Entsetzen fest, dass ihr loses Mundwerk sie noch mehr in Schwierigkeiten brachte. „Sie gingen in England zur Schule, sind Sie kein Spanier?“

„Oh, Madame versucht, das Thema zu wechseln.“

„Ich bin nur neugierig …“

„Auf meine Vorfahren?“

„Nun, Sie haben blaue Augen, das ist ungewöhnlich für einen Spanier.“ Sie räusperte sich, als sie das amüsierte Glitzern in seinen Augen bemerkte. „Ansonsten entsprechen Sie einem südländischen Typ.“

„Eine meiner Großmütter stammt aus Schottland.“

„Es ist nie zu spät …“

„Nie zu spät für was?“

Sie fand, dass er viel zu dicht neben ihr saß. Sie rutschte so weit wie möglich weg.

„Nun, Ihr Leben zu ändern“, murmelte sie. „Ihren Unterhalt mit etwas … Rechtschaffenem zu verdienen.“

„Wollen Sie mich bekehren?“ Ein erstaunter Ausdruck huschte über sein Gesicht.

„Ich habe nichts davon, wenn Sie ins Gefängnis wandern. So, und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir meine eigene Kleidung zurückgeben. Ich möchte aufstehen …“

„Was würden Sie tun, wenn ich Sie nicht gehen lasse?“

Kates Gesicht gefror zu einer Maske. „Das würden Sie sich nicht trauen. Ich könnte schreien.“

Zu ihrer Überraschung warf er den Kopf in den Nacken und lachte. „Das glaube ich nicht, Miss Anderson. Aber ich mag Ihre kämpferische Art. Das ist eine angenehme Abwechslung.“

„Kann ich also meine Sachen haben?“

„Wenn der Arzt Sie aufstehen lässt …“

„Der Arzt? Welcher Arzt?“

Wie auf ein geheimes Zeichen vernahm sie Stimmen vor der Tür.

„Dieser Arzt.“

Ein ihr bereits bekannter Mann betrat den Raum. Es war der untersetzte, der bei Licht weniger gefährlich aussah. Anders als ihr Bewacher lächelte er sie an. Aus Höflichkeit lächelte Kate zurück. Man wusste ja nie, ob er ihr nicht doch behilflich sein konnte, von hier zu verschwinden.

Sie wandte sich an Javier. „Sie wollen mich glauben machen, dass Sie einen Arzt gerufen haben?“

Er musterte sie intensiv. „Glauben Sie, was Sie wollen“, erwiderte er hochnäsig.

„Ich vermute, eine Leiche wäre auch schwierig zu beseitigen“, schnaubte sie.

Javier hob eine Augenbraue und stand auf, um seinen Freund zu begrüßen, der einen Arzt aufgetrieben hatte.

„Das ging schnell, Serge.“

„Ich musste gar nicht den Bereitschaftsarzt rufen. An der Rezeption sagte man mir, dass Dr. Latimer noch hier im Hotel übernachtet. Ich habe ihn wecken lassen.“

„Das hat er in der Tat. Ich hoffe, Sie sehen mir deshalb meine nicht ganz korrekte Kleidung nach.“

Kate war verwirrt, als ein hochgewachsener grauhaariger Gentleman mit Arzttasche hinter Serge auftauchte.

„Javier!“ Freudig begrüßte er den Spanier.

„Conrad! Wie schön, dich zu sehen!“

Kates Sorge, dass man einen unschuldigen Arzt unter Androhung von Gewalt zu ihr geschleppt hatte, bewahrheitete sich nicht. In der Tat schienen sich die beiden Männer gut zu kennen.

„Wie geht es deinem Großvater? Ich habe gehört, er will sich aus dem Geschäft zurückziehen …“

Javier lächelte unverbindlich.

„Es wird schwer für den alten Herrn sein, sein Lebenswerk abzugeben. Befolgt er wenigstens teilweise meine Ratschläge?“

„Glaubst du etwa, dass er seine Zigarren und den Brandy aufgeben würde? Diät hält und Sport treibt? Mal ehrlich, hast du das erwartet?“

Der Arzt lächelte vornehm. „Meine Frau sagt mir immer, ich sei ein ewiger Optimist“, seufzte er. Er entdeckte Kate, die die beiden Männer mit gerunzelter Stirn beobachtete und versuchte, das Gespräch zu verstehen. Von wem sprachen sie überhaupt? Dem Mafiaboss?

„Sie sind also die Patientin“, begrüßte der Arzt sie.

„Ja, das ist Miss Anderson.“ Mit geschmeidigen Schritten kam Javier auf das Bett zu. „Kate hat sich den Kopf ziemlich heftig angestoßen … nicht wahr, Liebes?“

Kate zuckte zusammen.

„War sie bewusstlos?“

„Ich glaube, sie war einige Minuten ohnmächtig“, sagte Javier. „Ich weiß zwar nicht, ob das wichtig ist, aber ich denke, sie hat Fieber.“

„Nein, habe ich nicht“, widersprach Kate. „Und wenn jemand wissen will, wie es mir geht, ich kann für mich selbst sprechen.“

Die beiden Männer wechselten einen bedeutungsvollen Blick.

„Da haben Sie natürlich recht“, lächelte der Arzt jovial und setzte seine Brille auf.

„Ich brauche keinen Arzt, ich will meine Sachen.“

„Sie dürfen sich nicht aufregen, Kate …“

Kate setzte sich in ihrem Bett auf und zog die Bettdecke bis unters Kinn. Dieser Javier konnte froh sein, wenn sie ihm nicht vor allen Leuten eine Szene machte.

„Sie denken, ich rege mich auf? Ich kann Ihnen gern zeigen, wie es ist, wenn ich das tue. Und schauen Sie mich nicht so an!“ Das galt Javier.

Ihre Blicke trafen sich. Kate schob das Kinn vor. Sie schwor sich, dass sie nicht die Erste sein würde, die den Blick abwandte. Schon aus Prinzip nicht. „Ich weiß zwar nicht, mit welcher Art Frauen Sie im Normalfall zu tun haben“, begann sie wütend, „aber …“

Der Arzt räusperte sich taktvoll und schaute nachsichtig von einem zum anderen. „Vielleicht wäre es besser, Javier, wenn du uns kurz allein lässt?“, schlug er vor.

„Wenn du etwas brauchst … Ich warte draußen …“

„Ich muss mir noch die Wunde an deiner Hand ansehen, Javier“, rief ihm der Arzt hinterher.

Kates Blick wanderte von Javiers tiefblauen Augen zu seiner Hand. Sie erinnerte sich, dass sie gestern fest zugebissen hatte.

„Das ist nicht so schlimm. Das war nur eine Wildkatze.“

„Vielleicht haben Sie sie gereizt“, bemerkte Kate säuerlich.

Der Arzt bemerkte die unterschwellige Spannung nicht. „Ich hoffe, du hast eine Tetanusimpfung.“

Javier nickte und verschwand.

4. KAPITEL

Endlich ließ die Anspannung nach. Kate konnte ihr Glück kaum fassen.

„Conrad Latimer“, stellte sich der Arzt höflich vor.

Kate ignorierte die Begrüßung und schob mit größter Anstrengung die Bettdecke von sich, um aufzustehen. Doch sofort begann sich der ganze Raum um sie zu drehen. Sie griff sich mit beiden Händen an den Kopf und ließ sich in die Kissen zurückfallen.

„Ich glaube, ich habe mich zu schnell bewegt“, murmelte sie matt.

„Sie brauchen absolute Bettruhe“, erklärte der Arzt.

„Sie verstehen die Situation nicht. Ich muss von hier weg, und zwar schnell. Sind Sie Engländer?“, fragte sie.

„Ja. Meine Frau und ich verbringen jedes Jahr einige Wochen in unserer Villa auf Mallorca, seit ich mich zur Ruhe gesetzt habe. Sie müssen uns einmal mit Javier besuchen kommen, falls er die Zeit dafür findet.“

Kate starrte ihn ungläubig an. Wollte er sagen, falls Javier zwischen zwei Straftaten Zeit hatte?

Conrad Latimer tastete ihren Kopf ab, bemerkte die Beule. Kate zuckte unwillkürlich zusammen. „Tut mir leid, wenn das wehgetan hat. Wie ist das passiert?“

„Anscheinend bin ich gegen einen Wandschrank gerannt.“

„Sie sind wohl eine etwas eigenwillige junge Frau.“

„Es war nicht meine Schuld.“

„Unfälle passieren nun einmal. Sie hatten Glück, dass Javier da war. Es ist gut, jemanden wie ihn an seiner Seite zu wissen.“

Kate hätte sich fast verschluckt. „Er ist sicherlich sehr kompetent“, erwiderte sie grimmig.

„Die Monteros sind alle ziemlich charismatisch, aber meiner Meinung nach ist Javier wirklich der beste aus dem Haufen.“ Javier Montero, wo hatte sie den Namen nur schon einmal gehört?

„Kennen Sie ihn schon lange?“, fragte Dr. Latimer und leuchtete ihr in die Augen.

„Nein, eigentlich nicht“, gab sie zu. „Das kommt Ihnen vielleicht ein wenig seltsam vor, Herr Doktor …“

„Sehen Sie irgendetwas doppelt, ist Ihnen schlecht?“

„Nein, aber …“

„Ja, meine Liebe?“ Er begann ihre Reflexe zu prüfen.

„Wo bin ich?“

Der Arzt legte seinen kleinen Patellahammer zurück in den Koffer. Er war zu erfahren, um sich anmerken zu lassen, dass ihm ihre Frage Sorgen machte.

„Mangelnde Orientierung ist nach einem Schlag auf den Kopf, wie Sie das erlebt haben, normal“, beruhigte er sie. „An was genau erinnern Sie sich?“

„An zu viel.“

„Und was ist mit der Zeit davor?“

„Mein Erinnerungsvermögen ist völlig intakt. Ich weiß nur nicht, wo ich bin.“

„Vermutlich am gleichen Ort, wo Sie sich vor dem Unfall befanden, meine Liebe. In der Hochzeitssuite im …“

„In der was?“, kreischte Kate und setzte sich abrupt auf.

„In der Hochzeitssuite“, wiederholte er geduldig. „Ihnen wird schon wieder alles einfallen, wenn Sie sich Zeit lassen.“

„Ich glaube, ich habe einen Albtraum.“

Der Arzt lächelte sie amüsiert an. „Ich will mich um Gottes willen in nichts einmischen. Ich weiß, dass Javier sein Privatleben schützt. Und Sie scheinen es nicht anders handhaben zu wollen. Ihre Beziehung zu ihm geht mich nichts an. Sie sind sein Gast und meine Patientin … und ich kann Ihnen versprechen, dass von mir niemand erfährt, dass Sie hier sind.“

Kate hätte am liebsten über die Ironie der Situation gelacht. Sie wusste nicht, wieso er so geheimnisvoll tat, im Augenblick begriff sie überhaupt nichts mehr …

„Ich habe keine Beziehung zu diesem Javier Montero. Überhaupt, ich weiß nicht einmal …“

„Ist sie da drinnen? Katie!“ Der Klang einer bekannten Stimme stoppte Kate mitten im Satz.

„Mutter?“, rief sie ungläubig. Oh mein Gott, sagte sie sich, der Schlag auf den Kopf muss ja noch schlimmer gewesen sein, als ich vermutet habe. Ich höre schon Stimmen!

Ihre Augen weiteten sich, als plötzlich die Tür aufging und tatsächlich Elisabeth Anderson hereingeeilt kam. Sie litt also nicht unter Halluzinationen.

„Mein liebstes Kind!“

Theatralisch umarmte ihre Mutter sie. Kate ließ es über sich ergehen, sie wusste, dass es keinen Sinn machte zu widersprechen.

„Woher weißt du, dass ich hier bin, Mutter?“

„Natürlich hat uns Javier gleich benachrichtigt. Er ist ein so wundervoller Mann. Du böses Mädchen!“ Sie fuchtelte spielerisch mit dem Zeigefinger vor Kate herum. „Warum hast du uns denn nicht gesagt, dass du …“, sie warf Kate ein wissendes Lächeln zu, „… mit Javier Montero befreundet bist! Du liebe Güte, ich habe ja nicht einmal geahnt, dass du ihn kennst!“ Sie kicherte wie ein Teenager. Das war nicht das Richtige für Kates schwache Nerven.

„Ich vermute, du hast dich gestern Abend deswegen so früh zurückgezogen, weil du ihn noch treffen wolltest. Obwohl ich die Heimlichtuerei nicht verstehe … Es ist ja nicht so, dass wir etwas dagegen hätten, nicht wahr?“ Sie lachte betont herzlich. „Nicht dass du dir jemals viele Gedanken über meine Gefühle gemacht hättest“, fuhr sie ein wenig gekränkt fort.

„Du freust dich, dass ich ihn kenne?“, wiederholte Kate mit erstickter Stimme.

„Katherine Mary Anderson, manchmal muss ich mich wirklich wundern. Die Monteros sind eine der vermögendsten Familien Europas.“

„Oh mein Gott!“ Kate dämmerte auf einmal, warum ihr der Name Montero so bekannt vorgekommen war. Statt der Unterwelt anzugehören, war Javier Mitglied einer der mächtigsten Familien Europas.

„Du warst schon immer so geheimniskrämerisch, auch als Kind“, beschwerte sich Elisabeth. „Du und dein Vater, immer habt ihr zusammengesteckt und etwas hinter meinem Rücken ausgeheckt. Aber er hat geschworen, dass er dieses Mal keine Ahnung hatte … Hast du ihm nichts davon erzählt?“

„Wovon erzählt?“

Elisabeth ignorierte einfach den Einwand ihrer Tochter. „Wie himmlisch, die Hochzeitssuite!“, rief sie.

Die Hochzeitssuite! Kate wusste, wie der Verstand ihrer Mutter tickte. Die Ehe war für sie die einzige Karriere, die eine Frau brauchte. Aber zu Kates Erleichterung hatte sie sich vorwiegend darum gekümmert, ihre jüngere Tochter Susie unter die Haube zu bringen.

„Mum, bitte, du solltest da nichts reinlesen, was nicht da ist. Ich hatte einen Unfall, und die Suite stand leer. Also brachte mich Javier hierher.“

Elisabeth stellte sich taub, wie Kate das nur zu gut kannte. „Sehr beeindruckend“, lautete Mrs. Andersons Urteil.

Elisabeth wandte sich mit einem charmanten Lächeln an den Arzt. „Wie geht es ihr, Herr Doktor?“, fragte sie mit kritischem Blick auf das Gesicht ihrer ältesten Tochter. „Sie wirkt ein wenig merkwürdig …“

Das war noch gelinde ausgedrückt, fand Kate. Da hatte sie geglaubt, von einem Kriminellen festgehalten zu werden, und dann entpuppte der sich als einer der reichsten Männer Spaniens.

Das warf natürlich ein ganz anderes Licht auf die Situation vom Vorabend. Er war ganz offensichtlich in bester Absicht im Zimmer des Kellners gewesen.

„Es ist so warm hier.“

„Mir scheint, dass die Klimaanlage auf vollen Touren läuft. Eigentlich ist es eher frisch, was denken Sie, Herr Doktor?“, wandte sich Elisabeth an Dr. Latimer.

„Sie hat sich den Kopf gestoßen“, erklärte er. „Das Beste ist Ruhe. Das hilft mehr als jedes Medikament.“

Kate warf ihm einen dankbaren Blick zu. Sosehr sie ihre Mutter auch liebte, so war bereits unter normalen Umständen eine Unterhaltung mit ihr anstrengend, mit Kopfschmerzen war ihre Anwesenheit kaum zu ertragen.

„Eigentlich sollte man sie röntgen lassen, um sicherzustellen, dass ihr nichts Schlimmeres passiert ist. Javier hat erklärt, dass er dafür sorgen wird. Was mir allerdings mehr Sorgen macht, ist die erhöhte Temperatur …“

„Ich habe Fieber“, rief Kate.

„Das stimmt leider. Ihr Hals ist gerötet und die Lymphdrüsen sind geschwollen. Vermutlich ist es eine Virusinfektion“, fuhr der Arzt vor. „Aber wenn alles gut geht, hat sie es in vierundzwanzig Stunden überstanden.“

Kate lächelte, ihr gefiel sein Optimismus.

„Waren Sie mit jemandem zusammen, der erkältet ist?“

„Nein … das heißt, im Flugzeug war ein Kind …“

„Gerade auf so engem Raum wie im Flugzeug steckt man sich leicht an.“

„Oh nein, hoffentlich ist das nicht für uns gefährlich“, jammerte ihre Mutter. „Das ist unser erster Urlaub seit Monaten!“

„Hallo?“ Es klopfte an der Tür. „Kann ich hereinkommen?“

Kate freute sich, dass auch ihr Vater gekommen war. Er entsprach so gar nicht dem Abbild eines vertrockneten Richters, sondern war ein richtiger Lebemann. „Dad! Wie schön!“, rief sie.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass seine Tochter nicht lebensbedrohlich krank war, lächelte er. „Was hast du nur angestellt, Liebes?“

„Charles, sie hat sich erkältet. Das ist ansteckend“, kreischte seine Frau.

„Ach was, sie hat sich doch nur den Kopf gestoßen, seit wann ist das ansteckend?“, erwiderte Charles Anderson.

„Weißt du, Dad …“, begann Kate, stoppte aber, als noch jemand leise den Raum betrat.

Er musste mindestens einen Meter neunzig groß sein, um Charles Anderson schmächtig aussehen zu lassen. Sein aristokratisches Auftreten machte jetzt mehr Sinn. Er gehörte schließlich zu einer der einflussreichsten Familien Europas und würde einmal das Firmenimperium übernehmen.

Kate fand ihn unerträglich arrogant und selbstgefällig. Wenn sie daran dachte, welche Angst sie gestern Abend ausgestanden hatte, während er sich über sie amüsiert haben musste, kochte ihr das Blut in den Adern.

So einfach würde sie ihn nicht davonkommen lassen. Sie mochte Leute nicht, die wie er aus dem Hintergrund agierten. Er hätte ihr einfach sagen können, wer er war, statt sie auf die falsche Fährte zu locken.

Javier war nicht überrascht, als er ihren angriffslustigen Blick bemerkte. Er hatte bereits festgestellt, dass K. M. Anderson eine willensstarke Person war, die sich nichts gefallen ließ. Das war eine Eigenschaft, die sie von allen anderen Frauen, die er kannte, unterschied. Nichts in ihren Handlungen war vorhersehbar. Außerdem schien sie sich ihrer Attraktivität gar nicht bewusst zu sein.

Kate war athletisch, ohne übermäßig muskulös zu sein, und sie hatte Kurven an den richtigen Stellen, wie er zufrieden feststellte. Außerdem besaß sie Intelligenz und einen ausgeprägten Sinn für Humor.

Er begrüßte sie mit einem leichten Kopfnicken und mit einem angedeuteten Lächeln, was Kate verriet, dass er ihre Verwirrung über seine Identität sichtlich genoss.

„Es sieht ganz so aus, Mr. Anderson, als habe Ihre Tochter eine Virusinfektion zusätzlich zu der leichten Gehirnerschütterung“, konstatierte Dr. Latimer.

Charles Anderson strich Kate sanft über die Stirn. „Dir geht es bestimmt ziemlich schlecht, nicht wahr, mein Kleines?“

„Es geht schon, Dad.“

Javier, der leise mit dem Arzt gesprochen hatte, trat vor.

Kate sah, wie er ihrer Mutter höflich zunickte, die völlig verzückt zu sein schien.

„Sie möchten sicher bei Ihrer Tochter bleiben, Mrs. Anderson. Leider haben wir kein zweites Schlafzimmer in der Hochzeitssuite. Aber ich kann veranlassen, dass man ein zweites Bett bringt. Oder soll ich eines im Wohnzimmer für Sie aufstellen lassen …?“

„Oh nein, wir können Ihnen doch nicht so viele Umstände machen …“

Kate verstand das Dilemma ihrer Mutter. Javiers Lippen umspielte ein kaum merkliches Lächeln, während er höflich zuhörte.

Wäre Elisabeth nicht so versessen darauf gewesen, die fürsorgliche Mutter zu spielen, wäre sie bei seinen Worten entsetzt zurückgezuckt. Kate wusste, dass ihre Mutter nicht gern Krankenschwester spielte. Bereits die Erwähnung von Krankheiten ließ sie die Flucht antreten. Zum Glück waren sie und Susie als Kinder fast nie krank gewesen sein. Aber ihre schlimmen Verbrennungen und die folgenden Behandlungen hatten auch bei Kate zu einem Widerwillen gegen Krankenhäuser geführt.

„Ich würde gern in mein Zimmer zurückkehren“, schlug Kate vor. „Mir geht es schon viel besser.“

„Meinst du, dass das eine gute Idee ist, Kate?“, fragte ihr Vater. „Falls Susie sich bei dir ansteckt, sind wir bald alle krank.“

„Du hast recht, das geht nicht“, gab Kate zu. Susie war als Kranke eine wahre Plage. Sie konnte nicht allein leiden, musste immer herumjammern.

„Sie können so lange hierbleiben, wie Sie möchten, Kate“, bot Javier an.

Die Art, wie er ihren Namen aussprach, ließ Kates Haut kribbeln. Sie hoffte nur, dass es Abneigung war, warum sie so intensiv auf ihn reagierte. Am liebsten hätte sie sein Angebot abgelehnt. Sie wollte mit ihm nichts zu tun haben. Aber ihre Mutter war so angetan von diesem Spanier, dass sie gewillt war, die aufopfernde Mutter zu spielen. Sie würde nicht lockerlassen, bevor sie nicht versucht hatte, zumindest eine ihrer Töchter, bevorzugt Susie, mit Javier zu verkuppeln.

„Was für ein großzügiges Angebot.“ Charles Anderson sah ziemlich erleichtert aus. „Nicht wahr, Kate?“

Kate lächelte peinlich berührt und widersprach nicht, obwohl sie das am liebsten getan hätte.

„Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann“, erwiderte Javier höflich.

„Und ob es das ist!“, brach es aus Kate heraus. Ihre Eltern schauten sie verständnislos an. Schnell zwang sie ein Lächeln auf ihre Lippen. „Das ist wirklich sehr nett“, erwiderte sie steif.

5. KAPITEL

Es kam Kate ewig vor, bis der Raum sich endlich leerte und sie allein war. Vorsichtig stand sie auf, um ins Badezimmer zu gehen.

„Sie sollten doch nicht aufstehen!“, ertönte Javiers Stimme.

Kate presste eine Hand auf ihr heftig klopfendes Herz und wirbelte herum.

„Waren Sie nicht gegangen?“

Ihr Kopf schmerzte wie verrückt. Dieser Mann hat eine überaus negative Wirkung auf mein Gleichgewicht, fand sie.

„Ich dachte, Sie schlafen.“

Wie würde es sein, fragte sie sich, neben so einem Mann im Bett aufzuwachen? Sie wich einen Schritt zurück.

„Was tun Sie dann hier? Spielen Sie etwa Krankenschwester?“

„Wenn Sie sich bereit erklärt hätten, wenigstens für eine Nacht ins Krankenhaus zu gehen, wie der Arzt das vorgeschlagen hat, wäre das nicht notwendig …“

Autor

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