Romana Gold Band 58

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LIEBESREISE NACH VENEDIG von SOPHIE WESTON

Ein Traum wird für Zoe wahr: Ihr Chef Jay Christopher, in den sie heimlich verliebt ist, lädt sie auf eine Geschäftsreise nach Venedig ein. Und ganz romantisch küsst er sie in einer Gondel auf dem Canal Grande das erste Mal. Zoes Herz schlägt wie verrückt. Erwidert er ihre Gefühle?

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  • Erscheinungstag 14.08.2020
  • Bandnummer 58
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749798
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sophie Weston, Lucy Gordon, Diana Hamilton

ROMANA GOLD BAND 58

1. KAPITEL

„Zu einer Beziehung gehört mehr als nur Sex, Zo“, verkündete ihre beste Freundin. „Du musst ein bisschen flexibler sein.“

Zoe Brown, die gerade Wasser in den Kocher laufen ließ, blickte sie ungläubig an. „Wie bitte? Wie kommst du denn darauf?“

Suze Manoir war in die altmodische Küche gestürmt und hatte ihre Aktentasche und ihre Einkaufstüten abgestellt. Kaum hatte sie sich auf die Bank gesetzt, war sie damit herausgeplatzt. Nun lächelte sie selbstzufrieden.

„Ich weiß ja nicht, was Simon getan hat …“ Sie verstummte und sah sie erwartungsvoll an.

Zoe verdrehte die Augen. „Musst du dich eigentlich in alles einmischen? Hast du mich etwa überwacht oder mein Telefon abgehört?“

Suze lächelte frech. „Ich muss nicht hinter dir herspionieren, um zu wissen, was du im Schilde führst. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Schließlich kennen wir uns schon aus dem Kindergarten.“

Wenn du wüsstest, dachte Zoe. Erst jetzt merkte sie, dass das Wasser bereits überlief. Sie goss etwas ab und schaltete den Kocher ein. Dann drehte sie sich zu ihrer Freundin um.

„Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmt“, erklärte Suze. „Außerdem hat Simon mich angerufen.“

Das passt, ging es Zoe durch den Kopf. Suze hatte Simon Frobisher und sie miteinander bekannt gemacht. Simon war Mitglied in Suze’ „Netzwerk für Jungunternehmer“. Daher war es kein Wunder, dass er sich ihr anvertraute.

„Habt ihr euch gestritten?“

„Eigentlich nicht“, erwiderte Zoe unbehaglich. „Wir haben miteinander geredet, aber …“

Suze seufzte theatralisch. „Ihr habt miteinander geredet! Und wieder musste einer dran glauben. Ich fasse es einfach nicht!“

Zoe wandte den Blick ab. Sie verspürte Gewissensbisse. „Hat es ihn sehr mitgenommen?“

Suze machte einen Schmollmund. „Er ist vielmehr durcheinander.“

„Das tut mir leid.“

„Ich verstehe es gut. Er ist ein seltenes Exemplar, und er weiß es. Er ist Single, ein grundehrlicher Typ und solvent. Außerdem ist er Inhaber einer Firma, die ihn in fünf Jahren zum Millionär machen wird.“

Zoe fühlte sich schon besser. „Heißt das, er hat keinen Liebeskummer?“

Im Gegensatz zu ihr – Zoe trug ein kaputtes T-Shirt und abgeschnittene Jeans – war Suze in ihrem Kostüm sehr schick. „Nein, aber er ist ziemlich ratlos. Er sagte etwas von Sex …“

„Ach ja?“, meinte Zoe betont gleichgültig.

„Komm schon, Zo. Schieß los.“

„Trink deinen Kaffee“, forderte Zoe sie auf.

Nachdem sie Wasser über den Instantkaffee gegossen hatte, reichte sie Suze einen Becher. Diese krauste die Stirn, als sie ihn entgegennahm.

„Du kannst nicht einfach so weitermachen. Dein Verschleiß an Männern ist enorm“, sagte sie vorwurfsvoll. „Außerdem ist es den anderen Frauen gegenüber nicht fair.“

Zoe lachte humorlos. „Ach wirklich?“

„Ich weiß zum Beispiel nie, wen du zu einer Party mitbringst.“

Zoe strich sich die widerspenstigen braunen Locken aus dem Gesicht und setzte sich auf die Ecke des Tischs. „Wenn das alles ist …“

„Du könntest dich zur Abwechslung ein paarmal mit demselben Mann verabreden.“

Du meine Güte, dachte Zoe. „Ja, Ma’am.“

„Du bist vielleicht eine!“, bemerkte Suze verzweifelt. „Okay, ich kümmere mich um meine Angelegenheiten. Also, was müssen wir tun, um das Haus in Ordnung zu bringen?“

„So ziemlich alles“, antwortete Zoe trocken. „Zuerst mal müssen wir alles verkabeln.“

Die Küche des großen Hauses der Browns war sehr geräumig. Ein kleiner Teil war momentan richtig gemütlich. Zoe hatte zahlreiche Ranken und Kerzen arrangiert, um die abblätternde Farbe auf dem Kaminsims und die Flecken auf dem Kieferntisch zu kaschieren. Auf dem Tisch hatte sie die Schälchen mit dem Essen verteilt, das sie am Vortag zubereitet hatte.

In dem Teil der Küche, in dem sie saßen, herrschte allerdings ein einziges Chaos, wie Zoe zugeben musste. Zusammen mit ihrer Schwester hatte sie die Wände Weihnachten gestrichen, um dem Raum eine fröhlichere Atmosphäre zu verleihen. Doch das ganze Haus wirkte im Grunde wie eine Baustelle. Suze’ Wohnung in der Londoner Innenstadt hingegen war so perfekt eingerichtet, dass man sogar in einer Lifestyle-Sendung im Fernsehen darüber berichtet hatte.

Suze folgte ihrem Blick. „He“, meinte sie sanft und bewies damit, dass sie zumindest in einer Hinsicht keine Geheimnisse voreinander hatten. „Das Haus ist ein bisschen mitgenommen, aber mach dir darüber keine Gedanken. Deswegen feiern wir ja auch hier.“

„Dann machen wir uns an die Arbeit“, sagte Zoe.

Schon seit vielen Jahren feierten sie ihre Geburtstage gemeinsam. Sie hatten sich auf einen Tag im Sommer geeinigt, den sie ihren offiziellen Geburtstag nannten. Suze hatte erklärt, dass sie so mehr Freiheit hätte als in ihrem Elternhaus und mehr Platz als in ihrer Wohnung, doch Zoe wusste, dass mehr dahintersteckte. Seit ihr Vater sie verlassen hatte, war ihre Familie knapp bei Kasse, und ihre Mutter lebte in ihrer eigenen Welt. Die offizielle Geburtstagsparty war Suze’ Art, ihr zu helfen, ohne es zuzugeben.

„Du bist wirklich eine gute Freundin“, meinte Zoe.

Sie ging zu der Tafel, die ihre Familie für Notizen benutzte. An diesem Tag waren weder Anrufe für ihre zwanzigjährige Schwester Artemis vermerkt, die gerade mit ihrem Freund Ed unterwegs war, noch irgendwelche Dinge, die für ihren siebzehnjährigen Bruder Harry erledigt werden mussten. Sie hatte eine Liste gemacht und bereits die Hälfte durchgestrichen.

„Du bist so tüchtig“, bemerkte Suze und seufzte. „Eigentlich müsstest du eine Regierung leiten, statt in diesem Irrenhaus das Regiment zu führen.“

Zoe hob die Hand.

„Du musst wissen, was du tust“, lenkte Suze wie üblich ein. „Hast du schon einen Job für nächste Woche?“

Zoe schnitt ein Gesicht. „Nur ein paar Touristenführungen an der Themse. Wahrscheinlich rufe ich Montag in der Bibliothek an und frage, ob jemand krank geworden ist.“

„Ich wünschte, du würdest wieder für mich arbeiten“, sagte Suze, die eine erfolgreiche Zeitarbeitsfirma hatte. „Die Leute fragen immer nach dir.“

„Vielleicht im Herbst“, erwiderte Zoe ausweichend und blickte auf die Liste. „Was möchtest du übernehmen? Bunte Glühbirnen im Apfelbaum oder Discokugeln im Wohnzimmer aufhängen?“

Suze betrachtete ihre perfekt lackierten Fingernägel und schauderte. „Das klingt nach harter Arbeit. Machen wir es zusammen.“

Nachdem Zoe die Leiter aus dem Schuppen geholt hatte, gingen sie in den Obstgarten. Als Suze das Lied der Zwerge aus Schneewittchen sang, drehte Zoe sich lachend um.

„Ich bin kein Zwerg.“

Das stimmte, denn sie war fast genauso groß wie ihr Vater, der über eins achtzig maß, und genauso auffallend mit ihren großen braunen Augen und den dunkelbraunen Locken.

„Nein, aber du kannst zupacken wie ein Bauarbeiter.“ Suze beobachtete, wie Zoe die Leiter an den Stamm lehnte. „Wenn Simon hier wäre, könnte er es übernehmen. Dazu sind Männer schließlich da.“

„Simon kommt aber nicht“, erklärte Zoe, während sie nach oben kletterte. „Lehn dich gegen die Leiter“, fügte sie hinzu, als die Leiter wackelte, und Suze gehorchte.

„Was soll das heißen: Simon kommt nicht?“, erkundigte sie sich wütend. „Das hier wird die Party des Jahres in Londons Norden. Er kann sich nicht einfach drücken.“

Zoe setzte sich rittlings auf einen der knorrigen Äste und blickte nach unten. Sie hatte das lange Haar aufgesteckt, damit es sich nicht in den Zweigen verfing. Vorsichtig beugte sie sich vor und streckte die Hand aus.

„Gib mir die Glühbirnen. Er hat sich nicht gedrückt.“

Suze reichte ihr das zusammengerollte Kabel mit den Glühbirnen. „Ach, erzähl mir doch nichts“, entgegnete sie. „Als du ihn abserviert hast, hast du ihm auch gesagt, dass er nicht mehr auf der Gästeliste steht.“

Zoe befestigte eine Haarnadel. Ihre Locken ließen sich nur schwer bändigen. „Wir sind übereingekommen, dass wir beide etwas Zeit für uns brauchen“, verteidigte sie sich.

„Aha. Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall.“

Zoe kletterte im Baum umher und wickelte dabei das Kabel ab. „Es war das Beste so.“

„Okay, ich weiß, dass du nichts Dauerhaftes suchst“, beharrte Suze. „Aber du hättest Simon wenigstens noch bis nach der Party behalten können.“

Zoe musste lächeln. Sie steckte den Kopf durchs Laub und blickte ihre Freundin an. „Dann würde ich Simon nur benutzen“, erklärte sie vorwurfsvoll. „Das wäre unfair.“

„Wer muss denn fair sein? Schließlich müssen wir drei Discokugeln aufhängen.“

„Dazu brauchen wir keinen Mann. Das schaffe ich auch allein.“

Zoe zögerte allerdings. Sie lehnte sich zurück, sodass Suze sie nicht mehr sehen konnte. Dort, wo die Nachmittagssonne durch die Blätter fiel, war es sehr warm. Es war ein wunderschöner Tag, und es würde ein perfekter Abend für eine Feier sein. Noch war sie jedoch mit Suze allein. Und Suze war ihre beste Freundin. Sie musste ihr die Wahrheit sagen, denn inzwischen hielt sie es kaum noch aus. Und wenn sie es ihr nicht erzählen konnte, wem dann?

„Suze, da ist etwas …“, begann sie von ihrem Versteck aus.

Suze hörte es aber nicht. Sie beschattete die Augen mit der Hand und blinzelte zu ihr auf. „Du bist so praktisch veranlagt – die geborene Unternehmerin.“

Zoe resignierte. Dies war einfach nicht der richtige Moment. Sie fuhr fort, das Kabel im Baum zu befestigen. Und Suze hatte offenbar nicht einmal gemerkt, dass sie ihr etwas sagen wollte, denn sie fuhr fort: „Natürlich schaffst du es allein. Gibt es überhaupt irgendetwas, was du nicht kannst?“

Wieder steckte Zoe den Kopf durch die Blätter. Sie waren gelbgrün und dufteten herrlich nach Sommer. „Nicht dass ich wüsste.“

Suze schüttelte den Kopf. „Ich begreife einfach nicht, warum ich so erfolgreich bin und du dich immer noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser hältst.“

„Das liegt an meinem Haar“, erwiderte Zoe ernst. „Leute mit Locken werden einfach nicht für voll genommen. Du dagegen hast schon mit vier wie eine Geschäftsfrau ausgesehen.“

Suze war groß, blond und langbeinig und wirkte immer etwas überlegen.

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. „Du könntest dein Haar jederzeit glätten lassen. Aber im Ernst, Zoe, es ist zwei Jahre her, dass du das College beendet hast. Solltest du nicht allmählich mal etwas Vernünftiges machen?“

„Ich komme schon klar“, meinte Zoe.

„Sicher kommst du klar. Du verdienst dir deinen Lebensunterhalt selbst und führst ein flottes Leben.“ Suze schlug mit der Faust gegen die Leiter. „Aber denkst du gar nicht an die Zukunft?“

Ein wenig überrascht blickte Zoe sie an. „Immerhin habe ich noch ein Leben. Wann hast du eigentlich angefangen, wie dein Vater zu reden?“

Suze seufzte. „Ich weiß, Karriere zu machen ist kein Zuckerschlecken. Bist du jetzt fertig?“

„Ja. Wenn du bitte aufhören würdest, an der Leiter zu rütteln …“

Nachdem Zoe auch die letzte Lampe befestigt hatte, kletterte sie mit dem restlichen Kabel wieder hinunter. „So, einen Baum hätten wir rausgeputzt“, stellte sie fest. Dann klappte sie die Leiter zusammen und ging damit zum Haus. „Wer braucht schon einen Mann?“

Suze folgte ihr. „Okay, okay. Du brauchst keinen Mann, um deine Partybeleuchtung aufzuhängen. Aber was ist mit dem Rest?“

Das war die ideale Gelegenheit, um es Suze zu erzählen. Na los, dachte Zoe. Sag deiner besten Freundin die Wahrheit. Sie zögerte allerdings. „Welcher Rest?“

Suze machte eine ausholende Geste. „Zusammen sein. Urlaub. Sonntags im Bett frühstücken.“

Zoe antwortete nicht. Es hatte sowieso keinen Sinn, etwas zu sagen, wenn Suze ihr Vorschriften machen wollte, wie sie ihr Leben zu gestalten hatte.

„Ich meine, bei Simon wusstest du, woran du warst“, fuhr Suze fort. „Er ist auch praktisch veranlagt.“ Plötzlich kam ihr offenbar ein Gedanke. „Außerdem sollte er doch die Getränke abholen, oder?“

„Die wurden schon geliefert“, informierte Zoe sie schnell.

„Ich hätte mir denken können, dass du dich darum gekümmert hast.“ Wieder schüttelte Suze den Kopf. „Was hat er eigentlich getan, der Arme? Hat er dir einen Heiratsantrag gemacht?“

„Nein, natürlich nicht. Schließlich kenne ich ihn erst ein paar Monate.“

„Stimmt“, bestätigte Suze trocken. „Aber die Männer scheinen in dir die ideale Ehefrau zu sehen. Der Himmel weiß, warum – bei deinem Verschleiß.“

Es duftete herrlich im Garten. Um nichts in der Welt hätte Zoe diesen Tag verderben mögen. Sie beschloss, auf eine günstigere Gelegenheit zu warten, und setzte ihre bewährte Maske auf – die der dynamischen jungen Frau, die mit allem fertig wurde und noch Witze darüber machte. Insgeheim nannte sie ihr anderes Ich „Schauspieler-Zoe“.

„Das liegt an meinen Kochkünsten“, erklärte sie fröhlich. „Seit Gran mir beigebracht hat, wie man Bread-and-Butter- Pudding macht, hängen die Männer wie Kletten an mir.“ Sie ging mit der Leiter die vier Stufen zum Schuppen hinunter. „Machst du mir bitte die Tür auf?“

Suze öffnete ihr die Tür. „Das liegt nicht nur am Bread-and-Butter-Pudding“, bemerkte sie finster.

Zoe betrat den Schuppen. Zahlreiche Bretter waren bereits verrottet, und das Werkzeug hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Allerdings war es darin sehr ordentlich. Sie hängte die Leiter an den Haken.

„Das bezweifle ich.“

Da das Haus an einen Hügel gebaut war, erstreckte sich der Garten über drei terrassenförmig angelegte Ebenen. Der Obstgarten befand sich oben, und die mittlere Ebene, auf der sie sich gerade befanden, war die größte. Sie bestand aus einer großen, von zahlreichen Beeten gesäumten Rasenfläche. Zwischen den stark duftenden Gartennelken summten die Bienen. Suze legte sich ins Gras und schnupperte an einer kleinen grauen Pflanze mit weißen Blüten.

„Wie das duftet!“, sagte sie verträumt. „Ich wette, du machst auch die Gartenarbeit allein.“

Zoe verließ den Schuppen. „Was?“

Suze drehte sich auf den Rücken, ohne darauf zu achten, ob ihr elegantes marineblaues Kostüm dabei Grasflecken abbekam. „Komm schon, Zoe. Du weißt, was für eine heiße Nummer du bist. Dein Bread-and-Butter-Pudding ist nur ein Bonus.“

Zoe setzte sich neben sie und riss einige Grashalme aus. „Danke.“

„Es stimmt“, meinte Suze ausdruckslos. „Wenn du nicht meine beste Freundin wärst, hätte ich längst einen Vertrag mit dir gemacht.“

Zoe riss ein Gänseblümchen aus und warf es nach ihr. „Nein, hättest du nicht.“

„Doch. Wenn du dir einen von meinen Männern gekrallt hättest.“

Der Tonfall ihrer Freundin erschreckte Zoe, und sie sah sie entgeistert an. „Das würde ich nie tun.“

„Das müsstest du auch nicht. Du brauchst nur irgendwo allein zu erscheinen, und schon ist es passiert.“

„Wie bitte? Nun komme auf den Teppich, Suze.“

Suze setzte sich auf und legte die Arme um die Knie. „Die Männer – zumindest bestimmte Männer – bekommen schon bei deinem Anblick weiche Knie.“

„He, ich bin nicht mal schön.“

„Ich weiß“, gestand Suze. „Aber du hast das gewisse Etwas. Das ist mir schon oft aufgefallen.“ Sie stützte das Kinn auf die Knie. „Zuerst dachte ich, es würde daran liegen, dass du dir nicht so viel Mühe gegeben hast wie alle anderen Frauen. Du hast immer so ausgesehen, als hättest du deine Sachen erst im letzten Moment übergeworfen, bevor du aus dem Haus gegangen bist. Das habe ich auch mal zu David gesagt.“

David war Suze’ vorletzter Freund gewesen, und sie, Zoe, hatte sich schon einige Male gefragt, ob Suze wirklich über die Geschichte mit ihm hinweg war. Dass dies nicht der Fall war, bewies ihr Tonfall, als Suze weitersprach.

„Und David war ganz meiner Meinung. Er sagte, du würdest den Männern den Eindruck vermitteln, dass du gerade aus dem Bett gekommen bist, und es nicht schwer sein dürfte, dich wieder ins Bett zu bekommen.“

Zoe setzte sich ebenfalls auf und dachte nicht mehr an das gebrochene Herz ihrer Freundin. „Das ist nicht wahr.“

„Doch, das ist es.“

„Es ist verrückt. Ich …“

Suze wandte sich ihr zu. „Warum warst du eigentlich mit Simon zusammen?“, erkundigte sie sich leise. „Und jetzt sag mir die Wahrheit.“

Das ist ja das Problem, dachte Zoe und begann, einen Löwenzahn zu zerpflücken. Sicher konnte sie Suze die Wahrheit sagen: Er wollte mit mir ins Bett, und ich habe die Nerven verloren. Allerdings würde Suze ihr nicht glauben, und daran wäre sie, Zoe, selbst schuld. Ihre Freunde hielten sie alle für eine Femme fatale, und nicht einmal Suze wusste, dass sie keine war.

Genau wie früher vertraute Suze ihr immer noch alles an. Nur sie, Zoe, hielt sich zurück. Natürlich log sie sie nicht an. Die anderen zogen nur falsche Schlüsse, ihre Freunde taten nichts, um diese falschen Schlüsse zu widerlegen, und so war ihr Image entstanden. Sogar ihre Geschwister dachten, sie würde ihre Freunde ständig wechseln, weil sie sich schnell langweilte.

Nein, so konnte es nicht weitergehen. Sie hatte es sich in der Silvesternacht vorgenommen, als sie in Suze’ Schlafzimmer in den Spiegel blickte. Als Einzige unter den Gästen war sie noch völlig nüchtern gewesen. Sie hatte den armen, verwirrten Alastair um Mitternacht geküsst, und ihr Lächeln war dabei zur Maske erstarrt. Und danach hatte sie entschieden, dass es ein Ende haben musste. Zuerst hatte sie es Suze erzählen wollen und anschließend allen anderen. Dann bräuchte sie nicht mehr zu schauspielern, und alle wüssten, dass sie noch Jungfrau war.

Es bot sich nur nie eine Gelegenheit. Und alle hatten ein völlig falsches Bild von ihr. Selbst so ein netter Mann wie David glaubte, sie sofort ins Bett bekommen zu können. Und heute hatte ihre beste Freundin ihr gesagt, zu einer Beziehung würde mehr als nur Sex gehören.

Teilweise war sie selbst daran schuld, das war Zoe klar. Silvester lag mittlerweile sechs Monate zurück. Sie hatte also genügend Gelegenheiten gehabt, es Suze zu erzählen. Sie hatte sie nur nicht ergriffen. Und Simon war bereits der dritte Mann in diesem Jahr, dem sie den Laufpass gegeben hatte.

„Okay“, erwiderte sie schließlich. „Simon ist ein toller Typ. Er hat nichts getan …“

Suze lachte anzüglich. „Was hat er denn nicht getan?“

Zoe lachte, obwohl sie innerlich zusammenzuckte.

„Er hat alles richtig gemacht. Es lag wirklich nicht an ihm, sondern an mir.“

„Es liegt immer an dir.“ Suze machte einen Schmollmund. „Du hast eine gespaltene Persönlichkeit.“

„Was?“, fragte Zoe entgeistert.

„Du weißt nicht, was du willst. Du servierst einen lockeren Typ wie Alastair ab, weil er keine Lust auf deine verrückte Familie hat. Und dann lässt du dich mit Simon ein, der so häuslich ist, dass er sogar einen Labrador mit in die Beziehung bringt. Und auch er kann dich nicht lange begeistern.“

Zoe verlagerte ihre Position. „So ist es nicht.“

Suze war so fasziniert von ihrer Persönlichkeitsanalyse, um es zu bemerken. „Erkennst du denn kein Muster? Du willst immer das, was du nicht hast.“

„Hör zu, Suze …“, begann Zoe eindringlich.

In dem Moment klingelte allerdings Suze’ Handy. Sie nahm es aus der Tasche ihrer Kostümjacke und schaltete es ein. „Hallo, Jay. Was kann ich für dich tun?“

Zoe blickte über den Garten. Wieder eine verpasste Chance!

Inzwischen war Suze wieder in die Rolle der Geschäftsfrau verfallen. Sie war aufgestanden und ging auf dem Rasen auf und ab, als wäre sie in ihrem Büro. Einige Male stellte sie in scharfem Tonfall Fragen, doch die meiste Zeit hörte sie zu.

„Du brauchst also jemanden, der recherchieren kann“, erklärte sie gerade, als Zoe sich wieder auf sie konzentrierte. „Und jemanden, der eigenständig arbeitet. Und das bis Montag. Du verlangst nicht zu viel, oder?“

Ihr Gesprächspartner erwiderte offenbar etwas Schmeichelhaftes.

Suze lachte. „Okay, Jay, ich tue, was ich kann. Aber ich brauche die Unterlagen noch heute Abend, und ich bin nicht im Büro. Wenn es dir damit ernst ist, musst du sie hier vorbeibringen.“ Sie nannte ihm Zoes Adresse.

Er sagte wieder etwas.

„Wirf doch einfach einen Blick in den Stadtplan“, erklärte sie zuckersüß. „Die gute Nachricht ist, dass du auch zu später Stunde noch hier aufkreuzen kannst. Wir feiern nämlich eine Party.“

Das war das Stichwort für Zoe. Sie sprang auf, gab Suze ein Zeichen und lief hinunter über die Terrasse ins Haus. Dort machte sie sich daran, in der Küche aufzuräumen.

Kurz darauf kam Suze. Sie blieb auf der Schwelle stehen und atmete tief ein. „Zo? Weißt du, dein Job nächste Woche …“

„Was?“ Zoe, die gerade die Arbeitsfläche putzte, blickte auf.

„Ich weiß, dass du keinen Vertrag mit mir abschließen willst, aber was hältst du davon, zwei Wochen für mich zu arbeiten? Es könnten auch vier daraus werden. Es ist ein sehr interessanter Job.“

Zoe kannte ihre beste Freundin gut. „Und was ist der Haken an der Sache?“

„Es gibt keinen. Ehrlich. Es ist ein toller Job.“

„Und warum hast du dann niemanden, der ihn machen kann?“

Suze seufzte. „Habe ich ja. Ein paar sogar. Allerdings habe ich die bereits verplant. Außerdem ist es nichts, was jeder machen kann.“ Sie kam zu ihr und knuffte sie in die Seite. „Du wärst sowieso meine erste Wahl gewesen.“

„Du schmeichelst dich immer bei mir ein, wenn irgendetwas nicht stimmt“, stellte Zoe fest. „Also, was ist der Haken?“

„Na ja, es ist im Westend“, gestand Suze.

„Oh. Das heißt, ich müsste aus dem Haus, bevor Harry zur Schule geht.“ Zoe schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Er hat bald Prüfungen.“

„Vielleicht lassen sie sich ja darauf ein, dass du später kommen kannst. Sagen wir, um halb elf? Dann ist es auch in der U-Bahn nicht mehr so voll.“ Suze legte den Arm um sie. „Ach komm, Zoe. Du brauchst das Geld. Außerdem könnten wir zusammen Mittag essen.“

Zoe zögerte. Es stimmte. Sie und ihre Familie konnten das Geld gut gebrauchen. Die Wasserleitungen mussten dringend repariert werden. In einem der Schlafzimmer im Obergeschoss war schon ein nasser Fleck an der Decke.

„Wenn ich das Haus nach Harry verlassen könnte …“, überlegte sie laut.

„Du bist ein Schatz.“ Suze zog sich Gummihandschuhe an und nahm ihr den Schwamm ab. „Ich mache weiter.“

„He, ich habe noch nicht zugesagt“, erklärte Zoe schnell. „Ich werde darüber nachdenken.“

„Mehr verlange ich auch gar nicht. Danke.“

Zoe inspizierte schnell den Inhalt des Kühlschranks und machte anschließend Platz für die Weinflaschen.

Suze betrachtete sie nachdenklich. „Ist es in Ordnung, dass ich diesen Typen eingeladen habe?“

Zoe war überrascht. „Es ist auch deine Party. Du kannst einladen, wen du willst.“

„Er ist zwar ein Kunde, aber wirklich cool“, versicherte Suze. „Um nicht zu sagen, fantastisch.“

Zoe zuckte die Schultern. „Selbst wenn nicht, könnte ich damit leben. Schließlich bringt Lauren ihren langweiligen Buchhalter mit.“

Sie stöhnten beide.

„Apropos cool … Kommt deine Mum auch?“, fragte Suze dann.

Seit ihr Vater sie verlassen hatte, lebte Zoes Mutter praktisch ihr eigenes Leben. Und falls jemand kochte oder Großeinkauf machte, dann war es Zoe, nicht Deborah Brown.

„Nein. Sie hat die Flucht ergriffen“, erklärte Zoe ungerührt.

Einen Moment lang schwiegen sie beide. Philipp Brown hatte ihre Familie an ihrem sechzehnten Geburtstag verlassen. Alle Nachbarn wussten davon. Suze’ Mutter hatte ihnen mit warmen Mahlzeiten und seelischem Beistand durch die schwere Zeit geholfen, bis ihre Mutter sie vergrault hatte. Danach hatte Zoe das Regiment im Haus übernommen.

„Schade!“, bemerkte Suze. „Dann lebt sie also immer noch auf ihrem Planeten?“

„Ja“, erwiderte Zoe kurz angebunden.

Es klingelte an der Tür. Die alkoholischen Getränke und die Weingläser wurden geliefert, und Zoe und Suze halfen dabei, die Kisten hereinzutragen. Danach waren sie zu beschäftigt, um weiter über persönliche Dinge zu reden. Zoe wusste nicht, ob sie deswegen frustriert oder erleichtert sein sollte.

„Hilfe!“, sagte sie, als Suze und sie sich daranmachten, die Gläser auszupacken. „In weniger als drei Stunden wimmelt es hier nur so von Gästen, und erst der Garten ist fertig.“

Allerdings waren Suze und sie ein gut eingespieltes Team. Zweieinhalb Stunden später stand das Essen auf dem Tisch, die Disco im Wohnzimmer war betriebsbereit, und alle Wertsachen und zerbrechlichen Gegenstände waren im Zimmer ihrer Mutter eingeschlossen.

Zoe nutzte die verbleibende Zeit, um zu duschen und sich die Haare zu waschen. Anschließend föhnte sie sie kurz und beobachtete resigniert, wie sie sich wieder kringelten. „Ich kann nichts dagegen tun“, sagte sie. „Locken sind mein Fluch.“

„Und was für ein Fluch!“ Suze hatte ein knappes Kleid mitgebracht, das sie nun anzog. Dann belegte sie Zoes Frisierkommode mit Beschlag, um sich zu schminken.

Nachdem Zoe sich das Haar aufgesteckt hatte, schlüpfte sie in ihre Sachen.

„Warum vergesse ich bloß immer, wie viel Arbeit die Vorbereitungen für eine große Party machen?“, fragte Suze.

„Weil wir gut darin sind.“ Zoe schwankte zwischen einem kurzen weißen Top und einer durchsichtigen schwarzen Chiffonbluse. „Was soll ich anziehen?“

Suze drehte sich um und überlegte einen Moment. „Kein Weiß“, entschied sie schließlich. „Du bist noch nicht braun.“

Zoe nickte, warf das weiße Top in den Schrank und nahm schwarze Satinunterwäsche heraus. Dazu zog sie eine tiefviolette Hose aus handschuhweichem Leder an. Sie ließ Suze allein und ging ins angrenzende Bad, um die immer noch feuchten Locken mit einem Kamm zu bändigen, bis sie ihr in weichen Wellen über die Schultern fielen.

Schließlich verließ sie das Bad. „Na, was meinst du?“

Suze hatte inzwischen ihre Augen geschminkt. „Sieht sehr präraffaelitisch aus“, bemerkte sie beifällig.

„Nicht, als würde ich gerade aus dem Bett kommen?“

„Natürlich nicht.“

„Die Männer werden also nicht denken, dass ich gleich mit ihnen ins Bett hüpfe, wenn sie mich nett darum bitten?“

Suze lachte. „Du kennst ja die Männer. Sie hoffen immer.“

Gespielt verzweifelt fasste Zoe sich an die Schläfen.

„Im Notfall kannst du ja mit dem langweiligen Buchhalter tanzen“, tröstete Suze sie. „Lauren hat mir erzählt, dass er auf eine Jungfrau wartet.“

„Tatsächlich?“, fragte Zoe gequält.

„Ich weiß wirklich nicht, was Lauren an diesen verrückten Typen findet. Anscheinend betrachtet sie es als ihre Aufgabe, die rückständigen Kerle ins einundzwanzigste Jahrhundert zu katapultieren.“

„Kann sein.“ Zoe merkte selbst, wie deprimiert sie klang.

Suze legte ihr den Arm um die Schultern und umarmte sie kurz. „Keine Angst. Ich weiß, dass du die Retterin aller Außenseiter bist, aber der langweilige Buchhalter wird dich keines Blickes würdigen. Du hast nun wirklich nichts Jungfräuliches an dir.“

Zoe lachte humorlos. „Da bin ich ja froh.“

Suze lachte ebenfalls. „Ich glaube nicht, dass es auf der Nordhalbkugel noch eine dreiundzwanzigjährige Jungfrau gibt.“

Zoe zuckte zusammen, doch Suze merkte es nicht. „Ja, diese Spezies ist ganz sicher ausgestorben.“

2. KAPITEL

Eine halbe Stunde nach Mitternacht bog Jay Christopher in die von Bäumen gesäumte Straße ein. Das Haus war nicht schwer zu finden, denn es war hell erleuchtet, und am Balkon hatte jemand Luftballons befestigt. Nachdem er den Jaguar geparkt hatte, saß er einen Moment da und genoss die Einsamkeit, denn er hatte eine harte Woche hinter sich. Er hatte keine Lust, das Haus zu betreten, rief sich dann aber ins Gedächtnis, dass dies hier Arbeit war.

Jay öffnete seine Aktentasche auf dem Beifahrersitz und nahm den großen weißen Umschlag heraus. Anschließend legte er die Aktentasche auf den Boden, damit man sie nicht auf den ersten Blick sah. Sein Jackett zog er nicht über, denn ein Typ im Anzug würde bei Suze Manoirs Freunden sicher nicht ankommen. Außerdem hatte er seine Krawatte bei Carla gelassen.

Bei dem Gedanken an Carla runzelte Jay die Stirn. Er wusste, dass er sie unglücklich machte, auch wenn sie es leugnete. Daher musste er die Geschichte schnell beenden. Jay schüttelte den Kopf. Man merkte es sofort, wenn Frauen sich zu große Hoffnungen machten. Sie stellten keine Fragen mehr, aus Angst vor den Antworten.

An diesem Abend hatte er zum Beispiel gesagt, er müsste noch zu einer Party, und sie hatte nicht einmal wissen wollen, wer die Party gab, wo diese stattfand oder ob sie mitkommen könnte. Vermutlich hatte sie angenommen, die Gastgeberin wäre ihre Nachfolgerin. Also hatte sie ihm lächelnd im Restaurant gegenübergesessen und höfliche Fragen über seine Firma gestellt. Nur der Ausdruck in ihren Augen hatte ihre wahren Gefühle verraten.

Ja, er musste es so schnell wie möglich beenden, denn Carla war einfach zu nett. Gleich am Anfang hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er keine dauerhafte Beziehung wollte, doch Frauen neigten leider dazu, die Spielregeln zu vergessen, wenn sie sich verliebten. Vor allem wenn sie sich in Männer verliebten, die nicht wussten, was Liebe war.

Ich weiß vielleicht nicht, was Liebe ist, überlegte Jay. Aber ich habe erlebt, was sie anrichten kann. Sein Herz krampfte sich zusammen, weil Carla ihm leidtat. Trotzdem konnte er es nicht erwarten, die Beziehung zu beenden, weil er zu ersticken glaubte.

Auf Suze Manoirs Party würde er jedenfalls von Gefühlsäußerungen verschont bleiben. Den Umschlag unter dem Arm, stieg Jay aus und überquerte die Straße. Nachdem man ihn hereingelassen hatte, dauerte es nicht lange, bis er Suze fand. Sie tanzte in einem Raum, den man zur Disco umfunktioniert hatte, zu den Klängen von Abba. Sobald sie ihn sah, ließ sie die Hand ihres Partners los und kam zu ihm.

„Jay! Du hast also tatsächlich hergefunden.“

„Ich bin sogar an den Türstehern vorbeigekommen“, bemerkte er trocken. „Neben diesen Typen wirkt ein Menschenhai richtig nett.“

„Ach, das sind Harry Brown und seine Freunde. Er ist Zoes Bruder.“

„Zoe?“

„Sie wohnt hier. Wir geben die Party zusammen. Hast du den Vertrag dabei?“

„Hast du eine Forschungsassistentin für mich?“, konterte Jay.

„Schon möglich.“

Sie sieht ziemlich frech aus, ging es ihm durch den Kopf. Vielleicht lag es aber auch an den rotierenden Lichtern.

„Das hier ist kein Spiel, Susan. Ich muss nächsten Monat eine wichtige Rede auf der Tagung in Venedig halten. Und ich habe überhaupt kein Material dafür.“

„Trink erst mal etwas“, beschwichtigte Suze ihn.

„Nichts Alkoholisches“, erwiderte er geistesabwesend. „Ich bin mit dem Wagen da. Das ist nur passiert, weil ich diese Aufgabe delegiert habe, und die Frau keinen Finger krumm gemacht hat.“

Er folgte Suze in die Küche, und sie öffnete den Kühlschrank. Hier war es etwas heller als im Wohnzimmer, obwohl lediglich Kerzen brannten. Auf einem Plakat stand in Goldfarbe: „Noch einmal sechzehn“.

„Wie alt ist deine Freundin?“, erkundigte er sich.

Sie goss Wasser in ein Glas. „Dreiundzwanzig. Aber sie sagt immer, auf einer Party sollte jeder sechzehn sein.“

„Wie originell!“

Suze lachte und reichte ihm das Glas.

„Zoe ist nicht so blöd, wie es den Anschein hat. Sie hat ihre Gründe dafür. So, lass mich mal den Vertrag sehen.“

Jay reichte ihr den Umschlag. „Wenn du mir nicht helfen kannst, rufe ich am Montag die größeren Agenturen an.“

Sie überflog die Arbeitsplatzbeschreibung. „Hm. Du weißt doch, dass die anderen nicht so erfindungsreich sind wie ich.“

„Nein, aber sie haben mehr Mitarbeiter.“

Suze blickte auf. „Du brauchst nur die Richtige für diesen Job. Und vielleicht habe ich sie schon.“

Er war fasziniert. „Vielleicht?“

Nun lächelte sie frech. „Na ja, sie denkt darüber nach. Du musst mir dabei helfen, sie zu überzeugen.“

Jay seufzte. „Und wie soll ich das anstellen?“

„Muss ich das dem großen PR-Guru sagen? Bezirze sie. Fordere sie heraus. Du schaffst das schon.“

„Bei den großen Agenturen hat man es viel leichter“, beschwerte er sich.

Wieder lachte sie. „Aber mit denen hast du nicht so viel Spaß. So, und nun müssen wir uns etwas einfallen lassen …“

Zoe war gerade auf dem Weg nach oben gewesen, als es an der Tür klingelte. Sie hatte sich umgedreht, um zu sehen, ob sie eventuell eingreifen musste, denn Harry und seine Freunde übertrieben gelegentlich etwas. Daher stand sie auf dem Treppenabsatz, als sie ihn erblickte.

Er trug ein orangefarbenes Hemd und eine dunkle Hose. Während er dort stand und mit den Jungen debattierte, überlegte sie, was das für ein Mann war, der in einem solchen Hemd auf einer Party in der Vorstadt erschien.

Und dann sah sie in sein Gesicht. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Der Fremde hatte sie nicht einmal bemerkt. Er kannte sie auch nicht. Ihr schien es allerdings, als hätte sie ihn schon immer gekannt, auch wenn sie seinen Namen nicht wusste. Sie kannte jedoch sein Gesicht. Die unergründlichen Augen. Den schön geschwungenen Mund, der Selbstdisziplin, aber auch unterschwellige Leidenschaft verriet.

Zoe wich einen Schritt zurück, sodass sie im Schatten stand. Ihr war richtig feierlich zumute, als hätte sie gerade in die Zukunft geblickt. Natürlich war es lächerlich. Niemand glaubte an Liebe auf den ersten Blick. Es war ein Mythos.

Genau wie der Mythos von der dreiundzwanzigjährigen Jungfrau? meldete sich eine innere Stimme.

Na ja, vielleicht waren es nur die Pheromone. Oder es lag an der ausgelassenen Stimmung. Jedenfalls war es kein Gefühl, auf das man sich verlassen konnte. Trotzdem stand sie förmlich unter Schock.

Wer, in aller Welt, war dieser Mann?

Du willst es gar nicht wissen, sagte die innere Stimme.

Und Zoe musste sich eingestehen, dass es tatsächlich der Fall war. Hätte sie dem Mann gegenübertreten müssen, wäre sie wahrscheinlich befangen gewesen wie ein Teenager. Und sie wollte sich nicht mit Empfindungen auseinandersetzen, die sie eigentlich schon seit zehn Jahren nicht mehr hegen durfte. Sie wollte sich amüsieren. Genau das war ja der Sinn dieser Party. Sie wollte ihre finanziellen Probleme vergessen. Sie wollte vergessen, dass sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt und gar nicht richtig lebte. Sie wollte tanzen und Spaß haben!

Und genau das werde ich auch tun, entschied sie grimmig.

Also war sie, wie geplant, nach oben ins Bad gegangen. Und bevor sie zu den anderen zurückgekehrt war, hatte sie ihr Gesicht so gründlich mit kaltem Wasser benetzt, dass sie ihr Make-up erneuern musste.

Suze führte ihn ins Wohnzimmer, und Jay stellte fest, dass es sich über die Längsseite des Hauses erstreckte. Am hinteren Ende standen die Terrassentüren offen. Er ging darauf zu, um etwas frische Luft zu schnappen. Sie begleitete ihn und bewegte sich dabei im Rhythmus der Musik.

„Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie sich gerade mit einem Mann über Megabytes unterhalten. Sie nimmt ihre Aufgabe als Gastgeberin sehr ernst.“

Ihre Bewegungen waren sehr sinnlich, und er hätte es sexy gefunden, wenn sie dabei nicht ständig den Blick über die Menge hätte schweifen lassen. Die gute Susan! Zum Glück wollte sie nicht mit ihm ins Bett, sodass er keine Gefahr lief, ihr das Herz zu brechen.

„Du bist einmalig!“ Er nahm ihre Hand und tanzte mit ihr an den anderen vorbei.

„Ich liebe es, wenn du mir schmeichelst“, erwiderte sie ungerührt.

Schließlich erreichten sie die Terrassentüren.

„Vielleicht ist sie im Garten.“ Sehnsüchtig blickte Jay zu den hohen Bäumen und Lorbeerhecken.

„Vielleicht.“ Suze sah nicht nach draußen. „Ah, da ist sie ja.“ Sie hob den Arm und winkte. „Zo! Komm her!“

Er folgte ihrem Blick, konnte in den zuckenden Lichtern zuerst aber nichts sehen. Schließlich kam sie auf sie zu, und er hielt den Atem an.

Sie war groß und gertenschlank. Als sie näher kam, konnte er ihre Lockenmähne ausmachen. Fasziniert betrachtete er ihren vollen Mund. Offenbar hatte sie einen dunkelvioletten Lippenstift benutzt. Es war eine aggressive Farbe. Ihr ganzes Erscheinungsbild hatte etwas Aggressives. Allerdings bemerkte er ihre Verletzlichkeit, die sie verzweifelt zu verbergen suchte.

„Fantastisch“, sagte er zu sich selbst.

Suze hörte es jedenfalls nicht.

Die Frau trug eine schwarze Chiffonbluse und darunter einen BH aus einem glänzenden Material, dessen einer Träger hinuntergerutscht war. Ihre Haut war ganz hell. Er war völlig benommen.

Dieser anmutige Gang, diese Haut, dieser Mund …

Verdammt! Er fühlte sich tatsächlich, als wäre er noch einmal sechzehn, denn seine Hormone spielten verrückt.

„Reiß dich zusammen“, sagte Jay grimmig.

Das hatte Suze gehört. „Was?“, fragte sie erschrocken.

„Ist das deine Kandidatin für den Job?“, erkundigte er sich ungläubig.

„Ja, meine Freundin Zoe. Und?“

„Deine Freundin?“ Das wurde ja immer schlimmer!

„Ja.“ Sie wandte sich zu ihm um. „Und sie braucht diesen Job unbedingt, auch wenn sie es wahrscheinlich nicht zugibt. Also pass auf! Du könntest die Antwort auf ihre Gebete sein.“

Jay stöhnte auf.

Im nächsten Moment streckte Suze die Hand aus und zog ihre Freundin in ihre Mitte. „Zoe, diesen Mann musst du unbedingt kennenlernen.“

Zoe unterdrückte einen Seufzer und lächelte den Mann neben Suze an. Soweit sie es bei der schummrigen Beleuchtung erkennen konnte, sah er nicht schlecht aus. Er war genauso groß wie ihr Prinz aus dem Flur. Doch er musste ein großes Problem haben, sonst hätte Suze sie nie zu sich gerufen.

„Hallo“, rief Zoe, um die laute Musik zu übertönen, und streckte die Hand aus. „Zoe Brown.“

Der Mann wirkte gelangweilt. Langweiler schmollten normalerweise, wirkten misstrauisch oder übereifrig. Und sie konnten es nicht fassen, wenn eine Puppe wie sie ihnen Aufmerksamkeit schenkte. Dieser große, dunkelhaarige Fremde schien allerdings nicht zu merken, dass sie eine Puppe war. Er konnte den Blick nicht von Suze abwenden.

„Hallo“, sagte er. Es klang gequält.

Suze lächelte und wandte sich von ihm ab. „Zoe, hier ist dein Schicksal.“

Der Mann sah erschrocken aus.

Zoe war regelrecht schockiert. Als er den Kopf neigte, wusste sie, wer er war. Diese unergründlichen Augen. Und sein Hemd war orange, wie sie jetzt erkennen konnte. Er war ganz bestimmt kein Langweiler.

Und Suze hatte gesagt, er wäre ihr Schicksal?

„Was?“, fragte Zoe und vergaß ganz, dass die beiden sie ohnehin nicht verstehen konnten. Sie berührte Suze am Arm, um sie auf sich aufmerksam zu machen. „Was … hast … du … gesagt?“, formte sie mit den Lippen und funkelte sie wütend an.

Suze lächelte noch frecher.

„Ein Ganztagsjob für vier Wochen“, antwortete sie.

„Was?“

Suze verdrehte die Augen. Dann zuckte sie die Schultern und winkte sie beide zu den geöffneten Terrassentüren.

Im Garten gab es wenigstens keine Lautsprecher. Da die laute Musik und das Stimmengewirr nach draußen drangen, war es nicht gerade still, aber man konnte sich zumindest unterhalten. Allerdings kamen die meisten Gäste nicht hierher, um zu reden. Einige Pärchen tanzten, andere lagen eng umschlungen auf dem Rasen.

Zoe zuckte zusammen, doch sofort übernahm „Schauspieler-Zoe“ das Kommando und erinnerte sie daran, dass so etwas auf Partys üblich war. Sie tat es ja auch manchmal, wenn auch nur, um den Schein zu wahren. Dann machte sie sich rechtzeitig aus dem Staub, was natürlich niemand wusste. Hätten ihre Freunde geahnt, dass Zoe Brown nie über einen Kuss im Dunkeln hinausgekommen war, hätten sie sich vor Lachen ausgeschüttet.

„’tschuldigung“, sagte Zoe leise und drängte sich an einem tanzenden Paar vorbei. Sie ging nach oben zum Obstgarten, und die anderen beiden folgten ihr. Dort angekommen, stemmte sie die Hände in die Hüften und drehte sich um. Der Fremde schien bereits darauf gefasst zu sein, denn er wirkte jetzt alles andere als gelangweilt, und Suze war alarmiert.

Ihr Vater war Richter. Normalerweise brachte nichts sie aus der Fassung.

„Willst du es mir erklären, Susan?“, fragte der Mann trügerisch sanft.

„Hm …“, begann sie.

Normalerweise war sie auch nicht um Worte verlegen.

„Ihr habt mich reingelegt, stimmt’s?“, erkundigte er sich ruhig. „Ich suche eine erfahrene Kraft, und du willst mir eine von deinen durchgeknallten Freundinnen ans Bein binden.“ Er streifte Zoe mit einem Blick. „Nichts gegen Sie.“

„Durchgeknallt?“, brachte sie hervor.

„Komm auf den Teppich, Jay“, sagte Suze. „Ich tue, was ich kann …“

„Ich brauche jemanden, der arbeitet“, erklärte er. „Keine Bürohilfe im Minirock.“

Sie machte eine wegwerfende Geste. „Zoe kann alles.“

Der Mann drehte sich zu ihr um, und Zoe schluckte, denn im flackernden Licht der Fackeln wirkte er geradezu bedrohlich.

„Ich habe nie gesagt …“, begann sie wütend.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Ich auch nicht. Eine Forschungsassistentin, die selbstständig arbeiten kann? Wohl kaum.“

Sie verspannte sich. „Wie bitte?“

„Ich weiß, was sie kann“, sagte Suze scharf. „Zoe und ich sind zusammen zur Schule gegangen.“

„Ach ja? Und seit wann bringt die Emanzenakademie ungelernte Bürohilfen hervor?“

Wieder zuckte Zoe zusammen. Viele waren der Meinung, dass es ein Jammer war, wenn eine Collegeabsolventin wie sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Erst vergangene Woche hatte ihr Vater sie zum Mittagessen eingeladen und sich vorsichtig erkundigt, wann sie sich denn endlich einen vernünftigen Job suchen würde. Aber bisher hatte niemand ihr ins Gesicht gesagt, sie wäre ungelernt. Oder angedeutet, sie wäre deswegen nichts wert.

Sie vergaß die unergründlichen Augen und den sinnlichen Mund. Und sie hasste diesen Mann!

„Ich überlege immer noch, was ich machen soll“, erwiderte sie. Dass sie es bereits seit zwei Jahren tat, würde sie ihm gegenüber natürlich nicht zugeben.

Der Mann musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, spürte es aber. Dann machte er einige Schritte auf sie zu, wie ein Panther, der überlegte, ob seine Beute die Jagd lohnte oder nicht.

Nicht, dass er im Dunkeln viel erkennen konnte. Vermutlich nur genug, um zu merken, dass sie genauso cool aussah wie Suze. Und genau das war das Problem. Sie wirkte genauso cool wie alle anderen jungen Frauen hier. Und wahrscheinlich noch selbstbewusster. Nur sie wusste, dass sie kein Selbstvertrauen besaß. Dass sie nicht normal war.

Trotzig hob Zoe das Kinn und fasste einen Entschluss. „Hören Sie auf, mich zu begutachten, als wäre ich ein Stück Vieh. Ich fange am Montag bei Ihnen an“, informierte sie ihn forsch. „Aber mehr bekommen Sie nicht für Ihr Geld. Die Freitagabende gehören mir.“

Suze atmete hörbar ein.

Sichtlich schockiert blickte er sie an. „Das klingt wirklich nach Emanzenakademie“, bemerkte er dann trocken.

Zoe war immer noch wütend. „Entschuldigen Sie sich.“

„Wofür?“, meinte er langsam.

„Dafür, dass Sie mich so ansehen.“

„Sind Sie nicht ein bisschen überempfindlich?“, fragte er amüsiert.

„Falls ja, möchten Sie sicher nicht, dass ich für Sie arbeite, oder? Sie wissen ja, wie Sensibelchen sind. Eine echte Last in jedem kleinen Büro. Also blasen wir das Ganze lieber gleich ab.“

Sie hatte angenommen, er würde sofort einen Rückzieher machen, doch er tat es nicht. Er betrachtete sie eine Weile, aber ganz anders als vorher.

„Wie kommen Sie darauf, dass das Büro klein ist?“, erkundigte er sich schließlich.

Zoe gab sich überrascht. „Ist es das nicht? Ich dachte nur, es müsste sich um eine kleine Firma handeln, wenn Sie sich keinen richtigen Personalchef leisten können.“

Wieder atmete Suze hörbar ein.

„Ah ja“, sagte der Mann nach einem Moment. „Ich verstehe, was Sie meinen.“

„Ich sollte den Job lieber nicht annehmen, wenn Sie nicht wissen, wie Sie mich einschätzen sollen …“

Er lachte laut. „Ich glaube, Sie kommen schon klar.“

„Ich möchte nicht, dass Sie dabei kein gutes Gefühl haben …“

„Doch, das wollen Sie“, unterbrach er sie. „Und ich kann es Ihnen nicht verdenken.“

„Soll das eine Entschuldigung sein?“, fragte Zoe misstrauisch.

„Ich glaube schon.“ Es hörte sich an, als wäre er über sich selbst überrascht. Er drehte sich zu Suze um. „Ich entschuldige mich bei euch beiden. Tut mir leid, Suze.“ Dann wandte er sich wieder an Zoe. „Tut mir leid, Miss Blaustrumpf. Dann also bis Montagmorgen. Und keine Bemerkungen mehr – großes Pfadfinderehrenwort.“

„Danke“, erwiderte Zoe und merkte selbst, dass es klang, als wäre sie beleidigt.

Suze warf ihr einen besorgten Blick zu.

„Das wäre also erledigt“, verkündete der Mann fröhlich. „Ich gehe dann.“

Suze schien etwas dagegen zu haben. „Willst du noch auf eine andere Party, Jay?“

Wieder lachte er. „Ich verbringe das Wochenende auf dem Land. Und ich werde mich sowieso unbeliebt machen, weil ich nicht vor drei da bin.“

„Sie wird schon auf dich warten“, bemerkte sie.

Allerdings schien dieser Jay es nicht mehr zu hören, denn er ging bereits die Treppe hinunter.

Zoe atmete tief aus und lehnte sich gegen den Apfelbaum, weil sie ganz weiche Knie hatte. „Sag mir, dass es nicht wahr ist“, flehte sie. „Sag mir, dass ich mich nicht gerade beim Roten Korsar verpflichtet habe.“

Suze blickte ihm nach. „Beim Roten Korsar?“, wiederholte sie geistesabwesend.

„Er hat mich gemustert, als wäre ich auf einem Sklavenmarkt für Piraten.“

Suze richtete ihre Aufmerksamkeit auf sie. „Du siehst zu viele alte Filme. Jay Christopher ist kein Pirat.“

„Und warum benimmt er sich dann wie einer?“

Suze lachte ungläubig. „Tut er nicht. Das sagst du nur, weil du auf ihn stehst.“

Zoe zuckte zusammen. „Du machst Witze. Warum sollte ich auf ihn stehen?“

„Weil alle es tun“, erwiderte Suze.

„Ist mir ein Rätsel“, meinte Zoe undeutlich.

„Komm auf den Teppich, Zoe. Du hast ihn gesehen. Er ist tödlich.“

„Er ist unhöflich und arrogant.“

„Er kann es sich leisten, arrogant zu sein. Immerhin ist er der Inhaber von Culp and Christopher Public Relations. Im Wirtschaftsteil wird ständig über ihn berichtet.“

Zoe strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Ach ja? Du weißt doch, dass ich den Wirtschaftsteil nicht lese.“

„Sein Name taucht auch ständig in den Klatschkolumnen auf. Und im Sportteil. Er hat mal bei der Olympiade eine Medaille im Langstreckenlauf gewonnen.“

Zoe schüttelte den Kopf. „Du kennst mich ja. Ich interessiere mich nicht für Sport.“

Suze war merklich frustriert. „Du musst dich an ihn erinnern. Es war ein Überraschungssieg.“

Jetzt glaubte Zoe sich zu erinnern. Undeutlich sah sie einen großen, stolzen Mann mit einem distanzierten Ausdruck in den Augen vor sich. Ja, es konnten dieselben Augen sein …

„Vielleicht erinnere ich mich“, erwiderte sie.

„Er hat die Agentur zusammen mit der Wirtschaftsjournalistin Theodora Culp gegründet. Sie gehört mittlerweile zu den besten in London. Theodora ist irgendwann wieder zum Fernsehen gegangen, sodass er die Agentur jetzt allein leitet.“ Suze lachte. „Und du dachtest, er wäre Personalchef.“

„Ich habe ihm gesagt, er wäre ein schlechter Personalchef“, verbesserte Zoe sie. Aus irgendeinem Grund hatte sie dabei ein Gefühl des Triumphs verspürt. Sie hätte es natürlich niemals zugegeben, aber Suze war nicht die Einzige, die Jay Christopher attraktiv fand.

„Kein Problem. Jay weiß, dass er gut ist.“ Einen Moment lang wirkte Suze nachdenklich. „Ich habe gehört, dass sich gerade eine große internationale Agentur bei ihm umsieht. Wenn Jay verkauft, bekommt er eine Menge Geld.“

Zoe machte keinen Hehl daraus, wie wenig sie sich aus Geld machte, auch wenn sie sich zu Jay Christopher hingezogen fühlte.

„Man muss ihn einfach bewundern“, fuhr Suze fort. „Er hat es aus eigener Kraft geschafft. Sein Großvater ist ein ehemaliger Brigadegeneral und hat sehr gute Verbindungen, aber Jay hat sich nicht einmal am Anfang von ihm helfen lassen. Und er ist alles andere als selbstzufrieden.“

„Nein?“, meinte Zoe skeptisch.

„Normalerweise nicht. Du hast ihn heute anscheinend auf dem falschen Fuß erwischt.“

„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, erklärte Zoe gereizt.

„Das habe ich gemerkt. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mann dich so schnell aus der Fassung gebracht hat. Normalerweise wirst du mit jeder Situation fertig.“

Wenn du wüsstest, dachte Zoe. Sie sprach es allerdings nicht aus und fragte sich, warum. Schließlich wollte sie doch ihr Image loswerden.

„Bin ich ja auch. Ich habe ihn sogar dazu gebracht, sich zu entschuldigen.“

„Ja. Wahrscheinlich ist alles bestens.“ Suze klang nicht überzeugt.

„Oh ja“, bestätigte Schauspieler-Zoe. „Ich habe schon für einige Ekel gearbeitet. Nun, da ich seinen Widerstand gebrochen habe, werde ich spielend mit diesem Erfolgsmenschen fertig.“

Suze sah sie nur an.

Trotzig hob Zoe das Kinn. „Glaubst du wirklich, dass ich nicht mit ihm fertig werde?“

Suze legte den Kopf zur Seite. „Wie lange sind wir schon befreundet?“

„Neunzehn Jahre.“

„Dann kannst du mir glauben. Du wirst mit Jay Christopher nicht fertig.“

Schauspieler-Zoe stieß einen verächtlichen Laut aus.

„Ich kenne dich. Und ich kenne Jay Christopher.“ Suze schüttelte den Kopf. „Hör auf mich. Du wirst nicht für ihn arbeiten wollen.“

„Und warum nicht?“

„Vergiss nicht, dass ich all deine Exfreunde kenne, Zo.“

Nun verschlug es selbst Schauspieler-Zoe die Sprache.

„Komm“, sagte Suze schließlich energisch. „Die Nacht ist noch jung. Lass uns feiern.“

Zusammen mischten sie sich wieder unter die Gäste und feierten ausgelassen. Zoe tanzte mit dem Computerfreak, mit Laurens langweiligem Buchhalter und mit Alastair, dem sie Silvester das Herz gebrochen hatte und der nun eine französische Freundin hatte. Sie tanzte allein. Sie tanzte mit ihrer Schwester Artemis und mit Suze.

Als es schließlich hell wurde, waren nur noch die hartgesottenen Partygänger da, und am Morgen saßen sie schließlich zu sechst in der schäbigen Küche. Hermann, Suze’ neuste Flamme, hatte es sich auf der Ecke des Kieferntischs bequem gemacht und spielte Gitarre. Artemis umarmte ihren Freund Ed, der gerade leere Flaschen in einen Karton stellte, von hinten. Suze und Zoe hatten alle Essensreste in drei Tüten verpackt und taten die letzten Gläser in den Geschirrspüler.

Kurz zuvor hatte Suze Harry beiseitegenommen und ihm von Zoes neuem Job erzählt.

„Sie braucht diesen Job unbedingt“, hatte sie eindringlich hinzugefügt.

Harry war zwar erst siebzehn, aber sehr realistisch. Er hatte genickt. „Ja. Und nicht nur wegen des Geldes. Sie muss unbedingt etwas für sich machen. Außerdem soll Mum nicht denken, dass sie nur mit den Fingern zu schnippen braucht, und Zoe springt. Überlass es mir, Suze.“

Nun wanderte er in der Küche umher und tat so, als würde er helfen. Tatsächlich machte er sich jedoch über die Essensreste her, die seiner Meinung nach keinen Platz mehr im Kühlschrank hatten.

„Das war unsere beste Party überhaupt“, stellte Suze zufrieden fest. „Hast du Jay gesehen, Hermann? Hermann ist mit Jay aufs College gegangen“, fügte sie an Zoe gewandt hinzu. „Er hat den Kontakt für mich hergestellt.“

„Ja, habe ich.“ Ihr Freund spielte einen Schlussakkord und stellte die Gitarre dann weg. „Nett von ihm, dass er vorbeigekommen ist.“

„Warum hätte er auch nicht kommen sollen?“, fragte sie gereizt.

Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Weil er so viel um die Ohren hat, dass er kaum noch Zeit für solche Dinge hat.“

Zoe war nicht überrascht. Jay Christopher hatte auf sie so gewirkt, als hätte er keine Lust, sich mit anderen abzugeben.

„Mach Zoe keine Angst“, warnte Suze ihn. „Sie arbeitet ab Montag für ihn.“

„Ich habe keine Angst. Schließlich hatte ich nicht vor, mich mit ihm anzufreunden“, erklärte Zoe forsch.

Ed lachte laut. „Zoe kann man keine Angst machen. Ein Blick aus ihren braunen Augen, und die Männer liegen auf dem Rücken und strecken ihre Klauen von sich.“

Sie wurde ärgerlich. „Wie Suze heute zu mir sagte, gehört zu einer Beziehung mehr als nur Sex, Edward.“

Daraufhin lachten alle schallend.

„Die letzte Femme fatale“, bemerkte Artemis liebevoll.

„Sei nicht albern“, erwiderte Zoe scharf. Sie nahm einen feuchten Lappen und begann den Tisch abzuwischen.

Artemis löste sich von Ed. „Komm, Zo, du weißt doch, dass es so ist. Deine Männer kommen nie über vier Verabredungen hinaus. Und wenn sie es nicht sind, die irgendwann die Nase voll haben, wer ist es dann? Die wählerische Prinzessin Zoe.“

Zoe biss sich auf die Lippe.

„He, keine Angst, Kleine.“ Ed richtete sich auf, den Karton mit den leeren Flaschen in Händen. „Ich finde es cool. Meine Freundin, die Herzensbrecherin.“

„Damit könntest du deine beruflichen Probleme lösen“, schlug Suze vor. „Vielleicht hat der Geheimdienst ja einen Job für Olga, die schöne Spionin.“

Wieder lachten alle – wie immer.

Zoe tat Pulver in den Geschirrspüler, machte die Tür zu und schaltete ihn ein. Danach standen alle auf.

„Danke für eure Hilfe, Leute“, sagte Zoe. „Ich muss jetzt in die Falle. Hermann, bringst du Suze nach Hause?“

„Du Mutter der Nation“, neckte Suze sie.

Hermann packte seine Gitarre in den Koffer und legte den Arm um Suze. „Halt dich an mir fest, Baby.“

Zoe blickte weg, doch niemand merkte es.

Eng umschlungen verließen Suze und Hermann zusammen mit Artemis und Ed das Haus. Ed wohnte ganz in der Nähe, und Artemis übernachtete fast immer bei ihm. Harry zog sich mit einem Video in sein Zimmer zurück, und Zoe machte sich einen Becher Kakao, da sie zu aufgekratzt war, um schlafen zu können.

Sie goss den Kakao in den Becher mit dem Drachen darauf, den ihr Vater ihr zu ihrem sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Sie hatte immer Gegenstände mit Drachen darauf bekommen, Artemis welche mit Katzen und Harry welche mit Krokodilen. Seit jenem Tag hatte ihr niemand mehr etwas mit einem Drachen darauf geschenkt, und darüber war sie froh. Leider war der Becher im Gegensatz zu vielen anderen auch nie kaputtgegangen.

Mittlerweile hatte sie ihn sieben Jahre. Da ihr Vater sie an jenem Tag verlassen hatte, war das Motto ihrer Partys auch immer „Noch einmal sechzehn“. Mit sechzehn war sie zum Familienoberhaupt geworden – zur „Mutter der Nation“, wie Suze es nannte.

Zoe ging hinaus auf die Terrasse und machte es sich auf der alten Bank gemütlich. Den Becher in der Hand, saß sie da und dachte nach.

Artemis hatte recht gehabt. Sie, Zoe, ging nie mehr als viermal mit einem Mann aus. Die Männer bewunderten ihre tolle Figur, ihre scharfe Zunge und fanden es toll, dass sie ein Partygirl war. Und niemand merkte, dass sie nur schauspielerte.

Zoe fröstelte, trotz des heißen Kakaos.

Suze hatte behauptet, sie würde mit jeder Situation fertig werden, und sie glaubte es auch. Zoe wusste, dass ihre Familie nur das sah, was sie sehen wollte, aber wie konnte ihre beste Freundin sich so täuschen lassen?

Weil du eine gute Schauspielerin bist, ging es ihr durch den Kopf. Eines Tages allerdings würde ihr jemand auf die Schliche kommen. Wieder fröstelte Zoe. Vielleicht war sie diesem Jemand bereits begegnet.

An diesem Abend hätte sie sich beinah verraten. Und Jay Christopher hatte es auch gemerkt, das wusste sie. Ob er sie durchschaut hatte?

Nein, sagte sie sich. Natürlich hatte er sie nicht durchschaut. Irgendwann hatte sie sogar den Eindruck gehabt, als würden er und Suze schauspielern. Wurde sie langsam paranoid?

Du musst damit aufhören, sagte sie sich. Du musst es irgendjemandem erzählen. Aber wem sollte sie es erzählen? Und wie? Und würde derjenige ihr glauben?

Die Männer in ihrem Leben richteten sich nach ihren Freunden. Und ihre Freunde hielten sie für eine coole Dreiundzwanzigjährige und fragten sie sogar in Liebesdingen um Rat. Niemand von ihren Freunden würde es für möglich halten, dass ihre jüngere Schwester Artemis sexuell erfahrener war als sie. Verdammt, wahrscheinlich war sogar Harry erfahrener! Und eines Tages würde sie sich verraten. Oder sie wäre dazu verdammt, bis an ihr Lebensende zu schauspielern, und niemand würde die wahre Zoe kennenlernen.

„Oh nein!“, brachte Zoe hervor. Und warf den Becher auf die von Unkraut überwucherten Platten.

Er ging nicht kaputt.

3. KAPITEL

Wie immer, wenn er morgens joggen ging, verließ Jay das Herrenhaus seines Großvaters durch die Küchentür. Alle schliefen noch. Nachdem er einige Dehnübungen gemacht hatte, lief er los. Das Gras war noch feucht vom Tau. Wie sonst auch lief er durch den Kräutergarten und anschließend durch das schmiedeeiserne Tor in der Mauer in den Wald, danach am Fluss entlang den Hügel hinauf. Dieser Teil der Strecke war nicht so anstrengend, und Jay hing seinen Gedanken nach.

Er war nicht lange unterwegs gewesen, da die Straßen fast leer waren. Schon kurz nach zwei hatte er im Bett gelegen. In London ging er meistens auch nicht früher schlafen. Wenn er trainierte, war das natürlich viel zu spät. Es war jedoch lange her, dass er an einem Wettkampf teilgenommen hatte.

Und es war lange her, dass er etwas nicht so leicht bekommen hatte.

Mit Ausnahme des gestrigen Abends. Suze hatte recht gehabt. Es hatte ihn überrascht, dass die junge Frau mit dem sinnlichen Mund keine große Lust hatte, für ihn zu arbeiten. Nein, korrigierte er sich. Sie hatte keine Lust, für Culp and Christopher zu arbeiten. Schließlich kannte sie ihn nicht. Zumindest hoffte er, dass das der Grund war.

Jedenfalls hatte er Suze’ Rat befolgt und sie nicht provoziert. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte sie zugesagt. Für ihn war es wie ein Sieg gewesen.

Pass auf, ermahnte sich Jay. Du hast dir vorgenommen, Beruf und Privatleben in Zukunft strikt voneinander zu trennen. Dennoch beschleunigte er bei dem Gedanken daran, dass Zoe Brown ihn so überrascht hatte, das Tempo, und er musste sich zwingen, wieder langsamer zu laufen. Einen dreistündigen Lauf begann man schließlich nicht mit einem Sprint. Und er war sehr geduldig und beherrscht.

Jay erinnerte sich daran, wie der Träger ihres BHs unter der durchsichtigen Bluse hinuntergerutscht war, und musste sich ins Gedächtnis rufen, dass Selbstbeherrschung seine größte Stärke war. Außerdem stellt man seinen Angestellten nicht nach, sagte er sich.

Aber sie arbeitet nur vorübergehend für dich. Und bis dahin wird sie mir gegenüber nicht mehr feindselig sein, dafür werde ich schon sorgen.

Gegen halb zehn kehrte Jay zurück. Nachdem er geduscht und sich angezogen hatte, ging er ins Frühstückszimmer. Sein Großvater saß am Tisch und las wutentbrannt die Zeitung.

„Guten Morgen. Bist du gelaufen?“

„Ja.“

„Wie war deine Zeit?“

Sein Haar war noch feucht, und Jay strich sich mit den Fingern hindurch. „Nicht so gut. Ich werde dick und faul in London.“

„Nein, wirst du nicht. Aber besonders viel Spaß hast du auch nicht, oder?“

Jay war überrascht. „Nein?“

Sein Großvater wedelte mit dem Daily Telegraph. „Hier steht, dass du an Karlsson verkaufen willst.“

Jay schenkte sich Saft ein. „Das Zauberwort heißt Fusion, Grandpa. Sie würden die Anzeigen übernehmen und wir die PR.“

„Karlsson ist ein Haufen internationaler Haie, und du bist ein Ehrenmann“, wandte sein Großvater ein.

Jay zuckte die Schultern. „Man kann sich dem Fortschritt nicht verschließen.“

„Du solltest wieder an Wettkämpfen teilnehmen. Du bist nicht zu alt. Cross Country ist ein Sport für reife Männer.“

„Danke. Ich bin fünfunddreißig, nicht neunzig.“

„Dann nutz deine Zeit besser, statt immer mehr Geld zu verdienen, das du gar nicht brauchst. Du solltest endlich …“

„Eine Familie gründen.“ Ein grimmiger Zug erschien um Jays Mund. „Das hast du schon öfter gesagt.“

„Ich will ja nur …“

Jay stellte sein Glas ab und beugte sich vor. „Nein.“

Sein Großvater hatte Soldaten befehligt und mit unzähligen schwierigen Verhandlungspartnern debattiert. Noch nie hatte jemand ihn so zum Schweigen gebracht. Er schien beleidigt zu sein, erwiderte allerdings nichts mehr.

An diesem Abend sagte er jedoch vor dem Essen zu seiner Schwiegertochter: „Ich habe heute Morgen über die Zukunft gesprochen.“

Ruhig blickte Bharati Christopher ihn an. Sie hatte graues Haar und wirkte wie ihr Sohn ein wenig kühl. „Damit vergraulst du ihn nur.“

„Aber …“

„Er wird heiraten, wenn er sich verliebt. Vorher nicht. In der Hinsicht ist er wie sein Vater.“

Brigadegeneral Christopher hatte seinen Sohn Robert hinausgeworfen, lange bevor dieser wie viele andere Hippies auch nach Indien gegangen war und dort Bharati kennengelernt hatte. Er vergaß allerdings nicht, dass er die ersten sieben Jahre im Leben seines Enkels versäumt hatte, weil er sich lange geweigert hatte, diese binationale Ehe anzuerkennen.

„Schätze, Jay wird morgen zu dieser Gartentante fahren“, meinte er unwirsch.

Bharatis Augen funkelten amüsiert. „Oder schon heute Abend, wenn du ihm vorschreiben willst, wie er sein Leben zu leben hat.“

„Mein Jay doch nicht. Hab ihm selbst beigebracht, dass Frauen sofort mehr wollen, wenn man die Nacht bei ihnen verbringt“, erklärte er zufrieden.

Am Samstagmorgen hatte Zoe nach wenigen Stunden die restlichen Spuren der Party beseitigt und stellte die Gegenstände, die sie im Zimmer ihrer Mutter eingeschlossen hatte, wieder an ihren Platz.

„Wann kommt Mutter zurück?“, erkundigte sich Harry, als er um zwei verschlafen in den Garten kam.

Sie hatte es sich mit einem Roman auf einer Liege gemütlich gemacht und blickte zu ihm auf. „Wahrscheinlich wenn Tante Liz sie rausschmeißt.“

Er setzte sich neben sie. „Ich hoffe, sie bleibt weg, bis die Prüfungen vorbei sind. Sie macht mich ganz nervös.“

Zoe schnitt ein Gesicht. „Sie will doch nur, dass du gut abschneidest.“

„Ja, wenn sie sich erinnert. Dann versucht sie, die Erziehung von einem Jahr in drei Tagen nachzuholen.“

„Sag mal, machst du dir ernsthafte Sorgen wegen der Prüfungen?“, erkundigte sie sich ernst.

„Nein. Ich bin gut vorbereitet. Aber sie macht mich verrückt. Und das kann ich momentan überhaupt nicht gebrauchen.“

„Heißt das, es würde dich nicht stören, wenn ich einen Job hätte und das Haus morgens vor dir verlassen müsste?“

Harry war überrascht. „Natürlich nicht.“

Zoe beschloss, so früh bei Culp and Christopher zu erscheinen, dass Jay Christopher die Augen aus dem Kopf fallen würden. Ja, dieser Sommer begann sehr vielversprechend!

Wie immer, wenn Jay aufwachte, war er sofort munter. Es war Sonntagnachmittag, und er lag allein in dem zerwühlten Bett. Er stützte sich auf einen Ellbogen und sah sich um.

Die Sonne schien ins Zimmer, und es war sehr warm. Und obwohl alle Fenster geöffnet waren, hörte man nur ab und zu das leise Zwitschern eines Vogels. Die Frau stand an der geöffneten Balkontür. Sie hatte einen Kimono angezogen, um ihre Blöße zu bedecken. Er hatte ihn ihr aus Japan mitgebracht und zu Weihnachten geschenkt. Damals hatte ihre Affäre gerade begonnen. Sie hatte sich sehr darüber gefreut und war umhergetanzt.

Jetzt tanzte sie nicht. Sie drehte sich um und betrachtete ihn.

Nun geht es wieder los, ging es ihm durch den Kopf. Warum hast du solche Angst vor einer festen Beziehung? Was muss ich denn tun, damit du mich liebst?

Jay blickte auf seine Armbanduhr. „Ich muss los.“

Die Frau zog jedoch nur den Kimono fester um sich. „Ja, natürlich“, erwiderte sie leise.

Jay seufzte erleichtert auf. Er mochte Carla. Er war immer ehrlich zu ihr und war ihr auch treu gewesen. Und sie hatte immer versichert, es würde ihr reichen. In letzter Zeit hatte sie ihm allerdings den Eindruck vermittelt, dass es ihr nicht mehr genügte. Und er kannte sich. Er würde sich nicht ändern. Und er wollte Carla nicht wehtun, weil sie so nett war.

Nun setzte sie sich vor ihre Frisierkommode und begann sich das dunkle Haar zu bürsten, während er ins Bad ging, um zu duschen.

„Hattest du eine harte Woche?“, fragte sie.

„Wie immer.“ Jay suchte im Regal nach einem nicht parfümierten Shampoo. „Wenigstens bin ich diese unfähige Mitarbeiterin jetzt los. Die Neue fängt am Montag an.“ Er stellte sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf.

Carla wusste über die Frau Bescheid. Sie hatte sogar auf einer Feier im Büro die ganze Zeit Händchen mit ihm gehalten, um sie zu entmutigen. Es hatte nichts genützt, doch die beiden waren sich einig gewesen.

„War es sehr schwer?“

Energisch shampoonierte er sich das Haar. „Sie hat geweint.“

„Armer Jay!“

„Du machst dich über mich lustig.“

„Nein. Über mich selbst“, erwiderte sie in einem seltsamen Tonfall.

Das gefiel ihm überhaupt nicht. Jay spülte sich den Schaum aus dem Haar und steckte den Kopf zur Schlafzimmertür hinein. Daraufhin reichte sie ihm seine Unterwäsche.

„Danke.“

„Musst du in nächster Zeit viel reisen?“, erkundigte sich Carla, während er sich abtrocknete.

„Es geht. Am Mittwoch muss ich nach Brüssel, aber ich hoffe, dass ich noch am Abend wieder zurückfliegen kann. Danach steht ein Termin nach Manchester an, und der Rest ist noch ungewiss.“

Sie lachte. „Willst du eigentlich irgendwann damit aufhören?“

Jay unterdrückte einen Seufzer. Er wusste, was jetzt kommen würde. Hast du nicht irgendwann genug von deinem hektischen Leben? Wäre es nicht schön, eine Zeit lang an einem Ort bleiben zu können? Wir könnten zusammenziehen.

„Nein, will ich nicht“, entgegnete er leise und verließ das Bad, wobei er sich das dunkle Haar frottierte. „Ich bin ein Zugvogel, Carla. Das hast du immer gewusst.“

Carla wandte den Blick ab. „Ja, aber …“

„Das mit dem Haus auf dem Land kenne ich“, unterbrach er sie energisch und zog seine Hose an. „So bin ich aufgewachsen, und es ist nichts für mich.“

Das Cottage mit dem Obstgarten gehörte ihr. Sie war gelernte Gärtnerin und arbeitete als Fernsehjournalistin. Allmählich wurde ihm allerdings klar, dass sie die geborene Hausfrau war.

„Ja, verstehe“, sagte Carla nach einer Weile und stand auf.

Jay wappnete sich innerlich, doch sie holte nur sein Hemd.

„Hübsche Farbe“, bemerkte sie.

Er wusste, dass sie es nicht ernst meinte, denn sie war eine erfolgreiche Geschäftsfrau und mochte es, wenn Männer konservative Anzüge und weiße Hemden trugen. Seine Vorliebe für auffällige Farben hatte sie nie teilen können.

Dieses Hemd war türkis. Sein Großvater – derjenige, den er früher gekannt hatte und der nicht mehr lebte – hätte es die Farbe der hoffnungsvollen Reise genannt. Mit diesem Großvater hätte Carla sich nicht verstanden. Sie kam nur mit dem Brigadegeneral gut aus.

„Mir gefällt es“, meinte er.

Carla zuckte die Schultern, wie immer, wenn sie nicht seiner Meinung war. Einen Moment lang fragte er sich, ob es anders wäre, wenn sie sich mit ihm streiten würde. Aber in seinem tiefsten Inneren wusste er, dass er ein Einzelgänger war und sich nicht ändern würde.

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ist die Neue nett? Oder kennst du sie noch nicht?“

Jay lächelte jungenhaft. „Ich habe sie schon kennengelernt. Sie ist ein Partygirl. Außerdem habe ich sie beleidigt, und sie kann mich auf den Tod nicht ausstehen. Na, wenigstens wird sie sich nicht in mich verlieben. Das könnte ich nicht noch einmal ertragen.“

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bereute er sie, denn Carla machte ein gequältes Gesicht. Natürlich hatte sie es auf sich bezogen. Und vielleicht hatte er es auch so gemeint.

„Verdammt, es tut mir leid!“

„Schon gut.“

Jay schlüpfte in das Hemd und knöpfte es zu. Dann warf er wieder einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Ich weiß“, bemerkte Carla trocken. „Du musst los, sonst kommst du noch in den Stau.“

„Du bist eine sehr verständnisvolle Frau“, neckte er sie.

„Ja.“ Sie lachte jedoch nicht.

Immer noch im Kimono, begleitete sie ihn nach unten. An der Haustür legte sie die Hand auf seinen Arm, als er die Klinke umfasste.

„Jay …“

Jay unterdrückte den aufsteigenden Ärger. Fast hätte er es geschafft, ihr Cottage zu verlassen, ohne sich mit ihr zu streiten. Doch er war ein Gentleman. Dafür hatten beide Großväter gesorgt – jeder auf seine Weise. Höflich drehte er sich zu ihr um.

„Ja, meine Liebe?“

Carla lächelte schwach. „Danke, Jay.“

„Was?“, fragte er verwirrt.

„Du hast so gute Manieren. Aber ich bin nicht ‚deine Liebe‘. Und wir sollten uns den Tatsachen stellen.“

Forschend betrachtete er sie. Sie war ziemlich blass, doch der Ausdruck in ihren Augen verriet keine Verzweiflung. Nie hatte er sie mehr respektiert.

„Tatsächlich?“

Carla schluckte. Dann nickte sie entschlossen. „Ich habe mir etwas vorgenommen. Wenn du heute nach dem Aufwachen als Erstes auf deine Uhr sehen würdest, wollte ich Schluss machen. Du hast es getan. Und somit beende ich es.“

Jay zuckte zusammen. „Es tut mir leid.“

„Das muss es nicht. Wir hätten uns längst trennen sollen.“

„Ich meine, es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe“, sagte er gequält.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich hätte dich lieben können, wenn … Aber du lässt niemanden an dich heran. Vielleicht hast du recht, und du kannst es nicht, zumindest nicht bei mir.“

Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.

Carla biss sich auf die Lippe. „Ich habe jemanden kennengelernt. Noch ist nichts passiert, aber bald wird es das vielleicht.“ Sie hob das Kinn. „Ich möchte niemanden hintergehen, weder dich noch ihn. Oder mich. Und ich möchte frei sein für eine richtige Beziehung.“

Jay atmete tief durch. „Können wir Freunde sein?“

„Schon möglich. Allerdings möchte ich dich erst mal nicht sehen.“

Autor

Lucy Gordon

Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman “Das Kind des Bruders”, der in Rom spielt.

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