Romana Gold Band 68

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FLUCHT NACH VENEDIG von PENNY JORDAN
Der Erfolgsautor Oliver Newton tröstet Francesca in seinem Landhaus gefühlvoll darüber hinweg, dass ihr Verlobter eine andere geheiratet hat. Oder treibt Oliver nur ein falsches Spiel mit ihr? Wo er doch genau der Mann ist, von dem Francesca immer träumte …

IN VENEDIG WEINT MAN NICHT von ANGELA WELLS
Hand in Hand auf dem Markusplatz, Arm in Arm in der Suite des romantischen Hotels am Canal Grande – so stellt Caterina sich ihre Flitterwochen in Venedig vor. Aber dann belauscht sie ein Gespräch und fürchtet: Niccolò hat sie nicht aus Liebe geheiratet ...

SÜSSE VERFÜHRUNG IN VENEDIG von SANDRA FIELD
„Ich möchte dich verführen“, haucht Tess ihm zu. Bis über beide Ohren verliebt steht sie vor Cade Lorimer. Der attraktive Hotelier hat ihr schon ganz Venedig zu Füßen gelegt. Nun wünscht sie sich so sehr, dass er sie in seine Arme zieht. Warum zögert Cade nur?


  • Erscheinungstag 01.04.2022
  • Bandnummer 68
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510875
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Angela Wells, Sandra Field

ROMANA GOLD BAND 68

1. KAPITEL

Während die Maschine eine Schleife über der Stadt zog, sah Francesca mit unendlicher Wehmut auf ihren Geburtsort hinunter. Dieser Blick griff der vorübergehenden Stewardess ans Herz.

„Wie kann eine so schöne Frau nur so grenzenlos verlassen aussehen“, bemerkte sie zu den Kolleginnen.

„Von wem sprichst du?“, fragte die Chefstewardess.

„Von der Dame dort, in der vierten Reihe, in dem schicken Hosenanzug, mit dem langen dunklen Haar.“

„Ach die … Francesca di Valeria.“

„Kennst du sie?“, wollte die jüngere Stewardess wissen.

„Persönlich nicht.“ Die Ältere lächelte ein wenig verkrampft. „Schließlich lebt sie in einer ganz anderen Gesellschaftsschicht als ich. Aber ich weiß einiges über sie. Diese junge Frau stammt aus einer sehr reichen Industriellenfamilie. In diesem Sommer sollte sie entsprechend ihrer Herkunft verheiratet werden, aber in letzter Minute wurde die Hochzeit abgesagt, der Bräutigam hatte bereits in aller Stille eine andere zur Frau genommen. Es stand viel darüber in den Zeitungen.“ Die Erzählerin zuckte die Achseln. „Natürlich wurde die Familie der verschmähten Braut für diese Peinlichkeit reichlich entschädigt.“

Wären Francesca diese Kommentare zu Ohren gekommen, sie wäre nicht überrascht gewesen. Schon als Paolo und sie noch in der Wiege lagen, war in der in sich geschlossenen Welt des italienischen Adels bekannt gewesen, dass sie und Paolo eines Tages heiraten würden.

Diese Verbindung hatten nicht etwa Francescas Eltern, sondern der mächtige Duca di Valeria, Francescas Großvater, befürwortet. Sie war also in der Gewissheit aufgewachsen, eines Tages Paolos Gattin zu sein.

Zwar war sie nicht gerade verliebt in ihn gewesen, doch so daran gewöhnt, sich als seine Frau zu sehen, dass die Offenbarung seines Betrugs sie wie ein Schock traf. Fast schon vor dem Altar hatte Paolo Francesca im Stich gelassen.

Ihr ganzes Leben … ihre Erziehung … alles war auf ein Dasein mit Paolo ausgerichtet gewesen, mit dem Ziel, eines Tages die Nachfolge von Paolos Mutter als weibliches Oberhaupt der Familie anzutreten – einer Familie mit weitreichenden Verbindungen in Handel und Industrie, mit einer Vergangenheit, die viele Generationen umspannte. Einer stolzen, beachtlichen Familie wie Francescas Familie auch.

Das alles war nun vorbei. Paolos Schwestern und Kusinen wandten sich ab, wenn sie Francesca auf der Straße trafen. Die beiderseitigen Freunde murmelten verlegen Anteilnahme. Sogar Francescas eigener Großvater streifte sie zuweilen mit einem mitleidigen Blick. Das zeigte deutlicher als Worte, dass er ihr die Schuld an Paolos Treuebruch gab.

All dies trug dazu bei, dass Francesca nicht mehr in ihr gewohntes Leben zurückfand, und, ohne recht zu wissen, wie es weitergehen sollte, ihre Heimat verließ.

Sie war eine kluge junge Frau und hatte ihr Studium an der Universität bereits abgeschlossen.

Solche Heiraten waren in diesem Gesellschaftskreis nicht ungewöhnlich. Schließlich war eine Eheschließung ein ernstes Geschäft, das in Hinsicht auf die ganze Familie bedacht werden musste. Wie demütigend erschien Francesca das Schweigen, das sich bei ihrem Eintritt über die Anwesenden legte, wie auch die Art, mit der sie, Francesca, bemitleidet und beobachtet wurde. Schließlich war sie von Geburt an für eine hohe gesellschaftliche Position erzogen worden. Wer würde sie nun noch heiraten?

Halb aus Stolz und halb ihrer Eltern wegen hatte Francesca die Demütigung lange Zeit ausgehalten. Ihr Großvater war seinerzeit schon nicht mit der Wahl seines ältesten Sohnes einverstanden gewesen, aber Francescas Vater hatte dennoch die hübsche Engländerin geheiratet. Es wurde eine sehr glückliche Ehe, und die Geburten von drei Söhnen, gefolgt von einer Tochter, hatten den alten Mann allmählich besänftigt.

Doch angesichts Paolos Verweigerung flammte seine alte Bitterkeit erneut auf. Er ging sogar so weit zu behaupten, Paolo habe Francesca der englischen Abstammung wegen verlassen.

Francesca hatte endgültig genug. Mit Hilfe ihrer Paten war sie jetzt auf dem Weg in die Heimat ihrer Mutter, um einen längeren Aufenthalt bei Elliot und Beatrice Chalmers zu verbringen.

Das Ehepaar lebte in den Cotswolds und besaß zwei Kinder, einen Jungen von drei Jahren sowie ein Baby von sechs Monaten.

Francesca hatte Erleichterung in den Augen ihrer Mutter gelesen, als die Tochter nach der verunglückten Hochzeit zum ersten Mal in ihrem Leben eine eigene Entscheidung getroffen hatte.

Dass Freunde Bescheid gewusst, aber nicht zu ihr gesprochen hatten, verletzte sie besonders tief. Plötzlich sah sie sich in der Vergangenheit als eine selbstzufriedene Person, nur mit sich beschäftigt und blind gegenüber der Realität. So befangen war sie in dem angenehmen Auf und Ab ihres Lebens gewesen, dass ihr nie der Gedanke gekommen war, jemand anderes könnte sich für den stürmisch ins Leben drängenden Paolo interessieren.

Wieso hatte sie eigentlich nie darüber nachgedacht, was wohl Paolo empfand?

Sich ineinander zu verlieben, schien Francesca ein Zeitvertreib für Teenager zu sein, gefährliche Wasser, die sie glücklicherweise unbeschadet umschifft hatte. Nicht einmal als junges Mädchen hatte sie sich verlieben wollen, sondern betrachtete es als eine riskante Erfahrung.

Inzwischen aber wusste sie es besser. Seit sie sich innerlich monatelang auf die Hochzeit vorbereitet hatte, war eine Sehnsucht in ihr wach geworden, ihres Vaters Rebellion gegen den Großvater wiedergutzumachen. Sie hatte sich ganz als traditionelle Italienerin beweisen wollen.

Doch wie schämte sie sich jetzt! Ihre Eltern liebten sie doch zärtlich, verwöhnten sie auf jede Weise, ganz anders als der arrogante Großvater, dem ein Enkelsohn ohnehin mehr bedeutete als eine Enkeltochter.

Francescas Eltern hatten sich am Flughafen verabschiedet. Die Mutter konnte ihr noch zuflüstern, wie froh sie sei, dass aus der Hochzeit nichts geworden sei.

„Er war niemals gut genug für dich, mein Liebling“, hatte sie gesagt. „Du sollst eine so große Liebe erleben, wie sie deinen Vater und mich verbindet. Du wirst sie gewiss noch finden.“

Werde ich das?, fragte sich Francesca. So sicher war sie sich dessen nicht. Im Augenblick hatte sie auch kein besonderes Verlangen danach, denn die letzten Monate hatten ihr den Wert der Unabhängigkeit gezeigt.

Und dennoch … eine gewisse Leere war in ihrem Herzen zurückgeblieben, wie auch das Verlangen, allem zu entfliehen. Deshalb hatte sie auch nach einigem Zögern schließlich doch Beatrice Chalmers Einladung angenommen.

„Meinst du, Francesca wird sich hier wohlfühlen, Elliot? Sie ist ja an sehr viel mehr Luxus gewöhnt.“ Beatrice musterte besorgt das Gästezimmer.

„So, wie Carlos von ihr sprach, möchte ich bezweifeln, dass ihr die Umgebung etwas ausmacht“, erwiderte Elliot trocken. „Ich hoffe sehr, dass sie nicht nur in Tränen gebadet und klagend umhergeht.“

„Aber Elliot, das ist nicht fair!“, entgegnete Beatrice vorwurfsvoll. „Lucia sagte, Francesca hätte die ganze Angelegenheit tapfer getragen. Das war bestimmt nicht leicht. Du vergisst doch nicht, sie vom Flughafen abzuholen?“

„Wie sollte ich …“, meinte Elliot.

„Oh, da fällt mir ein … ich habe Oliver für Freitag zum Essen eingeladen“, unterbrach ihn Beatrice.

„Bea“, warnte Elliot. „Du klapperst doch nicht etwa mit dem Hausaltar?“ Er sah, dass seine Frau schuldbewusst errötete, seufzte leise und strich ihr über das dunkle glänzende Haar.

„Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass du mit dem Feuer spielst, nicht wahr?“

„Weil Oliver ein Frauenverächter ist?“, erkundigte sich Beatrice.

„Oliver hat sich böse die Finger verbrannt, Bea“, erinnerte er sie freundlich. „Deshalb gibt er auch immer gleich zu erkennen, dass er nicht feuerfest ist. Er würde es uns sicherlich sehr übel nehmen, wenn wir von ihm erwarteten, die trauernde Braut ein wenig aufzuheitern.“

Elliot bemerkte Entmutigung in Beatrices Gesichtsausdruck und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Vier Jahre waren sie nun schon verheiratet, und noch immer besaß sie vollkommene Macht über ihn.

„Ich muss gehen“, flüsterte Elliot ihr ins Ohr. „Um zehn Uhr habe ich eine Aufsichtsratssitzung.“

Beatrice sah ihm nach. Sollte sie lieber das Essen am Freitag absagen? Es stimmte, dass sie Oliver in der Hoffnung zu sich gebeten hatte, er als Junggeselle könnte Francesca aufmuntern. Gerade ihm, mit seiner attraktiven Männlichkeit, wäre das zuzutrauen. Mit den wachen silbergrauen Augen unter der dichten dunklen Haarmähne sah er wahrhaftig unwiderstehlich aus, und wenn er wollte, konnte er äußerst charmant sein.

Beatrice überlief ein leichter Schauer. Vielleicht war ihre Idee doch nicht besonders gut gewesen. Allerdings hatte sie auch noch andere Gäste eingeladen. Niemand würde sie also der Kuppelei bezichtigen können.

Eigentlich hatte sie das auch wirklich nicht vor … obgleich die Versuchung nahelag. Wie alt war Oliver jetzt? Er musste etwa vier- oder fünfunddreißig Jahre alt sein. Vor acht Jahren hatte Kristie ihn verlassen und öffentlich erklärt, dass ihre Tochter nicht von Oliver sei, und dass sie, Kristie, nach Amerika zu ihrem Liebhaber und wahren Vater des Kindes zöge.

Andere haben ähnliche Tragödien zu ertragen, sagte sich Beatrice, aber nicht alle Männer sind wie Oliver. Diesen Schlag gegen seinen unbändigen Stolz hätte er nicht so leicht verwunden, wäre sein erstes veröffentlichtes Buch nicht ein solcher Erfolg gewesen.

Man hatte bereits damit gerechnet, dass der Verlust von Frau und Kind seine schriftstellerischen Fähigkeiten beeinträchtigen würde. Im Gegenteil. Mehr denn je standen seine fesselnden historischen Romane an der Spitze der Bestsellerlisten.

Sein jüngstes Buch spielte in England und Italien. Eine komplizierte Familiensaga, die mehrere Generationen umspann und jenen tödlichen Verrat schilderte, für den seine Bücher berühmt waren.

Gerade in dieser Hinsicht hatte Beatrice ein schlechtes Gewissen. Sie hatte nämlich ihrem Mann nicht gesagt, was ihr da in den Sinn gekommen war. Francesca und Oliver müssten nur erst taktvoll mit der Idee bekannt gemacht werden, und dazu würde das Essen am Freitag hoffentlich beitragen.

Francesca sah sich in der Menschenmenge der Ankunftshalle von Heathrow um. Es war unmöglich, jemanden mit hochgehaltener Namenskarte zu entdecken. Plötzlich spürte sie eine Berührung am Arm.

„Erschrecken Sie nicht. Ich bin Elliot Chalmers. Sie sind gewiss Francesca, nicht wahr?“

Francesca sah ihn an. Ein hochgewachsener Mann mit offenem Gesichtsausdruck stand vor ihr. Bestimmende Autorität ging von ihm aus. Sie fühlte sich beinah wie ein albernes Schulmädchen, während er das Gepäck nahm und sie zum Ausgang dirigierte, wo der Wagen wartete. Zumindest zog sie diese kühle Haltung schwülstiger Galanterie vor. Ihr schien, er war ein Mann, dem man vertrauen durfte, auch wenn man nicht immer mit ihm übereinstimmen dürfte. Ein Mann, der andere Meinungen respektieren würde, auch wenn sie ihm nicht gefielen.

Zu Hause in Italien war es mild und sonnig gewesen. Hier, in London, herrschte eine feuchte Kälte. Francesca fror in ihrem leichten Hosenanzug. Hätte sie nur den dickeren Mantel genommen, der im Koffer lag!

„Ich fürchte, wir bringen die vielen Gepäckstücke gar nicht unter“, meinte Elliot.

Ängstlich blickte sie ihn an, bis sie merkte, dass er sie nur neckte. Sie lächelte verlegen. Das erste Lächeln seit langer Zeit. Francesca fühlte, dass ihre Wangenmuskeln ganz steif waren.

Der dunkelblaue Jaguar war ein blitzblankes neues Modell. Auf dem Rücksitz fand Francesca Kinderbücher und allerlei Spielzeug.

„Sie haben einen Sohn und eine Tochter, nicht wahr?“, sagte sie, nachdem der starke Verkehr um den Flughafen hinter ihnen lag.

„Ja, Dominique und Rebecca. Deshalb ist meine Frau auch nicht mitgekommen. Unsere Haushaltshilfe Henrietta hat ein paar Tage Ferien, wird aber zum Wochenende wieder zurück sein. Ich nehme an, dass Lucia Sie mit allen Einzelheiten unserer beider Familien vertraut gemacht hat?“

„Gewiss. Ihr Vater heiratete Beatrices Mutter, die schon einmal mit einem Schauspieler, Charles Bellaire, verheiratet war, den sie dann nach dem Tod Ihres Vaters wieder ehelichte.“

„Ja … Und aus dieser letzten Ehe hatte sie noch vier weitere Kinder: die Zwillinge Sebastian und Benedikt, Miranda und William. Ich denke, so nach und nach werden Sie alle bei uns kennenlernen. Das heißt, außer Lucilla. Sie ist das einzige Kind aus der Ehe meines Vaters mit Beatrices Mutter. Augenblicklich lebt sie mit ihrem Mann in den Vereinigten Staaten.“

Francesca hörte erstaunt zu. Es war ein familiärer Hintergrund, der sich sehr von ihrem eigenen mit seinen Herzögen und Grafen unterschied, wo es zahlreiche Di-Valeria-Onkel und – Tanten gab sowie Traditionen und Rangunterschiede.

„Schlechten Flug gehabt?“ Elliot hatte Francescas bleiches Gesicht im Rückspiegel beobachtet. Sie war eine schöne Frau, trotz des schmalen Gesichts. Wie glänzende Seide lag ihr das Haar auf der Schulter, das Make-up war makellos. Bernsteinfarbene Augen sahen unter langen Wimpern wachsam in die Welt. Trotz Francescas perfekter Erscheinung hatte sie nichts von steriler Langeweile an sich.

Ich muss Bea ernstlich warnen, Francesca an Oliver auszuliefern, dachte Elliot bei sich. Verletzlich, wie das Mädchen ist, wird sie Olivers direkter Art jetzt nicht gewachsen sein. Gewiss, die Kränkung, die Oliver hinter sich hat, macht es begreiflich, dass er sich die Frauen vom Leibe hält … aber …

Francesca war überrascht von der Schönheit der englischen Landschaft, noch dazu an einem so feuchten Oktobernachmittag. Ihre Mutter kam aus einer kleinen Bergwerksgemeinde Englands. Nie hatte sie den Wunsch verspürt, einmal dorthin zurückzukehren. Nichts verband sie mit diesem Ort, sie war jung verwaist gewesen.

Doch was Francesca jetzt sah … eine Mischung aus sanftem Grün und Gold, das milde Sonnenlicht auf uralten bemoosten Steinwällen … diese gedämpften zarten Farben bezauberten sie. Überdies stand die sanfte herbstliche Melancholie ganz im Einklang mit ihren eigenen düsteren Gedanken.

Es war nicht so sehr der Mann, dem sie nachtrauerte. Sie hatte ihn nicht besonders geliebt. Nein, mehr bedauerte sie, dass sie sich in diese konventionelle Verbindung hatte pressen lassen. Einen Teil ihres Selbst hatte sie auf diese Weise geopfert, hatte sich eine künstliche Rolle aufzwingen lassen. Durch Bequemlichkeit und Feigheit hatte sie das Recht auf ein individuelles und unabhängiges Dasein aufgegeben.

Francesca schloss die Augen. Elliot, der sie im Spiegel beobachtet hatte, war froh, dass sie beinahe zu Hause waren. Falls Francesca in Tränen ausbrechen sollte, war wenigstens Beatrice zur Hand. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, öffnete Francesca die Augen und schaute ihn an.

So gelassen ist sie gar nicht, wie sie den Anschein gibt, stellte Elliot fest. Sie hat Stolz und Intellekt. Beides hat sie auch sehr nötig bei dem Schritt aus einer altmodischen in die moderne Welt, und nicht mehr wie bisher vom allmächtigen Großvater beschützt.

„Wir sind fast da“, sagte er laut, als er von der Hauptstraße abbog und durch ein kleines Dorf in den Cotswolds fuhr.

Der Ort mit der Tudor-Architektur seiner Backsteinhäuschen begeisterte Francesca. Der Geschichte galt von jeher ihr größtes Interesse. Da ihre Mutter Engländerin war, hatte Francesca neben der italienischen auch englische Geschichte studiert.

„Hier sind wir.“ Elliot steuerte den Wagen durch die Pforte eines sanftgelben Cotswoldhauses. Die Haustür flog auf, und Beatrice eilte ihnen entgegen. Obwohl sie älter war als Francesca, wirkte sie doch überraschend jugendlich. Sie war nicht ganz so groß wie Francesca, nur etwas fülliger. Auf dem Arm trug sie ein Baby, ein kleiner Junge neben ihr rannte auf Elliot zu, noch bevor dieser die Wagentür öffnen konnte.

„Willkommen in England“, begrüßte Beatrice Francesca und lächelte ihren Gast herzlich an. „Kommt herein.“

Francesca folgte Beatrice die Treppe hinauf. Von ihrem Gästezimmer aus hatte man einen weiten Blick über die Landschaft. Ganz unerwartet fühlte sich Francesca gleich wie zu Hause. Die Gastgeberin gefiel ihr sehr, und auch der Hausherr würde ihr bei näherem Kennenlernen bestimmt sympathisch sein.

Seltsam, dachte Francesca bei sich, ich protestierte, als meine Paten mir diese Reise vorschlugen. Aber dann fügte ich mich. Heute muss ich mich wundern, dass ich nicht schon eher hierherkam. Außer meinen Gastgebern weiß hier niemand etwas von Paolo und mir. Keiner wird sich darum kümmern, dass ich die Enkelin des Duca bin.

Hier war sie nur eine junge Frau wie jede andere, genügend ausgebildet, um einen Job zu finden, wenn sie wollte. Die Zukunft lag weit und offen vor ihr.

Ein befreiendes Gefühl von Ungeduld und Abenteuerlust durchströmte Francesca, wie sie es noch nie verspürt hatte. Fröhlich vor sich hinsummend packte sie die Koffer aus.

2. KAPITEL

„Sag mal, Beatrice“, fragte Francesca besorgt, „brauchst du wirklich keine Hilfe für die Vorbereitung des Abendessens?“ Schon nach kurzer Zeit waren sie zum vertraulichen „Du“ übergegangen, was allen Beteiligten sehr lieb war. Francesca erinnerte sich an die feierlichen Diners daheim, an die Spannung und Besorgnis, die solchen Anlässen vorausgingen, vor Angst, sich das Missfallen des Großvaters zuzuziehen.

„Nein, alles ist geregelt. Die meisten Gerichte habe ich schon in der vergangenen Woche vorgekocht, ehe Henry abreiste. Sie stehen im Tiefkühlschrank. Was alles Übrige betrifft, unsere Freunde sind ganz unkompliziert und zufrieden, mit dem, was ich ihnen anbiete.“

„Aber das Silber, das Kristall … Du hast doch keine Hilfe, es muss sicher noch geputzt werden?“

„Henry und ich haben das schon gemacht, ehe das Mädchen in Urlaub ging. Es geht bei uns sehr einfach zu“, meinte Beatrice freundlich.

Sofort errötete Francesca.

„Sei nicht gleich verlegen. Wir wissen, dass du aus einer völlig anderen Welt kommst.“

„Meine Mutter sagt auch, dass diese Etikette, auf der mein Großvater besteht, heutzutage unnötig ist. Er ist ein sehr arroganter Mann.“

„Aber ihr beide liebt und kritisiert ihn zur gleichen Zeit“, stellte Beatrice stirnrunzelnd fest. „Es ist sicher sehr schwer, wenn man sich unablässig um die Zustimmung und Liebe eines Menschen bemüht, der dann nur Nachteiliges bemerkt und alle Bemühungen zunichte macht.“

„Ja, das stimmt“, gab Francesca zu. „Also, wenn ich dir in der Küche nicht helfen kann, darf ich dann vielleicht die Kinder übernehmen?“

„Auch nicht. Was du zu dem Abend beitragen kannst, ist, dass du dich recht hübsch machst. Die Männer sollen kein Auge von dir lassen, damit sie mein Essen nicht tadeln“, neckte Beatrice.

Sie wollte Francesca nicht nach ihren Familienverhältnissen ausfragen, das hatte Zeit.

„Könnt ihr uns helfen?“, hatte Lucia vor vier Wochen am Telefon gefragt. „Wir haben eine Patentochter, die vor unseren Augen dahinschwindet. Sie braucht dringend einen Tapetenwechsel.“ Dann hatte sie Beatrice alles eingehend beschrieben.

So war es zu dieser Einladung gekommen. Schon einmal hatte sich Lucias weiser Rat bewährt, als Beatrice für ihre Liebe zu Elliot keine Chance mehr gesehen hatte. Doch auch ohne diese Dankesschuld hätte Beatrice geholfen, das stand fest.

Elliot traf eine Stunde vor den Gästen ein. Sofort fragte er seine Frau: „Nun, ich vermute, dass Oliver noch immer auf der Gästeliste steht?“

„Ja.“ Beatrice sah ihn unsicher an. „Weißt du, mir fiel nämlich ein, dass Francesca genau die Richtige wäre, um Oliver bei seiner historischen Quellenforschung zu helfen. Er sucht doch dringend jemanden, der die geschichtlichen Hintergründe für sein neues Buch auskundschaftet. Er kommt zurzeit damit nicht weiter, und Francesca hat schließlich italienische Geschichte studiert.“

„Ja, und dann hat sie auch noch ein schönes Gesicht, eine fabelhafte Figur und jene Verletzlichkeit, die Oliver veranlassen könnte, mit ihr Schindluder zu treiben, wenn ihn der Teufel reitet“, warnte Elliot sehr drastisch. „Oberflächlich betrachtet, ist es keine schlechte Idee, aber Oliver kann mörderisch sein. Er ist ein Mann mit großen Schwächen.“

„Was willst du damit sagen?“

„Dass er dir gegenüber den perfekten Gentleman spielt, manchen anderen Frauen gegenüber jedoch … wie soll ich es nur ausdrücken … gewöhnlichen männlichen Bedürfnissen rasch nachgibt.“

„Meinst du, er würde Francesca verführen wollen?“

„Ich bin mir nicht sicher. Er macht sich seine eigenen Gesetze. Ich möchte nicht die Hand für ihn ins Feuer legen.“

Beatrice war sehr erstaunt, ihren Mann derart entschieden urteilen zu hören.

„Ich dachte ja nur, wir könnten sehen, wie sie miteinander auskommen, und dann …“

„Lügnerin“, warf Elliot mitleidslos ein. „Du willst Francesca wie einen Köder vor Olivers Nase baumeln lassen, in der Hoffnung, dass er anbeißt.“

„Meinst du, er würde …?“, fragte sie schlau.

Elliot sah nachdenklich in den Spiegel. Schließlich sagte er grimmig: „Ja, leider.“

„Leider für Oliver oder für Francesca?“, wollte Beatrice wissen.

„Für beide“, erklärte Elliot.

Francesca sah in den Spiegel. „Zieh dich nicht zu formell an“, hatte Beatrice ihr geraten.

Francescas Großvater hatte immer großen Wert auf korrekte Kleidung gelegt. Sie war sich nicht sicher, ob das rote feinwollene Kleid für diese Gelegenheit passend war. Gewiss, es war klassisch einfach. Sorgfältig drapiert enthüllte der Stoff Francescas weiche Kurven. Zwar war es hochgeschlossen und hatte lange Ärmel, reichte aber nur bis knapp zum Knie. Die betörende Farbe machte jede weitere Zutat überflüssig.

Was fehlte noch? Glatte schwarze Feinstrumpfhosen, hochhackige Wildlederpumps. Ein Tupfer Parfüm, das sie erst kürzlich erworben hatte. Der volle Duft unterschied sich sehr von der zarten herben Note, die der Großvater als passend für eine junge Dame aus großem Hause ausgesucht hatte.

Das Esszimmer von Francescas Gastgebern war nur ein Fünftel so groß wie das im herzoglichen Palazzo, strahlte aber gemütliche Wärme aus. Francescas Vater hatte sehr wohl gewusst, warum er seine junge Braut nicht in das kühle Familienheim brachte, sondern war gleich mit ihr in eine hübsche kleine Villa mit Garten gezogen.

Doch als der Großvater schwer krank geworden war, hatte man darauf gedrungen, dass die junge Familie in den Palazzo übersiedelte, dessen Marmorböden und Rokokospiegel eisige Kälte verbreiteten.

„Meinst du, dass so alles in Ordnung ist?“, fragte Beatrice, die Francescas Geistesabwesenheit für eine kritische Prüfung hielt.

„Hübsch sieht der gedeckte Tisch aus“, beruhigte Francesca sie aufrichtig.

„Die Gäste können jeden Augenblick hier sein. Würdest du bitte Elliot bei der Unterhaltung unterstützen? Ich habe zwei Paare aus der Nachbarschaft eingeladen, dazu Oliver Newton. Er ist Schriftsteller und schreibt unter dem Namen Dominic Lacey.“

„Oh, ich habe seine Bücher gesehen. Er schreibt eine Art Kriminalgeschichten, nicht wahr?“

„So ungefähr. Er ist ein Kenner des Elisabethanischen Zeitalters. Seine Bücher spielen fast immer in dieser Epoche. Sie werden viel gekauft. Aber mit seinem neuesten Roman hat er Probleme“, erklärte Beatrice. „Er müsste dafür in Italien historische Hintergrundsforschung betreiben, hat aber keine Zeit dazu. Jetzt sucht er dringend einen Assistenten. Ich dachte …“ Beatrice hielt inne. Es läutete an der Haustür.

„Du meine Güte, da sind sie schon!“

Die Gäste kamen herein. Unauffällig mischte sich Francesca unter die kleine Gesellschaft und bewies, wie gut sie sich auf die Kunst der leichten Unterhaltung verstand.

„Wer ist die junge Dame?“, erkundigte sich Oliver bei Elliot, während sie am Kamin standen. Schon seit einigen Minuten hatte er sie beobachtet und festgestellt, dass er eine ausnehmend schöne Frau vor sich hatte.

„Oh, sie ist das Patenkind unserer Freunde in Mailand. Ich werde dich vorstellen.“ Beide wandten sich Francesca zu.

„Francesca, darf ich dir Oliver Newton vorstellen? Oliver, dies ist Francesca …“

„Valeria“, ergänzte sie rasch, indem sie den Adelstitel unterschlug. Mit Bestimmtheit fügte sie hinzu: „Nennen Sie mich nur Francesca.“

Olivers Hand fühlte sich fest und männlich an, bei ihrem Druck durchzuckte Francesca ein seltsames Gefühl. Sofort zog sie ihre Hand zurück.

Er reagierte mit einem spöttischen Lächeln.

„Wie poetisch!“, erwiderte er, „der Name ‚Francesca‘ lässt an Romanzen denken.“

Seine Arroganz verschlug ihr den Atem. Kühl entgegnete sie: „Da wir uns nicht oft sehen werden, dürfte mein Name kaum eine Rolle für Sie spielen, Mr. Newton.“

Sie wandte ihm den Rücken zu und gesellte sich zu den anderen Gästen, die das kleine Zwischenspiel nicht bemerkt hatten.

„Wer ist das, sagtest du?“, wiederholte Oliver ungerührt.

„Die Patentochter italienischer Freunde“, erklärte Elliot.

„So, so. Und ohne Ehemann oder Liebhaber im Schlepptau?“, meinte Oliver skeptisch. „Der Garderobe nach zu urteilen, hat die junge Frau einen sehr extravaganten Geschmack. Sag mal, Elliot, was macht sie hier?“

„Frag sie doch selbst, wenn du es genau wissen willst.“

„Kommt ihr bitte zu Tisch?“, bat Beatrice in diesem Moment. Sie öffnete die Tür zum Esszimmer. Absichtlich hatte sie Francesca nicht neben, sondern Oliver gegenüber gesetzt. Damit war die junge Frau in seine volle Aufmerksamkeit gerückt und es würde sich zeigen, welch ein Experte sie auf dem Gebiet historischer Forschung war. Noch dazu würde es Oliver deutlich machen, dass sie nicht nur schön, sondern auch intelligent war.

Eine so ungezwungene Gesellschaft wie diese hatte Francesca noch nie erlebt. Bei dem witzigen und anregenden Wortgeplänkel war es ihr unmöglich, sich wie sonst auszuschließen. In kürzester Zeit ertappte sie sich dabei, dass sie ihrem Tischnachbarn von der Absicht einer neuen Karriere erzählte. Sie war so begeistert, dass sie Olivers spöttisches Lachen überhörte.

„Es mag zynisch klingen“, unterbrach er ihren optimistischen Wortschwall. „Aber wenn Sie solche Fachkenntnisse haben, wie Sie vorgeben, warum haben Sie dann nicht schon längst eine solche Karriere begonnen?“

Francesca fühlte die Spannung, mit der die anderen Gäste auf ihre Antwort warteten. Die Männer schienen peinlich berührt von der Taktlosigkeit. Elliotts Miene war undurchdringlich, während die Frauen Francesca erwartungsvoll ansahen, ob sie den Angriff parieren würde.

„Sie haben ganz recht“, stimmte sie in akzentfreiem Englisch zu. „Leider war mein Leben bis vor kurzer Zeit ganz anders geplant.“

„Wirklich? Sie machen mich neugierig. Wie denn?“

Der Mann war wahrhaftig unerträglich! Francesca warf ihm einen kühlen Blick zu, der jedoch ohne Wirkung blieb.

„Ich sollte verheiratet werden“, informierte sie kurz. „Und – um Ihnen weitere Fragen zu ersparen – es war mein Bräutigam, der von der Hochzeit zurücktrat.“

Francesca spürte die warme Welle der Anteilnahme der Umsitzenden, nur nicht von Oliver selbst.

„Bedauerlich … aber kaum eine große Tragödie“, kommentierte er kühl. „Und nun, statt einen Gatten zu nehmen, wollen Sie sich also Ihrer Karriere widmen. Man sollte das kaum von einem erst kürzlich gebrochenen Herzen erwarten!“

Wie hätte Francesca wohl auf eine solche Beleidigung reagiert, wäre Paolo wirklich ihre große Liebe gewesen? Auch so hatte sie noch große Mühe, nicht aufzuspringen, um diesem arroganten Mann den Rücken zu kehren. Energisch unterdrückte sie jede Gefühlsregung, nahm einen Bissen auf ihre Gabel und antwortete ruhig, ehe sie sie zum Mund führte: „Es wäre keine Liebesheirat gewesen. Unsere Familien hatten diese Verbindung arrangiert, die schon seit meiner Kindheit als abgesprochen galt. Ich sehe meinen beruflichen Entschluss als Beginn eines neuen Lebensabschnittes.“

Jemand fragte Francesca, wann ihr Interesse an italienischer Geschichte erwacht sei. Sofort ergriff Beatrice das Wort: „War das nicht in dem Augenblick, als du die Stellung deiner Familie in Italiens Geschichte erkanntest, Francesca? Der erste Herzog war doch Capitano in der Armee Lorenzos des Prächtigen, nicht wahr?“

Ob sie wollte oder nicht … Francesca musste Oliver Newton ansehen, wie er dort saß und sie mit leisem Lächeln betrachtete, als wisse er sehr wohl, warum sie ihren Adelstitel hatte unterschlagen wollen.

„Allmählich verstehe ich diese ausgehandelte Hochzeit“, raunte er ihr zu. „Ebenso diese fabelhaften, wenn auch künstlichen Manieren …“

Francesca hielt eine scharfe Antwort zurück. Sie war es plötzlich leid, mit ihm zu streiten.

Bald brachen die Gäste auf. Kurz danach zog sich auch Francesca zurück. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Gastgeber gern eine Weile allein wären. Nur Oliver Newton war noch bei ihnen. Von der Halle aus sah er Francesca nach, wie sie die Treppe hinaufstieg.

„Oliver, hast du inzwischen eine Hilfskraft gefunden?“, fragte Beatrice ihn, als Francesca ihren Blicken entschwunden war.

„Nein. So schwer hätte ich es mir nicht vorgestellt, wie es zu sein scheint. Die meisten haben noch weniger Ahnung von dieser Zeit als ich selbst. Hätte ich bloß nicht schon dem Abgabetermin zugestimmt, dann könnte ich mich noch kundig machen.“

„Francesca kennt sich gründlich in italienischer Geschichte aus“, erinnerte Beatrice Oliver, wobei sie ihrem Mann einen Hilfe suchenden Blick zuwarf.

„Ja, Beatrice hat recht“, sagte er zu Oliver. „Das Fachwissen hat sie. Aber ob du daraus Nutzen ziehen solltest, vermag ich nicht zu entscheiden.“

„Das sollt ihr auch gar nicht“, entgegnete Oliver aufbrausend. „Ihr wisst ganz genau, was ich von Frauen am Arbeitsplatz halte, besonders von Karrierefrauen. Entweder wollen sie kommandieren, oder sie benutzen diese sogenannte Karriere, um lebenslänglich versorgt zu sein.“

Francesca, die ihre Handtasche noch holen wollte, unterdrückte gerade noch einen Ausruf. Unten hörte sie Beatrice ruhig antworten: „Oliver, ziehst du schon wieder deine Show von Vorurteilen gegenüber dem weiblichen Geschlecht ab? Francesca fällt nicht unter diese beiden Kategorien. Selbst wenn du ihr den Job anbieten würdest, könnte ich ihr kaum dazu raten. Im Übrigen ist es weder ihre Schuld, dass sie in eine reiche adlige Familie hineingeboren wurde, noch, dass ihr Verlobter sie praktisch vor dem Altar hat sitzen lassen. Ich bewundere ihre Haltung. Das alles wird für sie nicht leicht gewesen sein.“

„Warum sollte es auch?“, hörte Francesca Oliver heftig erwidern. „Warum sollte das Leben ihr Vorteile gewähren, die es keinem anderen zukommen lässt. Sie wurde sitzen gelassen. Na und? Ihre Familie wird einen anderen Mann für sie finden. Sie wird heimreisen und ihn ebenso bereitwillig heiraten wollen wie den ersten. Und von Karriereplänen werdet ihr nie wieder etwas hören.“ Er trat ein wenig zurück, bis er Francesca oben sehen konnte.

Ganz genau wusste er, dass sie dort war. Er hatte es schon die ganze Zeit über gewusst. Wie gelähmt verharrte Francesca auf dem Treppenabsatz. Dann hörte sie Oliver lachen und zur Haustür gehen. Ihre Gastgeber begleiteten ihn.

Als Beatrice und Elliot wieder ins Haus kamen, war Francesca bereits sicher in ihrem Schlafzimmer.

Nie im Leben war ihr ein solcher Mann begegnet. Er war willensstark und aggressiv wie ihr Großvater, doch auf eine ganz andere Weise. Ihres Großvaters Selbstbeherrschung war auf eine lange Reihe von Ahnherren zurückzuführen, die an ihr absolutes Recht glaubten, das ihnen durch bloße Geburt zustand. Oliver Newtons Selbstbewusstsein beruhte einzig in dem Glauben an sich selbst.

Während Francesca sich auszog, musste sie an Olivers feste Hände denken. Ein Schauer überlief sie. Welche Kraft hatte seine Berührung auf sie übertragen?

Beim Duschen glaubte sie plötzlich, seine Hände auf ihrem Körper zu spüren. Bewegungslos stand sie mit weit geöffneten Augen da und bemühte sich, die ungewollte Vision zu verscheuchen. So gebannt war sie, dass selbst der heftige Aufprall des Wasserstrahls nicht in ihr Bewusstsein drang.

Endlich konnte sie nach dem Handtuch greifen.

Wie ist solch eine Täuschung möglich?, fragte sie sich. Dabei mag ich den Mann überhaupt nicht.

Vergiss ihn, befahl sie sich, du wirst ihn ohnehin kaum wiedersehen. Jedenfalls nicht so, wie du es dir gerade vorgestellt hast, überlegte sie gequält.

„Francesca, es tut mir so leid, dass ich dich hängen lassen muss, aber Dominique fühlt sich nicht gut. Macht es dir viel aus, wenn wir den Stadtbummel um ein paar Tage verschieben?“, fragte Beatrice.

Francesca schüttelte den Kopf. „Nein“, versicherte sie. „Natürlich musst du bei deinem Jungen bleiben. Aber es ist herrliches Wetter … du nimmst es mir doch nicht übel, wenn ich noch ein bisschen spazieren gehe?“ Mit diesen Worten wollte sie es ihrer Gastgeberin erleichtern, sich um das kranke Kind zu kümmern, ohne sich ihr, Francesca gegenüber, verpflichtet zu fühlen.

Beatrice schien tatsächlich erleichtert zu sein. Um sich nützlich zu machen, räumte Francesca den Frühstückstisch ab. Dominique, der seine Eltern während der Nacht wach gehalten hatte, war nun fest eingeschlafen. Dafür sah seine Mutter blass und angegriffen aus. Auch ihr würde ein wenig Schlaf guttun, dachte Francesca bei sich. Trotz Elliotts liebevoller Unterstützung und der Hilfe des Hausmädchens Henrietta blieb bei zwei kleinen Kindern immer noch genug zu tun.

„Ein Spaziergang …“, überlegte Beatrice. „Oh ja, es gibt hier sehr hübsche Wege. Warte … ich glaube, wir haben einen Plan. Ich hole ihn. Aber zieh dich warm an, es weht ein frischer Wind. Und nimm wasserdichte Schuhe.“

Wasserdichte Schuhe? Francesca ging im Geist die Schuhe durch, die sie mitgebracht hatte. Abgesehen von einem Paar schwarzer Seidenpumps für den Abend waren alle anderen hochhackige Modellschuhe. Elegant und sogar bequem, aber ganz gewiss nicht wasserdicht.

„Ich glaube, ich besitze nichts Geeignetes“, sagte sie zögernd zu Beatrice. Angesichts der Sorgen um das Kind wollte sie nicht noch ein weiteres Problem aufwerfen. Deshalb fügte sie hinzu: „Gibt es im Ort einen Laden, wo ich so etwas bekommen könnte?“

„Ja, gleich neben der Post. Sag, du möchtest ein Paar Wanderschuhe, am besten gefütterte. Hier, halte bitte Dominique für einen Augenblick. Ich suche nach der Wanderkarte.“

Das schlafende Kind war keine leichte Last. Nachdenklich sah Francesca auf den Jungen hinunter. Hätte ihre Hochzeit wie geplant stattgefunden, so würde sie wahrscheinlich schon ein eigenes Kind erwarten …

Francesca war nicht besonders traurig darüber, dass sie Paolo nicht geheiratet hatte. Vielleicht habe ich mehr von meiner Mutter in mir, als ich dachte, sagte sie sich. Mir gefällt das britische Familienleben, wo jede Generation für sich wohnt, ohne ständig die ganze Verwandtschaft um sich zu haben. Jetzt erst kann ich mir so richtig vorstellen, wie schwer meiner Mutter damals das Leben im Palazzo gefallen sein muss.

Beatrice hatte Francesca ein Büchlein mit dem Titel Spaziergänge um das Dorf in die Hand gedrückt, nach dem sich die junge Frau nun orientierte. Trockene Blätter raschelten an ihren Füßen, ein Zeichen, dass die Nacht frostig gewesen war. Die fernen Hügelketten schimmerten violett im Dunst, die Bäume unten im Tal leuchteten in goldbraunen Tönen. Ihr Laub bildete einen brillanten Kontrast zum Zartblau des Himmels.

Es war kälter, als Francesca vorausgesehen hatte. Ein stürmischer Wind presste den schottisch gemusterten Faltenrock und den dazu passenden Pullover gegen ihren Körper. Sie war froh, dass sie wenigstens diese beiden wärmenden Kleidungsstücke mitgebracht hatte. Beim Erreichen der Ortschaft glühte ihr Gesicht von dem eisigen Wind, und auch die Hände waren rot vor Kälte.

Sie fand das Schuhgeschäft sofort, erklärte, was sie suchte, und entschied sich für ein Paar feste Stiefel mit Schaffellfutter, die sie gleich anbehielt. Nun suchte Francesca nach einem gemütlichen Platz, wo sie die Wandervorschläge eingehend studieren konnte.

Am Tag zuvor hatte Beatrice ihr eine Teestube empfohlen. Francesca fand sie ganz versteckt unter einem Toreingang, hinter dem ein Innenhof mit Blick auf den Fluss lag. Es herrschte reger Betrieb. Außer dem Kaffee- und Teeverkauf wurde eine große Auswahl an Gebäck angeboten.

Francesca setzte sich und beobachtete amüsiert das Kommen und Gehen der Passanten. Sie hatte keine Eile, wieder heimzugehen.

Man hatte ihr bereits erzählt, dass die Cotswolds eine sehr bekannte Touristengegend seien. Nun konnte sie sich an Ort und Stelle davon überzeugen. Mit Behagen genoss sie den heißen Kaffee und die Scones, dieses typische englische Gebäck, das sie bestellt hatte. Um ihre Figur brauchte sie sich keine Gedanken zu machen, da sie in der Regel sehr diszipliniert aß.

Schließlich suchte sie sich einen Wandervorschlag aus, der rund um das Dorf führte, sodass sie rechtzeitig zum Lunch wieder zu Hause wäre. Nachmittags wollte sie dann die Kinder übernehmen.

Francesca zahlte und ging, nicht ohne der freundlichen Bedienung ein großzügiges Trinkgeld zu hinterlassen. Der vorgeschlagene Weg war leicht zu finden. Er war gut ausgeschildert und führte zum Fluss hinunter. Nur gut, dass ich mir noch die Schuhe gekauft habe, dachte sie zufrieden, einige Strecken sind wirklich sehr matschig. So, wie ich jetzt gegen die Kälte gewappnet bin, kann ich den milden Herbstsonnenschein und den ländlichen Frieden hier von Herzen genießen.

3. KAPITEL

Nach kurzer Strecke am Fluss entlang ging es wieder bergauf und quer über ein Feld. In einiger Entfernung konnte Francesca einen Farmer pflügen sehen. Dem Traktor, der eine breite dunkle Furche hinter sich ließ, folgte ein Schwarm von Vögeln. Die klare kalte Luft übertrug ihre Schreie.

Zu ihrer Überraschung setzte sich der Pfad hinter einer dichten Hecke nicht weiter fort, sondern schien in einem privaten Garten zu enden. Einige Gebäude lagen vor ihr, umschlossen von einer Mauer mit einem Tor. Dort, wo Francesca sich jetzt befand, musste früher ein Gemüsegarten gewesen sein. Er schien seit Jahren unberührt und war völlig mit Disteln überwachsen.

Der Wanderweg führte direkt über dieses Gelände. Francesca konnte am anderen Ende einen figürlichen Heckenschnitt erkennen. Unschlüssig sah sie sich um. Schließlich fasste sie sich ein Herz und durchquerte den Garten, wobei sie sich unbehaglich als Eindringling empfand.

Sie hatte nur wenige Schritte getan, als sich die innere Pforte öffnete und ein Mann heraustrat. Er konnte Francesca nicht sehen, so versteckt war sie in dem hochgeschossenen Unkraut. Aber sie sah ihn. Es war Oliver Newton.

Welch unglücklicher Zufall hatte sie in seinen Garten geführt, nachdem sie vom Wanderweg über die Felder abgekommen war? Bei der Vorstellung, ihm gegenüberzutreten, überfiel Francesca Panik. Warum hatte sie solche Angst? Zwar war die Situation ungewöhnlich, aber doch zu meistern …

Oliver trug abgenutzte Jeans, dazu einen dicken wollenen Pullover. Er ging auf einen Stapel Holzscheite zu, die an der Mauer eines Gebäudes aufgetürmt waren.

Jetzt sah Francesca auch einen dünnen Rauchfaden hinter der inneren Mauer aufsteigen. Sie wartete, bis Oliver ihr den Rücken zudrehte. Dann schoss sie aus ihrem Versteck hervor, bevor er sie entdecken könnte. Der Versuch schlug fehl, eine Distel schlug ihr ins Gesicht und entlockte Francesca einen leisen Schmerzensschrei.

Sofort wandte Oliver sich um. Er warf Francesca einen missfälligen Blick zu, während sie nervös versuchte, sich von der Distel loszumachen. Verstört wollte sie Reißaus nehmen, doch schon nach wenigen Schritten fing Oliver sie ein. Wie ärgerlich war seine Gelassenheit für Francesca, während sie in seinen Armen um Luft rang!

Gedemütigt wartete sie auf seine Vorwürfe, doch stattdessen lächelte er sie nur spöttisch an. Francesca fühlte, wie sie schwach wurde.

„Was soll das hier bedeuten?“, fragte er trocken.

Ja, er kann leicht belustigt sein, dachte sie ärgerlich, aber ich … ich habe mich zum Narren gemacht. Warum frage ich ihn nicht ruhig nach dem Weg? Ich muss ihm die Wahrheit sagen, wie ich auf sein Grundstück gekommen bin.

Stolz hob sie den Kopf und sah Oliver herausfordernd an: „Ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von mir bekommen. Ich wollte spazieren gehen und habe dann wohl den Weg verfehlt.“

„Was für einen falschen Eindruck meinen Sie?“

„Nun ja, Sie sollen nicht denken, dass ich hier einfach so einbreche …“

„Ich weiß, dass man einem Dichter viel Fantasie zubilligt, aber eine solche Idee würde wirklich zu weit führen. Außerdem, wenn Sie mich wirklich kennenlernen möchten, gäbe es bequemere Möglichkeiten. Aus welcher Richtung sind Sie gekommen?“, erkundigte er sich.

„Vom Dorf her. Wenn ich hier eingedrungen bin …“

„Sie sind nicht eingedrungen“, erklärte Oliver. „Dies ist ein öffentlicher Wanderweg, der durch mein Grundstück führt. Darum auch die Mauer, die das Wohnhaus gegen Neugierige abschirmt. Oh, sehen Sie, es fängt an zu regnen. Warum kommen Sie nicht herein und trinken eine Tasse Kaffee mit mir? Sie müssen ganz erledigt sein. Ich kann Sie mit dem Auto zurückbringen.“

„Sie überraschen mich“, meinte Francesca, und errötete, denn so freimütig war sie sonst nicht.

„Ich weiß, ich habe mich neulich Abend schlecht benommen. Es tut mir leid“, gab er zu.

Oliver nahm sie beim Arm und schob sie zur Tür: „Kommen Sie, wir werden sonst noch nass.“

„Aber Sie wollten Feuerholz holen“, erinnerte Francesca ihn.

„Nicht wichtig. Ich brauchte nur eine kleine Pause vom Schreiben.“

Das Haus war aus Stein gebaut, niedrig und lang gestreckt. Man sah ihm die Jahrhunderte an, die es ausgehalten hatte, und es würde noch viele überstehen. Der Regen färbte bereits das Schieferdach dunkel. Oliver öffnete eine Seitentür, die in einen offenen kleinen Vorraum mündete. Oliver musste sich bücken, während er Francesca folgte, denn die Zimmerdecke war niedrig. Die Balken glänzten vom Alter und der Politur, die weiß verputzten Flächen dazwischen waren uneben. Ein gemusterter Teppich in traditionellem Rotbraun brachte Leben in den kahlen Raum.

Ein winziges Fenster ließ Tageslicht herein. Francesca wunderte es nicht, dass zusätzlich künstliches Licht brannte.

„So, hier herein. Es ist Ihnen doch recht, wenn wir den Kaffee in meinem Studio trinken? Im Esszimmer brennt kein Feuer, dort ist es zu kalt. Die Heizung hier ist vorsintflutlich. Ich komme ganz gut ohne sie aus, aber mancher Gast beschwert sich. Besonders die Frauen. Sie beklagen die Kargheit hier und möchten am liebsten alles umgehend modernisieren.“

„Leben Sie schon lange hier?“, fragte sie höflich.

„Etwa fünf Jahre. Erst hatte ich das Haus gemietet, später konnte ich es kaufen. Ich schätze die Abgeschiedenheit.“

„Wie auch den Mangel an modernen Bequemlichkeiten“, vermutete Francesca.

„Sie sind nicht dumm“, gab Oliver trocken zurück. „Ja, Modernität hat auch ihre Vorzüge. Bitte hier entlang …“

Eine kleine Treppe führte in ein ähnliches Zimmer mit dunklen Holzbalken. Eine Katze lag zusammengerollt auf der Matte vor dem Kaminfeuer. Als sie Francesca und Oliver eintreten hörte, öffnete sie blinzelnd die Augen, reckte sich und gähnte.

„Nehmen Sie Platz.“ Oliver deutete auf zwei Ohrensessel, die dem Kamin gegenüberstanden. „Ich mache den Kaffee. Bin gleich wieder da.“

Ein dicker blauer Teppich dämpfte das Geräusch seiner Schritte. Der große Schreibtisch nahm mindestens ein Viertel des Raumes ein. Papiere türmten sich auf der Arbeitsfläche, und man hörte das Summen des Rechners, als sei er in einem Moment des Verdrusses verlassen und nicht heruntergefahren worden.

Auch auf dem Fußboden gab es Bücherstapel. Francesca versuchte, die Titel zu entziffern. Fast alle betrafen das Italien des Mittelalters, einen Zeitabschnitt also, mit dem Francesca besonders vertraut war. Sie nahm ein Buch auf, sah nach dem Verfasser und wollte sich vergewissern, wie gut der Text ins Englische übersetzt worden war. Dabei fiel ihr Blick auf eine silbergerahmte Photographie, die auf dem Schreibtisch stand.

Sie zeigte ein zwei- bis dreijähriges Kind, das unschuldig in die Kamera lächelte. Francesca studierte das Bild näher. Wer war das wohl? Sie bemerkte gar nicht, dass Oliver hinter ihr stand.

„Ihr Kaffee.“

Es klang barsch. Schuldbewusst drehte sie sich um.

„Verzeihen Sie. Ich wollte nicht herumschnüffeln, aber ich sah diese Bücher …“ Hilflos deutete Francesca auf die Stapel. „Mich interessierte, wie das Buch von Montardi übersetzt wurde. Dabei sah ich das Photo.“

„Und wie alle Frauen sind Sie neugierig“, stellte Oliver fest.

„Nein“, erwiderte sie aufrichtig.

Oliver zuckte die Achseln: „Ich bin überrascht, dass Beatrice nicht schon davon gesprochen hat. Sie kannte das Kind, das ich als meine Tochter liebte. Eines Tages entschloss sich meine Frau, mir die Wahrheit zu sagen. Das Kind stammte nicht von mir, sondern von ihrem Liebhaber, den sie schon vor der Hochzeit mit mir und auch während unserer Ehe kannte. Von dem Menschen also, für den sie mich dann später verließ. Er war ein amerikanischer Millionär. Das wog offensichtlich mehr für sie als ein armseliger Universitätsdozent“, sagte er bitter.

Francesca schwieg taktvoll. Nach einer Weile fuhr er fort: „Ich wusste, dass sie die Scheidung wollte. Unsere Ehe war nie ein Erfolg gewesen. Ich willigte schließlich ein, aber unser Kind wollte ich behalten. ‚Unser Kind?‘, fragte sie mich. Wir hatten kein Kind miteinander, wie ich erfahren musste. Nur sie hatte eins – von ihrem Liebhaber. Ich musste beide gehen lassen.“

„Haben Sie noch Kontakt zu ihnen?“, fragte sie befangen. Es war kaum zu glauben, aber sie fühlte Mitleid für diesen aggressiven und zynischen Menschen.

Oliver warf ihr einen eisigen Blick zu: „Sie sind tot. Alle drei kamen bei einem Autounfall ums Leben. Seit unserer Trennung waren erst achtzehn Monate vergangen.“

Offensichtlich trug Oliver schwer an dieser vermeintlichen Schuld, zumindest für den Tod des Kindes, wenn nicht für den der Mutter. Unvermittelt wechselte er das Thema.

„Sie kennen Montardis Werke?“, fragte er.

„Ja. Das sechzehnte Jahrhundert ist mein bevorzugtes Studiengebiet. Es hat so viele faszinierende, starke Charaktere hervorgebracht … Nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Ist es nicht seltsam, dass wir in der Rückschau ganz klar die besonderen Zeitumstände erkennen, die solche Persönlichkeiten aus der Masse emporheben?“

„Sie denken wohl an die Medici?“

„Unter anderem. Sie waren eine besonders mächtige und korrupte Familie, aber die Zeiten änderten sich und arbeiteten gegen sie. Ich denke manchmal, dass …“ Francesca wurde von ihrer Begeisterung für diese Periode davongetragen. Verlegen hielt sie inne.

„Ich stimme da völlig mit Ihnen überein“, meinte Oliver. „Dieses Jahrhundert findet auch mein spezielles Interesse. In keinem anderen Zeitalter war die Menschheit derart unerhört geschickt in Doppelzüngigkeit und Betrug wie in jenem. In der europäischen Geschichte gab es nicht noch einmal seinesgleichen.“

Er sah Francesca an. Sie gab den Blick ruhig zurück, obgleich sie nicht wusste, worauf Oliver hinauswollte.

„Wegen des Abends neulich …“, raffte er sich schließlich auf.

„Bitte … Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, unterbrach sie ihn rasch.

Er lächelte seltsam: „Wollte ich auch gar nicht. Ich wollte nur sagen, dass ich Sie falsch beurteilt habe. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt, anerkannt in meinem Fach, finanziell gut gestellt – obgleich meine Einkünfte natürlich nicht mit denen der Familie di Valeria wetteifern können.“ Oliver gab zu erkennen, dass er genau wusste, wer Francesca war. „Einige meiner Freunde finden, dass ich eine Ehefrau brauche und versuchen, mir eine solche zu verschaffen.“

Sie sah ihn verständnislos an.

„Es ist nicht so, dass Beatrice und Elliot das je versucht hätten … aber am letzten Freitag war ich besonders missgelaunt, und …“ Er sprach nicht zu Ende, sondern schaute auf das Photo auf dem Schreibtisch und hob hilflos die Schultern.

Francescas Mund fühlte sich trocken an. Olivers Offenheit ging ihr nahe. Im selben Moment sah er auf und entdeckte Mitgefühl in ihren Zügen.

„Katies Geburtstag“, erklärte er kurz. „Sie wäre zehn geworden. Nun, wie ich schon sagte, ich konnte neulich nicht logisch denken. Sonst hätte ich gleich merken müssen, dass Beatrice und Elliot kein Paar aus uns machen wollen.“

„Das würden sie bestimmt gern hören.“ Francesca überkam plötzlich Ärger, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum. „Ich meinerseits höre es ungern. Denn während Sie Ihre Freunde von dem Verdacht freisprechen, haben Sie wohl nie daran gedacht, dass ich vieles gegen eine solche Verbindung einwenden könnte!“

Ihre goldfarbenen Augen blitzten vor Empörung.

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinesfalls so verlegen um einen Ehemann bin, um mich in die Arme eines Fremden zu werfen! Wenn ich mir dringend einen Gatten wünschte, so wäre meine Familie nur allzu glücklich, ihn für mich zu finden. Es gibt genug Männer, die sich geehrt fühlen würden, die Enkelin des Duca di Valeria zu heiraten – auch wenn der vorgesehene Bräutigam sie zurückgewiesen hat.“

„Aber daran liegt Ihnen nichts. Das meinen Sie doch, nicht wahr?“, sagte Oliver unerwartet weich. Dieser Ton nahm ihr unversehens den Wind aus den Segeln. „Worin sehen Sie nun den Sinn Ihres Lebens?“, wollte Oliver wissen.

„In der Achtung der Menschen voreinander“, entgegnete Francesca rau. „In Zufriedenheit durch erreichte Ziele, in Freundschaft, der Freiheit, eigene Entschlüsse zu treffen, und der Weisheit, die Gefühle anderer zu berücksichtigen.“

„Und was ist mit der Liebe? Spielt sie gar keine Rolle?“

Die Frage blieb in der Luft hängen, obwohl er sie ohne besondere Betonung gestellt hatte.

Endlich meinte Francesca: „Ich besitze sie, die Liebe meiner Eltern, meiner Familie. Wenn Sie aber die romantische Liebe zwischen Mann und Frau meinen, so habe ich solche nicht erfahren, und werde es wohl auch in Zukunft nicht. Ich bin nicht dafür geschaffen.“

„Jede Frau ist von Natur aus dafür geschaffen“, spöttelte er.

Sie schüttelte den Kopf.

„Das glaube ich nicht. Es stimmt zwar, dass man als Frau Erfüllung sucht … auch Vervollkommnung, aber die Mehrheit der Frauen hat realistischere Vorstellungen von der Ehe als die Männer.“

„Hm.“ Oliver wandte sich ab und sah in den Regen hinaus.

„Und wie ist es mit Sex?“, fragte er dann, während er ihr den Rücken zudrehte. „Welche Rolle spielt er in Ihrem Leben? Vielleicht sind Sie so behütet aufgewachsen, dass Sie die Befriedigung des körperlichen Appetits noch nicht zu schätzen wissen?“

Plötzlich drehte er sich um und sah Francesca voll ins Gesicht. Zum ersten Mal mied sie seinen Blick. Seine Annahme stimmte, sie war wirklich so unerfahren, wie er zu vermuten schien, aber gewiss nicht durch ihre Erziehung. Eine angeborene Keuschheit musste dazu beigetragen haben, dass Francesca sich so gelassen dem Grundsatz ihres Großvaters gefügt hatte, jungfräulich in die Ehe zu gehen.

„Ihr Schweigen spricht für sich selbst“, riss Oliver sie aus ihren Gedanken zurück. „Seien Sie vorsichtig, eines Tages könnte ein Mann kommen, der nicht weiß, was es bedeutet, eine di Valeria zu sein, und für welche Art Zukunft Sie aufgezogen wurden. Er wird auf diesen weichen Mund und die goldenen Augen schauen und nicht eher ruhen, bis er sie besitzt.“

Seine Warnung verstörte Francesca. Es war ihr deutlich anzusehen. Ihr Herz schlug wild, ihr Körper versteifte sich, während Sie sich innerlich gegen Olivers Anziehungskraft wehrte. In dem kleinen Zimmer schien es ihr plötzlich viel zu heiß zu sein, und die unerträgliche Spannung schlug ihr auf den Magen.

Unsicher brachte sie hervor: „Ich muss jetzt gehen, es ist spät geworden. Beatrice wird sich Sorgen machen.“

„Ich hole den Wagen.“

„Nein, bitte, ich möchte lieber zu Fuß gehen.“

„Im Regen?“, fragte Oliver und zog zweifelnd die Brauen hoch.

„Ich liebe Regen.“ Francesca beachtete Olivers ungläubigen Blick nicht. Als sie zehn Minuten später wieder auf dem Wanderweg stand, fragte sie sich, was sie eigentlich so geängstigt hatte.

Francesca kam viel später nach Hause, als sie geplant hatte, doch Beatrice empfing sie sichtlich aufgeheitert. Dominique ging es besser, der Doktor hatte gemeint, es seien lediglich Verdauungsstörungen gewesen.

„Und wie war dein Spaziergang?“, fragte Beatrice.

Etwas verlegen erklärte sie, wie sie sich unvermutet in Olivers Garten gefunden und versucht hatte, zu entkommen, ehe Oliver sie entdeckte.

„Er lud mich zu einem Kaffee ein, wir schwatzten miteinander …“ Damit Beatrice ja keinen falschen Eindruck bekäme, fuhr Francesca hastig fort: „Ich glaube, er wollte mir noch mal deutlich seine Abneigung gegen eine zweite Ehe zu verstehen geben.“ Sie lächelte ein wenig gequält. „Neulich Abend hatte er wohl einen entsprechenden Verdacht. Die Schuld an seinem schlechten Benehmen gab er der Tatsache, dass es der Geburtstag seiner kleinen Tochter gewesen wäre …“

„Oh, natürlich“, unterbrach Beatrice reumütig. „Kein Wunder, dass er in solcher Laune war. Armer Oliver! Er hat dir davon erzählt, nicht wahr?“

„Nur kurz. Ihr Photo stand auf dem Schreibtisch.“

„Was, er lud dich in sein Allerheiligstes ein? Das will etwas heißen! Seine Frau war Amerikanerin. Er lernte sie auf einer Vortragsreise kennen. Als er mit dem Schreiben begann, gab er die Lehrtätigkeit an der Universität auf. Schon einen Monat nach der ersten Begegnung heirateten die beiden. Entweder das – oder Trennung, so habe ich ihn verstanden. Er wollte nicht für immer in den Staaten leben, und sie konnte keine Arbeitserlaubnis für England bekommen, wenn sie nicht verheiratet war. Ich glaube, sie war Sekretärin. Kurzum, sie wurden getraut. Nach dem, was man so hört, bedauerten beide diesen Schritt von Anfang an, aber sie war schwanger, deshalb kam eine Scheidung für Oliver nicht infrage. Nur wusste er nicht, dass dieses Kind von ihrem Chef gezeugt worden war, dessen Ehefrau die Scheidung verweigerte. Aus Groll darüber nahm Kristie Oliver. Wie dem auch sei, zweieinhalb Jahre später ließ Kristies ehemaliger Liebhaber wissen, dass er geschieden war und erhob Anspruch auf Kristie und sein Kind.“

Beatrice seufzte und fuhr fort: „Dieser Mann war mindestens dreißig Jahre älter als Kristie und hatte keine Kinder aus der ersten Ehe. Oliver war zu diesem Zeitpunkt mit einer Scheidung einverstanden, hatte aber keine Ahnung, dass Katie nicht seine Tochter war. Dann lüftete Kristie das Geheimnis. Obwohl Oliver sehr an dem Kind hing, wollte er es doch nicht von der Mutter trennen. Er gab beide frei, zumal Kristies Liebhaber der wahre Vater war. Alle drei verunglückten achtzehn Monate später. Einige Jahre danach zog Oliver hierher. Er lebte wie ein Einsiedler und vergrub sich in seine Bücher, bis er am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand. Trotz seines rauen Äußeren kann er sehr freundlich und teilnehmend sein. Die Pfarrersfrau sagt, er hat das weichste Herz, wenn es darauf ankommt. Aber ebenso besitzt er schwache Punkte, und das Thema Heirat ist einer davon. In den ersten Jahren nach seiner Scheidung hätten ihn seine Freunde gern wieder verheiratet gesehen, doch inzwischen kennt jeder seine Abneigung gegen einen solchen Schritt. Entschuldige, Francesca, ich wollte dich damit nicht in Verlegenheit bringen.“

„Obwohl du es gern gesehen hättest, dass er mir einen Job gibt?“, fragte sie.

„Ja“, Beatrice errötete. „Es tut mir leid.“

„Braucht es dir nicht … Ich weiß, dass du es gut mit mir meinst.“

Ein Jammern aus dem oberen Stockwerk ließ beide Frauen aufhorchen.

„Aha, mein Sohn ist wach und hungrig“, stellte Beatrice erleichtert fest.

Oliver unterbrach seine Arbeit, das Telefon hatte geläutet. Er legte das Mikrophon auf den Tisch und griff nach dem Hörer. Besonders erfreut war er nicht, als er die Stimme seines Agenten vernahm.

„Ja, Charles, was gibt es?“, erkundigte er sich knapp.

„Der amerikanische Verleger hat sich gemeldet. Sie möchten den Erscheinungstermin Ihres Buches mit dem Riesenspektakel verbinden, das in New York unter dem Motto ‚Italiens Einfluss auf die amerikanische Literatur‘ stattfindet. Es würde die Verkaufsziffern in die Höhe treiben.“

Oliver seufzte und verkniff sich mit Mühe eine unfreundliche Bemerkung.

„Charles, Sie wissen, dass ich den Termin so schon kaum schaffe, geschweige denn in kürzerer Zeit.“

„Haben Sie denn noch immer keine Hilfskraft gefunden, die für Sie recherchiert?“, unterbrach ihn der Agent. „Soll ich jemanden für Sie suchen?“

Er konnte Olivers Abwehr fast körperlich spüren und überlegte verzweifelt, wie er den Eigensinn seines besten Autors überwinden könnte. Zu seiner Erleichterung hörte er Oliver sagen: „Nein, nein, lassen Sie das. Ich denke, dass ich einiges auch selbst herausfinden kann.“

„Es scheint, du bekommst Besuch“, meinte Francesca zu Beatrice, als sie im Garten standen und der schnittige Daimler auf sie zukam.

„Das ist Olivers Wagen“, erwiderte Beatrice erstaunt. „Merkwürdig, er macht sonst keine unangemeldeten Besuche, besonders nicht während Elliotts Abwesenheit.“ Sie zog ein Gesicht und fügte hinzu: „Eigentlich fühlt er sich nur unter Männern wohl. Er ist mehr Elliotts Freund als meiner. Was er wohl auf dem Herzen hat?“

„Oliver, was für eine nette Überraschung!“, begrüßte sie ihn freundlich. „Falls du Elliot suchst, er ist leider nicht hier. Er hat eine Sitzung in London und wird erst spät nach Hause kommen.“

„Um ehrlich zu sein, ich suche Francesca“, erklärte er und sah diese über Beatrice hinweg direkt an. Francesca beherrschte sich nur mühsam, so intim war Olivers Blick.

„Ich hätte anrufen sollen“, entschuldigte er sich und wandte kein Auge von der jungen Frau, „weil ich Sie neulich nicht zurückgefahren habe. Doch wie Sie wissen, vergesse ich leicht etwas über meiner drängenden Arbeit.“

„Schon gut“, antwortete sie. Erstaunt entdeckte sie, dass sie sich wie ein Backfisch benahm. Das erschien ihr geradezu albern, wenn sie sich an das zurückhaltende Leben erinnerte, das sie in Mailand geführt hatte. Aber dieser Mann verwirrte sie.

„Ich bin aber eigentlich nicht gekommen, um mich für meine Versäumnisse zu entschuldigen“, fuhr Oliver mit einem Lächeln fort, das Eisberge zum Schmelzen gebracht hätte. Francesca sträubte sich mit aller Kraft gegen die Wirkung, die er damit auf sie ausübte. Es ärgerte sie, dass Oliver seinen Charme so berechnend anwandte.

„Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?“, sagte er und tat, als bemerke er ihre Abwehr überhaupt nicht.

„Warum lasse ich euch nicht einen Augenblick allein, gehe ins Haus und mache uns eine Tasse Kaffee?“, warf Beatrice eilig ein. „Ihr beiden habt offensichtlich persönliche Angelegenheiten zu besprechen.“

„Nein!“, rief Francesca schroff, was ihr einen gekränkten Blick von Beatrice eintrug, „Mr. Newton hat mir ganz bestimmt nichts Privates mitzuteilen.“

„Genau. Nichts Privates“, stimmte er ihr ruhig bei. „Aber ich gebe zu, dass ich nichts gegen eine Tasse Kaffee hätte. Das heißt, wenn es dir nicht zu viel Mühe macht, Beatrice.“

„Überhaupt nicht. Setzt euch nur in Elliotts Studio, ich komme dann dorthin.“

Francesca sah sie fortgehen. Beatrice hatte die Kinder mit sich genommen, und Francesca fühlte sich nun gänzlich verlassen.

Was habe ich nur gegen Oliver?, fragte sie sich. Schließlich ist er nicht arroganter und selbstzufriedener als mein Großvater. Und auch nicht sexbetonter als die meisten Männer meiner Bekanntschaft. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen, ganz in unbehagliche Gedanken versunken.

Eine kühle Brise ließ sie frösteln. Oliver bemerkte es und legte ihr sofort sein Jackett über die Schultern.

„Wenn Sie es vorziehen, können wir uns auch hier draußen unterhalten“, meinte er. „Aber dann behalten Sie lieber meine Jacke an, bevor Sie sich eine Erkältung holen.“

Der weiche Stoff des Jacketts duftete nach Oliver. Francesca nahm es mit geschärften Sinnen wahr.

Mit einer unbeholfenen Geste warf sie ihm die Jacke zu.

„Ich glaube, wir gehen lieber ins Haus“, sagte sie steif, „Beatrice würde nach uns suchen.“ Noch immer fürchtete Francesca seine Nähe, sie war sich keineswegs sicher über die Gefühle, die sie Oliver entgegenbrachte. Anfangs hatte sie das amüsiert, später konnte sie es von sich selbst nicht glauben. Je länger sie Oliver kannte, desto mehr lernte sie, sich zu beherrschen. Das Herz schlug ihr nicht mehr sofort bis zum Hals, wenn sie an ihn dachte. Sie wich nicht länger vor sich selbst aus, wenn sie die Wahrheit erkannte, sondern versuchte, sich klar zu werden.

Warum spüre ich ausgerechnet jetzt so ein Verlangen nach Zärtlichkeit, wie ich es noch nie gefühlt habe?, fragte sie sich. Warum weckt gerade dieser Mann solche Sehnsucht in mir, wenn es bisher keinem anderen gelungen ist? Unzweifelhaft kann er mir sehr gefährlich werden.

Doch Herkunft und Erziehung verboten es ihr, unhöflich zu sein. Deshalb folgte sie Olivers Aufforderung und ging ihm nach in Elliotts Studio.

Mit den weiß gekalkten Wänden und einem olivgrünen Teppich wirkte der Raum ausgesprochen männlich. Zu einem Mann wie Oliver passte er gut, Francesca fühlte sich in der sachlichen Umgebung eher ungeschützt.

„Nun, was wollten Sie mir sagen?“, fragte sie nervös und vermied es, ihn anzusehen.

„Heute Morgen rief mein Agent an. Er drängte mich wegen des Abgabetermins für meinen neuen Roman. Wenn ich nicht jemanden finde, der die historischen Hintergründe der Story prüft, kann ich das Buch nicht pünktlich fertigstellen“, berichtete er.

„Ich nahm an, Sie täten das selber.“

„Das ist sonst auch der Fall. Aber diesmal … diesmal, hoffe ich, werden Sie mir dabei helfen.“

Francesca drehte sich zu ihm um und sah ihn abweisend an: „Wie bitte? So, wie Sie neulich Abend über weibliche Berufstätigkeit geurteilt haben …?“

„Dafür habe ich mich bereits entschuldigt“, sagte Oliver gleichmütig. „Und ich habe auch erklärt, warum ich so heftig reagierte. So wie Sie mich jetzt stolz zurückweisen, erweisen Sie sich als echte Enkelin des Duca di Valeria. Dabei nahm ich an, dass Sie sich von Ihrem gesellschaftlichen Hintergrund freimachen und ein eigenes Leben aufbauen wollten. Dazu biete ich Ihnen jetzt eine Gelegenheit, Francesca. Wollen Sie mir bei der historischen Forschung helfen? Oder haben Sie etwa Angst?“

„Angst? Etwa vor Ihnen? Niemals!“, zischte Francesca wütend. Sie sah, dass seine Augen sich verdunkelten, und eine Sekunde lang fürchtete sie sich doch vor ihm.

Doch ebenso rasch wie gekommen, verschwand sein Ärger wieder und er lächelte Francesca spöttisch an.

„Doch nicht vor mir! Wie kommen Sie denn darauf? Nein, ich meinte damit, ob Sie vielleicht vor dieser Aufgabe zurückschrecken, und damit auch nur eine jener Damen sind, die vorgeben, eine Karriere zu suchen.“

Sie fühlte ein heißes Kribbeln auf der Haut. Wie geschickt hatte er die Falle zuschnappen lassen! Oh, sie hasste ihn! Jetzt war sie hin und her gerissen zwischen instinktiver Vorsicht, das Angebot zurückzuweisen, und der Verlockung, den Job anzunehmen und Olivers Spott zu widerlegen.

„Nun?“, fragte er. Sein arrogantes Lächeln wich einem neutralen Ausdruck, als Beatrice eintrat, gefolgt von Henrietta, die das Kaffeetablett trug. Fragend hob er die Schultern.

„Wir kommen wohl gerade im falschen Augenblick?“, meinte Beatrice, die Olivers gespannte Miene und Francescas gequälten Gesichtsausdruck bemerkte.

„Nein, eigentlich nicht“, sagte Oliver. Er trat auf Henrietta zu, nahm ihr das Tablett ab und setzte es auf einen kleinen Tisch. „Ich war gerade dabei, Francesca um ihre Mithilfe zu bitten. Aus unserer Unterhaltung neulich hatte ich den Eindruck gewonnen, dass sie genau jenes Wissen hat, welches mir über diese Epoche fehlt.“

„Aber Francesca soll sich hier erholen, nicht arbeiten“, protestierte Beatrice überraschend, um sie in Schutz zu nehmen.

„Weder will ich sie entführen noch dazu zwingen, für mich zu arbeiten“, stellte Oliver trocken fest. „Die Entscheidung liegt ganz bei ihr.“ Er drehte sich zu Francesca um: „Denken Sie bis heute Abend darüber nach. Wegen der Terminsetzung kann ich leider nicht länger warten.“

Damit zog er eine Karte aus seiner Jackentasche, auf der er seine Telefonnummer notierte.

Er überreichte ihr die Karte: „Dies ist meine Privatnummer. Rufen Sie mich an, wenn Sie sich entschieden haben.“

Eigentlich hatte sie das bereits getan. Aber warum sagte sie ihm das nicht?

Oliver trank seinen Kaffee aus und ging gleich darauf.

4. KAPITEL

„Francesca, was wirst du tun?“, fragte Beatrice.

„Ich weiß nicht … Es wäre eine gute Gelegenheit, mein Wissen zu erweitern. Ich meine natürlich, beruflich“, setzte Francesca rasch hinzu, als Beatrice sie besorgt ansah.

„Na, ich bin mir nicht sicher, ob er nicht mehr als eine berufliche Zusammenarbeit im Sinn hat“, überlegte Beatrice. „Ich fürchte, ich bin selbst daran schuld. Schon vor deiner Ankunft hatte ich die Idee, dass eine Mitarbeit bei Oliver dir einen guten beruflichen Start geben könnte. Aber wie gesagt … das war vor …“

„Du konntest schließlich nicht wissen, dass ich für mein Alter sehr unerfahren bin“, sprang Francesca ihr bei.

„Oliver hat einen gewissen Ruf“, ergänzte Beatrice eilig. „Nicht, dass er eine Frau nach der anderen verführt, aber immerhin … was man so hört … Er ist schließlich ein sehr attraktiver Mann, das wird dir kaum entgangen sein. Doch auf keinen Fall will er eine emotionale Bindung eingehen … Und du bist schön und dazu sehr verletzlich. Damit meine ich nicht unbedingt, dass es zu einer Affäre zwischen euch kommen muss. Er ist auch nicht der Mann, der eine Frau mit Gewalt in ein Liebesverhältnis zwingt.“

„Aber du hast Angst, dass ich ihm erläge und auch so dumm wäre, an eine dauerhafte Bindung zu glauben, während er nur eine Liebelei sucht. Nein, Beatrice, so naiv bin ich nicht.“

„Du fürchtest dich davor, für ihn zu arbeiten, nicht wahr?“

„Ja, aber ich werde es trotzdem tun“, erwiderte sie. „Ich muss es, sonst werde ich nie wissen, ob Oliver recht hat mit seinem Vorurteil oder nicht.“

„Recht? Worin?“

„Ob ich fähig bin, einen Platz in der Arbeitswelt auszufüllen, oder ob ich nur mit dem Gedanken spiele, unabhängig zu werden. Und im Übrigen …“ Francesca sah Beatrice entschlossen an. „Ich mache mir keine Illusionen und möchte mir das Leben nicht noch durch einen Mann wie Oliver erschweren.“

„Nun ja, wenn du dir da so sicher bist …“, meinte Beatrice zweifelnd. „Willst du nicht lieber warten, bis Elliot zurück ist und seine Meinung hören, bevor du dich entscheidest?“

Francesca betrachtete sie liebevoll. Dann sagte sie sehr bestimmt: „Das ist nett gemeint, aber ich will mich selbst entscheiden. Ob es richtig oder falsch war, wird sich zeigen.“

Francesca wartete bis zum Nachmittag, dann rief sie Oliver an.

Sehr kurz angebunden meldete er sich, fast verschlug es ihr die Sprache. Doch gelang es ihr, in kühlem Ton mit ihm zu reden.

Ja, sie würde Quellenforschung für ihn betreiben, doch schiene ihr eine Probezeit von einer Woche wünschenswert, um Enttäuschungen zu vermeiden.

„Ist mir recht“, antwortete Oliver. „Wenn Sie heute Abend nichts Besseres vorhaben, könnten wir zusammen essen und überlegen, wie wir bei der Arbeit vorgehen sollten, welches Gehalt Sie sich vorstellen und anderes mehr.“

„Ich muss mich da mit Beatrice abstimmen. Wenn sie nichts anderes geplant hat, komme ich gern.“ Francesca wusste, dass nichts gegen die Verabredung sprach, aber da sie die geschäftliche Basis betonen wollte, zog sie eine kleine Show ab. Sie ließ Oliver eine Weile warten, ehe sie den Hörer wieder aufnahm und zusagte.

„Ausgezeichnet. Dann hole ich Sie etwa um acht Uhr ab. Mrs. Lyons, meine Haushälterin, wird uns etwas Gutes kochen.“

Zu spät, erkannte Francesca, ich habe bei meiner Zusage nicht daran gedacht, dass er das Abendessen bei sich veranstalten könnte. Aber was macht das schon, wenn wir Geschäftliches bereden wollen?

Dennoch … Als sie den Hörer auflegte, war ihr, als habe Oliver ihr Unbehagen genau gespürt und wüsste auch den Grund dafür.

Oliver war pünktlich zur Stelle. Diesmal lernte Francesca sein Haus von vorn kennen. Höflich half er ihr aus dem Wagen. Dann schloss er die Haustür auf.

„Mrs. Lyons hat alles bereitgestellt. Zum Esszimmer geht es hier entlang.“ Er legte seine Hand unter Francescas Ellenbogen. Sie spürte seine intensive Körperwärme durch die dünne Wolle ihres Kleides. Im Dämmerlicht des Durchgangs sah Francesca Olivers selbstsicheres Lächeln, das instinktiv ihre innere Abwehr hervorrief.

„Sie haben mich recht überrascht“, sagte er jetzt auch noch, während er die Tür zum Esszimmer öffnete. „Halb hatte ich nämlich mit Ihrer Absage gerechnet, als Ihnen klar werden musste, dass wir bei mir essen würden.“

Wieder versteifte sich Francesca. Zornig sah sie ihn an: „Ich bin hergekommen, um eine Geschäftsverbindung mit Ihnen zu besprechen. Entschuldigen Sie, dass ich so deutlich werde, aber ich möchte unsere Beziehung nur auf dieser Basis sehen.“

War es Respekt, den sein Blick jetzt ausdrückte?

„Gut“, sagte Oliver anerkennend. „Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie ohne Furcht sagen, was Sie denken.“

Habe ich eben etwa einen Test bestanden?, fragte sich Francesca.

„Vielleicht sollten wir beide die Karten offen auf den Tisch legen“, schlug sie kühl vor. „Ich habe den Job angenommen, weil er Anforderungen an mich stellt. So werde ich besser erkennen, ob ich eine Karriere in Geschichtsforschung machen kann oder nicht, unabhängig davon, ob mein Arbeitgeber männlich oder weiblich ist.“

Das stimmte nicht ganz, denn wäre das Jobangebot von einer Frau ausgesprochen worden, so hätte sie keine Sekunde gezögert, es anzunehmen.

Oliver schien sie zu durchschauen, sagte aber nur: „Ich schätze Ihre Ehrlichkeit, man findet sie bei Frauen nur selten. Jedenfalls ist das mein Eindruck.“

„Bei Männern ebenso wenig“, erwiderte Francesca sofort.

„Wollen wir nicht Frieden schließen?“, schlug Oliver vor.

Mutig entgegnete sie: „Gern. Aber nur, wenn Sie mir sagen, warum Sie sich heute Morgen so eifrig um den Eindruck bemühten, dass Sie mich anziehend …“

„Und begehrenswert finden …“, ergänzte Oliver trocken, um sie zu besänftigen. „Das ist mir gar nicht schwergefallen“, fuhr er fort. „Das Kompliment sollte Ihnen sagen, dass ich Ihre Vorzüge keineswegs übersehe. Vielleicht habe ich etwas übertrieben, aber immerhin …“

„Sie wollten nur meine Reaktion sehen, ob ich merkte, welche Absicht hinter der Schmeichelei steckte.“

„Möglich“, gab Oliver unverbindlich zu. „Vielleicht wollte ich auch ergründen, warum eine so schöne Frau das Interesse eines Mannes als Belästigung empfindet. Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie keine Wirkung auf Männer ausgeübt hätten! Das würde ich Ihnen nicht abnehmen.“

Francesca blickte ihn böse an.

„Ich war erst drei Jahre alt, als mein Großvater sich um meine spätere Heirat mit Paolo bemühte. Ich wuchs mit dieser Gewissheit auf, daher kam für mich nie ein anderer Mann infrage.“

„Sie hüteten sich also vor dem männlichen Geschlecht? Kein Wunder, dass Ihnen Geschichte so sehr liegt! Sie durften ja nicht in der Gegenwart leben.“

Oliver konnte es nicht fassen. Er stellte sich den Großvater vor, der die Enkelin selbstsüchtig für seine ehrgeizigen Ziele einspannte. Die Familie di Valeria konnte ihre Wurzeln bis in das vierzehnte Jahrhundert und weiter zurückverfolgen. Das heiße Blut, das diese machtgierigen mittelalterlichen Fürsten durchpulst hatte, schien noch ebenso stürmisch in den Adern der Nachfahren zu strömen.

Was hatte dieser Großvater wohl jetzt mit Francesca vor? Oliver konnte sich nicht genug über den Bräutigam wundern, der einer solchen Frau wie Francesca eine andere vorgezogen hatte.

Nichts von solchen Gedanken war in Olivers Gesicht zu lesen, als er jetzt einladend auf einen Stuhl deutete.

„Mrs. Lyons hat uns ein leckeres Geflügelragout zubereitet. Ich hole es.“

Francescas italienische Abstammung war nicht zu verleugnen. Die Frau war in erster Linie dazu da, es dem Mann bequem zu machen. So hatte man es sie zu Hause gelehrt.

„Ich komme mit“, rief sie deshalb und war schon vor Oliver in der Küche. Sie hob den Deckel vom Topf und schnupperte prüfend. Dem Duft fehlt die besondere Note, fand sie.

Autor

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