Romana Herzensbrecher Band 4

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VERFÜHRUNG UNTER SPANISCHEN STERNEN von DIANA HAMILTON
Im malerischen Ambiente seiner Villa in Cadiz will Cayo Garcia die junge, hübsche Izzy als Erbschleicherin enttarnen! Wenn er sie mit Luxus überschüttet, wird sie sich sicher schnell verraten! Doch in einer heißen Liebesnacht macht der mächtige Tycoon eine folgenschwere Entdeckung …

VERLIEBT IN GRANADA von BARBARA MCMAHON
Ashley ist tief beeindruckt von der Schönheit Granadas, aber noch viel mehr fasziniert sie der umwerfende Juan Carlos Alvarez. Unter funkelndem Sternenhimmel durchtanzt sie eine ganze Nacht mit ihm - nur um dann schmerzvoll zu erfahren, dass ihr Traummann verlobt ist …

WIEDERSEHEN IN MARBELLA von SARA WOOD
Tas ist entsetzt! Bei ihrer Rückkehr ins romantische Marbella begegnet sie dem neuen Liebhaber ihrer Stiefmutter: Und das ist niemand anderes als Judeo Corderro, ihre große Jugendliebe! Muss sie den feurigen Spanier nun endgültig vergessen oder darf sie um ihr Glück kämpfen?


  • Erscheinungstag 07.06.2019
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745059
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diana Hamilton, Barbara McMahon, Sara Wood

ROMANA HERZENSBRECHER BAND 4

1. KAPITEL

Isabel Makepeace, von allen Izzy genannt, sank erschöpft auf eine Bank im Schatten eines weit ausladenden Baumes, der ihr Schutz vor der stechenden Mittagssonne bot. Die herrliche Aussicht auf den an dieser Stelle der spanischen Küste kristallklaren tiefblauen Atlantik bemerkte sie nicht. Stattdessen kämpfte sie gegen die Tränen an, die ihr in die Augen stiegen. Ich werde nicht weinen. Ganz bestimmt nicht!

Nervös kaute sie auf der Unterlippe, fuhr mit der Hand durch das feine silberblonde Haar, das sie wieder einmal nicht hatte bändigen können, und wünschte sich von Herzen, nicht so eine totale Versagerin zu sein – und dass ihre Füße nicht so schmerzten. Zum Ausgleich für die fehlende Körpergröße – sie maß nur knapp einen Meter sechzig – hatte sie sich angewöhnt, stets Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen zu tragen, koste es, was es wolle. Heute erwies sich das als großer Nachteil. Auf der Suche nach einer erschwinglichen Unterkunft, in der sie wohnen konnte, bis sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte, musste sie bestimmt noch kilometerweit laufen.

Ihre Familie hatte sich nie über ihre geringe Größe, die ihr selbst so sehr bewusst war, geäußert. Dafür hatte ihr Bruder bei jeder sich bietenden Gelegenheit bissige Bemerkungen über ihren unzureichenden Intellekt gemacht. Ihr Vater war fast verzweifelt, weil sie noch nicht einmal ansatzweise gesunden Menschenverstand besaß, und die Mutter hatte immer nur traurig den Kopf geschüttelt über die vielen Schwächen der ungeplanten Nachzüglerin. Was war ich doch für eine unangenehme Überraschung für meine Eltern, hatte Izzy oft gedacht und sich umso mehr bemüht, es dem blitzgescheiten Bruder, dem erklärten Liebling der Eltern, gleichzutun.

Als sie ihrem Vater am Telefon von ihrer Kündigung berichtete, hatte sie seine Enttäuschung beinahe körperlich spüren können, trotz der riesigen Entfernung nach Neuseeland. Den Job, den er ihr in seiner ehemaligen Kanzlei in England verschafft hatte – noch dazu, wie sie vermutete, gegen den Widerstand der anderen Seniorpartner –, hatte sie freiwillig aufgegeben, um eine Anstellung als englischsprachiges Kindermädchen bei einem reichen spanischen Ehepaar in Cadiz anzunehmen. Er hatte vorausgesagt, dass sie diese Entscheidung noch bedauern würde – und wie immer recht behalten!

Dabei war ihr die Stellenanzeige, die sie in einer der großen Tageszeitungen entdeckt hatte, wie ein Geschenk des Himmels erschienen. Sie sollte die sechsjährigen Zwillingstöchter des Paares betreuen und auch Englisch mit ihnen üben, dazu leichte Hausarbeiten übernehmen. Die Antwort auf ihre Gebete, der Beginn eines neuen Lebens – das alles schien der neue Job zu verheißen.

Ihrem Selbstvertrauen hatte es sehr gutgetan, den Job tatsächlich zu bekommen, denn erst kurz zuvor war sie durch den Mann, dem ihre ganze Liebe galt, zutiefst gedemütigt worden. Fest entschlossen, Marcus und ihr gebrochenes Herz zu vergessen, sich als die beste Nanny der Welt zu erweisen und ihrem großen Bruder James und ihren an ihr fast verzweifelnden Eltern zu beweisen, dass sie nicht an jeder Aufgabe scheiterte, hatte sie den neuen Posten voll Energie und mit den besten Absichten angetreten.

Daher hatte sie auch nicht protestiert, als Señor und Señora del Amo, die eine riesige elegante Villa am Stadtrand bewohnten, ihr ein Zimmer zugewiesen hatten, das kaum größer als ein Schrank gewesen war. Licht konnte nur durch eine winzige Dachluke in die Kammer fallen, die lediglich mit einem brettharten, schmalen Bett und einer wackligen Kommode möbliert gewesen war.

Die Zwillinge hatten sich als wahrer Albtraum erwiesen. Sie widersetzten sich jeder ihrer Anweisungen und gaben vor, kein Wort Englisch zu verstehen, obwohl ihre Mutter stets stolz das Gegenteil behauptete. Und sobald Izzy versuchte, sich mit ihnen auf Spanisch zu verständigen – mithilfe ihres Wörterbuchs – starrten sie sie nur stumm an oder brachen in schallendes Gelächter aus.

Ich war nur ein schlecht bezahltes Dienstmädchen, dachte sie traurig. Ihren freien Tag hatte sie nur selten nehmen können, und die leichte Hausarbeit, die sie leisten musste, wenn die Kinder in der Schule waren, beinhaltete alles vom Bügeln eines riesigen Wäscheberges bis zum Schrubben des Marmorbodens der riesigen Eingangshalle der Villa. Doch sie machte entschlossen weiter. Aufgeben und einen weiteren Misserfolg eingestehen wollte sie keinesfalls.

Schnell lernte sie auch, Señor del Amo so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Der korpulente Mann hielt es anscheinend für sein gutes Recht, sie zu belästigen, wann immer es ihm in den Sinn kam, nur weil er ein reicher Bankier war und ihren bescheidenen Lohn zahlte.

Da sie dieser unerträglichen Situation möglichst bald entkommen wollte, sparte sie eisern jeden Cent. Mit den Rücklagen beabsichtigte sie, die Fahrt in eines der Feriengebiete an der Küste zu finanzieren, wo sie trotz ihrer minimalen Spanischkenntnisse sicher bald eine billige Unterkunft und eine Arbeit in einem Hotel oder einer Bar finden würde.

Doch eines Morgens wurde ihr schöner Plan zerstört. Señor del Amo pirschte sich an sie heran, während sie die Waschmaschine belud. Sie versuchte gerade verzweifelt, sich aus seinen Armen zu befreien, als die Señora hereinkam und mit einem schrillen Wortschwall auf Spanisch dem Treiben ein Ende bereitete. Izzy wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, um die ekelerregenden Spuren seiner feuchten Lippen zu entfernen, und achtete gar nicht auf die Worte, mit denen der Bankier sich seiner Frau gegenüber rechtfertigte. Aber als die Señora sich mit hartem Blick an sie wandte und befahl: „Verlass auf der Stelle mein Haus! Wie kannst du es wagen, einen ehrbaren Familienvater zu verführen? Hast du denn überhaupt nicht an meine unschuldigen kleinen Mädchen gedacht?“, starrte Izzy sie nur ungläubig an, völlig fassungslos angesichts der schreienden Ungerechtigkeit dieser Behauptung. Doch die Señora war noch nicht fertig. Genüsslich fügte sie hinzu: „Natürlich bekommst du von mir weder Referenzen noch den restlichen Lohn. Und ich werde dafür sorgen, dass alle unsere Bekannten von deinem ungebührlichen Benehmen erfahren!“

Sich jetzt zu verteidigen wäre sinnlos, das war klar. Señora del Amo würde glauben, was sie glauben wollte. Izzy blieb nichts übrig, als ihre Taschen zu packen und zu gehen.

Aber zumindest etwas Gutes hatte das Ganze gehabt. Sie war froh gewesen, endlich den lüsternen Blicken und Berührungen des Hausherrn, den unangemessenen Forderungen der Señora und den grässlichen Zwillingen entkommen zu können.

Dieser Gedanke hatte ihre Würde wiederhergestellt, und so hatte sie es auch gewagt, sich im Hinausgehen mit hoch erhobenem Kopf an die Spanierin zu wenden. „Wenn Sie auch nur ein Wort von dem glauben, was Ihr Mann Ihnen gesagt hat, sind Sie eine größere Närrin, als ich gedacht habe.“ Ihr war allerdings bewusst, dass sie sich mit dieser Bemerkung eine Feindin fürs Leben gemacht hatte.

So schnell wie möglich hatte sie ihre wenigen Habseligkeiten gepackt und war aus dem Haus gestürmt, in Richtung Innenstadt.

Jetzt saß Izzy auf einer Bank, arbeitslos und ohne Dach über dem Kopf und – aufgrund ihrer mangelhaften Spanischkenntnisse – mit geringen Aussichten, in Cadiz einen Job zu finden. Für die Fahrt in den nächstgelegenen Urlaubsort, wo bestimmt dringend Personal für die Hochsaison gesucht wurde, fehlte ihr einfach das Geld.

Ihre Eltern in Neuseeland anrufen, einen weiteren Misserfolg eingestehen und um Hilfe bitten, das wollte sie nur, falls sie gar keinen anderen Ausweg fand.

Entschlossen hob sie das Kinn, warf sich den Rucksack über die Schultern und ergriff ihren Koffer. Irgendetwas wird sich schon finden! Vielleicht konnte sie in einem der vielen Büros am Hafen putzen. Fragen kostete nichts.

Eine Stunde später war sie noch immer ohne Job, und die Füße schmerzten unerträglich. Izzy verließ den faszinierenden Hafen mit den riesigen Frachtern, geschäftigen Schleppern, imposanten Kreuzfahrtschiffen und kleinen Fischerbooten und ging in Richtung Altstadt. Dort wanderte sie durch enge, dunkle Gassen, in denen die Balkone über ihrem Kopf sich beinahe berührten und so den Passanten Schutz vor der sengenden Hitze boten.

Das Haar fiel ihr immer wieder in die Augen, T-Shirt und Rock klebten an ihrem schweißfeuchten Körper, und sie hatte schrecklichen Durst. Wenn ich jetzt die Schuhe ausziehe, um meinen Füßen eine Pause zu gönnen, bekomme ich sie bestimmt nicht mehr an, dachte sie.

Doch schlagartig verschwand ihr Selbstmitleid, denn sie sah, wie der einzige andere Fußgänger in dieser schmalen Straße, ein gebrechlicher, schäbig gekleideter alter Mann, schwankte und zusammenbrach. Ohne zu zögern ließ sie ihr Gepäck fallen, ignorierte die brennenden Füße und lief zu ihm, um zu helfen.

Cayo Garcia stürmte aus dem Apartmentgebäude, in dem er die Penthouse-Suite bewohnte, sooft er sich geschäftlich in Cadiz aufhielt. Er wollte den Weg zu seinem Onkel zu Fuß zurücklegen, um wenigstens einen Teil seiner Wut abzureagieren. Schnell überquerte er die geschäftige Avenida del Puerto und betrat die Altstadt, ein Labyrinth von engen Gassen. Ich hätte längst ein Machtwort sprechen müssen, dachte er.

Ungeduldig fuhr er sich mit den Fingern durch das nachtschwarze, perfekt geschnittene Haar und beschleunigte seine Schritte, die dunklen Augen zum Schutz vor der gleißend hellen Morgensonne zusammengekniffen.

Nach zwei Monaten auf Geschäftsreise war er nur kurz ins Castillo, das Schloss der Familie Garcia in den Bergen Andalusiens, zurückgekehrt, wo er einen Brief seines Onkels Miguel vorgefunden hatte. Beim Lesen hatte er die übliche Mischung aus tiefer Zuneigung und Frustration empfunden. Der alte Knabe war so etwas wie eine Vaterfigur für ihn. Sein leiblicher Vater hatte Cayo die Schuld am Tod der geliebten Frau zwei Monate nach der Geburt gegeben und sich daher so wenig wie möglich mit ihm beschäftigt.

Tio Miguel dagegen hatte ihm Liebe und Zeit geschenkt und beratend zur Seite gestanden, wann immer nötig. Doch seinerseits Rat annehmen wollte er nicht!

Als ältester von zwei Söhnen hatte der Onkel die riesigen Ländereien geerbt, während der jüngere, Cayos Vater Roman, die florierende Exportfirma erhalten hatte – die wiederum nach dem Tod des Vaters vor fünf Jahren an den Sohn, also an Cayo, gefallen war.

Sein Onkel, ein liebenswerter alter Exzentriker, war also sehr reich, zog es jedoch vor, wie ein Bettler in einer armseligen Behausung zu leben. Elegante Kleidung oder exquisite Speisen waren ihm gleichgültig. Wenn er nicht daran erinnert wurde, vergaß er sogar völlig zu essen. Sein ganzes Leben drehte sich ausschließlich um Bücher.

Cayo liebte den alten Mann sehr, aber dessen unnötig bescheidener Lebensstil ließ ihn fast verzweifeln.

Ich hätte ihn längst zu mir ins Castillo holen sollen – notfalls mit Gewalt.

Andererseits glaubte er fest daran, dass jeder das Recht hatte, auf seine Weise zu leben, solange andere dadurch keinen Schaden nahmen. Und niemand war harmloser und freundlicher als sein Onkel. Also hatte er nichts unternommen.

Aber mit welchen Konsequenzen!

Der Brief hatte scheinbar erfreuliche Nachrichten enthalten. Endlich hatte Miguel eine neue Haushälterin, eine junge Engländerin namens Izzy Makepeace. Ihre Vorgängerin hatte sich mehr um den Sherry gekümmert als um die Hausarbeit und ansonsten mit den Nachbarinnen geplaudert.

Doch jeder Vorschlag, sie durch eine fähigere Kraft zu ersetzen, war von Miguel abgeblockt worden. „Benita ist alt, sie kann nicht mehr so schnell arbeiten wie früher. Aber wir kommen ganz gut zurecht. Außerdem hat sie kein anderes Zuhause.“

Nun, künftig wollte sie ihrem Enkel und dessen Frau zur Last fallen, was Cayo nur recht sein konnte. Jetzt muss ich mir wenigstens keine Sorgen mehr um Miguel machen, hatte er gedacht.

Bis gestern Abend.

Zu seinen Pflichten als Unternehmer gehörte die Teilnahme an leider oft sehr langweiligen Geschäftsessen, wie das gestern vom Bankier Augustin del Amo und seiner Frau veranstaltete. In Gedanken hatte er gerade geplant, den Onkel am nächsten Tag zu besuchen. Zunächst wollte er die neue Haushälterin gründlich inspizieren und sich versichern, dass sie ihre Aufgaben sorgfältig erfüllte, danach Miguel zum Lunch in ein Restaurant ausführen. Da hatte eine Äußerung der unsympathischen Gastgeberin seine volle Aufmerksamkeit geweckt.

„Gutes Personal ist heutzutage gar nicht mehr zu bekommen. Meine armen Kinder haben jetzt schon seit über einem Monat keine Nanny mehr – seit wir die letzte entlassen mussten. Izzy Makepeace, eine Engländerin. Es war ein Fehler, sie überhaupt einzustellen!“ Die Señora hatte dramatisch die Augen verdreht. „Dass sie unordentlich und faul war, habe ich ja noch hingenommen. Schließlich kann man keine Perfektion erwarten, egal, wie viel Lohn man auch zahlt. Aber als sie meine armen Mädchen verderben wollte, habe ich hart durchgegriffen. Diese Person war nicht viel besser als eine Prostituierte!“ Sie hatte sich in der ungeteilten Aufmerksamkeit ihrer Gäste gesonnt, dann ihrem Mann das Wort überlassen. „Du weißt das besser als ich, Augustin.“

Der Bankier hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, das Weinglas gehoben und selbstgefällig gelächelt. „Ihr wisst ja, wie das ist. Reichtum ist ein Aphrodisiakum. Sie hat sich mir wie auf dem Präsentierteller angeboten. Aus Geldgier natürlich. Ich habe mich nicht getraut, auch nur eine Sekunde allein mit ihr zu verbringen! Aber sie war schon ein richtiger Leckerbissen! Wenn ich der Typ Mann wäre, der sich eine Geliebte hält, wäre ich vielleicht in Versuchung gekommen.“

Ein strafender Blick seiner Frau hatte ihn rasch ergänzen lassen: „Da ich aber ein treuer Familienvater bin, schickte ich … schickten wir sie fort.“

Seit diesem Gespräch raste Cayo vor Wut. Bestimmt war es der neuen Haushälterin seines Onkels ein Leichtes gewesen, in Erfahrung zu bringen, dass Miguel Garcia nicht nur der Exzentriker des Viertels und ein geachteter Gelehrter, sondern obendrein steinreich war.

Ein Flittchen namens Izzy Makepeace hatte den freundlichsten, unschuldigsten alten Gentleman auf Erden in die gierigen Klauen bekommen! Aber jetzt werde ich mich darum kümmern, dachte Cayo zornig.

2. KAPITEL

„Ich bin zurück vom Markt, Señor!“, verkündete Izzy fröhlich, als sie das beengte Arbeitszimmer ihres neuen Chefs betrat. Eine seidige blonde Strähne hatte sich aus dem Band gelöst, mit dem sie ihr widerspenstiges Haar zurückgebunden hatte, und sie schob sie mit der Hand aus den Augen. „Heute gibt es frische Sardinen mit grünen Bohnen zum Lunch.“

Billig, aber nahrhaft.

Das Haushaltsgeld war so knapp bemessen, dass sie es mit dem größten Teil ihres sowieso schon erbärmlichen Lohns aufstocken musste. Aber sie beklagte sich nicht. Ihr Arbeitgeber war offensichtlich sehr arm und hatte keine Möglichkeit, ihr mehr zu geben. Umso lohnenswerter war es für sie zu beobachten, wie der alte Herr allmählich immer mehr zu Kräften kam.

„Und Pfirsiche. Die haben mich so angelacht, ich konnte einfach nicht widerstehen.“

Miguel blickte von den Büchern und Papieren auf, die jeden Zentimeter des großen Schreibtisches bedeckten, und lächelte ihr freundlich über den Rand seiner Brille zu, die er vor einiger Zeit eigenhändig mit Klebeband repariert hatte. Vermutlich hatte er früher einmal sehr gut ausgesehen, jetzt wirkte er hager und asketisch. „Ich freue mich schon auf das Mittagessen. Aber eine Sache müssen wir noch klären. Du bist jetzt schon seit fünf Wochen bei mir, und ich habe dich von Anfang an gebeten, mich zu duzen und mit meinem Vornamen anzusprechen. Jetzt bitte ich nicht mehr darum, ich befehle es!“

„Okay. Aber nur, wenn du alles liegen und stehen lässt, was du gerade tust, und mit mir an die frische Luft kommst“, willigte sie gut gelaunt ein.

Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihn jeden Morgen und Abend zu einem kurzen Spaziergang zu ermuntern und für regelmäßige Mahlzeiten zu sorgen, die er über der Erforschung irgendwelcher obskurer Heiligen zu leicht vergessen hätte.

„Du kommandierst mich herum“, klagte er lächelnd und legte den Stift aus der Hand. „Darf ich alter Mann mir erlauben, dir zu sagen, wie hübsch du heute Morgen aussiehst?“

„Oh!“ Izzy wurde rot. In der kurzen Zeit, seit sie bei ihm war, war es ihm gelungen, ihr Selbstvertrauen wiederherzustellen, das ihr vorher völlig abhandengekommen war. Sie brauchte inzwischen noch nicht einmal mehr Schuhe mit extra hohem Absatz, um sich sichtbar zu fühlen. Auf dem Markt hatte sie sich flache Sandalen gekauft. In ihnen fühlte sie sich zwar so breit wie hoch, aber sie waren irrsinnig bequem.

Und der alte Herr war so dankbar für alles. Den Schmutz um sich herum hatte er gar nicht bemerkt, bis er von ihr entfernt worden war. Sie hatte geschrubbt, gewaschen und poliert, bis das bescheidene kleine Haus glänzte. Als er sich von seiner Überraschung erholte, hatte er sie so überschwänglich gelobt, dass ihr ganz schwindlig geworden war. Es war das erste Lob, das sie in den zweiundzwanzig Jahren ihres Lebens erhalten hatte.

Ihrer beider Schutzengel mussten die Köpfe zusammengesteckt haben an dem Tag, an dem die del Amos sie hinausgeworfen hatten und Senor Garcia auf der Straße zusammengebrochen war. Welch ein Glück, dass beide zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen waren! Der alte Professor sah inzwischen schon viel besser aus, und Izzy war dankbar, so schnell einen Arbeitsplatz und ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben, und sie war glücklich über ihre neuen Aufgaben.

Diesmal hatte Izzy ihren Eltern die Nachricht von dem erneuten Stellen- und Anschriftenwechsel per Brief mitgeteilt. Sie konnte wirklich keine Neuauflage des Telefonats ertragen, bei dem sie ihnen von der Kündigung der Stelle in London und dem Job als Nanny berichtet hatte. Über Inhalt und Wortlaut der Antwort, die sicher bald folgen würde, wollte sie jetzt allerdings nicht nachdenken, sondern lieber das ungewohnte Gefühl genießen, geschätzt zu werden.

„Ich räume rasch die Einkäufe weg, dann gehen wir an die frische Luft, bevor es zu heiß wird.“ Sie schloss die Tür zum Arbeitszimmer hinter sich und eilte in Richtung Küche. Der bunt gemusterte Baumwollrock schwang fröhlich um ihre nackten Beine. Plötzlich wurde die Haustür geöffnet. Erschrocken fuhr Izzy herum und erblickte einen hochgewachsenen Fremden mit dunklem Haar.

Ein ausgesprochen gut aussehender Fremder.

Mit vor Staunen geweiteten Augen betrachtete sie ihn. Der auffällig große, breitschultrige Mann trug ein graues Hemd aus feiner Baumwolle zu perfekt sitzenden Designerjeans, und die Schuhe waren möglicherweise sogar handgefertigt.

Langsam ließ sie den Blick zu seinem Gesicht gleiten. Hohe Wangenknochen, aristokratisch geschwungene Nase, nachtschwarze Augen, umrahmt von langen dunklen Wimpern, und tiefschwarzes Haar, offensichtlich von einem ausgezeichneten Friseur gestylt, fügten sich zu dem Bild eines überaus attraktiven Mannes zusammen – der sie voll offener Feindseligkeit musterte.

„Izzy Makepeace?“

Seine Stimme troff vor beißendem Sarkasmus, und ihr Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus.

Wer ist das? fragte sich Izzy. Bestimmt kein Polizist in Zivil, von Señora del Amo dazu angestiftet, mich zu verhaften, weil ich unschuldige Kinder und ältliche Bankiers gefährde! Ein Polizist hätte sich Designerkleidung ebenso wenig leisten können wie die schmale goldene Uhr am Handgelenk, die vermutlich mehr wert war, als ein Polizeibeamter in einem ganzen Jahr verdiente!

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und beschloss, nicht hysterisch zu werden, auch wenn ihr durch die mächtigen del Amos große Ungerechtigkeit widerfahren war. Angriffslustig hob sie das Kinn und fragte: „Wer will das wissen?“

Ein eiskalter, verächtlicher Blick traf sie, und sie zuckte zurück.

„Cayo!“, rief die vertraute Stimme ihres Chefs, der beim Klang der Stimmen aus dem Arbeitszimmer gekommen war.

Anscheinend kennt Señor Garcia ihn – ich muss mich endlich daran gewöhnen, ihn Miguel zu nennen, dachte Izzy und entspannte sich ein bisschen. Auch das Gefühl von drohender Gefahr, das der Fremde ihr vermittelte, ließ etwas nach. Vermutlich war es die Angewohnheit dieses außergewöhnlichen Mannes, verächtlich auf einfache Menschen wie sie herabzusehen.

Erleichtert, eine Erklärung für die ablehnende Haltung gefunden zu haben, die er ihr entgegenbrachte, trat sie näher an Miguel heran, der den Eindringling begeistert begrüßte. „Es tut so gut, dich endlich wiederzusehen! Wie lang bleibst du in Cadiz?“

„Lang genug, um dich zum Lunch auszuführen.“ Und dich vor der Frau zu warnen, die du in dein Haus aufgenommen hast, fügte Cayo in Gedanken hinzu. Diesmal würde er nicht ruhen, bis er den Onkel zum Umzug ins Castillo oder wenigstens in das luxuriöse Apartment in Cadiz überredet hatte.

Einladend streckte er ihm die Hand entgegen und ignorierte absichtlich die neue Haushälterin. „Sollen wir gehen?“ Zu seiner Überraschung – und seinem Ärger – schüttelte der Onkel aber heftig den Kopf. Das war noch nie passiert! Bisher hatte Tio Miguel jeder seiner Bitten oder jedem Vorschlag sofort nachgegeben. Außer, natürlich, der viel diskutierten Frage nach seinem Lebensstil.

„Wir essen hier! Izzy kocht für uns. Soviel ich weiß, gibt es Sardinen und Pfirsiche.“ Miguel lächelte Izzy an und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Izzy, das ist mein Neffe Cayo, ein echter Workaholic.“

Sein Neffe! Sie warf dem lieblosen Verwandten einen vernichtenden Blick zu. Wenn er sich so teure Designerkleidung leisten konnte und eine Armbanduhr, die ein paar Tausender wert war – sie hatte von ihrem erfolgreichen, wohlhabenden Bruder genug über das Thema gelernt, um das zu beurteilen –, dann konnte er sicher auch die finanzielle Notlage seines Onkels lindern und ihn öfter aufsuchen, um sich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen. Aus Miguels Äußerung hatte sie geschlossen, dass der letzte Besuch schon sehr lange zurücklag.

Sie wartete gar nicht erst Cayos Begrüßung ab, sondern richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf, auch wenn das bedauerlich wenig war, und kündigte an: „Ich richte jetzt den Lunch, Miguel.“

Auf dem Weg in die Küche überlegte sie nur, ob die Sardinen wohl für drei Personen ausreichen würden. Dass sie für jemanden kochen sollte, der sie wie Dreck behandelte, war ihr dagegen völlig gleichgültig. Aber sie fragte sich, woher er ihren Namen kannte. Sie hätte sich danach erkundigen sollen. Und das hätte sie auch getan, wenn ihr bei seinem eiskalten Auftreten die Stimme nicht den Dienst versagt hätte. Ich kann ihn ja beim Lunch fragen. Sofern er sich nicht weigerte, mit einer bloßen Hausangestellten bei Tisch zu sitzen.

Cayo sah ihr nach, als sie ging, und musste dabei an Augustin del Amos’ Beschreibung denken. Ein richtiger Leckerbissen. Wie treffend!

Sie reichte ihm höchstens bis zur Schulter. Die sanften Rundungen ihres Körpers, das glänzende silbrig blonde Haar, die veilchenblauen Augen und die vollen, weichen Lippen konnten einen Mann durchaus zum Anbeißen verlocken. Doch alles, was für sie zählte, war Geld, und ihr war sicher bekannt, dass Miguel entgegen allem äußeren Anschein reichlich davon besaß. Immerhin war sie schon vertraut genug mit ihm, um ihn beim Vornamen zu nennen!

Er drängte den starken Impuls zurück, ihr zu folgen, sie am Genick zu packen und in die Gosse zurückzuwerfen, wohin sie eindeutig gehörte. Dann wandte er sich an seinen Onkel. „Ich muss mit dir reden.“

Der Anblick der winzigen Küche mit dem altmodischen gusseisernen Ofen, glänzenden Kupferpfannen an Haken an der grob verputzten Wand, Tellern und Schüsseln aus Steingut, auf Regalbrettern gestapelt, und dem blank polierten alten Holztisch, der ihr als einzige Arbeitsfläche diente, munterte Izzy immer auf. Heute gab er ihr auch ihren Seelenfrieden wieder.

Als sie vor fünf Wochen zum ersten Mal diesen Raum betreten hatte, um dem geschwächten alten Herrn ein Glas Wasser zu holen, war sie entsetzt gewesen: alles vernachlässigt und verdreckt! Ein Film aus Staub und Fett hatte jede Oberfläche bedeckt, die Kupferpfannen waren grün angelaufen. Leere Sherryflaschen hatten in einer Ecke gelegen und verschimmelte Brotreste in einem Korb unter der schmutzigen Spüle.

„Leben Sie ganz allein?“, hatte sie ihn gefragt, als er sich mit dem Wasser erfrischt und das Glas auf dem überfüllten Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer abgestellt hatte.

„Seit meine Haushälterin mich vor zwei Tagen verlassen hat.“ Er lächelte schwach. „Ich habe Feuer im Küchenherd geschürt und wollte mir etwas zu essen machen, aber es war nichts mehr da. Auf dem Weg zum Markt wurde mir schwindlig. Ich danke Ihnen, dass Sie mich nach Hause gebracht haben.“

Da Izzy ganz bestimmt nicht die Absicht hatte, sich jetzt mit einem „Keine Ursache“ höflich aus der Affäre zu ziehen, erkundigte sie sich: „Haben Sie Angehörige, die ich benachrichtigen kann?“

„Nur einen Neffen, der sich im Moment, soviel ich weiß, in England aufhält. Aber es ist nicht nötig, jemanden zu belästigen. Ich habe mich inzwischen von dem Schwindelanfall erholt, und es geht mir schon viel besser.“

So sah er aber nicht aus. Sie erinnerte sich, dass er unterwegs zum Einkaufen gewesen war. „Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen?“

„Ich weiß es nicht.“ Die Frage schien ihn wirklich zu verwirren, und er erklärte ernst, mit einer Handbewegung auf die Unmengen Bücher und Dokumente auf seinem Schreibtisch deutend: „Wenn ich arbeite, vergesse ich die Zeit.“

„Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen die Mühe erspare und für Sie einkaufe?“ Sie konnte den armen alten Mann unmöglich sich selbst überlassen, zumindest so lange nicht, bis er satt war und sie ihn dazu überredet hatte, ihr Namen und Anschrift seines Arztes zu geben. Also sprang Izzy auf die geplagten Füße und marschierte los.

Auf dem Weg zum nächstgelegenen Geschäft dachte sie jedoch gar nicht mehr an ihre eigenen Qualen, so wütend machte sie der Gedanke an den vernachlässigten alten Herrn. Verlassen von einer unfähigen, faulen Haushälterin, hatte er nur einen einzigen Verwandten, dessen derzeitigen Aufenthaltsort er nicht mit Sicherheit kannte und der sich demzufolge nicht allzu oft bei ihm meldete, geschweige denn, sich um ihn kümmerte. Schon jetzt war sie um ihren Schützling besorgt und seinetwegen leicht verärgert.

Einen Teil ihrer wenigen ersparten Euros gab sie für Eier, Öl und knusprige Brötchen aus, dann trat sie den Rückweg an. Eine halbe Stunde später saß das ungleiche Paar plaudernd am Küchentisch, und während der alte Herr das Rührei und eines der Brötchen aß, kehrte allmählich Farbe in seine fahlen Wangen zurück. Er weigerte sich standhaft, seinen Arzt aufzusuchen, stellte ihr aber eine Reihe interessierter Fragen. Seine Neugier bewies ihr, dass er sich wirklich wieder besser fühlte, und sie beantwortete sie gern, berichtete ihm, wie es sie nach Spanien verschlagen hatte, und erfreute ihn mit ihrer Fami­liengeschichte. Die Demütigung, die Marcus ihr zugefügt hatte, vertuschte sie, und als Grund für ihre momentane Arbeits- und Wohnungslosigkeit gab sie lediglich an, dass ihr der Job als Nanny nicht gefallen habe.

„Was wirst du jetzt tun?“ Sie hatte ihn gebeten, sie zu duzen.

Izzy verschränkte die Finger und sah ihn traurig an. Über ihrer Rettungsaktion für den alten Herrn hatte sie die eigene Misere tatsächlich vergessen. Ernüchtert bekannte sie: „Das weiß ich nicht. Ich hatte gehofft, hier in Cadiz etwas zu finden, um über die Runden zu kommen. Aber bis jetzt – nichts.“

„Könnten deine Eltern dir nicht helfen?“

Sie schauderte, dann gestand sie, da er so freundlich an ihrer Notlage Anteil nahm: „Das könnten sie schon, und sie würden es auch tun. Aber ich bringe es nicht über mich, ihnen zu beichten, dass ich schon wieder versagt habe. Als ich von der Schule abgegangen bin, hat mir mein Dad – ein Rechtsanwalt, wie ich Ihnen schon sagte – einen Job in seiner Kanzlei besorgt, gegen den Widerstand seiner Kollegen. Als Seniorpartner konnte er das. Dann ging er in den Ruhestand, und meine Eltern zogen nach Neuseeland, um bei meinem Bruder James zu leben. Ich sollte mitkommen, aber das wollte ich nicht.“

Es tat ihr gut, sich alles von der Seele zu reden. Normalerweise hielten ihre Familie oder die Kollegen in der Arbeit es nicht für nötig, ihr zuzuhören. Doch dieser alte Herr lauschte jedem einzelnen ihrer Worte.

„James ist so clever, wissen Sie. Er hat immer alle Prüfungen mit Bravour bestanden und ist jetzt ein angesehener Chirurg. Meine Eltern sind natürlich enorm stolz auf ihn. Ich hingegen habe mich nie irgendwo hervorgetan, ich war eine Enttäuschung für sie. Dann hat James auch noch eine intelligente Frau geheiratet, eine angesehene Anwältin. Bei ihnen zu leben hätte mich erdrückt. Also bin ich in England geblieben. Meine Eltern waren gar nicht begeistert, als ich meinen Job in der Kanzlei aufgegeben habe und nach Spanien ging. Also möchte ich lieber aus eigener Kraft wieder auf die Füße kommen und sie nicht um Hilfe bitten müssen.“

Er nickte verständnisvoll und fragte: „Und du hast die Stelle in England aufgegeben, weil du dich mit einem jungen Mann verkracht hast? Aus einer Bemerkung vorhin habe ich geschlossen, dass du ihn sehr gern hattest. Könntest du dich wieder mit ihm versöhnen, wenn du nach England zurückkehrst?“

Jetzt errötete Izzy heftig. Marcus hatte sie so gedemütigt, dass sie ihn am liebsten für immer aus ihrem Gedächtnis gestrichen hätte. Aber vielleicht sollte sie endlich darüber sprechen und alles loswerden. Das würde ihr einem Fremden gegenüber sicher leichter fallen.

„Ganz so war das nicht.“ Sie seufzte. „Heute komme ich mir wie eine Idiotin vor. Aber damals war ich richtig heftig in Marcus verliebt. Er ist Anwalt in Dads Kanzlei, sieht gut aus und kann einem Mädchen das Gefühl vermitteln, etwas Besonderes zu sein. Ich dachte, wir hätten eine Beziehung. Er hat mich zunächst um kleine Erledigungen gebeten: in der Lunchpause seinen Anzug aus der Reinigung holen, eine Kleinigkeit einkaufen. Dann hat er mich auf ein Glas Wein eingeladen und bei der Gelegenheit erzählt, dass seine Haushälterin gekündigt habe und er jetzt ohne Hilfe dastehe. Ich habe ihm angeboten einzuspringen. Da hat er mich seinen Schatz genannt, gesagt, ich sei etwas Besonderes, und hat meine Hand gehalten. Zur Abwechslung mal jemand, der mich schätzt, habe ich gedacht. Wie dumm von mir!“

Heimlich streifte sie unter dem Tisch die Schuhe ab und gönnte ihren armen schmerzenden Zehen etwas Bewegungsfreiheit. Dann holte sie tief Atem und fuhr fort: „Eines Tages habe ich zufällig mitbekommen, wie er zu Molly, einer der Sekretärinnen, eine Bemerkung machte, offensichtlich eine Antwort auf eine vorher gestellte Frage: ‚Klar, sie kann die Augen nicht von mir wenden, aber solange sie kostenlos putzt, meine Wäsche und Botengänge erledigt, stört mich das nicht. Ich muss bloß meinen Charme spielen lassen und sie Schatz nennen, dann würde sie für mich über glühende Kohlen laufen!‘ Und Molly hat herzlich gelacht und geantwortet: ‚Nicht in diesen gefährlich hohen Schuhen, die sie immer trägt.‘ Ich bin wirklich der größte Dummkopf auf Erden!“

Müde sah Miguel Garcia sie an und stellte fest: „Also suchst du jetzt Arbeit. Und ich suche eine Haushälterin. Du kannst die Stelle haben, wenn du willst, bis du wieder auf die Beine gekommen bist. Ich gebe dir jede Woche Haushaltsgeld und so viel Lohn, wie Benita bekommen hat.“ Der Betrag, den er nannte, war noch etwas geringer als der Hungerlohn, den die del Amos ihr gezahlt hatten. Aber in der Not durfte man nicht wählerisch sein, und wenn sie sehr sparsam war, konnte sie im Lauf der Zeit genug zurücklegen, um die Fahrt in einen der ­Ferienorte zu bezahlen.

In der Zwischenzeit würde sie das Leben des armen alten Herrn in Ordnung bringen, für regelmäßige Mahlzeiten und ein sauberes Haus sorgen und später das spanische Sozialamt einschalten, das ein Auge auf ihn haben sollte, wenn sie nicht mehr da war.

„Danke! Ich würde wirklich gern für Sie arbeiten.“ Sie hatte ihn strahlend angelächelt.

Und das stimmt, dachte Izzy jetzt, während sie nach einer der schweren Kupferpfannen griff, sie auf die Herdplatte stellte und Olivenöl hineingab. Der alte Herr war ihr ans Herz gewachsen. Sie hatte schon immer auf der Seite der Verlierer gestanden, und zu beobachten, wie er Tag für Tag immer kräftiger und lebhafter wurde, bedeutete ihr mehr als ein Treffer im Lotto.

„Ich glaube dir kein Wort!“, stellte Miguel mit kalter Wut fest. „Izzy ist ebenso wenig aufs Geld aus, wie ich es bin. Und du enttäuschst mich sehr, wenn du mit Leuten verkehrst, die solche üblen Lügen über sie verbreiten.“

„Nur weil ich muss, Tio.“ Cayo reagierte auf den Vorwurf mit einem leichten Schulterzucken. „Augustin del Amo ist ein hoch angesehener Banker. Gelegentlich mache ich Geschäfte mit ihm.“ Es überraschte ihn nicht, dass Miguel seine „Freude und seinen Sonnenschein“ – wie er die neue Haushälterin arglos nannte – so energisch verteidigte. Nachdenklich lehnte Cayo sich in dem Besucherstuhl am überladenen Schreibtisch zurück.

Izzy Makepeace war gerissen. Sie wusste genau, dass sie sehr vorsichtig vorgehen musste, weil diesmal so viel mehr auf dem Spiel stand. Jetzt plante sie nicht mehr nur, die ausgehaltene Geliebte eines verheirateten Mannes zu werden. Sie hatte ein viel größeres Vermögen im Visier, das noch anwachsen würde, solange der alte Mann lebte, und eine ganz andere Position – als seine Frau.

Bei dem Gedanken gefror das Blut in seinen Adern. Nein! Er würde nicht danebenstehen und tatenlos zusehen, wie sein naiver Verwandter blindlings in diese Falle tappte.

„Wie viel zahlst du ihr?“, erkundigte er sich. Als er erfuhr, dass sie ebenso wenig erhielt wie ihre Vorgängerin, nickte er verstehend.

Diesen Betrag hatte die alte Haushälterin schon vor zwanzig Jahren erhalten, heutzutage war er geradezu lächerlich gering. Vollkommen zufrieden, ein Dach über dem Kopf zu haben und sich ihren billigen Sherry leisten zu können, ohne mehr als einen gelegentlichen Handschlag erbringen zu müssen, hatte Benita nie eine Gehaltserhöhung gefordert. Sogar ihr war klar gewesen, dass ihre sogenannten Dienste keinen Cent mehr wert waren. Und Miguel, der keine Ahnung von den gestiegenen Lebenshaltungskosten hatte, da er ganz in der Vergangenheit lebte, in Gesellschaft lang verstorbener Heiliger, kaum je Zeitung las oder Radio hörte, wusste nicht, dass er einen Hungerlohn zahlte. Aber er wäre schockiert darüber, wenn er es wüsste.

Keine vernünftige junge Frau würde sich mit einem so niedrigen Lohn zufriedengeben. Es sei denn, sie hatte Hintergedanken. Wenn er vorher schon Zweifel gehabt hatte, so sah er sie jetzt bestätigt. Sie hatte ihre Gründe!

„Weißt du eigentlich, dass du ihr nur einen Bruchteil des heute üblichen Gehalts zahlst?“ Sein Onkel zog die Brauen zusammen, und Cayo fuhr frustriert fort: „Nein, natürlich nicht. Du lebst ja nicht in der Realität, das hast du noch nie getan. Seit du dich vor zwanzig Jahren aus deiner Lehrtätigkeit an der Universität verabschiedet hast, widmest du dich nur noch deiner Forschung und hast keine Ahnung, was in der Welt los ist. Was glaubst du, warum eine gesunde junge Frau eine so miserable Bezahlung akzeptiert? Denk mal darüber nach!“

Er sprang auf, ging mit schnellen Schritten aus dem Arbeitszimmer über den Flur und riss die Küchentür auf.

Zugegeben, der Raum sah blitzsauber aus. Aber natürlich lag es in ihrem eigenen Interesse, ihr Bestes zu geben, sich als rettender Engel zu präsentieren. Schließlich wartet am Ende des Regenbogens ein verlockender Preis auf sie, eine wahre Goldgrube, dachte er zynisch. Er kannte sich mit solchen geldgierigen Frauen aus, denn seit er ins heiratsfähige Alter gekommen war, wurde auch er ständig von ihnen verfolgt.

Sie stand mit dem Rücken zu ihm und hob gerade mit beiden Händen eine schwere Pfanne vom Herd.

„Ich werde gleich das Essen auftragen, Miguel. Gehst du bitte mit deinem Neffen ins Speisezimmer, ich komme sofort.“

Ihre fröhliche Sorglosigkeit trieb Cayo zur Weißglut.

Dann drehte sie sich um, und das Lächeln auf ihren Lippen verschwand. Sie knallte die Pfanne auf den Tisch, straffte die Schultern, und ihre Augen blitzten.

„Okay, Mister!“, stieß sie hervor. „Ich muss Ihnen etwas sagen …“

Doch er schnitt ihr kurzerhand das Wort ab. Das Einzige, was er von ihr hören wollte, war ein lammfrommes Auf Wiedersehen.

Breitbeinig baute er sich vor ihr auf, den Blick der dunklen Augen fest auf ihr Gesicht gerichtet, und fragte sie in schneidendem Ton: „Wie viel muss ich Ihnen zahlen, damit Sie bis heute Abend aus diesem Haus verschwunden sind und meinem Onkel nie mehr in die Nähe kommen? Nennen Sie Ihren Preis.“

3. KAPITEL

„Was haben Sie gesagt?“

Bestürzt schnappte Izzy nach Luft. Sie stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab, beugte sich vor und suchte in seinen dunklen Augen nach einem Zeichen dafür, dass er gescherzt hatte. Vergeblich.

Vor Schock sprach sie lauter als nötig. „Sie bieten mir Geld dafür, dass ich gehe und Miguel im Stich lasse? Das glaube ich einfach nicht! Ist Ihnen nicht klar, dass er so wenig für sich selbst sorgen kann wie ein zweijähriges Kind? Aber das können Sie ja nicht wissen, weil Sie ihn so selten sehen! Ihr Onkel ist auf der Straße zusammengebrochen. Es hat drei Wochen gedauert, bis ich ihn dazu überreden konnte, sich vom Arzt durchchecken zu lassen. Er hatte Herzgeräusche und war leicht unterernährt. Wenn Sie glauben, ich überlasse ihn seinem Schicksal, sind Sie auf dem Holzweg! Was für ein Neffe sind Sie überhaupt?“

„Jedenfalls keiner von gestern.“

Aalglatt fuhr Cayo ihr in die Parade, und die seltsame Antwort brachte Izzy völlig aus dem Konzept. Sie sah ihn fragend an.

Er fuhr fort: „Es gibt ein Sprichwort: ‚Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach.‘ Ich fordere Sie noch einmal auf: Nennen Sie Ihren Preis.“

Seine Kälte ließ sie schaudern. Doch mit hoch erhobenem Kopf verlangte sie von ihm eine Antwort: „Warum?“

„Weil ich genau weiß, wen ich vor mir habe. Meine Informationen stammen von Augustin del Amo. An den können Sie sich doch erinnern, oder?“ Auch er hielt den Kopf hoch und betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Anstatt sich um seine Kinder zu kümmern, wofür Sie bezahlt wurden – und das sehr gut, wie ich erfahren habe –, haben Sie sich darum bemüht, dass er ihre Stellenbeschreibung abändert. Sie wollten seine Geliebte werden, natürlich ebenfalls gegen Bezahlung.“

Vor ihren Augen verschwamm alles, in ihrem Kopf schien sich ein Karussell zu drehen, und sie errötete tief. Dann wurde sie blass und rief wütend: „Dieses Scheusal!“

Señora del Amo hatte ihr angekündigt, sie würde sie unmöglich machen. Nun, sie hatte keine Zeit verloren, die Lügen zu verbreiten, die sie lieber glauben wollte, als sich ehrlich einzugestehen, was für ein Ekel ihr Mann war. Dafür konnte Izzy sogar ein gewisses Verständnis aufbringen. Nicht aber dafür, dass der Mann vor ihr, der seinen verarmten alten Onkel aufs Übelste vernachlässigt hatte, bereitwillig das Schlimmste über sie glaubte, ohne ihr die Gelegenheit zu geben, ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Aber es kam noch schlimmer, denn mit eiskalter Stimme fuhr er fort: „Begreifen Sie endlich, dass hier nichts für Sie zu holen ist. Vielleicht gelingt es Ihnen ja, einen weltfremden alten Mann zum Narren zu halten, aber mich täuschen Sie nicht. Nehmen Sie das Geld, und verschwinden Sie, oder ich sorge dafür, dass Sie bereuen, geboren zu sein.“

Ist er jetzt völlig übergeschnappt? fragte sich Izzy entsetzt. Anscheinend hatte er die Worte des reichen Bankiers für bare Münze genommen und hielt sie für ein geldgieriges Flittchen. Aber warum erzählte er ihr, es gebe hier nichts für sie zu holen? Denn dass Miguel arm wie eine Kirchenmaus war, sah man schon auf den ersten Blick.

Er sieht zwar aus wie der nächste Mr. Universum, aber unter dem schönen Äußeren steckt eine schwarze Seele, dachte sie. Sich zu verteidigen war zwecklos, und er würde ihr auch nicht glauben, dass sie durch die Arbeit für Miguel schon viel gewonnen hatte: Sie hatte sein Leben bequemer gestalten und miterleben dürfen, wie es ihm gesundheitlich immer besser ging.

Sie würde ihn erst verlassen, wenn sie sicher war, dass andere Hilfe bereitstand. Dieser attraktive Bösewicht konnte sich seine Drohungen sparen!

Mit zuckersüßem Lächeln, das ihren inneren Aufruhr verbergen sollte, zwang sie sich, die Fäuste zu öffnen und ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Sie griff nach der Pfanne und ließ den Fisch auf eine vorgewärmte Platte gleiten. „Bitte nehmen Sie das mit nach oben, und richten Sie Miguel aus, dass das Essen fertig ist“, wies sie ihn schnippisch an. Dann holte sie tief Luft und gab ihm, was er verdiente: „Da Sie ja unbedingt meinen Preis wissen wollen: Wie wäre es mit einer Milliarde. In Pfund Sterling natürlich und bar. Alles schön ordentlich in einer diamantbesetzten goldenen Truhe. Und, weil wir schon dabei sind, auch noch eine hübsche Villa in den Bergen.“

Das sollte dir zu denken geben! fügte sie im Stillen hinzu und flüchtete hastig an ihm vorbei nach draußen.

Der Lunch verlief schrecklich. Über dem Ärger war Izzy der Appetit vergangen, und Miguel, sonst immer sehr gesprächig, auch wenn seine Themen ihren Horizont meist weit überstiegen, war tief in Gedanken versunken und sprach kaum ein Wort. Sie fürchtete, dass Cayo sein Gift auch bei seinem Onkel verspritzt und dieser ihm geglaubt hatte.

Nur Cayo schien ungerührt. Lediglich ein Zucken um seine Mundwinkel, wann immer sie mit einer zugegebenermaßen albernen Bemerkung die Spannung zu lösen versuchte, verriet seine tiefe Abneigung ihr gegenüber.

Schließlich legte er das Obstmesser zur Seite, wischte sich die Finger an einer der feinen Leinenservietten ab, die sie in einer Schublade gefunden, gewaschen und sorgfältig gebügelt hatte, lehnte sich im Stuhl zurück und sagte: „Wie ich höre, fühlst du dich nicht ganz wohl, Onkel?“ Der Angesprochene, so unsanft aus seinen Gedanken gerissen, setzte an zu widersprechen, aber eine herrische Handbewegung ließ ihn innehalten. „Leugnen nützt dir nichts. Heute Nachmittag werde ich deinen Arzt aufsuchen und mich genauestens informieren.“

Izzy, die Miguels fragenden Blick auffing, wurde rot und gestand: „Ich habe gedacht, er muss es wissen. Er hat dich schon viel zu lange vernachlässigt. Irgendjemand muss sich um dich kümmern und dafür sorgen, dass du genug isst und ausruhst.“ Sie warf Cayo einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Das machst du doch ausgezeichnet!“, erwiderte Miguel.

Bei dem freundlichen Klang seiner Stimme und dem warmen Lächeln wurde Izzy ganz schwach vor Erleichterung. Falls er von den Lügen der del Amos gehört hatte, glaubte er sie offenbar nicht. Das hätte sie nicht ertragen. Sie hatte den alten Herrn wirklich ins Herz geschlossen, und dieses eine Mal hatte sie nicht versagt, sondern ihre Pflichten tadellos erfüllt.

Daher fand sie jetzt den Mut aufzustehen und sich an den unangenehmen Gast zu wenden. „Ich bestehe darauf, dass Miguel jeden Tag nach dem Lunch eine Stunde ruht. Vielen Dank, dass Sie vorbeigekommen sind. Ich begleite Sie gern hinaus.“

Der alte Mann schmunzelte amüsiert über die Entlassung. Sein Neffe jedoch lief vor Wut rot an, wie Izzy erfreut feststellte. Jeden Körperkontakt vermeidend, geleitete sie ihn aus dem Speisezimmer, das dunkle Treppenhaus hinunter und durch die schmale Tür in den kleinen gepflasterten Innenhof, den sie eines Tages mit ein paar Kübelpflanzen zu verschönern plante. Allerdings konnte sie sich diesen Luxus in der gegenwärtigen finanziellen Situation nicht leisten. Vor der Haustür wandte sie sich noch einmal an ihn.

Meine Güte, ist er groß! Zu dumm, dass sie die Schuhe mit den hohen Absätzen unten im Schrank in ihrem kleinen Zimmer verstaut hatte. Um ihm in die Augen sehen zu können, musste sie den Kopf in den Nacken legen. Aber sie würde sich nicht von den breiten Schultern einschüchtern lassen, noch darüber nachgrübeln, warum ihr bei jedem Blickkontakt mit ihm der Atem stockte und prickelnde Schauer über den Rücken liefen.

„Anscheinend nehmen Sie von jedem gleich das Schlimmste an.“ Verzweifelt bemühte sie sich, gleichmäßig zu atmen. „Aber überlegen Sie einmal – wenn ich wirklich ein gieriges Flittchen wäre, warum sollte ich meine Zeit mit einem Mann verschwenden, der arm wie eine Kirchenmaus ist? Um seine Löffel zu stehlen? Und da wir schon dabei sind: Offensichtlich können Sie es sich leisten, mir Geld zu bieten, um zu verschwinden. Ich schlage vor, Sie nutzen es lieber dazu, ihren Onkel finanziell zu unterstützen. Wenigstens so weit, dass er nicht mehr von der Hand in den Mund leben muss.“

Er sah sie nur böse an, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand ohne ein weiteres Wort. Izzy schlug die Tür hinter ihm zu und gratulierte sich selbst. Dem habe ich aber die Meinung gesagt! Schon lange hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt.

Dieser arrogante Widerling hatte versucht, sie abzuschieben, weil er den Lügen des reichen Bankiers glaubte. Aber sie hatte sich erfolgreich gewehrt. Beim Gedanken an den fantastischen Preis, den sie ihm genannt hatte, musste sie lachen. Und als Krönung hatte sie ihm eine Predigt darüber gehalten, dass er seinen Onkel vernachlässigte. Mit ein bisschen Glück würde sein Gewissen – sofern er so etwas überhaupt besaß, was sie stark bezweifelte – ihn dazu veranlassen, den armen alten Gentleman finanziell zu unterstützen.

Diese Schlacht hatte sie gewonnen!

Der Kampf ist in vollem Gang, dachte Cayo düster, als er die Arztpraxis verließ, die Calle San Francisco Nueva überquerte und durch das Wirrwarr der engen Gassen auf Miguels bescheidenes Haus zuging. Und zwar an zwei Fronten.

Zwar hatte die clevere Izzy Makepeace so getan, als ob sie nichts von Miguels Reichtum wüsste, aber der war schließlich stadtbekannt, wenn auch nicht offensichtlich. Die nötigen Informationen hatte sie sich im Haus der del Amos problemlos beschaffen können. Die Frau des Bankiers klatschte leidenschaftlich gern und brüstete sich damit, jeden zu kennen, der von Bedeutung war, einschließlich seiner finanziellen Situation. Miguel, ein reicher Exzentriker, Abkömmling einer der ältesten und angesehensten Familien Spaniens, war in ihren Augen sicher jemand, über den sich zu reden lohnte.

Nachdem es ihr nicht gelungen war, sich als Mätresse des Bankiers zu etablieren, hatte Izzy dem alten Herrn in der Gegend, in der er lebte, aufgelauert. An einen Zufall glaubte Cayo nicht. Sie musste geplant haben, sich dem reichen alten Junggesellen zu nähern, und hatte die Gelegenheit ergriffen, als er praktisch vor ihren Augen zusammengebrochen war.

Letzter Beweis für ihre Absichten war der wahnsinnig hohe Preis für ihren Rückzug, den sie ihm auf seine Aufforderung hin genannt hatte.

Sie wollte sich offensichtlich für den Rest ihres Lebens finanziell absichern. Sich unentbehrlich machen, den reichen alten Herrn herumkriegen, sodass er sie heiratete, und sich dann in das süße Leben stürzen, das sein Onkel so sehr verabscheute. Er konnte sich nicht vorstellen, warum sonst eine geldgierige Hyäne für einen Hungerlohn, wie Miguel ihn zahlte, so hart arbeitete. Denn dass sie das tat, sah er an dem deutlich verbesserten Zustand des Hauses.

Wütend biss er die Lippen zusammen. Zwar brachte Miguel ihn oft zur Verzweiflung, aber er liebte ihn. Viel zu sehr, um ruhig zuzusehen, wie diese gierige, berechnende blonde Venus im Miniaturformat seinem Onkel die verbleibenden Jahre zur Hölle machte und ihn der Lächerlichkeit preisgab.

Und die Informationen des Arztes hatten ihn aufgerüttelt. Zwar hielt der Doktor Miguels Herzgeräusche selbst nicht für bedrohlich, aber zusammen mit dem schlechten Allgemeinzustand …

Schuldbewusst runzelte Cayo die Stirn. Natürlich hatte er unzählige Male versucht, den alten Herrn zum Umzug ins Castillo zu bewegen, wo er optimal versorgt würde. Aber irgendwann hatte er aufgegeben. Jetzt bedauerte er seine Nachgiebigkeit.

Diesen Fehler würde er nicht noch einmal machen. Jetzt, wo es um das Wohlbefinden seines Onkels ging, gehörte seine Toleranz der Vergangenheit an.

„Du arbeitest viel zu hart“, schimpfte Miguel freundlich, als er Izzy nach seiner Siesta in der Küche beim Hemdenbügeln vorfand. „Und Cayo hat recht, ich zahle dir viel zu wenig.“ Verärgert über sich selbst, schüttelte er den ergrauten Kopf. „Ich habe es nicht gemerkt, weil ich mich nur mit den Dingen beschäftige, die mich interessieren. Es tut mir so leid. Manchmal ist mein Neffe zwar engstirnig und stur, fürchte ich, aber in diesem Fall hat er recht. Bitte erlaube mir, dass ich es wiedergutmache. Wie viel sollten ausgezeichnete Haushälterinnen wie du denn wirklich verdienen? Und was kostet die Lebenshaltung für unseren bescheidenen Haushalt?“

Izzy sah ihren Arbeitgeber verblüfft an. Dieser brutale Kerl hat ihm also tatsächlich vorgehalten, dass die Preise in den letzten zwanzig Jahren gestiegen sind! dachte sie schockiert.

Ich verstehe bloß nicht, warum es ihn interessiert, wie viel ich verdiene. Er will mich doch unbedingt loswerden! Vermutet er etwa irgendeinen Hintergedanken? Aber welchen?

„Nun?“, unterbrach Miguel sanft ihre sorgenvollen Überlegungen. Im selben Moment schlenderte Cayo, der von den beiden unbemerkt ins Haus gekommen war, in die Küche.

Cayo schien mit seiner dynamischen Aura den ganzen Raum auszufüllen, ein Mann, zum Führen geboren, in der Lage, es mit jedem Angreifer aufzunehmen. Izzy wurde schwindlig, und Gefühle stürmten auf sie ein, die sie nicht benennen konnte. Schnell wandte sie sich ab und griff nach dem nächsten Hemd im Wäschekorb, doch sein Anblick hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt: Fast einen Meter neunzig groß, breitschultrig, mit schmalen Hüften und langen Beinen in einer eleganten Hose, war er der Inbegriff eines Mannes.

„Ich habe gerade ausführlich mit Dr. Menendez gesprochen und deine Testergebnisse erfahren“, wandte er sich in so arrogantem Ton an seinen Onkel, dass sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.

Er schaute sich in der Küche um. Miguel saß in einem alten, abgenutzten Armsessel, der schon seit Ewigkeiten am selben Fleck stand, und sah seinem rettenden Engel beim Bügeln zu. Wie gemütlich die beiden hier beisammensitzen, dachte Cayo.

Diesmal wandte Izzy offensichtlich eine andere Taktik an als bei Augustin del Amo. Als echte Wohltäterin, kompetent und liebevoll, sorgte sie für die Bequemlichkeit des älteren Herrn und sah zudem reizend aus. Blonde Strähnen, die dem Band entschlüpft waren, mit dem sie ihr Haar zurückgebunden hatte, fielen ihr in die Stirn. Die sexy Figur verbarg sie unter einem einfachen T-Shirt und einem schlichten Baumwollrock. Sie wusste genau, dass aufreizende Kleidung, mit der sie einen reichen Bankier verführen konnte, sie bei einem älteren Gelehrten nicht weiterbrachte.

Wirklich clever.

Aber er war ihr voraus. Er war ihr um Längen voraus!

Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zunächst würde er Miguel dazu überreden, mit ihm in das luxuriöse Castillo de las Palomas zu ziehen, wo er seine Forschungen fortsetzen und sich von dem aufmerksamen Personal verwöhnen lassen konnte. Natürlich würde er auch die Haushälterin einladen, die als Gesellschafterin mitkommen sollte. Denn soviel er erkennen konnte, hatte sein Onkel sie bereits lieb gewonnen. Ohne sie würde er sicher nirgendwohin gehen.

Dann wollte er sie dazu bringen, ihre Absichten auf den älteren Herrn aufzugeben und auf sich selbst zu lenken. Das sollte ihm nicht schwerfallen. Im Gegenteil. Seit er den Kinderschuhen entwachsen war, himmelten selbst die attraktivsten Frauen ihn an und bemühten sich, ihm zu gefallen. Wie ihn das langweilte!

Doch diesmal war er der Jäger. Er würde Izzy verführen, ­sicherstellen, dass sein Onkel davon erfuhr, und dann dafür sorgen, dass sie verschwand.

Allerdings fühlte er sich nicht wohl bei diesem Plan. Er erschien ihm grausam und entsprach nicht seinen Prinzipien. Stets war er bemüht, aufrichtig und geradeaus zu handeln, sowohl im Geschäfts- als auch im Privatleben. Wenn es aber jetzt nötig war, mit unfairen Methoden zu kämpfen, würde er das tun. Seinem Onkel zuliebe.

Also atmete er tief durch und kündigte an: „Nach allem, was ich von Dr. Menendez erfahren habe, möchte ich dir einen Vorschlag machen.“

4. KAPITEL

Izzy, die gerade das letzte Hemd faltete, zuckte bei dieser Ankündigung vor Schreck heftig zusammen. Der schöne, elegante Mann, der in diesem Zimmer völlig fehl am Platz wirkte, wollte sie aus dem Leben seines Onkels verbannen. Was immer er zu sagen hatte, würde für sie nichts Gutes bedeuten. Denn er war offensichtlich kein Mensch, der leicht aufgab.

Sie erwartete eine Auflistung der ihr zur Last gelegten Verfehlungen, begleitet von dem mit Nachdruck geäußerten Vorschlag, sie wieder auf die Straße zu setzen, wohin sie seiner Meinung nach zweifellos gehörte. Daher seufzte sie erleichtert, als Cayo ruhig zu sprechen begann. „Dr. Menendez hat mir erklärt, dass deine Herzerkrankung von einem rheumatischen Fieber in deiner Kindheit kommt, das nicht richtig behandelt wurde. Du kannst damit alt werden, wenn du auf dich achtgibst – was du aber seit Jahren nicht tust …“

„Das hat sich inzwischen geändert“, unterbrach Miguel ihn. „Im Gegensatz zu Benita kümmert sich Izzy hervorragend um mich. Wenn sie bei mir bleibt – natürlich mit einem besseren Gehalt als bisher –, ist alles in Ordnung. Du musst dir keine Sorgen mehr machen.“

„Die mache ich mir aber – schon seit Jahren. Du gehörst zur Familie, ich mag dich sehr und habe Angst um dich. Immer wieder habe ich dich gebeten, zu mir in die Berge zu kommen, leider ohne ausreichenden Nachdruck. Heute bestehe ich da­rauf, dass du wenigstens den Sommer über dorthin ziehst. Die kühlere Luft wird dir guttun. Und wer weiß, vielleicht bist du vernünftig genug, für immer dort zu bleiben. Im Castillo de las Palomas hast du allen Luxus und Komfort, den du dir nur wünschen kannst, und das Personal wird dir jeden Wunsch von den Augen ablesen. Die Bibliothek im Schloss ist bestens bestückt, du kannst ungestört deinen Forschungen nachgehen, wenn du willst. Es liegt in deinem eigenen Interesse, dorthin zu ziehen. Meiner Meinung nach hält dich nur dein Dickkopf davon ab, dich vernünftig zu benehmen.“

Izzy hielt den Atem an. Sie war dankbar, einer Attacke durch Cayo entgangen zu sein, und erstaunt, dass ihre Worte ihn dazu bewegt hatten, tatsächlich etwas für seinen Onkel zu tun.

Doch die Sturheit des alten Mannes überraschte sie. Zwar zeigte der feuchte Schimmer in seinen Augen, wie sehr ihn das Angebot seines Neffen rührte, dennoch lehnte er ab. „Ich danke dir für deine Besorgnis um mich. Wirklich! Aber uns geht es hier gut, und du weißt, wie ich Veränderungen hasse.“

Cayo wandte sich zu Izzy um und lächelte sie frustriert an, als sehe er in ihr eine Verbündete. Daher wagte sie, sich einzumischen. „Darf ich auch etwas sagen? Miguel – genau das hat der Arzt dir empfohlen!“

Beide Männer sahen sie verblüfft an, aber sie kümmerte sich nicht darum. Ihr war gleichgültig, dass sie bald arbeits- und obdachlos sein würde, wenn nur der alte Gentleman anständig versorgt war. Irgendwie würde sie schon zurechtkommen. Natürlich würde Miguel im Castillo keine eigene Haushälterin mehr brauchen. Cayo hätte gewonnen, wäre sie endlich los und müsste noch nicht einmal einen Cent von dem Geld zahlen, das er ihr so dreist angeboten hatte.

Die Erinnerung an seinen Bestechungsversuch machte sie ­so wütend, dass sie am liebsten mit dem Fuß auf den Boden gestampft und getobt hätte! Aber sie musste Miguel dazu drängen, den Vorschlag anzunehmen. Um seinetwillen.

An den Herausforderungen, die ihr gegenwärtiger Job an sie gestellt hatte, war sie gewachsen. Sie hatte es genossen, wirklich helfen zu können und zum ersten Mal in ihrem Leben geschätzt zu werden. Trotzdem hatte sie nie geplant, für immer zu bleiben. Sobald der alte Herr gut versorgt und nicht länger sich selbst überlassen war, wollte sie weiterziehen, so hatte sie es sich vorgenommen.

Daher war sie völlig überrascht, als Cayo jetzt mit samtweicher Stimme fortfuhr: „Ich kenne dich besser, als du glaubst, Onkel. In der Vergangenheit hast du meinen Vorschlag auch deshalb abgelehnt, weil du ein weiches Herz hast. Du bist der netteste Mensch, den ich kenne. Benita zu entlassen, um ein bequemes Leben im Schloss zu führen, kam für dich nicht infrage. Also schlage ich vor, dass du Izzy als deine bezahlte Gesellschafterin mitnimmst. Ja, ich bestehe sogar darauf.“

Izzy stand da wie versteinert und rang einen Moment lang nach Atem. Sie konnte kaum glauben, was sie gehört hatte.

Dann drehte Cayo sich kurz zu ihr um, lächelte sie so strahlend an, dass ihr ganz heiß wurde, und fuhr an Miguel gewandt fort: „Du musst also ihretwegen kein schlechtes Gewissen haben, und ich freue mich darauf, sie in meinem Haus willkommen zu heißen.“

Völlig perplex sah sie den attraktiven, stolzen Mann an und suchte nach einer Erklärung für sein ganz und gar untypisches Verhalten. Daher hörte sie auch kaum Miguels Antwort. „In diesem Fall nehme ich dein Angebot an. Meine Haushälterin hat in letzter Zeit so hart gearbeitet, dass sie sich eine Sommerpause verdient hat.“

Kurz darauf verließ Cayo das Haus. Er erwartete eine wichtige Mail und musste deshalb ins Apartment zurück. Später wollte er sich aber noch einmal melden, um die nötigen Vorbereitungen für den Umzug zu treffen.

Izzy sah ihm nachdenklich hinterher, ihre Fassung hatte sie immer noch nicht wiedererlangt. Er führt etwas im Schilde, etwas Hinterhältiges, dachte sie schaudernd. Denn erst hatte er ihr Geld geboten, damit sie verschwand, sie wüst beschimpft und ihr klargemacht, was er über sie dachte. Jetzt aber bot er ihr lächelnd seine Gastfreundschaft in dem bestimmt wunderschönen Castillo. Das passt doch überhaupt nicht zusammen!

Trotzdem gratulierte sie Miguel. „Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Dein Neffe mag dich sehr und wird sich gut um dich kümmern. Du wirst bei ihm jeden möglichen Komfort haben. Aber zähl nicht auf mich. Ich kann nicht mitkommen. Du brauchst dort keine Haushälterin, und ich möchte nicht als Schmarotzerin leben, sondern mir mein Brot ehrlich verdienen. Bestimmt finde ich bald einen neuen Job“, endete sie mit mehr Zuversicht in der Stimme als im Herzen.

„Das verstehe ich natürlich. Doch wenn du dich so entscheidest, bleibe ich hier, und alles läuft weiter wie bisher.“ Miguel lächelte sie verschmitzt an. „Eigentlich gefällt es mir sehr gut, so, wie es ist.“

Da endlich fiel bei Izzy der Groschen. Anscheinend verstand Cayo seinen Onkel doch weit besser als sie selbst. Schließlich hatte er erkannt, dass dessen weiches Herz und ausgeprägtes Verantwortungsgefühl der alten – wie jetzt auch der neuen – Haushälterin gegenüber ihn daran hinderte, sich in die Bequemlichkeit des Familiensitzes zurückzuziehen. Daher die Einladung an sie mitzukommen. Und wahrscheinlich dachte Cayo sich gerade einen besonders gemeinen Plan aus, wie er sie anschließend wieder loswerden konnte. Das ergab einen Sinn!

Allerdings blieb ihr unter diesen Umständen nichts übrig als nachzugeben. Doch sie war zuversichtlich, dass der alte Herr sich nach einer gewissen Zeit an die Bequemlichkeit, drei gute, auf die Minute pünktlich servierte Mahlzeiten und ein Leben ohne Sparen und Knausern gewöhnen würde. Dann würde er Verständnis zeigen, wenn sie in einem plötzlichen Anfall von Heimweh oder nach einem – erfundenen – Stellenangebot abreisen würde, noch ehe Cayo einen Weg gefunden hätte, sie aus seinem Haus und vermutlich auch aus seinem Land zu vertreiben.

Also stimmte sie, gegen besseres Wissen, fröhlich zu. „Na gut, wenn du so stur bist, komme ich mit. Schließlich habe ich noch nie in einem Schloss gelebt. Das muss Spaß machen. Hat er gesagt, wann es losgehen soll?“

Der Chauffeur lenkte die komfortable Limousine mühelos durch die Haarnadelkurven, die steil bergan führten. Izzy begann sich zu entspannen und die abwechslungsreiche Aussicht zu genießen, nachdem sie ihre Angst vor dem jähen Abgrund direkt neben der Straße verloren hatte. Schroffe Felswände umrahmten Täler, durch die sich malerische Flüsse schlängelten, Olivenhaine schimmerten silbrig grün vor dem dunkleren Hintergrund der Wälder, nur gelegentlich unterbrochen von den Dächern eines malerischen Dorfes.

Sie hatte sich vorgenommen, sich an die Gegebenheiten anzupassen. Darin schien sie gut zu sein. Die Erinnerung an einen der vielen Vorträge ihres Vaters ließ sie schmunzeln. „Im Gegensatz zu James weißt du nicht, was du willst. Du schlägst dich durch das Leben, von einem perspektivlosen Job zum anderen. Hast du denn gar keinen Ehrgeiz?“

Jedenfalls nicht in akademischer Hinsicht. Mit ihrem superintelligenten älteren Bruder hätte sie nie konkurrieren können, deshalb hatte sie es gar nicht erst versucht.

Aber sie hatte durchaus ein Ziel im Leben, auch wenn ihre Eltern dafür kein Verständnis zeigten. Sie wollte sich verlieben, heiraten, eine Familie gründen, Kinder haben, die sie alle gleichermaßen lieben und schätzen würde, ob sie nun besonders begabt waren oder nicht.

Bisher war ihr das allerdings verwehrt geblieben. Die Jungs, die sie als Teenager kennengelernt hatte, hatten immer nur das eine gewollt. Vermutlich weil sie glaubten, mit ihren weiblichen Kurven und dem blonden Haar – ihr Bruder James meinte schonungslos, sie sehe wie ein blondes Dummchen aus – sei sie leicht ins Bett zu bekommen. Daher hatte sie einen Bogen um das andere Geschlecht gemacht, bis sie Marcus traf. Sie hatte geglaubt, in ihm den einen gefunden zu haben, der sie wirklich mochte und schätzte. Er hatte nie versucht, sie zu verführen, was sie als Zeichen seines Respekts gedeutet hatte. Und schon bald hatte sie begonnen, davon zu träumen, wie er vor dem Altar auf sie wartete.

Mit einem Mal wurde sein Bild aus ihrer Erinnerung verdrängt durch einen großen Mann mit dunklem Haar. Der stolze Spanier nahm Marcus’ Platz ein. Izzy schluckte erschrocken und blinzelte heftig, um das Bild zu verscheuchen.

Genau in diesem Moment wandte sich Miguel mit einer zufällig genau passenden Bemerkung an sie. „Mein Neffe sollte allmählich seine wechselnden Geliebten aufgeben und endlich heiraten. Las Palomas ist wunderschön, aber völlig steril. Eine Familie würde Leben hineinbringen. Ich werde ihn darauf ansprechen, wenn die Zeit reif ist. Er erwartet uns im Castillo.“ Stillvergnügt kicherte er vor sich hin.

Izzy schämte sich viel zu sehr des Hirngespinstes, das ihre Fantasie ihr eingegeben hatte, um direkt zu antworten. Also wechselte sie schnell das Thema. „Kennst du das Schloss denn?“

„Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Es ist schon seit Generationen in Familienbesitz. Später bin ich in England zur Universität gegangen und habe nach der Promotion meist in Amerika unterrichtet. Ich war nur noch selten hier und seit dem Tod meiner Eltern überhaupt nicht mehr. Mein Bruder Roman, Cayos Vater, hat hier gelebt. Die Familie ist sehr reich …“

„Verstehe ich das richtig“, unterbrach Izzy ihn und drehte sich im Sitz, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ihre Stimme klang schneidend, weil sie wütend über das dem alten Mann zugefügte Unrecht war. „Dein Bruder hat alles bekommen, das Geld und das Schloss, und du hast gar nichts geerbt?“

„Um Himmels willen, nein! Wie kommst du auf diese Idee? Als ältester Sohn habe ich ausgedehnte Ländereien geerbt, Roman übernahm das Exportunternehmen, das Cayo seit dem Tod seines Vaters kräftig ausgebaut hat, soweit ich weiß. Außerdem verwaltet er den Erlös aus meinen Ländereien. Ich treffe mich einmal jährlich mit ihm und seinen Finanzleuten, was immer sehr langweilig ist, und bin ihm sehr dankbar, dass er mir die ganze Arbeit abnimmt. Jedenfalls wird er eines Tages alles erben. Das ist auch gut so. Dann ist der ganze Besitz der Garcias endlich wieder in einer Hand.“

Diese Enthüllungen machten Izzy sprachlos, und sie versuchte angestrengt, ihre Gedanken zu ordnen. Die folgenden Bemerkungen ihres Begleiters über Sehenswürdigkeiten und die herrliche Aussicht überhörte sie völlig.

Miguel war gar nicht verarmt, wie sie aufgrund seiner Lebensweise angenommen hatte, sondern im Gegenteil steinreich!

Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hätte sie ihn schütteln mögen. Es war ja völlig in Ordnung, wenn Geld ihn nicht interessierte – schließlich lebte er in einer anderen Welt. Aber wenn sie daran dachte, wie sie geknausert hatte, erst kurz vor Ladenschluss losgegangen war, um Restbestände für einen Spottpreis aufzukaufen, kam sie sich wie eine Idiotin vor.

Mehr als einmal hätte er Gelegenheit gehabt, sie darauf hinzuweisen, dass so viel Sparsamkeit nicht nötig war. Oder er hätte sich wenigstens erkundigen können, ob das knappe Haushaltsgeld ausreichte.

All das konnte sie ihm verzeihen, ja sogar darüber lachen. Aber das Missverständnis hatte schlimme Folgen gehabt.

Denn Cayo hatte den Lügen der del Amos geglaubt. Nachdem ihr Plan bei dem Bankier nicht geklappt hatte, so nahm er wohl an, war sie als Nächstes als Haushälterin bei seinem reichen Onkel aufgetaucht, um diesen in ihre Fänge zu locken.

Und sie hatte diesen Eindruck auch noch verstärkt, indem sie eine Milliarde Pfund von ihm gefordert hatte. Er denkt bestimmt, eine Abfindung reicht mir nicht, weil ich das gesamte Vermögen an mich reißen will!

Jetzt verstand sie endlich! Er versuchte nicht nur, seinen geliebten Onkel vor einer geldgierigen Glücksritterin zu retten, sondern wollte auch sein Erbe nicht verlieren.

Deshalb also hatte er ihr so kalt gedroht, sie würde es bedauern, geboren zu sein, wenn sie nicht verschwand. Und er hatte es ernst gemeint! Ich muss mit ihm darüber sprechen, ihm erklären, dass ich wirklich geglaubt habe, Miguel lebe von einer kleinen Pension, dachte sie. Er musste begreifen, dass sie zugestimmt hatte, für Miguel zu arbeiten, und zwar ohne irgendwelche Absichten auf ein Vermögen, dessen Existenz ihr gänzlich unbekannt war.

„Wir sind da!“, rief Miguel aufgeregt.

Izzy blinzelte und sah auf. Eine hohe Steinmauer schlängelte sich den Berghang hinunter, und sie bogen in eine Zufahrtsstraße ein, die auf gewundenem Weg zu einem herrlichen festungsähnlichen Palast führte – einem Zeugnis von Macht und Reichtum, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte.

Wie sollte sie nur den zynischen Besitzer dieses prachtvollen Besitztums davon überzeugen, dass alle Vorwürfe gegen sie unberechtigt waren? So gründlich überzeugen, dass er seine hinterhältigen Pläne verwarf?

5. KAPITEL

Die elegante Limousine fuhr durch ein massives Steintor in den Innenhof des Schlosses und hielt an. In diesem Moment erhob sich Cayo von der Bank im Schatten einer Laube, wo er auf die Ankunft seiner Gäste gewartet hatte, und trat ins grelle Tageslicht.

Teil eins des Plans ist ausgeführt. Der harte Zug um seinen Mund verschwand. Endlich war sein liebenswerter, dickköpfiger Onkel wieder an dem Ort, an den er gehörte, umgeben von all dem Komfort und Luxus, der ihm von Geburt an zustand.

Nun war es an der Zeit, den zweiten Teil seines Vorhabens in Angriff zu nehmen, die Vertreibung der geldgierigen Blondine. Sein plötzlich stahlharter Blick verhieß nichts Gutes für diejenigen, die es wagten, sich ihm in den Weg zu stellen.

Doch schnell setzte er wieder ein freundliches Lächeln auf und ging den Ankömmlingen entgegen. Er sah, wie der Chauffeur, der schon ausgestiegen und um das Auto herumgeeilt war, der kleinen Goldgräberin den Wagenschlag öffnete und ihr beim Aussteigen half. Dann ging er zur anderen Tür und erwies Miguel dieselbe Aufmerksamkeit.

Cayo hatte erwartet, dass Izzy sofort an die Seite seines Onkels eilen und ihm hilfreich den Arm bieten würde. Umso erstaunter war er, als sie nicht die Rolle spielte, die er ihr zugedacht hatte, sondern geradewegs auf ihn selbst losstürmte.

Das blonde Haar war, wie meistens, ganz zerrauft, was ungemein sexy wirkte. Zu einem ausgeblichenen Oberteil, das sich eng an ihre vollen Brüste schmiegte, trug sie eine Baumwollhose, die ihre Hüften verführerisch nachzeichnete und kurz unterhalb der Knie endete. Bei ihrem Anblick reagierte sein Körper mit sexuellem Verlangen, und er fragte sich, wie sie in dieser gewöhnlichen Kleidung seine Sinne so reizen konnte. Denn die perfekt gestylten Damen der Society in ihren sündhaft teuren Designerkleidern, die sich ihm ständig an den Hals warfen, ließen ihn allesamt eiskalt.

Nur zu gut erinnerte er sich an die treffende Bezeichnung, die Augustin del Amo geprägt hatte. Es ist gut, wenn ich Appetit auf diesen Leckerbissen habe, dachte Cayo bissig an den nächsten Teil seines Plans. Da sie sich geweigert hatte, gegen eine Abfindung seinen Onkel in Ruhe zu lassen, musste er sie auf andere Weise dazu bringen – notfalls durch Verführung. Mit dem ihm angeborenen Sinn für Ehre und Ritterlichkeit, dem über Jahrhunderte von Generation zu Generation vererbten Stolz der Familie Garcia, ließ sich diese Aufgabe allerdings nur schwer vereinbaren.

Es bereitete ihm große Mühe weiterzulächeln und die grimmigen, abscheulichen Gedanken zu verbergen, die ihm durch den Sinn gingen. Jetzt war sie schon fast bei ihm angekommen. Das zarte Gesicht leicht gerötet, blieb sie vor ihm stehen, stemmte die Hände in die hübsch gerundeten Hüften, hob das Kinn und verlangte direkt, ohne vorher auch nur zu grüßen: „Ich muss mit Ihnen sprechen! Jetzt. Unter vier Augen.“

Sein Lächeln verschwand, er sah sie kalt und distanziert an. Sie hatte kein Recht, ihm eine solche Forderung zu stellen. „Wenn Sie mich entschuldigen würden. Üblicherweise kümmere ich mich zuerst um meine Gäste.“

Ohne auf ihre bestürzte Entschuldigung zu achten, schritt er an ihr vorbei zu seinem Onkel, legte einen Arm um den deutlich kleineren Mann und begrüßte ihn herzlich. Izzy hatte sich umgedreht, um ihm nachzusehen. Aus einem ihr unerklärlichen Grund wünschte sie, er hätte auch sie so begrüßt, voller Zuneigung und Wärme. Gleich darauf schämte sie sich für diesen Gedanken, der nur wieder einmal bewies, wie dumm sie war.

Ich hätte nicht sofort ein Gespräch verlangen dürfen, dachte sie beschämt. Jetzt konnte er ihrem Sündenregister auch noch fehlende Manieren hinzufügen und sie als nicht gesellschaftsfähig abstempeln. Aber es war ihr so wichtig gewesen, ihm schnellstmöglich zu erklären, dass sie von Miguels wahrer finanzieller Situation nichts geahnt hatte. Seit dem Gespräch im Auto hatte sie an nichts anderes denken können. Das ist wieder typisch für mich, ich kann meinen Mund nicht halten und lasse kein Fettnäpfchen aus! Vor Verlegenheit wurde sie knallrot.

Die beiden Männer traten zu ihr, und Miguel wies mit weit ausladender Geste über den Innenhof, den herrlichen Brunnen in seiner Mitte, die Kübel voll exotisch blühender Sträucher und die weißen Tauben, die über dem steinernen Bogengang aufflatterten, der zu dem zweifellos prächtigen Wohntrakt führte, und fragte: „Gefällt es dir, Izzy?“

„Ich bin sicher, deine Gesellschafterin ist gebührend beeindruckt“, antwortete Cayo an ihrer Stelle und verfluchte sich sofort für seinen sarkastischen Ton. Er musste sich mehr Mühe geben, auch wenn es ihm schwerfiel zu heucheln, weil es seinem Naturell gar nicht entsprach. Schließlich wollte er sie dazu bringen, von den beiden Vermögen, die sie in Aussicht sah, das seine zu wählen.

„Ramona, meine Haushälterin, wird dich zu deinen Räumen führen, Onkel.“ Die Männer gingen los, und Izzy folgte ihnen in eine riesige, mit Marmorfußboden ausgelegte Halle. „Sie liegen ganz nah bei der Bibliothek im Erdgeschoss. Du musst also keine Treppen steigen oder dir den Weg durch verwinkelte Flure suchen, es sei denn, du willst dich wieder mit dem Zuhause deiner Kindheit vertraut machen.“

Ein Lächeln erhellte seine ernsten Züge. Er sieht fast menschlich aus und wahnsinnig attraktiv, dachte Izzy, unangenehm berührt von dem Kribbeln im Bauch, das sein Anblick bei ihr hervorrief.

Da fuhr Cayo bereits fort: „Keine Sorge. Deine Bücher und Papiere sind nicht ausgepackt worden. Niemand wird sie anrühren. Du kannst dich damit nach Belieben in der Bibliothek ausbreiten.“

Er liebt seinen Onkel wirklich sehr, gestand Izzy ihm widerwillig zu.

Dann stellte der Hausherr ihnen die Hausdame und ein paar Hausmädchen vor. Er erteilte einige Befehle in rasend schnellem Spanisch, woraufhin die unheimlich tüchtig wirkende Haushälterin Miguel zu einem gewölbten Flur am anderen Ende der großen Halle führte, während die Mädchen geschäftig davoneilten.

Als Cayo sie am Arm berührte, zuckte Izzy nervös zusammen. Er ist überzeugt, dass ich mich mit böser Absicht bei seinem Onkel eingeschlichen habe. Wie kann ich ihn nur vom Gegenteil überzeugen?

Seine Berührung hatte sich angefühlt wie ein elektrischer Schlag und ihre Gedanken so verwirrt, dass sie kaum verstand, was er zu ihr sagte. Doch er verstärkte den Druck seiner kräftigen Finger auf ihren Arm und wiederholte: „Ich bringe Sie jetzt zu Ihrer Suite, damit Sie sich einrichten können.“

„Wie bitte? Oh ja, natürlich.“ Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, aber er hielt sie nur noch fester und führte sie zu einem riesigen steinernen Treppenaufgang. Beim Hinaufsteigen fühlte sie sich wie eine Gefangene, die in ihre Zelle abgeführt wird, und ihr Mund wurde ganz trocken. Sie musste ihm alles erklären. Unbedingt! Aber erst, wenn das Personal, das kreuz und quer durch die Halle unter ihnen lief, außer Hörweite war. Noch so einen Fehler wie eben konnte sie sich nicht leisten.

Autor

Diana Hamilton

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