Romana Herzensbrecher Band 5

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SIZILIANISCHE VERFÜHRUNG von MICHELLE REID
Sechs Wochen hat der sizilianische Unternehmer Giancarlo Cardinale Zeit, die Wahrheit herauszufinden: Will die bezaubernde Natalia wirklich die Ehe seiner Schwester zerstören? Höchstpersönlich kümmert er sich um die junge Dame - und verfällt ihren Küssen …

SIZILIANISCHE NÄCHTE von KATE WALKER
Komm mit mir nach Sizilien! Ein Blick in Giovanni Gardellas glutvolle Augen genügt, und Terrie ist überzeugt. Die dunklen Schatten, die auf Giovannis Vergangenheit lasten, will sie ihn in Taormina vergessen machen. Ihre große Liebe hat diese Chance verdient!

DAS SCHLOSS AUF SIZILIEN von LYNNE GRAHAM
Als Mina ihrem ehemaligen Boss Cesare Falcone wiederbegegnet, ahnt sie, dass er ihr Leben erneut auf den Kopf stellen wird. Vor Jahren endete ihre heiße Affäre, weil er sie der Firmenspionage verdächtigte. Dass sie eine gemeinsame Tochter haben, weiß der glutäugige Sizilianer bis heute nicht ...


  • Erscheinungstag 25.10.2019
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745172
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Reid, Kate Walker, Lynne Graham

ROMANA HERZENSBRECHER BAND 5

1. KAPITEL

An der Tür zur Direktionskantine blieb Giancarlo Cardinale überrascht stehen.

„Was ist denn hier los?“, fragte er den Mann neben sich und betrachtete die etwa zwanzig Leute, die mit Champagnergläsern in der Hand herumstanden und sich unterhielten.

„Es findet heute eine Präsentation für einen unserer besten Kunden statt. In der Pause haben wir hier den Lunch servieren lassen“, erklärte Howard Fiske steif. „Ich verstehe nicht, warum Edward zu diesem wichtigen Meeting nicht erschienen ist.“ Man sah ihm den Ärger an.

Giancarlo schwieg. Er war aus einem ganz bestimmten Grund nach London gekommen und wusste natürlich, wo Edward war. Es gab da ein Problem, das so rasch wie möglich gelöst werden musste.

Unbemerkt von den anderen, ließ Giancarlo den Blick durch den völlig neu und luxuriös eingerichteten und aufwändig renovierten Raum schweifen. Er hatte viel investiert, um Knight’s, die Firma seines Schwagers, zu modernisieren.

Aber das nützte wenig, wenn sich die Denkweise der Menschen, die hier das Sagen hatten, nicht änderte. Giancarlo sah dieselben steifen Kragen und dieselben seltsam grau wirkenden Gesichter wie vor einem Jahr. Solche Mitarbeiter waren unfähig, auf neue Herausforderungen flexibel zu reagieren, und sie brachten das Unternehmen an den Rand des Ruins.

Irritiert biss er die Zähne zusammen. Als sie im vergangenen Jahr über die Fusion von Knight’s mit der Cardinale Group verhandelt hatten, hatte Edward versprochen, personelle Veränderungen vorzunehmen, sonst hätte Giancarlo den Vertrag nicht unterschrieben. Auch wenn Edward sein Schwager war, durfte er die Cardinale Group nicht für einen Wohltätigkeitsverein halten. Als weltweit agierender Unternehmer konnte Giancarlo sich keine Risiken erlauben.

Edward schien begriffen zu haben, um was es ging, und er hatte allen Bedingungen zugestimmt. Jetzt fragte Giancarlo sich, was mit dem ganzen Geld geschehen war, das er Edward immer wieder überwiesen hatte. Diese leicht gelangweilt aussehenden Männer und Frauen hier schienen nicht daran interessiert zu sein, irgendetwas zu verändern.

Rasch entdeckte er die Frau, die er suchte und auf die die Beschreibung passte, die man ihm gegeben hatte. Sie war jung, rothaarig und wirkte ungemein erotisch, aber auch sehr professionell.

In welcher Hinsicht professionell?, fragte er sich dann spöttisch und betrachtete den jungen Mann mit den verräterisch geröteten Wangen, mit dem sie gerade sprach. Angeblich war sie die persönliche Assistentin des Managing Directors. Aber so, wie die Frau aussah, mit dem außergewöhnlich schönen Gesicht und dieser fantastischen Figur, war es kein Wunder, dass Edward Knight unter dieser Bezeichnung etwas ganz anderes verstand.

Ärgerlich beobachtete er, wie sie mit dem jungen Mann flirtete. Diese schamlose kleine Hexe, dachte er gereizt. Nein, sie ist nicht nur schamlos, sondern offenbar auch sehr offenherzig, fügte er in Gedanken hinzu. Ihr enges weißes Top war so tief ausgeschnitten, dass man den Ansatz ihrer herrlichen Brüste bewundern konnte.

Es war verständlich, dass Edward die Finger nicht von ihr lassen konnte. Giancarlo musste sich eingestehen, dass er selbst gewisse Regungen seines Körpers verspürte, und er zwang sich, sein Verlangen zu unterdrücken.

Auf einmal blickte die Frau ihn an.

Was hatte sie für unglaublich schöne Augen! So etwas durfte es gar nicht geben! Das Blau wirkte irgendwie rauchig und erotisch, und sogleich wurde Giancarlos Fantasie angeregt. Er stellte sich vor, sie würde unter ihm liegen und ihn in höchster Ekstase mit diesen Augen ansehen.

Hatte Edward schon mit ihr geschlafen? Alegra, Giancarlos Schwester und Edwards Frau, bezweifelte es. Sie hatte offen mit ihm über die Unfähigkeit ihres Manns gesprochen, sie noch zu befriedigen. Aber diese Frau hier war so verführerisch und reizvoll, dass Giancarlo alles für möglich hielt.

Aus heiterem Himmel erfasste ihn eine Erregung, die ihn zu überwältigen drohte. Alles in ihm wehrte sich dagegen, sich Edward mit Natalia Deyton im Bett vorzustellen. Kein anderer Mann sollte sie besitzen. Sie wird mir ganz allein gehören, sagte Giancarlo sich plötzlich.

O nein, dachte Natalia, als sie dem leidenschaftlichen Blick des Fremden begegnete. So durchdringend und intensiv hatte sie noch niemand angesehen, obwohl sie an solche Reaktionen der Männer gewöhnt war. Sie machte sich nichts vor und war sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst.

Aber bei diesem Mann war es ganz anders. Sein Blick war so leidenschaftlich, irgendwie zwingend und so besitzergreifend, dass sie das Gefühl hatte, er würde sie völlig und in jeder Hinsicht für sich beanspruchen.

Erschrocken wandte sie sich ab. Doch zu spät. Sie spürte die Erregung, die sich in ihr ausbreitete, während sie vergeblich versuchte, sich auf die Unterhaltung mit den Leuten um sie her zu konzentrieren. Dieser große, schlanke und sehr attraktive Fremde mit dem schwarzen Haar und der gebräunten Haut schien mit seinen Blicken tief in ihr Inneres eingedrungen zu sein. Wer war er? Und warum stand er einfach da und sah sie an?

Oder bildete sie sich das alles nur ein? Hatte sie schon Halluzinationen? Der kleine Schluck Champagner, den sie sich zu trinken erlaubt hatte, konnte ihre Sinne unmöglich so umnebelt haben.

Unauffällig drehte sie sich um und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass der Mann abgelenkt war. Er strahlte Kraft und Stärke aus. Alles an ihm, von der langen, leicht gebogenen Nase über die schlanke, muskulöse Gestalt bis hin zu dem eleganten Designeranzug betonte seinen Sex-Appeal. Er wirkte bedrohlich und anziehend zugleich.

Du liebe Zeit, was sind das für erotische Gedanken?, fragte sie sich plötzlich entsetzt und senkte rasch den Blick.

„Ist alles in Ordnung, Natalia?“, drang in dem Moment eine Stimme wie aus weiter Ferne in ihr Bewusstsein.

„Ja“, antwortete sie und zauberte ein Lächeln auf die Lippen. „Ich glaube, der Champagner zeigt Wirkung.“ Wieder lächelte sie, dieses Mal betont wehmütig, und stellte das Glas hin. „Tagsüber vertrage ich einfach keinen Alkohol. Wenn ich noch einen Schluck trinke, schlafe ich bestimmt ein.“

„Nein, das glaube ich nicht“, antwortete Ian Gant ernsthaft.

Natalia war froh über die Ablenkung. Sie wusste, dass Ian in sie verliebt war, aber damit konnte sie umgehen.

„Wie geht es deiner Verlobten?“, fragte sie. „Ihr heiratet doch in einigen Wochen, oder?“

Als Randall Taylor, Ians zukünftiger Schwiegervater, hörte, um was es ging, beteiligte er sich an der Unterhaltung. Es gelang Natalia, den Fremden eine Zeit lang zu vergessen und sich auf das Geschäftliche zu konzentrieren. Taylor-Gant hatte damit gedroht, Knight’s die Aufträge zu entziehen. Man musste retten, was noch zu retten war.

Als ihr plötzlich jemand auf die Schulter klopfte, drehte sie sich lächelnd um. Howard Fiske, der mit seinen kalten Augen, dem harten Mund und der kurzen, schmächtigen Gestalt immer leicht aggressiv wirkte, packte sie am Arm und zog Natalia von den anderen weg.

„Man erwartet Sie in Edwards Büro“, erklärte er und betrachtete ungeniert ihren tiefen Ausschnitt. „Jetzt sofort“, fügte er hinzu.

„Ist Edward doch noch gekommen?“, fragte sie. Den ganzen Vormittag hatte sie sich seinetwegen Sorgen gemacht, weil niemand wusste, wo er war. Es war nicht das erste Mal, dass er einfach nicht erschien, aber an diesem Tag wäre seine Anwesenheit unbedingt erforderlich. Edward hatte jedoch momentan Probleme mit sich selbst.

„Gehen Sie bitte in sein Büro“, forderte Howard Fiske sie angespannt auf. Als er ihren Arm losließ, berührte er wie zufällig ihre Brüste.

Das war Absicht, dachte Natalia ärgerlich. Sie tat jedoch so, als hätte sie es nicht gemerkt. Ihr war klar, dass es diesem unangenehmen Mann einen ganz besonderen Kick gab, wenn sie sich die plumpen und unverschämten Annäherungsversuche verbat.

Sie nickte, ohne eine Miene zu verziehen, ehe sie sich von jedem einzeln verabschiedete und hinausging.

Plötzlich empfand Howard so etwas wie ein Glücksgefühl: Er war sich ziemlich sicher, dass Natalia Deyton in Giancarlo Cardinale einen ebenbürtigen Gegner finden würde.

Natalia eilte über den Flur. Die Tür zu Edwards Büro war geschlossen, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Nachdem sie kurz angeklopft hatte, stürmte sie ärgerlich ins Zimmer.

„Edward, ich bin sehr zornig“, rief sie aus. „Dein Benehmen ist einfach unmöglich. Wo warst du heute Vormittag? Was ist eigentlich los …?“

„Ich bin nicht Edward“, ertönte auf einmal eine tiefe, ihr unbekannte Stimme.

Natalia war im Begriff, die Tür zuzumachen, und wirbelte herum. Dann blieb sie wie erstarrt stehen. Der Fremde aus der Direktionskantine saß so entspannt in Edwards Sessel am Schreibtisch, als gehörte er dahin.

Er hatte sogar das Jackett seines dunklen Anzugs ausgezogen. Unter dem weißen Seidenhemd zeichneten sich deutlich seine breiten Schultern und seine muskulöse Brust ab. Sein Anblick verschlug Natalia den Atem, und ihr kribbelte die Haut.

Sie verstand überhaupt nichts mehr, weder ihre Reaktion auf den Fremden noch die Tatsache, dass er Edwards Platz eingenommen hatte. Zu allem Überfluss betrachtete er sie auch jetzt wieder so aufmerksam wie in der Kantine.

„Wer sind Sie?“, fragte sie. „Wer hat Ihnen erlaubt, dieses Büro zu benutzen?“

Statt zu antworten, musterte er sie ungeniert von oben bis unten. Natalia hatte das Gefühl, er würde sie mit Blicken ausziehen, und versteifte sich.

„Ich habe Ihnen eine Frage gestellt“, fuhr sie ihn an.

„Zwei“, antwortete er mit sanfter, rauer Stimme.

Die seltsamsten Regungen stiegen in ihr auf. Hilflos gestand sie sich, dass dieser Mann ihr unter die Haut ging. Aber wer war er, und warum reagierte sie so auf ihn?

Dann fiel ihr auf, wie berechnend sein verführerischer Blick wirkte. „Ich sage dem Sicherheitsdienst Bescheid“, erklärte sie und drehte sich um.

„Drei Fragen, wenn man die für Edward bestimmte hinzurechnet“, fügte er ungerührt hinzu.

Plötzlich begann sie zu begreifen. Als er ihr zum ersten Mal aufgefallen war, hatte er neben Howard gestanden. Und jetzt saß er an Edwards Schreibtisch. Er hatte sogar das Jackett ausgezogen, was nur bedeuten konnte, dass er vorhatte, länger hierzubleiben. Außerdem trug er einen italienischen Designeranzug, und er sprach mit italienischem Akzent.

O nein, das darf nicht wahr sein, dachte sie und bekam eine Gänsehaut. „Giancarlo Cardinale“, flüsterte sie.

„Stimmt genau. Bitte“, er wies auf den Sessel ihm gegenüber, „setzen Sie sich endlich, Miss Deyton. Wir müssen uns unterhalten, und dabei können wir es uns gemütlich machen.“

Natalia dachte gar nicht daran, sich hinzusetzen. Erst brauchte sie Klarheit. „Was ist los mit Edward?“, fragte sie angespannt. „Ist er krank?“

In seinen dunklen Augen blitzte es ärgerlich. „Edward ist nie krank. Ich bin sicher, das wissen Sie selbst“, entgegnete er spöttisch.

Sie versteifte sich. Es überlief sie kalt. „Ist vielleicht Ihre Schwester krank?“ Vor lauter Sorge um Edward merkte sie nicht, auf welch gefährliches Terrain sie sich begab.

Giancarlo Cardinales Miene wurde eisig. „Für eine einfache Angestellte wollen Sie sehr viel wissen.“

„Ich bin keine einfache Angestellte“, protestierte sie.

„Was denn?“

Plötzlich durchfuhr sie ein eisiger Schreck. Sie betrachtete Giancarlo Cardinale prüfend. Irgendetwas stimmte hier nicht. Wusste er etwa, in welchem Verhältnis sie und Edward zueinander standen?

Zufrieden beobachtete Giancarlo Natalias Mienenspiel. Überraschend schnell war es ihm gelungen, ihr Angst einzujagen.

Wer hätte in so einer Situation keine Angst?, überlegte er. Wahrscheinlich wusste sie, dass er sizilianischer Herkunft war und welchen Stellenwert die Familie für ihn hatte. Deshalb musste Natalia klar sein, dass sie jetzt ein großes Problem hatte.

Doch dann gestand er sich ein, dass ihm ihre Angst nicht behagte, obwohl er noch vor einer Stunde das Gebäude in der Absicht betreten hatte, Natalia Deyton einzuschüchtern. Danach hatte er sie aus der Firma hinauswerfen wollen.

Nachdem er ihr in die Augen gesehen hatte, hatte sich für ihn einiges geändert. Er konnte die sinnlichen Freuden, die sie zu versprechen schien, nicht ignorieren. Er wollte Natalia berühren, sie schmecken und sich mit ihr in wilde Lust stürzen. Ja, er wollte Tage und Nächte und herrliche Wochen damit verbringen, alles mit ihr zu erleben, was er sich vorstellen konnte, ohne irgendetwas auszulassen. Erst dann wollte er sie hinauswerfen.

Aber wenn er sie überzeugen wollte, mit ihm statt mit Edward ins Bett zu gehen, musste sie in ihm einen Freund und nicht einen Gegner sehen.

Natürlich bezweifelte Giancarlo keine Sekunde, dass sie mit ihm schlafen würde. Trotz ihrer Schönheit war sie kühl und berechnend, das war ihm klar. Warum wäre sie sonst die Geliebte von einem so dickbäuchigen Mann mittleren Alters geworden? Sie war geldgierig, das war alles.

Wenn das wirklich stimmte, würde es ihm die Sache erleichtern, denn er war so reich, wie Edward es niemals sein würde. Außerdem war er jünger als sein Schwager und hatte keinen dicken Bauch.

Er hatte jedoch nicht viel Zeit. In den sechs Wochen, die er für seinen Aufenthalt in London eingeplant hatte, musste er sie für sich gewinnen und sich nach allen Regeln der Kunst mit ihr austoben. Dann wäre die Ehre der Familie wiederhergestellt, und er hätte Natalia Deyton eine Lektion erteilt, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würde.

Erst muss ich sie außerordentlich liebenswürdig und nett behandeln, die Rache kommt später, sagte er sich und nahm sich vor, sich Natalia behutsam zu nähern.

„Verzeihen Sie mir, Miss Deyton“, begann er, „ich habe Sie offenbar erschreckt. Das wollte ich nicht. Bitte, setzen Sie sich. Ich möchte Ihnen erklären, warum ich hier bin.“

Sie kam näher. Er beobachtete, wie graziös und geschmeidig sie sich mit den langen Beinen und den verführerischen Hüften bewegte. Die Frau wirkte ungemein erotisch und sinnlich. Auch wie sie sich ihm gegenüber an den Schreibtisch setzte, kam ihm irgendwie poetisch vor, eine andere Bezeichnung fiel ihm dafür nicht ein. Ihr Haar war nicht gefärbt, sondern von einem natürlichen Kupferrot. In der Sonne, die hinter Giancarlo zum Fenster hereindrang, glänzte es und schien geradezu zu funkeln. Es betonte ihre verblüffend helle Haut.

Giancarlo entging nichts. Er wollte diese Frau für sich haben und diese weichen, herrlichen Lippen spüren, die zum Küssen einzuladen schienen.

Natalia sah ihn beunruhigt an. Sogleich wünschte er, ihr Blick würde wieder so erotisch wirken wie zuvor in der Direktionskantine. Er lehnte sich über den Schreibtisch, denn er wusste, dass er mit der Körpersprache immer Erfolg hatte.

Interessiert betrachtete Natalia seine muskulöse Brust. Ihr Atem ging schneller, und ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem engen weißen Top. Offenbar war sie genauso erregt wie er.

Er stand auf und lehnte sich mit den schmalen Hüften nur wenige Zentimeter von ihr entfernt an den Schreibtisch. „Edward geht es gut“, versicherte er ihr, während sie den Blick über seine langen Beine gleiten ließ. „Meiner Schwester Alegra auch“, fügte er hinzu. „Momentan genießen sie ihren wohlverdienten Urlaub in der Karibik.“

Verblüfft sah Natalia ihn an. „Aber … Edward hat davon nichts erwähnt.“

„Nein, er hat es selbst nicht gewusst.“ Giancarlo lächelte. „Die Kreuzfahrt habe ich den beiden zur Silberhochzeit geschenkt. Es sollte eine Überraschung sein. Sie wissen sicher, dass Edward und meine Schwester schon fünfundzwanzig Jahre verheiratet sind, oder?“

„Ja“, erwiderte sie.

Genau in diesem Moment hatte er ihr ursprünglich erklären wollen, dass er Bescheid wisse über ihre und Edwards Beziehung. Danach hatte er sie auffordern wollen, aus dem Leben seines Schwagers zu verschwinden. Er hatte sogar einen großzügigen Scheck unterschrieben in der Tasche, um ihr die Trennung von ihrem Geliebten zu versüßen.

Aber dieser Scheck musste dort bleiben, wo er war, und Giancarlo wollte Natalia nicht mehr so leicht davonkommen lassen. Er wollte die Geheimnisse ihres herrlichen Körpers erforschen und den Schlüssel zu ihrem Herzen für immer bei sich behalten.

Das nennt man süße Rache, überlegte er. Als Sizilianer hatte er kein Problem damit, seine Rachegelüste mit seinem Gewissen zu vereinbaren.

„Die Reise wurde ohne Edwards und Alegras Wissen geplant. Erst kurz vor dem Abflug habe ich sie informiert. Zugleich habe ich Edward versprochen, mich während seiner Abwesenheit persönlich um die Firma zu kümmern, sodass er keinen Grund hatte, nicht mit Alegra nach Barbados zu fliegen, wo die Kreuzfahrt beginnt.“

„Auf einem Ihrer Kreuzfahrtschiffe?“, fragte sie.

„Natürlich.“ Wenigstens hat sie jetzt keine Angst mehr vor mir, dachte er und lächelte. „Ihre Sorge um das Wohlergehen der beiden ehrt sie, Miss Deyton“, fügte er heuchlerisch hinzu. „Aber für mich ist es selbstverständlich, ihnen nur das Beste anzubieten nach den tragischen Ereignissen des vergangenen Jahres.“

Als er die Tragödie erwähnte, sprang Natalia auf. Ihr Blick wirkte irgendwie schuldbewusst, was für ihn der Beweis war, dass seine Vermutung stimmte.

Vielleicht sollte ich doch so mit ihr verfahren, wie ich es ursprünglich geplant hatte, und sie sogleich hinauswerfen, überlegte er ärgerlich. Seine Miene verfinsterte sich, als er sich daran erinnerte, wie sehr seine Schwester nach dem Tod ihres einzigen Sohnes gelitten hatte. Er war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Marco war Alegras ganzer Lebensinhalt und ihr Sonnenschein gewesen. Die Familie hatte befürchtet, sie würde den Schmerz nie überwinden.

Dass ihr Mann sich in seinem Kummer von Natalia hatte trösten lassen, die nur halb so alt war wie Alegra, konnte kein Sizilianer, dem die Ehre der Familie noch etwas bedeutete, verzeihen. Er musste sich sehr beherrschen, Natalia Deyton nichts anzutun.

Plötzlich berührte sie ihn sanft an der Schulter. „Es tut mir so leid“, sagte sie leise. „Edward hat mir erzählt, wie nahe Sie und Marco sich gestanden haben. Es muss für Sie und Ihre Familie eine schlimme Zeit gewesen sein.“

Giancarlo war sekundenlang schockiert. Offenbar hielt sie seinen Ärger für Schmerz. Außerdem fand er ihre Berührung abstoßend.

Das stimmt ja gar nicht, gestand er sich sogleich ein. Seine Haut prickelte, weil Natalias Berührung ihm viel zu sehr gefiel. Und dann schlug sein Herz schneller, denn ihr Blick wirkte endlich wieder so erotisch wie zuvor. Prompt änderte er wieder seine Meinung. Er wollte doch lieber nicht an seinem ursprünglichen Plan festhalten, sondern erst seinen Spaß mit ihr haben, ehe er sie dorthin beförderte, wohin sie gehörte.

Momentan gehörte sie seiner Meinung nach in sein Bett. Er malte sich aus, wie sie nackt neben ihm lag und ihn mit ihren schönen Augen einladend und verführerisch anblickte.

Ja, eine solche Rache finde ich viel befriedigender, dachte er. Dass er sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit momentan eher von seiner körperlichen Lust als von seinem Verstand leiten ließ, änderte nichts an seinem Entschluss.

„Danke für Ihr Verständnis“, antwortete er leise und fuhr ihr mit dem Finger sanft über die sinnlichen Lippen.

Ihre Augen schienen plötzlich ganz dunkel zu werden. Giancarlo beugte sich langsam zu ihr hinunter, bis seine Lippen nur noch wenige Millimeter von ihren entfernt waren.

In dem Moment wurde Natalia bewusst, was da mit ihr passierte. Wie betäubt schüttelte sie den Kopf, während sie schnell zwei Schritte zurücktrat und dabei beinah über den Sessel gestolpert wäre, der hinter ihr stand.

Giancarlo beobachtete sie schweigend.

„Wie lange wird Edward weg sein?“, fragte sie betont kühl, nachdem sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

Er musste ein Lächeln unterdrücken. „Sechs Wochen“, antwortete er und spürte, wie schockiert sie war.

Wahrscheinlich überlegt sie, wie schwierig es sein wird, sechs Wochen gegen ihre Gefühle anzukämpfen, vermutete Giancarlo. Er versuchte nicht, sein Verlangen vor ihr zu verbergen, sondern blickte sie so viel sagend an, dass sie errötete und sich abwandte.

„Edward hat mir versichert, dass Sie während seiner Abwesenheit in jeder Hinsicht mit mir zusammenarbeiten“, erklärte er sanft und bot rücksichtslos all seinen Charme auf. „Wir beide haben bestimmt kein Problem, miteinander auszukommen, oder?“

„Nein, natürlich nicht“, stimmte sie so sachlich und geschäftsmäßig zu, wie sie konnte. „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“ Sie musste unbedingt von hier weg und fing an, den Raum zu durchqueren.

„Ja, ich hätte gern einen Kaffee“, antwortete er. „Schwarz, am liebsten einen italienischen, wenn das möglich ist.“

Natalia nickte und ging weiter.

„Dann brauche ich alle Unterlagen über die wichtigsten Kunden“, fügte er hinzu. „Besonders über die, die Sie heute beim Lunch … so bezaubernd betreut haben.“

„Sie meinen die Leute von Taylor-Gant“, erwiderte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. Was für eine seltsame Bemerkung, schoss es ihr durch den Kopf, und sie runzelte die Stirn. „Wir entwerfen Marktstrategien für die Designerdessous dieser Firma.“

„Tragen Sie die selbst auch?“ Er merkte, wie sie zusammenzuckte.

„Nein.“ Sie öffnete die Tür.

„Dann kaufen Sie sich welche“, forderte er sie auf. „Wenn man ein Produkt auf den Markt bringen will, muss man es genau kennen.“

„Das gehört nicht zu meinen Aufgaben“, protestierte sie.

„Von jetzt an gehört es sehr wohl dazu“, entgegnete er. „Informieren Sie sich bitte über das gesamte Sortiment. So etwas, Miss Deyton, erwartet man selbstverständlich von der persönlichen Assistentin des Managing Directors.“

Nachdem sie den Raum verlassen hatte, lächelte Giancarlo zufrieden vor sich hin. Er hatte sie irritiert. Das Spiel hatte begonnen, und er hatte die Fäden in der Hand. Das bezweifelte er keine Sekunde. Natalia Deyton würde ihm gehören. Er würde seinen Spaß mit ihr haben.

2. KAPITEL

Natalia schloss die Tür hinter sich und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Es war nichts Konkretes. Sie hatte nur das beunruhigende Gefühl, sich mit allen Sinnen auf Giancarlo Cardinales Verführungskünste eingelassen zu haben.

Langsam ließ die Spannung nach. Trotzdem ging es Natalia nicht viel besser, wie sie sich eingestand, während sie ihr Büro durchquerte. Erschöpft setzte sie sich auf die Kante ihres Schreibtischs und bemühte sich, die Gedanken zu ordnen.

„Giancarlo Cardinale“, sagte sie laut vor sich hin. Sein Name klang erschreckend und verwirrend, zugleich aber auch aufregend und ausgesprochen verführerisch.

Du liebe Zeit, was ist mit mir los?, dachte sie und schloss die Augen. Doch sogleich stieg sein Bild vor ihr auf. Das dunkle Haar, die gebräunte Haut, die braunen Augen und sein durchdringender Blick fesselten sie ungemein, obwohl sie sich verzweifelt dagegen wehrte. Und seine sinnlichen Lippen schienen ihre wie magisch anzuziehen.

Rasch legte sie sich die Finger auf die Lippen. Aber das machte die Sache auch nicht besser, sondern eher schlimmer, denn plötzlich breitete sich eine verräterische Hitze in ihr aus. Der Mann war das reinste Gift für sie.

Schließlich öffnete sie die Augen wieder. Ja, es stimmte, Giancarlo Cardinale war wirklich Gift für sie. Sie durfte sich nicht mit ihm einlassen, auch wenn er die leidenschaftlichsten Gefühle in ihr wachrief. Sie befürchtete jedoch jetzt schon, dass sie früher oder später schwach werden würde.

Sie erbebte und bekam eine Gänsehaut. Giancarlo Cardinale, dieser große dunkelhaarige und so beunruhigend sexy wirkende Mann war ihr Gegner, und er hatte die Macht, sie zu vernichten. Und das würde er auch tun, falls er jemals die Wahrheit herausfand.

Warum war Edward einfach in Urlaub gefahren? Was, zum Teufel, dachte er sich dabei, sie ohne Vorwarnung in so eine Situation zu bringen?

Sie stand auf und ging ruhelos im Raum auf und ab. Dabei verschränkte sie die Arme und runzelte die Stirn. Das alles machte keinen Sinn. Edward war ihr Leben. Weshalb tat er ihr so etwas an?

Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie drehte sich um und hörte den Anrufbeantworter ab. Edward wäre bestimmt nicht abgeflogen, ohne ihr eine Nachricht oder Erklärung zu hinterlassen.

Zu ihrer Erleichterung hörte sie dann seine tiefe, ziemlich gehetzt klingende Stimme. „Natalia, Liebes, es gibt Neuigkeiten.“

In dem Moment öffnete Giancarlo Cardinale hinter ihr die Verbindungstür und blieb regungslos stehen.

„Ich habe wenig Zeit. Hör mir gut zu“, forderte Edward Knight sie auf. „Alegra und ich sind auf Barbados. Kannst du dir das vorstellen? Wir machen eine Kreuzfahrt. Giancarlo hat sie uns zur Silberhochzeit geschenkt. Er hat alles so perfekt organisiert und einen so engen Zeitplan aufgestellt, dass es nahezu unmöglich ist, dich anzurufen. Ich muss dich unbedingt warnen. Er kommt nach London und leitet die Firma während meiner Abwesenheit. Sei bitte vorsichtig, und pass auf, was du sagst und tust. Und verlieb dich nicht in ihn. Ich möchte sicher sein können, dass mein Mädchen noch gesund und munter ist, wenn ich zurückkomme.

Ich habe noch eine Bitte. Im Safe befindet sich ein ganz persönliches Dokument, du weißt schon, was ich meine. Es sollte nach Möglichkeit Giancarlo nicht in die Hände fallen. Du kennst die Kombination, Giancarlo leider auch. Ich habe sie ihm genannt, ohne nachzudenken. Nimm bitte alles Private heraus, und bewahr es bis zu meiner Rückkehr an einem sicheren Platz auf. Jetzt muss ich Schluss machen, Alegra blickt mich schon vorwurfsvoll an. Ich werde dich vermissen. Mach’s gut und bis bald.“

Giancarlo presste die Lippen zusammen, und sein Blick wurde hart. Leise machte er die Verbindungstür zu Edwards Büro wieder zu.

Natalia ging es jetzt auch nicht besser als zuvor. Edward hatte sie viel zu spät informiert und riskiert, dass ihr Geheimnis herauskam. Offenbar hatte er immer noch nicht mit seiner Frau gesprochen.

„Ach, verdammt.“ Sie seufzte. Wann würde er endlich begreifen, dass es nur Probleme gab, wenn man Geheimnisse vor den Menschen hatte, die man liebte?

Natürlich hatte er Gründe für die Heimlichtuerei. Alegra hatte im vergangenen Jahr schon genug gelitten. Es wäre für sie keine angenehme Überraschung gewesen, wenn ihr Mann sie zur Silberhochzeit mit dem dunklen Punkt seines Lebens konfrontiert hätte.

Aber wie komme ich jetzt noch an das Dokument im Safe?, überlegte Natalia. Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass Edward ihr geraten hatte, sich nicht in Giancarlo Cardinale zu verlieben.

Nein, verlieben würde sie sich nicht in ihn, doch vielleicht würde sie mit ihm ins Bett gehen. Diese Möglichkeit konnte sie jedenfalls nicht ausschließen.

Giancarlo saß an Edwards Schreibtisch und arbeitete am PC, als sie ihm den Kaffee brachte, frisch gemahlenen italienischen Kaffee, wie er es gewünscht hatte. Er sah nicht auf, und Natalia stellte ihm schweigend das Tablett hin.

Hinter ihm schien die Februarsonne hell zum Fenster hinein. Natalia blieb kurz stehen und betrachtete sein schwarzes Haar, das wie Seide glänzte. Dann ließ sie den Blick über seine breiten Schultern und Arme zu den langen Fingern mit den gepflegten Nägeln gleiten.

Ihr prickelte die Haut. Gibt es überhaupt etwas, was mir an ihm nicht gefällt?, überlegte sie hilflos. Am liebsten hätte sie mit den Fingern sein markantes Profil nachgezeichnet bis hinunter zu …

Nein, das muss aufhören, mahnte sie sich und ließ unvermittelt die Jalousie herunter.

„Ich mag die Sonne“, erklärte er so scharf, dass Natalia herumwirbelte und die Stirn runzelte. „Machen Sie die Jalousie wieder auf“, forderte er sie angespannt auf.

Sie tat es und schnitt dabei ein Gesicht. Sie konnte sich die frostige Atmosphäre, die auf einmal zwischen ihnen herrschte, nicht erklären. Na bitte, jetzt finde ich ihn schon nicht mehr so attraktiv, dachte sie. Bei dem scharfen Ton, den Giancarlo ihr gegenüber anschlug, vergingen ihr die erotischen Gefühle.

„Hat jemand angerufen oder eine Nachricht hinterlassen?“, fragte er schließlich.

Natalia blieb wie erstarrt stehen und wagte kaum zu atmen. „Nein“, erwiderte sie.

„Auch Edward nicht? Er hätte sich wenigstens erkundigen können, ob alles in Ordnung ist.“

Sie bekam Herzklopfen. „Nein, auch Edward nicht.“

Unvermittelt ließ er sich im Sessel zurücksinken, drehte sich zu ihr um und betrachtete sie prüfend. Natalia wurde nervös und konnte die innere Anspannung kaum noch ertragen. Giancarlo Cardinale kam ihr vor wie eine einzige Bedrohung.

„Sie würden mich doch informieren, wenn er anruft, oder?“

Ich komme mir vor wie bei einem Verhör, dachte sie. „Ja, natürlich“, versicherte sie ihm und bemühte sich verzweifelt, so kühl und beherrscht zu klingen, wie man es von der persönlichen Assistentin eines Geschäftsführers erwartete.

„Gut.“ Giancarlo lächelte. Es wirkte jedoch so unecht, dass Natalia fröstelte. Dann drehte er sich wieder um und arbeitete weiter.

Sie war froh, dass das Thema für ihn damit offenbar beendet war. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Lüge, die sie ihm aufgetischt hatte. Unsicher ging sie um den Schreibtisch herum und über den grauen Teppich, der sich vor ihr erstreckte wie ein minenverseuchter Ozean. Bei jedem Schritt befürchtete sie, ihre Lügen würden ihr von irgendwoher ins Gesicht geschleudert.

Sie verabscheute es, die Unwahrheit zu sagen. Dass sie jetzt dasselbe tat wie ihre Mutter, die sie beinah ihr ganzes Leben lang belogen hatte, konnte sich Natalia nicht verzeihen.

„Welche Nummer hat Howard Fiske?“, fragte Giancarlo auf einmal.

Ohne stehen zu bleiben, nannte Natalia sie ihm. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sie hatte nur noch den einen Wunsch, allein zu sein. Seine durchdringenden Blicke konnte sie nicht mehr ertragen.

„Kennen Sie auch die Kombination zu Edwards Safe?“

Sie sah ihn über die Schulter hinweg an und runzelte die Stirn. „Sie etwa nicht?“

„Edward hat mir die Zahlen aufgeschrieben“, antwortete er. „Aber ich habe den Zettel vergessen.“

Wie gut, dann kann ich das Dokument vielleicht doch noch unbemerkt herausnehmen, überlegte Natalia erleichtert.

„Es tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht helfen.“ Das war noch nicht einmal eine richtige Lüge, denn es tat ihr wirklich leid, dass sie ihm nicht helfen konnte.

„Vielleicht weiß Howard Bescheid“, sagte er leise.

„Ja, vielleicht“, stimmte sie zu, obwohl ihr klar war, dass Howard darüber nicht informiert war, und eilte hinaus, ehe Giancarlo noch mehr unangenehme Fragen stellen konnte.

Giancarlo Cardinale sah hinter ihr her. Er war nahe daran, in die Luft zu gehen. Diese verdammte kleine Hexe, dachte er zornig. Sie war eine Lügnerin und Betrügerin, wenn auch eine ungemein schöne.

„Sie werden noch bekommen, was Sie verdienen, Miss Deyton“, sagte er laut vor sich hin. „Schon bald, dafür werde ich sorgen.“

Er griff nach dem Telefon und wählte Howard Fiskes Nummer. Aber Howard kannte die Kombination auch nicht, was Giancarlo nicht überraschte. Jetzt konnte er nur noch eins tun: Er durfte Natalia nicht aus den Augen lassen und ihr keine Gelegenheit geben, an den Safe heranzukommen.

Mit Howard Fiske hatte er auch ein Problem. Nachdem er Giancarlo alles über Edwards Büroaffäre verraten hatte, was er wusste, hatte der Mann wohl erwartet, er würde Natalia sogleich hinauswerfen. Jetzt ärgerte sich dieser gemeine und hinterhältige Kerl offenbar, dass Giancarlo ganz anders reagierte.

Aber weshalb ist das für Howard überhaupt wichtig?, fragte Giancarlo sich plötzlich. Er stand auf und stellte sich ans Fenster. Interessierte er sich etwa auch für Natalia und war auf Edward eifersüchtig?

Giancarlo stellte sich vor, wie diese beiden Kerle mittleren Alters Natalia betatschten. Sogleich verkrampfte sich ihm der Magen.

Ärgerlich hob er die Hand und zog viel zu heftig an der Schnur der Jalousie. Prompt fiel sie wieder herunter, was er einfach ignorierte. Er ärgerte sich über Edward, Howard und sich selbst, weil sie alle dieselbe Frau begehrten.

Aber einen Konkurrenten hatte er schon ausgeschaltet. Jetzt musste er nur noch den anderen wegschicken. Er drehte sich um und telefonierte.

Zehn Minuten später fühlte er sich besser. Er hatte die Sache unter Kontrolle. Am nächsten Morgen würde Howard Fiske nach Mailand fliegen und sich zwei Wochen von Giancarlos Mitarbeitern über effektivere Arbeitsweisen belehren lassen müssen. Nach seiner Rückkehr würde Howard dann rasch begreifen, dass Natalia Deyton für ihn nicht mehr zu haben war.

Natalia hatte vergessen, Giancarlo die Akten zu bringen, die er hatte haben wollen. Sie lagen immer noch auf ihrem Schreibtisch.

Sie wollte diesen Mann nicht sehen und keine Fragen mehr beantworten müssen, die ihr unangenehm waren. In seiner Gegenwart kam sie sich vor wie auf einer Achterbahn. Erst weckte er die sinnlichsten Gefühle in ihr, und im nächsten Moment setzte er sie so sehr unter Druck, dass sie sich schuldig fühlte und in Panik geriet. Aus lauter Angst, das ganze Lügengebäude um sie her würde zusammenbrechen, wagte sie kaum zu atmen.

Plötzlich leuchtete der rote Knopf der Gegensprechanlage auf. „Wo bleiben die Akten, Miss Deyton?“, hörte Natalia ihren Peiniger kühl fragen.

Genauso kühl erklärte sie, dass sie sie sogleich bringen werde. Es müsste verboten sein, so eine sexy klingende Stimme zu haben, dachte sie. Dann atmete sie tief durch und ging mit den Ordnern unterm Arm durch die Verbindungstür, die ihr wie der Eingang zu einer Folterkammer vorkam.

Als Erstes fiel ihr auf, dass er die Jalousie wieder heruntergelassen hatte. Das Licht wirkte jetzt viel weicher, und es herrschte eine andere Atmosphäre.

Außerdem saß Giancarlo nicht am Schreibtisch, sondern auf Edwards hellgrauem Ledersofa am anderen Ende des Raums. Die Füße hatte er auf den niedrigen Couchtisch gelegt und den Kopf zurückgelehnt. Das Tablett, auf dem sie ihm den Kaffee serviert hatte, stand vor ihm. Er hatte die Augen geschlossen, die Krawatte abgelegt und die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet.

Will er sich etwa ganz ausziehen, ehe der Nachmittag zu Ende ist?, überlegte Natalia ironisch.

Sogleich malte sie sich in ihrer Fantasie aus, wie er nackt vor ihr auf dem Sofa lag mit den langen, muskulösen Beinen und seinem sonnengebräunten männlichen Körper. Und dann stellte sie sich sogar vor, wie Giancarlo sie ansehen würde, während er darauf wartete, dass sie sich nackt neben ihn legte.

O nein, ich glaube es nicht, dachte sie schockiert. Was hatte sie da für Fantasien?

„Kommen Sie, leisten Sie mir Gesellschaft“, forderte er sie leise auf.

Sie fuhr erschrocken zusammen. Prompt fiel der oberste Ordner auf den Boden, und einzelne Seiten flatterten auf den Teppich. Schnell bückte sie sich, stellte die anderen Ordner neben sich und fing an, alles wieder einzusammeln. Doch irgendwie schienen die Finger ihr nicht zu gehorchen.

Was ist eigentlich los mit mir?, überlegte sie und war froh, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Er durfte nicht ahnen, was in ihr vorging.

Warum musste ausgerechnet Giancarlo Cardinale ihre Fantasie so erregen wie kein anderer Mann zuvor?

„Lassen Sie mich das machen.“ Er hockte sich neben sie. Während sie den Blick über seine Oberschenkel gleiten ließ, breitete sich eine beinah unerträgliche Hitze in ihr aus. Rasch wandte sie sich ab und griff genau in dem Augenblick nach einem Blatt, als auch Giancarlo es aufheben wollte.

Bei der Berührung ihrer Hände fühlte Natalia sich wie elektrisiert, und sie hätte beinah das Gleichgewicht verloren. Sie rang nach Luft. Dann hob sie den Kopf und blickte Giancarlo seltsam hilflos an.

Stumm sahen sie sich an. Wie in schweigendem Einverständnis berührten ihre Hände sich immer noch.

Nein, das muss aufhören, es ist falsch und gefährlich und zu kompliziert, rief ihr eine innere Stimme zu.

Aber dieser Mann war unwiderstehlich. Er war aufregend verführerisch und viel zu attraktiv. Natalia beugte sich unwillkürlich zu ihm hinüber.

Plötzlich läutete das Telefon in Natalias Büro. Das ist meine Rettung, schoss es ihr durch den Kopf. Verlegen zog sie die Hand zurück und richtete sich auf. Dann eilte sie hinaus.

Der Anruf kam aus dem Ausland, und sie musste sich darauf konzentrieren. Als das Gespräch beendet war, ging sie zurück in Giancarlos Büro. Er hatte die Ordner aufgehoben, auf den Couchtisch gelegt und sich in einen davon vertieft.

„Setzen Sie sich“, forderte er sie auf. Seine Stimme klang so normal, als wäre nichts geschehen.

Unsicher durchquerte sie den Raum und ließ sich Giancarlo gegenüber auf das Sofa sinken.

„Nein, nicht dahin. Hier neben mich, dann können wir die Sachen zusammen durchsehen.“

Zusammen, wiederholte sie insgeheim. Was für ein viel sagendes Wort. Während sie aufstand und sich steif neben ihn setzte, wünschte sie, der Mann wäre alt und hässlich.

„Kaffee?“, fragte er.

„Nein, ich trinke keinen“, erwiderte sie.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Wie bitte? Nie?“

„Nur manchmal nach dem Essen.“ Sie zuckte die Schultern.

„Dann sind Sie wohl eine Teetrinkerin.“ Er blätterte die Seite um.

„Ich trinke am liebsten Mineralwasser, wenn Sie es unbedingt wissen müssen“, erklärte Natalia.

„O, dann sind Sie eine anspruchslose Frau.“

„Ja“, bekräftigte sie energisch.

„Können Sie mir sagen, warum diese Firma hier ein Vermarktungsunternehmen eingeschaltet hat? Die Produkte verkaufen sich doch von selbst.“ Seine Stimme klang jetzt sachlich und geschäftsmäßig.

Natalia erkannte das Firmenlogo und lächelte wehmütig. „Geoffrey Fillen und Edward sind zusammen in die Schule gegangen.“

„Ah ja, alte Schulfreundschaften.“ Giancarlo lächelte verständnisvoll. „Da kann Edward sich freuen. Ist es mit dieser Firma hier dasselbe?“ Er wies auf einen anderen Ordner.

Danach wurde ihm immer klarer, wie Edward sein Unternehmen aufgebaut hatte, und er erklärte es Natalia genau. Fasziniert hörte sie Giancarlo zu. Sie fing an zu begreifen, warum er ein so erfolgreicher Geschäftsmann war. Er hatte einen scharfen, wachen Verstand, war ungemein intelligent und durchschaute die Zusammenhänge unglaublich rasch.

Am Telefon drückte er sich klar und eindeutig aus. Er hatte alles unter Kontrolle, auch während seiner Abwesenheit. Er war der Kopf der Cardinale Group.

Als er sich später mit seiner Sekretärin unterhielt, fiel Natalia auf, wie weich die italienische Sprache klang. Sie entspannte sich etwas, und ein Gefühl von Wärme breitete sich in ihr aus.

O nein, nicht schon wieder, mahnte sie sich und konzentrierte sich auf die Notizen, die sie sich gemacht hatte. Nachdem das Gespräch beendet war, läutete das Telefon sogleich wieder. Mühelos wechselte er von der italienischen Sprache in die englische. Seine Dynamik war wirklich beeindruckend. Als er sich wieder neben Natalia setzte, bemühte sie sich, das Kribbeln im Bauch zu ignorieren.

Obwohl es schon nach fünf war, war Giancarlo noch voller Energie und Schwung, während Natalia etwas erschöpft war. Als sie um kurz nach sechs auf dem Teppich neben dem Couchtisch kniete und die einzelnen Seiten einsortierte, die er aus den Ordnern genommen hatte, läutete das Telefon wieder.

Dieses Mal klang seine Stimme ganz anders als zuvor, viel wärmer, intimer und irgendwie sinnlich. Natalia war klar, dass er sich mit seiner Freundin unterhielt. Auf einmal empfand sie eine seltsame Leere. Warum war sie nie auf die Idee gekommen, er könne eine Partnerin haben?

Okay, das war’s dann, sagte sie sich. Es war sogar gut, dass er eine Freundin oder Geliebte hatte, das erleichterte die Sache. Nein, nichts ist gut, ich mache mir ja nur etwas vor und bin schrecklich eifersüchtig, gestand sie sich schließlich ein.

Rasch und viel zu heftig beförderte sie den letzten Ordner auf die anderen. Erstaunt sah Giancarlo sie an. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Zornig sprang sie auf und wollte hinauseilen.

„Gehen Sie schon?“, fragte er samtweich. Er stand an Edwards Schreibtisch und hielt die Hand auf die Sprechmuschel, während es in seinen Augen rätselhaft aufblitzte.

Für Natalias Geschmack wirkte er viel zu erregt. Konnte er nicht warten, bis er allein war, ehe er so ein intimes Gespräch führte? Er wagte es sogar, sie ungeniert und bewundernd zu betrachten, obwohl seine Freundin am anderen Ende der Leitung auf ihn wartete.

„Es ist schon spät, falls Sie es nicht bemerkt haben“, stieß sie hervor. „Wir sind sowieso fertig. Ich lasse die Ordner hier liegen.“

Dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich. Natalia konnte nicht ahnen, dass Giancarlo sogleich den Hörer auflegte und triumphierend lächelte.

Giancarlo war mit sich zufrieden. Natalia interessierte sich offenbar für ihn. Plötzlich musste er lachen. Serena, die Frau seines besten Freundes, hatte ihm scherzhaft gedroht, sie würde Fredo verraten, wie verführerisch und intim er, Giancarlo, sich mit ihr unterhalten habe.

Wenig später klingelte das Telefon schon wieder.

„Fredo, in der Liebe ist alles erlaubt“, sagte Giancarlo sogleich, ehe sein Freund sich überhaupt gemeldet hatte. „Und damit keine Missverständnisse entstehen: Mein Gesäusel von vorhin hat nichts mit deiner schönen Frau zu tun.“

3. KAPITEL

„Hallo, Miss Deyton“, begrüßte Giancarlo sie am nächsten Morgen betont munter, als er hereinkam. „Hoffentlich hatten Sie einen angenehmen Abend.“

Nein, das hatte ich nicht, im Gegensatz zu Ihnen, dachte Natalia, denn er wirkte ausgesprochen zufrieden, ausgeglichen und aktiv. Offenbar war er voller Tatendrang.

Die Nacht mit seiner Freundin hatte anscheinend seine Kräfte mobilisiert. In dem seidig glänzenden grauen Anzug und dem farblich darauf abgestimmten Hemd und der dazu passenden Krawatte sah er ungemein attraktiv aus.

Natalia hingegen fühlte sich sehr erschöpft. Den Abend und die ganze Nacht hatte sie heftige Kämpfe mit sich ausgefochten. Es gefiel ihr nicht, dass sie ihn belogen hatte, und sie war beunruhigt über ihre Zuneigung zu ihm und über die erotischen Gedanken. Immer wieder hatte sie sich vorgestellt, in den Armen dieses Mannes zu liegen, der ein ungemein geschickter Liebhaber zu sein schien.

„Eine Miss Delucca hat gerade angerufen“, erklärte sie kühl. „Sie hat sich darüber beschwert, Sie seien heute Morgen weggegangen, ohne sich zu verabschieden.“

„Ah ja, das war Serena“, sagte er leise und lächelte. „Ich entschuldige mich später bei ihr. Zuerst müssen wir einiges erledigen, was …“ Plötzlich unterbrach er sich und versteifte sich etwas. „Wie lange sind Sie schon hier?“, fragte er.

„Ungefähr fünf Minuten“, erwiderte sie. Sie hatte es gerade noch geschafft, das Dokument, von dem Edward gesprochen hatte, aus dem Safe zu nehmen. Obwohl sie eine halbe Stunde vor Beginn der normalen Arbeitszeit hier gewesen war, hätte Giancarlo sie beinah noch dabei ertappt. Aber das ahnte er natürlich nicht, denn sie hatte immer noch den Mantel an, sodass Giancarlo annehmen musste, sie sei kurz vor ihm gekommen.

„Haben Sie ein Problem damit, Mr. Cardinale?“

Giancarlo antwortete nicht. Stattdessen blickte er mit finsterer Miene vor sich hin. „Ziehen Sie den Mantel aus, und kommen Sie in mein Büro“, forderte er sie schroff und unfreundlich auf.

„Ja, Sir“, erwiderte sie betont frostig.

Undeutlich sagte er etwas vor sich hin, während er die Tür hinter sich zuschlug.

Natalia schnitt ein Gesicht und zog langsam den langen beigebraunen Kaschmirmantel aus. Dann strich sie sorgfältig den langen Rock des eleganten dunklen Kostüms glatt, das sie an diesem Morgen extra deswegen angezogen hatte, weil es streng und geschäftsmäßig wirkte. Das Haar hatte sie hochgesteckt und Make-up so dezent aufgetragen, dass man es kaum wahrnahm.

Sie konnte sich nicht vorstellen, in dem Outfit Giancarlos Fantasie anzuregen. Aber da täuschte sie sich.

Als Natalia in Giancarlos Büro kam, bemerkte er sogleich, dass ihr Haar wie Kupfer glänzte und ihre Haut wie Perlmutt schimmerte. Und sie bewegte sich ungemein graziös und verführerisch. Der Blick, den sie ihm zuwarf, wirkte jedoch kalt wie Eis.

Die Frau ist nicht von dieser Welt, überlegte er. Sie war Feuer und Eis zugleich und gefährlich betörend. Sie weckte in ihm das primitive Verlangen, sie an sich zu reißen und sie bis zur Bewusstlosigkeit zu küssen.

„Wir ziehen um“, verkündete er spontan und hatte selbst noch keine Ahnung, wohin und wie das funktionieren sollte. Aber er musste unbedingt verhindern, dass sie an Edwards Safe gelangte. Dass sie vor ihm ins Büro gekommen war, hätte ihm beinah den ganzen Tag verdorben. Den Zettel mit der Kombination für den Safe, den Edward ihm gegeben hatte, konnte er nicht mehr finden. Giancarlo wollte aber nicht sechs Wochen lang auf Natalia aufpassen müssen. Die einfachste Lösung war deshalb, dass er sie weit genug wegbrachte.

„Wie bitte?“, stieß Natalia irritiert hervor.

Er freute sich über ihren Schock. Ihre hochmütige und eisige Miene verschwand, und ihre leicht geöffneten Lippen wirkten viel zu verführerisch.

„Ich kann hier nicht arbeiten“, improvisierte er. „Es ist zu kompliziert, dieses Unternehmen und mein eigenes von hier aus zu leiten. Sie haben ja selbst erlebt, wie viel Zeit ich gestern am Telefon verbracht habe, obwohl ich mich strikt darauf hatte konzentrieren wollen, genau herauszufinden, was hier nicht in Ordnung ist.“ Er klopfte mit den Fingern auf Edwards Schreibtisch, wie um seinen Standpunkt zu bekräftigen.

„Was ist denn nicht in Ordnung?“, fragte sie alarmiert.

„Alles“, antwortete er. Sie hat keinen Lippenstift aufgetragen, dachte er. Wusste sie etwa, dass er den Geschmack von Lippenstift nicht ausstehen konnte? „Schon das Wenige, was ich gestern aus den Akten erkennen konnte, bestätigt mir, dass die Firma in großen Schwierigkeiten steckt. Man hat die Geschäftsräume modernisiert und renoviert, aber das Geschäftsgebaren ist geradezu archaisch. Deshalb muss ich hier einiges ändern.“

„Das ist unmöglich!“, protestierte Natalia. „Sie können sich nicht in Edwards Angelegenheiten einmischen.“

„Doch, Miss Deyton, das kann ich“, entgegnete er scharf. „Falls Sie es vergessen haben: Ich besitze die Aktienmehrheit. Das Geld, das ich voriges Jahr in diese Firma gesteckt habe, war mit der Auflage verbunden, sie komplett zu modernisieren. Edward hat jedoch nur das Gebäude von innen und außen renovieren lassen, die Strukturen sind leider immer noch dieselben.“

„Sein Sohn ist gestorben …“

„Das weiß ich“, unterbrach Giancarlo sie. Seine Miene wurde hart. Edward hatte sich über den Tod seines Sohnes mit dieser Frau hinweggetröstet, statt seine Energie auf die so wichtige Umgestaltung des Unternehmens zu konzentrieren. Die Umsätze stagnierten, während Edward sich mit seiner Geliebten von seinem Kummer ablenkte.

„Schmerz und persönliches Leid sind keine Entschuldigungen für veraltete Geschäftspraktiken“, erklärte er zornig und mitleidlos.

„Und was haben Sie vor?“, fragte sie und sah ihn feindselig an.

Wenn Blicke töten könnten, dachte er. „Ich werde mein Expertenteam kommen lassen.“ Er sah auf die Uhr und überlegte, ob sich die Sache so kurzfristig durchziehen ließe, wie er es sich wünschte. „Die Leute treffen heute Nachmittag ein und werden das Personal sechs Wochen lang schulen, damit es mit den Anforderungen zurechtkommt, die heutzutage gestellt werden. Howard Fiske ist schon informiert“, fügte er hinzu. Seine spontane Entscheidung, diesen Mann für einige Zeit wegzuschicken, passte gut in das neue Konzept. „Er sitzt bereits im Flieger nach Mailand, um dort das nötige Know-how zu lernen. Ich habe bestimmte Erwartungen an meine Mitarbeiter, und die müssen erfüllt werden.“

„Ich dachte, Sie seien Sizilianer“, murmelte Natalia.

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Sie sprachen gerade von Mailand.“ Betont gleichgültig zuckte sie die Schultern, gestand sich jedoch ein, dass sie selbst nicht verstand, warum sie so eine dumme Bemerkung gemacht hatte. „Ich habe angenommen, Sie lebten und arbeiteten auf Sizilien. Edward hat erwähnt …“ Sie unterbrach sich, als sie seine finstere Miene bemerkte.

„Was hat Edward erwähnt?“, fragte er gereizt.

Wieder zuckte sie die Schultern. „Irgendwann hat er mal von Ihrem Haus in Trápani gesprochen, glaube ich“, erwiderte sie ausweichend. „Ich hatte den Eindruck, es sei sehr schön.“

„Edward und Sie scheinen sehr intime Gespräche zu führen“, stellte Giancarlo fest. Seine Stimme klang kühl. Dass sie und Edward sich über ihn unterhielten, gefiel ihm überhaupt nicht.

Natalia ärgerte sich über ihre Dummheit. Es tat ihr leid, Giancarlo gegenüber eine Grenze überschritten zu haben.

Obwohl sie spürte, dass er über dieses Thema nicht reden wollte, hatte sie das Gefühl, etwas erklären zu müssen. „Edward hat seinen Sohn sehr vermisst, und er schien jemanden zu brauchen, mit dem er über ihn sprechen konnte. Deshalb habe ich ihm zugehört. Marco hat wohl viel Zeit bei Ihnen auf Sizilien verbracht. In dem Zusammenhang hat Edward Ihr Haus erwähnt.“ Ihre Stimme klang sanft.

Giancarlo wandte den Blick ab. Sie befürchtete, durch ihre Worte alte Wunden wieder aufgerissen zu haben, und ging spontan auf ihn zu.

„Glauben Sie mir, er hat nichts Persönliches über Sie gesagt“, versicherte sie ihm.

Er lächelte verbittert. „Ich war zehn, als Edward und Alegra geheiratet haben. Zwei Jahre später wurde Marco geboren. Er war für mich wie ein Bruder. Nach seinem plötzlichen Tod voriges Jahr war ich sehr erschüttert. Ich bin seitdem nicht mehr auf Sizilien gewesen. Alegra verfiel in Depressionen, während Edward …“ Er zögerte kurz. „Edward hat Mittel und Wege gefunden, sich abzulenken“, stieß er dann hervor. „Genau deshalb hat er auch die Firma so vernachlässigt. Das muss jetzt anders werden“, fügte er energisch hinzu. „Als Erstes wird mein Expertenteam die Leute hier auf Vordermann bringen, während Edward endlich seine nicht mehr ganz so harmonische Ehe in Ordnung bringen kann.“

Der letzte Satz klingt wie eine Drohung, dachte Natalia verständnislos. Edward hatte ihr erzählt, was damals passiert war. Marco war bei Giancarlo auf Sizilien gewesen, als der tragische Unfall passierte. Ohne Giancarlos Einverständnis und ohne sein Wissen hatte Marco den Ferrari heimlich für eine Spritztour benutzt. Dann hatte er die Kontrolle über den schnellen Wagen verloren und war bei dem Zusammenstoß mit einem anderen Auto ums Leben gekommen.

Seine Familie war zutiefst erschüttert gewesen. Nach der Beerdigung auf Sizilien war Giancarlo aufs Festland geflogen und wochenlang untergetaucht. Niemand hatte gewusst, wo er sich aufhielt. Alegra hatte sich aus Schmerz und Kummer völlig zurückgezogen und niemanden mehr an sich herangelassen.

Der Tod seines Sohnes hatte Edward genauso getroffen wie alle anderen. Aber er hatte sie, Natalia, gefunden, und das war für ihn ein gewisser Trost.

„Es gibt noch nicht einmal ein Foto von Marco in Edwards Büro“, stellte Giancarlo verächtlich fest.

„Er hat es in den Safe gelegt, weil er den Anblick nicht mehr ertragen konnte“, erwiderte sie.

Als das Telefon läutete, war Giancarlo froh über die Ablenkung. Dann brauchte er wenigstens nicht mehr darüber nachzudenken, was für wichtige Unterlagen in dem Safe liegen mochten. Zum Teufel mit Natalia Deyton, dachte er und griff nach dem Hörer. Und zum Teufel mit der Idee, diese Frau zu verführen. Er hatte genug von ihr und wollte sie nicht mehr sehen.

Während Giancarlo sich mit dem Anrufer, einem seiner Direktoren aus Mailand, unterhielt, wollte Natalia den Raum verlassen.

„Bleiben Sie hier“, forderte er sie jedoch auf.

Sie blieb stehen und warf ihm über die Schulter einen fragenden Blick zu. Sie wirkte seltsam traurig, und man merkte ihr an, wie sehr das Thema von vorhin sie bedrückte.

Hatte sie Edward auch so angesehen, als er mit ihr über seinen Kummer und Schmerz sprach? Wenn ja, dann wunderte Giancarlo sich nicht, wie gern Edward sich von ihr hatte trösten lassen, denn offenbar fühlte er sich genauso zu dieser Frau hingezogen wie sein Schwager.

Aber ich will mich nur rächen, weil sie den Mann meiner Schwester verführt und sie noch unglücklicher gemacht hat, als sie nach Marcos Tod sowieso schon war, mahnte er sich sogleich. O ja, er würde Natalia aus Rache verführen, aus keinem anderen Grund. Plötzlich ging es ihm wieder besser. Das Spiel konnte weitergehen. Er ließ sich in den Sessel sinken, redete mit seinem Mitarbeiter und forderte Natalia mit einer Handbewegung auf, sich in den anderen Sessel zu setzen.

Sie blieb jedoch stehen, was ihn nicht überraschte. Sie suchte wohl Streit mit ihm.

Die Vorstellung gefiel ihm. Es machte die ganze Sache spannender, und seine Stimmung hellte sich zusehends auf. Ehe dieser Tag zu Ende war, würde er wissen, wie sich ihre Lippen anfühlten.

„Okay, das ist erledigt“, sagte er auf Englisch und legte den Hörer auf. „Meine Leute werden heute Nachmittag hier eintreffen. Sie müssen mich jetzt durch alle Abteilungen führen, damit ich weiß, wer was macht.“

„Ich bin immer noch der Meinung, Sie sollten es mit Edward abstimmen“, wandte Natalia ein.

„Ihren Einwand nehme ich zur Kenntnis“, antwortete er kühl und blickte auf die Uhr. Dann stand er auf. „Wir müssen anfangen, es gibt noch viel zu tun bis zum Essen. Mit etwas Glück können wir uns heute Nachmittag die neuen Räume ansehen.“

„Wir?“, fragte Natalia prompt. „Was habe ich damit zu tun, dass Sie ein anderes Büro haben wollen?“

„Sie werden mit mir umziehen. Ich dachte, das sei klar.“ Er zuckte die Schultern.

„Aber ich werde hier gebraucht!“, protestierte sie. „Edward …“

„Ich entscheide, wo Sie arbeiten, Miss Deyton“, unterbrach er sie schroff. „Oder glauben Sie, ich würde etwas tun, was der Firma schadet?“

Sie kam sich ziemlich lächerlich vor. „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Aber Sie sind noch keine vierundzwanzig Stunden hier und fangen schon an, alles auf den Kopf zu stellen.“

Er seufzte, so kam er nicht weiter. „Ich tue Edward einen großen Gefallen“, fuhr er versöhnlicher fort, „wenn ich während seiner Abwesenheit hier einiges in Ordnung bringe. Um in der kurzen Zeit so viel wie möglich zu erreichen, bin ich auf Ihre Unterstützung angewiesen. Edward zuliebe sollten Sie mir helfen.“

Ihr Widerstand ließ nach. „Gut“, antwortete Natalia und runzelte die Stirn. „Was kann ich tun?“

„Ich brauche jemanden, dem ich bedingungslos vertrauen kann. Und da Edward Ihnen offenbar vertraut, tue ich es auch“, erklärte er und beobachtete ihre Reaktion auf die sorgfältig gewählten Worte. Es funktionierte. Er hatte sie da, wo er sie haben wollte, das spürte er deutlich. „Während meine Leute hier das Unterste zuoberst kehren, suchen wir uns andere Räume, damit sie sich von mir nicht beobachtet fühlen.“

„Und was ist mit meinem Trainingsprogramm?“, versuchte sie, die Stimmung aufzulockern.

In seinen Augen blitzte es rätselhaft auf. „Meinen Sie, ich sei nicht in der Lage, Ihnen etwas Neues beizubringen?“ Seine Stimme klang seidenweich. Auf einmal war er nicht mehr der kühle, clevere Geschäftsmann, sondern wieder der ungemein geschickte Verführer. Ihr kribbelte die Haut unter seinem prüfenden Blick.

„Kommen Sie mit“, forderte er sie auf und ging lächelnd zur Tür.

Natalia folgte ihm. Sie hatte auch gar keine andere Wahl. In dem Moment läutete das Telefon in ihrem Büro. Rasch meldete sie sich und reichte zehn Sekunden später Giancarlo den Hörer.

„Es ist dieselbe Frau wie vorhin“, verkündete sie kühl.

Sein spöttisches Lächeln verwandelte sich sogleich in ein liebevolles. „Buon giorno, mia bella amore …“, begrüßte er seine Gesprächspartnerin überschwänglich.

Das reichte Natalia. Mehr wollte sie nicht hören. Sie verließ den Raum und eilte zu den Damentoiletten. Vor dem Spiegel blieb sie einige Minuten stehen und bemühte sich, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich ging sie zurück und sah, dass Giancarlo etwas auf einen Zettel schrieb. Das Gespräch war offenbar beendet.

Wahrscheinlich hat er sich mit der Frau verabredet, überlegte sie leicht gereizt und beobachtete, wie er den Zettel faltete und in die Jackentasche steckte.

„Okay, wir wollten einen Rundgang durch die Firma machen“, sagte er.

Sie blieb eigensinnig stehen. Kurz entschlossen umfasste er ihre Taille, drehte Natalia um und zwang sie, mit ihm zu gehen. Sie vergaß beinah zu atmen. Diese Hand, diese Hand, das war alles, was sie noch denken konnte.

„Wo fangen wir an?“, fragte er betont unschuldig.

Natalia hätte schreien können. Ihr war klar, dass er genau wusste, welche Reaktionen er in ihr auslöste. „Am besten in der Buchhaltung“, erwiderte sie und war selbst überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang.

„Ah ja, noch etwas“, sagte er, während er sie an die Wand drückte und sich dicht vor Natalia stellte, „das ist eine heikle Situation.“ In mehr als einer Hinsicht, schoss es ihr durch den Kopf. Sie unterbrach Giancarlo jedoch nicht. „Deshalb ist es wichtig, dass wir beide uns einig sind, wenn wir den Mitarbeitern erklären, was sie erwartet. Wir sollten entspannt wirken und keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass es für sie und die Firma das einzig Richtige ist. Dann arbeiten sie vielleicht mit meinen Leuten zusammen, statt ihnen Steine in den Weg zu legen. Verstehen Sie, was ich meine?“

Natalia nickte und wünschte, er würde einige Schritte zurücktreten. „Ja“, antwortete sie.

„Gut.“ Er ließ sie los.

Zwei Stunden lang führte sie ihn durch die Abteilungen und stellte ihm jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin einzeln vor. Er bezauberte alle durch seinen unwiderstehlichen Charme. Und es gelang ihm mühelos, die Leute zum Reden zu bringen. Am Ende war Natalia geradezu schockiert, wie viele der Angestellten sehnlichst auf die Änderungen zu warten schienen, die Giancarlo jetzt herbeiführen wollte.

„Okay, lassen Sie uns woanders hingehen“, sagte er schließlich und eilte ihr voraus durch den Empfangsbereich.

Er ist ärgerlich, dachte sie und konnte es auch verstehen nach den vielen Beschwerden, die er sich hatte anhören müssen.

Sie verließen das Gebäude, und er winkte ein Taxi herbei.

Der arme Edward, er weiß gar nicht, wie schlecht die Stimmung unter seinen Mitarbeitern ist, überlegte Natalia, während sie vor Giancarlo in den Wagen stieg. Sie war inzwischen überzeugt, dass die notwendigen Änderungen während Edwards Abwesenheit veranlasst werden mussten.

„Es ist alles noch viel schlimmer, als ich befürchtet habe“, stellte Giancarlo nach längerem Schweigen fest.

„Ja, ich weiß“, stimmte sie zu.

„Wie lange ist Ihnen das schon bekannt?“

Sie zuckte die Schultern und zögerte. „Erwarten Sie bitte nicht von mir, dass ich Edward kritisiere“, erwiderte sie dann und blickte zum Fenster hinaus.

„Finden Sie es etwa gut, dass er seine eigene Firma heruntergewirtschaftet hat?“, fragte er sarkastisch.

Natalia schwieg. Was hätte sie auch zu Edwards Verteidigung vorbringen können? Es war schon erstaunlich, in welch kurzer Zeit Edward zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden war. Vor sechs Monaten hatte sie von seiner Existenz noch nichts gewusst. Damals war sie ganz allein und sehr traurig gewesen, die Zukunft hatte für sie grau und trüb ausgesehen. Und dann hatte sich auf einmal alles geändert. Sie hatten beide noch nicht so recht glauben können, dass sie zusammengehörten.

Schweigend fuhren sie weiter.

Das Restaurant, in das Giancarlo sie führte, war bekannt für seine gute italienische Küche. Der Besitzer höchstpersönlich begleitete sie zu einem reservierten Tisch. Giancarlo setzte sich Natalia gegenüber. Wenig später wurde ihnen die Speisekarte gereicht, und man stellte eine Flasche Mineralwasser auf den Tisch. Offenbar hatte er gut zugehört, als Natalia am Tag zuvor erwähnt hatte, was sie am liebsten trank.

Nachdem er sich kurz mit dem Besitzer unterhalten hatte, verschwand der Mann wieder. Giancarlo seufzte. „Er ist auch Sizilianer. Wir kommen aus demselben Ort.“ Er warf einen leicht spöttischen Blick auf die Speisekarte. „Wir brauchen uns nichts auszusuchen. Ich nehme an, man wird uns sowieso mit dem Besten verwöhnen, was die sizilianische Küche zu bieten hat.“

„Hm, kann ich mich darauf freuen?“, fragte sie neugierig.

„Na ja, Edward ist davon nicht begeistert“, antwortete er und spürte förmlich, wie sie sich sogleich wieder hinter die unsichtbare Mauer zurückzog.

Giancarlo hatte es kommen sehen. Er lehnte sich zurück und seufzte. „Ihre Loyalität Edward gegenüber ehrt Sie sehr, Miss Deyton. Aber haben Sie nie darüber nachgedacht, dass sie in diesem Fall vielleicht unangebracht sein könnte?“

„Sie mögen ihn nicht, ich habe ihn jedoch sehr gern. Das nennt man einen Interessenkonflikt. Wir können einander in dieser Hinsicht nicht trauen.“

„Falsch“, entgegnete er. „Ich mag Edward sehr. Aber es gefällt mir nicht, dass er offenbar entschlossen ist, alles zu zerstören, was ihm einmal lieb und teuer war.“

„So reagieren manche Menschen auf Schmerz und Kummer.“ Natalia ahnte nicht, dass Giancarlo nicht nur von Edwards Firma redete.

„Sprechen Sie aus Erfahrung?“ Er bemerkte den Schatten, der über ihr Gesicht huschte.

„Meine Mutter ist vor vierzehn Monaten gestorben“, gab sie zu, ohne ihn anzusehen. „Genauso überraschend und unerwartet wie Marco. Sie wissen ja selbst, wie sehr man dann leidet.“

„Aber ich habe deshalb nie meine Pflichten vernachlässigt“, erklärte er verbittert.

Im Gegensatz zu mir, Edward und Alegra, überlegte sie und griff nach der Flasche Mineralwasser, um sich abzulenken.

„Was ist mit Ihrem Vater?“, fragte Giancarlo. Was würde er dazu sagen, wenn er wüsste, dass seine fünfundzwanzigjährige Tochter ein Verhältnis mit einem Mann hatte, der doppelt so alt war wie sie?

Natalia wurde blass. „Meine Mutter war nicht verheiratet.“

Er wollte ihr helfen und griff auch nach der Mineralwasserflasche. Dabei berührte er versehentlich ihre Hand, die sie schnell zurückzog. Hoffentlich stellt er mir keine weiteren Fragen über meine Eltern, dachte sie, während sie ihm zusah, wie er das Wasser einschenkte.

Und das tat er dann auch nicht. Er hatte begriffen, dass sie ihren Vater nicht kannte, was sie ihm auf höfliche Art zu verstehen gegeben hatte. Hatte sie etwa nach dem Tod ihrer Mutter Trost gebraucht und sich deshalb Edward zugewandt? Sah sie in ihm so etwas wie einen Vaterersatz?

Das wäre durchaus möglich und auch verzeihlich. Aber darüber wollte Giancarlo nicht nachdenken. Es würde ihn nur von seinem Plan abbringen, den er aus mehreren Gründen unbedingt durchführen wollte. So ganz gefiel ihm die Sache jedoch nicht. Er nahm das Weinglas und trank einen kräftigen Schluck. Plötzlich verzog er das Gesicht. Er hatte ganz vergessen, dass nur Mineralwasser darin war.

Natalia musste lachen. „Sie brauchen nicht dasselbe zu trinken wie ich“, sagte sie sanft.

„Ich wollte Sie beeindrucken, und Sie lachen mich einfach aus“, beschwerte er sich.

„Mich braucht niemand zu beeindrucken“, erwiderte sie und lächelte immer noch.

„O doch“, entgegnete er. Sogleich zog sie sich wieder zurück, wie immer, wenn sie das Gefühl hatte, sich ihm zu sehr geöffnet zu haben.

Natalia Deyton wird mir gehören, egal, wie ich es erreiche, schwor er sich.

4. KAPITEL

Giancarlo Cardinale ist zu charismatisch, ich muss auf der Hut sein, mahnte Natalia sich während des Essens.

Er unterhielt sich mit ihr über alle möglichen Themen. Offenbar wollte er die gespannte Atmosphäre auflockern. Es fiel Natalia schwer, sich seiner Faszination zu entziehen. Sie war viel zu sehr von ihm gefesselt, auch ohne dass er sie mit seiner ruhigen, tiefen und sinnlich klingenden Stimme einzuhüllen schien, als wäre er ein Hypnotiseur, der sie in Trance versetzen wollte.

Sie wandte den Blick nicht von ihm ab. Nichts entging ihr, nicht die Art, wie er sich zurücklehnte, auch nicht, wie er aß und die halbe Flasche Weißwein leerte, die er sich bestellt hatte.

„Möchten Sie ihn wirklich nicht probieren?“, fragte er und wies auf den Wein.

Natalia schüttelte den Kopf. Sie schob den leeren Teller weg, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und hielt ihr Glas in der Hand. Ihre Augen schienen dunkler geworden zu sein, aber sie war sich dessen nicht bewusst, und sie wirkte insgesamt weicher, beinah ätherisch. Wieder hatte Giancarlo das Gefühl, sie sei nicht von dieser Welt.

Sie war jung, schön und sexy, eine Aura von Unschuld schien sie zu umgeben. Und genau das störte ihn, weil es ihm bewies, was für eine gute Schauspielerin sie war.

„Ein Schluck Wein wird ihre Reaktionsfähigkeit sicher nicht beeinträchtigen“, hörte Giancarlo sich sagen. Er war irritiert und verstand einfach nicht, warum er diese Frau so sehr begehrte.

„Nach Alkohol werde ich müde und schlafe ein.“ Sie zuckte die Schultern.

„Aber gestern haben Sie nach dem Essen Champagner getrunken und sind trotzdem nicht eingeschlafen“, erinnerte er sie.

„Ich habe nur daran genippt, genau wie alle anderen“, erklärte sie.

„Der junge Mann, der sich so angeregt mit Ihnen unterhalten hat, hat den Champagner geradezu hinuntergestürzt.“

„Das ist nicht mein Problem.“ Natalia war nicht bereit, auf die Anspielung einzugehen.

Giancarlo lächelte. „Er war ganz verrückt nach Ihnen“, fügte er sanft hinzu. „Mit dem Champagner hat er sich abgelenkt, sonst hätte er sich sicher nicht beherrschen können und sie betatscht.“

In ihren blauen Augen blitzte es ärgerlich auf. „Wenn Sie schon so genau hingesehen haben, dann ist Ihnen sicher auch aufgefallen, dass ich ihn keineswegs ermutigt habe“, entgegnete sie.

„Mit dem Gesicht und der Figur, Miss Deyton, brauchen Sie einen Mann nicht noch extra zu ermutigen. Die Männer laufen sowieso hinter Ihnen her“, antwortete er spöttisch.

„Ihre Meinung überrascht mich nicht, ich weiß ja, wie zynisch Sie sind, Mr. Cardinale.“

„Giancarlo“, sagte er. „Meine Freunde nennen mich Giancarlo.“

Dann beobachtete er, wie sie sich aufrichtete und das Glas behutsam hinstellte. Sie hat eine ausgesprochen intensive Körpersprache, überlegte er.

„Ich bin Ihre Mitarbeiterin und nicht Ihre Freundin“, erklärte sie und blickte auf ihre goldene Armbanduhr.

Offenbar wollte sie sich wieder hinter ihre unsichtbare Mauer zurückziehen. Er wurde ganz mutig und legte seine Hand auf ihre. Sekundenlang zitterten ihre Finger, doch dann lagen sie völlig still unter seinen.

„Von jetzt an nennen Sie mich Giancarlo, und ich werde Sie Natalia nennen. Verstehen Sie, was ich damit ausdrücken will?“

Ja, sie hatte ihn verstanden, das war ihm klar. Sie würde es jedoch wahrscheinlich nie zugeben. Deshalb fügte er hinzu: „Ich scheue keine Anstrengung, die Frau zu bekommen, die ich haben möchte. Ich erreiche mein Ziel immer. Eines Tages werden Sie mich genauso begehren wie ich Sie.“

Röte stieg ihr in die Wangen. Giancarlo wartete gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde.

„Auf den Tag können Sie lange warten“, stieß sie hervor. Dann zog sie ihre Hand zurück und stand auf.

Giancarlo ließ sie gehen. Natalia glaubte seinen spöttischen Blick im Rücken zu spüren, als sie angespannt zwischen den Tischen hindurch zum Ausgang eilte.

Draußen blieb sie stehen und atmete die kühle Februarluft tief ein. Ihre Wangen schienen zu glühen, doch ihre Haut fühlte sich so kalt wie Eis an. Das war kein Wunder, denn sie hatte noch nicht einmal ihren Mantel mitgenommen. Dazu hatte Giancarlo ihr keine Zeit gelassen.

Ich muss unbedingt von hier weg, überlegte sie. Aber wie wollte sie das anstellen ohne Mantel und ohne ihre Tasche, in der sich ihr Geld und ihre Kreditkarten befanden?

Plötzlich legte ihr jemand den Arm um die Taille. Natalia hätte am liebsten frustriert aufgestöhnt. Giancarlo, der sie um mindestens fünfzehn Zentimeter überragte, wirkte völlig ruhig.

„Es gefällt mir nicht, dass Sie mich begehren“, flüsterte sie.

„Das lässt sich nicht mehr ändern. Aber Sie empfinden genauso wie ich. Sobald Sie es zugeben, können wir eine gemeinsame Basis für die Affäre finden.“

„Ich lasse mich nicht auf Affären ein“, fuhr sie ihn an. Es ging ihm nur um Sex. An einer festen Beziehung war er offenbar nicht interessiert.

Er winkte ein Taxi herbei und drängte Natalia mehr oder weniger hinein. Dann setzte er sich neben sie und zog den Zettel aus der Tasche, auf dem er sich nach dem Gespräch mit seiner Freundin am Vormittag etwas notiert hatte.

Wenn er beabsichtigt, mich ihr vorzustellen, ist er wirklich so verrückt, wie ich allmählich befürchte, überlegte sie.

Giancarlo nannte dem Fahrer eine Adresse am anderen Ende der City, ehe er sich neben Natalia zurücklehnte.

„Ich möchte lieber gleich ins Büro zurück“, erklärte sie kühl.

„Später. Wir müssen erst noch …“

„Wieso wir?“, fragte sie ärgerlich und blickte ihn an.

Er sah ihr in die Augen – und dann ging alles blitzschnell. Sie fielen geradezu übereinander her. Wie in einem wilden Rausch presste er die Lippen auf ihre, und sie vergaßen alles um sich her.

Giancarlo konnte kaum glauben, was da mit ihm geschah. Aber er begehrte Natalia viel zu sehr, um sich noch länger beherrschen zu können. Er wollte sie jetzt und konnte keine Sekunde mehr warten. Dass sie in einem Londoner Taxi saßen und nicht ungestört waren, musste er in Kauf nehmen.

Ihre Lippen fühlten sich genauso wunderbar an, wie er es sich vorgestellt hatte. Er konnte nicht genug von ihr bekommen, und sie ließ ihn gewähren.

Natalia war klar, dass sie es nicht zulassen durfte. Aber es war viel zu schön, Giancarlo zu fühlen und zu schmecken und seine Kraft und Stärke zu spüren.

Ihr wurde ganz schwindlig vor Verlangen, und sie stöhnte auf, als er eine ihrer Brüste umfasste. Sogleich richteten sich ihre Brustspitzen auf, was ihm verriet, dass sie genauso erregt war wie er.

Sie musste sich entscheiden. Entweder gab sie sich ihm hin, oder sie beendete jetzt die Sache.

In dem Moment hielt das Taxi, und sie lösten sich voneinander. Offenbar waren sie am Ziel angekommen. Natalia fühlte sich wie betäubt und konnte kaum noch klar denken. Sie hatte keine Ahnung, wo sie waren.

Der Taxifahrer verzog keine Miene, als er das Geld entgegennahm, das Giancarlo ihm reichte. Er gab durch nichts zu erkennen, ob er etwas davon mitbekommen hatte, was auf dem Rücksitz seines Wagens passiert war, oder nicht.

Giancarlo half Natalia beim Aussteigen und führte sie über den Gehweg, während er ihre Hand besitzergreifend festhielt.

Das große Gebäude, auf das sie zugingen, erinnerte sie an andere Büroblocks im Viktorianischen Stil. Doch als sie die luxuriös ausgestattete Eingangshalle betraten, wurde ihr klar, dass es sich um einen sehr exklusiven Apartmentblock handelte. Der Portier am Empfang stand sogleich auf und lächelte freundlich.

Giancarlo nannte seinen Namen und erhielt eine Chipkarte, mit der er den Aufzug in Gang setzen konnte. Am Lift blieb er stehen und ließ Natalia höflich den Vortritt. Die Wände waren von oben bis unten mit getönten Spiegeln versehen. Natalia stellte sich in eine Ecke und senkte den Kopf. Sie befürchtete, ihr Spiegelbild würde ihr etwas verraten, das sie gar nicht wissen wollte. Während der Fahrt nach oben spürte sie Giancarlos prüfenden Blick, aber sie wagte nicht, ihn anzusehen. Das Schweigen war bedrückend, und die Spannung wurde unerträglich. Wenn nicht gleich etwas passiert, fange ich an zu schreien, dachte sie.

Autor

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