Sarah Morgan Edition Band 14

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DR. SANTINIS GEHEIMNIS

Vom ersten Moment an ist Dr. Carlo Santini von der jungen Suzannah bezaubert! So hingerissen ist er von ihr, dass er ihre Einladung zu einem romantischen Weihnachtsabend annimmt. Dabei weiß Carlo genau, dass ihnen nur ein Glück auf Zeit vergönnt ist. Denn er hat ein Geheimnis, das Suzannah niemals erfahren darf ...

VERLOBUNG AUF ITALIENISCH

Weihnachtsüberraschung in Londons bestem Luxushotel: Das hübsche Zimmermädchen Evie verspürt jähe Leidenschaft, als sie von einem sinnlichen Kuss geweckt wird. Doch dann erkennt sie, wer sie da gerade geküsst hat: ausgerechnet ihr sexy neuer Boss Rio Zaccarelli!

EIN DADDY ZU WEIHNACHTEN?

Ihre Tochter wünscht sich einen Daddy! Assistenzärztin Bryony will ihr diesen Wunsch gern erfüllen – aber wie? Ihr bester Freund, Stationsarzt Jack Rothwell, erklärt sich bereit, bei der Suche nach Mr. Right zu helfen. Doch warum ist ihm keiner gut genug für Bryony?


  • Erscheinungstag 25.10.2025
  • Bandnummer 14
  • ISBN / Artikelnummer 9783751530576
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan

SARAH MORGAN EDITION BAND 14

Sarah Morgan

1. KAPITEL

Schneeflocken trieben über die verwaisten Straßen Londons. Frost lag in der kalten Luft. Es war knapp eine Woche vor Weihnachten, und die meisten Menschen waren zu Haus, schmückten ihre Bäume und packten Geschenke ein.

Carlo Santini störte sich nicht an der eisigen Kälte. Die letzten Entwicklungen in seinem Leben machten ihn frustriert und rastlos. Ein düsterer Ausdruck beherrschte sein markantes Gesicht, während Carlo die Straße entlangmarschierte. Die dichte Schneedecke unter seinen Füßen dämpfte seine Schritte. Gegen die Kälte hatte er den Kragen seines schwarzen Mantels hochgeschlagen.

Man hatte ihn gewarnt, sein Apartment und das Krankenhaus zu verlassen, aber er war die Warnungen langsam leid.

Viele Menschen träumten davon, einmal richtig reich zu sein, doch für Carlo war dieser Reichtum mehr und mehr zum Albtraum geworden. So hatte er nur zu gern die Gelegenheit ergriffen, Italien zu verlassen und ein anderes Leben zu leben, wenn auch nur für ein paar kostbare Wochen. Welch ein Geschenk, unter einem angenommenen Namen in London zu arbeiten!

Zum ersten Mal in seinem ganzen Leben wusste niemand, wer er war.

Jetzt zählten nur sein berufliches Können und seine menschlichen Qualitäten, nicht der Ruf, ein millionenschwerer Playboy mit einflussreichen Freunden zu sein.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass die Straßen menschenleer waren, und er schaute sich um. Schon immer hatte er einen Bodyguard abgelehnt, und auch die letzten Drohungen gegen ihn hatten daran nichts geändert. Er konnte auf sich selbst aufpassen.

Carlo lächelte dünn. Wahrscheinlich saß Matteo Parini, Sicherheitschef seines Vaters, nun in seinem Hotelzimmer, kaute nervös an den Nägeln und fragte sich, wo sein Freund und Schutzbefohlener geblieben war.

Nicht dass Carlo sich etwas vormachte. Selbst in Londons East End, wo niemand seine wahre Identität kannte, war er gefährdet. So lange, bis die Männer, die sein Leben bedrohten, festgesetzt waren. Aber immerhin konnte er für ein paar Stunden so tun, als wäre alles okay.

Da bemerkte er zwei zwielichtige Typen in der Straße vor sich. Sie kamen langsam auf ihn zu. Carlo beobachtete sie misstrauisch.

Was hatten sie bei diesem unwirtlichen Wetter auf der Straße zu suchen, noch dazu um diese späte Stunde?

Er sah, wie einer der Männer die Straße entlangschaute, und bemerkte gleichzeitig einen schmalen Teenager, der eine voll gestopfte Mülltüte vor die Brust presste und mit gesenktem Kopf dahineilte.

Carlo ahnte, was die beiden vorhatten, noch ehe sie handelten. Er zog die Hände aus den Manteltaschen und beschleunigte seine Schritte.

Ohne Vorwarnung rannten die beiden Männer plötzlich auf den Jungen zu, versuchten ihm die Tüte zu entreißen und stießen ihn brutal zu Boden.

Adrenalin schoss Carlo durch die Adern. Aber noch bevor er den Jungen erreichte, sprang dieser blitzschnell auf und packte einen der Männer mit einem klassischen Judogriff. Der Angreifer landete dumpf auf dem Bürgersteig.

So wie es aussah, brauchte der Kleine offenbar keine Hilfe.

Oder doch?

Während der eine Mann noch am Boden lag, packte der andere den Jungen an der Kehle. Blanker Stahl blitzte auf.

Carlo lief schneller, nutzte den Überraschungseffekt, um den Mann von hinten zu attackieren. Klirrend fiel das Messer auf den Gehweg.

„Lass ihn los, sonst …“ Ihm fiel keine entsprechende Drohung auf Englisch ein, also wechselte er ins Italienische, drehte dem Mann den Arm auf den Rücken und zwang ihn damit, den Jungen freizugeben.

Der andere rappelte sich auf und schien wieder angreifen zu wollen. Er atmete schwer. Carlos zorniger, kalter Blick aber nahm ihm anscheinend den Mut. Rasch wich er zurück.

„He, das war nicht meine Idee …“

Dann warf er einen Blick auf seinen Kumpan, wirbelte herum und raste davon. In seiner Hast rutschte er auf der schneeglatten Straße aus, taumelte, fing sich wieder und verschwand in der Dunkelheit.

Der andere, den Carlo immer noch mit hartem Griff festhielt, wimmerte vor Schmerz. Carlo stieß das Messer mit dem Fuß beiseite und gab ihn frei, wenn auch zögernd, von unbändiger Wut erfüllt. Feige Kerle, griffen ein Kind an!

Der Mann rieb sich fluchend den Arm, trat dem Jungen hinterhältig in den Bauch und rannte dann seinem Kumpan hinterher.

Carlo überlegte, ob er den beiden folgen sollte, aber der Teenager lag vor Schmerz zusammengekrümmt am Boden. Er streckte die Hand aus, um ihm hoch zu helfen, landete aber platt auf dem Rücken und sah über sich die Sterne funkeln.

Wie zum Teufel war das passiert?

Carlo beherrschte mehrere Kampfsportarten und hatte sein Leben lang trainiert, um sich im Ernstfall verteidigen zu können. Aber er hatte nicht damit gerechnet, sich gegen einen Gegner wehren zu müssen, der ihm gerade bis zum Kinn reichte und den er zudem vor hinterhältigen Straßendieben gerettet hatte.

Anscheinend war dem Jungen dies nicht bewusst.

Mit einem leichten Stöhnen richtete Carlo sich auf, nur um gleich darauf blitzschnell ausweichen zu müssen, weil ein Fuß auf sein Gesicht zugeschossen kam.

„Halt ja Abstand von mir, du Mistkerl!“

Carlo wurde die Sache langsam gefährlich. Er packte den Fuß und brachte den Jungen zu Fall, rollte sich auf ihn und hielt seine Arme fest.

„Ich tue dir doch nichts“, knurrte er. Der Junge hörte schließlich auf, sich zu winden, und starrte ihn feindselig an.

Noch nie hatte Carlo einen Jungen mit solch wunderschönen Augen gesehen.

Sie waren von einem faszinierenden Grün, umrahmt von dichten tiefschwarzen Wimpern.

Getrieben vom männlichen Instinkt, ließ er die Hände des Jungen los und riss ihm die Wollmütze vom Kopf. Ihm stockte der Atem, als sich langes, schimmerndes dunkles Haar auf dem weißen Schnee ausbreitete.

Das ist kein Junge …

Es war das bezauberndste Mädchen, dem er je ins Gesicht geblickt hatte.

Und dann erwischte es ihn.

Carlo zuckte zusammen, als die kleine Faust mit voller Wucht seinen Wangenknochen traf. Er fluchte auf Italienisch und betastete die Stelle, ob etwas gebrochen war.

Eins musste er ihr zugestehen, sie verstand zu kämpfen. Wie war er eigentlich auf die Idee gekommen, er müsse ihr helfen?

Porca miseria! Ich gehöre zu den Guten“, murrte er. „Ich wollte Sie retten!“

Sie funkelte ihn wütend an und rang nach Luft.

„Mich retten?“, fauchte sie. „Sie retten mich nicht, Sie erwürgen mich! Und beschimpfen mich in einer fremden Sprache. Lassen Sie mich los!“

Sie war überwältigend.

Hingerissen lächelte er sie an, lockerte seinen Griff aber nicht im Geringsten. Dazu genoss er die Situation viel zu sehr. Der warme, weibliche Körper unter seinem fühlte sich gut an. Wie hatte er sie nur für einen Jungen halten können?

Ein entnervter Blick traf ihn. „Wollen Sie die ganze Nacht auf mir liegen bleiben?“

Warum nicht?

„Ist das eine Einladung?“ Carlo wusste, er sollte sich erheben und ihr aufhelfen, aber das Bedürfnis, den Kopf zu senken und sie zu küssen, war stärker.

Er gab nach.

Zur Sicherheit hielt er ihre Hände fest, nur um sich nicht einen zweiten Hieb einzuhandeln. Doch nach kurzem Zögern öffneten sich ihre weichen, warmen Lippen, und sie erwiderte seinen Kuss, als er vierunddreißig Jahre Erfahrung einsetzte, um sie zu verlocken.

Als er sich von ihr löste, fühlte er sich leicht benommen. Dieser Kuss war nur ein Vorgeschmack gewesen und machte ihm großen Appetit auf die volle Mahlzeit.

„Was … was sollte das sein?“ Diese erstaunlich grünen Augen starrten ihn an.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Carlo Schwierigkeiten, einen zusammenhängenden Satz zu Stande zu bringen. Es war, als hätten sein Körper und sein Gehirn keine Verbindung mehr zueinander.

„Wiederbelebung“, murmelte er heiser, mit allen Sinnen auf ihren Mund konzentriert. „Diese Typen sind ziemlich grob mit Ihnen umgesprungen – ich dachte, vielleicht …“

„Sie hat nicht richtig gewirkt, glaube ich.“ Ihr Gesicht drückte Verwirrung aus, die Stimme war rauchig und feminin. „Wollen Sie nicht noch einen Versuch wagen?“

Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Carlo eroberte ihren süßen Mund erneut, gab ihre Hände frei, um sie dichter an sich ziehen zu können.

Er spürte, wie sie erschauerte, ihm die Arme um den Hals schlang. Heißes Verlangen stieg in ihm auf.

Da erklang von der anderen Straßenseite her ein gellender Pfiff. Blitzschnell sprang Carlo auf.

Sei immer diskret, hatte sein Vater ihm beigebracht.

Mitten auf einem schneebedeckten Fußweg zu liegen, eine Frau unter sich, die er leidenschaftlich küsste, war wohl alles andere als das. Rasch ergriff er ihre Hand und zog sie hoch.

Sie kam auf die Beine, entriss ihm aber die Finger, als hätte sie sich verbrannt.

„Ich fasse einfach nicht, was wir gerade getan haben.“ Sie wich zurück und berührte ihre Lippen. „Sie sind ein Fremder. Ich küsse keine fremden Männer.“

Verwirrt und doch wachsam musterte sie ihn. Carlo zwang sich, still stehen zu bleiben. Er konnte es ihr nicht verübeln, dass seine Gegenwart sie nervös machte. Schließlich hatte sie gerade einen brutalen Überfall hinter sich.

Carlo suchte nach den richtigen Worten, um sie zu beruhigen, aber bevor er etwas sagen konnte, bückte sie sich nach der Mülltüte und zuckte vor Schmerz zusammen.

„Tut Ihnen etwas weh?“ Unwillkürlich runzelte er die Stirn, registrierte verwundert das starke Bedürfnis, sie beschützen zu wollen. Er kannte nicht einmal ihren Namen, aber bei dem Gedanken, die Kerle könnten sie verletzt haben, stieg heiße Wut in ihm auf. „Das war ein gemeiner Tritt.“

Er suchte nach dem richtigen Wort, um sich ihren Bauch anzusehen – ohne dass es missverstanden werden konnte. Schließlich war er Arzt.

„Ich habs überlebt.“ Sie schob sich das schneeverklebte Haar aus dem Gesicht. „Und ich muss mich wohl bei Ihnen bedanken.“ Aber ihr Blick drückte immer noch Vorsicht aus. „Wahrscheinlich hätten sie das Messer benutzt, wären Sie nicht eingeschritten. Tut mir leid, dass ich Sie zu Boden geschleudert habe. Es geschah alles so schnell, dass ich in Panik geriet. Ich dachte, Sie gehören zu denen.“

Sie wirkte immer noch angespannt, aber immerhin war sie nicht davongerannt.

„Entschuldigen Sie sich nicht. Ich freue mich, dass Sie es getan haben.“ Sogar mehr als das, wenn er an ihren weichen Körper dachte. Hätte sie es nicht getan, hätte er sie auch nicht geküsst. Und sie zu küssen …

Hungrig heftete sich sein Blick wieder auf ihren Mund, und er focht einen stummen Kampf mit sich aus. Schließlich konnte er sich nicht wie ein Neandertaler benehmen und sie irgendwohin schleppen, wo er ungestört war. Um sie zu lieben, bis sie nicht mehr stehen konnte.

Aber sie war sichtlich nervös, und bestimmt würde er sich seine Chancen nicht verbessern, indem er mehr oder weniger über sie herfiel. Also schob er seine Hände tief in die Manteltaschen und hielt Abstand.

„Küssen Sie jeden, der Sie zu Boden schlägt?“ Sie betrachtete ihn mit einem Ausdruck, als überlege sie noch, ob sie davonrennen solle oder nicht.

„Nie.“

Ihre Finger umklammerten die Mülltüte fester. „Und warum haben Sie dann ausgerechnet mich geküsst?“

Carlo fiel es immer schwerer, normal zu atmen. „Weil Sie unwiderstehlich sind.“

Nun hellte sich ihr Gesicht auf, sie legte den Kopf in den Nacken und lachte. „In zerrissener Jeans und einem uralten Pullover, dazu eine Wollmütze auf dem Kopf? Sehr sexy, bestimmt.“

„Küssen eignet sich ausgezeichnet, um einen Angreifer abzulenken“, improvisierte er und konnte einfach den Blick nicht von ihrem wunderschönen Gesicht nehmen. „Der Überraschungseffekt ist beachtlich.“

„Ich mache Judo, seit ich sechs bin, aber davon habe ich noch nie gehört“, bekannte sie lächelnd. Endlich wirkte sie entspannt. Ihre Augen funkelten, Schneeflocken hingen an ihren Wimpern und im schimmernden dunklen Haar. Der Gedanke war kurz, aber heftig: Wenn er sich etwas zu Weihnachten wünschte, dann sie.

Vorzugsweise ausgepackt.

„Wollen Sie sagen, Sie sind noch nie von Ihrem Gegner geküsst worden?“ Er rückte näher. „Da ist Ihnen wirklich etwas entgangen.“

Ihre Blicke verfingen sich, und sie lächelte zögernd. „Es lenkt eindeutig vom Kampf ab.“ Ihr Lächeln verblasste, und sie schaute bestürzt auf seinen Wangenknochen. „Oh nein! War ich das? Habe ich Ihnen ein blaues Auge verpasst?“

Das Auge war ihm völlig egal. Im Moment machte ihm ein ganz anderer Körperteil Sorgen. Seine Jeans war einfach zu eng für solche extremen Reaktionen.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte vorsichtig die geschwollene Stelle. „Wir sollten Eis darauf legen“, murmelte sie reumütig.

Eis. Vielleicht sollte er an Eis denken. Kübel voller Eis, eiskalte Duschen, Eiswasser … Du meine Güte, er reagierte tatsächlich wie ein hormongeschüttelter Teenager!

„Sind Sie okay? Die sind ziemlich grob mit Ihnen umgesprungen.“

Sie hingegen wirkte nicht sonderlich mitgenommen. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Frauen, die er kannte, in einer solchen Situation reagieren würden. Es misslang. Für die meisten von ihnen ging die Welt unter, wenn sie sich einen Fingernagel einrissen.

„Mir geht es gut, dank Ihnen. Abgesehen davon, dass meine Lieblingsjeans zerrissen ist. Ich war mit meinen Gedanken woanders gewesen, sonst hätten sie mich nicht überraschen können.“ Sie sah ihn schuldbewusst an. „Sie retten mir das Leben, und ich verpasse Ihnen eine … In Filmen kommt so etwas nie vor. Ich hätte vor Erleichterung und Dankbarkeit schluchzen müssen, anstatt Ihnen zu einem blauen Auge zu verhelfen.“

„Ich liebe dominante Frauen“, gab er zurück, und sie lachte.

„Nächstes Mal versuche ich nicht gleich in Panik zu geraten.“

„Mich überrascht es nicht, dass Sie so reagiert haben.“ Nun wurde er ernst. „Aber ich glaube immer noch nicht, dass der Typ sein Messer benutzt hätte.“ Er wollte sie beruhigen. Oder sich selbst?

Sie schnitt eine Grimasse. „Wären Sie nicht gewesen, wohl doch. Hier gibt es viele Überfälle. Ich bin nur froh, dass Sie gerade vorbeikamen. Sollten wir die Polizei rufen – was meinen Sie?“

Carlo erstarrte. Bloß nicht. Es würde nur die Aufmerksamkeit auf ihn lenken.

„Ich glaube, die sind längst über alle Berge. Und richtig ansehen konnte ich sie mir auch nicht. Sie?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, und er wechselte das Thema.

„Was machen Sie um diese Zeit in dieser Gegend?“

Sie nahm den Müllbeutel in die andere Hand. „Ich arbeite.“

Arbeit?

Welche Arbeit verlangte, am späten Abend in abgetragener Jeans, Wollmütze auf dem Kopf und einer Mülltüte in der Hand, durch diese Gegend zu laufen?

Sie war doch wohl keine …?

Ihr Lachen klang glockenhell. „Ihr Gesicht sollten Sie jetzt sehen! Ich kann Ihnen versichern, ich verdiene mein Geld nicht mit dem, was Sie gerade denken! Ich bin Hebamme“, sagte sie in einem Ton, als müsse das jedem klar sein – außer einem kompletten Idioten.

Hebamme?

Er hatte sein halbes Erwachsenenleben mit Hebammen zusammengearbeitet, aber keine von denen hatte so ausgesehen wie diese hier.

Carlo versuchte sich eine intelligente Frage einfallen zu lassen, scheiterte jedoch kläglich. Wie gebannt verfolgte er, wie ein hinreißendes Lächeln sich auf ihrem Gesicht ausbreitete.

„Laufen alle englischen Hebammen durch die Nacht und schleppen dabei Mülltüten mit sich herum?“

„Ich habe im Gegenteil versucht, keine Aufmerksamkeit zu erregen“, bekannte sie, und er lächelte trocken.

„Da müssen Sie wohl noch etwas üben …“

„Womit Sie recht haben, denke ich.“ Betrübt schaute sie auf ihre beschädigte Jeans. „Sie müssen gedacht haben, dass ich etwas Wertvolles in meiner Mülltüte habe.“

„Und – stimmt es?“

„Also, ich habe keine Bank ausgeraubt, falls Sie das denken.“ Sie lachte glucksend. „Ich bin gerade auf dem Weg zu einer Patientin. Wenn Sie also sicher sind, dass mit Ihrem Gesicht alles in Ordnung ist, müssen wir uns jetzt wohl voneinander verabschieden.“

Auf keinen Fall!

„Ich komme mit Ihnen“, erwiderte er sofort. „Sie können mich nicht allein lassen. Diese Gegend ist mir viel zu gefährlich.“

Wieder lächelte sie, und er konnte sich nicht satt sehen. „Sie brauchen meinen Schutz?“

„Unbedingt.“

„Sie sind mindestens einen Meter achtzig groß und mit Muskeln bepackt“, betonte sie und ließ ihren Blick anerkennend über seine breiten Schultern wandern. „Sie haben diese Kerle ohne nachzudenken angegriffen und sehen gewiss nicht aus wie ein ängstlicher Mann.“

Noch vor fünf Minuten hätte er ihr recht gegeben, aber seit sie ihn zu Boden geworfen hatte, war alles anders geworden.

„Ich habe Angst, Sie nie wiederzusehen.“

Das trug ihm einen fassungslosen Blick ein. Noch immer sanken Schneeflocken herab, sammelten sich auf ihrer schwarzen Wolljacke.

Als sie dann endlich sprach, bebte ihre Stimme. „Eigentlich sollte ich sagen, Sie haben wohl den Verstand verloren.“

Er trat auf sie zu. „Gut, sagen Sie es.“

Sie starrte ihn an. „Ich … das kann ich nicht.“ Verwirrung spiegelte sich in ihren Augen. „Hilfe … Was haben Sie mit mir gemacht?“

Sie schauten sich in die Augen, und die plötzliche Hitze zwischen ihnen hätte den Schnee zum Schmelzen bringen können.

Ohne den Blick von ihr zu nehmen, streckte Carlo die Hand aus, und nach ein paar endlos langen Sekunden machte sie einen Schritt auf ihn zu und nahm sie. Er zog sie dicht an sich und strich ihr das schneebedeckte Haar aus dem Gesicht und dachte, wie wunderschön sie war.

„Das ist … einfach verrückt“, meinte sie atemlos. „Ich sollte wirklich gehen …“

„Ich auch. Was meinen Sie, sollten wir uns zum Abschied noch einmal küssen?“ Er war nur einen Hauch von ihrem Mund entfernt, da hob sie den Kopf und versetzte ihm einen sanften Stoß.

„Normalerweise benehme ich mich nicht so! Ich kenne Sie nicht einmal.“

Carlo sah sie gedankenvoll an. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus.

Er traf nie Leute, die ihn nicht kannten.

In Italien kannte ihn jeder. Sein Foto erschien regelmäßig in den Klatschspalten der Regenbogenpresse. Er hasste es, öffentliches Eigentum zu sein.

Aber für diese Frau war er ein Fremder. Eine völlig neue Erfahrung für ihn.

„Anfangs ist jeder ein Fremder“, erwiderte er sanft.

„Das stimmt, aber für gewöhnlich küsse ich keine Männer, die ich erst fünf Minuten kenne.“

„Dann bleiben Sie noch, damit Sie Gelegenheit haben, mich näher kennen zu lernen“, schlug er vor.

Sie verdrehte theatralisch die Augen. „Sind Sie immer so beharrlich, was Frauen betrifft?“

Nein. Das brauchte er nicht. Er war einer der reichsten Männer Italiens und stets derjenige, der taktvoll darauf achten musste, sie auf Distanz zu halten.

Carlo blickte tief in die grünen Augen und entschied, dass sie ihm eindeutig Angst machte, aber aus ganz anderen Gründen, als sie dachte.

Am meisten machte ihm Angst, dass er bereits nach fünf Minuten wusste, er würde sie nicht mehr aus den Augen lassen. Sein Verstand hingegen verlangte, dass er auf der Stelle die Beine in die Hand nahm und davonlief. Er war in etwas wenig Angenehmes verwickelt und wollte nicht, dass sie mit hineingezogen wurde. Aber er beschloss, abzuwarten, wie sich alles entwickelte. Mit den Folgen würde er sich später befassen.

„Na schön, wenn Sie nicht mit mir kommen wollen, komme ich mit zu Ihrer Patientin, und danach können wir zusammen mein Gesicht mit Eis behandeln.“

Als Anmache war das wenig originell, aber das war ihm längst egal.

Er befand sich in einem verzweifelten Zustand.

Wenn sie sich jetzt umdrehte und ihn einfach stehen ließ, würde er ernsthaft überlegen, sie zu entführen.

„Sie können nicht mitkommen.“ Sie umklammerte den Müllbeutel wieder fester. „Es ist ein beruflicher Besuch. Ich kann doch nicht einfach einen Mann mitbringen, den ich auf der Straße aufgelesen habe.“

„Ich habe Sie aufgelesen!“, betonte er, und wieder verdrehte sie die Augen.

„Lassen Sie die Haarspaltereien.“

Er grinste schief. „Hilft es, wenn ich sage, dass ich ausgebildeter Gynäkologe und Geburtshelfer bin?“

Ungläubig riss sie die Augen auf und fing an zu lachen.

Er runzelte die Stirn. „Was ist daran witzig?“

„Ich versuche gerade, mir die Geburtshelfer vorzustellen, die ich kenne, wie sie zwei Straßendiebe in die Flucht schlagen.“ Sie schüttelte den Kopf, lachte immer noch. „Meine Fantasie versagt komplett. Sie sind alle ziemlich mickrig und intellektuell.“

Carlo tat so, als wäre er beleidigt. „Mich finden Sie nicht intellektuell?“

„Sie meinen, Sie haben Muskeln und Verstand?“ Sie klimperte mit den Wimpern, und er grinste anerkennend.

„Zu Ihren Diensten.“ Er verbeugte sich leicht. „Also, glauben Sie mir jetzt, dass ich Geburtshelfer bin?“

„Nein.“ Ihre Wangen waren von der Kälte leicht gerötet. „Ich habe mit einer Menge Geburtshelfern gearbeitet, und keiner sah so aus wie Sie.“

War das nun gut oder schlecht?

„Was stimmt nicht mit mir?“

Ihr Lächeln verging, und er sah Unsicherheit in ihren Augen. Und etwas anderes, das umgehend bedenkliche Auswirkungen auf die Passform seiner Jeans hatte. „Oh, mit Ihnen stimmt alles. Das ist es ja.“

Es durchfuhr ihn heiß, und er beherrschte sich nur mit Mühe, sie nicht in seine Arme zu reißen, um sie besinnungslos zu küssen. „Also, bis Sie mich in Aktion erleben, müssen Sie sich eben auf mein Wort verlassen. Darf ich mitkommen?“

Sie legte den Kopf schräg. „Also, wenn Sie wirklich Geburtshelfer sind, verraten Sie mir, wo Sie arbeiten.“

„Ab morgen als Vertretung am St. Catherine’s Hospital.“

Dass er es unter falschem Namen tat, wussten nur er und der Leiter der Klinik.

Sie riss die Augen auf. „Das gibts nicht! Ich arbeite dort auch!“

„Also darf ich Sie begleiten“, nutzte er die Chance. „Wir sind Kollegen. Und danach bringe ich Sie nach Haus, und wir können gegenseitig unsere Wunden versorgen.“

Ihre Lippen öffneten sich leicht, und er hielt den Atem an. Wenn sie Nein sagte, war er in echten Schwierigkeiten.

„Ich … weiß nicht …“

Wieder war da der wachsame Blick, und er beeilte sich, sie beruhigend anzulächeln.

„Hören Sie, unsere Bekanntschaft begann ziemlich unkonventionell, aber Sie brauchen vor mir keine Angst zu haben. Benehme ich mich daneben, hauen Sie mir eben auf das andere Auge.“

An ihr Gewissen zu appellieren, mochte nicht die feine englische Art sein, aber das war ihm egal. Er würde sie nicht wieder aus seinem Leben verschwinden lassen.

„Na schön.“ Sie schwang sich den Müllbeutel über die Schulter und deutete mit dem Kopf auf eins der Hochhäuser in der Nähe. „Gehen wir zusammen zu Kelly, danach zu mir, um Ihr Gesicht zu versorgen. Das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann, nachdem ich Sie halb umgebracht habe.“

Carlo widerstand der Versuchung, ein Triumphgeheul auszustoßen, und verlangsamte seine Schritte, da er die längeren Beine hatte. Wenig später folgte er ihr eine endlose Reihe von Treppenstufen hinauf.

Er schaute sich um. Kein Wunder, dass sie nachts nicht hierher kommen mochte. Das Gebäude war mehr als abstoßend. Graffitischmierereien bedeckten die Wände, von denen stellenweise der Putz abgefallen war. Einige Türen waren mit Brettern vernagelt, manche Fenster eingeschlagen. Von weihnachtlicher Stimmung war hier nicht ein Hauch zu spüren.

Die junge Frau blieb vor einer Wohnungstür stehen, stülpte sich die Wollmütze auf den Kopf und stopfte die Haare darunter.

„Gehört alles zu meiner Verkleidung.“ Sie warf ihm ein Lächeln zu, das seinen Körper zum Vibrieren brachte, und klopfte.

„Kelly? Kelly, ich bin es, Zan. Lassen Sie mich herein.“

Zan? Überrascht sah er sie an.

Was war das für ein Name?

Er dachte noch darüber nach, als die Tür aufgerissen wurde und ein stämmiger Mann vor ihnen stand.

Wenn jemals ein Mann auf Streit aus war, dann dieser. Instinktiv straffte Carlo die Schultern und bereitete sich auf Ärger vor.

Was zum Teufel machte dieses zarte Wesen an einem Ort wie diesem? Seine Vorstellung vom Beruf der Hebamme war das nicht.

„Hi, Mike.“ Zan wirkte nicht im Geringsten nervös. Stattdessen lächelte sie den Hünen herzlich an und lugte an ihm vorbei ins Wohnungsinnere. „Kann ich zu Kelly? Ich habe ihr ein paar Sachen mitgebracht …“

Sie schwenkte verlockend den Müllbeutel hin und her, und Mikes Gesicht färbte sich dunkel.

„Wir brauchen keine Almosen!“

Zan schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Es sind auch keine Almosen“, sagte sie freundlich. „Jemand, den ich betreue, hat seine Kleidung durchgesehen. Ich dachte, einiges davon könnten Sie vielleicht gebrauchen, aber ich kann es auch anderen anbieten, wenn Sie es nicht wollen …“

Mike sah sie düster an, öffnete aber die Tür weiter. „Und wo wir gerade von Kelly sprechen, sie geht auf keinen Fall ins Krankenhaus. Schlagen Sie es ihr gar nicht erst vor.“ Über ihre Schultern hinweg fixierte er Carlo mit herausforderndem Blick. „Wer ist das?“

Zan öffnete den Mund, aber Carlo kam ihr zuvor.

„Ich bin Arzt. Carlo Bennett.“

Beinahe wäre er über den Nachnamen gestolpert, denn es war nicht sein eigener, und er war es nicht gewohnt, ihn zu benutzen. „Zan war einverstanden, dass ich sie bei ihren Hausbesuchen begleite.“

Er bemerkte, dass Zan ihn anstarrte. Also lächelte er Mike nochmals freundlich an und streckte die Hand aus.

Mike zögerte kurz, ergriff dann aber die Hand. Aber er blickte weiterhin unfreundlich drein. „Sie sehen nicht englisch aus und sprechen auch nicht richtig Englisch.“

„Bin halber Italiener“, log Carlo geschickt.

Mikes Gesicht zeigte nur zu deutlich, was er von ausländischen Ärzten hielt. „Da Sie schon mal hier sind, kommen Sie rein. Aber eins will ich Ihnen deutlich sagen, kein Arzt kommt in die Nähe meiner Frau. Zan ist die Einzige, die sie sich ansehen darf.“

„Kein Problem.“ Carlo folgte Zan in die Wohnung. Das winzige Wohnzimmer war ein Schock für ihn, aber er ließ sich nichts anmerken.

Der Raum war schmutzig, alte Zeitungen waren verstreut, überall standen halb leere Teller. Mitten auf dem Teppich lag ein großer Schäferhund, den Kopf auf den Pfoten, und behielt Carlo scharf im Blick.

Es roch nach Feuchtigkeit, und in einer Ecke hockte in einem Sessel eine knochige junge Frau, fast noch ein Kind, mit rundem Bauch und mageren Beinen.

„Hi, Kelly.“ Zan schob auf dem Sofa ein paar Zeitschriften beiseite und setzte sich. Sie öffnete ihre Tasche. „Wie fühlen Sie sich?“

Kelly warf Mike einen ängstlichen Blick zu. Mike nickte. „Ganz okay“, sagte sie leise. „Aber ich bin immer so müde. Tierisch müde, um ehrlich zu sein.“

Ich verwette mein halbes Vermögen, dass sie anämisch ist, dachte Carlo.

„Ich glaube, Sie leiden an Anämie“, erwiderte Zan, während sie in ihrer Tasche nach dem Blutdruckmesser suchte. „Das bedeutet, Ihr Blut transportiert nicht genügend Sauerstoff. So etwas passiert leicht, wenn man schwanger ist, und besonders, wenn man nicht ordentlich isst.“

Carlo bewunderte sie. Auf Anhieb hatte sie das Problem erkannt.

Sie überprüfte Kellys Blutdruck und wandte sich an Mike. „Ich muss einen Bluttest machen, Mike.“

„Kommt nicht infrage!“, brauste er auf. „Sie werden sie nicht mit Nadeln stechen. Tun Sie, was Sie zu tun haben, und dann gehen Sie.“

„Ich versuche ihr nur zu helfen, Mike. Sie ist in der vierunddreißigsten Woche. Es kann gut sein, dass eine Anämie der Grund für ihre permanente Müdigkeit ist. Aber wir müssen das abklären, bevor sie das Kind bekommt. Ich möchte ihre Eisenwerte wissen.“

„Keine Nadeln.“ Mike machte einen Schritt auf Zan zu, und Carlo bereitete sich darauf vor, einzugreifen.

Er würde nicht zulassen, dass ein Typ wie Mike ihr zu nahe kam.

„Wenn Sie ein Eisenpräparat dabeihaben, geben Sie es ihr einfach“, mischte er sich ein, und drei Augenpaare richteten sich auf ihn.

„Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass sie anämisch ist, und wir würden es gern überprüfen.“ Er richtete seine Worte an Kelly. „Aber wenn Sie das lieber nicht möchten, wäre es am sinnvollsten, Ihnen Eisentabletten zu geben.“

„Schadet es dem Baby?“

„Ihnen könnte es schaden, wenn Sie sie nicht nehmen“, fuhr er freundlich fort. „Schwangerschaft und Geburt stellen hohe Anforderungen an Ihren Körper. Wir wollen ihn entlasten, damit bei der Geburt und auch hinterher keine Probleme auftreten. Wenn Sie ins Krankenhaus kommen, können wir …“

„Sie kommt nicht ins Krankenhaus!“, grollte Mike, und Zan räusperte sich.

„Machen wir uns jetzt darüber keine Gedanken. Sie haben meine Nummer, und Sie wissen, ich komme jederzeit, wenn Sie mich brauchen. Aber sie muss Eisen nehmen.“ Sie griff in ihre Tasche und holte die Tabletten heraus. „Tun Sie mir den Gefallen und nehmen davon jeden Tag eine, ja?“, wandte sie sich an Kelly.

Kelly blickte Mike um Erlaubnis an. Er nickte kurz, und sie nahm die Schachtel.

„Kann ich Sie jetzt untersuchen, um die Lage des Kindes zu überprüfen?“, fragte Zan.

„Nicht, wenn er im Zimmer ist.“ Mike starrte Carlo feindselig an, der sofort zur Tür schlenderte.

„Ich warte draußen im Flur.“

Warum nur war dieser Mann zutiefst misstrauisch?

Fünf Minuten später rief Zan ihn wieder herein.

Er konnte ihr ansehen, sie war besorgt. „Ich habe den Eindruck, das Kind wächst nicht so, wie es sollte. Für die vierunddreißigste Woche ist es zu klein.“

Carlo blickte Mike an. „Darf ich sie mir mal ansehen?“

„Nein!“

„Mike, bitte …“, bat Zan eindringlich.

Plötzlich wirkte Mike unschlüssig. Dann nickte er zögernd. „Okay.“ Er warf Carlo einen düsteren Blick zu. „Aber ich lass Sie nicht aus den Augen.“

„Kein Problem.“ Behutsam ließ Carlo seine Hand über den geschwollenen Leib der werdenden Mutter gleiten. Noch nie hatte er solch ein halb verhungertes Wesen gesehen. Welch ein extremer Unterschied zu seinen Patientinnen in Mailand! Die meisten waren reich und verwöhnt, und ihm wurde plötzlich bewusst, wie sehr ihn seine Arbeit in der renommierten Geburtsklinik inzwischen langweilte. Dieser Fall hier bedeutete eine weitaus größere Herausforderung, sowohl medizinisch als auch in sozialer Hinsicht.

„Nun?“

Mike blickte ihn drohend an. Carlo nahm das Maßband, das schon Zan benutzt hatte, und maß Kellys Bauch von der Spitze bis zum Schambein. Die gemessenen Zentimeter ergaben grob gerechnet die Anzahl der Schwangerschaftswochen. Zan hatte Recht. Das Kind schien zu klein zu sein.

„Rauchen Sie?“

Kelly schüttelte den Kopf, aber ihr Blick glitt nervös zu Mike hinüber. Carlo schloss daraus, dass sie starke Raucherin war.

„Das Kind ist etwas kleiner, als es sein müsste“, sagte er mit sanfter Stimme zu Kelly. „Es wäre schön, wenn wir im Krankenhaus ein paar Ultraschallaufnahmen machen könnten, um Genaueres zu erfahren. Zum Beispiel den Kopfumfang, aus dem sich die Größe des Kindes ergibt. Außerdem könnten wir einen Blick auf den ganzen Körper werfen.“

Kelly blickte Mike an, der schüttelte den Kopf.

„Sie geht nicht ins Krankenhaus.“

Carlo runzelte die Stirn. „Aber …“

„Schon in Ordnung“, griff Zan schnell ein und warf Carlo einen warnenden Blick zu. „Sollten Sie Ihre Meinung ändern, kommen Sie einfach bei uns vorbei. Und, Kelly, ich habe Ihnen ein paar Sachen mitgebracht.“

Sie öffnete den Müllbeutel und holte einen Beutel mit winziger Babykleidung heraus, dazu eine wunderschöne Decke.

Wenn das gebrauchte Sachen sind, bin ich Engländer, dachte Carlo bei sich.

Kelly stieß einen Freudenruf aus, und plötzlich strahlte ihr Gesicht wie die Sonne, die sich hinter dunklen Wolken hervorwagte.

„Das hat jemand weggegeben?“ Ungläubig betastete sie die Kleidungsstücke, und Zan lächelte.

„Sie brauchte sie nicht mehr.“

„Aber sie sehen aus wie neu.“ Kelly blickte Mike flehentlich an. „Darf ich sie behalten – bitte?“

Erst nach kurzem Zögern nickte Mike. „Na schön …“

„Ach, noch etwas“, sagte Zan. „Ich habe mit der Sozialbehörde gesprochen. Wenn alles klappt, können Sie bald in eine Erdgeschosswohnung umziehen.“

Kellys Augen leuchteten auf. „Wirklich?“ Dann sanken ihre mageren Schultern herab. „Besser, ich mache mir nicht zu viele Hoffnungen. Vielleicht wird ja doch nichts draus.“

„Nicht den Mut verlieren, Kelly“, sagte Zan fest. „Hier können Sie auf keinen Fall bleiben. Der Winter ist längst nicht zu Ende. Hier drinnen ist es feucht, und die vierzehn Treppenabsätze sind einfach zu viel für Sie. Wie wollen Sie es schaffen, wenn der Fahrstuhl wieder einmal kaputt ist?“

Carlo fragte sich, ob den beiden überhaupt bewusst war, wie froh sie sein konnten, dass jemand wie Zan sich um sie kümmerte.

„Sie kann die Tabletten nehmen, aber ins Krankenhaus kommt sie nicht“, sagte Mike, und Zan sah ihn fest an.

„Das Baby ist zu klein, Mike. Wir müssen wirklich …“

„Raus!“

Kelly zuckte zusammen und rutschte tiefer in ihren Sessel.

„Wir gehen“, sagte Zan ruhig und lächelte Mike an, als hätte er sie nicht gerade angebrüllt. „Wir sprechen das nächste Mal noch einmal darüber.“

„Sie geht nicht ins Krankenhaus, und damit basta!“

Zan erhob sich. „Wie Sie meinen, Mike.“ Sie wandte sich an Kelly. „Gibt es irgendwelche Probleme, rufen Sie mich an.“

Dann warf sie Carlo einen bedeutungsvollen Blick zu, und sie verließen die Wohnung.

2. KAPITEL

„Glauben Sie, er schlägt sie?“

„Ich denke nicht.“ Zan bog in eine breite Straße ab, die am Fluss entlangführte. „Aber er schüchtert sie mit Sicherheit ein. Sie hat eine Heidenangst vor ihm.“

„Warum hasst er Krankenhäuser so sehr?“

„Das hat er mir nie erzählt, und ich dränge ihn auch nicht dazu, sonst darf ich Kelly nicht mehr besuchen.“ Sie sah ihn nicht an.

Noch nie hatte sie einen so gut aussehenden Mann wie Carlo getroffen. Hoch gewachsen, dunkelhaarig und voller Sex-Appeal. Er strahlte Stärke und Selbstvertrauen aus. Um ihn mit einem Wort treffend zu beschreiben, fiel ihr nur eins ein: männlich. Carlo war überwältigend männlich.

Carlo runzelte die Stirn. „Müssen Sie sie besuchen?“

„Nun, tue ich es nicht, wird es für sie keine Schwangerschaftsuntersuchungen geben“, erwiderte Zan. Sie überquerten die Straße, so dass sie direkt am Themseufer gehen konnten. „Die Sozialbehörde informierte mich, dass sie schwanger sei. Anfangs wollte Mike mich nicht einmal hereinlassen, aber ich habe ihn herumgekriegt. Und ich hoffe, mit der Zeit wird Kelly Vertrauen zu mir fassen.“

„Sie muss umfassend untersucht werden“, sagte Carlo, und Zan nickte.

„Ich weiß. Die Wahrheit ist, ihr fehlen viele notwendige Dinge. Zum Beispiel ernährt sie sich nicht richtig. Es macht mir Sorgen, aber mehr können wir leider nicht tun. Es ist schon schwer genug, überhaupt an sie heranzukommen.“

„Ziehen Sie sich deswegen so an? Weil die beiden den Behörden misstrauen?“

Der Mann war scharfsinnig, das musste sie ihm lassen.

„Stimmt. Trotzdem laufe ich abends nicht gern in dieser Gegend herum“, bekannte sie. „Ich besitze zwar den Schwarzen Gürtel in Judo, bin aber nicht leichtsinnig.“

„Keine Frau sollte hier arbeiten“, sagte er düster.

Sie lachte leise. „Spielen Sie immer den Macho?“

„Sicher.“ Carlo hob den Kopf und lächelte trocken. „Ich bin Italiener, schon vergessen? Trotz aller Bemühungen um politische Korrektheit erwarten wir von unseren Frauen im Grunde genommen immer noch, dass sie zu Haus bleiben und uns das Bett wärmen.“

Zan errötete leicht. Welche Frau auch immer sein Bett wärmte, sie konnte sich wirklich glücklich schätzen. „Hat Ihnen noch niemand erzählt, dass wir im einundzwanzigsten Jahrhundert leben?“

Er lächelte nicht. „Diese Gegend ist nicht sicher für Sie.“

Er sah so atemberaubend gut aus, dass Zan einfach nicht den Blick von ihm losreißen konnte.

„Ich arbeite hier, weil es eine Herausforderung für mich darstellt und ich zugleich wirklich Gutes damit tue.“ Neugierig blickte sie ihn an. „Sie kennen so etwas nicht, stimmts? Sie waren ganz schön geschockt, als sie die Wohnung sahen.“

Verlegen massierte er sich den Nacken. „War das so deutlich?“

„Nur für mich. Aber mir ging es anfangs ebenso. Es öffnet einem die Augen. Schwangere Teenager, allein erziehende Mütter mit mehreren Kindern von verschiedenen Männern und in jeder Wohnung ein Schäferhund in Wolfsformat.“ Vorsichtig schritt sie über eine vereiste Pfütze hinweg. „Wahrscheinlich hätte ich auch einen, wenn ich hier wohnte. Vor den Hunden hatte ich anfangs am meisten Angst, aber inzwischen habe ich mich an sie gewöhnt. Haben Sie Hunde zu Haus?“

Er zögerte, nickte dann aber. „Ja, aber sie machen mir keine Angst. Wo haben Sie eigentlich Judo gelernt?“

Zan lächelte und kroch tiefer in ihren Mantel. „Ich habe vier ältere Brüder.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Alle waren der festen Überzeugung, mein Vater eingeschlossen, ich sollte lernen, mich zu wehren, für den Fall, dass sie nicht da sind, um mir beizustehen.“

„Vernünftig.“

„Wie mans nimmt“, meinte sie trocken. „Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie jeden Jungen verschreckten, der sich in meine Nähe traute.“

Carlo sah sie neugierig an. „Aber Sie haben ein gutes Verhältnis zu ihnen?“

„Ich liebe sie“, erklärte sie schlicht. „Es gab für mich nichts Besseres, als mit vier Brüdern aufzuwachsen. Wir hatten viel Spaß miteinander.“

„Aber Sie haben Ihnen Vorsicht vor Männern beigebracht?“

Sie nickte nach kurzem Zögern. „Ja. Ja, das haben sie. Und weil sie genau wissen, wie Männer denken und handeln, haben sie jeden Mann vertrieben, der Interesse an mir zeigte.“

Carlo schaute sich betont furchtsam um. „Dann muss ich also jederzeit damit rechnen, eins über den Schädel zu bekommen?“

Zan lachte. „Keine Bange. So, nun wissen Sie eine ganze Menge über mich. Wie steht es mit Ihnen? Ich weiß nur, dass Sie halber Italiener sind. Welche Hälfte?“

Er warf ihr ein Lächeln zu, so sexy, dass ihr der Atem stockte. „Wenn Sie nett sind, zeige ich sie Ihnen später.“

Sie wurde rot und musste gleichzeitig lachen.

„Also, Ihrem Akzent nach und auch weil Sie irgendetwas Unverständliches murmelten, als Sie vorhin auf mir lagen, vermute ich, Ihre Muttersprache ist Italienisch. Was wohl bedeutet, dass Sie für gewöhnlich dort leben. Was suchen Sie hier in London?“

„Abwechslung.“ Seine Antwort kam zu schnell, und Zan blickte ihn scharf an. Er hielt stand und lächelte. „Viele Ärzte aus der EU arbeiten in England.“

„Und wo haben Sie zuletzt gearbeitet?“

„In einer Privatklinik außerhalb von Mailand.“ Er lächelte reumütig. „Die meisten meiner Patientinnen waren nicht so wie Kelly …“

„Zu selbstbewusst und zu reich, um herumkommandiert zu werden?“

Er lächelte anerkennend. „So ähnlich.“

„Es war anständig von Ihnen, sich Kelly anzusehen.“ Sie blickte ihn an. „Glauben Sie nicht, ich wüsste nicht, dass die meisten anderen Ärzte gekniffen hätten. Sie hätten Angst, sich einen Prozess aufzuhalsen.“

Carlo sah sie unbeeindruckt an. „Ich bin gut versichert.“

Und sehr erfahren und selbstbewusst.

„Hier wohne ich.“ Zan blieb vor einem Wohnhaus stehen.

Carlo lehnte sich lässig an die Hauswand. „Also …“, sagte er gedehnt, „werden Sie mich hineinbitten?“

Sie versuchte, das Flattern in ihrer Magengrube zu ignorieren.

„Normalerweise lade ich Fremde nicht zu mir ein.“

Als er sie charmant anlächelte, bekam sie weiche Knie. „Das höre ich gern.“ Er rückte ein Stück näher, ließ sie dabei nicht aus dem Blick. „Aber wir haben uns schon zweimal geküsst und den Abend zusammen verbracht. Wir sind uns also nicht mehr fremd.“

Sie lachte, um die irritierenden Gefühle zu überspielen.

„Wir haben den Abend in einer schmuddeligen Wohnung verbracht, unter dem wilden Blick eines Mannes, der uns am liebsten verprügelt hätte. Finden Sie das ideal für ein erstes Date?“

„Sie wissen, dass das nicht alles war.“ Sein Blick heftete sich auf ihren Mund. „Vertrauen Sie mir, Zan.“

Sie zögerte. Gesunder Menschenverstand kämpfte mit der Versuchung.

„Ich weis nichts über Sie.“

Nur, dass er stark und clever war und wahnsinnig gut aussah.

„Was möchten Sie wissen?“ Seine dunklen Augen blitzten übermütig. „Ich bin Italiener. Geburtshelfer. Ich habe einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Und ein blaues Auge.“

„Sie sind nicht verheiratet?“

Er hielt ihrem Blick stand. „Keine Frau. Keine Kinder.“

Zan biss sich auf die Lippen. Wäre es ein großer Fehler, ihn hinaufzubitten? Sie überlegte nicht lange, stieß die Schwingtür auf und ging voran in die Eingangshalle. „Ich wohne im obersten Geschoss.“

Bist du total verrückt geworden? meldete sich ihr Verstand, als sie mit dem Fahrstuhl nach oben fuhren.

Ihre Brüder würden einen Tobsuchtsanfall bekommen.

Andererseits hatte sie vierundzwanzig Jahre lang vorsichtig und vernünftig gelebt. Es wurde Zeit, dass sie ein wenig zu leben begann. Zeit, ihren Instinkten zu trauen.

Und ihre Instinkte zeigten bei Carlo grünes Licht.

Bei der Erinnerung an den Druck seiner warmen Lippen lief ihr ein lustvoller Schauer über den Rücken. Bis heute Abend hatte sie angenommen, dass der Effekt eines Kusses vielfach überbewertet wurde.

Offenbar hatte sie bislang die falschen Männer geküsst.

Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, mochte immer noch nicht glauben, dass er Arzt war. Er war so ganz anders als die Ärzte, die sie kannte.

Er ertappte sie und lächelte.

Hastig atmete sie tief durch und lehnte sich schwach gegen die Kabinenwand. Wenn alle italienischen Männer so aussahen wie er, würde sie nach Italien auswandern.

Ein Ping ertönte, und sie richtete sich mühsam wieder auf.

„Ich muss Sie warnen“, erklärte sie, während sie in den Manteltaschen nach dem Hausschlüssel suchte. „Es nennt sich zwar Penthouse, weil es ganz oben liegt und eine tolle Aussicht bietet, aber das ist auch schon alles. Wenn ich im Lotto gewinne, kaufe ich mir etwas Größeres. Da drinnen können Sie nicht einmal eine Katze herumwirbeln …“

Sie schob den Schlüssel ins Schloss und bemerkte seinen seltsamen Blick.

„Was ist? Was habe ich gesagt?“

„Warum wollen Sie eine Katze herumschleudern? Ich dachte, ihr Engländer seid besonders tierlieb?“

„Sind wir auch. Nun, die meisten von uns.“ Zan grinste. „Ist nur so ein Spruch.“

„Ich dachte, mein Englisch wäre gut. Aber ich habe wohl noch viel zu lernen.“

In seinen wunderschönen braunen Augen war nicht zu lesen, ob er es ernst meinte oder nicht.

„Keine Sorge, das bringe ich Ihnen bei.“ Zan öffnete die Tür und machte Licht.

Der helle Holzfußboden war bedeckt mit Einkaufstüten, Preisschildchen und Plastikfolie, und sie warf ihm einen verlegenen Blick zu, als sie sich bückte und alles aufzusammeln begann.

„Sparen Sie sich die Mühe“, sagte er amüsiert. „Mir war von Anfang an klar, dass die Sachen brandneu sind.“

Zan presste die Beweise gegen die Brust und sah ihn bestürzt an. „Oh nein! Dabei habe ich sie extra zusammengeknüllt, damit sie gebraucht aussehen! Glauben Sie, die beiden haben es bemerkt?“

„Kelly hat sich viel zu sehr gefreut, als dass es ihr aufgefallen wäre, denke ich.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Geben Sie Ihr Gehalt immer für Patientinnen aus?“

Sie wurde rot. „Nein. Nun, manchmal … Ich mag Kelly, und sie tut mir leid.“

Lange betrachtete er sie. Die Luft schien plötzlich zu knistern. Wenn sie nicht aufpasste, ertrank sie noch in diesem Blick!

Als hätte er erraten, was in ihr vorging, grinste er schief und schlenderte hinüber zu den großen Fenstern, die eine Wand ihres winzigen Apartments bildeten.

„Fantastische Aussicht.“

„Danke.“ Sie zog sich die Mütze vom Kopf und schüttelte ihre Haare aus. Na, großartig, dachte sie. Ich habe einen tollen Mann in meiner Wohnung und sehe aus wie eine ertränkte Ratte. „Auf Gardinen kann ich hier verzichten. Niemand kann hereinsehen.“

„Es ist eine nette Wohnung.“

Sie lächelte. „Nun, wie ich schon sagte, es nennt sich Penthouse, aber wenn ich in der Lotterie gewinne, kaufe ich mir etwas Größeres.“

Er antwortete nicht sogleich, dann drehte er sich um. „Spielen Sie Lotto? Bedeutet Geld Ihnen viel?“

„Nein.“ Sie warf Tüten und Verpackungen in den Mülleimer und lächelte fröhlich. „Nur das, was man sich davon kaufen kann. Ich träume gern, Sie nicht?“

Er wirkte überrascht. „Also … ich …“

„Na, kommen Sie schon!“ Sie streifte sich Stiefel und Mantel ab und ließ sich im Schneidersitz aufs Sofa sinken. „Alle träumen davon, im Lotto zu gewinnen. Selbst Leute, die ständig vergessen zu spielen!“

Neugierig sah er sie an, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. „Und was würden Sie sich kaufen?“

„Ach, ich weiß nicht … die normalen Sachen …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ein Haus in einer besseren Gegend, einen Wagen, so dass ich nachts nicht zu Fuß durch unheimliche Straßen laufen muss.“

„Würden Sie aufhören zu arbeiten?“

„Um Himmels willen, nein!“, rief sie entsetzt. „Ich liebe meinen Beruf.“

Carlo wandte sich wieder dem Fenster zu. „Sie müssten schon viel Glück haben, um eine solche Aussicht wieder zu finden.“

„Sie ist nett, nicht wahr? Man hat so viele alte Warenhäuser in den Docklands zu Wohnungen umgebaut, und man wohnt hier wirklich schön.“ Zufrieden sah sie sich um. Es war zwar klein, aber gemütlich und gehörte ganz allein ihr. „Mach das Beste daraus, ist mein Motto. Es ist ziemlich eng, und ab morgen wird es hier noch enger.“

„Was passiert morgen?“ Er kehrte zu ihr zurück.

„Da kaufe ich einen Weihnachtsbaum“, verkündete sie stolz, „und zwar einen ganz großen!“

„Aha.“ Wieder verschränkte er die Arme vor der Brust. „Größe spielt für Sie eine Rolle?“

„Was Weihnachtsbäume betrifft, auf jeden Fall.“ Zan lachte über seine Anspielung und versuchte das erregende Kribbeln im Bauch zu ignorieren. „Ich liebe alles, was mit Weihnachten zu tun hat. Was ist mit Ihnen – mögen Sie die Weihnachtsfeiertage auch?“

Nach kurzem Zögern nickte er. „Ich denke schon.“

„Aber Sie sind traurig, weil Sie sie in diesem Jahr nicht zu Haus verbringen? Ich kenne das Gefühl. Ich muss Weihnachten arbeiten und werde nicht vor Neujahr bei meinen Eltern sein können. Aber ich habe meinen Wunschzettel an Santa Claus geschickt, so kann er alle Geschenke hierher bringen.“

Er lehnte sich gegen die Wand und musterte sie. Unwillkürlich musste sie schlucken, so groß wirkte er in ihrer kleinen Wohnung.

Groß und männlich.

„Sie haben an Santa Claus geschrieben?“

„Aber natürlich! Meine Wunschliste. Woher soll er denn sonst wissen, was ich mir wünsche?“ Sie zählte es an den Fingern ab. „Diamantohrringe, Kaschmirpullover, Seidenunterwäsche – all so etwas.“

„Diamantohrringe?“ Er schaute auf ihre zerrissene Jeans. „Sie sehen mir nicht aus wie eine Frau, die großen Wert auf Juwelen legt.“

„Lassen Sie sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen. Ich habe nie Schmuck gehabt. Jedes Jahr zu Weihnachten bekam ich das Gleiche wie meine Brüder. Rugbystiefel und Action-Man-Figuren. Sicher, meine Eltern sind großartig, und ich liebe sie. Aber irgendwie entging es ihnen, dass ich ein Mädchen bin. Ich hatte nie eine Puppe, und was hätte ich nicht alles für ein rosa Rüschenkleidchen gegeben.“

Er starrte sie an. „Rosa Rüschenkleidchen?“

„Na ja, Sie wissen schon – etwas Mädchenhaftes, Feminines. Was ist mit Ihnen? Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?“

Es folgte ein langes Schweigen, und als er endlich sprach, war sein Blick beunruhigend direkt. „Sie.“ Er sagte es ganz sanft und schaute ihr dabei in die Augen. „Sie wünsche ich mir, Zan.“

Das Schweigen, das seinen Worten folgte, dehnte sich. Zan hatte das Gefühl, als wäre die Temperatur im Raum schlagartig angestiegen. Ihr Herz klopfte wild, und sie bekam feuchte Hände.

Seine Antwort hatte sie schockiert und gleichzeitig erregt. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Die Wahrheit war, sie wollte ihn auch, aber das machte ihr Angst.

„Für One-Night-Stands bin ich nicht zu haben“, brachte sie schließlich hervor.

„Das ist gut.“ Er hielt ihren Blick fest. „Ich bin an mehr als einer Nacht interessiert.“

Sie konnte nicht mehr stillsitzen und sprang auf. Nervös musterte sie ihn.

Er war so anders als die Männer, die sie kannte. Sie kamen ihr jungenhafter vor. Carlo war ein Mann. Er wusste genau, was er wollte, und ging schnurstracks darauf zu.

Und sie konnte seinen Kuss nicht vergessen.

„Was geht hier vor sich?“ Sie schlang die Arme um sich. „Ich meine, mein Leben verläuft in vorgezeichneten Bahnen, mit Männern, die mich langweilen, und von einem Moment auf den anderen …“

Er hob eine Augenbraue. „Ja …?“

Ihr Herz hämmerte. Sie wusste nicht, was sie verführerischer fand, seine Stimme oder den Ausdruck in seinen Augen. „… liege ich auf dem Fußweg und küsse einen Fremden.“

„Beschweren Sie sich?“ Seine dunklen Augen neckten sie, und ihr fiel auf einmal das Atmen schwer.

„Nicht unbedingt. Ich bin es nur nicht gewohnt, mitten auf der Straße, vor Publikum, jemanden zu küssen.“

„Aber wir hatten kein Publikum.“ Er kam näher. Das hielt sie nicht aus und wich einen Schritt zurück.

„Möchten Sie einen Kaffee?“

„Nein.“ Schon war er bei ihr, stand so dicht vor ihr, dass sie seine Körperwärme spürte.

Zans Herz schlug wie verrückt. Ihr zitterten die Knie. Dieser Mann war atemberaubend!

Aber sie sollte keine Männer küssen, die sie nicht kannte.

Oder doch?

Ihr Blick fiel auf seinen Mund. Unwillkürlich öffnete sie sehnsüchtig die Lippen.

Ihr Verstand unternahm einen letzten Versuch, die Kontrolle zu behalten. „Ich habe noch kein Eis auf Ihr Auge gelegt.“

„Im Moment ist es nicht mein Auge, das eine Eispackung nötig hätte.“ Er zog sie an sich, senkte den Kopf, und sein warmer Atem mischte sich mit ihrem.

Sie begann vor Erwartung zu zittern, erwartete fast ungeduldig seinen Kuss. Seine Lippen berührten ihre leicht, und sein Lächeln zeigte deutlich, dass er sich seiner Wirkung auf sie voll bewusst war.

Endlich küsste er sie.

Ganz anders als vorhin auf dem Bürgersteig.

So war Zan noch nie geküsst worden.

Dieser Kuss war Erotik pur. Ein verführerischer Angriff auf ihre Sinne. Ihr unerfahrener Körper reagierte. Hitze ballte sich in ihrer Mitte, überschwemmte sie mit solcher Intensität, dass Zan sich instinktiv an ihn drängte.

Die warmen, festen Lippen immer noch an ihren, nahm er ihre Arme, legte sie um seinen Hals und zog sie fest an sich. Seine Zunge glitt in ihren Mund und verstärkte die köstlichen Empfindungen, die sie durchströmten. Es war die sinnlichste, intimste Erfahrung ihres Lebens. Die suc...

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