Sarah Morgan Edition Band 6

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DIE KÜSSE DES GRIECHISCHEN MILLIARDÄRS von SARAH MORGAN

Wie Cinderella kommt Schwester Ella sich vor, seit Dr. Mariakos in ihr Leben getreten ist. Er ist nicht nur ein toller Arzt, sondern auch sehr reich. Und er will sie heiraten! Aber Ella darf nicht Ja sagen, solange sie ihm nicht ihr größtes Geheimnis gestanden hat …

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PARADIES GESUCHT – LIEBE GEFUNDEN von SARAH MORGAN

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  • Erscheinungstag 08.06.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523783
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan

SARAH MORGAN EDITION BAND 6

PROLOG

Es war ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um zu bemerken, dass sie verliebt war.

Die Atmosphäre im Schockraum war angespannt und nervös – die Verletzungen des Kindes so ernst, dass sich kaum jemand große Hoffnungen machte.

Niemand, bis auf Dr. Nikos Mariakos. Der griechische Facharzt war dafür bekannt, Wunder zu vollbringen.

Mit zitternden Händen passte Ella Monroe die Sauerstoffzufuhr an und warf einen kurzen Blick auf den Mann, der ihr gegenüber arbeitete. Ihr Herz klopfte wie wild.

Warum jetzt? Und warum dieser Mann?

Sie hatte ihre beiden Regeln gebrochen. Vertraue niemandem. Verlieb dich nicht.

Bereits mit acht Jahren hatte sie gelernt, dass Männer meist Ärger bedeuteten, daher hatte sie ihre Gefühle verschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Doch dieser Mann hatte den Schlüssel gefunden und auch benutzt. Und was als heiße Affäre begonnen hatte – als körperlicher Ausgleich zu dem Stress, den die Arbeit in der Kindernotaufnahme mit sich brachte –, war zu etwas Tieferem geworden.

Panik überfiel Ella, aber der Zustand des Kindes ließ ihr keine Zeit für weitere Überlegungen.

„Absaugen … mehr Licht.“ Er gab seine Anordnungen in einem ruhigen, beinahe unbeteiligten Tonfall. Er schien die Herausforderung zu genießen.

Ich liebe ihn wirklich, dachte Ella, als sie seine geübten Hände beobachtete. Nur Stunden zuvor hatten diese Hände sie sinnlich verzaubert und ihren Panzer aus Misstrauen und Vorsicht geknackt.

Ein Gefühl der Angst kroch in ihr hoch, als ihr klar wurde, wie verletzbar sie nun war. Die Liebe hatte große Löcher in ihren Schutzschild gerissen. Sie angreifbar gemacht für die gleichen Qualen, die sie als Kind erlitten hatte.

„Soll ich ihm noch eine Blutkonserve geben?“, fragte einer der jüngeren Ärzte, der beinahe genauso blass war wie ihr kleiner Patient.

„Nein, wir müssen die Blutung stoppen.“ Die kühle, analytische Herangehensweise des Facharztes stand im direkten Gegensatz zur Aufregung des weniger erfahrenen Kollegen. „Erhöht die Temperatur hier drin.“

Während Ella seine Anweisungen schweigend ausführte, erinnerte sie sich an den Tag, als Nikos Mariakos bei ihnen angefangen hatte. Schon vor seiner Ankunft hatte sein Ruf einen enormen Aufruhr verursacht.

Als er dann schließlich kam, waren die Frauen in der Abteilung nicht mehr nur von seinen medizinischen Fähigkeiten begeistert, sondern auch von seinem Aussehen. Sogar Ella mit ihrem natürlichen Argwohn war wie geblendet gewesen. Nicht nur von seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, sondern auch von seinem entschlossenen Herangehen an jeden Fall, der durch die Türen der Notaufnahme hereinkam.

Vorschriften interessierten ihn nicht. Nikos Mariakos strebte gnadenlos nach Höchstleistungen und kreuzte daher regelmäßig die Klingen mit der Krankenhausverwaltung, die seine Gleichgültigkeit gegenüber Regeln und Richtlinien fürchten gelernt hatte.

Dem Kinderarzt war das egal. Wenn es um seine Arbeit ging, interessierte ihn nur eins: seine kleinen Patienten. Es war, als hätte er es sich zur Aufgabe gemacht, höchstpersönlich jedes einzelne verletzte Kind zu retten.

Selbstverständlich schloss das den kleinen Jungen auf dem Rollbett ein.

„Herzstillstand. Gib mir die Thorakotomie-Instrumente. Ich öffne den Brustkorb.“

Fassungslose Stille folgte seinen Worten, und Phil, der Anästhesist, schüttelte ungläubig den Kopf. „Das meinst du nicht ernst, Nikos. Weißt du, wie hoch die Sterblichkeitsrate ist, wenn dieser Eingriff außerhalb eines OPs durchgeführt wird?“

Nikos begann, das Kind wiederzubeleben. „Ich bin sicher, du erinnerst mich gleich daran.“

Der Anästhesist tat genau das, aber Nikos ließ sich nicht stören.

„Die Instrumente, Ella“, wies er die Krankenschwester an. „Hat jemand den Herz-Thorax-Chirurgen angerufen?“

„Was zum Teufel ist los mit dir, Nikos?“ Sein Kollege schwitzte unter der Wärme der Lampen. „Hältst du dich eigentlich nie an Regeln?“

„Nicht, wenn das bedeutet, ein Kind aufzugeben“, erwiderte Nikos kühl. „Die tiefe Brustverletzung des Jungen scheint auf den Thorax beschränkt zu sein. Wenn ich die Blutung in den nächsten Minuten stoppen kann, hat er eine Chance. Ella, die Thorakotomie-Instrumente.“

„Denk an deinen Ruf.“ Der Anästhesist wurde noch etwas blasser, als Nikos den Brustkorb des Kindes vorbereitete. „Du könntest entlassen werden.“

„Wenn ich entlassen werde, weil ich das Beste für meinen Patienten tue, dann gehe ich gern. Ich dachte immer, wenn man einen Abgang macht, dann während man nach Perfektion strebt“, sagte Nikos ruhig. Nichts in seinem Verhalten deutete darauf hin, dass er eine große Operation durchführen wollte. „Wie beim Sex einen Herzinfarkt zu bekommen.“

„Deine Freundin muss eine glückliche Frau sein“, witzelte eine der Krankenschwestern, und Ella fühlte, wie sie rot wurde.

Sie hielten ihre Beziehung geheim, aber plötzlich wollte sie allen erzählen, dass dieser unglaublich talentierte Mann die Nächte mit ihr verbrachte. Dass er sie gewählt hatte. Sein Blick traf ihren, und ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen, weil sie wusste, dass er ihre Gedanken erraten hatte.

Für einen kurzen Augenblick funkelte der Schalk in Nikos’ dunklen Augen, bevor er seine Hand nach den chirurgischen Instrumenten ausstreckte. „Skalpell“, sagte er leise. Ella holte tief Luft und reichte ihm das Messer. Der Augenblick hatte beinahe symbolischen Charakter. Dieser Mann hatte die Fähigkeit zu heilen, aber er konnte auch verletzen.

Würde er sie verletzen?

Sie wusste nur mit Sicherheit, dass er der einzige Arzt war, dem sie blind vertrauen würde, sollte sie einmal ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Leider teilte der Anästhesist ihre Zuversicht nicht. „Wenn du noch Witze reißen kannst, weißt du nicht, wie ernst das ist, was du vorhast, Mariakos“, sagte er barsch.

„Damit dieser Eingriff überhaupt Aussicht auf Erfolg hat, muss er innerhalb von fünf Minuten nach dem Herzstillstand ausgeführt werden. Ich habe noch vier Minuten übrig, Phil. Willst du reden oder ein Leben retten?“

„Ich möchte, dass du überdenkst, was du da tust.“

„Wundspreizer.“

Ella reichte Nikos, was er brauchte, während dem Anästhesisten der Schweiß ausbrach.

„Das Kind wird nicht überleben, wenn du das tust, Nikos.“

„Wenn ich es unterlasse, stirbt es in jedem Fall.“ Nikos arbeitete schnell und präzise. Kein Zögern, obwohl es sich um eine Operation handelte, für die den meisten Ärzten die Fertigkeit oder die Nerven fehlten. „Jetzt sehe ich das Problem.“ Bei ihm klang das, als wäre alles reine Routine. „Ein Riss im Vorhof des Herzens. Gib mir einen Faden.“

Ella reichte ihm die sterilen Instrumente, konzentrierte sich auf das, was er tat, und versuchte zu ahnen, was er brauchen würde, obwohl sie noch nie bei einem solchen Eingriff assistiert hatte.

Der Anästhesist wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wenn dieses Kind stirbt, werden dich die Eltern verklagen. Macht dir das keine Angst?“

„Ich denke, du hast genug Angst für uns beide“, murmelte Nikos, während er schnell und kompetent die Blutung stoppte und den Riss vernähte. Ruhig schaute er auf den Monitor. „Komm schon, agori mou. Kämpf für mich. Streng dich an. Bis jetzt habe ich die ganze Arbeit gemacht, jetzt bist du dran.“

Während sie fortfuhren, das Kind wiederzubeleben, bemerkte Ella, dass sie den Atem anhielt. Wenn auch nur die kleinste Hoffnung bestand, gab Nikos nie auf. Jedes Kind war ihm wichtig.

Und seine Anstrengungen wurden belohnt. Das Herz des Kindes begann wieder zu schlagen, gerade als der Herz-Thorax-Chirurg den Raum betrat.

„Du hast das Beste verpasst.“ Nikos ließ sich nicht ablenken. „Wie sieht es von deiner Warte aus, Phil?“

„Erstaunlich gut.“ Der Anästhesist klang überrascht. „Du hast verteufelt viel Glück, Mariakos.“

„Siehst du mich deshalb an, als wären mir Hörner gewachsen? Ich bin fertig.“ Nikos sah kurz zu dem Herz-Thorax-Chirurgen, der ihn mit einem matten, bewundernden Lächeln ansah. „Möchtest du zumachen? Du machst das sicher besser als ich. Nähen war nie meine Spezialität. Ist auf der Intensivstation ein Bett für den Jungen frei?“

Der Chirurg wusch sich die Hände. „Ich kümmere mich darum. Bist du sicher, dass ich das fertigmachen soll?“, fragte er nach. „Du scheinst das auch ganz gut allein zu schaffen.“

„Ich möchte mit der Familie sprechen.“ Nikos trat von seinem Patienten zurück und ließ seinen Kollegen übernehmen. Sein Blick verweilte für einen Moment auf dem Monitor, dann nickte er zufrieden. „Wenn sich etwas ändert, piept mich an.“ Damit verließ er den Raum.

Nachdem er gegangen war, herrschte Stille, bis sich ein junger Arzt räusperte. „Ehrlich … später mal möchte ich sein wie er“, murmelte er. „Was ist bloß sein Geheimnis? Liegt es nur an der Erfahrung?“

„Nein, am Temperament.“ Der Chirurg übernahm, wo Nikos aufgehört hatte. „Du brauchst zwei Dinge, um ein guter Herz-Thorax-Chirurg zu sein: fachliche Brillanz und Nerven aus Stahl. Sagt Mariakos, wenn er jemals genug hat von der Notaufnahme, kann er gern bei mir arbeiten.“

„Ja, der Mann ist kühl wie ein Eisblock“, blaffte der Anästhesist. „Und er ist arrogant. Zu überzeugt von sich. Wenn ihr mich fragt, kostet ihn das irgendwann seinen Job. Heute hatte er nur Glück.“

„Das war kein Glück.“ Der Chirurg begann, die Brust zu schließen. „Das war Können. Und ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal jemanden außer mir selbst gelobt habe, also genießt den Augenblick.“

„Der Junge lebt.“ Ella reichte dem Chirurgen die Instrumente, die er benötigte. „Weil Nikos ein Risiko eingegangen ist.“

„Vielleicht, aber diese Gefühlskälte macht mir Sorgen.“ Phil passte die Menge der Narkosegase an. „Fachlich ist er brillant. Und ja, er hat …“, er räusperte sich, „… Nerven aus Stahl. Aber er ist so kalt. Macht euch das nicht nervös?“

Ella hielt den Blick gesenkt, um ja nichts zu verraten.

Doch, es machte sie nervös. Es war leicht, seine gefühlsmäßige Distanz zu vergessen, wenn sie im Bett waren. Aber außerhalb …

Sie schüttelte leicht den Kopf, entschlossen, keine Probleme zu sehen, die es nicht gab. Die Tatsache, dass ihr Vater sie als Kind schwer enttäuscht hatte, hieß noch lange nicht, dass jeder Mann wie ihr Vater war.

Phil stand auf. „Es wäre schön zu sehen, dass er ein Mensch ist. Wenn er seine eisige Kontrolle mal für fünf Minuten verlieren würde. Ich bilde mir gern ein, dass es eine Maske ist, die er aufsetzt, wenn er arbeitet. Das tun schließlich viele von uns, um mit dem emotionalen Stress zurechtzukommen. Aber Nikos Mariakos …“, er schüttelte den Kopf, „… ich glaube nicht, dass der Mann seine Gefühle ausblendet. Wahrscheinlich hat er gar keine.“

Nikos blieb vor dem Aufenthaltsraum für die Angehörigen stehen und sah auf seine zitternden Hände. Er konnte sich denken, was sie gerade über ihn sagten.

Eiskalt.

Gefühllos.

Gott sei Dank konnten sie ihn jetzt nicht sehen, oder sein Ruf wäre komplett dahin. Und zum Glück für seine Patienten hatte ihn sein Körper im Schockraum noch nie im Stich gelassen. Erst danach, wenn ihn die Erinnerungen einholten.

Nikos holte tief Luft und schob die Bilder beiseite, die ihn quälten. Bilder von einem anderen Kind. Einem Kind, das er nicht hatte retten können.

Aber diesmal hatte er den Kampf gewonnen.

Entschlossen drückte er die Tür auf und begrüßte die Angehörigen. Anders als viele seiner Kollegen drückte sich Nikos nicht vor der schwierigen Aufgabe, vor Sorge aufgelösten Angehörigen entgegenzutreten. Der Gedanke, ihnen schlechte Nachrichten zu überbringen und sie dann einer Krankenschwester zu überlassen, war ihm fremd.

Er hatte den kleinen Patienten operiert und konnte ihre Fragen beantworten. Nur leider nicht die drängendste von allen: warum?

Glücklicherweise waren die Nachrichten an diesem Tag besser, als irgendjemand zu hoffen gewagt hatte, und zehn Minuten später flüchtete er in sein Büro.

Nikos rollte seine Schultern, um die Anspannung zu lockern, und starrte aus dem Fenster auf die belebten Straßen der Stadt. Er war nachdenklich. In Erinnerungen versunken.

„Nikos?“

Ellas Stimme erklang von der Tür, und lächelnd drehte er sich um. Sie war die einzige Person, bei der er sich zurzeit entspannen konnte.

„Ist deine Schicht vorbei?“

„Ja. Der Junge ist auf der Intensivstation und hält sich gut.“ Mit glänzenden Augen schlenderte sie auf ihn zu.

„Gut“, erwiderte er. Aber er dachte dabei nicht mehr an das Kind.

Sie blieb vor ihm stehen und fuhr mit den Fingern über seine Brust. „Du warst erstaunlich.“

„Ich dachte schon, Phil bleibt das Herz stehen.“ Nikos war von Ellas süßem Lächeln gefangen und von ihrer offenen Bewunderung. Sie war so herrlich unkompliziert!

Und sie hatte einen fantastischen Körper.

„Phil ist eben sehr vorsichtig.“

Nikos zog Ella in seine Arme und spürte, wie sein Körper sofort reagierte, als sie sich weich an ihn schmiegte. „In diesem Geschäft braucht man vorsichtige Leute.“

„Als Ausgleich für Leute wie dich?“, neckte sie ihn liebevoll. „Du bist ja nicht gerade übervorsichtig zu nennen, was?“

„Nun ja, ich weiß einfach ziemlich genau, was ich will.“ Er senkte seine Lippen für einen kurzen Augenblick auf ihre. Sie schmeckte nach Honig und Versuchung. „Und im Moment möchte ich dich. In meinem Bett. Nackt.“

„Du meinst in meinem Bett.“ Ella streichelte über sein stoppeliges Kinn, leicht außer Atem nach dem Kuss. „Wir lieben uns immer nur in meinem Bett und nie bei dir. Ist dir das klar?“

Ja, das war ihm bewusst. „Du wohnst näher.“ Behutsam lenkte er die Unterhaltung von diesem speziellen Thema weg. „Ich verhungere. Was muss ich tun, um deinen köstlichen Käsetoast zu bekommen?“

Sie legte ihm die Arme um den Hals. Spürte Zuneigung und Wärme. „Ich hätte gedacht, du hast es langsam über, in meinem Zimmer Käsetoast zu essen. Bist du sicher, dass wir nicht lieber essen gehen wollen?“

„Ich will Sex, dann etwas essen, dann wieder Sex“, schnurrte Nikos und drängte sie erregt gegen die Wand. „Und dann wieder. Im Restaurant holen sie in einem solchen Fall bestimmt die Polizei.“

Ella kicherte atemlos. „Nikos, das ist lächerlich. Wir sind seit sechs Monaten zusammen, wir sollten langsam aufhören, uns wie hormongesteuerte Teenager zu benehmen.“

Nikos küsste sie, doch mit den Gedanken war er noch bei dem, was sie soeben gesagt hatte. Sechs Monate? Das konnte doch unmöglich sein.

„Nikos?“ Liebevoll lächelte sie ihn an.

Liebevoll? Nikos erstarrte. Wann war das passiert? Und warum war es ihm nicht aufgefallen?

Innerlich zog er sich zurück. „Ich schlafe gern in deinem schmalen Bett.“ Doch eigentlich war ihm klar, dass er sich so schnell wie möglich aus dieser Situation zurückziehen musste. Und im Grunde wusste er auch, was zu tun war. Er musste ihr sagen, dass es vorbei war. Doch das fiel ihm überraschend schwer. Sonst war es so einfach, eine Beziehung zu beenden. Er räusperte sich. „Nun, du hast die Wahl. Entweder laufe ich jetzt zehn Meilen, oder ich gehe mit dir ins Bett. Was denkst du?“

Die sexuelle Spannung erreichte beinahe unerträgliche Ausmaße.

„Schwierige Entscheidung.“ Sie atmete flach. „Es ist gefährlich, so spät noch durch London zu laufen.“

„Gute Entscheidung.“ Nikos küsste sie erneut und griff nach seiner Jacke. Als er sie aus der Tür schob, grübelte er, wie er ihr danach am besten sagen würde, dass es vorbei war.

1. KAPITEL

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass er einfach Schluss gemacht hat, Ella. Warum sollte er das tun?“

Ella starrte auf das lange, schmale Boot, das ruhig am Flussufer lag, entsetzt darüber, dass ihre Selbstbeherrschung nicht so gut war, wie sie es gern gehabt hätte. „Offensichtlich mochte er mich nicht genug.“ Sogar jetzt noch, nach vier langen Monaten ohne Kontakt, fiel es ihr schwer zu glauben, dass sie ihn nicht wiedersehen würde. Dass die Verbindung zwischen ihnen für ihn vielleicht nie existiert hatte.

Helen schnaubte abfällig. „Ella, du hast mir gesagt, dass er dich in den sechs Monaten, die ihr zusammen wart, kaum aus dem Bett gelassen hat. Natürlich mochte er dich.“

„Er mochte den Sex.“ Ella beobachtete einen Eisvogel, der wie ein schillernder blaugrüner Blitz ins Wasser tauchte, um sein Frühstück zu fangen. „Für Männer ist nicht jedes sexuelle Abenteuer automatisch eine feste Beziehung, das weißt du doch. Frauen sind treu, Männer nutzen jede sich bietende Gelegenheit.“

Leider hatte sie diese Tatsache zwischendurch vergessen. Sie hatte eine Beziehung verklärt, die rein auf körperlicher Anziehung beruhte. Und was noch schlimmer war: Sie hatte diesem Mann vertraut.

„Ich muss ihn einfach vergessen und mein Leben weiterleben“, sagte sie tonlos. Genau wie er.

„Wie willst du das machen? Ella, du bist schwanger! Was wirst du jetzt tun?“

Ella umklammerte ihren kleinen Koffer. Sie hatte vor langer Zeit gelernt, dass sie die Tränen zurückhalten konnte, wenn sie sich nur stark genug auf etwas anderes konzentrierte. Allmählich verblasste das heiße Stechen in ihrem Hals und wurde zu einem dumpfen Schmerz. Der Druck hinter ihren Augenlidern ließ nach. Es würde ihr gut gehen. Und dem Baby auch. Dafür würde sie sorgen.

„Ich höre auf, um einen Mann zu weinen, der es nicht wert ist. Und bis ich weiß, was ich mit meinem Leben anfangen will, bleibe ich hier. Ich wusste gar nicht, dass man in diesen Kanalbooten wohnen kann. Es ist ein fantastisches Lebensgefühl.“

Der dunkelgrüne Lack glänzte in der Sonne, und auf dem flachen Dach wuchsen in Kästen farbenfrohe Blumen. Ella sprang vom Ufer auf das Holzdeck des Bootes.

„Warum muss es unbedingt dieses hier sein? Du kannst doch nicht ernsthaft hier so abgeschieden wohnen.“ Helen sah nervös auf den verlassenen Pfad, der an dem verschlafenen, überwucherten Kanal entlangführte. „Du bist ein Stadtmädchen. Du magst helle Lichter und Leute um dich.“

„Ich habe genug von diesem Leben und möchte etwas anderes.“

„Na gut, aber das ist doch ziemlich extrem. Als du von einem Hausboot gesprochen hast, dachte ich, es liegt in einem Jachthafen oder so, nicht mitten im Nirgendwo. Hier kommen nachts nur Verrückte vorbei.“

„Mir gefällt es.“ Eine Ente schwamm vorbei, gefolgt von sechs flauschigen Küken. Tränen stiegen Ella in die Augen. Es war nicht alles schlecht. Sie würde ein Baby bekommen. „Sind sie nicht süß?“

„Sicher, sie werden dich mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn ein Verrückter des Wegs kommt“, scherzte Helen.

„Sehr witzig. Kommst du an Bord?“

„Ich verstehe einfach nicht, warum du nicht weiter in meinem Gästezimmer wohnen kannst.“ Helen folgte ihr vorsichtig auf das Boot. „Ich habe dich gern bei mir.“

„Aber ich kann nicht ewig bei dir wohnen. Bis ich entschieden habe, was ich machen will, ist das hier mein Hauptquartier.“ Ella schloss die Türen im Bug des Bootes auf. „Es ist so friedlich hier.“

„Ella, du hast dich die letzten vier Monate in den Schlaf geweint. Du brauchst nicht einfach nur einen friedlichen Ort!“

Ohne zu antworten betrat Ella den langen schmalen Wohnbereich. Auf den dunkelgrünen Sofas lagen unzählige Kissen, und der polierte Holzboden glänzte in der Sonne. Sie konnte sich direkt vorstellen, wie sie sich auf den Kissen im Bug des Bootes zusammenrollte, mit einem kühlen Getränk in der Hand.

Allein.

Der schmerzhafte Stich in ihrem Herzen überraschte sie. Allein zu sein war doch in Ordnung. Vor Nikos hatte sie nichts anderes gewollt. Außerdem würde sie nicht lang allein sein. Bald hatte sie ein Baby. Sie wären eine kleine Familie.

Helen sah sie zweifelnd an. „Ist dir bewusst, dass wir nur eine Person gesehen haben, seit wir hier angekommen sind? Und das war ein Mann, der mit seinem Hund spazieren gegangen ist. Das hier ist kein geeigneter Ort für eine alleinstehende Frau.“

Ella ignorierte sie und erkundete weiter das Boot. „Das Schlafzimmer ist gemütlich.“ Sie stellte ihren Koffer ab. „Ich packe später aus.“

„Wem sagtest du gehört dieses Boot?“

„Einem der Fachärzte aus dem Krankenhaus. Er ist für sechs Monate mit seiner Familie nach Australien gegangen.“

„Ella, bitte …“ Helen ließ sich auf das Bett fallen. „Überleg dir doch, was du da tust.“

„Ich lebe mein Leben weiter.“ Ella kniete sich zu ihr auf das Bett und schaute aus dem Fenster auf die Bäume, deren hängende Äste die stille Wasseroberfläche berührten. „Es ist so beruhigend hier. Ich kann jeden Morgen mit diesem Ausblick aufwachen.“

„Weinend. Ella, wir müssen reden. Wie geht es dir denn mittlerweile?“

Als hätte Nikos ihr Herz mit einem Skalpell verletzt. „Es geht mir gut“, erwiderte Ella betont fröhlich. „Keine morgendliche Übelkeit, keine geschwollenen Knöchel, keine …“

„Ich meine nicht deine Schwangerschaft. Du bist wirklich verschlossen, was deine Gefühle betrifft. So warst du schon immer.“ Helen hob frustriert die Hände. „Warst du ihm gegenüber auch so distanziert? Oder hast du ihm gesagt, was du fühlst?“

„Er wusste es.“ Und darum hatte er es auch beendet. Für sie war die Beziehung mehr gewesen als nur heißer Sex. „Du willst wissen, wie ich mich fühle? Ich sage es dir. Als wäre ich in tausend winzigkleine Stücke zerbrochen. Ich habe die Teile wieder zusammengesetzt, und bis jetzt hält alles, aber ich fühle mich nicht mehr wie ich selbst.“

„Willst du deshalb hier draußen wohnen?“

„Ich brauche Abstand, um herauszufinden, was ich möchte. Und es ist gemütlich hier.“ Ella sah zu den Bäumen, die den Pfad einsäumten, und lauschte den Enten. „Es wird mir gut gehen. Ich bin Kinderkrankenschwester – zumindest weiß ich, wie man ein Baby hält und Windeln wechselt.“

„Darüber mache ich mir keine Sorgen.“ Helen verscheuchte eine Fliege. „Ich möchte nur nicht, dass du allein bist.“

„Was ist daran so schlimm? Weißt du, wir Singlefrauen verdienen unser eigenes Geld, kaufen uns eigene Häuser, wir …“

„Was? Haben Sex mit uns selbst? Nehmen uns selbst in den Arm, wenn wir unglücklich sind? Klingt großartig.“ Helen zuckte zurück, als sie in der Ecke eine Spinne entdeckte. „Entschuldige bitte, aber du bist schwanger von dem Mann! Du musst ihm von dem Baby erzählen.“

„Nein.“ Entschlossen hob Ella das Kinn. „Er wollte mich nicht, Helen.“ Und sie würde alles tun, um ihr Baby vor dem zu beschützen, was sie als Kind erlitten hatte.

„Er wusste doch gar nicht, dass du schwanger bist. Und du weißt nicht, warum er dich verlassen hat.“

Oh doch, das wusste sie. Ella schloss die Augen. „Er hat ein anderes Leben, von dem er mir nicht erzählt hat.“

„Ja, diese Geschichte ist verrückt, da stimme ich dir zu.“ Helen runzelte die Stirn. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass er allen Ernstes ein Milliardär ist.“

„Und ich habe ihm Käsetoast serviert.“ Ella rutschte vom Bett und ging in den Wohnbereich zurück. „Muss eine ziemliche Enttäuschung gewesen sein, nach all den Sternerestaurants. Kein Wunder, dass er gegangen ist. Wahrscheinlich hatte er jeden Abend eine Magenverstimmung.“

Helen folgte ihr. „Vielleicht war es eine Art Liebestest, dass er dir von dem Geld nichts erzählt hat.“

„Hör auf, ihn als aufmerksam und sensibel hinzustellen.“ Ella öffnete einen Schrank und fand Teller und Tassen. „Nikos ist ein egoistischer, arbeitsbesessener Mann, der nur eins wollte.“

„Zumindest konnte er das verdammt gut.“ Als sie Ellas Blick sah, ließ Helen sich schulterzuckend aufs Sofa fallen. „Entschuldige, aber ich sehe einfach nicht, warum er dich wegen des Geldes verlassen sollte. Das ergibt keinen Sinn. Himmel, diese ganzen Vermutungen sind doch zu nichts gut! Willst du nicht einfach mit ihm sprechen?“

„Es gibt nichts zu bereden. Er hat mich angelogen und dann verlassen. Dabei hatte er nicht einmal den Mut, es mir ins Gesicht zu sagen. Per E-Mail hat er mir mitgeteilt, dass er zurück nach Griechenland geht und unsere Beziehung vorbei ist.“

Helen zuckte zusammen. „Ich hasse E-Mails. Hast du ihm geantwortet?“

„Nein. Denn das war der Tag, an dem ich zum Arzt gegangen bin, weil mir übel war. Mir ist gar nicht eingefallen, dass ich schwanger sein könnte.“ Ella rollte die Augen über ihre eigene Dummheit. „Während ich im Wartezimmer saß, habe ich durch ein Magazin geblättert und einen vierseitigen Artikel über Nikos gefunden.“ Mit klopfendem Herzen brach sie ab und massierte ihre Schläfen. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass ihr das passiert war.

Helen legte tröstend den Arm um sie. „Ja, ich weiß auch nicht, was ich sagen soll. Es tut mir wirklich leid.“

„Mir auch“, antwortete Ella müde und löste sich aus der Umarmung. „Aber so ist das Leben, was? Ich sollte dankbar sein, dass ich es erfahren habe, bevor die Beziehung weitergegangen ist. So bin ich wenigstens die Einzige, die verletzt ist.“ Besser jetzt, bevor das Baby da ist.

Seltsam, wie groß der Beschützerinstinkt für ein Wesen sein konnte, das noch nicht einmal auf der Welt war.

„Aber sollte er kommen, würdest du mit ihm sprechen, ja?“

„Er wird nicht kommen.“

„Wie kannst du da so sicher sein?“

Ella war für einen Moment still. „Weil er verheiratet ist.“ Die Worte schmerzten. Sie schämte sich, obwohl sie wusste, dass es nicht ihre Schuld war. „Ich vermute, deswegen wollte er keine emotionale Bindung. Er hatte bereits eine. Seine Frau muss eine Heilige sein, wenn sie ihn nach all den Affären immer wieder zurücknimmt. Während der ganzen Zeit, die er in London war, hat seine Frau in Griechenland auf ihn gewartet.“

Helen starrte sie entsetzt an. „Verheiratet?“

„Ja.“ Ella lächelte verzerrt. „Schau nicht so schockiert. Ich fühl mich so schon schlimm genug.“

„Woher weißt du, dass er verheiratet ist?“

„Ich habe in dem Magazin seine Hochzeitsfotos gesehen. Seine Frau ist sehr schön, und sie müssen jung geheiratet haben.“

„Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“

„Na ja, was denkst du? Ich habe mich dafür gehasst, dass ich eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte. Da werde ich bestimmt nicht damit prahlen.“

„Ich bin deine beste Freundin! Ich kann nicht glauben, dass du mir das erst jetzt erzählst. Diese Ratte! Ach, Ella …“, Helen ließ sich auf das Sofa sinken und holte einmal tief Luft, „ich wünschte, du hättest mir das schon eher erzählt. Wenn ich das gewusst hätte … Mein Gott, warum habe ich das getan?“

„Du hast gar nichts getan. Ich bin diejenige …“ Ella runzelte verwirrt die Stirn. „Wovon sprichst du? Was hast du getan?“

Es herrschte Stille, während Helen sie beklommen ansah. „Du musst verstehen, dass ich nur dein Bestes wollte …“

„Jetzt machst du mich wirklich nervös.“ Ella fühlte ein unheimliches Kribbeln und nahm beklommen wahr, dass ihre Freundin blass wurde.

„Ich wusste doch nicht, dass er verheiratet ist. Ich dachte, ihr beide wärt nur dickköpfig und dass ihr alles wieder hinbekommt, wenn ihr euch nur aussprecht.“

Mit klopfendem Herzen starrte Ella sie an. „Helen …“

„Ich habe ihm geschrieben“, gestand Helen mit Tränen in den Augen. „Du bist meine beste Freundin, und in den letzten vier Monaten hast du dir jede Nacht die Augen ausgeweint. Ich dachte, wenn er von dem Baby wüsste …“

„Du hast ihm von dem Kind erzählt?“ Ella spürte, wie sie blass wurde. „Helen, nein!“

„Es tut mir so leid“, Helen schlug die Hände vors Gesicht, Tränen liefen ihr über die Wangen. „Es war falsch. Das weiß ich jetzt. Aber ihr beide könnt so stur sein, und ihr wart so verliebt. Ich dachte, wenn ich euch zusammenbringe, könntet ihr euch aussprechen. Ich dachte, ich würde euch helfen. Damit du glücklich wirst.“

„Wie konntest du nur!“ Ella atmete schwer und versuchte, klar zu denken. „Was, wenn er herkommt? Wenn du ihm von dem Baby erzählt hast …“

„Aber vielleicht wäre es gut, wenn er kommt. Dann könntet ihr reden und …“

„Helen, er ist verheiratet. Und soweit es mich betrifft, ist es aus. Ein Mann kann nicht zwei Familien haben!“ Diese Worte taten ihr so weh. „Was hast du dir bloß dabei gedacht? Warum musstest du dich in mein Leben einmischen?“ Ellas Stimme überschlug sich.

Helen wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich wusste doch nicht, dass er verheiratet ist. Es tut mir so leid, ich wünschte, ich könnte alles rückgängig machen. Es ist nur, dass du dein ganzes Leben eine verkorkste Beziehung zu Männern hattest, und ich dachte, ich könnte dir helfen.“

„Ich weiß, dass ich verkorkst bin, was Männer betrifft.“ Ellas Stimme klang heiser. „Und ich hatte recht, oder? Er hat mich belogen, Helen. Er hat mir seine Frau verheimlicht und die Tatsache, dass er Milliardär ist. Alles Lügen. Ich glaube, er hat nicht ein ehrliches Wort zu mir gesagt. Diese Art von Täuschung passiert nicht unabsichtlich. Und falls er hier auftaucht, verpasse ich ihm ein blaues Auge. Das ist aber auch schon alles, was er von mir haben kann.“

„Vielleicht solltest du mir auch eins verpassen. Ich habe es verdient.“ Helen wühlte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase. „Ich hasse es, das sagen zu müssen, aber wir müssen ins Krankenhaus. Willst du dich krankmelden? Die neue Kindernotaufnahme fällt ohne dich zwar wahrscheinlich auseinander, aber ich kann dich entschuldigen.“

„Auf keinen Fall.“ Ella schloss kurz die Augen. Sie konnte es sich nicht leisten, ihre Stelle zu verlieren. Sie musste für ein Baby sorgen, und außerdem wurde sie im Krankenhaus gebraucht. „Ich schaffe das schon. Es geht auch gar nicht anders. Die Verwaltung hat Roses Antrag auf mehr Personal schon wieder abgelehnt, und wir haben mehr Patienten denn je.“

„Das liegt an der Hitze.“ Helen hielt inne, sah aus dem Fenster in den blauen Himmel und biss sich auf die Lippen. „Es tut mir leid, El.“

„Vergiss es, es ist eben passiert.“ Immer noch benommen vor Schreck sah Ella mit trübem Blick aus dem Fenster. „Geh schon vor. Ich schließe noch ab.“

Helen zögerte. „Ella …“

„Geh schon.“

Er kommt nicht, versuchte Ella sich zu beruhigen. Er ist verheiratet. Wahrscheinlich hatte er bereits Kinder. Sie war nur eine angenehme Ablenkung gewesen. Mehr nicht.

Auch wenn die Griechen als besonders kinderlieb galten – es würde Nikos egal sein, dass sie schwanger war.

Es war vorbei.

Seine Gefühle kochten, als Nikos sich im Warteraum der Kindernotaufnahme umsah. Noch nie zuvor war es ihm so schwergefallen, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Seine Anspannung stieg mit jedem Augenblick, der verging. Unruhig ließ er seinen Blick über die Reihen kleiner roter Sitze schweifen, über den bunten Spielbereich und die fröhlichen Wandgemälde. „Es gibt einen separaten Eingangsbereich für Kinder?“

„Ja. Sofort, wenn sie durch den Haupteingang kommen, werden sie hier hineingebracht. Was dachten Sie?“ Rose, die Oberschwester, die für die Hauptnotaufnahme verantwortlich war, sah ihn nervös an.

Um Interesse zu zeigen, ging Nikos durch den fröhlichen Empfangsbereich. In der Tür zu einem der Behandlungsräume hielt er inne. Neben modernsten Geräten standen dort Kisten mit Spielzeugen, Kinderbüchern und DVDs. „Schockraum?“

„Die nächste Tür links.“ Rose eilte neben ihm her und versuchte, sich seinem Tempo anzupassen. „Kann ich Sie etwas fragen, Professor?“

Sie betraten den Schockraum, und Nikos erstellte eine mentale Inventarliste, um sich von der Sache abzulenken, die seit einer Woche seine Gedanken beherrschte. „Bitte, lass uns doch Du sagen, ich bin Nikos. Und ja, frag ruhig.“

„Wir freuen uns wahnsinnig, dass du hier bist, Nikos, aber warum hast du diese Stelle angenommen?“ Rose zuckte hilflos mit den Schultern. „Du bist auf der ganzen Welt gefragt. Vor zwei Jahren habe ich einen deiner Vorträge gehört, und der Hörsaal war gerammelt voll.“

„Vielleicht hat es draußen gerade geregnet“, scherzte Nikos.

Rose lächelte schief. „Ich denke, das können wir ausschließen. Du könntest überall arbeiten. Warum hier bei uns?“

„Kranke Kinder sind kranke Kinder. Egal, wo.“ Nikos warf ein Auge auf das Intubationsbesteck und weigerte sich, den wahren Grund für sein Hiersein preiszugeben. Auch wenn er wusste, dass es schnell genug herauskommen würde. „Erzähl mir vom Personal.“ Er hielt seinen Tonfall bewusst neutral. „Ist es pädiatrisch ausgebildet?“

„Unser Kernpersonal, ja. Und je nach Bedarf ziehen wir Personal aus der Hauptnotaufnahme hinzu. Heute Nachmittag ist Ella die zuständige Kinderkrankenschwester. Sie ist wunderbar.“

Ella. Anspannung schnürte ihm den Magen zu, und seine Gedanken gaukelten ihm gefährliche Bilder vor. Weiches blondes Haar, ein süßes, verführerisches Lächeln und Kurven, die einen Mann verrückt machen konnten.

„Ich kenne Ella.“ Nichts an ihm verriet, wie gut. „Wir haben in London zusammengearbeitet.“ Und jetzt war sie schwanger mit seinem Kind. Eine Tatsache, die sie vor ihm verborgen hatte.

Die Wut schlug ihre scharfen Krallen in ihn, und er atmete tief durch, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Die Heftigkeit seiner Reaktion schockierte ihn selbst. Er wusste, dass er der Eisdoktor genannt wurde, und fragte sich, was die Leute wohl sagen würden, wenn sie wüssten, wie er sich gerade fühlte.

Wie lautete noch gleich der Satz, mit dem die Leute so achtlos um sich warfen? Jeder hat seine Grenzen. Waren seine hiermit erreicht?

Mit größter Willensanstrengung erinnerte sich Nikos daran, dass Wut nichts bewirkte. Die Beherrschung zu verlieren, würde nicht helfen. Gefühle lösten keine Probleme. Was er brauchte, war eine sachliche Diskussion.

Sie würde zu Wort kommen. Er würde seinen Teil sagen. Ruhig und vernünftig. Sie würden zivilisiert miteinander umgehen.

„Du kennst Ella?“ Rose sah ihn überrascht an. „Das ist ja wunderbar!“

Nikos lächelte sie kühl an. Ella würde die ganze Situation wohl kaum so toll finden. Schließlich hatte sie ihre Schwangerschaft vor ihm verheimlicht. „Ja, ich freue mich auch darauf, sie wiederzusehen.“

„Da brauchst du nicht lange zu warten. Sie hat heute Spätschicht und sollte jede Minute hier sein.“

Wie aufs Stichwort hörte Nikos hinter sich Gelächter. Der Klang von Ellas Stimme machte ihn wütend. Was war lustig daran, einem Mann sein Kind vorzuenthalten? Ein vernünftiges Gespräch stand nicht länger auf seiner Wunschliste. Ruhig und vernünftig – das konnte ihm gestohlen bleiben!

Als Ella durch die Tür trat, brach sein Ärger heftig hervor. Sie band gerade ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Und plötzlich dachte Nikos daran, wie er den schlanken Hals geküsst hatte, während sie sich unter ihm wand und verzweifelt seinen Namen stöhnte. Er erinnerte sich, wie schüchtern sie das erste Mal gewesen war, wie schwer es ihm gefallen war zu glauben, dass eine Frau mit vierundzwanzig Jahren so wenig Erfahrung haben konnte.

Als er sie jetzt ansah, war es wie ein Schlag in den Magen.

„Hallo, Ella.“

Abrupt blieb sie stehen, und das Lächeln erstarb auf ihren Lippen, als sie ihn sah. Sie wurde so blass, dass Nikos unwillkürlich einen Schritt nach vorn machte, um sie aufzufangen, falls sie umfallen sollte. Für einen Augenblick stand sie nur da und starrte ihn an.

Schuldgefühle, dachte er grimmig, als er ihr Gesicht beobachtete. Was sie getan hatte, war unverzeihlich, und das wusste sie. Doch auf keinen Fall würde er sie auf den Boden fallen lassen. Schließlich war sie schwanger mit seinem Kind.

Es brannte ihm auf den Nägeln, ihr seine Meinung zu sagen, aber es war weder der richtige Zeitpunkt noch der passende Ort dafür, sodass Nikos seinen ganzen Ärger stattdessen in einen einzigen hitzigen Blick legte.

Offensichtlich blind für die gefährliche Veränderung in der Stimmung sagte Rose fröhlich: „Ella. Gutes Timing. Ich hatte keine Ahnung, dass du Professor Mariakos kennst. Ich bin begeistert. Das erleichtert alles. Jetzt haben wir ein erfahrenes Team für die Kindernotaufnahme. Was für ein unbeschwerter Sommer!“

Nikos hielt seinen anklagenden Blick auf Ellas blasses, erschrockenes Gesicht gerichtet. „Es wird wie in alten Zeiten.“

Ein Flackern in ihren leicht schräg stehenden grünen Augen sagte ihm, dass sie wusste, was er dachte: Es würde auf keinen Fall wie in alten Zeiten sein. Wenn sie diesmal zusammenarbeiteten, gab es keine intimen Blicke, kein aufregendes Kribbeln, während sie darauf warteten, allein zu sein. Kein Flüstern, kein flüchtiges Lächeln und ganz bestimmt keine explosive sexuelle Anziehungskraft.

Nur Wut, Schuldgefühle und Vorwürfe.

Ella hat mir verschwiegen, dass sie schwanger ist, und das wird mir keine Frau noch einmal antun. Diesmal wollte er das Recht, seinem Kind ein Vater zu sein.

Schneidend durchfuhr ihn der Schmerz, und plötzlich wollte er sich vor ihr aufbauen und hier und jetzt eine Erklärung verlangen. Er wollte wissen, warum sie sich nicht selbst bei ihm gemeldet hatte.

Rose sah von einem zum anderen. „Ich habe euch beide so eingeteilt, dass ihr den Sommer über in jeder Schicht zusammenarbeitet. Ich brauche euch nicht zu sagen, dass die Krankenhausverwaltung die Abteilung genau beobachtet, aber so wird es ein großartiger Erfolg.“

Nikos’ Blick wanderte zu Ellas Bauch. Für das ungeübte Auge war ihre Schwangerschaft unter der weiten OP-Kleidung nicht sichtbar. Doch er kannte sie so intim, dass er die Veränderungen erkennen konnte. Ihre wunderbaren Brüste waren voller als sonst, ihre Hüften üppiger gerundet. Und in ihrem Bauch wächst mein Kind.

Was würde sie zu sagen haben? Welche Entschuldigung könnte sie vorbringen? Gehörte sie womöglich zu diesen radikalen Feministinnen, die ein Baby, aber keinen Mann wollten?

Grimmig presste er den Mund zusammen, als er über diese Möglichkeit nachgrübelte. Wenn, dann hatte sie sich den falschen Mann dafür ausgesucht. Er war Grieche. Und sie würde bald merken, was genau das bedeutete.

„Atme einfach ganz normal, Tamsin“, sagte Ella beruhigend. Sanft streichelte sie dem Mädchen über den Kopf. „Diese Maske hilft dir beim Atmen.“

Das kleine Mädchen wand sich und zerrte an der Sauerstoffmaske. Ella zog sich das Herz zusammen, während sie vergeblich versuchte, das Mädchen zu beruhigen. Tamsin war völlig verängstigt, und das verschlimmerte ihren Zustand nur noch. Das hier war eine möglicherweise lebensbedrohliche Situation. Ella schob all ihre eigenen Probleme zur Seite und konzentrierte sich ganz auf die Arbeit.

Kurz nachdem Rose ihr die Schlüssel für den Medikamentenraum gegeben hatte, war die Abteilung plötzlich von Patienten überrannt worden. Um nicht weiter über Nikos nachdenken zu müssen, hatte Ella den schlimmsten Fall übernommen, ein dreijähriges Mädchen mit einem akuten Asthmaanfall.

Was für ein Glück, dass ich so gut ausgebildet bin, dachte sie benommen, während sie den Sauerstofffluss anpasste und die Atmung des Kindes aufmerksam beobachtete. Dank ihrer Routine konnte sie so tun, als sei nichts geschehen. Sie tat und sagte das Richtige, auch wenn sie innerlich noch vor Schreck bebte.

Er war gekommen. Irgendwie hatte sie geahnt, dass sie ihn wiedertreffen würde. Sie musste unbedingt ruhig bleiben und durfte auf keinen Fall zulassen, dass Gefühle in ihrer Diskussion eine Rolle spielten. Sie würde das Gespräch auf die Fakten beschränken. Um herauszufinden, was Nikos in Bezug auf das Baby wollte. Dann würde sie gehen und darüber nachdenken. Es war nichts Persönliches. Sie würde ihn genauso abhaken wie er sie.

Das war zumindest die Theorie gewesen.

Aber wie konnte eine Frau einen Mann wie Nikos Mariakos wegschicken? Einen großen, auffallend attraktiven, selbstsicheren, muskulösen Mann? Einen muskulösen, wütenden Mann.

Glücklicherweise war er mit Rose mitgegangen, um noch einige Formalitäten zu erledigen, sodass Ella mit Alan arbeitete, einem Arzt in der Ausbildung, der sechs Monate Einsatz in der Notaufnahme hinter sich hatte und den nächsten Monat auf der Kinderstation verbringen würde. Alan war ausnahmslos freundlich, höflich und fachkundig, was die Routinesachen betraf. Aber insgeheim war sich Ella nicht so sicher, dass er wirklich mit kranken Kindern arbeiten konnte.

Bis jetzt hatte die dreijährige Tamsin ihm nicht erlaubt, ihre Brust abzuhören, und nichts, was er tat, konnte sie dazu bewegen. Verlegen und überfordert stieg dem jungen Arzt die Röte ins Gesicht, während er mit verstellter Stimme versuchte, das Kind zu überzeugen.

Das Mädchen spürte sein fehlendes Selbstvertrauen, und ihre Panik nahm zu. Das machte es für Ella immer schwerer, sie zu beruhigen.

„Liebling, er wird dir nicht wehtun.“ Da seine Anwesenheit alles noch schlimmer machte, bedeutete sie Alan, dass er vom Rollbett zurücktreten sollte, und nahm eine Puppe aus der Spielzeugkiste. „Schau Tamsin, das hier ist Angie, ist sie nicht schön? Komm, wir ziehen ihr ein Kleid an, und dann bekommt sie ganz besondere Luft zum Atmen, wie du. Was meinst du, welches Kleid nehmen wir? Such du eins aus.“ Sie nahm zwei Kleider aus der Kiste und hielt sie hoch. „Rosa oder lila?“

Das kleine Mädchen schnappte zwar noch immer nach Luft, aber sie zerrte nicht länger an der Maske und deutete auf ein Kleid.

„Rosa? Gute Wahl. Ich mag rosa auch.“ Ella zog der Puppe das rosa Kleid über den Kopf, und Tamsin streckte eine Hand danach aus.

„Sag ‚bitte‘, Tams“, murmelte ihre Mutter, die danebensaß. Aber Ella waren Manieren egal. Sie wollte nur erreichen, dass das Kind die Sauerstoffmaske aufbehielt.

„Hilfst du mir, Angie eine Maske aufzusetzen? Ups, die ist ein bisschen zu groß.“

Ihre eigene Maske war vergessen, als Tamsin versuchte, der Puppe zu helfen.

„Das hast du gut gemacht. Jetzt fühlt Angie sich gleich besser.“ Während Ella das Kind lobte, blickte sie erneut auf den Monitor und wurde unruhig. Besorgt fragte sie die Mutter des Mädchens: „Hatte sie schon einmal so einen Anfall, Mrs. Stevens?“

„Nicht so schlimm.“ Die Frau wiegte ein Baby in den Armen und versuchte gleichzeitig, Tamsin zu beruhigen.

„Hatte sie eine Erkältung? Irgendeine Infektion?“

„Nichts.“ Das Baby begann zu weinen, und Mrs. Stevens hob es an ihre Schulter. „Tut mir leid. Ich hätte das Baby nicht mitgebracht, aber ich hatte niemanden, bei dem ich sie lassen könnte. Sch, Poppy. Nicht jetzt, mein Liebes.“

Alan schob sich die Brille höher auf die Nase. „Würde es helfen, wenn wir Ihren Mann anrufen?“

Mrs. Stevens schüttelte kurz den Kopf und sah ängstlich zu Tamsin. „Er ist nicht mehr da“, murmelte sie leise. „Nicht, seit er herausgefunden hat, dass ich die Kleine hier erwarte.“

Ella fühlte eine Welle der Traurigkeit, als sie in Tamsins süßes Gesicht sah. Lange Wimpern. Blonde Locken. Und keinen Vater.

Noch eine zerstörte Familie. Er sollte hier sein, dachte sie grimmig, und sein kleines Mädchen halten, wenn es ihn brauchte.

„Alan, das Salbutamol zeigt keine große Wirkung. Möchtest du ihr Prednisolon geben?“

„So schlimm keucht sie nicht.“ Weil er das Kind nicht weiter aufregen wollte, hielt Alan sich in sicherer Entfernung vom Rollbett.

Plötzlich wünschte Ella, Nikos hätte nicht gerade diesen Moment gewählt, um mit Rose zu verschwinden. Er mochte der letzte Mensch sein, den sie persönlich sehen wollte, aber beruflich war er ein Traum.

Tamsin schob ihre kleine Hand in ihre. Sie sah so erschöpft und verängstigt aus, und das Vertrauen in ihren Augen schnürte Ella das Herz zu.

„Dir geht es bald wieder besser, Liebling.“ Sie drückte die kleine Hand des Mädchens und sah zu Alan. „Sie braucht Prednisolon“, sagte sie mit Bestimmtheit. Sie hoffte, dass Alan erkannte, dass sie auf dem Gebiet mehr Erfahrung hatte als er, und ihr einfach zustimmte. „Ich denke, eine Dosis von 20 Milligramm wäre eine gute Idee.“

Alan rieb sich den Nacken. „Ich überlege, ob ich bei diesem Fall nicht den Professor um Rat fragen sollte.“

Ella biss die Zähne zusammen. „Tu das.“ Es war ihr egal, solange sich jemand mit mehr Erfahrung als Alan das Mädchen ansah.

Wie aufs Stichwort betrat Nikos entspannt und selbstsicher den Raum. „Hier alles in Ordnung?“

„Professor …“ Alan richtete sich auf und sah ihn bewundernd an. „Wir waren nicht sicher, ob wir ihr gleich eine Dosis Prednisolon geben sollen oder abwarten, ob die Inhalation von Salbutamol ihre Atmung verbessert. Es ist etwas schwer, sie zur Mitarbeit zu überreden.“

Nikos warf einen Blick auf das keuchende Kind und murmelte: „Gebt ihr das Prednisolon. Sofort.“

Alan warf Ella einen entschuldigenden Blick zu, und sie zog vorsichtig ihre Hand aus der des Mädchens. „Ich gehe nicht weg“, murmelte sie beruhigend, als Tamsin zu wimmern anfing. „Ich bin hier. Ich hole nur etwas, damit du leichter atmen kannst.“

Sie spürte Nikos’ Blick auf sich, als sie nach der Dosis griff, die sie bereits vorbereitet hatte.

„Ihre Sättigungswerte liegen bei 95 Prozent.“ Ella drehte sich zu dem Kind zurück und redete ihm aufmunternd zu, während sie die Medizin verabreichte. Die ganze Zeit war sie sich Nikos’ mächtiger Statur auf der anderen Seite des Rollbettes nur zu bewusst. „Die Akte liegt hinter dir, falls du einen Blick darauf werfen möchtest.“

Aber Nikos interessierte die Akte nicht, er sah seine kleine Patientin an. „Wie heißt du denn, meine Süße?“

„Tamsin“, sagte das Mädchen zögernd und beäugte ihn misstrauisch.

Er lächelte sie gewinnend an. „Hallo Tamsin, ich freue mich, dich zu sehen.“

Die Kleine drängte sich näher an Ella, wie eine Schildkröte, die sich in die Sicherheit ihres Panzers zurückzog, um sich vor Gefahr zu schützen. „Geh weg.“

Nikos lehnte sich an das Rollbett, um nicht ganz so groß zu wirken. „Das werde ich, wenn du das möchtest. Aber ich hoffe, du hilfst mir vorher. Ich habe nämlich keine Ahnung, was ich mit dem hier anfangen soll.“ Aus seiner Tasche zauberte er eine kleine Plüschnixe mit langem goldenem Haar.

Trotz ihrer wachsenden Anspannung musste Ella lächeln. Es war einfach so typisch für Nikos, zu wissen, wie er zu jedem Patienten eine Beziehung aufbauen konnte. Die Leute sagten, er sei kalt, aber sie wusste, dass das nicht immer stimmte.

Die Panik des kleinen Mädchens wandelte sich in Interesse. Immer noch an Ellas Hand geklammert griff sie nach dem Spielzeug, aber Nikos hielt es außerhalb ihrer Reichweite. „Erst musst du ihr einen Namen geben. Wie nennen wir sie?“

Nikos’ Blick ruhte auf der Brust des Kindes, während er seine Atmung einschätzte. Er ermutigte Tamsin, mit ihm zu sprechen, damit er abschätzen konnte, wie gut sie Luft bekam. Langsam entspannte sich das Mädchen.

Sieh zu und lerne, Alan, dachte Ella beeindruckt.

Nikos zog ein Stethoskop aus seiner Tasche. Sofort spannte Tamsin sich an und wollte laut protestieren, aber Nikos lächelte nur und hörte völlig konzentriert die Brust der Nixe ab.

„Und?“ Ella spielte mit und fragte ernst: „Wie geht es der Nixe?“

Nikos nickte langsam. „Ich glaube, sie hat etwas Meerwasser geschluckt, aber ansonsten geht es ihr gut.“

Tamsin griff nach dem Stethoskop. „Ich.“

„Du möchtest auch?“ Ella streichelte Tamsins weiche Locken. „Möchtest du hören?“ Sie nahm Nikos’ Stethoskop und gab vor, es dem Mädchen an die Ohren zu halten.

Als sie sah, wie Ella Nikos anlächelte, entspannte sich Tamsin. Nikos ging sehr behutsam mit ihr um. Sie war so fasziniert von ihm, als er schließlich das Stethoskop auf ihre Brust legte, dass sie einfach einen pummeligen Arm hob und an seinem dunklen Haar zog. Dann hielt sie ihm die Nixe hin, und Nikos lächelte.

„Sie gehört dir, koritsi mou. Pass gut auf sie auf.“

Ellas Herz überschlug sich, denn diese Seite an ihm ging ihr immer besonders nah. Sie hatte gesehen, wie er erfahrene Ärzte verbal auseinandernahm, wenn sie hinter seinen Erwartungen zurückblieben. Er konnte rücksichtslos sein, wenn es nötig war. Und trotzdem war er jetzt mit einem kleinen Kind so aufmerksam und zärtlich.

Es war so schwer, diesen Mann zu hassen. Unendlich schwer.

Um sich abzulenken, konzentrierte Ella sich auf den Monitor. „Ihre Sättigungswerte verbessern sich.“

Nikos nickte. „Es geht ihr gut.“

Trotz der schwelenden Spannung zwischen ihnen arbeiteten sie reibungslos zusammen.

Zweimal streiften sich ihre Finger, und schließlich trat Ella vom Rollbett zurück. Sie konnte einfach nicht ruhig bleiben, wenn Nikos ihr so nah war, auch wenn er sich ihr gegenüber gleichgültig verhielt. Er nahm ihren Rückzug mit leicht zusammengekniffenen Augen zur Kenntnis, und sie wünschte, sie wüsste, was er dachte.

Warum war er so wütend? Er sollte ihr dankbar sein, dass sie es ihm leicht machte. Dass sie seine kühle Abfuhr per E-Mail still akzeptiert hatte.

Sie suchte in seinem attraktiven Gesicht nach einem Anzeichen dafür, dass ihn die letzten vier Monate genauso mitgenommen hatten wie sie. Hatte er abgenommen? Wirkte er, als hätte er gelitten?

Ihm war nichts anzusehen. Der Kragen seines weißen Hemdes stand offen, und für einen Moment verweilte Ellas Blick auf seinem kräftigen Hals, und sie erinnerte sich daran, wie oft sie ihren Mund auf genau diese Stelle gepresst hatte. Seine Haut war dunkler als sonst, was darauf schließen ließ, dass er einem angenehmeren Klima ausgesetzt gewesen war als dem hier im Süden Englands.

Er war in Griechenland gewesen.

Bei seiner bezaubernden griechischen Frau?

Der Schmerz zerriss sie beinahe, und mit ihm kam die Wut. Er hatte sie betrogen, das durfte sie nicht vergessen. Sie würde sich nicht noch einmal von seinen Fähigkeiten als Arzt verführen lassen.

„So, ihre Atmung ist deutlich besser.“ Da er das Vertrauen des Kindes gewonnen hatte, wandte sich Nikos an die Mutter des Mädchens. „Wir müssen noch herausfinden, was diesen Anfall ausgelöst hat. Ihr Asthma ist sonst gut unter Kontrolle?“

Die Frau nickte, während sie das Baby in ihren Armen wiegte. „Im Winter hat sie manchmal Probleme, wenn sie erkältet ist, aber nie so stark. Wir haben mit meiner Schwester und ihrer Familie ein Haus an der Küste gemietet. In einem Moment hat Tamsin noch fröhlich gespielt, im nächsten bekam sie keine Luft mehr.“

„Aber in der letzten Zeit war sie nicht krank? Keine Erkältung, kein Fieber?“ Während er die Mutter ausfragte, untersuchte Nikos das Mädchen weiter. Sah ihren Hals und die Ohren an, tastete ihre Drüsen ab und tat das Gleiche bei der Nixe, wenn Tamsin das wollte. „Es war alles wie immer?“

Ellas Herz begann zu rasen, als sie seinen fähigen Händen zusah. Finger, die ein Leben retten konnten und eine Frau in den Wahnsinn treiben.

Sie hatte so viele Fragen. Warum spielte ein Milliardär Arzt? Warum hatte er ihr nicht die Wahrheit über sich gesagt?

Mrs. Stevens dachte kurz nach und antwortete dann. „Mir fällt nichts ein. Sie war auch kaum am Strand, weil die Kinder hauptsächlich mit dem Welpen im Haus gespielt haben.“

Nikos hob eine Augenbraue. „Welpe?“

„Wir machen mit meiner Schwester Ferien. Deren Familie hat letzte Woche einen kleinen Hund gekauft. Einen Spaniel. Tamsin liebt den Hund. Er hat sogar in ihrem Bett geschlafen.“

Ella wechselte einen kurzen Blick mit Nikos, als das kleine Mädchen die Maske von ihrem Gesicht riss. „Ja! Bruno! Ich möchte Bruno sehen.“

„Behalt die Maske auf, Tams. … Oh mein Gott.“ Die Mutter starrte Nikos an. „Sie denken, es könnte der Hund sein? Eine Allergie? Daran habe ich nicht gedacht.“

„Es ist möglich.“ Nikos griff nach der Akte. „Den Rest der Ferien sollten die Kinder draußen mit dem Hund spielen, nicht drinnen. Wenn Sie wieder zu Hause sind, besprechen Sie es mit Ihrem Hausarzt. Vielleicht muss er den Behandlungsplan überdenken.“

„Brauchst du eine Röntgenaufnahme vom Brustkorb?“, fragte Ella. „Soll ich dem Röntgentechniker Bescheid geben?“

Nikos schüttelte den Kopf. „Ihre Sauerstoffsättigung verbessert sich, ihr Herzschlag hat sich beruhigt und ihre Atmung verbessert. Ich bin zufrieden. Verlegt sie in eins der Zimmer, dann kann sie eine Weile spielen. Wenn es ihr in einer Stunde auch noch gut geht, kann sie nach Hause.“

Das Baby begann nun lauthals zu schreien.

„Die Kleine spürt wahrscheinlich Ihre Anspannung.“ Ella streckte die Arme aus. „Geben Sie sie mir einen Moment, Mrs. Stevens. Ich halte sie, während Sie Tamsin knuddeln.“ Sie nahm das Baby, und ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie in das kleine Gesicht sah. Wenn sie schon von einem fremden Baby so hingerissen war, wie würde es dann erst bei ihrem eigenen sein? „Hallo Poppy. Ich wette, du fragst dich, was du an so einem seltsamen Ort machst“, murmelte sie, und das Baby hörte sofort auf zu schreien und sah Ella interessiert an.

Sie hielt das Baby sicher fest und lächelte es an.

Fasziniert von dem neuen Gesicht lächelte das Baby zurück.

„Sie hat gelächelt!“ Amanda, die einen Arm um Tamsin und einen um die Nixe gelegt hatte, lachte erstaunt. „Hast du das gesehen, Tams? Poppy hat die Krankenschwester angelächelt. Das ist das erste Mal. Sie ist gestern sechs Wochen alt geworden, und wir haben alle versucht, sie zum Lächeln zu bringen. Sie haben offensichtlich ein Händchen dafür. Haben Sie selbst Kinder?“

Ellas Blick wanderte von dem Baby zu Nikos, und sie bemerkte, dass er sie intensiv beobachtete. Die Gefühle in ihr überschlugen sich. „Nein“, antwortete sie heiser und wandte den Blick ab, bevor sie sich zum Narren machte. „Ich habe keine Kinder.“

„Ach, Sie haben ja auch noch genug Zeit.“ Mrs. Stevens streichelte ihrer Tochter über das Haar.

Ohne Nikos anzusehen reichte Ella das zufrieden gurrende Baby zurück an seine Mutter, und in diesem Moment schaute eine andere Schwester herein, damit er sich ein weiteres krankes Kind ansah. Im Hinausgehen bedachte er Ella mit einem eindringlichen Blick.

Ella fühlte einen Anflug von Panik, als sie an die unausweichliche Konfrontation dachte. Was würde er ihr zu sagen haben? Welche Entschuldigungen würde er vorbringen? Würde er behaupten, dass seine Frau ihn nicht verstand? Dass ihre Ehe nur noch auf dem Papier bestand?

Frustriert angelte sie ein Buch aus dem Regal und setzte sich zu Tamsin. Nikos war verheiratet. Die genauen Umstände dieser Ehe waren unwichtig.

Würde er sich dafür entschuldigen, dass er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte? Oder war er einer dieser Männer, die dachten, dass Affären zur Ehe gehörten?

Ella zwang sich dazu, sich zu konzentrieren, las Tamsin eine Weile vor und ließ sie dann spielen. Eine Stunde später erschien Nikos erneut und befand das Mädchen für gesund genug, um entlassen zu werden.

„Vielen Dank für alles.“ Mrs. Stevens hielt Poppy mit einer Hand an ihrer Schulter, während Tamsin an der anderen zog. „Sie waren so nett zu meinem Mädchen. Danke.“

Nikos schrieb gerade Notizen in die Krankenakte, als Tamsin die Hand ihrer Mutter losließ und Ella die Arme entgegenstreckte. „Spielen.“

„Heute nicht mehr. Du gehst jetzt nach Hause, Tamsin.“ Ella hockte sich hin und lächelte ihre neue Freundin an. „Und du wirst wunderbare Ferien haben.“

„Komm mit.“ Tamsin nahm Ellas Hand und wollte sie mitziehen.

Lachend stand Ella auf. „Eine verführerische Einladung.“ So wie sie sich im Moment fühlte, würde sie alles tun, um nicht mit Nikos arbeiten zu müssen. „Leider kann ich nicht mitkommen.“

„Ich wünschte, Sie könnten es“, flüsterte Amanda. „Sie können so toll mit Kindern umgehen.“

Ella sah, wie Nikos’ Stift stockte, und sie fragte sich, was er wohl dachte. Bedauerte er, dass sie nie eine richtige Familie sein konnten? Dass sein Kind ohne Vater aufwachsen würde?

Sie schob den Gedanken beiseite und begleitete Mrs. Stevens und die Kinder nach draußen, bevor sie widerwillig in den Behandlungsraum zurückkehrte, um aufzuräumen. Glücklicherweise war von Nikos nichts zu sehen. Vor Anspannung fühlte sich ihr Magen wie verknotet an, doch sie rief sich in Erinnerung, dass er während der Arbeit keine privaten Themen ansprechen würde.

Beruhigt drehte sie sich um, um den Raum zu verlassen, und stand mit einem Mal vor Nikos, der die Tür blockierte. Er stand mit gespreizten Beinen da, der Blick seiner schwarzen Augen war dunkel und gefährlich. Keine Spur von Sanftheit oder Freundlichkeit. Das war kein Mann, der eine Nixe aus seiner Tasche zauberte.

Zorn umgab ihn wie ein Kraftfeld.

Bestimmt schloss er die Tür hinter sich und schlenderte auf sie zu, bis sein Körper ihren beinahe berührte. „Wir müssen uns unterhalten, agape mou.“

2. KAPITEL

„Ich habe dir nichts zu sagen, Nikos.“ Völlig durcheinander versuchte Ella, ihn zurückzuschieben, aber er bewegte sich keinen Millimeter.

Dieser Mann würde sich für nichts entschuldigen. Den Mund grimmig verzogen schob er sie gegen die Wand und stützte sich mit den Armen neben ihr ab, sodass er sie gefangen nahm und ihr den Fluchtweg versperrte. Durch den Stoff seines Hemdes konnte sie die Hitze und Kraft seines Körpers spüren. Er behandelte sie so gleichgültig, und trotzdem reagierte ihr Körper so heftig auf ihn wie früher. Mein Körper hat einfach keine Menschenkenntnis, dachte sie bitter, als sie den Blick abwandte, in der Hoffnung, so die Versuchung zu verringern. Nikos strotzte nur so vor Männlichkeit – angefangen von seinem glänzenden schwarzen Haar über den durchtrainierten Körper bis zu der arroganten Art, wie er vor ihr stand, als ob ihm die Welt gehörte.

Was offenbar auch der Fall ist, dachte Ella, als sie an all die Dinge dachte, die sie an jenem furchtbaren Nachmittag vor vier Monaten über ihn erfahren hatte.

„Du hast mir nichts zu sagen? Du bist schwanger mit meinem Kind und denkst, dass du mir nichts zu sagen hast?“ Seine Augen verengten sich gefährlich. „Beantworte mir eine Frage. Wenn deine Freundin Helen mir nicht geschrieben hätte, hättest du es mir gesagt?“

„Warum interessiert dich das überhaupt?“

Einen Augenblick war es ganz still im Raum, dann sog Nikos scharf den Atem ein. „Fragst du mich das ernsthaft?“

Ella drückte gegen seine Brust. Sie fühlte sich eingesperrt. „Wir können hier nicht darüber sprechen. Das muss warten, bis unsere Schicht vorbei ist.“

Er lachte, aber es klang verbittert und herablassend. „Ich lasse dich nicht aus den Augen, agape mou. Und wir können genauso gut hier reden. Im Moment haben wir keine Patienten. Ich frage dich noch einmal: Hättest du es mir gesagt?“

„Ich weiß es nicht!“ Zitternd hob Ella ihre Hände an die Wangen. „Du willst eine ehrliche Antwort? Ich weiß es nicht. Es war die schwerste Entscheidung, die ich je treffen musste.“

Er verzog seinen Mund zu einer grimmigen Linie. „Ich verstehe nicht, warum es so schwierig ist, einem Mann zu sagen, dass er Vater wird.“

„Natürlich ist es schwierig, wenn dieser Mann bereits verheiratet ist!“

Nikos’ attraktives Gesicht wurde blass, und er atmete schwer. „Wie kommst du zu der Behauptung?“, fragte er heiser.

Sie schüttelte den Kopf und fragte sich, warum sie sich plötzlich schuldig fühlte, wo er sich doch falsch verhalten hatte. „Ich weiß alles, Nikos.“ Es war schwer, mit einem Kloß im Hals zu sprechen. „Alles, was du vor mir verheimlicht hast.“

Er schwieg vielsagend. „Was“, fragte er dann, „soll ich dir verheimlicht haben?“

„Die Tatsache, dass du ein verheirateter Milliardär bist.“

Die Stille, die ihren Worten folgte, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Monatelang hatte sie insgeheim gehofft, dass sie alles falsch verstanden hatte, trotz der vernichtenden Beweise. Sogar jetzt hoffte sie noch darauf, dass er es abstritt. Aber nichts dergleichen passierte.

Ella war nie klar gewesen, dass man schweigend so viel sagen konnte.

Nikos sah auf sie herunter. „Darum hast du mir nichts von dem Baby gesagt? Weil du irgendwelche Gerüchte gehört hast?“

„Es war kein Gerücht.“

„Hast du es von mir gehört? Hast du von mir gehört, dass ich verheiratet bin?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Und du konntest mich nicht nach meinem angeblichen Doppelleben fragen, bevor du entschieden hast, mir mein Kind vorzuenthalten?“

„Du hast mich verlassen, Nikos! Wie hät...

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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