Schatten über London - flammende Sehnsucht

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DER KUSS IM KRISTALL

London, 1818: In Alethea brennt der Wunsch nach Gerechtigkeit: Ihre Tante, die bekannte Wahrsagerin Madame Zoe, wurde ermordet! Der einzige Hinweis auf den Täter ist eine kostbare Schmucknadel, die einen Raben zeigt. Mutig gibt Alethea sich fortan als Madame Zoe aus, um den Schurken herbeizulocken. Kann sie so die Geheimnisse der Vergangenheit lüften? Kristall und Karten geben Alethea aber nicht preis, wohin die Zukunft sie führt: Der attraktive Rob McHugh, Earl of Glenross, weckt mit einem Kuss ihre Leidenschaft - und einen schrecklichen Verdacht! Denn der Rabe ist das Zeichen des Earls und ziert jedes seiner Schmuckstücke …

MEIN MUTIGES HERZ

London, 1844: Eine junge Dame in gefährlicher Mission, ein Beschützer wie aus einer nordischen Heldensaga - zwei mutige Herzen in Gefahr! Eine junge Dame, allein in Opiumhöhlen und Bordellen? Couragiert ist die Reporterin Lindsey zu allem bereit! Sie muss den wahren Mörder von Covent Garden finden, um den entsetzlichen Verdacht von ihrem Bruder abzuwenden. Doch Thor Draugr, Schwager ihrer Verlegerin, sieht das anders: Als Ehrenmann kommt es für ihn nicht in Frage, dass Lindsey sich in Gefahr begibt. Auch wenn sie sein kühles nordisches Blut zum Sieden bringt - keinen Tag weicht er von ihrer Seite! Und auch keine Nacht, wenn Lindsey voller Verlangen seine Männlichkeit herausfordert ... Aber wo ist ihr Geliebter, als Lindsey unvermittelt dem Mörder gegenübersteht?

BETÖREND WIE DER DUFT DER LILIEN

Der Liliendieb hat erneut zugeschlagen: Wieder hat er eine antike griechische Kostbarkeit aus einem Stadtpalais entwendet und nichts als eine weiße Lilie hinterlassen! Londons feine Gesellschaft steht vor einem Rätsel - nur die hübsche Calliope hat einen Verdacht: Cameron de Vere, Earl of Westwood. Doch warum sollte der wohlhabende attraktive Lord Antiquitäten stehlen? Beherzt beschließt Calliope, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihre Suche beginnt auf einer Hausparty - wo Cameron sie mit einem Kuss betört und sie auf den Olymp der Zärtlichkeit entführt …


  • Erscheinungstag 24.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788230
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Gail Ranstrom, Kat Martin, Amanda Mccabe

Schatten über London - flammende Sehnsucht

Gail Ranstrom

Der Kuss im Kristall

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2004 by Gail Ranstrom
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 265 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Bärbel Hurst

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 01/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-164-2

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

PROLOG

London, 3. Dezember 1818

„Tot? Madame Zoe ist tot?“

Alethea Lovejoy nickte und lief im Salon ihrer Tante Grace Forbush hin und her. Sie spürte einen Kloß in der Kehle. Es würde noch schlimmer kommen, aber das wusste die Mittwochsliga noch nicht, jene Gruppe unerschrockener Damen, die im Geheimen um Gerechtigkeit für Frauen kämpfte, die schlecht behandelt wurden.

„Wann?“, fragte Annica Sinclair, Lady Auberville, blinzelte mit ihren dunkelgrünen Augen und stellte ihre Teetasse ab.

„Gestern Morgen. Ich bin nicht sicher, wie lange sie schon dalag, aber dann wurde sie gefunden. Sie – sie …“ Alethea hielt inne, um sich gegen den Schmerz zu wappnen. Sie durfte ihrem Kummer nicht nachgeben. Sie musste sich zusammennehmen, sonst würde sie nicht mehr aufhören können zu weinen.

„Setz dich, Liebes“, sagte ihre Tante Grace und wartete, bis die Nichte sich auf eine Stuhlkante gehockt hatte, ehe sie das Wort ergriff. „Madame Zoe war noch am Leben, als Alethea in ihrem Salon über dem ‚La Meilleure Robe‘ erschien. Sie tat ihren letzten Atemzug in ihren Armen. Dann eilte Alethea nach unten zu Madame Marie, und Marie, die wusste, dass Alethea meine Nichte ist, schickte mir eine Nachricht.“

„Wie entsetzlich für dich, Alethea“, stieß Lady Sarah Travis hervor. „War sie denn krank?“

„Es war Mord“, erklärte Alethea. „An der Schläfe und am Bauch hatte sie Wunden, die stark bluteten, und ich sah auch Blutergüsse am Hals. Der Angreifer muss sie für tot gehalten haben, als er ging.“

Charity Wardlows Tasse klirrte auf der Untertasse. Daher stellte sie beides schnell hin, ehe sie etwas verschütten konnte. „Mir wird immer ganz komisch, wenn irgendwo ein Mord geschieht. Wenn ich mir nur ausmale, welches Gerede das wieder verursachen wird! Die bekannteste Wahrsagerin des ton – gestorben durch die Hand eines Mörders!“

„Der ton muss davon nichts erfahren, Charity. Jedenfalls jetzt noch nicht“, sagte Grace.

„Aber die Konstabler werden …“

Grace schüttelte den Kopf. „Man wird nichts davon berichten. Wir haben es ihnen nicht gemeldet. Alle hielten Madame Zoe für eine französische Immigrantin – eine Frau, die am Rande der Gesellschaft lebte und nicht weiter wichtig war. Und das zu glauben ist besser als die Wahrheit.“

„Was ist die Wahrheit?“, fragte Lady Annica und beugte sich vor.

Grace zögerte nur einen Moment, ehe sie antwortete: „Dass Madame Zoe eine englische Adlige war, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen, ihre Identität jedoch verbergen musste, um ihrer Familie die Schande zu ersparen.“

Alethea errötete ein wenig. Wie peinlich es doch war, die sprichwörtliche „arme Verwandte“ zu sein. Und welch ein Skandal, dass die Familie davon lebte, den ton zu beschwindeln!

„Du kanntest sie? Persönlich?“, fragte Sarah.

„Sie hieß Henrietta Lovejoy“, erklärte Grace. „Aletheas unverheiratete Tante väterlicherseits.“

Bis sie diese Worte ausgesprochen hörte, war es Alethea gelungen, die Endgültigkeit der Ereignisse zu leugnen. Tante Henrietta war fort. Gestorben. Getötet. Heimlich beerdigt in einem Klostergarten. Alethea spürte, dass die Blicke aller auf sie gerichtet waren. Der Verlust trieb ihr die Tränen in die Augen. Energisch räusperte sie sich. Später. Mit dem Schmerz würde sie sich später abgeben.

„Wie schrecklich für dich, Alethea, und für dich auch, Grace.“ Annica erhob sich und umarmte beide Frauen herzlich. „Aber wenn ihr nicht die Behörden verständigt …“ Die Frage schien in der Luft zu schweben.

„Wir warteten, bis es dunkel wurde, dann mieteten wir eine Kutsche und brachten Henriettas Leich… – ihre sterblichen Überreste zu den Nonnen nach St. Ann’s. Unter dem Namen einer Nonne wurden sie heute Morgen mit allem Respekt begraben“, erklärte Grace. „Nur Alethea und ich waren anwesend.“

Charity schlug die Beine übereinander.„Was ist mit ihren Freunden und ihrer Familie? Sie werden sich nach ihr erkundigen.“

„Ich fürchte nicht, Charity“, entgegnete Grace und seufzte ein wenig. „Henrietta bewegte sich nicht in den Kreisen der Londoner Gesellschaft, und der Kontakt zu ihren Freunden in Wiltshire ist schon vor langer Zeit abgebrochen. Sie glaubte, nur so könnte sie ihre Anonymität als Madame Zoe aufrechterhalten. Fünf Jahre lebte sie nun schon als Wahrsagerin, und nur Madame Marie, Alethea und ich kannten ihre wahre Identität. Selbst Bennett und Dianthe wissen nichts über ihre Tätigkeit.“

Alethea hob resolut das Kinn und sagte: „Ich habe darüber nachgedacht, was jetzt zu tun ist. Wie man – wie man …“

„Gerechtigkeit für deine Tante erwirken könnte?“, vermutete Annica.

Alethea nickte und machte sich auf einen Sturm der Entrüstung gefasst. Denn genau diese Frage war der heikle Punkt. „Der Mörder kann nicht sicher sein, dass Tante Henrietta tot ist, denn als er ging, lebte sie noch. Ich habe vor, in ihrer Verkleidung aufzutreten und ihn zu entlarven.“

„Was? Nein! Das kannst du nicht machen!“, riefen die Damen wie aus einem Munde.

Annica und Sarah tauschten besorgte Blicke.

„Madame Zoe war die führende Wahrsagerin Londons. Alle wichtigen Leute haben ihren Salon aufgesucht. Wie willst du den gesamten ton täuschen?“, fragte Sarah.

Alethea seufzte. „Tante Henrietta und ich, wir haben beide von einer Zigeunerin, die einmal auf dem Anwesen der Lovejoys weilte, das Lesen von Tarotkarten gelernt. Ich habe mich darüber lustig gemacht, aber die alte Frau sagte mir, dass der Zauber echt wäre und dass ich es eines Tages verstehen würde“, meinte sie. „Damals war es nur ein Spiel, aber es hat Spaß gemacht, und ich erinnere mich noch immer an die Bedeutung der einzelnen Karten. Ich werde Tante Henriettas Witwenkleidung anlegen und leise und mit französischem Akzent sprechen. Früher oder später wird der Mörder zurückkehren müssen.“

„Um dich umzubringen“, sagte Charity. „Das ist zu gefährlich. Er wird im Vorteil sein, denn er weiß, dass Zoe ihn identifizieren kann. Aber du wirst ihn nicht erkennen. Ach, wenn wir doch nur irgendeinen Hinweis hätten!“

Alethea blickte auf ihre geschlossene Faust. „Einen habe ich zumindest schon. Ich fand das hier auf dem Boden neben ihr.“ Sie öffnete ihre Hand und zeigte einen schwarzen Raben aus Onyx, der auf einer goldenen Nadel saß. Seine Augen waren aus Diamanten. Die Damen beugten sich vor, um den Gegenstand zu betrachten.

„Erstaunlich“, bemerkte Annica. „Und wenn ich mich nicht täusche, auch sehr wertvoll. Der Mörder wird Zoe suchen, aber auch seine verlorene Nadel.“

„Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, wie er sich Zutritt zu Zoes Räumlichkeiten verschaffen konnte“, rätselte Charity. „Ich dachte, man müsste stets über ihren Agenten einen Termin vereinbaren. Ein Mann mit Namen Mr. Evans.“

„An jenem Abend hatte Tante Henrietta keine Termine. Entweder der Mörder traf sie zufällig in ihrem Salon an, oder er verfolgte sie, bis sie allein war.“ Aletheas Stimme klang brüchig vor Kummer und Zorn.

Grace schob eine Strähne ihres haselnussbraunen Haares zurück und nickte. „Wir hoffen, der Mörder ist so verwirrt durch Zoes Überleben, dass er einen Fehler begehen wird. Und wir können sicher sein, dass er nicht nach Miss Alethea Lovejoy aus Little Upton, Wiltshire, Ausschau halten wird. Aber wenn Alethea als Zoe in dem Salon über Madame Maries Schneidergeschäft ihre Dienste anbietet, wird sie zweifellos in Gefahr sein. Vielleicht sollte eine von uns sich in dem kleinen Ankleidezimmer verstecken, wann immer Alethea sich dort befindet.“

„Ich habe eine Idee!“, rief Charity aus. „Wir sollten Mr. Renquist bitten, in Zoes Salon einen Glockenzug zu installieren, der in La Meilleure Robes Nähstube unten läutet. Dann kann Alethea Hilfe herbeiholen, sobald etwas nicht stimmt.“

Alethea entsann sich, dass Mr. Renquist, der Ehemann von Madame Marie, Chefermittler der Mittwochsliga war und eine Legion der Bow Street Runners unter seinem Befehl hatte. Es tröstete sie, ihn in Rufweite zu wissen. Vielleicht würde sie auf diese Weise überleben.

Lady Annica sah Alethea eindringlich an. „Wenn du darauf bestehst, das zu tun, Alethea, dann hast du unsere volle Unterstützung. Ich werde überall herumerzählen, dass Madame Zoe einen Unfall hatte und durch eine Kopfverletzung teilweise das Gedächtnis verlor. Vielleicht wird das den Mörder glauben machen, dass Madame Zoe ihn nicht verraten kann.“

„Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl“, setzte Grace an. „Wir geben dir freie Hand, aber nur bis Ende des Monats, Alethea. Danach müssen wir die Behörden benachrichtigen. Eine solche Untat darf nicht ungesühnt bleiben.“

Alethea holte tief Luft. Sie war froh, mit dem Beistand der Mittwochsliga rechnen zu können, auch wenn sie nur wenig Zeit hatte. Nun war Eile geboten. „Ich werde sofort anfangen.“

1. KAPITEL

London, 12. Dezember 1818

Konnte es einen größeren Gegensatz geben als den zwischen diesen Gerüchen und Geräuschen und dem engen Verlies in Afrika, dem er soeben entronnen war? Lord Robert McHugh, vierter Earl of Glenross, zog seinen Überrock aus und reichte ihn dem Lakaien. Die Luft war erfüllt von dem Duft nach Immergrün, vermischt mit dem köstlicher Kanapees und heißen gewürzten Weins. Aus dem angrenzenden Raum waren leise Orchestermusik und höfliches Gemurmel zu hören. Neben ihm versuchte Lord Ethan Travis noch immer, die Gründe darzulegen, warum Robert davon absehen sollte, heute Abend diese Soiree zu besuchen.

„Dazu bist du noch nicht bereit, McHugh. Du bist erst seit vierzehn Tagen wieder in London. Lass dir noch etwas Zeit, ehe du …“

„Ich habe keine Zeit, Travis“, erwiderte Robert, der von seinen Freunden meist „Rob“ oder einfach nur „McHugh“ genannt wurde. „Die habe ich in Algier vertan.“

„Du musst dich erst wieder mit der Gesellschaft vertraut machen. Wenn du hereinstürmst, wo man auf Zehenspitzen gehen sollte …“

„Meinst du, die Gesellschaft sollte sich erst mit mir vertraut machen?“ Rob lächelte angesichts der Besorgnis des Freundes.

Ethan warf ihm einen verzweifelten Blick zu. „Wenn ich du wäre, würde ich mich zu einem Barbier begeben. Deine Locken sind länger als die Byrons. Und deine Gefühle so schroff wie ein Wintertag. Diplomatie war noch nie deine starke Seite. Unter diesen Umständen kann dir niemand einen Vorwurf machen, aber warum willst du dich dem Gerede aussetzen, dem Mitleid …“

Mitleid? Dagegen musste Rob etwas tun. Er wollte lieber gehasst werden als bemitleidet. „Woher die Besorgnis, Ethan? Das Außenministerium hat mich seit meiner Rückkehr isoliert. Zwei Wochen lang haben sie mich wieder und wieder befragt, um jedes noch so kleine Quäntchen Information zu erhaschen, das ich während meines, äh, Aufenthalts im Palast des Dey vielleicht aufgeschnappt habe. Es ist zu früh, als dass du Beschwerden über mich gehört haben könntest.“

„Dazu soll es auch gar nicht erst kommen.“

„Hat sich jemand über mein Benehmen beklagt?“, fragte Rob.

„Wenn du willst, kann dein Benehmen mustergültig sein, Rob. Für deinen Ruf gilt das nicht. Und du hast kaum etwas dagegen unternommen. Es ist geradezu legendär, wie entschlossen du ein Ziel ins Auge fasst und wie wenig du dich dabei von deinem Gewissen leiten lässt. Aber hätte ich das erlebt, was du in den letzten Jahren und vor allem in diesen letzten sechs Monaten durchmachen musstest, dann wäre ich noch nicht dazu fähig, mit Debütantinnen zu kokettieren und höfliche Konversation zu betreiben.“

Rob drängte die Erinnerungen zurück. Es durfte nicht passieren, dass die Geister der Vergangenheit ihn an dem hinderten, was er heute vorhatte. „Deine Sorge ist unbegründet, Ethan.“

„Ich weiß, du willst diese Madame Zoe finden und zur Strecke bringen, aber dies ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür, Rob.“

„Einen besseren wird es nicht geben“, erwiderte er. „Aber habe keine Angst. Ich werde keine Szene machen. Ganz im Gegenteil. Ich werde meine Absichten geheim halten. Es ist dumm, ins Horn zu blasen und so den Fuchs zu verjagen.“

Ethan räusperte sich. „Mrs. Forbush ist eine enge persönliche Freundin meiner Frau. Heute Abend wird sie ihre Nichte Miss Dianthe Lovejoy der Gesellschaft präsentieren. Wenn irgendetwas missrät, wird sie außer sich sein.“

„Du bedauerst doch nicht, mir eine Einladung verschafft zu haben?“, fragte Rob. „Was sollte schon missraten?“

„Gütiger Himmel, McHugh. Kannst du nicht ernst sein?“

Rob lachte freudlos. „Hat dich das Außenministerium gebeten, mich zu bewachen? Du hörst dich an wie Lord Kilgrew. Er drängte mich, mir Ruhe zu gönnen, ehe ich meinen – meinen Verpflichtungen nachgehe.“ Rob zupfte an den Locken in seinem Nacken und gestattete sich einen leisen Seufzer. In einem Punkt musste er Ethan wohl recht geben – er hätte sich das Haar schneiden lassen sollen.

Aber Ethan Travis hätte sich keine Sorgen machen müssen. Während der Monate, die Rob im Gefängnis von Algier verbracht hatte, war es ihm gelungen, seinen Zorn gegenüber jenen, die ihn auf diesen Weg geführt hatten, zu mäßigen. Ohne diese Selbstbeherrschung wäre er wie ein Feuersturm durch die Londoner Gesellschaft getobt auf der Suche nach der Information, die er brauchte.

Ethan hatte eine Überraschung für seinen Freund. „Weißt du, dass dein Bruder“, begann er in dem Versuch, Roberts Aufmerksamkeit auf ein weniger empfindliches Thema zu lenken, „deine gesellschaftlichen Mängel wieder ausgleicht? Seit seiner Ankunft in London vor sechs Wochen beeindruckt er die ganze Stadt. Und weißt du, dass er im ‚Limmer’s‘ wohnt?“

„Douglas ist in London?“ Das war in der Tat eine Überraschung. Während Roberts zweiwöchiger Befragung hatte das Außenministerium keine Nachrichten von außen durchdringen lassen.

Ethan nickte. „Dein Anwalt schickte nach ihm, als wir erfuhren, dass der Dey dich zum Tode verurteilt hat und du nicht – nicht zurückkommen würdest.“

„Ich hoffe, er bringt nicht die Erbschaft durch.“ Rob grinste. „Weiß er, dass ich am Leben bin?“

„Noch nicht. Aber innerhalb der nächsten Stunde sollte ihn meine Nachricht erreichen. Sei gewarnt – er hat sich verlobt.“

„Das hat er? Innerhalb eines Monats? Das ging aber schnell.“

„Sie wird dir gefallen, Rob. Es ist das Barlow-Mädchen. Erinnerst du dich an Beatrice?“

Während sie den Ballsaal der Forbushs anstrebten, nickte Rob. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, dann war Beatrice „Bebe“ Barlow eine zierliche hübsche Blondine von einundzwanzig Jahren. Ungefähr zwei Minuten lang hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt, bis er feststellte, dass sie ein wenig gewöhnlich war – etwas flatterhaft sogar. Doch diese leichte Oberflächlichkeit würde Douglas mögen, und Rob wünschte seinem Bruder alles Gute.

Er bemerkte die kurze Stille, die sich über die Versammlung legte, gefolgt von neugierigen oder mitleidigen Blicken, als er eintrat. Wie es schien, hatten die Neuigkeiten über den Ausgang seiner Mission und seine Flucht den ton noch vor ihm selbst erreicht. Nicht einmal ein Lichtblitz bewegte sich so schnell wie der Londoner Klatsch. Wie bedauerlich, dass sich das Außenministerium diese Kraft nicht für seine Zwecke zunutze machen konnte.

In der Nähe des Kamins blieb er stehen, um sich umzusehen. Nie konnte er sich in einem Raum aufhalten, ohne ihn nach Gefahren abzusuchen, nach Feinden oder Fallen, nach Ausgängen und Fluchtwegen – dafür hatte er zu lange mit dem Außenministerium zu tun gehabt und zu lange in einem ausländischen Gefängnis gesessen. Ethan klopfte ihm ermutigend auf die Schulter, ehe er davonging, um sich zu seiner Frau zu gesellen.

Und da, auf der anderen Seite des Raumes, in ein Gespräch mit einer bezaubernden Frau mit rötlichem Haar vertieft, stand seine Gastgeberin, Mrs. Grace Forbush, eine schöne Witwe Anfang dreißig – und genau die Frau, die ihm bei seiner Suche helfen konnte. Mrs. Forbush mir ihrem beliebten Freitagnachmittagssalon wusste alles, was im ton geschah. Jedenfalls alles Wichtige. Er setzte ein freundliches Lächeln auf und rief sich seine besten Manieren ins Gedächtnis, dann begab er sich in den Kampf.

Grace senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Ich habe Angst um dich, Alethea. Du hast nur noch ein wenig mehr als zwei Wochen. Wenn du danach noch als Madame Zoe auftrittst, dann fürchte ich, dass etwas Schlimmes passieren wird.“

„Ich kann jetzt nicht aufhören, Tante Grace. Ich habe Mama und Papa verloren, und jetzt auch noch Tante Henrietta“, flüsterte Alethea zurück. Kaum vermochte sie noch zu sprechen, als sie daran dachte, wie viel auf dem Spiel stand. „Ich kann nicht noch jemanden verlieren. Ich glaube, das würde ich nicht überleben.“

Sie warf einen Blick zur Tanzfläche, wo sich ihre jüngere Schwester Dianthe am Arm eines heiratsfähigen jungen Lords im Walzertakt drehte. Ihr blondes Haar schimmerte im Kerzenlicht, und ihr hellblaues Kleid passte wunderbar zu ihren blauen Augen. Dianthe war in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche Schönheit. Wenn sie sich vorteilhaft verheiratete, dann hatte Alethea eine ihrer Verpflichtungen erfüllt. Eine Angelegenheit weniger, um die sie sich kümmern musste. Dann war sie ihrem Ziel einen Schritt näher, die Familie gut versorgt zu wissen, wie sie es ihrem Vater auf dem Sterbebett versprochen hatte. Eine Aufgabe, die zu lösen er nicht in der Lage gewesen war.

Graces Besorgnis rührte sie, brachte ihre Entschlossenheit jedoch nicht ins Wanken. „Wenn der Mörder mich umbringen wollte, dann hätte er es längst getan. Lady Annicas Gerücht, dass Madame Zoe unter einem Gedächtnisverlust leidet, muss seine Befürchtungen zerstreut haben.“

Grace erstarrte, als sie über Aletheas rechte Schulter blickte. An ihrem Gesichtsausdruck war zu erkennen, wie überrascht sie war und auch, dass sie sich ein wenig unbehaglich fühlte.

„Mrs. Forbush, vielen Dank für die Einladung heute Abend.“

In der tiefen Stimme mit der leicht schottischen Klangfarbe lag etwas, das Alethea erschauern ließ. Sie drehte sich um und sah, wie der Sprecher sich über Graces Hand beugte und sie an seine sinnlichen Lippen hob. Dunkles Haar fiel ihm bis über die Stirn, und seine Augen waren grau. Als er sich aufrichtete, stellte sie fest, dass er über einen Meter achtzig groß war. Er hatte breite Schultern, ein fein geschnittenes Gesicht und wirkte trotz seiner Schönheit sehr männlich – und auf irgendeine Weise bedrohlich, wie Alethea für sich feststellte. Wieder erschauerte sie.

„Lord Glenross! Gütiger Himmel! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie – ich meine, ich bin entzückt, aber ich hatte nicht zu hoffen gewagt, Ihnen zu begegnen.“

Lord Glenross? Der Mann, über den der gesamte ton in den vergangenen zwei Monaten geredet hatte? Der Mann, der gerade erst aus einem algerischen Gefängnis entkommen war, nachdem er dort sechs Monate lang gesessen hatte und zum Tode verurteilt worden war? Ah, jetzt kannte sie den Grund für seine Ausstrahlung. Und für ihr Unbehagen. Sie wagte sich kaum vorzustellen, was man einem britischen Offizier in einem algerischen Gefängnis alles antun konnte.

Lord Glenross lächelte – zumindest glaubte Alethea, dass es ein Lächeln war. Es hätte aber ebenso gut eine Grimasse sein können. Seine Aufmerksamkeit war noch immer auf Grace gerichtet. „Nicht im Traum wäre es mir eingefallen, mir dies hier entgehen zu lassen.“

„Sie schmeicheln mir, Lord Glenross. Ich war ganz und gar nicht sicher, dass Sie eine Einladung unter den gegebenen Umständen begrüßen würden. Das heißt – ich dachte …“

Alethea konnte nicht aufhören, den Mann anzustarren. Während Grace sich weiter entschuldigte, wandte er sich ihr zu. Er ließ den Blick von ihren Augen über ihren Mund bis zu ihrem Hals wandern und ihn dann auf dem tiefen Ausschnitt ihres rosafarbenen Kleides ruhen. Aletheas Haut begann zu kribbeln. Als er ihr wieder ins Gesicht sah, schenkte er ihr ein Lächeln, bei dem zwei Grübchen in seinen Wangen erschienen, und Alethea konnte kaum noch atmen. Ohne dieses Lächeln wäre es einer Beleidigung gleichgekommen, wie er sie gemustert hatte. Sie wäre vielleicht geschmeichelt gewesen, hätte da nicht etwas Zynisches in seinem Blick gelegen. Als würde er etwas für sehenswert befinden, es aber nicht wertschätzen.

Dann räusperte er sich und schaute wieder zu Grace. „Vielen Dank, Mrs. Forbush, aber es geht mir gut“, meinte er.

Grace lächelte zweifelnd. „Ich bin froh, das zu hören. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, Mylord, dann sagen Sie es nur.“

Er schwieg so lange, dass Alethea bemerkte, wie genau er seine Antwort abwog – wie er sie innerlich formulierte. Das machte sie neugierig.

Dann zuckte er die Achseln. „Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, Mrs. Forbush, und frage mich, welche Kräfte uns einander über den Weg laufen ließen.“

Fasziniert von der Frage, wohin dieses Gespräch wohl führen mochte, nahm Alethea von einem vorbeigehenden Diener eine Tasse Rumpunsch entgegen und trank einen großen Schluck davon, während sie auf Lord Glenross’ weitere Erklärungen wartete.

„Das Leben ist rätselhaft, nicht wahr? Jeder Vorteil, den man erwirken könnte, wäre da von Nutzen, oder?“

„Ja, ganz meine Meinung“, sagte Grace. „Ich war schon immer der Ansicht, dass Wissen Macht ist.“

„Ich wusste, dass Sie dieser Meinung sind, Mrs. Forbush, und deshalb habe ich Sie aufgesucht, um Sie um Rat zu fragen, wie ich mit einer gewissen Madame Zoe in Kontakt treten könnte. Würden Sie mir in dieser Sache helfen?“

Vor Schreck hätte Alethea sich um ein Haar an ihrem Punsch verschluckt. Besorgt machte Lord Glenross einen Schritt nach vorn.

Grace war schneller und klopfte Alethea auf den Rücken, wobei sie ihr einen verzweifelten Blick zuwarf, ehe sie erwiderte: „Oh, Lord Glenross! Wie sollte ich so etwas wissen?“

„Sie wissen alles, was zu wissen sich lohnt, Mrs. Forbush. Oder Sie wissen zumindest, wie Sie es herausfinden können.“

Endlich kam Alethea zu Atem, und Grace widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Glenross. „Nun ja, ich denke, ich könnte mich erkundigen, aber ich muss gestehen, Ihre Bitte erstaunt mich, Mylord. Ich hätte nicht geglaubt, dass Sie zu jenen Menschen gehören, die mit Sehern verkehren.“

„Der ton ist der Überzeugung, Madame Zoe sei ein Phänomen, Mrs. Forbush. Vielleicht wird sie meine Zukunft vorhersagen.“ Seine Miene veränderte sich nicht, aber sein rechtes Auge zuckte kaum merklich. „Oder vielleicht ich ihre“, fügte er hinzu.

Alethea versuchte, ihre Fassung zurückzugewinnen. Madame Zoe? Männer wie Lord Glenross konsultierten keine Wahrsagerinnen. Er spielte irgendein Spiel, und nach allem, was ihr über diesen Mann erzählt worden war, konnte nichts Gutes daraus werden. Sie warf einen Blick zu Grace und fragte sich, was sie wohl auf eine solche Bitte erwidern würde.

„Ich werde mich darum kümmern, Mylord“, versprach Grace ihm schließlich. „Bis spätestens Montagmorgen werde ich die Information für Sie haben. Soll ich sie Ihnen ins Hotel schicken? Oder lieber in den Club?“

Alethea unterdrückte eine unwillige Bemerkung, als Glenross triumphierend lächelte. „In mein Hotel. Ich wohne im Pultney’s am Piccadilly.“ Nachdem das geklärt war, schaute er fragend in Richtung von Alethea und sah dann wieder Grace an.

„Oh, verzeihen Sie, Mylord“, rief sie. „Darf ich Ihnen meine Nichte vorstellen, Miss Alethea Lovejoy? Miss Lovejoy, dies ist Robert McHugh, Lord Glenross.“

„Lord Glenross“, flüsterte Alethea. Mit einiger Anstrengung brachte sie einen kleinen Knicks zustande und reichte ihm die Hand, die er nahm und an seine Lippen führte. Sie spürte die Wärme seiner Finger, und als er mit den Lippen leicht ihre Haut streifte, fühlte sie auch seinen warmen Atem.

„Miss Alethea Lovejoy?“, fragte er und wandte sich wieder an Grace. „Ich könnte schwören, dass es auf der Einladung hieß, Sie würden das Fest zu Ehren einer Miss Dianthe Lovejoy veranstalten.“

Grace winkte Dianthe zu, die gerade mit einem neuen, sehr stolz wirkenden Partner vorübertanzte. „Dianthe ist Aletheas Schwester.“

Lord Glenross warf Dianthe nur einen flüchtigen Blick zu, dann lächelte er Alethea an. „Miss Lovejoy, ich bin entzückt“, sagte er. „Sind Sie gerade erst in die Stadt gekommen?“

Aletheas Lippen waren vor Aufregung ganz trocken geworden. „Ich bin seit sechs Monaten in London, Mylord. Als Gesellschafterin von Mrs. Forbush.“

Wieder erhob Grace das Wort. „Seit sie in die Stadt ist, hat Alethea die Öffentlichkeit gemieden, Mylord. Sie bezeichnet sich als meine Gesellschafterin, aber sie ist meine angeheiratete Nichte und außerdem eine sehr liebe Freundin.“

„Ich freue mich, dass Sie sich heute in Gesellschaft aufhalten, Miss Lovejoy. Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir den nächsten Walzer schenkten.“

Aletheas Herzschlag drohte auszusetzen. Wenn sie mit ihm tanzte, würde er dann ihre Verkleidung durchschauen, sobald sie ihm als Madame Zoe begegnete? Das konnte sie nicht riskieren. „Ich habe den nächsten Walzer bereits versprochen, Mylord“, schwindelte sie.

Sein Lächeln verdüsterte sich ebenso wenig wie seine Miene, doch sie merkte, dass sich irgendetwas geändert hatte. Er weiß, dass ich lüge.

„Ich verstehe“, murmelte er. „Ein andermal, Miss Lovejoy.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, verneigte er sich und entfernte sich in Richtung des Spielzimmers.

Es irritierte Alethea, dass sie eine Mischung aus Erregung und Furcht empfand bei der Vorstellung, Lord Glenross wiederzusehen. Sie seufzte ratlos. „Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, ihn loszuwerden.“

Grace blickte sie zweifelnd an. „Wenn du möchtest, sage ich ihm, ich hätte nicht herausgefunden, wie man mit Madame Zoe in Kontakt tritt.“

Das wäre Zeitverschwendung. Wenn Glenross das Gewünschte nicht von Grace erfuhr, würde er diese Information von anderer Stelle einholen. Quälend langsam beruhigte sich Aletheas Herzschlag. Sie schüttelte den Kopf. „Schicke Glenross die Adresse meines Agenten, und ich werde Mr. Evans anweisen, sobald wie möglich einen Termin zu vereinbaren. Wie Shakespeare schon sagte: „Wär’s abgetan, so wie’s getan, dann …“

„… wär’s gut, man tät es eilig“, vollendete Grace das Zitat und nickte dann. „Eine ausgezeichnete Idee. Mr. Evans soll das übernehmen. Er ist die personifizierte Diskretion.“

Alethea atmete einmal tief durch und bedachte ihre Tante mit einem kleinen Lächeln. „Ich werde Lord Glenross einfach ein glückliches Schicksal vorhersagen, und damit hat sich die Angelegenheit dann hoffentlich erledigt.“

2. KAPITEL

Jemand war in seinem Zimmer – jemand, der dort nicht hingehörte. Mit dem Schlüssel in der einen Hand, mit der anderen am Türknauf, blieb Rob vor seinem Hotelzimmer stehen. Die kleinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.

Es war unwahrscheinlich, dass der Dey ihm Männer hinterhergeschickt hatte. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Und lieber würde er im Kampf sterben, als noch einmal die „Gastfreundschaft“ des Dey in Anspruch zu nehmen. Wochenlang war er nackt in einer Kiste eingeschlossen gewesen, die so klein war, dass er keine Hand rühren konnte, in seinem eigenen Schmutz, frierend in der Nacht und schwitzend am Tage. Ein guter Tag war es gewesen, wenn jemand aus Mitleid schmutziges Wasser über die Kiste gegossen hatte und ein paar Tropfen durch die Ritzen geflossen waren, um seinen schmerzenden Körper zu kühlen. An die schlechten Tage vermochte er sich noch nicht zu erinnern – an die Stunden, in denen er in einem feuchten Verlies an die Wand gekettet und ausgepeitscht worden war, während man ihm Fragen nach Informationen in die Ohren geschrieen hatte.

Aber er hatte noch Schlimmeres erlebt. Viel Schlimmeres. Ihm wurde übel, und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Nein. Damit würde er sich später beschäftigen. Noch war er dazu nicht bereit.

Er holte tief Luft und drehte den Türknauf herum. Geräuschlos gab er nach. Die Tür war nicht verschlossen. Er war absolut sicher, dass er sie verschlossen hatte, ehe er zu Mrs. Forbushs Soiree ging.

Er bückte sich und zog einen Dolch aus seinem Stiefel. Diesmal würden sie ihn nicht lebend erwischen. Ein rascher Blick den Gang hinunter überzeugte ihn, dass er allein war.

Er umfasste den Dolch mit der Rechten und drückte die Tür auf. Ein matter Schein vom Kamin her verbreitete gerade genug Licht, um die Umrisse der Möbel auszumachen. Dann erregte eine Bewegung seine Aufmerksamkeit, die aus der Richtung des Stuhls gegenüber dem Kamin kam.

Jeder seiner Muskeln war angespannt, als er weiterschlich. Mit angehaltenem Atem näherte er sich von hinten dem Stuhl, wohl wissend, dass der leichteste Luftzug genügen würde, um einen erfahrenen Dieb oder einen ausländischen Meuchelmörder in Alarmbereitschaft zu versetzen. In der Überraschung lag sein größter Vorteil.

Als er den Stuhl erreicht hatte, riss er den Kopf des Mannes zurück und presste ihm den Dolch an die Kehle, ehe der andere reagieren konnte. „Wer sind Sie?“, zischte Rob ihm ins Ohr.

„Himmel, Robbie! Ich bin’s, Douglas! Kennst du mich nicht mehr?“

Rob zog den Arm zurück und ließ seinen Bruder los. Die Knie wurden ihm weich vor Erleichterung. „Douglas! Was machst du denn hier?“

„Ich habe die Nachricht von Travis erhalten und bin seither immer einen Schritt hinter dir gewesen. Ich dachte, jetzt warte ich einfach dort auf dich, wo du wohnst. Ich habe das Mädchen überredet, für mich aufzuschließen.“

Rob wollte lieber nicht wissen, womit sein Bruder das Mädchen bestochen hatte. Douglas wusste, mit Frauen umzugehen, und hatte niemals Schwierigkeiten, von ihnen das zu kriegen, was er wollte. Rob schob den Dolch zurück in seinen Stiefel, als Douglas aufstand und ihn umarmte.

Gleich darauf löste sich sein Bruder, verlegen über diese Zurschaustellung von Gefühlen, von ihm und trat einen Schritt zurück. „Verdammt, Rob, sag mir, dass du nie wieder ins Ausland reist. Das halte ich nicht aus.“

„Ich werde es nicht tun“, versprach Rob. „Ich bin gekommen, um zu bleiben.“

„Das ist gut. Ich bin als Gutsherr nicht sonderlich talentiert.“ Douglas lief zum Sekretär und holte Robs Flasche mit Scotch heraus. Er schenkte sich selbst nach und füllte auch ein Glas für Rob. „Auf die Rückkehr des McHugh!“

Weder in Algier noch in dem Regierungskrankenhaus, in dem er seit seiner Rückkehr gewesen war, hatte es Whisky gegeben. Rob nahm einen großen Schluck, sehnte sich nach der Glut und der angenehmen Trägheit, die ihn erfüllen würde, sobald der Whisky seine Wirkung tat. Vielleicht würde er heute endlich einmal schlafen können. „Auf Douglas McHugh und seine schöne Dame.“

„Ah. Du hast es also gehört?“ Douglas grinste und ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. „Sie ist ein Engel. Rob. Ich verdiene sie gar nicht.“

„Ich habe Miss Barlow im letzten Jahr kennengelernt. Sie ist reizend, Douglas. Sie wird dir schöne Kinder schenken. Denk daran, dass das erste ein Junge sein sollte, wegen des Titels.“ Rob fragte sich, warum sein Bruder ausgerechnet Bebe Barlow ausgesucht hatte, wenn es viel appetitlichere Happen gab – wie die reizvolle Miss Alethea Lovejoy. Um sie würde er Douglas beneiden. Ja, Miss Lovejoy tat recht daran, ihm gegenüber vorsichtig zu sein. Er würde sie mit einem einzigen Bissen verschlingen.

„Ich werde meine Pflicht erfüllen, und zwar mit Vergnügen“, versicherte Douglas.

„Ich habe schon immer gesagt, was für ein tapferer Junge du bist“, neckte ihn Rob. „Du liebst sie also wirklich? Es geht nicht nur um die Zweckmäßigkeit?“

„Bebe ist mein Leben, Rob. Sie ist der Grund, warum ich atme.“ Douglas’ Miene wurde ernst, und er betrachtete seine Schuhe. „Tut mir leid, Rob. Ich wollte keine Erinnerungen wecken. Aber irgendwann wirst du wieder heiraten. Und du wirst den Erben zeugen, den du immer wolltest.“

„Das überlasse ich dir, Douglas. Dein Sohn wird den Titel der Glenross tragen.“ Douglas wusste nicht, dass Hamish kein McHugh gewesen war. Und Rob war der Meinung, es bestand kein Grund, ihm das jetzt zu verraten. Er hatte den Jungen lieb gewonnen und gelernt, Maeves Indiskretionen nicht zu beachten.

„Das glaubst du jetzt, Rob, aber irgendwann wirst du dir von einem hübschen Gesicht den Kopf verdrehen lassen und deine Einstellung ändern.“

„Mir fehlt der Mut zu einer weiteren Ehe.“ Und sein Bedarf daran, einen weiteren Betrug zu erleben, war mehr als gedeckt.

„Das war nicht deine Schuld, Mann. Maeve war diejenige, die darauf beharrte, ihre Schwester in Venedig zu besuchen. Sie war eine energische Frau und traf ihre Entscheidungen selbst.“

Douglas irrte sich. Für diese eine Entscheidung machte Rob nicht Maeve verantwortlich. Aber er wusste, wer dafür verantwortlich war – die verdammte Lügnerin, die angedeutet hatte, dass seine Frau in Venedig ihrem Schicksal begegnen würde. Dass sie dorthin gehen sollte, um dem Mann zu entfliehen, der sie zerstören würde – ihm. Rob würde Madame Zoe jagen, bis er sie als die Betrügerin bloßstellen konnte, die sie war, und dann würde er sie vernichten – ihr Selbstvertrauen, ihr Gewerbe, ihr Einkommen und – das würde ihm am meisten Vergnügen bereiten – ihren Ruf. Wenn er mit ihr fertig war, würde kein Mitglied der Gesellschaft sie mehr konsultieren.

Als er allein und mit entzündeten Wunden in einer Kiste gelegen und seine Flucht geplant hatte, war er innerlich getrieben gewesen von dem Gedanken an Rache. All die Monate im Verlies des Dey hatte er gewartet und das Gefühl gehabt, allmählich verrückt zu werden. Und er hatte Pläne geschmiedet. Madame Zoe würde dafür bezahlen, dass sie die McHughs zerstört hatte.

Am Montagmorgen stand Rob in dem Büro, das über einer Bank lag, und betrachtete betont gelangweilt seine Fingernägel, während Mr. Evans, Madame Zoes Agent, das Buch mit ihren Terminen durchblätterte und dabei deutlich zeigte, welche Gefälligkeit er ihm damit erwies. Tatsächlich war Rob alles andere als gelangweilt. Es war der 14. Dezember, und nach seiner Schätzung sollte er bis Weihnachten mit Madame Zoe fertig sein. Er inspizierte seine Umgebung und versuchte, sich vorzustellen, welche Frau jemanden wie Mr. Evans engagierte.

Das Büro wirkte in jeder Beziehung achtbar. An den Wänden waren bequeme Stühle aufgereiht, und der Schreibtisch war sauber, poliert und bescheiden. Mr. Evans selbst schien ein respektabler Mann zu sein, und Rob fragte sich, warum er so eine Schwindlerin vertrat.

In London erzählte man sich, Madame Zoe sei eine Frau mittleren Alters, die aus Frankreich immigriert war, eine Wahrsagerin vom französischen Hof, die den Aufstieg und Fall Napoleon Bonapartes vorhergesagt habe. Man munkelte, sie sei verwitwet und würde stets nur Schwarz tragen. Da sie immer verschleiert war, wusste niemand sie genau zu beschreiben. Einige vermuteten sogar, sie sei eine verarmte Adlige, die aus den französischen Kreisen in London stammte und sich in Schleier hüllte, damit man sie in jenen Kreisen nicht erkannte.

Schwindlerin oder nicht, es war klug gewesen von Madame Zoe, ihrem Gewerbe die Aura von Exklusivität zu verleihen. Ehe sie einen neuen Klienten zu Gesicht bekam, hatte ihr Agent die betreffende Person bereits kennengelernt. Erst dann wurde dem Klienten ein Termin gegeben, zusammen mit der Adresse, wo man sie finden konnte. Was für ein nettes kleines Arrangement.

Rob missfiel es außerordentlich, dass er von dem Wohlwollen dieses Mannes abhängig war, und er fragte unwirsch: „Sie erledigen also die gesamte Buchhaltung für Madame Zoe?“

Mr. Evans errötete. „Ich treffe Terminvereinbarungen für die Beratungen bei Madame Zoe. Ich bin ein Agent, kein Buchhalter. Sie ist außerordentlich beschäftigt, nun, da sich der gesamte ton während der Saison in der Stadt befindet.“

„Ich nehme jeden Termin an, den sie frei hat.“

Der Mann räusperte sich. „Bezahlung im Voraus.“

„Bezahlung im Voraus?“, wiederholte Rob, nur um sicherzugehen, dass seine Verärgerung nicht unbemerkt blieb. Welch Unverschämtheit – Bezahlung im Voraus zu verlangen für ein paar Lügen!

„Jawohl, Mylord. Ohne Ausnahme“, bekräftigte Mr. Evans.

„Und wenn sie mir nun nichts zu sagen hat?“

„Es gibt keine Garantien, Mylord. Und keine Erstattungen.“

Rob ließ den Mann nicht aus den Augen, wohl wissend, dass es irritieren musste, auf solche Weise beobachtet zu werden. Diese Technik benutzte er gelegentlich, wenn er jemandem ein Geständnis entlocken wollte. Der Feind fürchtete stets, sein Schweigen würde bedeuten, dass er etwas verheimlichte.

„Ein Termin wurde abgesagt“, erklärte Mr. Evans, nachdem er in dem kleinen Kalender aus Leder geblättert hatte. „Sie könnte Sie um drei Uhr heute Nachmittag treffen“, fügte er nach einem kurzen Moment des Schweigens hinzu. „Soll ich Sie in das Buch eintragen, Mylord?“

„Ja“, erwiderte Rob etwas schroffer, als er eigentlich beabsichtigt hatte.

Der Agent tauchte eine Feder ins Tintenfass und schrieb etwas auf. „Fünf Pfund bitte.“

Fünf Pfund! Obwohl es ihm widerstrebte, auch nur einen halben Penny zu zahlen, reichte Rob dem Mann die verlangte Summe und erhielt im Tausch dafür die Adresse.

Alethea stieg die steile Treppe hinauf, die von einer versteckten Tür im La Meilleure Robe zu einer Kammer in Madame Zoes Wohnung im zweiten Stock führte. Sollte ihr jemand gefolgt sein, so würde es aussehen, als hätte sie Madame Marie wegen einer Anprobe aufgesucht.

Oben auf der geheimen Treppe, dem Dienstbotenaufgang, der noch aus der Zeit stammte, da das Gebäude ein Privathaus gewesen war, und der nicht benutzt wurde, lauschte sie einen Moment lang, das Ohr an die Holzvertäfelung gelegt. Sie hatte immer ein wenig Angst, dass einer ihrer Kunden zu früh gekommen sein und sich mit Gewalt Zutritt verschafft haben könnte in dem Versuch, ihre wahre Identität aufzudecken. Oder schlimmer noch – dass der Mörder zurückgekehrt, in die Wohnung eingebrochen war und auf sie wartete. Diese Möglichkeit hatte Grace dazu veranlasst, darauf zu bestehen, dass Alethea einen kleinen, aber sehr scharfen Dolch bei sich trug. Beruhigt, als sie nichts hörte, öffnete Alethea die Geheimtür und schlüpfte hindurch in Zoes Salon.

Sie hob den schweren Vorhang, der das Hinterzimmer vom Hauptraum trennte, und trat zum Kamin, um ein Feuer zu entfachen. Danach machte sie den Schrank auf, in dem ihr Handwerkszeug aufbewahrt war: Ein Tarotkartenspiel, ein gewöhnliches Kartenspiel, eine Kristallkugel, eine Schüssel, um im Wasser zu lesen, astrologische Karten, Runen, Kerzen, Weihrauch und eine Reihe anderer Gegenstände, von denen sie nicht wusste, wozu sie gut waren. In der Annahme, dass Lord Glenross nichts Ungewöhnliches verlangen würde, nahm sie ein Kartenspiel und legte es auf den runden Tisch, der mitten im Zimmer stand.

Lord Glenross, Robert McHugh. Obwohl Eleganz und ein schlanker Wuchs gerade als schick galten, gefielen Alethea muskulösere Männer besser, und genau zu jenen zählte Glenross. Er war beinahe zu muskulös, um als gut aussehend zu gelten. Als sie ihm auf dem Fest ihrer Tante begegnet war, hatte sich die schmal geschnittene Jacke über seinen Schultern und seiner Brust in außerordentlich beunruhigender Weise gespannt. Die Aussicht, mit ihm allein zu sein, und sei es auch in Verkleidung, verursachte ihr kein geringes Unbehagen. Er kam ihr überlebensgroß vor. Er erfüllte einen Raum, beanspruchte ihn ganz für sich und benötigte dafür nicht mehr als ein Lächeln. Und seine Augen! Diese kühlen grauen Augen, die durch sie hindurchzusehen schienen. Wie gut, dass sie ihre Schleier hatte!

Ein Blick auf die Uhr, die auf dem schmalen Frisiertisch stand, trieb sie zur Eile an. Sie war zuvor bei einer Teegesellschaft gewesen. Es hatte eine lebhafte Diskussion über Byrons letzte Heldentaten gegeben, und Alethea war in der letzten Sekunde aufgebrochen, um sich nicht zu ihrem Termin zu verspäten. Sie zog sich aus und legte die Witwenkleidung aus schwarzem Crêpe de Chine an. Darüber trug sie eine graue Perücke mit einem schwarzen Seidenschleier, der ihr Gesicht verbarg.

Schließlich streifte sie ein paar weiße Seidenhandschuhe über, die ihre Hände verhüllten. Sie wusste, nichts konnte ihre Identität verraten.

Als sie Hufe klappern hörte, trat sie zum Fenster. Eine schwarze Kutsche hielt vor dem Haus, und die Tür ging auf. Es war kein Kunde für Madame Marie, sondern ihr Klient. Er kam früh. Alethea lächelte, dachte, er musste begieriger darauf sein, die Zukunft zu erfahren, als sie geglaubt hatte, und spähte durch die Spitzenvorhänge, während er im Haus verschwand. Wieder erstaunte es sie, dass ein Mann wie McHugh eine Wahrsagerin konsultierte. Sie entschied dann, die schweren Samtvorhänge nicht vor die Spitzengardinen zu ziehen.

Vorsichtshalber überprüfte Alethea noch einmal ihre Verkleidung in dem Spiegel über dem Kamin. Ja, die Schleier verbargen ihr Gesicht und machten es unmöglich, sie zu erkennen. Sie würde sicher sein. Gerade als sie weiße Kerzen anzündete und Sandelholz abbrannte, klopfte es an der Tür. Sie schob die kleine Messingscheibe beiseite, die über dem Türspion hing, und sah den Schotten. Er war allein. Einen Moment hielt sie inne, die Hand auf dem Riegel, während die Aufregung ihr beinahe die Kehle zuschnürte.

„Er ist nur neugierig“, flüsterte sie sich selbst zu, obwohl sie wusste, dass jeder Klient – vielleicht dieser? – Tante Henriettas Mörder sein konnte. Sie warf einen Blick auf den Klingelzug, tastete nach dem kleinen Dolch in ihrer Tasche, straffte die Schultern und schob den Riegel zurück.

Langsam öffnete sich die Tür, und eine schmale Frau erschien, ganz in Schwarz gekleidet. Hinter den schweren Schleiern war nicht einmal ihr Gesicht auszumachen. Obwohl er zu gern die Stoffe zurückgeschoben hätte, um ihre Züge zu sehen, bezwang Rob seine Ungeduld. Die Identität Madame Zoes war nur ein Teil seiner Probleme. Wer sie wirklich war, würde er in Erfahrung bringen können, wann immer es ihm beliebte. Erst aber musste er ihre Schwächen aufdecken, feststellen, wo sie verletzbar war, und den perfekten Weg finden, sie zu vernichten. Er schätzte, dass er dafür mindestens drei Besuche benötigen würde.

Entrez, M’sieur.“ Mit leiser, wohlklingender Stimme begrüßte sie ihn, bevor die verschleierte Frau einen Schritt zurückmachte, damit er hereinkommen konnte. Wenn das die Stimme einer alten Frau war, dann wollte er nicht mehr Rob McHugh heißen.

Rasch schaute er sich um und entdeckte dabei diverse Details, die ihm einiges verrieten. Der kleine Holzstapel neben dem Kamin zeigte ihm, dass der Raum immer nur für kurze Zeit benutzt wurde. Es gab wenig persönliche Gegenstände. Dies war nur ein Salon, die Wahrsagerin lebte hier nicht. Die Möbel waren geschmackvoll, wenn auch alt und abgenutzt. Vor dem einzigen Fenster, das zur Straße hinausging, hing ein leichter Spitzenvorhang, und kleine Grünpflanzen standen auf dem Sims. Um sich zusätzlich vor Blicken zu schützen oder geheimnisvolles Zwielicht zu schaffen, ließen sich noch blaue Samtvorhänge davor ziehen. Hinter einem Vorhang im Alkoven befanden sich vermutlich ein Sofa und ein Waschtisch, vielleicht auch ein Schrank oder eine Bügelpresse. Das einzige Zugeständnis an weibliche Eitelkeit war der alte Spiegel, der über dem Kamin hing.

Am bemerkenswertesten schien Rob der kleine dunkle Fleck auf dem fadenscheinigen Teppich unter dem Tisch in der Mitte zu sein. Tee? Wein? Blut? Sehr interessant. Und dann war da noch der diskret angebrachte Glockenzug an einem Haken neben dem Kamin. Wozu war er da?

M’sieur?“, fragte die Frau noch einmal.

„Madame Zoe? Habe ich mich verspätet?“

Mais non“, entgegnete sie. Als er an ihr vorbei ins Zimmer trat, stieg ihm ein leichter Duft von Maiglöckchen in die Nase. Süß und verführerisch. Auch sehr interessant.

Mit einer einladenden Bewegung zur Mitte des Raumes forderte sie ihn auf, sich zu setzen.

„Wissen Sie, wer ich bin?“, fragte er, ohne den Stuhl zu beachten.

Noch immer sprach sie leise und mit schwerem Akzent, doch jetzt klang ihre Stimme amüsiert. „Ich weiß alles, M’sieur.“

Er lachte belustigt. „Wer bin ich also?“

„Sie sind mein Drei-Uhr-Termin.“

Kluges Ding. Er schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich über mich lustig?“

Mais non, M’sieur.“ Sie umfasste die Rückenlehne des Stuhls ihm gegenüber. „Das wäre schlecht für das Geschäft, oder?“

„Es geht um mein Geschäft.“

„Also. Sie möchten wissen, was die Zukunft bereithält?“

„Ja, das möchte ich.“Voller Vorfreude hätte er sich am liebsten die Hände gerieben.

„Wie wünschen Sie Ihre Zukunft zu hören, M’sieur? Karten? Tarot? Teeblätter? Kristallkugel? Runen?“

Rob deutete auf das Kartendeck, das auf dem Tisch lag. „Karten.“

Lächelnd sah er zu, wie sie sich setzte und mit einer geheimnisvollen Handbewegung über das Kartendeck strich, als wollte sie den Geist der Wahrsagerinnen erwecken, ehe sie ihm die Karten hinschob. „Sie müssen mischen, M’sieur. Die Karten müssen Ihre Energie annehmen. Ihre – Essenz.“

Ohne sich niederzulassen, mischte Rob das Deck dreimal, ehe er es wieder quer über den Tisch zu ihr zurückschob. Dann legte sie die Karten mit dem Bild nach oben kreisförmig auf den Tisch und je eine Karte mit dem Bild nach unten auf jede davon. In der Mitte deckte sie eine Karte auf. Der Pikkönig.

Sie deutete darauf und sagte: „Das sind Sie, M’sieur.“

„Sind Sie sicher?“

Oui. Wäre das ein Tarotdeck, wären Sie der Schwerterkönig. Eine gute, starke Karte. Ein Krieger.“

War das Schmeichelei? Aus irgendeinem Grund glaubte er das nicht. „Schwerter, ja? Was tue ich?“

Sie deutete auf die Herzkönigin. „C’est moi.“

Noch ein Scherz? „Woher wissen Sie, dass Sie die Herzkönigin sind?“

„Sie ist Ihnen jetzt gerade nahe und besitzt die Gabe des Sehens. Kennen Sie noch so jemanden?“

Damit hatte sie ihn erwischt. „Nein“, gab er zu.

Voilà! Das bin ich.“ In ihrer Stimme lang etwas Triumphierendes, als hätte sie sich soeben selbst überrascht.

„Werden meine Zweifel Sie daran hindern, mir die Zukunft zu lesen?“

Madame Zoe lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß. „Mais non, M’sieur. Machen Sie sich keine Sorgen. Die Karten sind so, wie sie sind. Aber ich spüre Ihre Zweifel. Sie glauben nicht daran, dass es möglich ist, die Zukunft vorherzusagen, oder?“

„Bitte lassen Sie sich nicht von meinen Bedenken behindern. Dies ist mein erster Besuch bei einer Wahrsagerin. Sie müssen mir meine kleinen Bedenken gestatten.“ Er setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie schien ihre Worte sorgfältig abzuwägen und zu überlegen, was sie sagen sollte. „Sie sind ein Krieger, M’sieur. Sie sind mit einem Plan hierher gekommen, einer Strategie. Sie möchten etwas wissen, aber sie wagen nicht, es laut auszusprechen.“

Er zog eine Braue hoch. Das war ein cleverer Schachzug. Obwohl es auch bei ihm zutraf, ließe sich dasselbe wohl über fast jeden behaupten, der eine Wahrsagerin besuchte. „Hmm. Muss ich es laut aussprechen, Madame, um eine Antwort zu erhalten?“

„Nein. Ich muss zugeben, es wäre leichter, aber es ist nicht nötig.“ Sie zeigte auf die Pikzehn. „Ich denke, es hat mit Rache zu tun. Ich sehe kein glückliches Ende, M’sieur. Rache ist ein zweischneidiges Schwert. Blut fließt auf beiden Seiten, n’est-ce pas? Man kann nicht sicher sein, wer verletzt wird.“

Bemerkenswert gut geraten, stellte er für sich fest. „Manchmal ist der Grund für die Rache das Risiko wert.“

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Mais non, M’sieur. Es gibt nur zwei Gründe für Rache, und beide sind dumm.“

„Und die wären …?“

L’amour ou l’argent, M’sieur.“

Natürlich. Liebe und Geld. Man musste keine Hellseherin sein, um das zu wissen. „Was glauben Sie, welches von beidem mein Motiv ist?“, fragte er und konnte nichts dagegen tun, dass die Worte herausfordernd klangen.

Ihre eigene Stimme blieb ganz ruhig. „Liebe. Sie sind kein Mann, der um Geld streitet.“

„Sie gehen sehr logisch vor, Madame. Sehr aufmerksam.“ Galt auch Aufmerksamkeit als Hellseherei? Sagte sie den Leuten einfach nur, was diese ihrer Meinung nach hören wollten? War sie nur eine feinsinnige Beobachterin?

„Nicht logisch, M’sieur. Ich sage nur, was in den Karten steht.“

„Unsinn!“ Er hatte nicht so aufgebracht reagieren wollen und ärgerte sich ein wenig über sich selbst.

Unter den Schleiern war ein halb ersticktes Lachen zu hören. „Es tut mir leid, dass Sie so denken. Néanmoins, Sie sind hier, damit ich Ihnen die Zukunft lese, und das werde ich tun.“ Wieder beugte sie sich sehr konzentriert über die Karten und legte die mit dem Bild nach unten zu einem besonderen Muster aus. „Sie und nur Sie allein können Ihre Zukunft bestimmen. Was ich Ihnen jetzt mitteile, ist nur das, was sein könnte – was vielleicht geschieht. Ihren Weg müssen Sie selbst wählen. Sie leiden an – wie sagt man hier? Chagrin d’amour?“

Es zuckte um seine Mundwinkel.

„Ein gebrochenes Herz?“ Sie blickte kurz von den Karten auf.

Hier wenigstens irrte Madame Zoe sich. Der Tod von Maeve und Hamish hatte ihm nicht das Herz gebrochen, es hatte ihn nur härter gemacht.

Oui, ein gebrochenes Herz. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen, M’sieur. Sie werden wieder lieben. Sie werden tiefer lieben.“ Sie deutete auf die Kreuzdame. „Sie war nicht Ihre grande passion. Ihre grande passion wartet noch auf Sie. Wenn …“

„Wenn?“

Sie zuckte die Achseln. „Wenn Sie den Schmerz überwinden. Wenn nicht, wird Ihr Wunsch nach Rache Sie und alle um Sie herum vergiften.“

Das war sehr nahe an der Wahrheit! Wie konnte sie das aus ein paar gewöhnlichen Karten herauslesen? „Sie missverstehen mich, Madame. Was Sie Rache nennen, das nenne ich Gerechtigkeit. Und was das Überwinden anbetrifft, so ist das leicht zu sagen, aber unmöglich zu tun.“

M’sieur, ich …“ Seufzend verstummte sie.

„Wenn Sie mir etwas mitteilen wollen, dann tun Sie das bitte“, forderte er sie auf.

Wieder beugte sie sich über die Karten und drehte weitere drei herum, dann noch einmal drei und hielt nur inne, um zu überprüfen, in welcher Reihenfolge sie lagen. „Gefahr. Ganz klar, es droht Gefahr. Sie befindet sich im Kreis um den König – um Sie, M’sieur. Leider kann ich nicht feststellen, ob die Gefahr dem König droht oder von ihm ausgeht. Vielleicht beides. Sie müssen sehr vorsichtig sein, M’sieur.“ Sie verstummte und beschäftigte sich wieder mit den Karten.

Verdammt. „Madame? Sind Sie eingeschlafen?“, fragte er, als die Stille anhielt.

Als sie antwortete, klang ihre Stimme sehr leise, und zum ersten Mal spürte er, dass sie etwas verheimlichte. „Sie müssen sich keine Sorgen machen, M’sieur. Was Sie so bedrückt, wird sich bald aufklären.“

„Verraten Ihnen das die Karten?“

Durch den Schleier berührte sie ihre Stirn. „Ich – mir ist plötzlich nicht wohl, M’sieur. Ich werde meinen Agenten anweisen, Ihnen das Geld zurückzuzahlen.“

„Ich will kein Geld zurück, Madame. Ich will einen Blick in die Zukunft.“

Ihre Hand an der Stirn begann zu zittern, und Rob begriff, dass sie nicht versuchte, ihn loszuwerden. Sie litt tatsächlich. Er rutschte mit dem Stuhl ein wenig näher und war überrascht von sich selbst, weil er Besorgnis empfand. „Brauchen Sie Hilfe, Madame?“

Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich brauche Ruhe. Ich kann Ihre Zukunft nicht erkennen, M’sieur. Da sind Schleier, Nebel …“

„Ah.“ Er nickte. „Die Zweifel, von denen Sie vorhin sprachen.“

Oui.“ Sie seufzte.

„Können Sie mir dann etwas über die Vergangenheit erzählen?“

Sie betrachtete die verbliebenen Karten, nachdem sie sie in einem Halbkreis auf dem Tisch ausgebreitet hatte. „Ihre Vergangenheit war sehr turbulent. Sie haben viel Schmerz erfahren, wie mir scheint. Es hat Betrug und Verrat gegeben. Sie vertrauen niemandem. Sie – Sie sind ein Mann voll starker Leidenschaften, auch wenn Sie das gut verbergen können. Sie sind klug, nachdenklich, umsichtig – gnadenlos, wenn es darum geht, ein Ziel zu erreichen. Leider, M’sieur,sind Sie nicht glücklich. Sie sind tief verletzt worden. Diese Dinge müssen Sie überwinden, wenn Sie wieder leben wollen. Gegenwärtig, M’sieur, lassen Sie die leichten Seiten des Lebens nicht zu. Nicht den Übermut, den Humor oder die Narrheiten. Sie haben nicht gelernt, dass Träume, wie unmöglich sie sein mögen, das Leben erst lebenswert machen, und wenn die Hoffnung stirbt, dann stirbt auch der Mensch. Sie haben noch nicht die Fähigkeit entwickelt, über die Absurditäten des Lebens zu lachen. Die Welt dreht sich nicht um Ihretwillen, M’sieur. Im Gegenteil. Sie dreht sich ganz von selbst. Die Zeit ist noch gnadenloser, als Sie es sind.“

Bei dieser Zurechtweisung kniff er die Augen zusammen. Weder hatte sie ihm geschmeichelt, noch hatte sie ihre Botschaft in freundliche Worte gekleidet. Und ihre Einschätzung war völlig richtig. Er trug keinen einzigen leichtfertigen Zug in sich. Dass sie ihn so treffend einschätzte, bereitete ihm Unbehagen. Er begann zu glauben, dass sie – auch wenn sie falsch damit umging – mit ihrer Überzeugung, alles zu wissen, recht haben könnte.

„Ihren Freunden gegenüber sind Sie sehr loyal“, fuhr sie fort. „Und Sie werden nicht zögern, sie zu beschützen, sogar vor sich selbst. Sie …“

„Genug!“, rief er aus. Sie war mehr als eine Hellseherin – sie war eine Hexe! Er stand so schnell auf, dass der kleine Holzstuhl hintenüber kippte und auf den Boden fiel. „Das genügt für heute. Ich werde zurückkommen und für mein Geld den Rest einfordern, Madame. Darauf können Sie sich verlassen.“ In dem Gefühl, dass die Wände ihn zu erdrücken drohten, machte er kehrt und eilte zur Tür. Er hätte schwören mögen, dass er auf dem Weg hinaus einen gemurmelten Fluch hörte.

Alles in allem war sein Besuch hier dennoch ein Erfolg gewesen. Über die berüchtigte Madame Zoe hatte er eine Menge aufschlussreicher Dinge erfahren. Ihre leise jugendliche Stimme verriet, dass sie keine alte französische Immigrantin sein konnte. Wenn er sich nicht irrte, dürfte sie kaum älter als fünfundzwanzig sein. Ihre Größe bot einen weiteren Hinweis. Trotz ihrer Trauerkleidung hatte er erkannt, dass ihre Figur zu schmal war für eine alternde Matrone, außerdem hielt sie sich sehr gerade und kein bisschen gebeugt. Der Hauch von Maiglöckchen, der sie dezent umgab, war zart und ganz anders als die schweren Gerüche von Moschus und Rosen, die gerade sehr beliebt waren. Es war ein Duft, der ihn sofort erregte.

Und noch interessanter war, dass Madame Zoe keine Französin war. Als sie die fremde Sprache benutzt hatte, waren die Worte akzentfrei gewesen, doch als sie Englisch sprach, wirkte der aufgesetzte französische Akzent schrecklich.

Aber am besten war, dass er jetzt ihre Adresse hatte. Er wusste, wo er sie finden konnte, wenn er dazu bereit war. Und das würde bald sein.

Oh ja, Mr. Evans hatte recht gehabt. Sie war die fünf Pfund wert. Und mit Vergnügen würde Rob diesen Preis noch einmal für einen weiteren Besuch bezahlen.

3. KAPITEL

Alethea sah sich im großen Ballsaal des Argyle um. Das elegante Ambiente mit seinen kristallenen Lüstern und den Fresken an den Wänden wirkte wie aus einem Märchen. Alles war perfekt und gut vorbereitet für Dianthes weiteren Erfolg. Auf keinen Fall durfte einer der Gäste ihr Gespräch mithören, dann wäre alles verdorben.

Sie zog ihre Tante in eine ruhige Ecke. „Ich sage dir, Tante Grace, es war richtig unheimlich“, raunte sie. „Mir ist die Bedeutung jeder der Karten bekannt, aber ich wusste nicht, was die Reihenfolge für eine Aussage hat. Ich war mit seinem Schicksal verbunden, und ich bedeutete Gefahr für ihn – oder er für mich. Mir war nicht klar, wie herum es gemeint war. Ich versuchte nachzudenken, aber ich hörte immer das Wort Gefahr, und ich konnte es nicht aus meinen Gedanken verbannen. Ich schwöre, einen Moment lang hatte ich das Gefühl, Tante Henrietta flüsterte mir etwas zu.“

Grace erbleichte. „Du glaubst doch nicht …“

„Nein! Oh nein, natürlich nicht“, versicherte Alethea. „Es war nicht echt. Ihre Stimme gab es nur in meinem Kopf – mehr wie eine Erinnerung. Aber die Stimme lenkte mich ab, und Lord Glenross muss mich für verrückt halten. Ich hatte gerade angefangen, seine Zukunft zu lesen, als mich die Situation zu verwirren begann. Er kündigte an, er würde wiederkommen.“

„Und das ist er auch.“

Alethea drehte sich um und blickte in dieselbe Richtung wie Grace. Lord Glenross, in eleganter Abendgarderobe, durchquerte den Saal und steuerte geradewegs auf sie zu.

Ihr wurde vor Aufregung ein wenig schwindelig, und sie schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, dass sie nichts sagen oder tun würde, was ihre Identität als Madame Zoe verraten könnte.

Als er sie erreicht hatte, verbeugte er sich höflich und richtete sich dann lächelnd wieder auf. Alethea bemerkte, dass er sich seit dem Nachmittag die Haare hatte schneiden lassen. Jetzt sah er genauso aus, wie es in der beau monde üblich war, aber in seinem Gebaren lag etwas Wildes, Ungebärdiges – als wäre er ein Wolf im Schafspelz. Ihr gefiel er besser ohne diese zivilisierte Fassade.

Er richtete das Wort an Aletheas Tante. „Mrs. Forbush, ich stehe in Ihrer Schuld.“

Grace neigte den Kopf. „Und wofür das, Lord Glenross?“

„Für Ihre Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit Madame Zoe. Ich hoffe, es hat Ihnen nicht zu viel Ungelegenheiten bereitet?“

„Nicht im Geringsten, Mylord. Ich erhielt diese Informationen auf leichtere Art, als Sie vielleicht annehmen. Hatten Sie Erfolg?“

„Durchaus. Ich traf mich heute Nachmittag mit ihr.“

Dass er nicht wusste, wer sie war, gefiel Alethea und gab ihr das Gefühl, etwas sehr Gewagtes zu tun. Sie vermochte ihre Neugier nicht zu zügeln. „Fiel Ihre Verabredung zu Ihrer Zufriedenheit aus, Mylord?“

Ein wenig überrascht, weil sie ihn angesprochen hatte, wandte er sich zu ihr um. Dann nickte er lächelnd. „Miss Lovejoy, nicht wahr? Ja, ich war zufrieden mit dem Treffen. Madame Zoe erschien mir sehr – weitsichtig.“

„Ist sie so gut, wie man sich erzählt?“

„Das gilt es abzuwarten.“

Alethea wollte gerade etwas erwidern, als sie sah, dass Sir Martin Seymour auf sie zukam. Er war blond, schlank, hochgewachsen und akkurat frisiert – das glatte Gegenteil von Lord Glenross. Er verneigte sich vor ihr und Grace, ehe er Glenross begrüßte.

„Wenn das nicht McHugh ist, mein Kamerad aus Kindertagen“, rief er und umarmte den anderen lächelnd. „Ich hörte es, aber ich wollte es nicht glauben. Bin froh, dass du zurück bist, alter Freund.“

Glenross schlug ihm auf die Schulter. „Seymour, es tut gut, dich zu sehen. Ist es dir gut ergangen?“

„Einigermaßen. Und dir?“

Glenross’ Miene verdüsterte sich. „Wie du es dir vorstellen kannst.“

„Tut mir leid“, murmelte Sir Martin. „Ich wollte keine unliebsamen Erinnerungen wecken.“

„Sehr viele andere gibt es nicht.“ Glenross lachte kurz und freudlos. „Eigentlich neige ich nicht zu Selbstmitleid. Hab Geduld mit mir, Seymour. In ein oder zwei Tagen werde ich mein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden haben.“

Alethea war gerührt von seiner offensichtlichen Unsicherheit. Sie war fest davon überzeugt, dass er gewöhnlich nicht so viel von sich selbst verriet.

„Zweifellos“, erklärte Martin. Er wandte sich Alethea und Grace zu und verneigte sich dann. „Meine Damen, bitte verzeihen Sie uns diesen Mangel an guten Manieren. McHugh und ich sind keine drei Meilen voneinander entfernt aufgewachsen, und ich habe ihn nicht mehr gesehen seit – seit Algier.“

„Wie schön“, sagte Grace. „Es ist immer nett, alte Freunde wiederzutreffen, nicht wahr?“

„Ganz richtig“, entgegnete Seymour. „Amüsieren Sie sich?“

„Wir sind noch nicht lange hier“, entgegnete Grace. „Bei unserer Ankunft forderte Mr. Julius Lingate Dianthe zum Walzer auf, und wir warten darauf, dass sie zu uns zurückkehrt. Ich glaube, sie wurde zu einem weiteren Tanz aufgefordert, aber …“

„Ah, da ist sie wieder.“ Lachend blickte Martin auf die Paare, die sich im Walzertakt drehten. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Tanzfläche und ergriff Aletheas Hand. „Wir sollten uns zu ihr gesellen, Miss Lovejoy. Da Sie hier stehen, können Sie noch nicht vergeben sein …“

Alethea ließ sich nicht gern drängen, aber sie konnte ihm nicht ihre Hand entziehen, ohne unhöflich zu wirken. „Oh, Sir Martin, ich bin keine gute Partnerin. Sie werden gewiss enttäuscht sein. In Little Upton hatte ich wenig Gelegenheit, mich im Walzer zu üben.“

„Überlassen Sie das mir, Miss Lovejoy. Ich bin geübt und geschickt genug für uns beide.“ Er verbeugte sich in Graces Richtung und verabschiedete sich von Glenross.„Komm später in meinen Club, Rob. Dann können wir uns ausführlich unterhalten.“

Als Alethea daran dachte, welcher Art diese nächtliche Unterhaltung wohl sein mochte, errötete sie, und ehe sie es sich versah, tanzte sie ihren ersten Walzer.

Ihr Partner lächelte. „Miss Lovejoy, Violett passt ganz vorzüglich zu Ihnen. Sie sollten diese Farbe öfter tragen.“

„Danke, Sir Martin“, murmelte sie und stieß mit ihrem Schuh gegen seine Stiefelspitze. Der Rhythmus der Musik gefiel ihr, aber sie wollte Martin Seymour nicht unbedingt so nahe bei sich haben. Und sie hatte auch keine Ahnung, welche Schritte als Nächstes von ihr erwartet wurden.

Sie trat ihm direkt auf den Stiefel, und er zuckte zusammen, wobei er sich offenbar alle Mühe gab, dies zu ignorieren.

„Oh, tut mir leid. Vielleicht bin ich dafür nicht geeignet …“

„Ich werde das nicht gegen Sie verwenden, Miss Lovejoy. Sie werden es noch lernen.“

Da war sie nicht so sicher. Sie vermutete, dass Quadrillen eher zu ihr passten. Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke: Sir Martin wäre ein außerordentlich passender Kandidat, um Dianthe den Hof zu machen. „Meine Schwester ist sehr gefragt. Haben Sie schon mit ihr getanzt?“

„Das habe ich in der Tat. Sie ist sehr leichtfüßig, aber sie besitzt nicht Ihr Feuer.“ Sir Martin warf Alethea einen bedeutungsschweren Blick zu.

„Sie mögen rotes Haar, Sir?“

„Ihre Locken sind eher kupferfarben, und sie gefallen mir sehr gut, oh ja. Meine Erkundigungen haben ergeben, dass Sie schon ganze sechs Monate in der Stadt sind, Miss Lovejoy. Wie kommt es, dass Sie noch nicht vergeben sind?“

„Glück?“, meinte sie.

Er lächelte. „Mein Glück. Es hätte mich sehr bekümmert, wenn jemand um Sie angehalten hätte, ehe ich die Gelegenheit dazu hatte.“

Überrascht blinzelte Alethea. Wollte er wissen, ob seine Aufmerksamkeiten ihr willkommen waren? „Ich – ich war nicht so oft in Gesellschaft, Sir. Haben Ihre Erkundigungen auch ergeben, dass ich die Gesellschafterin meiner Tante bin?“

Sir Martin brachte es fertig, verletzt auszusehen, während er sie im Kreis drehte. „Aber Miss Lovejoy, Sie werden doch nicht meinen, ich sei ein Mitgiftjäger?“

Sie lachte. „Die meisten Frauen werden danach beurteilt, wie viel Vermögen sie mitbringen, und in meinem Fall sind es eher Verpflichtungen.“

„Das habe ich zur Kenntnis genommen. Und doch schreckt mich das nicht.“

Was muss ich noch tun?, fragte sich Alethea. Doch sie schämte sich und lächelte. „Sie sind sehr freundlich, Sir.“

„Ganz und gar nicht. Die Herkunft spielt auch eine Rolle, nicht wahr? Sie stammen aus einer guten Familie, und ich glaube, Ihrem Vater wurde nur ein Mal ein Besitzrecht entzogen, oder täusche ich mich?“

„Der Stammbaum der Lovejoys hält jeder Prüfung stand.“

Der Walzer war zu Ende. Sir Martin bot ihr seinen Arm und begleitete sie zurück zu Grace. Dann beugte er sich ganz nahe an ihr Ohr und flüsterte: „Wir werden noch einen Walzer tanzen,

Miss Lovejoy.“

Sie lächelte höflich. „Denken Sie an Dianthe.“

Kaum war Sir Martin gegangen, da nahm Grace Aletheas Hand und führte sie von der kleinen Gruppe weg, mit der sie gerade geplaudert hatte. „Glenross sagte, er würde zum Tanzen zurück sein. Er hat nach dir gefragt, Alethea, und nach deinen Lebensumständen.“

„Wenn er nun vermutet, dass ich …“

„Ich bete, dass das unmöglich ist. Zwar schien er dich sehr gründlich zu mustern, doch du hast nichts von deiner Identität verraten.“

„Dessen bin ich sicher. Ich war von Kopf bis Fuß in Tante Henriettas Verkleidung gehüllt. Ich habe sogar Handschuhe getragen, um meine Hände zu verstecken. Und ich habe ganz leise und mit Akzent gesprochen. Trotzdem hat er sich seltsam benommen.“

„Dann muss er ganz hingerissen sein von Alethea Lovejoy.“

„Das ist unmöglich, Tante. Nach allem, was man so hört, ist Glenross dafür bekannt, blind zu sein für ein hübsches Gesicht. Das habe ich aus zu vielen Quellen gehört, um es zu bezweifeln. Und er trauert noch immer um Lady Maeve, seine Gemahlin.“

„Hast du das in den Karten gelesen?“

„Himmel!“ Alethea lachte. „Solchen Unsinn musst du nicht glauben. Wer wüsste besser als ich, was für ein Unfug das ist. Es ist nur ein Spiel, Tante Grace. Und mehr solltest du auch nicht darin sehen.“

„Dann solltest du dir vielleicht selbst die Zukunft lesen, Alethea. Aber dazu später. Hier kommt Lord Glenross.“

„Ich fürchte, ich bin nicht dafür bestimmt, den Walzer zu tanzen, Lord Glenross. Sir Martin wird wohl für immer lahm sein.“

Rob wehrte ihren Protest ab. „Gestatten Sie mir, mich selbst um meine Füße zu sorgen, Miss Lovejoy. Sie ahnen nicht, wie robust ich bin.“

Sie lachte, beschloss, dass es interessant sein würde, einen Vergleich zwischen ihm und Sir Martin zu ziehen, und reichte ihm ihre Hand.

„Als Sie gestern Abend ablehnten, wunderte ich mich, ob ich Sie irgendwie verletzt haben könnte“, sagte er, als die Musik einsetzte.

„Nicht im Geringsten, Mylord.“ Als er seine warme Rechte an ihre Taille legte, überlief sie ein Schauer. Überdeutlich war sie sich seiner Größe bewusst, seines Dufts, seiner Nähe und der Tatsache, wie behutsam er trotz seiner Kraft war. Nein, er hatte sie keineswegs verletzt, in keiner Weise.

„Das ist eine Erleichterung“, sagte er, während er sie über die Tanzfläche führte. „Gewöhnlich sind meine Verstöße gegen die Regeln beabsichtigt, aber in diesem Falle bitte ich Sie, mir zu verzeihen, wenn ich etwas Falsches sage.“

„Mit Vergnügen“, erwiderte sie heiter. „Ich dachte, Sie wären schon wieder lange genug zurück, um ihre gesellschaftlichen Fähigkeiten aufpoliert zu haben.“

Er blickte sie neugierig an.„Das habe ich, Miss Lovejoy. Was Sie vor sich sehen, ist die geschliffene Version von Rob McHugh.“

„Das ahnte ich, Mylord.“ Tatsächlich war er so charmant und elegant, dass es ihr beinahe den Atem raubte. Sie holte tief Luft. Sie musste aufpassen, Glenross gegenüber nicht den kleinsten Hinweis auf Madame Zoe zu geben. Vermutlich würde es ihm nicht gefallen, betrogen zu werden.

Bei der Suche nach einem anderen Thema bemerkte sie, dass sie ihm noch nicht auf die Zehen getreten hatte, seit der Tanz begonnen hatte. „Ich glaube, es geht ganz gut“, meinte sie. „Besser als mein erster Walzer.“

„Aller Anfang ist schwer, Miss Lovejoy. Man kann nicht in allem erfolgreich sein.“ Er sprach jetzt so leise, dass seine Stimme ein ganz besonderes Timbre annahm, das sie wieder erschauern ließ. „Aber mit einem erfahrenen Mann und einem geduldigen Lehrer an Ihrer Seite könnten sich Ihre kühnsten Hoffnungen erfüllen.“

Alethea brauchte eine Weile, um auf diese Erklärung zu reagieren. „Ein – ein guter Lehrer kann viel erreichen“, brachte sie schließlich heraus.

Glenross warf den Kopf zurück, lachte und drehte sich dann rasch mit ihr im Kreis herum. Wunderbarerweise stolperte sie nicht ein Mal. Mit seinem festen Griff hatte er sie ohne Schwierigkeiten durch diese Figur gelenkt. „Es wäre mir ein Vergnügen, Sie die Kunst des Walzertanzens zu lehren. Ich kann es kaum erwarten zu erleben, wie viel Sie erreichen können, Miss Lovejoy.“

Obwohl sie sich wünschte, dieser Tanz möge niemals enden, hörte sie wieder diese leise Stimme in ihrem Ohr: Gefahr, Gefahr, Gefahr!

Während Seymour neben ihm in der Taverne saß und plapperte, stürzte Rob einen weiteren Whisky hinunter. Eigentlich hatte er in sein Zimmer und früh schlafen gehen wollen, aber als die kleine Miss Lovejoy ihn zum Lachen gebracht hatte, war er von Schuldgefühlen übermannt worden. Für einen kurzen Augenblick hatte er die Vergangenheit vergessen und sich ganz leicht gefühlt. Er wollte diese Schuldgefühle loswerden. Auf welche Weise auch immer. Er brauchte diese verdammten Schuldgefühle nicht, um daran erinnert zu werden, dass er versagt hatte – als Vater und als Ehemann.

So elend versagt, dass Maeve es ihm zum Vorwurf gemacht hatte. Er sei zu unbeherrscht, zu leidenschaftlich, so waren ihre Worte gewesen. Sie fürchtete, er würde sie zerstören, wenn sie es zuließ. Sie sagte, er mache ihr Angst und sie wünschte sich mehr Sicherheit. Seiner verstorbenen Frau zufolge war er kaum besser als ein Tier. „McHugh der Zerstörer“, hatte sie ihn genannt, weil sie meinte, er habe ihr jede Aussicht auf Glück genommen. Bisher war es ihm nicht gelungen, einen Beweis dafür zu finden, dass das Gegenteil der Fall gewesen war. Er hatte sie jedes Mal begehrt, wenn er mit ihr zusammen gewesen war, aber niemals hatte er – was? Sie angehimmelt? Sich nach ihr verzehrt? Ständig an sie gedacht, wenn sie getrennt waren? Sich darauf gefreut, sie das nächste Mal zu sehen?

Sie geliebt?

Traurigerweise hatte er das nicht. Ihre Ehe war von ihren Familien vereinbart worden, als sie beide noch kleine Kinder gewesen waren. Und in diesem Mangel an Liebe lag die eigentliche Quelle seiner Schuldgefühle. Er war zu der Erkenntnis gekommen, dass er diese zarteren Gefühle einfach nicht in sich trug. Als Maeve ein Kind erwartete, dessen Vater er unmöglich sein konnte, hatte er geschwiegen und Hamish als seinen Sohn anerkannt. Das war das Mindeste, was er für seine Ehefrau tun konnte, die er in jeder anderen Hinsicht enttäuscht hatte.

An diesem Abend dachte er, dass ein Zug durch die Spielhöllen und Bordelle Londons ihn ablenken könnte. Er hatte gehofft, Erleichterung zu finden, Entspannung und Ruhe, wenn auch nur für diese eine Nacht. Doch dann war Seymour mit ihm in Londons beliebtestes Bordell gegangen, und er hatte einen kecken Rotschopf mit blauen Augen und einem herausfordernden Lächeln gewählt. Und dann war ihm klar geworden, dass die Frau eine fade Kopie Miss Lovejoys war, und er hatte die Prostituierte fortgeschickt. Es war nicht so, dass er von der Taille abwärts wie tot war, aber er war auch nicht daran interessiert, nur seine Triebe zu befriedigen. Dumm wie er war, wollte er mehr. Er wollte eine tiefere Verbindung als nur auf der körperlichen Ebene. Er sehnte sich nach Bedeutung.

„McHugh?“, fragte Seymour.

Er nahm den letzten Schluck aus seinem Glas. „Ja?“

„Zu schade, das mit Maeve und Hamish.“

Darauf wusste Rob nichts zu erwidern. Er gab dem Wirt ein Zeichen, damit der ihm noch einen Whisky brachte.

Seymour schüttelte den Kopf. „Du hättest sie nicht gehen lassen sollen.“

„Daran denke ich jeden Tag, Seymour.“ Beinahe riss er dem Wirt das neue Glas aus der Hand.

„Aber jetzt ist es zu spät.“

Er stürzte den Whisky mit einem einzigen Schluck herunter und stellte das Glas mit einem Knall auf den Tresen. „Ich gehe, Seymour. Mein Bett ruft.“

„Vielleicht solltest du es doch noch mal mit einem Mädchen probieren. Du bist zum Zerreißen gespannt, McHugh. Die kleinste Kleinigkeit bringt dich aus der Fassung. Wann hast du das letzte Mal …“

Kopfschüttelnd wandte Rob sich zur Tür. Er hatte nicht vor, Seymour zu sagen, dass er seit Monaten – nein, seit Jahren nicht mit einer Frau zusammen gewesen war. Und er hatte sich daran gewöhnt, angespannt zu sein. Verdammt, er begann sogar, Gefallen daran zu finden.

Alethea zog den warmen Hausmantel aus Samt fester um sich und kauerte sich vor den Kamin, während sie auf die Rückkehr von Grace und Dianthe wartete. Obwohl sie über wichtigere Dinge nachdenken musste, wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Tanz mit Lord Glenross und wie es war, seine Hand an ihrer Taille zu spüren. Gern hätte sie noch einmal so etwas gefühlt, und Schuldbewusstsein breitete sich in ihr aus. Sie nahm sein Geld, tat so, als würde sie ihm die Zukunft vorhersagen, und benutzte das, was sie als Alethea Lovejoy erfuhr, um ihn glauben zu lassen, dass Madame Zoe hellseherische Fähigkeiten besaß. Zum ersten Mal kam sie sich wie eine gewöhnliche Schwindlerin vor.

Um alles noch schwieriger zu machen, hatte Alethea seit der Ankunft ihrer Schwester vor einer Woche Ball- und Reitkleider gekauft, Schuhe, Reitstiefel, Tanzschuhe, Handschuhe, Hauben, Retiküls, Vormittags- und Nachmittagskleider, Visitenkarten – und die Kosten summierten sich. Ihr Geld würde nicht reichen, um Dianthe eine zweite Saison zu finanzieren. Genau genommen würde sie es nicht einmal schaffen, Dianthe durch diese Saison zu bringen, wenn sie auf das Einkommen als Madame Zoe verzichtete.

Fünf Jahre lang schmachten und sparen, fünf Jahre harte Arbeit in Wiltshire und jetzt in London, und nun sollten sich all ihre Pläne in Luft auflösen, weil irgendein Schurke Tante Henrietta umgebracht hatte!

Alethea stand auf und begann, hin und her zu gehen. Sie hatte so viel verloren. Ihre Mutter, ihren Vater, Tante Henrietta, die mageren Ersparnisse, die ihre Mitgift sein sollten – alles weg! Sie hatte es so satt. Dianthe fand all diese Ungewissheiten aufregend, aber Alethea sehnte sich nach Sicherheit.

Plötzlich schreckte Hufgeklapper sie aus ihren Gedanken, und sie hastete zu ihrem Schlafzimmerfenster, als die Kutsche der Forbushs vor dem Haus hielt. Dianthe stieg heraus, begleitet von Grace und Lord Ronald Barrington, einem von Graces zahlreichen Verehrern. Sie eilten ins Haus, gerade als die große Standuhr viermal schlug. Alethea wusste, was jetzt geschehen würde. Lord Ronald würde einen Sherry trinken und dann wieder aufbrechen, sein Verlangen nach Grace noch immer unerfüllt.

Alethea ging vom Fenster weg, setzte sich mit gekreuzten Beinen aufs Bett und wartete. Als die Tür aufging und Dianthe hereintänzelte, lächelte sie.

„War es schön, Di? Lag dir der gesamte ton zu Füßen?“

Ihre Schwester löste die Bänder ihres Umhangs und ließ ihn zu Boden gleiten. „Es war wunderbar! Ich fühle mich wie eine Prinzessin! Ich liebe London. Und ich liebe all meine neuen Kleider! Oh, warum hast du nur nicht früher nach mir geschickt?“

„Ich hatte doch keine Ahnung, wie sehr dir London gefallen würde“, erwiderte Alethea lachend. „Und ich hatte nicht solchen Erfolg wie du.“

„Ich verstehe den Grund dafür nicht.“ Dianthe betrachtete sich im Spiegel. „Du bist viel hübscher als ich, Alethea, und so zierlich. Männer lieben das.“

„Ich bin keine Konkurrenz für dich, Di.“ Alethea schmunzelte. „Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber Männer finden Rothaarige betörend.“

„Ich bin nicht mehr so jung.“

Au contraire.“ Dianthe kicherte. „Mit fünfundzwanzig bist du eine reife Frucht, dazu bestimmt, vom Baum zu fallen.“

Alethea sah plötzlich vor sich, wie sie sich mit letzter Kraft an einem Ast festklammerte, während Robert McHugh darunter stand, bereit, sie aufzufangen. Erschauernd schob sie diesen verstörenden Gedanken beiseite. „Nein, Dianthe, du bist diejenige, die vor dem Ende der Saison einen Mann gefunden haben wird.“

„Oh, das hoffe ich. Deshalb habe ich ein neues Ballkleid bestellt, als ich mit den Thayer-Zwillingen heute Nachmittag einkaufen war. Hortense und Harriet meinten, ich sollte mir jeden nur möglichen Vorteil verschaffen.“

Ein neues Kleid? Alethea zuckte zusammen. Woher sollte sie für Dianthes Anschaffungen das Geld nehmen?

Dianthe blickte sie mit großen Augen an. „Oje. Hätte ich fragen sollen, ehe ich das neue Kleid in Auftrag gab?“

Alethea strich ihrer Schwester zärtlich über die Wange. Es würde Dianthe niederschmettern, wenn sie glaubte, ein Problem verursacht zu haben. „Ich wünschte, ich hätte dich begleitet. Ich weiß, wie gern du einkaufst.“

„Ich gebe dir das nächste Mal Bescheid, ja?“ Dianthe begann, sich die Nadeln aus dem seidigen blonden Haar zu ziehen, sodass es ihr über die Schultern fiel. „Warum hast du dich nicht in die Gesellschaft einführen lassen, Alethea? Tante Grace sagte mir, sie hat dir angeboten, für die Kosten aufzukommen, aber das wolltest du nicht.“

Dianthe sprach leiser weiter. „Hast du wegen Papa das Angebot von Tante Grace abgelehnt? Ist dir nicht klar, dass du nicht durchs Leben gehen und für seine Engpässe geradestehen kannst?“

„Engpässe?“ Alethea lachte leise. „Du bist eine Meisterin der Untertreibung, Dianthe. Vater war ein Bettler, der von seinen Freunden und seiner Familie so viel borgte, bis nichts mehr übrig war. Die Leute nahmen Reißaus, wenn sie ihn sahen. Erinnerst du dich nicht daran, wie peinlich das war? Ich will niemals so auftreten.“

„Er hat es für uns getan, Binky“, sagte Dianthe und benutzte dabei Aletheas Kosenamen.

„Ich hätte auf all das verzichten können, um nicht von der Wohltätigkeit leben zu müssen“, meinte Alethea.

„Keine Sorge“, erwiderte Dianthe beruhigend. „Mit harter Arbeit und Entschlossenheit haben wir das Glück gewendet. Du mit deinem hervorragenden Geschäftssinn und dem Geld, das du als Gesellschafterin von Tante Grace verdienst. Tante Henrietta, die sich von reichen Witwen als Reiseführerin anstellen ließ und ich mit meinen kleinen Konfitüren und Gelees, die wir auf dem Markt verkaufen konnten.“ Sie verstummte und warf Alethea einen Seitenblick zu. „Aber du könntest eine ausgezeichnete Partie machen, und dann müssten wir nicht mehr so hart arbeiten.“

Alethea betrachtete Dianthes Gesicht, bis sie das heitere Augenzwinkern bemerkte. Sie warf mit einem Kissen nach ihrer Schwester. „Das ist deine Aufgabe, Dianthe! Du wirst die hervorragende Partie machen, damit du mich im Alter versorgen kannst.“

„Ich werde entzückt sein, das tun zu können.“ Ihre Schwester seufzte dramatisch. „Es gibt da ein paar Männer, die ich bisher getroffen habe und denen ich mein Herz schenken könnte. Aber wo ist Tante Henrietta? In ihrem letzten Brief versprach sie, uns in der Stadt zu treffen und mir bei der richtigen Wahl behilflich zu sein.“

Schuldgefühle übermannten Alethea, und der Schmerz drohte die Oberhand zu gewinnen. Doch dem durfte sie jetzt nicht nachgeben. Wenn Dianthe die Wahrheit erfuhr, würde sie sich in Trauer zurückziehen, und vielleicht würde sie nie wieder eine Gelegenheit erhalten, sie in die Gesellschaft einzuführen. „Sie wurde in Griechenland aufgehalten, Dianthe. Ich bin sicher, wir werden bald von ihr hören.“

„Oh, das hoffe ich. Ich vermisse sie schrecklich, und ich weiß, ihr beide seid ganz wild darauf, dass ich eine gute Partie mache. Ich wünschte nur, sie wäre hier, um mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“

Würde diese Spur von Verzweiflung Dianthes Vergnügen an ihrem Debüt trüben? „Ich werde nicht zulassen, dass du nur des Geldes wegen heiratest. Schwöre mir, dass du nicht ohne Liebe heiraten wirst.“

„Natürlich nicht, Binky. Und ich glaube nicht, dass ich mir Sorgen um deine Zukunft zu machen brauche.“ Dianthe grinste. „Ich sah diesen hinreißenden Lord Glenross mit dir tanzen, und auch Sir Martin Seymour schien ganz fasziniert von dir gewesen zu sein.“

Glenross. Ein seltsames Gefühl überkam Alethea, als sie daran dachte, wie er sie angeblickt hatte. Der Hauch von Verletzlichkeit, den sie an ihm bemerkt hatte, als sie ihn wegen seiner Manieren neckte. Sie war bereit zu schwören, dass der Schmerz, der ihn erfüllte, nicht nur mit dem Tod seiner Frau zusammenhing. Aber das würde sie nie erfahren. Glenross war ihr so gegenwärtig, dass er ihr Unbehagen verursachte. Er war herausfordernd. Aufregend.

Davon hatte sie genug gehabt. Ihr Vater war aufregend gewesen und hatte seine Familie mit seinen hochfliegenden Ideen mitgerissen. Aber sein verantwortungsloses Verhalten hatte der Familie die Zukunft und das Vermögen genommen. Nachdem ihre Mutter an der Schwindsucht gestorben war, hatte ihr Vater vor Trauer den Rest des Vermögens mit Alkohol und Glücksspielen verschleudert. Fünf Jahre später war er betrunken vom Pferd gefallen, hatte sich den Hals gebrochen und es Alethea und seiner Schwester Henrietta überlassen, sich mit den Auswirkungen seiner Exzesse zu beschäftigen.

Auch Glenross gab ihr das Gefühl, sich im freien Fall zu befinden, auf den Boden zuzustürzen in der Gewissheit, dass der Aufprall kommen musste. Sie war erregt, aber auch verängstigt, und dieses Gefühl war für sie unerträglich. Nachdem sie in den vergangenen fünf Jahren von der Hand in den Mund gelebt hatte, wollte sie sich einfach nur in Sicherheit wissen, frei von Zweifeln und Sorgen. Sie wollte Ruhe und die Aussicht darauf, dass ihr Leben entspannt und ohne schlimme Überraschungen verlaufen würde.

Mit Sir Martin war das etwas anderes. Gut aussehend, höflich, unkompliziert und sehr zivilisiert. Sehr verlässlich. Ja. Wenn sie in dieser Saison einen Mann wählen sollte, dann würde es Martin Seymour sein. Mit jemandem wie Seymour wäre das Leben einfach.

4. KAPITEL

Alethea öffnete die Bänder ihres grünen Wollumhangs und begann vor Mr. Evans’ Schreibtisch auf und ab zu gehen. „Wie sind die Buchungen für die nächsten Tage? Gut?“ Sie warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. 15. Dezember. Nur noch sechzehn Tage, um den Mörder zu fassen.

„Ja, Miss Lovejoy. Von Montag an ab Mittag bis zum Tee. Nur eine Verabredung heute, später am Nachmittag. Ich denke, es wird Miss Henrietta freuen, dass das Geschäft so gut läuft.“

„Ja.“ Alethea räusperte sich. „Aber würden Sie ihr in den nächsten Wochen etwas freie Zeit verschaffen? Meine Schwester ist in der Stadt, und Tante Henrietta würde sie gern treffen.“

Sie wünschte, sie könnte ihm die Wahrheit sagen, aber die Mittwochsliga war übereingekommen, dass die Aussicht auf Erfolg umso größer war, je weniger Leute die Wahrheit kannten. Wenn sich die Nachricht verbreitete, dass ihre Tante tot war, würde der Schurke niemals den Köder schlucken.

Mr. Evans nickte. „Ich werde mich auf Termine für den Nachmittag beschränken.“

Alethea dachte an die endlose Reihe von Besuchen, Einkäufen und Besichtigungen und überlegte es sich anders. Jemand musste Dianthes Ausgaben unter Kontrolle halten. Unglücklicherweise schlug Dianthe in dieser Beziehung nach ihrem Vater. „Vielleicht einige am Abend und einige am Vormittag?“

„Wie Sie möchten, Miss Lovejoy.“ Der Agent machte sich daran, für sie eine Liste mit Namen und Daten abzuschreiben.

„Und – äh – sie möchte, dass Lord Glenross nur noch einen letzten Termin bei ihr bekommt.“

„Gab es Schwierigkeiten mit diesem Mann?“

„Eigentlich nicht. Aber – sie ist nicht sicher, was er von ihr will.“

Mr. Evans nickte und widmete sich wieder seiner Aufgabe. Als sie zusah, wie er die Termine auf einem Extrablatt notierte, kam ihr eine Idee. „Mr. Evans? Meine Tante bemerkte, dass einer ihrer Klienten während eines Besuches etwas verloren hat, aber sie weiß nicht mehr, wer es war. Es war in der letzten Novemberoder in der ersten Dezemberwoche. Sie hat ihre Liste verlegt und bat mich, Sie zu fragen, ob Sie ihr für diese beiden Wochen die Termine aufschreiben könnten.“

Mr. Evans schaute von seinem Blatt auf und spitzte die Lippen. Dann warf er einen vielsagenden Blick zu der Uhr auf dem Regal hinter ihm. „Das wird einen Moment dauern, Miss Lovejoy.“

„Vielen Dank, Sir. Ich werde warten.“

Sie setzte sich auf die Stuhlkante, sodass kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass sie es eilig hatte. Der Mann beendete seine aktuelle Aufgabe, dann blätterte er in Henriettas Terminkalender bis zu der fraglichen Zeit und begann, die Namen aufzuschreiben.

Alethea konnte es kaum erwarten, der Mittwochsliga von ihrem brillanten Einfall zu erzählen. Zwar hatte Tante Henrietta in der Nacht, in der sie ermordet wurde, keinen Termin gehabt, doch es war möglich, dass sie ihren Mörder kurz davor gesehen hatte. Wenn Alethea Mr. Renquist diese Namen geben konnte, dann wusste er, wen er fragen konnte. In welche Richtung er ermitteln sollte.

Und wie der Zufall es wollte, würde sie Mr. Renquist in weniger als einer Stunde im La Meilleure Robe treffen. Dann konnte sie ihm die Liste mit den Verabredungen ihrer Tante überreichen, und bald würden sie Antworten haben.

Kurz darauf stieg sie mit der Liste in ihrem weißen Pelzmuff die Treppe zur Straße hinunter. Ein Schwall kalter Luft raubte ihr beinahe den Atem und trieb ihr die Tränen in die Augen, als sie um die Ecke bog, gegen irgendetwas Hartes prallte und zurücktaumelte.

Lord Glenross umfasste ihren Ellenbogen und hielt sie fest. „Verzeihung, Miss.“

Aletheas Kapuze war zurückgerutscht, und sie bemerkte, dass Glenross ebenso überrascht war wie sie. „Lord Glenross! Wie – ich meine, was – oje!“

Er warf einen Blick auf die Treppe. „Geht es Ihnen gut, Miss Lovejoy?“

„Ja, danke“, entgegnete sie wie erstarrt.

Er streckte den Arm aus und berührte ihre Wange. Danach hatte er eine Träne an der Fingerspitze. „Ich habe Ihnen doch nicht wehgetan, oder?“

„Oh nein, Mylord. Ich – ich habe nur gerade …“

„Sie erhielten schlechte Neuigkeiten?“

„Nein. Oh nein.“ Sie lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. „Ich dachte nur gerade, na ja, an die Saison und wie sehr ich mir wünschte, für die Feiertage wieder in Little Upton zu sein.“

„Heimweh, was?“ Er lächelte. „Eigener Herd ist Goldes wert.“

Lord Glenross nahm die Kapuze und setzte sie ihr wieder auf. Dabei zupfte er den Pelzbesatz so zurecht, dass er wieder ihr Gesicht umrahmte. Mit der behandschuhten Hand strich er dabei über ihre Wange, und sie hielt den Atem an, so sehr ließ seine Nähe ihr Herz schneller schlagen. Wieder warf er einen Blick zur Treppe, und sie vermutete, er war unterwegs zu Mr. Evans, um einen neuen Termin zu vereinbaren.

„Danke für Ihre Hilfe, Mylord. Ich – ich muss mich jetzt auf den Weg machen.“ Sie erschauerte und wich vor ihm zurück, eifrig bemüht, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Noch einmal nahm er ihren Ellenbogen und geleitete bis zu dem regen Fußgängerverkehr auf der Fleet Street. „Wo ist ihre Begleitung, Miss Lovejoy? Ihre Kutsche?“

„Ich bin eine Angestellte meiner Tante, Mylord. Ich habe keine Begleitung, und ich bin von ihrem Haus aus zu Fuß gegangen.“

„Mrs. Forbush hat erlaubt …“

„Sie wollte mich mit der Kutsche schicken, aber ich sagte ihr, ich könnte den Spaziergang nutzen, um ein wenig Bewegung an der frischen Luft zu genießen. Manchmal versucht sie, zu viel für mich zu tun, und ich muss sie daran erinnern, dass ich ihre Angestellte bin.“

Schneeregen setzte ein, und es wurde plötzlich recht dunkel. Wenn die Temperatur noch etwas sank, würde es stark anfangen zu schneien. Der Fußweg war bereits rutschig geworden, als der Schneematsch auf der glatten Oberfläche anfror. Alethea fröstelte und zog den Umhang ein wenig fester um sich.

Glenross’ Züge wurden weicher. „Ich glaube, ich ging eben an einer Teestube vorbei, und Sie sollten sich aufwärmen, Miss Lovejoy. Das Haus Ihrer Tante liegt nicht gerade um die Ecke.“ Als sie den Mund öffnete, um zu widersprechen, schüttelte er den Kopf.„Ich möchte keine Einwände hören. Wenn Sie morgen erfroren aufgefunden werden, würde ich mir das niemals verzeihen. Ich bitte Sie. Es ist beinahe Teezeit.“

Es blieb Alethea nichts anderes übrig, als ihm zu erlauben, sie das kurze Stück zu der Teestube zu begleiten. Als sie den Laden betraten, läutete eine kleine Glocke über der Tür, und aus dem Hinterzimmer kam eine Frau in einem schwarzen Kleid mit weißer Schürze und Haube.

„Willkommen“, sagte sie, und in ihrem Akzent war nur eine Spur Cockney zu hören. Sie führte sie zu einem kleinen abgeschiedenen Raum, in dem sie vor neugierigen Blicken geschützt waren. Darin standen ein kleiner runder Tisch und zwei Stühle. Damen wurden nicht gemeinsam mit den übrigen Kunden bedient, und die meisten vornehmen Geschäfte boten ähnliche Separees für solche Zusammenkünfte. „Sie sind heute Nachmittag die Ersten“, erklärte sie und deutete damit an, dass niemand sie stören würde.

Alethea sah kurz ihren Begleiter an. Noch nie war sie mit einem Mann zum Tee aus gewesen. Auf dem Land gab es diese Möglichkeiten nicht, und seit ihrer Ankunft in London war sie ohnehin zu beschäftigt gewesen. Sie wusste, sie war ein unerfahrenes Landei, aber sie holte tief Luft und beschloss, der Situation mit so viel Würde zu begegnen, wie sie nur aufbringen konnte.

Die Wärme in der gemütlichen Teestube war angenehm nach dem kalten Schneeregen. Lord Glenross nahm den Umhang von Aletheas Schultern und hängte ihn an die Garderobe, die sich außerhalb der Nische befand. Er rückte ihr einen Stuhl zurecht, und sie setzte sich. Als sie die Hand aus ihrem Pelzmuff zog, flatterten die zusammengefalteten Papiere zu Boden. In ihrem Schreck über den Zusammenstoß mit Glenross hatte sie Mr. Evans’ Listen ganz vergessen.

Glenross machte den kleinen Vorhang zu, der das Separee von dem Verkaufsraum trennte, dann drehte er sich um und bemerkte die Papiere auf dem Boden. Nachdem er sich gebückt hatte, um sie aufzuheben, schaute er Alethea fragend an. „Ihre?“

„Oh!“, rief sie aus. „Meine – meine Liste mit den täglichen Aufgaben. Und ein Einkaufszettel.“ Sie streckte die Hand aus, um ihm die Blätter abzunehmen. Wenn er sie auseinanderfaltete, würde er die Namen und die Termine sehen und wissen, was sie in Mr. Evans’ Büro gewollt hatte.

Er musste etwas von ihrer Beunruhigung bemerkt haben, denn er zögerte und betrachtete sie neugierig. „Miss Lovejoy, sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?“

„Ja, natürlich.“ Wortlos streckte sie ihm die Hand noch weiter entgegen.

Er warf einen Blick auf die Papiere, als wäre ihm entfallen, dass er sie in den Händen hielt, dann lächelte er Alethea an. „Wenn es Aufgaben sind, würde ich Ihnen einen Dienst erweisen, wenn ich sie verliere.“

„Nein! Bitte, Mylord.“

„Es war ein Scherz, Miss Lovejoy. Wie es scheint, fehlt mir da die Übung. Ich hätte nicht vermutet, dass Mrs. Forbush eine so strenge Herrin ist.“

„Das ist sie nicht, Mylord. Es ist meine Liste. Sie ist persönlich.“ Alethea hasste es, dass ihre Stimme so aufgewühlt klang, aber sie wurde immer verzweifelter. Der Umstand, dass er die Liste mit den Terminen als das erkennen könnte, was sie war, machte ihr Angst.

Langsam, beinahe widerstrebend reichte Glenross ihr die Papiere. Sie schob sie rasch in ihren Muff, wo sie außer Sicht waren. Als sie wieder aufblickte, betrachtete er sie mit verwirrtem Stirnrunzeln.

„Ich – ich war mir nicht mehr sicher, was auf der Liste stand und fürchtete, ich würde heimkehren mit lauter unerledigten Aufgaben“, sagte sie. Sie fühlte sich genötigt, ihr Verhalten zu entschuldigen.

Mit ernster Miene nickte er. „Dazu habe ich eine Theorie.“

„Ja?“, fragte sie.

„Was Sie vergessen, wollen Sie nicht wirklich behalten. Und wenn es wirklich wichtig ist, vergessen Sie es nicht.“

„Ja, aber jetzt entsinne ich mich gerade wieder, dass ein Punkt auf der Liste lautete, ein Band für Dianthe zu besorgen, das sie heute Abend beim Ball der Spencers im Haar tragen kann.“

Lächelnd ließ er sich ihr gegenüber nieder. „Ah, Bänder. Das ist wirklich wichtig.“

Die Türglocke läutete. Sie hörten, wie eine andere Gruppe hereinkam und im vorderen Zimmer Platz nahm. Alethea schenkte Glenross ein verunsichertes Lächeln, als ihr plötzlich klar wurde, wie kompromittierend es sein würde, wenn man sie hier zusammen sähe. Wäre sie eine gewöhnliche Dienstbotin gewesen, hätte niemand daran Anstoß genommen, aber da sie ein Mitglied der Gesellschaft war, würde ihr Benehmen verdächtig erscheinen. An Glenross schieden sich die Geister, und durch seinen Titel war er für den ton besonders interessant. Aber dafür war es jetzt zu spät.

Glenross antwortete ihr mit einem Lächeln. Sie begriff, dass er sich der heiklen Situation voll bewusst war und dass es ihm offenbar gleichgültig war. Seltsam, dachte sie, für einen Mann, der sein Erbe und seinen Namen so sehr schätzte.

Die Serviererin brachte ein Tablett mit einer Teekanne, Tassen, Keksen, Muffins und Teekuchen, Töpfchen mit Konfitüre und Honig und dünne Sandwiches. Als sie alles auf den Tisch gestellt hatte, trat sie zurück und fragte. „Haben Sie sonst noch einen Wunsch?“

Glenross schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank, Miss. Sollte etwas fehlen, werde ich mich melden.“

Sie knickste und eilte davon. Nach einer unbehaglichen Pause griff Alethea nach der Teekanne und erhob sich. Als sie ihnen beiden eingeschenkt hatte, setzte sie sich wieder hin und trank einen Schluck. Glenross wirkte mit der zierlichen Teetasse in seinen großen Händen so vollkommen fehl am Platze, dass sie lachen musste.

„Es tut mir leid, Mylord, aber Sie scheinen sich unbehaglich zu fühlen. Wodurch ich nur umso mehr in Ihrer Schuld stehe.“

„Wie das, Miss Lovejoy?“

„Weil Sie meinetwegen Ihr Wohlbefinden opfern. Ich würde mich ungern revanchieren, indem ich Sie in eine Bar führe, um dort Bier, Rum oder etwas Ähnliches zu trinken.“

Jetzt lachte er, offenbar sehr amüsiert. „Das würde ich nicht von Ihnen verlangen. Ich wäre gänzlich zufrieden, wenn Sie mir einen weiteren Walzer versprechen.“

„Dann rechnen Sie damit, Lord Glenross“, erwiderte sie entschlossener, als sie eigentlich gewollt hatte.

Die Gespräche vor ihrer Nische verstummten. Nun, da seine Identität bekannt geworden war, würde Glenross’ Treffen mit einer unbekannten Frau zweifellos das beliebteste Gesprächsthema der nächsten Zeit werden. Alethea warf ihrem Begleiter einen entschuldigenden Blick zu.

„Verzeihen Sie“, flüsterte sie. „Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf Sie lenken.“

Er wirkte nicht im Geringsten beunruhigt. „Dies ist ein ausgezeichneter Grund für eine etwas weniger förmliche Anrede. Bitte ignorieren Sie meinen Titel, Miss Lovejoy. Nennen Sie mich Rob oder McHugh. Das tun alle meine Freunde.“

Freunde! Sah er in ihr wirklich eine Freundin? „Ich glaube nicht, dass das schicklich wäre“, meinte sie leise, damit man sie nicht wieder hören konnte.

„Ich bestehe darauf.“

Alethea öffnete den Mund und bildete mit den Lippen ein „R“, brachte diese so persönliche Anrede aber nicht heraus. Der einzige Mann, den sie jemals bei seinem Vornamen genannt hatte, war ihr Bruder Bennett. Selbst ihre Mutter hatte ihren Ehemann mit Mr. Lovejoy angesprochen.

„Kommen Sie schon, Miss Lovejoy. Das kann doch nicht so schwer sein“, neckte Glenross sie mit einem boshaften Lächeln.

„McHugh“, sagte sie schließlich, nachdem sie Rob nicht über die Lippen gebracht hatte. Vielleicht würde sie eines Tages, sollte ihre Bekanntschaft so lange andauern, ein „Lord Robert“ zustande kriegen.

Er nickte beifällig. „Das reicht für den Anfang. Und nun wollen wir Sie mit Kuchen und Konfitüre füttern.“

Mit einer silbernen Zange legte er ein Stück herrlich duftenden Kuchen auf einen Teller, tat etwas Sahne und Himbeerkonfitüre obenauf. Dann drapierte er sorgfältig eine Gabel daneben und reichte Alethea den Teller mit einer Verneigung, als wollte er ihr beweisen, dass er durchaus gute Manieren besaß.

Sie nahm einen kleinen Happen, schloss die Augen, lächelte und seufzte: „Mmm – himmlisch.“ Dann leckte sie sich mit der Zungenspitze die restliche Sahne von den Lippen.

Als sie die Augen wieder öffnete, starrte McHugh sie an, als hätte ihn der Schlag getroffen. Er blinzelte, räusperte sich und trank seine Tasse in einem Zug aus. „Ja. Himmlisch.“

Sie nippte noch einmal an ihrem Tee und betrachtete ihn. Ganz plötzlich schien sich seine eben noch so hervorragende Laune getrübt zu haben. „Geht es Ihnen gut?“, wollte Alethea wissen.

„Mir ist gerade etwas eingefallen, das ich erledigen muss, und je eher, desto besser.“

„Oh?“ Alethea fragte sich, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Was könnte Glenross’ plötzlichen Stimmungsumschwung verursacht haben?

„Lassen Sie sich Zeit, Miss Lovejoy. Trinken Sie Ihren Tee aus, und ich werde Ihnen meine Kutsche schicken.“

„Aber – das ist nicht nötig, Mylord.“ Sie suchte nach Worten. „Ich gehe lieber zu Fuß. Wirklich.“

Er zog den Vorhang ein Stück zurück. „Inzwischen schneit es, Miss Lovejoy. Heftig. Es wird sehr kalt sein.“ Seine Stimme war streng und ließ keinen Zweifel daran, dass er ihr nicht gestatten würde, zu Fuß zu gehen.

Es war die Kälte, die Glenross plötzlich ausstrahlte, die sie frösteln ließ. „Ich habe noch einiges zu erledigen und werde immer wieder anhalten müssen.“

„Wohin müssen Sie?“

Alethea dachte an die Liste, die Mr. Evans für sie geschrieben hatte, und dass sie einen Termin mit Mr. Renquist hatte, ehe ihre nachmittäglichen Verpflichtungen als Madame Zoe begannen. Aber das konnte sie Glenross nicht sagen. „Hatchard’s, Exeter Change und …“ Sie hielt inne und wunderte sich, woher das Bedürfnis kam, Glenross davon zu erzählen. „Wirklich, Mylord, ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, aber das ist genug.“

Der kühle Ausdruck in seinen Augen blieb unverändert. „Wie Sie meinen. Auf dem Weg nach draußen werde ich die Ladenbesitzerin bezahlen.“ Er stand auf, nahm seinen Hut und verbeugte sich steif vor ihr. Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt und verließ das Separee. War das wieder ein Beispiel für Lord Glenross’ berüchtigte Unberechenbarkeit?

Atemlos erreicht Alethea das La Meilleure Robe zur verabredeten Zeit. Mr. Renquist wartete an einem der hinteren Anprobezimmer und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Seine Frau, Madame Marie, warf ihm einen beschwichtigenden Blick zu.

„François, du bist unhöflich. Das Mädchen ist pünktlich. Willst du ihr Angst machen?“

Sofort zeigte er ein schlechtes Gewissen. „Verzeihen Sie, Miss Lovejoy. Ich wollte gern wissen, was Sie für mich haben.“

Sie zog die kleine Liste aus ihrem Muff und reichte sie ihm. Eigentlich hatte sie die Namen noch einmal abschreiben wollen, aber die Begegnung mit McHugh hatte zu lange gedauert. Doch sie hatte die Liste gelesen und kannte die meisten Namen auswendig.

„Interessant“, murmelte er, während er die Liste überflog. „Das sieht aus wie eine Aufzählung der wichtigsten Personen des gesamten ton. Was ist das, Miss?“

Alethea seufzte. „Tante Henriettas Termine in den zwei Wochen vor dem Mord.“

Mr. Renquist lächelte seiner Frau zu. „Marie, an dem Mädchen ist ein Detektiv verloren gegangen.“

Liebevoll zerzauste Madame Marie ihm das Haar. „Aber natürlich, chérie.“

Er schmunzelte. Offensichtlich liebte er es, seine Frau zu necken. „Ich sehe mir das sofort an.“

Alethea seufzte erleichtert. Deswegen zumindest musste sie sich nicht mehr sorgen. Mr. Renquist hatte viele Fälle der Mittwochsliga übernommen, und man konnte ihm vollkommen vertrauen. „Wann sollen wir uns wieder treffen, Sir?“

„Ich werde einen meiner besten Männer darauf ansetzen.“ Er hielt inne, als er ihre Ungeduld spürte. „Wenn es etwas zu berichten gibt, werde ich Sie durch meine Frau informieren. Keine Angst, Miss. Wir werden den Schurken finden, der Miss Henrietta das angetan hat.“

„Vielen Dank, Sir. Und danke auch dafür, dass Sie die kleine Glocke in Tantchens Wohnung angebracht haben. Es ist mir eine große Beruhigung, dass ich Hilfe rufen kann, wenn es nötig sein sollte.

„Keine Ursache, Miss. Wenn Ihnen etwas zustößt, würden die Damen mich teeren und federn. Ich werde einen meiner Männer zu Ihrem Schutz abstellen.“

„Das ist nicht nötig, Mr. Renquist“, erwiderte sie schnell. Das Letzte, was sie brauchte, war ein fremder Mann, der ihr folgte oder vor Tante Graces Haus auf sie wartete. Wie sollte sie das jemals Dianthe erklären?

„Sollten Sie Ihre Meinung ändern, Miss, lassen Sie es mich wissen. Lieber auf Nummer sicher gehen, oder?“

„Ich bin doch immer vorsichtig, Mr. Renquist.“

Einen Moment lang musterte er sie ernst. Dann lachte er wieder. „Das war gut, Miss. Beinahe wäre ich darauf hereingefallen.“

„Oh, Madame Zoe, Sie müssen mir sagen, was ich tun soll! Ich bin so verwirrt, und Zeit ist so wichtig! Ich werde noch verrückt, wenn ich versuche, das selbst herauszufinden!“ Die schöne Blondine hatte die Tarotkarten fertig gemischt und schob Alethea jetzt das Deck zu.

Miss Barlow hatte sich außerordentlich verspätet. Ein rascher Blick auf die Uhr zeigte, dass es schon halb sechs war! Unter dem Schleier, der ihre Identität verbarg, unterdrückte Alethea den Drang, sich zu beeilen. Sie hätte die Frau fortschicken sollen, damit sie einen neuen Termin vereinbarte. Welcher Teufel hatte sie nur dazu getrieben, sich damit einverstanden zu erklären, Miss Barlow so spät am Tag noch zu empfangen? Alethea würde kaum noch Gelegenheit haben, sich zu baden, ehe sie sich für den Abend umzog.

Nicht dass sie Miss Barlow im Verdacht hatte, irgendetwas mit dem Tod ihrer Tante zu tun zu haben. Und Beatrice Barlow sollte bekommen, wofür sie bezahlt hatte. Das war nur gerecht. „Ich muss mehr Informationen haben, chérie“, sagte Alethea in ihrem französischen Akzent. „Wie kann ich helfen, wenn ich das Problem nicht kenne?“

Bei diesem Vorschlag erbleichte Miss Barlow.„Ich wage nicht, noch ein einziges Wort preiszugeben! Der gesamte ton sagt, Sie wären die Beste. Bestimmt können Sie mir helfen, ohne Kenntnis von den brisanten Details zu haben!“

„Hmm“, machte Alethea. Tatsächlich erfuhr sie bei ihrer Tätigkeit als Madame Zoe mehr, als sie eigentlich wissen wollte über das, was hinter den verschlossenen Türen der Gesellschaft vor sich ging. Aber sich dieses Wissen zunutze zu machen, kam für Alethea nicht infrage. Sie wusste nichts weiter über Miss Beatrice Barlow, als dass sie eine vorteilhafte Partie machen und bald heiraten würde. Was immer sie bedrückte, es musste bald geklärt werden.

„Nun gut, chérie. Sie verstehen aber, dass die Karten keine endgültigen Aussagen treffen, nicht wahr? Das obliegt Ihnen. Die Karten geben nur Hinweise, n’est-ce pas?“

„Ja. Ja, natürlich.“

Alethea mischte die Karten und wählte die Hufeisenform, die schnellste Art, die Tarotkarten zu legen.

Miss Barlow zerknautschte unruhig mit den Händen ihr Taschentuch und biss sich auf die Unterlippe. „Sagen Sie mir alles, Madame Zoe.“

„Ihre erste Karte spricht von früheren Einflüssen“, begann Alethea. Sie tippte auf die Gestalt eines Mannes mit einem Glockenhut, der verkehrt herum lag. „Sie müssen sich vor unbedachten Handlungen schützen, chérie, oder sich auf eine Katastrophe gefasst machen.“

„Ich bin niemals unüberlegt gewesen. Aber ich muss sicher sein, und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen.“

Oui. Ich begreife, das ist der kritische Punkt“ Alethea drehte die nächste Karte herum. „Da! Der Zauberer! Sie müssen eine Entscheidung treffen! Und sie müssen einen klaren Kopf bewahren, n’est-ce pas?“

„Klaren Kopf?“ Miss Barlow schien verwirrt.

Oui. Urteilen Sie auf keinen Fall vorschnell!“

„Ach, Unsinn! Ich habe keine Zeit, um über alles lange nachzugrübeln. Ich muss schnell einen Entschluss fassen!“

Ein weiterer Blick zur Uhr zeigte Alethea, dass es schon sehr spät war und sie sich nun wirklich beeilen musste. Rasch drehte sie die dritte Karte um. „Die Liebenden! Ah, das erklärt alles.“

„Die Liebenden!“, rief Miss Barlow aus und beugte sich vor. „Oh, ich hatte es gehofft. Verraten Sie mir mehr, Madame.Was hält die Zukunft für uns bereit?“

„Er – sieht gut aus. Er ist …“

„Dunkelhaarig! Oh ja! Der schönste aller Männer! Sie sind ja so klug, Madame! Sagen Sie mir, ist es wahre Liebe?“

„Die Karten sprechen von Liebe und von einer Entscheidung, die zu treffen ist, chérie. Zwischen Körper und Geist. Das ist nicht dasselbe, oder?“

„Nein!“, stimmte Miss Barlow zu. „Mein Körper – mein Herz – rät mir etwas, und mein Geist – meine Vernunft – etwas anderes.“

Alethea drehte noch eine Karte um. Der Mond. Eine Karte, die dazu aufforderte, dem Gefühl zu folgen und nicht der Vernunft. Kein weiser Ratschlag, soweit es Miss Barlow betraf. Dennoch, es ging um ihre Zukunft. „Hören Sie auf Ihr Herz, chérie. Es sagt Ihnen, was am besten für Sie ist.“

Miss Barlow verzog das Gesicht. „Wenn ich nur sicher wäre.“

Alethea drehte die nächste Karte um und war überrascht, wie stimmig diese die anderen ergänzte. Die Botschaft war beinahe so eindeutig, dass sie versucht war, an die Tarotkarten zu glauben. Beinahe. „Dies …“ Sie deutete mit einem Finger auf die Karte, „… ist die Kutsche. Sie weist auf eine Reise hin oder auf Entfernung. Vielleicht in Bezug auf Ihre Gefühle, vielleicht in Bezug auf eine tatsächliche räumliche Veränderung oder eine Distanz, die es zu überwinden gilt.“

„Eine Reise! Oh ja, Madame! Ich werde in der Tat eine Reise unternehmen. Das ist es, wonach ich gesucht habe. Jetzt ist mir klar, was ich zu tun habe“, beschloss Miss Barlow energisch, als Alethea sie schon durch die Tür aus dem kleinen Salon hinausschob. „Ich werde meinem Herzen gehorchen.“

5. KAPITEL

Rob stand im Ballsaal der Spencers neben dem Kamin und beobachtete, wie Miss Lovejoy mit Seymour eine Quadrille tanzte. In ihrem blassgrünen Kleid, das am Saum und am Mieder mit Rosen bestickt war, sah sie hinreißend aus. Auf dem Kopf wurde ihr Haar von grünen Bändern gehalten und fiel ihr dann in schimmernden Locken bis weit über den Nacken. Hatte sie nicht nur für ihre Schwester, sondern auch für sich selbst Bänder gekauft? Gut angelegtes Geld, wie er fand.

Noch immer war er verwirrt wegen der Heftigkeit, mit der er in der Teestube auf sie reagiert hatte. Als sie die Sahne gekostet und sich dann seufzend über die Lippen geleckt hatte, war sie einfach unwiderstehlich gewesen. Er fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn Alethea Lovejoy seinetwegen so seufzen würde. Es hatte ihn ein so heftiges körperliches Verlangen gepackt, dass er befürchtete, wie ein wildes Tier über sie herzufallen. Wie es schien, war er inzwischen tatsächlich aufs Äußerste angespannt.

„Lord Glenross?“

Er wandte sich um und erblickte Mrs. Forbush. Sie trug ein silbergraues Kleid mit lavendelfarbenen Borten, das ihre schlanke Eleganz äußerst vorteilhaft zur Geltung brachte. „Wie geht es Ihnen heute Abend, Mrs. Forbush?“

„Recht gut, danke. Ich sah Sie hier stehen und ich dachte, ich nutze die Gelegenheit, Sie für nächsten Freitag in meinen Salon einzuladen.“

Eine Einladung zu Mrs. Forbushs begehrtem und exklusivem „Freitagssalon“ war ein unerwartetes Kompliment, aber … „Weihnachten?“

„Während der Feiertage sind einige meiner Freunde allein in London. Ich dachte, wir könnten unsere eigene kleine Familie bilden. Wenn Sie nach der Kirche vorbeikommen, werden wir ein schönes Fest haben. Ihr Bruder ist ebenfalls willkommen.“

„Douglas hat eine Einladung von der Familie seiner Verlobten angenommen“, erklärte Rob. Er hoffte, dass er bei Mrs. Forbush Gleichgesinnte treffen würde – eine Versammlung von Streunern, Waisen und Herumtreibern. Und Alethea Lovejoy. „Ich allerdings werde mit Vergnügen zusagen“, erwiderte er und bemerkte, wie Miss Lovejoy vor Seymour knickste.

Mrs. Forbush folgte seinem Blick. „Sir Martin habe ich ebenfalls eingeladen. Glauben Sie, er ist an meiner Nichte interessiert?“

„Dianthe?“

„Miss Alethea“, sagte sie.

Rob verspürte einen Anflug von Ärger. „Würde sein Interesse erwidert werden?“

Mrs. Forbush lächelte. „Alethea ist ein Paradoxon, Lord Glenross. Sie ist außergewöhnlich intelligent, und sie kann äußerst erfahren wirken, doch sie ist noch sehr unschuldig. Zurzeit konzentriert sie sich auf Familienangelegenheiten und registriert das Interesse gar nicht, das ihr entgegengebracht wird. Ich bin mir auch nicht sicher, wie aufgeschlossen sie solchen Dingen gegenüber ist. Ich hoffe nur, sie bewegt sich nicht in die verkehrte Richtung.“

„Verkehrt?“ Als er die Anspielung verstand, wandte er den Blick von der Tanzfläche ab und sah in Mrs. Forbushs dunkelbraune Augen. „Halten Sie Seymour für die falsche Wahl? Oder mich?“

Wieder lächelte sie, ein rätselhafter Ausdruck, dem eine besondere Bedeutung innezuwohnen schien. „Du lieber Himmel! Ich würde niemals sagen, dass Sir Martin eine falsche Wahl wäre. Ich befürchte nur, vielleicht – vielleicht ist er nicht die richtige Wahl für Alethea.“

Rob runzelte die Stirn. Mrs. Forbush wollte doch wohl keine Ehe stiften? „Was – wer – wäre dann richtig?“, fragte er.

„Jemand, der stark genug wäre, um sie zu beschützen. Jemand, der den entsprechenden Charakter besitzt, um sie wertschätzen zu können. Jemand, dem die Fähigkeit zu tiefer, reiner Liebe innewohnt. Ein Ehrenmann.“

„Dann können sie nicht mich meinen“, murmelte er mit einem Anflug von Enttäuschung. Dabei war es ja nicht gerade so, dass er heiraten wollte.

Grace lachte. „Worin haben Sie sich disqualifiziert, Lord Glenross?“

„So leid es mir tut, das zugeben zu müssen, aber ich vermute in allem.“ Und sollte ich in Bezug auf Ihre Nichte irgendwelche Absichten verfolgen, Mrs. Forbush, so sind sie definitiv nicht ehrenhaft.

„Ich gestehe, ich habe Sie falsch eingeschätzt. Ich dachte, Ihr Interesse an meiner Nichte wäre nicht nur oberflächlich. Was also rechtfertigt dann Ihr Verhalten Alethea gegenüber, Mylord?“

Er sah, wie Seymour Aletheas Hand nahm und sie auf seinen Arm legte. Der grüne Stoff spannte sich dabei über ihrer Taille, und die zarte Haut ihres Dekolletés harmonierte auf sehr reizvolle Weise mit den gestickten Rosen auf dem Mieder ihres Kleides. Oh, welch Himmelreich schützen diese Rosen? Er räusperte sich. „Kann man nicht einfach die Szene genießen?“

„Selbstverständlich. Solange man sich nicht an dem verschlossenen Tor stört, das einen von der Szene trennt.“

„Verschlossenes Tor?“

„Diese eine Szene wird einem anderen gehören, und unerlaubte Eindringlinge werden erschossen.“

Mrs. Forbushs Lächeln irritierte ihn. Wollte sie ihn warnen?

„Aber das alles eilt nicht, Mylord.“ Mit einer gelangweilten Bewegung schlug sie ihren Fächer auf. „Ich gehe davon aus, Sie werden noch einige Stunden, vielleicht sogar ein oder zwei Tage Zeit haben, darüber nachzudenken.“

Stunden? Stand Seymours Antrag so unmittelbar bevor? Wie seltsam, dass der Gedanke, Alethea könnte jemand anders gehören, ihm so viel Unbehagen bereitete.

„Mm“, erwiderte er, als der Tanz endete, und Seymor Miss Lovejoy zu ihrer Tante zurückgeleitete. „Da bin ich aber froh, dass mir noch Stunden bleiben, über meine Zukunft zu entscheiden.“

Mrs. Forbush lachte, ein warmes, angenehmes und ganz unbesorgtes Lachen, als wüsste sie bereits, wie er sich entscheiden würde.

„Da steht McHugh bei Ihrer Tante“, sagte Sir Martin. „Und er sieht sehr abweisend und streng aus.“

Alethea lächelte. „Streng und abweisend auszusehen ist ganz normal für Lord Glenross“, bemerkte sie.

„Glauben Sie, er wirbt um sie? Sie ist ganz reizend, nicht wahr?“ Er musterte Alethea forschend, als wollte er abschätzen, was sie auf seine Bemerkung wohl erwidern würde.

Erstaunt über diesen Gedanken, betrachtete Alethea Glenross und ihre Tante. Sie hatte immer geglaubt, dass sie einander freundschaftlich zugeneigt wären, aber keine romantischen Absichten verfolgten. Aber ja, Grace Forbush war reizend. Das bestätigte die Anzahl jener Männer, die ihr Blumen schickten, sie besuchten und um Einladungen zu ihren Freitagsalons stritten. Aber McHugh? Sie konnte sich die beiden nicht als Paar vorstellen – Grace mit ihrer kühlen Eleganz und McHugh mit seiner ungeschliffenen Männlichkeit. Das passte nicht zusammen.

Sie wiederholte Sir Martins Worte. „Umwerben? Glauben Sie, Glenross weiß, wie man das macht?“

„Vielleicht nicht“, stimmte Sir Martin zu. „Maeve wurde ihm geschenkt, wie ein Päckchen mit einer Schleife. Die Familien verlobten die beiden miteinander, als sie noch in der Wiege lagen. Er musste sie weder umwerben noch für sich gewinnen. Sie gehörte ihm schon immer.“

Sie gehörte ihm. Alethea seufzte und versuchte, sich auszumalen, wie das sein mochte: ihm gehören. Sie hatten einander also seit der Kinderzeit geliebt? Was war das für eine Frau, die über den Tod hinaus von einem Mann wie McHugh noch immer geliebt wurde? Ein Anflug von Eifersucht durchfuhr sie. „Kannten Sie sie? Glenross’ Ehefrau?“

„Ja. Wir sind zusammen aufgewachsen, eine unbändige Dreierbande, wenn es je eine gegeben hat. Haben eine Katastrophe nach der nächsten angerichtet, bis wir älter waren.“

Das Bild von drei barfüßigen Kindern, die die schottische Landschaft unsicher machten, erschien Alethea bezaubernd. „Wirklich?“

„Ja. McHugh war unser Anführer. Er kannte jedes Versteck und jede Geheimtür im ganzen Land, und er konnte jedes Schloss aufbrechen.“

Über die Entfernung hinweg begegnete Alethea McHughs Blick. Ein herausforderndes Lächeln umspielte seine Lippen, und Erregung erfüllte sie. „Er war ein Schlingel?“

„Ein Racker.“ Sir Martin schmunzelte.

Sie lachte. Sie hatte geahnt, dass McHugh sich nicht von Regeln daran hindern lassen würde, ein Ziel zu erreichen.

Sir Martin verlangsamte seinen Schritt und beugte sich zu ihrem Ohr. „Wenn es also nicht Ihre Tante ist, Miss Lovejoy, was glauben Sie, auf wen McHugh ein Auge geworfen hat? Ihre Schwester?“

Alethea zuckte die Achseln. „Früher am Abend habe ich ihm einen Walzer versprochen. Vielleicht wartet er auf die Einlösung dieses Versprechens.“

„Es wäre besser, er wäre an Ihrer Tante interessiert. Da sie verwitwet ist, kann sie eine diskrete Verbindung eingehen. Sehen Sie, ich weiß genau, dass er nicht beabsichtigt, noch einmal zu heiraten. Maeve hat ihn für alle anderen verdorben.“

Das überraschte Alethea nicht. So etwas hatte sie erwartet. „Ich werde meine Schwester warnen“, murmelte sie.

„Und Sie, Miss Lovejoy?“

„Ich?“

„Haben Sie in dieser Richtung Hoffnungen gehegt?“

Seine Worte erschreckten Alethea. Zum einen, weil Sir Martin es überhaupt wagte, etwas derart Persönliches von ihr wissen zu wollen, zum anderen, weil sie nie darüber nachgedacht hatte. Oh, in Gedanken war sie häufig bei McHugh gewesen. Sie hatte sich gefragt, wie es wohl sein mochte, ihn zu küssen, und ob seine Hände, mit denen er ihr so sanft die Kapuze aufgesetzt und eine Träne abgewischt hatte, auch zu einer zärtlichen Umarmung fähig wären. Sie fühlte, wie sie errötete.

Aber zu hoffen, dass er um ihre Hand anhielt? Absurd. Abgesehen von dem Umstand, dass er noch immer seine verstorbene Frau liebte, war er zu – heftig. Er war von einer undurchdringlichen Dunkelheit umgeben, und er schien das zu genießen.

„Miss Lovejoy?“, wiederholte Sir Martin.

Energisch schüttelte Alethea den Kopf. „Hoffnungen, Sir Martin? Nein. So dumm bin ich nicht.“

Rob fragte sich, was zum Teufel Seymour gesagt hatte, um Miss Lovejoy so zum Erröten zu bringen. Er musste sehr um Selbstbeherrschung ringen, während er darauf wartete, dass sein Freund sie zu ihrer Tante zurückbrachte. Geduld war nicht gerade Robs starke Seite. Und Teilen wohl auch nicht.

Er holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen. Was war nur in ihn gefahren? Er hätte besser den Walzer einfordern sollen, den sie ihm am Nachmittag versprochen hatte, um dann zu gehen. Miss Lovejoy war nicht für ihn bestimmt. Zu süß. Zu unschuldig. Zu verführerisch.

„Ah, Lord Glenross.“ Miss Lovejoy bot ihm ihre Hand in dem Moment, da Seymour sie losließ. „Sind Sie gekommen, um die Schuld einzutreiben?“

„Welche Schuld?“, fragte Seymour mit zusammengekniffenen Augen.

„Seine Lordschaft hat mich heute vor dem schlechten Wetter gerettet“, antwortete Miss Lovejoy an Robs Stelle. „Wir haben das Ende eines Schneeschauers in Twickfords Teestube abgewartet, bis die Pflicht Seine Lordschaft abrief. Er war so freundlich, für mich Tee zu ordern und mir Zeit zu lassen, mich aufzuwärmen.“

Bei Seymours überraschter Miene fühlte Rob sich ein wenig schadenfroh. „Vorsicht, Miss Lovejoy. Wenn Sie so etwas sagen, könnten Sie meinen Ruf ruinieren. Sie könnten die Leute dazu bringen, mich für einen Gentleman zu halten.“

Sie lachte. „In Zukunft werde ich vorsichtiger sein.“

Die ersten Takte des nächsten Tanzes erklangen. „Wie das Schicksal so spielt, bin ich tatsächlich hier, um einzufordern, was mir zusteht. Einen Walzer, nicht wahr?“ Ohne weitere Umschweife führte Rob seine Partnerin auf die Tanzfläche und zog sie in seine Arme.

„Ich muss zugeben, ich bin etwas überrascht“, begann Miss Lovejoy. „Als Sie heute Nachmittag so plötzlich aufbrachen, fürchtete ich, Sie durch irgendetwas verärgert zu haben.“

Er lächelte ein wenig schief. Er konnte ihr schlecht offenbaren, dass er in Versuchung geraten war, sie zwischen Konfitüre und Kuchen auf den Tisch zu legen und zu vernaschen. Oder dass er sich vorgestellt hatte, derjenige zu sein, der ihr die Sahne von den Lippen leckte, als sie ‚himmlisch!‘ geseufzt hatte. Zumindest in dieser Hinsicht musste er Maeve zustimmen. Er war wie ein Tier.

„Im Gegenteil, Miss Lovejoy. Mir hat nichts missfallen. Ich hatte nur – äh – etwas Dringendes zu erledigen.“

Sein Blick fiel auf die Rosen an ihrem Ausschnitt. Zum Glück bemerkte Miss Lovejoy nichts davon, denn das Gemurmel vom Rande der Tanzfläche war plötzlich lauter geworden. „Ich frage mich, was da los ist“, sagte sie.

Ethan Travis, ein Bekannter von Rob, drehte sich zu ihnen um. Mit einer Kopfbewegung winkte er sie zur Seite. Rob geleitete seine Partnerin von der Tanzfläche.

„McHugh, hast du schon gehört? James Livingston wurde in einer Straße hinter dem Pultney Hotel tot aufgefunden. Ist das nicht das, in dem du wohnst?“, fragte Travis.

„Jamie Livingston?“ Rob wurde ganz still. Sogenannte schockierende Nachrichten berührten ihn selten, aber diese war ungewöhnlich. Erst heute war er Livingston zufällig begegnet, nachdem er Twickfords verlassen hatte. Es war kein Geheimnis, dass er mit Livingston nicht auf allerbestem Fuße stand. Rob hatte ihn vor Jahren dabei erwischt, wie er Maeve in einen dunklen Garten zog, aber so ein Schicksal hatte er diesem Mann ganz und gar nicht gewünscht. „Hat man den Mörder gefasst?“

„Nein. Er war schon Stunden tot, ehe er gefunden wurde. Der Bastard hat ihn erstochen, Rob.“

Neben ihm holte jemand tief Luft, und das erinnerte ihn an die Anwesenheit von Miss Lovejoy. Er sah in ihr bleiches, entsetztes Gesicht. „Alles in Ordnung, Miss Lovejoy?“

„Ja.“ Mit großen Augen nickte sie. „Bitte machen Sie sich keine Sorgen um mich.“

Ein wenig zerstreut lächelte er sie an und wandte sich dann wieder an Ethan. „Gibt es irgendwelche Hinweise?“

„Der Nachtwächter sagte, er hätte einen Knopf oder so etwas in der Hand gehalten. Mit einem Raben darauf. Jamie muss nach seinem Angreifer gefasst haben, als er zu Boden sank.“

Ein Knopf? Eine dunkle Ahnung überkam Rob, aber er konnte nicht genauer benennen, an was ihn diese Mitteilung erinnerte.

„Wie – wie schrecklich für Sie, auf diese Weise einen Freund zu verlieren“, stieß Miss Lovejoy hervor.

Sie wirkte so verstört, dass Rob das Bedürfnis hatte, sie zu beruhigen. In seiner Sorge vergaß er Travis und führte sie zu einer Gruppe freier Stühle neben der Punschschüssel. Er sorgte dafür, dass sie sich hinsetzte, und reichte ihr dann eine Schale Punsch, der mit etwas Brandy verstärkt war.

Neben ihrem Stuhl kniete er nieder. „Trinken Sie das, Miss Lovejoy. Dann werden Sie sich gleich besser fühlen.“

Sie nahm einen großen Schluck und reichte ihm dann die Schale mit einem traurigen Lächeln zurück. „Danke, McHugh. Wirklich, mir geht es gut. Es ist nur so, dass ich auf fast die gleiche Weise jemanden verloren habe, den ich sehr gern hatte. Es ist schrecklich, nicht wahr?“

„James Livingston und ich, wir standen uns nicht sehr nahe. Ich brauche also Ihr Mitgefühl nicht.“

Sie blinzelte, und ihm wurde klar, dass er schroffer gewesen war, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, zu sprechen und sich dann erst darüber Gedanken zu machen, wie die anderen auf seine Worte reagierten. Eine seiner vielen Schwächen. Er erhob sich und trat zurück.

„Oh“, murmelte sie. „Sie wirkten so betroffen, dass ich glaubte, Sie – nun, es ist dennoch bedauerlich.“

„Das ist es in der Tat“, räumte er ein. Aber nicht aus dem Grund, den Miss Lovejoy vermutete. Er bemerkte, dass wieder Farbe in ihre Wangen zurückkehrte. Er beschloss, jetzt das Fest zu verlassen. „Soll ich Sie zu Ihrer Tante begleiten?“

„Ja, danke. Ich muss sofort mit ihr sprechen.“ Als sie zu ihm aufsah, schimmerten in ihren Augen Tränen. „Ich fürchte, ich stehe noch immer in Ihrer Schuld.“

„Ah, der Tanz.“ Er blickte sie ernst an. „Ich werde ihn anschreiben.“

Alethea wartete, bis Glenross außer Hörweite war, ehe sie ihrer Tante von den Ereignissen berichtete und mit ihrer neuesten Sorge schloss. „Ehe ich von Mr. Livingston hörte, kam mir nie der Gedanke, dass der Mord an Tante Henrietta zufällig geschehen sein könnte. Mr. Livingston hat nichts mit Tante Henrietta gemein, doch er wurde auf dieselbe Weise getötet wie sie, und es blieb ebenfalls ein Gegenstand mit einem Raben darauf zurück. Vielleicht war ihr Mörder keiner ihrer Klienten, sondern ein gewöhnlicher Einbrecher oder Dieb, der von ihrer Anwesenheit überrascht wurde.“

Grace runzelte sie Stirn. „Wegen der wertvollen Rabennadel und der Tatsache, dass sie in ihrem Salon gefunden wurde und nicht in ihrer kleinen Wohnung, nahmen wir an, dass es einer ihrer Klienten gewesen sein musste.“ Grace sah sie an. „Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, Alethea, vor allem nach diesem neuen Mord. Dennoch halte ich es für weitaus wahrscheinlicher, dass Henriettas Mörder sie kannte. Ich werde gleich morgen früh Mr. Renquist von der Entwicklung der Dinge in Kenntnis setzen.“

„Aber wenn es nur ein zufälliger Mord war …“

„Dann verschwendest du deine Zeit“, vollendete Grace den Satz für sie. „Dann wird er nicht zurückkehren.“

„Aber wenn es eben doch kein Zufall war?“ Alethea erschauerte und bezweifelte aus irgendeinem Grund, dass der Mord an Tante Henrietta willkürlich begangen worden war – ebenso wenig wie der an Mr. Livingston.

„Dann bleiben dir noch genau knapp zwei Wochen, um den Schurken zu finden, ehe die Mittwochsliga den Fall den Behörden übergibt.“

Rob verriegelte die Tür und zündete die Öllampe auf seinem Nachttisch an. Sein Bett war vorbereitet worden, das Feuer in dem Kamin brannte, und ein Fußwärmer wartete auf ihn. Das Pultney war bekannt für seine Eleganz, seinen Service und seine Sicherheit, und genau das brauchte er nach den Monaten in der Hölle. Aber vielleicht war alles ganz anders, als es den Anschein machte.

Er streifte den Rock ab und warf ihn über die Lehne des Schreibtischstuhls. Dann überprüfte er das Fenster, das sich drei Stockwerke über der Straße befand. Verschlossen. Er hatte es gewusst. Genau wie auch seine Tür verschlossen gewesen war. Er warf einen Blick auf die Garderobe in der Ecke, fühlte, wie seine Unruhe zunahm und wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.

Dann schenkte er sich ein Glas von dem Brandy auf seinem Nachttisch ein, leerte es mit zwei Schlucken, schenkte sich noch einmal nach und stellte es auf den Kaminsims, ehe er quer durch den Raum zu seinem Schrank ging. Seine Hand zitterte, als er den Arm ausstreckte, um den Schlüssel umzudrehen.

„Verdammt“, sagte er zu sich selbst, voller Abscheu über seine Reaktion. Er spürte, wie sehr ihn auch nur der Gedanke daran, wieder in einem Gefängnis zu landen, bedrückte.

Er nahm den Griff und machte rasch die Tür weit auf. Sorgfältig überprüfte er seine Jacken und Überröcke. Als er zu jenem Überrock kam, den er am Nachmittag getragen hatte, presste er die Lippen zusammen. Der rechte Ärmel war zerrissen, und es fehlte ein Knopf.

Maeve hatte diese Knöpfe vor Jahren für seine gesamte Garderobe anfertigen lassen. Auf dem Wappen der Familie Glenross waren das schottische Einhorn und der Rabe der Glenross’ abgebildet, und Maeve hatte als Zierde der Knöpfe den Raben gewählt.

Dies war nicht der erste persönliche Gegenstand, der seit seiner Rückkehr verschwunden war. Er vermisste noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die unterschiedlich wertvoll waren. Was, zum Teufel, ging hier vor?

Ein lautstarkes Klopfen an der Tür ließ ihn herumfahren. „Wer ist da?“, rief er.

„Douglas! Mach auf, Rob!“

Er hängte seinen Rock zurück in den Schrank, und als er die Tür entriegelte, schob Douglas sich herein.

„Was ist los, Doogie?“

„Diese Frau, Rob. Bebe benimmt sich außerordentlich merkwürdig.“

„Lass mich das kurz klarstellen.“ Rob nahm eine übertrieben nachdenkliche Haltung ein. „Du willst, dass ich dir die Frauen erkläre?“

„Ja.“ Sein Bruder nickte. „Du warst verheiratet, das ist mehr, als ich von den meisten meiner Freunde behaupten kann. Warum sind Frauen so unberechenbar? Warum ändern sie täglich ihre Meinung? Ich könnte schwören, dass Bebe mich am Montag noch geliebt hat. Am Dienstag bin ich der Feind. Mittwoch verwöhnt sie mich wie einen Dreijährigen. Und am Freitag bin ich der Antichrist.“

Rob räusperte sich. „Nun, ich bin überzeugt, das Ganze ist für die junge Dame in Hinsicht auf ihre Gefühle sehr belastend.“ In Wirklichkeit fürchtete er, das Leben mit Bebe Barlow würde immer voller Dramen sein. Aber es gab noch eine wichtigere Frage. „Wie sehr liebst du sie, Douglas? Genug, um ihre Launen zu ertragen?“

„Ja. Sie bedeutet mir alles“, versicherte sein Bruder. „Alles, was ich will, ist, dass sie glücklich wird, und ich fürchte, da versage ich kläglich.“

Rob klopfte ihm auf den Rücken und ging dann zu seinem Nachttisch, um seinem Bruder einen Drink einzuschenken. „Hier“, schmunzelte er und reichte ihm das Glas. „Das wirst du brauchen.“

„Welchen Rat hast du also für mich?“, fragte Douglas beharrlich.

Rob prostete ihm mit seinem Glas zu. „Kauf mehr Whisky.“

„Das ist also normal? Diese Launenhaftigkeit?“

„Woher soll ich wissen, was normal ist, Doogie?“

„Ja. Du und Maeve, ihr wart von Kindesbeinen an verlobt. Sie hatte viel Zeit, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dich zu heiraten.“ Douglas grinste. „Das ist der Grund, warum ihr beide nie gestritten habt. Zwei Körper, eine Seele.“

Douglas irrte sich. Rob und Maeve hatten nie miteinander gestritten, weil sie sich schlicht und ergreifend nicht genug geliebt hatten.

6. KAPITEL

Donnerstagmorgen saß Alethea bei einer Tasse Tee und las Dianthe einen Brief vor. Es schneite nicht, dafür regnete es ununterbrochen, und die ganze Welt wirkte unbehaglich. Alethea fragte sich, ob ihre düstere Stimmung an dem unwirtlichen Wetter lag oder an den Neuigkeiten.

„Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass ich überhaupt mit einer Einladung bedacht wurde, da unsere gegenwärtige Lage nicht mehr so ist wie einst.“ Das ist eine kolossale Untertreibung, stellte Alethea für sich fest, während sie die Seite umblätterte.

„Die Sheffields sind in der Lage, meinen Stand in der Gesellschaft zu verbessern und anderes mehr, das damit einhergeht, wenn man von einer der führenden Familien anerkannt wird. Daher bin ich überzeugt, dass ihr – du und Dianthe – verstehen werdet, wenn ich Charlies Einladung annehme.“

„Nein, das verstehe ich nicht.“ Dianthe schmollte. „Schreib ihm, Alethea, und sag ihm, die Männer, die er in London und in Tante Graces Salon kennenlernen könnte, würden ihm in der Gesellschaft mehr nützen als jede Verbindung, die er auf dem Lande knüpft. Devonshire, also wirklich!“

Ohne auf Dianthes Bemerkung zu reagieren, las Alethea weiter. „Wenn ich ganz ehrlich sei soll, Binky – auch wenn die Sheffields nicht eine so angesehene Familie wären, so würde ich trotzdem annehmen. Weihnachten auf dem Land ist immer fröhlicher. Ich vermisse Wiltshire, und nun, da Dianthe in London ist, verspüre ich kaum das Bedürfnis, in ein leeres Haus zurückzukehren, und auch die Aussicht, die Wintertage in Tante Graces Salon zu verbringen, ist wenig nach meinem Geschmack.“

Dianthe seufzte verärgert. „Offensichtlich hat er noch nicht gehört, wie populär Tante Graces Freitagssalon ist. Zwei adlige Mitglieder des ton haben sich sogar um eine Einladung geprügelt!“

Alethea nickte gedankenverloren und musste sich eingestehen, dass ihr Bennetts Entscheidung durchaus gelegen kam. Sie hatte sich gesorgt, wie sie sich um ihn und auch um Dianthe kümmern sollte, während die Zeit für ihre Ermittlungen immer knapper wurde. Bennett hätte wissen wollen, wo Tante Henrietta sich aufhielt, und er hätte erst Ruhe gegeben, wenn er darauf eine Antwort erhielt. In dieser Hinsicht war er wie ihr Vater.

„Ist das alles, was er schreibt?“, erkundigte sich Dianthe unwirsch.„Keine lieben Grüße an seine Schwestern? Kein Versprechen, uns ein Zeichen seines Bedauerns zu schicken? Keine Entschuldigung für Tante Grace?“

Alethea räusperte sich und fuhr fort: „Ich bedaure, dir Kummer zu bereiten, Binky, aber könntest du mir vielleicht zehn Pfund Taschengeld schicken? Ich möchte, sollte es notwendig werden, damit nicht an die Sheffields herantreten müssen. Bitte richte Tante Grace und Tante Henrietta mein Bedauern aus. Es tut mir leid, nicht Tante Henriettas neuesten Geschichten über ihre Reisen ins Ausland lauschen zu können, aber ich werde euch Grüße vom Lande schicken.“

Dianthes Miene hellte sich auf, und sie klatschte in die Hände.„Oh, glaubst du, Tante Henrietta kehrt aus Griechenland zurück? Wie schön es wäre, wenn sie für die Feiertage hier sein könnte!“

Alethea wurde ein wenig übel, und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Es gelang ihr nur mit Mühe, sie zu unterdrücken. „Ich – ich würde nicht darauf hoffen, Dianthe. Aber vielleicht können wir als Sternsinger gehen.“

„Es wäre so schön, wenn Tante Henrietta meine Verehrer kennenlernen könnte. Sie vermag Charaktere so gut einzuschätzen, und ich bin mir sicher, sie könnte mich beraten. Zumindest könnte sie mir sagen, wer nicht infrage kommt.“

„Tante Grace ist ebenso erfahren“, meinte Alethea. „Und sie hat den Vorteil, mit den meisten Männern bekannt zu sein, die dich umschwärmen. Ich wünschte, ich könnte dir mehr helfen.“

„Ja, Tante Grace ist ganz erstaunlich, aber Binky, du brauchst selbst einen Ratgeber. Zwischen Sir Martin und Lord Glenross könnte ich mich schwer entscheiden. Ich glaube, ich würde Sir Martin wählen.“

Trotz ihres unbehaglichen Gefühls wegen der bevorstehenden Verabredung mit Glenross am Nachmittag, konnte Alethea ihr Erstaunen nicht verbergen. „Du würdest Sir Martin gegenüber McHugh vorziehen?“

Kichernd schlug Dianthe sich auf die Knie. „Ich wusste es! Du favorisierst Glenross! Deine Reaktion verrät dich. Und tatsächlich, ich würde Sir Martin den Vorzug geben. Glenross ist – nun, ein wenig unzivilisiert. Er ist etwas zu ehrlich, um es in der Gesellschaft weit zu bringen. Und jemand, der so bedeutend ist wie er, wird immer im Interesse der Öffentlichkeit stehen. Wirklich Binky, er ist so – so bestimmend. Und deshalb, glaube ich, passt ihr zusammen.“

Alethea lehnte sich verblüfft zurück. „Ich bin bestimmend?“

„Nein, du Dummerchen. Aber du bist die tapferste Frau, die ich kenne, neben Tante Grace. Ich sehe dich wie den Heiligen Georg mit dem Drachen vor mir.“

Tapfer? Beinahe hätte Alethea gelacht. Vermutlich war es eine tapfere Entscheidung gewesen, Tante Henriettas Mörder zu finden, aber seither zitterte sie jeden Tag. Die Tatsache, dass jeder Klient, der zu ihr in Zoes Salon kam, der Mörder sein könnte, zerrte allmählich an ihren Nerven. Und mit jedem Tag, der verging, hatte sie weniger Zeit, um den Mörder zu finden. Ihr blieben nur noch etwas weniger als zwei Wochen.

Rob McHugh hastete die Stufen hinauf zu Madame Zoes Wohnung im zweiten Stock. Wegen der Umstände von Livingstons Tod und seinem Verdacht, dass jemand versuchte, ihm die Schuld zuzuschieben, wollte er die Angelegenheit mit der Schwindlerin möglichst schnell zu einem Ende bringen. Das war ein kleines Ärgernis, mit dem er ohne Schwierigkeiten fertig werden sollte.

Es stimmte, er hatte noch nicht die Zeit gefunden, alle Fakten zusammenzutragen, die Namen all jener, die von ihr betrogen worden waren und welche Schicksale sich damit verbanden. Aber er hatte genug in der Hand gegen sie, dass sie sich genötigt fühlen musste, ihr Geschäft aufzugeben und die Stadt zu verlassen. Wenn nicht, dann würde er sie vernichten müssen.

Als er die Hand hob, um an Madame Zoes Tür zu klopfen, kam ihm ihre schmale behandschuhte Hand in den Sinn, mit der sie die Tarotkarten ausgeteilt hatte, das heisere Lachen, als sie ihn geneckt hatte, und ihr seltsam vertrauter und erregender Duft. Er vermutete, es würde Spaß machen, sich mit ihr zu messen. Zu schade, dass er andere Pläne verfolgte.

Oder war es nicht schade? Je eher er sie zur Strecke brachte, desto weniger Schaden würde sie noch anrichten können. Er konnte nicht vergessen, dass es ihr Rat gewesen war, der Maeve und Hamish in den Tod geschickt hatte. Es war nicht nur sein Vergnügen, sondern es war seine Pflicht, Madame Zoe daran zu hindern, noch weitere Unschuldige durch ihre verheerenden Ratschläge ins Unglück zu stürzen.

Er klopfte dreimal, bereit, die kleine Schwindlerin auf ihren Platz zu verweisen.

Ein leichter Blumenduft und sieben brennende Kerzen verliehen dem Salon eine besondere Atmosphäre, warm und irgendwie einladend, wie Alethea im Dämmerschein des späten Nachmittags hoffte. Als sie beiseite trat, um McHugh hereinzulassen, bemerkte sie seinen gehetzten Blick, mit dem er sich im Raum umsah, und sie fragte sich, woher diese Anspannung rührte.

Er ging an ihr vorbei und streifte ihre Schulter. Lag darin etwas leicht Bedrohliches, oder bildete sie sich das nur ein? Sie schloss die Tür und schob den Riegel vor. Als sie sich umdrehte, saß McHugh bereits am Tisch und mischte die Karten.

Bonsoir, Monsieur“, murmelte sie.

„Guten Abend, Madame“, erwiderte er.

„Sie wollen direkt zur Sache kommen, ja?“ Sie war enttäuscht. Sie hatte sich darauf gefreut, ihn zu treffen, mit ihm zu reden, ohne auf die Konventionen des ton Rücksicht nehmen zu müssen. Vielleicht aber war es auch nicht so wichtig. Da sie dieselben Bekannten hatten, würden sie einander immer wieder begegnen, und sie konnte nicht riskieren, dass er eine Verbindung zwischen ihr und Madame Zoe herstellte. Jede Vertraulichkeit vergrößerte das Risiko für sie, enttarnt zu werden. Dies war das letzte Mal, dass sie ihm eine Audienz gewährte.

„Das tue ich in der Tat.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Stuhl seinem gegenüber. „Ich bin bereit für jede Art von Vorhersage, die Sie für mich haben.“

Alethea ließ sich auf den Stuhl sinken. An diesem Abend war etwas anders an McHugh. Etwas noch Herausfordernderes als vorher. Seine eisgrauen Augen wirkten misstrauisch. Alles an ihm riet ihr zur Vorsicht.

Sie entschied sich für die Variante mit den zehn Karten, das Tarotmuster, das am beliebtesten war. McHugh musste glauben, dass er diesmal alles für sein Geld bekommen hatte. Er sollte keinen Grund haben, sie noch einmal aufzusuchen.

Sie drehte die ersten fünf Karten herum und hielt vor Überraschung die Luft an. Die Königin der Kelche und der Schwertkönig lagen vor ihr. Und die anderen Karten bedeuteten Gefahr in Form von Teufel und Mond. Die letzte Vorhersage wiederholte sich, aber durch das Auftauchen des Teufels war die Gefahr konkreter geworden – der Tod. Und der Mond wies auf Verrat und einen falschen Freund hin. Livingston?

„Noch einmal, M’sieur, ich – ich denke, Sie befinden sich in großer Gefahr. Ich bin nicht sicher, aber alles deutet darauf hin …“

McHugh lächelte etwas schief. „Ah, das ist gut, Madame. Könnten Sie sich noch ein bisschen unklarer ausdrücken?“

Alethea blickte auf in sein markantes Gesicht. Zum Glück verbargen die Schleier, dass sie errötete. „M’sieur?“

„Sagen Sie so die Zukunft voraus, Madame? ‚Ich glaube?‘ ‚Ich bin nicht ganz sicher?‘ ‚Alles deutet darauf hin?‘ Sie lassen sich sehr viel Spielraum. Für meinen Geschmack sind Ihre Botschaften ein wenig zu vage.“

M’sieur, nichts ist sicher. Die Wahl liegt stets bei uns. Wenn man keinen Einfluss auf die eigene Zukunft hätte, wäre es überflüssig, so jemand wie mich zu konsultieren. Alles wäre vorherbestimmt und unveränderlich. Nur weil man Entscheidungen zu treffen hat, ist es sinnvoll, die Zukunft zu kennen.“

„Es ist interessant, dass Sie nicht an Schicksal glauben“, meinte er und flüsterte mit harter Stimme: „Übernehmen Sie dann auch die Verantwortung für die Entscheidungen, die Ihre Klienten aufgrund Ihrer Vorhersagen treffen?“

Ein Schauer überlief Alethea. Sie beschlich das unbehagliche Gefühl, dass er ihr nicht wohl gesonnen war. Er wollte auf irgendetwas hinaus – aber worauf? „Ich übernehme Verantwortung für das, was die Karten sagen, M’sieur, aber nicht für die Entscheidungen anderer.“

„Entscheidungen, die auf dem beruhen, was Ihre Karten voraussagten“, stieß er hervor.

Sie legte die Tarotkarten zurück auf den Tisch und faltete die Hände im Schoß. „Wollen Sie mir irgendetwas vorwerfen, M’sieur?“, fragte sie.

McHugh lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.“

„Anfangen? Wollen Sie mir vorwerfen, dass ich bei unserem letzten Treffen die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, nicht genauer erklären konnte?“

An seiner Wange zuckte ein Muskel, und Alethea erkannte das ganze Ausmaß seines Zorns. Sie schluckte schwer und versuchte, sich an alle Einzelheiten seines ersten Besuchs bei ihr zu erinnern. „Ich – ich warnte Sie vor Gefahr, M’sieur, aber ich vermochte nicht festzustellen, ob sie Ihnen drohte oder von Ihnen ausging. Inwiefern hat Ihnen das geschadet?“

Er beugte sich vor und schob die Tarotkarten wieder zusammen. „Gestatten Sie mir, Ihnen Ihre Zukunft vorauszusagen, Madame. Ich wette, ich kann das ebenso gut wie Sie. Vielleicht sogar besser, da ich weiß, was Ihnen bevorsteht.“

Alethea neigte den Kopf über die Karten und realisierte, dass sie ihm gerade in die Falle getappt war. Es gab keine Möglichkeit gab, ihm zu entkommen. Es gelang ihr kaum, ruhig zu atmen. „Ich bitte Sie, M’sieur.“

Umständlich mischte McHugh das Deck. Er legte die Karten mit dem Bild nach oben auf den Tisch und breitete sie zum Fächer aus. Dann zog er die Königin der Kelche hervor und warf sie Alethea zu. „Sie, wie ich annehme?“

Sie nickte. „Oui.“

„Ich?“, fragte er und zog den König der Schwerter heraus.

Oui“, wiederholte sie.

Er runzelte die Stirn, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern. Gleich darauf hielt er die Königin der Stäbe in den Händen. „Der Grund für mein gebrochenes Herz, wie ich vermute?“ Er ahmte ihren Akzent nach.

Ça va“, erwiderte sie, und ihr wurde kalt.

Er deckte die Neun der Münzen auf, zeigte darauf und blickte Alethea kühl an. „Gefahr.“

Wieder nickte sie.

„Ich sehe einen Zusammenhang zwischen diesen Karten. Obwohl sie Fremde darstellen, sind sie eng miteinander verbunden“, sagte er. „Die Königin der Kelche hat dem König der Schwerter vorgeworfen, ein Zerstörer zu sein, doch sie ist diejenige, die etwas zerstört hat.“ Er nahm die Neun der Münzen heraus und legte sie auf die Königin der Kelche.

Alethea blieb stumm. Sie ahnte, er würde sich Zeit lassen, ehe er ihr offenbaren würde, worauf er eigentlich hinauswollte. Der Zorn in seinen noch immer eiskalten Augen verursachte ihr eine Gänsehaut, doch sie wusste nicht, was sie getan hatte, um ihn derart zu verärgern.

Er griff nach noch einer Karte, eine Frau mit der Waage der Gerechtigkeit. „Justitia, Madame. Es hat einen Fehler gegeben, der gerächt werden muss.“

Nein! Lieber Gott, nicht McHugh! Er kann nicht Tante Henriettas Mörder gewesen sein! Aber was soll dieses ganze Gerede über Rache und Gerechtigkeit? Und warum bringt er sich damit in Verbindung? Aletheas Gedanken überschlugen sich. „M-m’sieur, ich verstehe nicht.“

„Ja, bei mir hat es auch eine Weile gedauert. Aber ich hatte Zeit, darüber nachzudenken. Unermesslich viel Zeit. Ungezählte Stunden in einer einsamen Zelle.“

Sie schluckte schwer und erhob sich, obwohl ihre Knie zitterten. „Was habe ich falsch gemacht?“

„Sie habenden Lauf meines Lebens verändert. “Wieder ahmte er ihren Akzent nach. „Und nicht zum Besseren.“

Je n’ais …“

„Genug, Madame. All ihr Leugnen wird mich nicht überzeugen.“

Aletheas Herz schlug so heftig, dass sie sicher war, er müsse es hören können. Sie wich mehrere Schritte zurück in dem verzweifelten Versuch, Abstand zwischen sich und McHugh zu bringen, der jetzt ebenfalls aufgestanden war. „Ich – ich …“

„Sie.“ McHugh nickte. „Ja, Sie waren es.“

„Was? Was habe ich getan?“

„Sagt Ihnen der Name Maeve McHugh irgendetwas?“

Sie durchforstete ihr Gedächtnis auf der Suche nach einer Verbindung. Wie konnte Alethea für das Schicksal dieser Frau verantwortlich sein? Die Frau hatte England vor drei Jahren verlassen, und seit mindestens zwei Jahren war sie tot, obwohl McHugh erst kürzlich davon erfahren hatte. Aber während dieser ganzen Zeit war Alethea in Wiltshire gewesen.

McHugh kam auf sie zu, die Zähne zusammengebissen. Er umfasste ihre Oberarme und murmelte: „Maeve, verdammt. Maeve McHugh. Lady Glenross. Meine Frau.“

Er packte fester zu, schnürte ihr das Blut ab, sodass ihre Fingerspitzen kribbelten. Fieberhaft versuchte Alethea, einen klaren Gedanken zu fassen. Tante Henrietta! Sie hatte zu dieser Zeit in London die Zukunft vorhergesagt. „Bitte, erklären Sie es mir, M’sieur.“

Seine Stimme wurde tief und dunkel, so bedrohlich wie das Knurren eines Wolfs. „Sie rieten ihr zu einer Reise. Sie sagten ihr, es sei dringend, und sie müsste dem Mann entfliehen, den sie liebte. Sie sagten, er wäre ein Zerstörer, und das Schicksal wartete auf sie.“

Alethea versuchte zurückzuweichen, aber McHugh folgte ihr. Er baute sich direkt vor ihr auf, und seine Größe allein wirkte schon einschüchternd. Sie erinnerte sich, gehört zu haben, dass sich McHughs Frau und sein Sohn auf einem Schiff befunden hatten, das vor einigen Jahren von Barbaren gekapert worden war, und dass sie an Typhus oder Dysenterie gestorben waren. Und Tante Henrietta musste ihr die Zukunft vorausgesagt haben. Musste ihr geraten haben, diese unglückselige Reise zu unternehmen.

Himmel! McHugh wollte Wiedergutmachung! Wollte er sie töten? Hatte er geglaubt, Tante Henrietta getötet zu haben, war dann überrascht gewesen zu erfahren, dass sie noch am Leben war, und war jetzt wiedergekommen, um seine Rache zu vollenden? Nach einem weiteren Schritt zurück stieß Alethea gegen eine Wand. Sie blickte zu dem Glockenstrang auf der anderen Seite des Zimmers.

„Nun?“, fragte McHugh, und sein Mund war ganz nahe an ihrem Ohr. Falls es seine Absicht war, sie zu verängstigen, so gelang ihm das. „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?“

Was sollte sie darauf erwidern? „Ich – ich erinnere mich nicht an sie“, stieß sie hervor.

„Gütiger Himmel, Madame! Ruinieren Sie so viele Leben, dass sie sich die einzelnen nicht einmal merken können? Maeve und Hamish sind tot, und Sie erinnern sich nicht einmal an ihre Namen?“

Er trat näher, und Alethea spürte die Wärme seines Körpers durch ihre Kleider hindurch, roch sein Rasierwasser, fühlte seine Wut. Was konnte sie tun, um seinen Schmerz zu lindern? Wie ihn beschwichtigen?

„Ich – es tut mir leid. Hätte ich gewusst, dass …“

„Genau“, rief er und packte sie wieder an den Armen. „Ist das nicht Ihr Beruf? Zu wissen? Aber genau das ist ja der springende Punkt. Sie sind eine Schwindlerin. Eine gewissenlose Betrügerin, die mit dem Leben anderer spielt, und Sie entsinnen sich nicht einmal der Namen derjenigen, deren Leben sie zerstörten.“

Er ließ sie los, hob seine Hand, und Alethea zuckte zusammen aus Furcht vor dem, was er ihr mit einem einzigen Schlag zufügen könnte. Als er sich aber stattdessen mit den Händen durch das dunkle Haar fuhr, seufzte sie erleichtert. „Mylord, lassen Sie mich bitte erklären …“

„Nein, Madame. Lassen Sie mich erklären.“ Während er sprach, kehrte er zurück zum Tisch, schob die Karten zu einem Stapel zusammen und legte sie vor sich hin. Dann begann er, die Karten aufzudecken, ohne hinzuschauen, langsam, methodisch, ohne den Blick von Alethea zu wenden. „Für die Königin der Kelche geht vom König der Schwerter Gefahr aus. Er mag sie nicht. Er hält sie für einen verräterischen Scharlatan. Ich sehe eine Wende des Schicksals. Ich sehe Ärger, der bevorsteht, Madame, und Unglück. Ich sehe jemanden, der nur darauf wartet, dass Sie Ihren nächsten Fehler machen. Und wenn Sie das tun, wird er bereit sein. Sie werden als die Schwindlerin enttarnt, die Sie sind. Wenn das Schicksal mit Ihnen fertig ist, wird nicht einmal ein Verrückter Sie dafür bezahlen, ihm die Zukunft zu lesen. Sie leben mit geborgter Zeit, Madame. Und wenn Sie jemals wieder irgendwen in sein Unglück stürzen, dann werde ich das nicht ungesühnt lassen.“

Er trat zur Tür und öffnete sie. „Oh“, sagte er, ohne sich umzudrehen, „und vergessen Sie nicht, stets hinter sich zu blicken. Wann immer Sie sich in Sicherheit wähnen, wann immer Sie glauben, ich hätte Sie vergessen – dann wird das Beil fallen.“

7. KAPITEL

Alethea erstattete der Mittwochsliga in Graces privatem Salon Bericht, während sie darauf warteten, dass die Kutsche der Forbushs vorfuhr, um sie zu den Woodlakes zu bringen. Über das letzte Treffen mit Lord Glenross erzählte sie allerdings nicht die ganze Wahrheit. Wenn die anderen wüssten, was sich tatsächlich zugetragen hatte, würden sie Alethea vermutlich nicht erlauben, ihre Ermittlungen in Tante Henriettas Salon fortzusetzen.

„Und als ich die Karten herumdrehte, waren sie genauso wie beim ersten Mal. Gefahr, Verrat und – und Tod. Nie habe ich ein stärkeres Bild gesehen. Als ich ihn warnte, wurde er – nun ja, wurde er sehr zornig und gab mir den Rat, nicht mehr die Zukunft vorauszusagen.“

Grace presste die Hände im Schoß zusammen, sodass ihre Fingerknöchel sich weiß vor dem schwarzen Samt ihres eleganten Abendkleides abhoben. „Alethea, ich bin sprachlos. Hat er dir etwas getan?“

„Natürlich nicht“, versicherte sie rasch. „Er ist ein Gentleman. Und diesmal konnte ich erkennen, dass die Gefahr nicht von ihm ausgeht, sondern ihm droht.“ Aber da war noch mehr. „Tante Grace, wie viel hat dir Tante Henrietta über ihre Klienten anvertraut?“

„In Bezug auf ihr Geschäft war Henrietta sehr verschwiegen. Ihr war Diskretion sehr wichtig. Sie sprach stets sehr allgemein und nannte nur selten Namen.“

„Hat sie jemals Maeve McHugh erwähnt?“

In einer schützenden Geste legte Lady Sarah die zarte Hand an ihre Kehle. „Maeve? Gütiger Himmel! Hat Glenross deshalb Madame Zoe aufgesucht?“

Alethea nickte. „Ich weiß nicht, was Tante Henrietta gesagt hat, aber ich glaube, McHugh macht sie verantwortlich für den Tod seiner Frau und seines Sohnes.“

Lady Annicas Miene drückte Besorgnis aus. „Wenn er Madame Zoe für schuldig hält, könnte er dann derjenige sein – könnte es sein, dass Glenross der Mörder ist?“

„Um Himmels willen!“, rief Alethea. Dennoch überlief sie ein Schauer. Tatsächlich war McHugh am ehesten verdächtig, seit sie mit ihren Nachforschungen begonnen hatte. Und sie war nicht so unbedarft, dass ihr das Dunkle an seinem Charakter nicht aufgefallen wäre. Tatsächlich vermutete sie, dass diese Dunkelheit sehr tief reichte. Sie war überzeugt, dass der Mann, der sie beim Walzertanz mit so viel Sanftmut und Eleganz geführt und der sie fürsorglich aus einem Schneegestöber gerettet hatte, gleichzeitig so gefährlich war wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

„Wie dem auch sei, Alethea. Ich meine, wir sollten uns vor Glenross in Acht nehmen“, sagte ihre Tante.

Alethea nickte und erhob sich von ihrem Stuhl, um den Gang entlangzublicken und sich zu vergewissern, dass Dianthe noch nicht zu ihnen heruntergekommen war. „Ich vermute, er wird heute Abend den Tanz einfordern, den ich ihm noch schulde. Ich will sichergehen, dass er zwischen mir und Madame Zoe keinen Zusammenhang entdeckt hat. Andernfalls werde ich gewiss etwas finden, das ihn beruhigt.“

Charity Wardlow schlang sich den Paisleyschal fester um den Leib, stand auf und trat zum vorderen Fenster, um nach der Kutsche Ausschau zu halten. „Falls du Hilfe brauchst, Alethea, so stehe ich dir jederzeit zur Verfügung.“

Grace drückte ihre Nichte an sich. „Ich habe Glenross zu unserer Weihnachtsfeier eingeladen, gemeinsam mit einigen anderen. Und ich habe mich als Ehestifterin versucht. Ich hätte es besser wissen sollen. Natürlich werde ich das Fest absagen, indem ich vorgebe, krank geworden zu sein.“

Alethea fühlte ein seltsames Kribbeln im Bauch. Eine Ehe stiften? Für sie und Glenross? Aber Glenross würde niemals eine längere Beziehung mit einer neuen Frau suchen. Er liebte noch immer seine verstorbene Ehefrau – davon zeugte auch sein Wunsch nach Rache. Jeder Frau, die dumm genug war, McHugh zu lieben, würde das Herz gebrochen werden.

„Bitte sag nicht ab, Tante Grace. Dianthe freut sich so darauf, und ich kann es ohnehin nicht vermeiden, Glenross auf all den Partys und Veranstaltungen zu begegnen. Wenn er mir heute Abend nicht signalisiert, dass er meine Verkleidung durchschaut hat und ich ihn nicht noch einmal als Madame Zoe treffen muss, werde ich einigermaßen sicher sein.“

„Ich befürchte, Alethea, dass es besser wäre, wenn du überhaupt aufhören würdest, die Zukunft vorherzusagen“, riet ihr Lady Annica. „Wir waren mit diesem Plan nie ganz glücklich, und wenn du schon von einem normalen Klienten bedroht wirst, weil er einfach wütend auf dich ist, dann erschauere ich bei der Vorstellung, was der echte Schurke anrichten kann.“

Alethea aber war noch nicht bereit, ihre Ermittlungen zu beenden. „Die Mittwochsliga war einverstanden, mir Zeit bis Neujahr zu geben, den Mörder zu finden. Das sind noch elf Tage. Und ich werde jeden einzelnen davon nutzen.“

Beschwichtigend hob Grace die Hände. „Versprich, dass du Bescheid sagen wirst, wenn sich irgendetwas in seinem Verhalten dir gegenüber ändert.“

„Ich verspreche es“, gelobte Alethea.

Die kristallenen Lüster, das wunderbare Orchester, die Diener, die sich mit Tabletts voll Rumpunsch durch die strahlende Menge bewegten – das alles verlor an Bedeutung. Es kann nicht wahr sein!

„Sind Sie ganz sicher, Lady Sarah?“, wiederholte Alethea zum dritten Mal. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie presste die Hände auf den Bauch, als hätte ihr jemand einen Fausthieb versetzt. „Ihr Lehrer für das Pianoforte?“

„Liebe Güte, Alethea! So etwas missverstehe ich doch nicht! Miss Barlow sagte den Thayer-Zwillingen, du hättest ihr geraten, mit ihm durchzubrennen, und du weißt, dass Hortense und Harriet noch nie ein Geheimnis für sich behalten konnten. Jetzt spricht der ganze ton über nichts anderes mehr“, fügte sie leise hinzu.

Alethea versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie die Tarotkarten für Miss Barlow gelesen hatte. „Ich kann mich nicht erinnern, was ich gesagt habe.“ Sie blickte sich im Ballsaal der Woodlakes um und rechnete beinahe damit, Beatrice Barlow irgendwo auf der Tanzfläche zu entdecken. „Sie wollte mir nichts über die Einzelheiten ihres Dilemmas anvertrauen. Daher riet ich ihr, ihrem eigenen Urteil und ihrem Herz zu folgen, und dass nur sie allein wüsste, was ihr wirklich wichtig ist. Eben das Übliche.“

„Nun, sie hat deinen Rat sehr ernst genommen, meine Liebe!“, flüsterte Annica. „Und jetzt ist die Hölle los. Kannst du dir das vorstellen? Bebe Barlow brennt mit ihrem Pianofortelehrer durch. Und dies nach einer Sitzung bei dir.“

„Verflixt! Ich hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmt, als sie so aufgeregt wurde, nachdem sie die Liebenden und die Kutsche gesehen hatte. Jetzt weiß der Himmel allein, wo sie sich aufhält, ob sie in Gefahr schwebt …“

„Oh, ich denke, das können wir erraten“, meinte Grace. „Sie wird auf halbem Wege nach Gretna Green und zu einem Pfarrer sein. Und ich wette, dass es höchstens ihre Tugend ist, die in Gefahr schwebt. Dennoch gibt es noch jemanden, der dir Vorwürfe machen könnte, Alethea.“

„Wer?“

Lady Sarah hob ihren Fächer, damit niemand ihr die Worte von den Lippen ablesen konnte. „Robert McHugh, Lord Glenross. Ich nehme an, du kennst den Namen.“

„Lord Glenross.“ Alethea sprach ganz langsam, und eine dunkle Vorahnung überkam sie. Hatte sie nicht schon genug Schwierigkeiten? „Aber warum sollte es ihn interessieren, was Miss Barlow tut?“

„Weil er seinen Bruder liebt“, erwiderte Sarah.

Alethea runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“

„Sein Bruder, Douglas McHugh, war mit Bebe verlobt“, erklärte ihr Sarah. „Im Januar sollte die Hochzeit sein.“

„Ein McHugh war mit Bebe verlobt? Mit der oberflächlichen, sprunghaften Bebe?“

„Seltsam, nicht wahr?“, stimmte Grace zu. „Und dennoch nur ein weiterer Beweis dafür, dass Liebe blind macht.“

„Und noch ein weiteres Verbrechen, das auf meinem Namen lastet“, murmelte Alethea und schaute Sarah fragend an. „Trotzdem, wie kann er mir Böses wollen?“

„Er erträgt es nicht, wenn jemand seiner Familie Schaden zufügt. Die Ehre der Schotten, du weißt schon. Abgesehen davon ist da noch Maeve. Und er hält Zoe für eine Schwindlerin. Er hasst Schwindeleien und kennt keine Gnade, wenn jemand nicht aufrichtig ist.“

Alethea wurde ein wenig unwohl zumute. Jetzt begriff sie, warum er sich im Salon ihrer Tante so seltsam benommen hatte. „Ich – ich vermute, er ist sehr wütend?“

„Das wäre eine Untertreibung“, meinte Sarah. „Ich habe ihn noch nie so – so außer sich erlebt. Und ich bin sicher, mit ihrem Vater und Douglas McHugh verhält es sich ebenso. Aber dies ist etwas anderes.“ Sarah wandte sich ab und vermied es, Alethea ins Gesicht zu sehen. „Nachdem er seine Frau und seinen Erben verloren hat, ist Rob McHugh wenig mehr geblieben als sein Vermögen und sein Stolz. Er hat erklärt, dass er nicht mehr heiraten wird, dass Douglas’ Kinder seine Erben sein würden. Das ist ihm sehr wichtig, und dein Rat an Bebe hat diese Tür zugeschlagen und die McHughs der Lächerlichkeit preisgegeben. Das wird er nicht verzeihen.“

Liebe Güte! Die anderen hatten recht! Sie sollte sofort aufhören, die Zukunft vorherzusagen. Aber ihr blieb keine Wahl. Es waren nur noch elf Tage, und sie benötigte jeden einzelnen davon. Bestimmt würde der Schurke bis dahin auftauchen. In der Zwischenzeit würde sie Glenross aus dem Wege gehen.

„Die McHughs sind gnadenlos“, bekräftigte Annica. „Ich bin versucht zu denken, sie sind der eigentliche Grund, warum Bebe mit Mr. Dante Palucci davongelaufen ist.“

Autor

Kat Martin
Ihre Arbeit im Immobiliengeschäft führte die New York Times Bestseller- Autorin Kat Martin auf den Weg ins Glück.

Durch ihre Tätigkeit als Maklerin lernte sie den perfekten Partner kennen – ihren Ehemann, den Western-Autor Jay Martin.

„Wir standen uns als potenzielle Verkäufer und Käufer gegenüber“, erinnert sie sich.

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Geboren und aufgewachsen ist Gail Ranstrom im Nordwesten der USA, in den Weiten von Montana. Schon damals hörte sie gerne Geschichten über vergangene Epochen und weit entfernte Länder, und dabei durfte natürlich auch Abenteuer, Spannung und Romantik nicht zu kurz kommen! Bevor sie jedoch selbst mit dem Schreiben anfing, machte...
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