Skandalöse Verlobung mit Lord Townsend

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Er ist der gefeierte Held der Stunde - besonders bei der Damenwelt! Seit seiner Rückkehr aus dem Krieg gegen Napoleon wird Lord Cooper Townsend von schwärmerischen Debütantinnen bedrängt. Wie anders ist doch da die unkonventionelle Miss Daniella Foster! Sie will ihn keineswegs in eine Ehe locken. Nein, sie bittet ihn nur herauszufinden, wer ihre Schwester erpresst. Dass Cooper ihr trotzdem einen skandalösen Kuss raubt - ein sinnliches Versehen. Doch als Gefahr droht, muss er sich mit Dany eilends zum Schein verloben. Plötzlich hat Seine Lordschaft ein ernstes Problem: unzähmbare Leidenschaft …


  • Erscheinungstag 03.01.2020
  • Bandnummer 348
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749156
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Cooper Townsend stand vor dem Frisiertisch, betrachtete seinen Gesichtsausdruck im Spiegel und sah, wie seine gewöhnlich grünen Augen dunkel wurden. Er musste sich beherrschen, seinen Zorn überwinden, sonst würde er nicht klar denken können.

Außerdem waren ihm die Halstücher ausgegangen, denn seit sein Freund Darby in seinem Ankleidezimmer aufgetaucht war und mit Band zwei der Buchreihe gewinkt hatte, der als Die Chroniken eines Helden im Umlauf war, hatte er bereits das dritte verdorben.

Als wäre es mit Band eins nicht schon genug gewesen: Die tollkühnen und amourösen Heldentaten Seiner Lordschaft Cooper McGinley Townsend. Komplett mit Berichten aus erster Hand über seine außergewöhnlichen Missionen im Kampf gegen die Froschfresser in Englands ruhmvollem Sieg über den Teufel Bonaparte: Band eins.

Band eins hatte wahrhaftig genügt, um ihn binnen vierzehn Tagen in den vermeintlichen Schutz seines kürzlich übernommenen Landsitzes reisen zu lassen, wo, wie er hoffte, Vernunft herrschte (obwohl seine Mutter sich dort aufhielt).

Nur auf Drängen seines Freundes Gabriel Sinclair war er nach London zurückgekehrt, und auch nur für eine Woche, bis zu dem Zeitpunkt, als die Zustellung eines Exemplars des zur Veröffentlichung anstehenden Bandes zwei ihn zurück auf seinen Landsitz getrieben hatte. Doch dieses Mal war er nur so lange geblieben, wie es gedauert hatte, den Großteil seiner neuen Garderobe einzupacken und seiner Mutter vergeblich die Rückkehr nach London mit ihm auszureden. Zum Beginn der „Little Season“ war er bereits wieder in London gewesen, wo er sich im Pulteney Hotel eingemietet hatte.

Eine überstürzte Verlobung mochte vielleicht nicht sämtliche Probleme lösen, wäre jedoch ein Anfang. Die kuppelnden Mamas wurden entschieden zu schlau, und auf diese Weise könnte er sich seine Gattin zumindest selbst aussuchen, statt sie aufgezwungen zu bekommen, weil er eines Morgens neben einer kichernden Debütantin in seinem Bett aufwachte, deren Mutter im richtigen Augenblick ins Zimmer stürmte – mit Zeugen –, um empört auszurufen: „Sie Flegel! Wir bestellen noch heute das Aufgebot!“

Was in Betracht zu ziehen albern und eigennützig erschiene … Sah man davon ab, dass eine ehrgeizige Damsel es bereits bis ins Schlafzimmer seiner Hotelsuite geschafft hatte, bevor Ames sie einfangen und im Foyer absetzen konnte, wo ihre wutschnaubende Mama sie beim Ohr packte und ihr vermutlich den ganzen Weg bis zu ihrer Kutsche ihre Unfähigkeit vorhielt.

Ja, er würde sich selbst vom Markt nehmen. Erst dann wäre er in der Lage, sich auf den Rest zu konzentrieren.

„Hast du das gelesen? Ich habe es erst heute Morgen entdeckt; du hattest das Vergnügen vielleicht noch gar nicht“, sagte Darby Travers, der sich auch Viscount Nailbourne nannte, wenn er Eindruck schinden wollte, und riss sich von der gedruckten Seite los, um Cooper das Büchlein entgegenzustrecken.

„Ja, ich habe es gelesen. Der Täter – ich weigere mich, ihn als Autor zu bezeichnen – war so freundlich, mir ein Vorab-Exemplar zu schicken, als ich letzte Woche in London war. Um Himmels willen, Darby, leg es weg.“

„Noch nicht. Dass du die schöne Maid vor einem Schicksal bewahrst, das schlimmer als der Tod ist, liegt ja auf der Hand, Held, der du bist. Lass mich nur noch den Schluss lesen.“

„Na gut, zumal es leider wichtig ist. Mach schon. Verdammt, Darby … Ich habe nicht gesagt, dass du laut vorlesen sollst.“

Doch der Viscount fuhr einfach fort, mit seiner angenehmen Baritonstimme, in der nun betonte Belustigung mitschwang.

„Die überaus schöne und dankbare junge Dame, deren Name auf immer ein Geheimnis bleiben soll, wandte sich, die kornblumenblauen Augen randvoll mit Tränen wie Diamanten, an unseren bescheidenen und verlegenen Helden und warf sich ihm zu seiner großen Überraschung mit ihrem weichen, wohlgerundeten Körper an die Brust, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als sie an sich zu drücken, wobei er das wilde Pochen ihres jungfräulichen Herzens spürte, sah, wie ihre perfekten Brüste sich in rascher Folge hoben und senkten, während sie seine Tugenden, seinen unglaublichen Mut pries, und überwältigt von ihren Gefühlen schrie sie nahezu ekstatisch auf, als sie ihn bei den starken Schultern packte und behauptete, auf deren breiter Ausdehnung könne die ganze Welt Schutz finden, genauso wie eben erst ihr Schicksal, ganz zu schweigen von ihrer Ehre, die sie ihm dann so feierlich zu Füßen legte.“

„Es ist ja noch schlimmer als in meiner Erinnerung“, knurrte Cooper. „Und hat der Mann noch nie von den Verdiensten eines Punktes gehört? Dir ist ja beinahe der Atem ausgegangen, Darby, es sei denn, es lag daran, dass du ‚überwältigt von deinen Gefühlen‘ warst.“

„Ein bisschen von beidem. Du Glückspilz, du!“

Darby hatte Mühe, die letzte Seite des billig gebundenen Büchleins umzuschlagen. Er furchte die Stirn.

„In Kürze folgt Band drei: Mehr Abenteuer und Heldentaten des Barons Cooper McGinley Townsend, seines Zeichens Held, wobei alles offenbart wird, was seinen Charakter und sein verborgenes Wesen betrifft, sei er nun Teufel oder Heiliger.“

Er blickte zu seinem Freund auf. „Das war’s? Mehr kommt nicht? Mein Gott, Coop, nachdem ich all die herrlichen Bemerkungen, die mir durch den Kopf geschossen sind, widerwillig verdrängt habe: Das hier ist nicht gut. Jeder, der auch nur über einen Funken Fantasie verfügt, wird denken, dass du dich an ihrer Tugend schadlos gehalten hast, und, weiß Gott, was der vornehmen Gesellschaft an Intelligenz fehlt, macht sie mit schmutziger Fantasie mehr als wett.“

„Dessen bin ich mir bewusst, ja, danke.“ Coop zerrte sich das misshandelte Tuch vom Hals und warf es Sergeant Major Ames zu, der beim endgültigen Sieg über Bonaparte bei Waterloo sein Adjutant gewesen war und jetzt Anspruch darauf erheben konnte, der grobschlächtigste, zotigste und bankrotteste Kammerdiener in ganz England zu sein.

„Dem Mann gehören die Zehen abgehackt, das steht ihm zu.“ Ames warf Coop ein frisches Halstuch zu. „Um sie ihm dann in den Arsch zu schieben.“

„Ach, Ames, so weit würde ich nicht gehen“, sagte Darby gedehnt, während er einen Ausfallschritt machte und das frische Leinentuch im Flug auffing. „Gewöhnlich ist er ganz erträglich, nur im Moment eindeutig aufgeregt. Komm, Coop, lass dir von mir helfen, sonst müssen wir den Rest unseres Lebens hier in deinem Ankleidezimmer verbringen.“

Zwei hochgewachsene gut aussehende Männer zeigte jetzt der Spiegel. Coop hätte der Engel sein können, blond und hübsch, wie er war, und Darby der dunkelhaarige Teufel, den die schwarzseidene Klappe über dem linken Auge irgendwie noch attraktiver erscheinen ließ.

„Ames meinte meinen anonymen guten Freund“, erklärte Coop, hob grinsend das Kinn und ließ sich von Darby das Halstuch um die hochgestellten Kragenspitzen binden. „Und er hat sich freundlich, wenn nicht gar zivilisiert ausgedrückt. In Wahrheit hat Ames es auf einen ganz anderen Teil der Anatomie unseres Schmierfinken abgesehen. Stimmt’s, Ames?“

„Zuerst einmal müssen wir ihn finden, Mylord, und dann bezweifle ich, dass der Schuft Probleme haben wird, in seine Hosen zu passen, falls Sie wissen, was ich meine.“

„Gib her, bevor du mich erwürgst.“ Coop griff nach einem Ende des Leinentuchs, als Darbys bellendes Lachen auf sein Ohr traf. „Ich bin zurück in die Stadt gekommen, um Hilfe bei meinen Freunden zu suchen, und jetzt ist Gabe nicht nur auf seinen Landsitz zurückgekehrt, sondern hat auch noch dich hier gelassen, was auch unter anderen Umständen alles andere als hilfreich wäre. In meinem Leben ist schon genug aus den Fugen geraten, und du hast eindeutig das Zeug zu einer Landplage.“

„Ich wäre untröstlich, würde ich deine Worte nicht als Kompliment auffassen. Aber bitte: Ich bin eine Landplage, die dir die Krawatte mit geschlossenen Augen – Verzeihung: mit geschlossenem Auge – binden kann. Nun gut, mach, was du willst. Wir geben dem Ding sogar einen Namen. Der Heldenknoten. Das passt, Sergeant Major, meinst du nicht? Ich finde, das Ding sieht aus wie ein Galgenstrick.“

„Du bist ein Witzbold, Darby“, sagte Cooper, während Ames ihm in seine Jacke half. „Du kommst aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Du findest diese Sache urkomisch, wie?“, fragte er. Darby steckte sein Taschentuch wieder ein, nachdem er seine Augenklappe angehoben und eine nicht vorhandene Lachträne abgewischt hatte.

„In den meisten Fällen, nein, wohl kaum, aber den ruhigen, stets gefassten Cooper so verwirrt zu sehen? Ja, ich gebe zu, dass ich meinen Spaß daran habe. Mal ehrlich, Trauerkloß, ist es denn so schrecklich, die Rolle des Helden zugewiesen zu bekommen? Im Moment müssen in ganz Mayfair die jungen Mädchen über ihrer heißen Schokolade seufzen und in Ohnmacht fallen und vor Entzücken ihre winzigen rosigen Zehen krümmen. Ich wiederhole: du Glückspilz.“

Coop und Ames tauschten einen Blick, und der Kammerdiener holte ein gefaltetes Blatt Papier vom Schreibtisch in dem Schlafzimmer, das Coop im Pulteney Hotel bewohnte. „Das hier ist vor Kurzem angekommen, wurde durch die Ritze unter der Tür hindurch geschoben wie eine Nachricht in einem minderwertigen Roman. Nimm es mit ins Foyer, lies es und triff deine Entscheidung. Ich wünsche nur kurz meiner Mutter einen guten Morgen, dann komme ich zu dir“, sagte Coop.

„Ist es zum Lachen?“, fragte Darby und steckte das Papier in die Tasche. „Schon gut, ich sehe, es ist nicht lustig. Und erklärt es dein Halstuch und deine gute Laune? Vermutlich. Sehr schön, zehn Minuten, oder ich komme zurück.“

Als Darby gegangen war, griff Cooper nach seiner Haarbürste mit dem silbernen Rücken und konzentrierte sich darauf, seinen dichten Schopf ärgerlich widerspenstigen dunkelblonden Haars zu bändigen, oder vielmehr

… seine herrliche Krone von sonnengeküssten Locken, die an einen regelrechten Heiligenschein der Tugend gemahnten, während er seine langen, geraden Finger durch die Mähne schob, über die verstümmelte Leiche des Angreifers stieg und die unbekannte Dame schüchtern anlächelte, die er vor einem Schicksal, schlimmer als der Tod, bewahrt hatte.

Ein Schicksal, schlimmer als der Tod. Genau das hatte Darby im Spaß gesagt. Das diente lediglich als Beweis, dass jeder x-Beliebige ein Buch schreiben konnte, solange er nicht darauf aus war, seine Fantasie über Banales und Lüsternes hinaus zu bemühen. „Oh Gott, jetzt ziehe ich schon über einen meiner besten Freunde her.“ Cooper seufzte, legte die Bürste nieder und redete weiter ins Leere. „Ist es so schrecklich, die Rolle des Helden zugewiesen zu bekommen? Darby, mein Freund, du hast ja keine Ahnung.“

Zugegeben, zu Anfang war es gar nicht so schrecklich gewesen. Er hatte seinem Vaterland nicht nur einmal, sondern zweimal gedient, war noch einmal der Fahne gefolgt, nachdem er 1814 mit seinen Freunden Darby, Gabriel und Jeremiah Rigby, Baronet, verwundet zurück nach England geschickt worden war. Ziemlich berühmt war er durch eine kleine, aber grimmige Schlacht bei Quatre Bras geworden, kurz vor Wellingtons endgültigem Sieg bei Waterloo.

Die Welt sollte nie die vollständige Wahrheit über die Ereignisse jenes Tages erfahren, was Seine Königliche Hoheit, der Prinzregent höchstpersönlich, Cooper äußerst nachdrücklich zu verstehen gab, bevor er dem Helden einen kleinen Landsitz überschrieben, einen gut gefüllten Geldbeutel überreicht und den Titel eines Barons verliehen hatte. Es war eine prachtvolle Belohnung … wenngleich manch einer von Bestechung reden würde, wenn nicht gar von einer versteckten Drohung. Wie auch immer, Cooper begriff schnell, dass es klüger und vielleicht auch sicherer war, diese Belohnung anzunehmen.

Doch davon wusste die Welt nichts.

Von höchstem Interesse für den Durchschnittsengländer und die Zeitungen war Coopers Rettung mehrerer flachsblonder Knirpse (die Anzahl variierte von drei bis zu einem vollen Dutzend, je nachdem, wer die Geschichte erzählte), die mitten in das bevorstehende Schlachtgeschehen gestromert waren. In manchen Versionen kam auch noch eine wunderschöne ältere Cousine vor, die überaus dankbar für die Rettung gewesen war … Allerdings stieß man ja überall auf irgendwelche Romantiker.

Drei oder zwölf Jungs, eine hübsche, anonyme, tief dankbare blonde Schönheit oder nicht, Cooper jedenfalls war bei seiner Rückkehr nach London beliebter als Weihnachtspudding. In den Monaten seit Waterloo konnte er kaum ein paar Schritte in welche Richtung auch immer gehen, ohne dass jemand rief: „Da! Da geht Townsend!“

Jedermann klopfte ihm auf den Rücken. Jedermann wollte ein, zwei Gläser mit ihm trinken. Jedermann behandelte diesen Sohn einer vornehmen, aber nicht mehr als mäßig begüterten Familie wie den besten Freund, und er wurde zu so vielen Hauspartys und Boxkämpfen und dergleichen eingeladen, dass eine Kompanie von Helden erforderlich gewesen wäre, um sämtliche Einladungen anzunehmen.

Trotzdem war die Sache einigermaßen vergnüglich.

Cooper erinnerte sich, wie er eines Morgens aufwachte und Ames es ihm präsentierte. Da war sein Konterfei auf dem Umschlag eines billigen Büchleins; Ames zumindest sagte, das grellbunte Bild solle ihn darstellen. Er wurde als groß und schlank präsentiert, was zutraf, aber mit einer völlig übertriebenen wirren blonden Lockenmähne und so intensiv grünen Augen, dass er im Spiegel überprüfen musste, ob er wirklich so aussah. Seine Augen waren grün, das musste er dem Künstler lassen, aber doch nicht so grün.

In allen Straßen Londons kursierte das verdammte Buch, komplett mit einem Text auf dem Rückumschlag, der verkündete, was der nachfolgende Band offenbaren würde:

Noch mehr Abenteuer unseres aus dem Krieg heimgekehrten glorreichen Barons, der insgeheim in England Heldentaten vollbringt, dem Liebling des Volkes und Retter zarter Weiblichkeiten in Bedrängnis, die seiner tapferen Hilfe bedürfen.

Jetzt wollten Mamas ihn für ihre Töchter. Väter wollten ihn, weil er ein Held war, und würde es sich in den Clubs nicht wunderbar anhören, wenn man „mein Schwiegersohn, der Held“ sagen könnte? Verheiratete Frauen wollten ihn, weil … Du liebe Zeit, wer wusste schon, warum verheiratete Frauen irgendetwas wollten. Und süße junge Damsels betrachteten Coop als die beste Partie des Jahres.

„Und jetzt das. So viel dazu, dass ich mich in die ‚Little Season‘ stürze und eine Frau finde, um diesem Unsinn ein Ende zu setzen.“

„Mylord? Ich habe nicht ganz verstanden?“

„Schon gut, Ames. Ich habe nur wieder an diesen verdammten Brief gedacht.“

Den kannte er inzwischen auch schon auswendig.

Zehntausend Pfund oder der nächste Band hat den Titel Unser Held fällt in Ungnade, da die wahre Identität der vermeintlich unschuldigen Geretteten von Quatre Bras bekannt wird. Sehr zur Schande von Individuen im engsten Umfeld der britischen Krone. Ja, mein Held, hier handelt es sich um Erpressung, und darin bin ich ziemlich bewandert. Bleiben Sie in London, Baron Townsend, Schluss mit dem Versteckspiel auf Ihrem Landsitz. Ich bleibe in Kontakt.

„Ach, Ames. So viel zu guten Ideen, ganz zu schweigen von Prinnys Ausraster, wenn die Wahrheit bekannt werden sollte. Wir können nur inständigst hoffen, dass Darby genug davon hat, sich lustig zu machen, und stattdessen seine Hilfe anbietet“, sagte er jetzt und nahm Ames seine Handschuhe und den Biberhut mit der geschwungenen Krempe ab, bevor er sich auf den Weg zur Treppe ins Foyer begab.

„Sie wollten sich doch sowieso nicht binden“, erinnerte sein Diener ihn.

„Stimmt schon, aber wenn ich unseren unbegabten Schweinehund von Biografen nicht finde, können wir uns wohl von dem Landsitz verabschieden, und du brauchst mich nicht mehr mit Mylord anzusprechen. Ich mag gar nicht daran denken, was meine Mutter dazu sagen würde.“

Ames schnitt eine Grimasse. „Das könnte das Schlimmste sein, Mylord, da bin ich ganz Ihrer Meinung. Sie sagt ohnehin schon mehr als genug, nicht wahr?“

Coop lachte. „Danke, Ames, für die Erinnerung. Bitte informiere sie, dass ich abberufen wurde und sie heute Abend beim Essen sehe. Und jetzt gehe ich, doppelt entschlossen und zweimal so eilig.“

Der Sergeant Major salutierte zackig. „Wie es sich für einen Helden gehört, Sir.“

„Ich mag dich, Ames, könnte dich aber trotzdem feuern“, warnte Coop ihn, und der Mann verbarg sein Grinsen rasch unter seinem außerordentlich großen Schnurrbart.

Darby wartete auf und ab schreitend im Foyer. „Du bringst dich selbst in die schlimmsten Zwickmühlen, wie?“ Er reichte Coop das zusammengefaltete Papier.

„Du verwechselst da etwas. Das trifft auf dich zu und auf Gabe und Rigby. Ich bin der Vernünftige, vergiss das nicht, immer zur Stelle, um euch aus den Nesseln zu helfen, in die ihr euch gesetzt habt.“

„Schon verstanden. Und was plant dein vernünftiges Ich nun, da du selbst in den Nesseln sitzt? Ich hoffe, dazu gehört auch, den Schweinehund zu finden und ihm den dürren Hals umzudrehen.“

Darbys Empörung beschwichtigte Coop ein wenig. „Ja, das ist tatsächlich der Plan. Wie hast du das herausgefunden?“

„Ich weiß nicht, zumal es um dich geht. Du bist so verdammt kultiviert. Du wirst mir den Namen der Dame nicht nennen, oder? Der schönen Maid, die am Tag deiner tollkühnen Rettungsaktion dort gewesen sein könnte oder auch nicht.“

„Tja, Darby, ich glaube tatsächlich, ich habe ihn vergessen. Stell dir das vor.“ Dann verzog er das Gesicht, wohl wissend, dass sein Freund ihn hereingelegt hatte. Wie hatte er auch nur einen Moment lang vergessen können, dass sein Freund selbst einer geschlossenen Auster ein Geheimnis entlocken konnte?

„Aha! Also war tatsächlich eine Frau zugegen. Das zumindest habe ich aus dir herausbekommen. Weißt du, du bist wirklich ein Held, reinen Herzens und durch und durch anständig. Das und dazu ein verdammter Narr, nachdem ich jetzt weiß, dass unser ureigenster dicker Florizel, Prinny, beteiligt ist. Baron? Ich schätze, du hättest auf dem Titel eines Earls bestehen können. Wollen wir anfangen?“

1. KAPITEL

Der Fußweg vom Pulteney zum nächsten Club war zu kurz, als dass jemand, der kein alter Mann oder ausgemachter Schnösel mit hochfahrenden Ambitionen war, es für nötig gehalten hätte, seinen Zweispänner aus den Stallungen bringen zu lassen oder eine Droschke zu rufen. Das behauptete zumindest Darby, als Coop Letzteres vorschlug.

„Ich könnte erkannt werden“, gab Coop leise zu bedenken.

Darby zog umständlich seine Handschuhe an. „Von wem? Nicht, dass ich deine gewohnte Bescheidenheit mit Füßen treten will, doch manch einer könnte diese Bemerkung als nahezu anmaßend werten. Vermutlich geht Eitelkeit Hand in Hand mit diesem Heldentum.“

„Du hast schon wieder deinen Spaß, wie? Du weißt, von wem. Von allen. Manchmal möchte ich mir den Hals verdrehen und nachsehen, ob eine Art Hinweisschild an meinem Rücken befestigt ist.“

„Tatsächlich? Du ziehst auf Schritt und Tritt die Massen an, wie? Und wie schön für mich, dass ich der Begünstigte bin, nicht wahr, der sich an diesem schönen, sonnigen Tag voller Stolz mit dem Helden all dieser mutigen, ganz zu schweigen von amourösen, Taten zeigen darf. Gabe und Rigby wissen gar nicht, was sie sich entgehen lassen. Komm, ich will das sehen. Vielleicht findest du am Wegesrand mal wieder eine schöne Maid, die der Rettung bedarf.“

Knapp einen Häuserblock vom Hotel entfernt musste Coop sich gegen den Drang wehren, sich mit den klassischen Worten vergangener Kindheitstage an seinen Freund zu wenden: „Hab ich’s dir nicht gesagt?“

„Einen schönen guten Tag, der Herr“, rief der Erste, der ihn erkannte. Der Mann verbeugte sich und zupfte an einer nicht vorhandenen Stirnlocke, als Coop und Darby sich der Straßenecke näherten.

„Ja, guten Tag“, erwiderte Coop und neigte leicht den Kopf in Richtung des Hökers, der auf einer drei Meter hohen Stange Biberhüte mit geschwungenen Krempen balancierte. Die Hüte hatten ihre besseren Tage, wenn nicht Jahrzehnte, lange hinter sich.

„Ich glaube, er will ein Trinkgeld, kein freundliches Nicken. Es sei denn, du willst einen Hut kaufen, was ich dir nicht empfehlen möchte. Läuse, verstehst du? Eklige Biester“, ließ Darby ihn wissen, wobei er nicht einmal die Stimme senkte. „Aber da du ein Held bist und Heldentum beim Pöbel gewisse Erwartungen weckt – ja, du feiner Bursche, das war tatsächlich ein Kompliment, und dein Lächeln ist durchaus angebracht. Überlass die Sache mir. Hier, guter Mann.“ Er griff in seine Tasche und warf eine Kupfermünze in die Luft, die der Kerl mit einem Geschick, das langes Training verriet, auffing. „Mit den besten Wünschen des Barons. Und jetzt troll dich.“

Cooper schaute sich um und stellte fest, dass er und sein Freund zunehmend zur Attraktion wurden. „Jetzt hast du es geschafft, du Esel.“

„Was? Ich kann doch nicht zulassen, dass unserem Helden ein Zacken aus der Krone bricht, weil er ein Geizhals ist. Hab ein bisschen Stolz, Mann.“

„Stolz, ja? Wie schnell kannst du in diesen glänzenden neuen Stiefeln laufen?“

Nachdem der Höker misstrauisch auf die Münze gebissen hatte, hob er grinsend die Hand, zeigte seine Beute vor und rief: „Platz da! Platz da! Der Held kommt! Macht Platz für den mutigen Baron Townsend!“

„Ach, um Himmels willen … Siehst du jetzt, was du angerichtet hast?“

„Allmählich, ja. Ich dachte, du würdest vielleicht übertreiben, aber ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin derjenige, der übertreibt.“ Darby drehte sich anmutig um die eigene Achse. „Wollen wir? Still zu stehen erscheint mir nicht klug.“

Von allen Seiten begannen Leute, die Kreuzung zu überqueren. Sie kamen geradewegs auf Cooper zu, während zwei eifrige junge Burschen mit Besen anfingen, vor ihnen die Straße zu fegen, damit der Held darüber schreiten konnte, ohne, na ja, in etwas hineinzutreten. In ihrem Eifer begannen sie, mit ihren Besenstielen gegeneinander zu kämpfen, und der Kleinere von ihnen hätte zu Schaden kommen können, wäre Coop nicht eingeschritten, um die Streithähne zu trennen.

Ein Taschentuch an die verletzte Wange pressend – die Wange, die nicht eben zartfühlend mit einem der Besenstiele in Berührung gekommen war – setzte er mit Darby seinen Weg fort, nicht gerade im Laufschritt, aber doch in zügigem Tempo, um der größer werdenden Menschenansammlung zu entkommen.

In dem Moment, als sie in eine Gasse einbogen, warf Darby klugerweise ein paar Münzen über die Schulter, und die Verfolger stoppten so abrupt, dass sie wie Kegel durcheinandertaumelten, während sie sich, bereits mit fliegenden Fäusten, auf die Münzen stürzten.

„Ah, ein Lächeln, und es wurde auch verdammt noch mal Zeit. Ich habe mich schon gefragt, ob du dank deines Biografen völlig den Sinn für Humor verloren hast. Hauen wir ab?“

„Lieber im Galopp als im Trab? Ja, ich glaube schon.“

Als vom Pöbel ein neuerlicher Ruf erschallte, beschleunigten sie ihre Schritte zu einem Beinahe-Galopp, wichen verdächtigen Pfützen aus, duckten sich unter schlaffer grauer Wäsche hindurch, tippten vor einer zahnlosen Hexe, die anbot, ihnen für einen Penny zu zeigen, was sie hatte, grüßend an die Hüte.

Hier eine Biegung, dort eine Kurve, Rückzug angesichts einer Sackgasse. Sie blieben erst stehen, als sie den letzten ihrer Verfolger abgehängt hatten, doch zu diesem Zeitpunkt hatte Cooper bereits seine liebe Not zu entscheiden, wo Norden war. Sie saßen in der Falle unter maroden Bauwerken, deren obere Stockwerke sich über die Gasse neigten, bis sie einander beinahe berührten und die Sonne aussperrten.

„Wo sind wir?“, fragte er. Der Anblick eines ziemlich vierschrötigen Mannes behagte ihm nicht, der auf der Schwelle eines Hauses ohne Tür hockte.

„Verzeih“, flüsterte Darby, blieb stehen und stützte die Hände auf die Knie, um zu Atem zu kommen. „Aber hast du mich gefragt oder diese ein wenig Furcht einflößende Kreatur dort drüben, die uns beäugt, als würden wir uns ganz prächtig am Drehspieß für sein Abendessen machen?“

„Dich natürlich, und bleib nicht stehen. Ich dachte, du wüsstest, wohin wir laufen?“

„Ich wusste es“, antwortete Darby, „vor etwa drei Abzweigungen jedenfalls. Aber als ich das letzte Mal etwas so Riskantes unternommen habe, war ich bedeutend jünger und nicht annähernd so nüchtern. Ach, Coop, verdammt noch mal. Ich glaube, du schuldest mir ein neues Paar Stiefel.“

Coop machte sich nicht die Mühe, die neuen Stiefel seines Freundes in Augenschein zu nehmen – Freundschaft hat ihre Grenzen –, versetzte Darby jedoch einen gewaltigen Stoß in Richtung Sicherheit, als er von oben eine Frauenstimme mit der Warnung vernahm, dass sie im Begriff sei, das Nachtgeschirr auszuleeren. Eine halbe Sekunde später ließ sie ihren Worten die Tat folgen und lachte fröhlich meckernd, als ihre Opfer nur mit knapper Not ihrem Spaß entkamen.

„Du kannst nicht behaupten, ganz London hätte von deinen Heldentaten gelesen, es sei denn, das war die Art dieser Frau, ihrer Freude über die Begegnung mit dir Ausdruck zu verleihen“, sagte Darby, als sie schließlich doch noch einmal stehen blieben und kurz darauf irgendwie in der Bond Street anlangten. Beide wischten sich über die Ärmel, suchten ihre Kleider nach Schmutz ab, den schmierige Hände hinterlassen haben könnten, denn alle hatten den großen Helden berühren wollen. „Weißt du, alles in allem – abgesehen von meinen armen Stiefeln – war das doch ganz lustig. Schade, dass Rigby nicht dabei war. Unserem pummeligen Freund würde ein bisschen Bewegung nicht schaden.“

Coop rang immer noch nach Luft. „Das ist alles? Mehr hast du nicht zu sagen? Du hast nicht gehört, wie die Leute den Namen der letzten schönen Maid verlangt haben, die ich angeblich gerettet habe? Du hast nicht gehört, wie sie mir vorgeschlagen haben, was ich mit ihr hätte anstellen sollen? Einige von diesen Vorschlägen waren ziemlich konkret.“

„Ja, ich hab’s gehört, habe aber lieber so getan, als hätte ich nichts mitbekommen. Dein Erröten war mehr als genug. Zumindest einer von ihnen sollte wohl im Tollhaus eingesperrt oder zumindest kastriert werden. Warum ist nichts dergleichen geschehen, als du letzte Woche in London warst?“

„Der zweite Band meiner angeblichen Heldentaten ist erst erschienen, als ich mich schon wieder aufs Land zurückgezogen hatte. Anfangs, als Prinny mich ausgezeichnet hatte, wurde ich recht gut behandelt; man zeigte mit dem Finger auf mich, ja, man sprach mich an, wollte mir ein paarmal auch die Hand schütteln, mir den Rücken klopfen, mir die Töchter vorstellen. Die zusätzliche Aufmerksamkeit, die das Erscheinen von Band eins auf mich lenkte, war allerdings nicht erwünscht, besonders, da sie irgendwie von einem nahezu unnatürlichen Interesse der Damen an mir begleitet wurde. Band zwei allerdings – all diese Berichte über meine angeblichen Heldentaten seit meiner Rückkehr nach England – hat anscheinend außer schlichter Dankbarkeit noch völlig andere Gefühle geweckt. Bei meiner Rückkehr war es schlimm genug. Auch da scharten sich Leute um mich. Aber heute ist das erste Mal, dass ich wahrhaftig vor ihnen davonlaufen musste. So kann es nicht weitergehen, Darby; das ist unmöglich.“

„Stimmt. Stell dir nur vor, was sein würde, wenn dein Erpresser seine Drohung wahr macht, diese Drohung, die ich nicht ganz verstehe und offenbar nicht verstehen soll, obwohl du meine Hilfe anforderst. Du wirst emigrieren müssen. Die Bewunderung des Pöbels kann bekanntlich im Handumdrehen in Hass umschlagen.“

„Ja, das habe ich mir auch schon überlegt. Aber jetzt lass uns erst einmal einen Schuhputzer suchen.“

„Und danach ein Mädchen und etwas zu trinken“, meinte Darby und nickte. „Aber ich bin nicht anspruchsvoll. Ich bin bereit, auf das Mädchen zu verzichten.“

2. KAPITEL

Daniella Foster, in ihrer Familie verschiedentlich auch Dany, Baby oder nicht eben selten sogar Nagel zu Mutters Sarg gerufen, betrachtete den Turban aus violetter Seide auf einem Holzständer in der Ecke des Umkleidezimmer. Ihr war, als hielte sie sich schon eine kleine Ewigkeit hier auf, und sie hatte längst jeden Winkel des überfüllten Geschäfts für Damenoberbekleidung inspiziert.

Sie langweilte sich nicht; Dany kannte keine Langeweile. Sie interessierte sich für alles um sie herum, war neugierig auf die Welt im Allgemeinen, von Kindheit an, als man sie Auge in Auge mit einem Regenwurm im Schlamm liegend hatte antreffen können, bis auf den heutigen Tag, an dem sie sich unter anderem fragte, wie es wohl wäre, einen Turban zu tragen. Ob es juckte? Wahrscheinlich, aber wie sollte sie je sicher sein, wenn sie es nicht versuchte?

„Ich finde ihn immer noch hübsch“, verkündete sie, „und er würde mir fantastisch stehen.“

Ihre Schwester Marietta, Countess of Cockermouth, der gerade das letzte der bestellten neuen Kleider angepasst wurde, war anderer Meinung. „Ich sagte doch schon, Dany, Violett ist Witwen vorbehalten, ein Turban ebenfalls. Nein, fass ihn nicht an.“

„Warum nicht?“ Dany pflückte den Turban von seinem Ständer. „Weißt du, ich finde es ungerecht“, sagte sie und demonstrierte ihre Auffassung von Gerechtigkeit, indem sie sich das Ding über ihre frisch gestutzte Mähne rotgoldener Locken stülpte. „Siehst du das? Die Farbe entspricht beinahe der meiner Augen.“

„Deine Augen sind blau.“

„Nicht, wenn ich diesen Turban trage. Sieh doch nur.“

Dany nahm direkt vor ihrer Schwester Aufstellung, die im Augenblick gute zwanzig Zentimeter größer war als sie, da sie zum Saumabstecken auf einen Sockel hatte steigen müssen.

Marietta furchte die Stirn. „Manch einer würde dich als Hexe bezeichnen, weißt du? Das Ding sollte sich farblich mit deinem Haar beißen, oder vielmehr mit dem, was davon übrig ist, als du in deinem Anfall von Wahnsinn zur Schere gegriffen hast. Dein Teint ist zu blass, deine Augen sind unverschämt groß, und dein Haar ist … Mich wundert, dass Mama nicht der Schlag getroffen hat. Und trotzdem … Ja, Dany, trotzdem bist du wunderschön. Zierlich, zerbrechlich und unschuldig wie ein Engelchen. Du siehst immer wunderschön aus. Du weißt gar nicht, wie du anders als sympathisch und anbetungswürdig in Erscheinung treten könntest. Das gehört zu den Eigenschaften, die ich am wenigsten an dir mag.“

Dany erhob sich auf die Zehenspitzen und gab ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange. „Danke, Mari. Aber dir ist klar, dass ich deiner klaren Schönheit nicht das Wasser reichen kann. Na, auf dem Tanzboden bei Almack’s hat es nur eines einzigen Blicks bedurft, und schon war Oliver bis über beide Ohren und hoffnungslos und für ewig verliebt in … Ach, Mari, wein doch nicht.“

An die Schneiderin gewandt, die sie beide neugierig musterte, und an Mariettas Zofe, die im Pompadour ihrer Herrin bereits nach einem Taschentuch kramte, bat Dany die Frauen hastig, sie für einem Moment mit ihrer Schwester allein zu lassen.

„Schwanger, die Countess ist schwanger. Schön für sie.“ Die Schneiderin nickte der Zofe mit ihrem grauen Kopf zu. „So sind sie dann, weißt du, immerzu weinerlich, ohne jeden Grund. Ich darf nicht vergessen, reichlich Stoff zum Auslassen an den Nähten stehen zu lassen.“

„Ich bin nicht …“

„Weinerlich“, schnitt Dany ihr eilig das Wort ab und drückte Marietta die Hände so fest, dass diese das Gesicht verzog. „Nein, Schätzchen, natürlich bist du nicht weinerlich. Keiner von uns denkt so was von dir.“ Dann zwinkerte sie der Schneiderin zu, die widerwillig den Vorhang vor dem Durchgang schloss und mit der Zofe auf der anderen Seite verblieb. Sollten die Frauen doch glauben, Mari wäre schwanger. Alles war besser als der wahre Grund, aus dem ihre Schwester zur Heulsuse geworden war. „Du warst im Begriff, mit der Wahrheit herauszuplatzen, wie?“, sagte sie – vielleicht war es auch ein Vorwurf –, während sie ihrer Schwester von dem Sockel herunterhalf.

„Ganz bestimmt nicht. Ich frage mich immer, was um alles in der Welt in mich gefahren war, als ich es dir anvertraut habe. Ich muss vorübergehend unter geistiger Verwirrung gelitten haben.“

„Nein“, widersprach Dany rundheraus und sah zu, wie ihre Schwester sich behutsam auf einem Stuhl niederließ, darauf bedacht, sich nicht an irgendwelchen Stecknadeln zu verletzen. „Das war der Fall, als du deinem heimlichen Verehrer diese albernen Briefe geschrieben hast. Und Mama behauptet, du seiest die Vernünftigere von uns beiden, und ich solle mir in allem, was ich tue, ein Beispiel an dir nehmen. Aber weißt du was, Mari? Ich hätte meinen Verehrer doch zumindest nach seinem Namen gefragt. Ach, du liebe Zeit! Hier, nimm das und putz dir die Nase“, schloss sie, indem sie ein besticktes Taschentuch aus ihrem eigenen Pompadour fischte und es ihrer Schwester nahezu ins Gesicht warf.

„Sprich leise, Dany.“ Marietta blickte von links nach rechts und wieder zurück, als wollte sie sich vergewissern, dass sich außer ihnen beiden niemand in dem Raum aufhielt und womöglich mitschrieb, was sie besprachen. Dann flüsterte sie: „Und es war nicht meine Schuld. Sämtliche verheiratete Damen der vornehmen Gesellschaft haben Verehrer. Das ist nur ein Spaß für uns. Insbesondere wenn unsere Ehemänner uns allein lassen, um ihre Jagdhütten und Spielclubs aufzusuchen und Gott weiß was zu treiben, was Gentlemen, die vor ihren Frauen flüchten, als Amüsement betrachten.“

Dany verstaute den Turban wieder auf seinem Ständer. Herauszufinden, wie sie mit dem Ding aussah, war interessant gewesen, aber es fing tatsächlich an zu jucken. Wenn sie einmal Witwe wäre, würde sie darauf achten, dass all ihre Turbane mit weicher Baumwolle gefüttert waren.

„Ach ja? Und ist es jetzt immer noch ein Spaß für dich, nachdem dein Verehrer fünfhundert Pfund für sein Schweigen fordert, für sein Versprechen, dir deine Briefe zurückzugeben? Gehört das auch zu dem Spiel?“

Marietta putzte sich nicht allzu zierlich die Nase. „Nein, das weißt du doch. Ich habe keine fünfhundert Pfund, Dany, und in vierzehn Tagen kommt Oliver heim. Ach, das alles ist seine Schuld. Wenn er mir gegenüber nur aufmerksamer gewesen wäre. Früher konnte ich ihn gar nicht aus meinem Bett bekommen, aber … Nein, hör nicht auf mich, Dany. Du bist eine unverheiratete Frau.“

„Stimmt, aber aus den Kinderschuhen bin ich trotzdem heraus. Oliver ist bedauerlich unromantisch, stimmt’s?“

Ihre Schwester ließ die Schultern hängen. „Er … Er hat meinen Geburtstag vergessen. Er hat sich mit seinen liederlichen Freunden nach Schottland aufgemacht und meinen Geburtstag völlig vergessen. Im ersten Ehejahr hat er mir Diamantohrringe geschenkt, im zweiten ein Rubinarmband und im dritten eine dreireihige Perlenkette. Und jetzt? Nichts.“ Mit tränennassen Augen blickte sie Dany an. „Ich will keine Ehefrau sein, Dany. Mit einer Ehefrau langweilt er sich sichtlich. Ich will seine Liebste sein.“

Dany bedeutete ihrer Schwester aufzustehen, damit sie ihr aus dem Kleid helfen konnte. „Ich erinnere mich, wie du um ein Haar die Hochzeit abgesagt hättest.“

„Das war allein Dexters Schuld“, beteuerte Marietta, ging ein wenig in die Hocke, reckte die ausgestreckten Arme über den Kopf und ließ sich von Dany das Kleid ausziehen. „Und wir reden nicht darüber.“

Dany hielt das Kleid behutsam am Halsausschnitt und reichte es durch die kleine Lücke im Vorhang weiter, im festen Vertrauen darauf, dass die Schneiderin dort stand, um es in Empfang zu nehmen (und zu lauschen). Nein, sie redeten nicht über das, was Dex gesagt hatte, nicht, seit ihr Vater ihm angedroht hatte, ihn zu enterben, falls er etwas tat, was seine Schwester um einen reichen, heiratswürdigen Earl brachte.

Oliver Oswald, Earl of Cockermouth. Diese Worte hatte Marietta mindestens zweihundert Mal in ein altes Schulheft geschrieben, zusammen mit Marietta Foster Oswald, Ihre Ladyschaft Countess Cockermouth. Sie war so stolz gewesen, bis zu dem Moment, als Dex ihr eine anzügliche Definition dieses Namens ins Ohr geflüstert hatte, wie Jugendliche sie sich gern ausdenken und über die sie kichern können.

„Oliver hat mir alles erklärt“, sagte Marietta jetzt und schlüpfte in das geblümte Musselinkleid, das sie für ihren Einkaufsbummel auf der Bond Street gewählt hatte. „Der Name leitet sich von der Lage der stolzen, alten Stadt …“

„… an der Mündung des Flusses Cocker in den Fluss Derwent ab. Ja, ich weiß. Papa hat es mich auswendig lernen lassen. Und er hat mir einen hübschen Ring mit einer Perle geschenkt, als ich ihm versprochen habe, dich nicht mehr …“

„Du hast es versprochen!“

Dany hob beschwichtigend die Hände. „Ich war erst vierzehn und noch bedauerlich unschuldig und weltfremd und wusste nicht, was ich sagte. Wofür du, wie ich oft genug betont habe, Mama die Schuld geben kannst, nicht mir. Lege jetzt deine Rüstung an und lass uns nach Hause gehen. Wir stecken die Köpfe zusammen und suchen eine Möglichkeit, wie wir dir aus der Patsche helfen können, in die du dich im Namen der Rache so unbekümmert gestürzt hast.“

Marietta streifte sich ihre Handschuhe über und strich sie sorgfältig, Finger für Finger, glatt. „Ich hätte es ihr nie sagen dürfen“, schalt sie sich selbst. „Was um Gottes willen war in mich gefahren, dass ich glaubte, sie könnte mir irgendwie helfen?“ Trotzdem wirkte sie, wieder ausgerüstet mit Handschuhen und Hut, nach außen hin wie der Inbegriff der Ruhe und trug das, was Dany das „blasierte Gesicht“ ihrer Schwester nannte, auf ihren feinen Zügen zur Schau. Ihr Gesicht, das besagte: „Wisst ihr, ich bin eine Countess“. Wäre Marietta nicht so hinreißend schön gewesen, und hätte Dany sie nicht so sehr geliebt, dann hätte sie gelacht.

„Alles wird gut, Mari. Alles wird gut, ich verspreche es dir.“

„Hm, hm.“ Der Laut war nicht nur ein höfliches Räuspern, sondern darüber hinaus erfüllt von Andeutungen, vielleicht sogar Hoffnung. Dany wollte es zumindest glauben.

Beide junge Frauen drehten sich nach der Stimme um und sahen, dass die ältliche Schneiderin den Ankleideraum wieder betreten hatte.

Lady Cockermouth hob das Kinn. „Ich dachte, wir wollten nicht gestört werden. Doch da wir unsere Angelegenheiten hier erledigt haben, können Sie mir die Kleider, wenn sie fertig sind, einfach bringen lassen, und wir verabschieden uns jetzt.“

Marietta, verlegen und überrumpelt, bemühte sich um ein hochnäsiges Auftreten, in der Absicht, die Schneiderin dadurch, dass sie die Grande Dame spielte, nachdrücklich in ihre Schranken zu weisen. So typisch für sie und so falsch, zumindest nach der Meinung ihrer Schwester. Dany hielt sich selbst nicht für so hirnlos. Viel besser, sogar sicherer wäre es gewesen, das Mitgefühl der Frau auszunutzen.

Nicht zu vergessen das „Hm, hm“. Die Frau brannte unübersehbar darauf, irgendetwas zu erfahren.

„Mrs. Yothers, so heißen Sie doch? Wollten Sie Lady Cockermouth womöglich etwas mitteilen?“

„Was sollte sie mir denn wohl …“

„Mari, du hast eine Falte in deinem rechten Handschuh“, fiel Dany ihr ins Wort, wohl wissend, dass ein solcher Makel das Einzige war, was Marietta zum Schweigen bringen konnte. Sie verabscheute Falten im Handschuh, und deshalb trug sie sie so eng, dass sie ihr das Blut abschnürten. „Mrs. Yothers?“

„Ja, Miss, Mylady. Ich bitte aufrichtig um Verzeihung. Aber um zu gewährleisten, dass Sie, zwei feine Damen, nicht gestört wurden, habe ich mir herausgenommen, Ihre Zofe nach draußen zu schicken und selbst vor dem Vorhang Stellung zu beziehen. Ich hätte mir schon die Ohren zuhalten müssen, um nicht mitanhören zu müssen, dass Ihre Ladyschaft gewissermaßen in der Klemme steckt.“

„Ich stecke nicht …“

„Oh, ich habe mich geirrt, es ist keine Falte. Sieh nur, Mari, ich glaube, du hast dir einen Schmutzfleck eingehandelt. Bitte fahren Sie fort, Mrs. Yothers.“

„Ja, Miss. Und da wir hier unter uns Frauen sind, Sie mitgezählt, junge Miss, und angesichts der Tatsache, dass das arme Schätzchen schwanger ist …“

„Ich bin nicht …

„Hier, Mari, vergiss deinen Pompadour nicht.“ Dany stieß ihre Schwester mit dem Ding in den Bauch, sodass diese kaum noch Luft bekam. Und glücklicherweise den Mund hielt. „Mrs. Yothers? Was wollten Sie sagen?“

Die Schneiderin warf einen mitleidigen Blick auf Marietta. „Ich weiß noch, wie es mir beim ersten Mal ergangen ist. Es wird besser, Mylady, im Lauf der Monate. Das heißt, bevor es wieder schlimmer wird, aber das ist dann ziemlich schnell vorbei, und Sie können wieder tun, was Sie überhaupt erst in diese Umstände gebracht hat. Aber um das zu sagen bin ich nicht gekommen. Ich glaube, Ihre Ladyschaft, was Sie im Augenblick benötigen, ist ein Held.“

Dany verdrehte die Augen. Das hatte dieses „Hm, hm“ bedeuten sollen? Wie deprimierend. „Ein Held, Mrs. Yothers? Welch großartige Idee. Wissen Sie vielleicht auch, wo wir einen Helden auftreiben können?“

Die Frau griff lächelnd in ihre Schürzentasche und zog ein zerknittertes, eselsohriges Büchlein heraus. „Ja, ich weiß es. Bitte schön, Miss. Sie können es behalten, denn ich kenne es sowieso längst auswendig, und wenn ich zum Tee hinauf in meine Wohnung gehe, wartet dort schon ein neues auf mich. Wie ich höre, ist es sogar noch besser als das erste.“

Dany las bereits den Titel auf dem Umschlag: Die Chroniken eines Helden.

„Eines Helden? Aber, Mrs. Yothers, das hier ist doch sicherlich eine erfundene Geschichte? Dieser Mann, dieser …“ sie blickte noch einmal auf den Umschlag „… Seine Lordschaft Cooper McGinley Townsend? Der ist doch genauso fiktiv wie Mr. Darcy bei Miss Austen.“

„Noch vor einer Stunde ist er mir ganz passabel real vorgekommen, als er und sein Begleiter vorbeistolziert sind. Er hat gesehen, wie eines meiner Mädchen ihn aus dem Fenster mit großen Augen anschaute, und hat den Hut vor ihr gezogen. Tatsächlich. Ein wahrer Gentleman. Jeder kennt ihn, Miss. Der tapferste Mann mit dem reinsten Herzen unter der Sonne, stets darauf bedacht, anderen Menschen aus ihren Schwierigkeiten zu helfen, besonders hübschen jungen Damen. Prinny höchstpersönlich hat ihm einen Titel verliehen und einen Landsitz geschenkt. Hier höre ich unentwegt von ihm, Miss. Er ist für alle Damen ein Held, und manchmal stellen sie ihm ganz schrecklich nach, dem armen Mann.“

Dany senkte den Blick wieder auf den Buchumschlag. Welch ein lächerliches Bild. So sah doch kein Mann aus, zumindest nicht im wahren Leben. Aber wenn doch …

„Dany? Daniella, um Himmels willen, was starrst du da so an?“

„Ich starre nichts an“, antwortete Dany hastig, klappte das Büchlein zu und schob es in ihre Tasche. „Ich habe überlegt. Mrs. Yothers, vielleicht haben Sie recht. Mari, wollen wir gehen? Ganz herzlichen Dank, und Lady Cockermouth kommt ganz bestimmt nächste Woche oder schon früher noch einmal zu Ihnen, um mindestens ein weiteres halbes Dutzend neuer Kleider zu bestellen, von denen allerdings vier für mich bestimmt sein werden.“

„Wie bitte?“ Doch nicht einmal Marietta war dermaßen begriffsstutzig. „Ach ja. Ja, wirklich. Und Hüte. Und … und Halstücher. Ich liebe Halstücher. Sie wissen schon, die wehenden, durchsichtigen. Und … Und …“

Ein kleiner Junge beeilte sich, ihnen die Tür zur Straße zu öffnen, und Dany nahm ihre Schwester beim Ellenbogen, bereit, sie notfalls aus dem Geschäft zu zerren, bevor sie den Earl ruinierte. „Mrs. Yothers hat verstanden, nicht wahr, Mrs. Yothers? Und sie ist hocherfreut, dich zu ihren Kundinnen zählen zu können.“

Die Schneiderin errötete und knickste ein paarmal in rascher Folge. „Ja, wirklich, Miss. Wie mein Sohn immer sagt: kein Wort darüber.“

„Vielen Dank. Mari, wir sollten jetzt gehen.“

„Wir hätten schon lange gehen sollen“, sagte ihre Schwester. Die Zofe erhob sich von einer Bank vor dem Geschäft und folgte ihnen in drei Schritten Entfernung. „Wir hätten gar nicht herkommen sollen, nicht in meinem heiklen Zustand, und dich mit deinem losen Mundwerk hätte ich schon gar nicht mitnehmen sollen. Da siehst du, wohin mich das gebracht hat: Jetzt bin ich Mrs. Yothers verpflichtet.“

„Wenn sie recht hat, ist sie jeden Penny wert, und eigentlich weiß sie überhaupt nichts. In erster Linie war sie nett zu uns, weil du schwanger bist.“

„Ich bin nicht … Ach, zum Teufel damit. Sag mir, was dir durch den Kopf geht, Dany, auch wenn es mir bestimmt nicht gefällt und ich es nicht akzeptieren werde. Mama hat dich unter meinen Schutz gestellt, vergiss das nicht.“

„Die Antwort liegt auf der Hand, Mari. Was passiert ist, kannst du nicht ungeschehen machen, und ich habe weiß Gott keine Ahnung, wie ich es aus der Welt schaffen soll. Aber ein Held? Ein moralisch aufrechter Mann, ein großherziger Mann, herrlich gut aus … gutmütig. Ich finde, wir sollten ihn um Hilfe bitten.“

„Denk nicht einmal daran“, sagte Marietta mit zitternder Stimme. „Der arme Mann wird belagert von allen möglichen Damen der vornehmen Gesellschaft. Jung, alt, heiratsfähige Mädchen und ihre Mamas, verheiratete Frauen: Alle sind Tag und Nacht hinter ihm her. Oliver hat mir gesagt, dass der Mann sogar aus London flüchten musste, um ihrem Flirten und Drängen und der peinlichen Aufdringlichkeit zu entkommen. Laut Mrs. Yothers ist er jetzt zurück, und bestimmt machen die Damen sich wieder ganz und gar zu Narren. Ich könnte unmöglich so dreist sein.“

Und da war auch schon das Lächeln, das in ihrer Familie wohl tausendmal für ein angespanntes Zittern gesorgt hatte. „Schon gut, Mari, denn ich könnte es. Ich freue mich sogar darauf.“

„Dany, wag es nicht! Ach, was rede ich? Natürlich wagst du es. Aber du darfst es nicht, Daniella. Du darfst es einfach nicht!“

„Warum nicht? Ich weiß wenigstens seinen Namen, während du dir nicht einmal die Zeit genommen hast, ihn herauszufinden, als du Oliver mit deinem unbekannten Lothario bestraft, deinen Ruf aufs Spiel und sogar diese gefährlichen Briefe namentlich unterschrieben hast. Du hättest nicht einfach ‚dein geliebtes Schätzchen‘ oder etwas ähnlich Schwülstiges und Anonymes kritzeln können?“

„Das wäre doch albern gewesen. Er kannte meinen Namen längst.“

„Genau. Du hättest deine Briefe überhaupt nicht unterschreiben müssen. Ach, fang nicht wieder an zu weinen. Ich weise dich nur auf das Offensichtliche hin. Und jetzt lass mich mal weiter überlegen, wie ich mich deinem Helden nähern könnte.“

„Der Baron ist nicht mein Held, und du wirst dich unterstehen, ihn wie einen Fuchs aufzustöbern. Das kann ich nicht zulassen. Ich sage es noch einmal. Mama hat dich hergeschickt, damit du dich auf die Saison vorbereitest. Ich soll dich einweisen und dir als gutes Beispiel vorangehen.“

„Und bisher hast du Hervorragendes auf diesem Gebiet geleistet“, entgegnete Dany grinsend. „Regel Nummer eins. Ich weiß jetzt, dass ich niemals alberne Briefchen mit einem unbekannten Mann austauschen darf. Als hätte ich es nicht schon vorher gewusst.“

Seit sie zwölf Jahre alt war, hatte Marietta wohl nicht mehr so wirkungsvoll geschmollt. „Ein einziger Fehler. Ich habe einen einzigen, weitgehend harmlosen Fehler gemacht.“

„Und Oliver trägt zumindest zur Hälfte die Schuld daran. Womöglich mehr, da ja Schmuck im Spiel war. Ich erinnere mich. Siehst du? Lektion zwei ist verstanden. Wenn Schmuck im Spiel ist, gibt es eventuell Ausnahmen von Regel eins.“

„Du machst dich über mich lustig.“

„Und es macht mir riesigen Spaß. Und außerdem bin ich ein bisschen aufgeregt, auch das gebe ich zu, zumal ich geglaubt habe, ich würde mich in London zu Tode langweilen. Was schlägst du vor, Mari, wie wollen wir vorgehen? Hätten wir die Adresse des Barons, könnte ich ihm einfach einen förmlichen Brief schreiben und ihn bitten, sich wegen eines dringenden persönlichen Problems im Zusammenhang mit der Tugendhaftigkeit einer unschuldigen Frau mit mir zu treffen. Oder meinst du, ich hätte bessere Chancen, wenn ich öffentlich an ihn herantrete, im Theater vielleicht oder auf einer der Partys, die wir diese Woche besuchen müssen?“

Sie griff in ihre Tasche und zog das Büchlein heraus. Ehrlich gesagt, sie hätte das Titelbild stundenlang ansehen mögen, nur um in diese eindringlichen grünen Augen zu blicken. „Ich glaube, ich würde ihn erkennen, wenn es mir gelingen würde, ihm rein zufällig über den … Oh!“

3. KAPITEL

Ach, um Himmels …“ Unwillkürlich packte Baron Cooper Townsend die junge Frau bei den Schultern. Er hatte sie beobachtet, wie sie sich auf ihrem Weg über den Gehsteig an den Arm ihrer Begleiterin klammerte. Die beiden schwatzten wie die Elstern und hatten für ihre Umgebung keinen Blick übrig.

Er glaubte, in der Größeren die Countess of Cockermouth zu erkennen, war sich aber nicht sicher. Außerdem war es die andere junge Dame, die irgendwie seine Aufmerksamkeit auf sich zog, aus dem einfachen Grunde, weil sie existierte.

Und dann war sie offenbar gestolpert und ihm nahezu in die Arme gefallen.

„Sieh an, sieh an, Coop, was du da gefunden hast“, scherzte sein Freund Darby, der so ziemlich jeder Situation etwas Amüsantes abgewinnen konnte. „Oder sollte ich sagen, sieh an, was dich gefunden hat? Ich habe nicht mehr mitgezählt. Ist das die Vierte? Zwei auf dem Weg die Straße hinunter und noch einmal zwei auf unserem Rückweg? Gott sei’s geklagt, unseren englischen Damen mangelt es bedauerlich an Fantasie wie auch an Gleichgewichtssinn.“

Cooper beachtete den Mann gar nicht, sondern konzentrierte sich auf das kleine, zu ihm erhobene Gesicht und die riesigen indigoblauen Augen, die ihn fixierten. Es waren vielleicht die ungewöhnlichsten und faszinierendsten Augen, die er je gesehen hatte; sie verschlangen ihn nahezu, was ihn überraschte und ihm den Atem raubte.

Das behagte Baron Townsend nicht. Dem vernünftigen Baron Townsend. Stand seine Welt nicht schon zur Genüge Kopf, ohne dass der Summe seiner Leiden noch unverhoffte Anziehungskraft hinzugefügt wurde?

Trotzdem sah er hingerissen zu, wie diese Augen, quasi Spiegel ihrer Seele, ihm jeden ihrer Gedanken, alle rasch ineinander übergehende Gefühle verrieten. Großäugiger Schreck. Verlegene Unschuld. Fragen. Erkennen. Belustigung, beinahe, als würde sie über die Situation lachen, vielleicht sogar über ihn. Nein, das war doch nicht möglich.

„So wörtlich habe ich es gar nicht gemeint, aber es kommt doch sehr gelegen“, sagte sie wie zu sich selbst, und ihr Lächeln haute ihn beinahe um. Verdammt, er hatte tatsächlich Belustigung in ihren Augen gesehen, und ganz eindeutig auf seine Kosten.

Wunderbar. Nicht genug damit, dass sie ihn jagten. Musste diese hier die Verfolgungsjagd auch noch lustig finden?

„Ist alles in Ordnung, Miss?“, fragte er gepresst und hielt sie immer noch an den Oberarmen fest. Denn diese Phrase schien die erforderliche Gesprächseröffnung bei diesen ermüdenden Begegnungen zu sein. „Haben Sie sich womöglich den Knöchel verstaucht und benötigen meine Hilfe?“

„Ich bin offenbar über einen Pflasterstein gestolpert. Wie nachlässig von mir, nicht darauf zu achten, wohin ich meine Füße setze. Nein, ich glaube nicht, dass ich verletzt bin.“ Ihre Stimme, ziemlich tief und rau für ein so kleines Ding, überraschte und faszinierte ihn noch mehr, und zwar sehr gegen seinen Willen. „Jedenfalls nicht so richtig. Aber wären Sie so freundlich, mir zu jener Bank dort drüben zu helfen?“

Diese Augen, diese Stimme, die einzigartige Farbe des bisschen Haars, das zu sehen war, der Alabaster-Teint im Kontrast zu diesen Augen und ein hübsch geschwungener rosa Mund. So viel Gefahr in einem so kleinen Päckchen.

Du hast sie gegrüßt, Coop, ermahnte er sich. Jetzt verabschiede dich.

„Lieber nicht. Warum hüpfen Sie nicht?“, hörte er sich selbst sagen und ließ sie los.

Und verflucht wollte er sein, wenn sie nicht auf der Stelle seitlich wegzukippen drohte, sodass er sie in seinen Armen auffangen musste, damit sie nicht auf dem Gehsteig zusammenbrach.

„Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie sich den Knöchel verletzt haben?“, fragte er, als er sie zu der Bank vor einem Hutmachergeschäft trug. Direkt hinter ihm erkundigte ihre Begleiterin sich: „Dany, fehlt dir etwas?“

„Ich sagte doch, ich bin nicht verletzt, nicht so richtig. Ich habe Sie um Hilfe gebeten, schon vergessen? Sehen Sie, anscheinend habe ich den Absatz meines Schuhs verloren.“ Die Schönheit mit dem unpassenden Namen Dany hob das rechte Bein, um den beschädigten Schuh zu zeigen (und ihm kurz den erfreulichen Anblick eines wohlgeformten Knöchels zu gewähren). Sie blickte Coop an, und in ihren Augen stieg wie ein Sonnenaufgang das Verstehen auf. „Sie haben mir nicht geglaubt. Werden Sie häufig auf der Straße von bewundernden und hoffnungsvollen Frauen angefallen, Lord Townsend?“

Coop straffte die Schultern. „Demnach wissen Sie, wer ich bin?“

Autor

Kasey Michaels
Als Kasey Michaels ihren ersten Roman geschrieben hatte, ahnte sie noch nicht, dass sie einmal New York Times Bestseller-Autorin werden würde. Und es hätte sie auch nicht interessiert, denn damals befand sie sich in der schwierigsten Phase ihres Lebens: Ihr geliebter achtjähriger Sohn benötigte dringend eine Nieren-Transplantation. Monatelang wachte sie...
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