Spielen Sie nicht mit mir, Mylord!

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"Warum schlugen Sie die Wette vor?" Er beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt und blickte auf sie herab. Eine goldblonde Locke fiel ihm in die Stirn, die sie ihm liebend gerne nach hinten gestrichen hätte. "Können Sie sich das nicht denken?" Ungeheuerlich! Eine Woche soll Sophie in der Gesellschaft des kaltherzigen Duke of Ware verbringen, um ihre Spielschulden zu begleichen. Wie konnte sie sich nur darauf einlassen? Ihr Ruf ist ruiniert! Sophies Entschluss steht fest: Niemals wird sie sich diesem Mann beugen! Doch ein Blick in Wares blaue Augen setzt ihr Herz in Flammen. Ist der attraktive Edelmann gar nicht so gefühllos, wie sie dachte? Wie lange wird sie seinen Verführungskünsten noch widerstehen können? Doch auch wenn seine starken Arme höchste Glückseligkeit versprechen, weiß sie: Mehr als eine Nacht der Leidenschaft kann es für sie nicht geben!


  • Erscheinungstag 23.04.2019
  • Bandnummer 339
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736569
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

1807

Kurz nach der Teestunde ging ein Raunen durch die Räume von Mrs. Uptons Mädchenpensionat. Eine neue Schülerin war eingetroffen, offenbar aus angesehener und wohlhabender Familie. Ein Mädchen hatte einen Blick auf die wartende Karosse vor der Pforte geworfen, ein vornehmes schwarzes Gefährt mit goldenem Wappen am Wagenschlag, und umgehend machte aufgeregtes Getuschel die Runde: Es musste sich um die verwöhnte Tochter eines Dukes handeln, vielleicht sogar um eine ausländische Prinzessin.

Die Mädchen irrten sich. Die zwölfjährige Sophie Graham war ein Waisenkind, Enkelin von Viscount Makepeace, weder ein Duke noch ein ausländischer Würdenträger. Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft in seinem düsteren Herrenhaus in Lincolnshire hatte er beschlossen, sie in ein Internat abzuschieben. Nun stand Sophie in Mrs. Uptons Kontor und hörte stumm zu, wie ihr Großvater die Direktorin zu überreden versuchte, sie zu behalten.

„Während des Schuljahrs nehmen wir keine neuen Schülerinnen bei uns auf“, erklärte Mrs. Upton, eine mittelgroße Frau, modisch gekleidet in gedeckten Farben, ohne schmückenden Zierrat, die keine Scheu vor Makepeace zu haben schien, wofür Sophie sie augenblicklich respektierte.

„Sie müssen sie aufnehmen. Beide Eltern starben an irgendeinem Fieber.“ Er starrte Sophie finster an, die seinem Blick ausdruckslos begegnete. „Sie haben ihr nichts hinterlassen, und nun habe ich sie am Hals. Sie braucht weibliche Führung und eine anständige Berufsausbildung.“

„Sir, wir sind ein Internat für höhere Töchter“, erwiderte Mrs. Upton mit Nachdruck. „Wir unterrichten unsere Schülerinnen nicht in Hinblick auf irgendeinen Broterwerb, sondern in den schönen Künsten und in gutem Benehmen …“

Makepeace wischte ihren Einwand beiseite. „Es ist mir egal, was Sie ihr beibringen. Sie ist ein Wildfang und wurde von ihren Eltern sträflich vernachlässigt. Ich kann das ungezogene Gör nicht gebrauchen.“

Die Schuldirektorin sah Sophie an, die keinen Mucks von sich gab. Sie war kein Wildfang, und ihre Eltern hatten sie nicht vernachlässigt. Aber sie wollte unbedingt von Mrs. Upton aufgenommen werden und schwieg wohlweislich zu den gehässigen Lügen ihres Großvaters. „Mylord, unsere Schülerinnen kommen aus den besten Familien. Unsere Reputation stützt sich auf meine Garantie, dass jede unserer Schülerinnen von untadeligem Charakter und Benehmen ist, um von unseren Lehrkräften aufs Beste für ihr zukünftiges Leben vorbereitet zu werden.“

Der Viscount stieß ein höhnisches Lachen aus. „Verstehe! Mein Sohn brannte mit einer Opernsängerin durch – zu allem Überfluss auch noch Französin! Ist es das, was Sie wissen wollen? Vornehmes Blut mischt sich niemals mit gemeinem Volk. Zugegeben, das Mädchen ist verwildert, daran gibt es nichts zu deuteln. Aber sie trägt meinen Namen, und das, Madam, schlägt jedes Ihrer Argumente.“ Er ließ den Blick mit sichtlicher Verachtung durch den bescheiden eingerichteten Raum schweifen. „Ihr Institut wurde mir empfohlen, und ich möchte die Angelegenheit möglichst schnell hinter mich bringen. Nennen Sie Ihren Preis.“

Mrs. Upton hatte seine Tirade mit unbewegter Miene über sich ergehen lassen, doch nun richtete sich ihr Augenmerk mit wacherem Interesse auf Sophie. Vermutlich wegen der letzten Worte des Viscounts, was Sophie ihr nicht verübelte. Im Gegenteil, sie hoffte, Mrs. Upton würde ihm eine sehr hohe Summe nennen. Makepeace würde es sich einiges kosten lassen, sie loszuwerden, was er ihr in den drei Wochen, die sie sich nun schon in seinem Haus aufhielt, deutlich zu spüren gegeben hatte. Dafür hasste sie ihn gründlich und hätte sich ins Fäustchen gelacht, wäre er von der Institutsleiterin um seinen letzten Penny gebracht worden.

„Dreißig Prozent, Mylord“, sagte Mrs. Upton. „Für dreißig Prozent über unserem üblichen Schulgeldsatz könnte ich einen Platz für sie einräumen.“

„Abgemacht.“ Makepeace griff nach seinem Spazierstock und wuchtete sich aus dem Sessel. „Ihr Gepäck ist draußen im Wagen.“

„Möchten Sie unser Haus besichtigen?“

„Nein.“ Der Viscount stapfte aus dem Haus, wo Sophies kleine Reisetasche bereits abgeladen neben seiner Karosse auf dem Kiesweg stand.

Makepeace zog mit finster zusammengezogenen weißen Augenbrauen seine Handschuhe an. „Ich bezahle deine Studiengebühren bis zu deiner Volljährigkeit und keinen Tag länger“, knurrte er Sophie an. „Ich rate dir, lerne was Anständiges, weil ich keine weitere Verantwortung für dich übernehme.“

„Ich habe nicht darum gebeten.“ Sie hob das Kinn und begegnete seinem Blick unverwandt. „Leben Sie wohl.“

Er starrte einen Moment auf sie herab, bevor er verächtlich schnaubte. „Ein eingebildetes kleines Ding, wie? Völlig grundlos. Würdest du nicht meinen Namen tragen, wärst du mir genauso gleichgültig wie deine Mutter.“ Der Viscount stieg in seine Kutsche und schnauzte den Kutscher an, loszufahren. Der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Lord Makepeace warf keinen Blick zurück.

„Kommen Sie, Miss Graham“, sagte Mrs. Upton in das betretene Schweigen. In ihrer Stimme schwang ein mitleidiger Unterton, der Sophie nicht neu war. Aber aus ihrem Mund hörte es sich aufrichtig an. „Ihr Großvater wird milder gestimmt sein, wenn Sie sich bemühen und fleißig lernen.“

„Das wird nicht geschehen. Was ich auch tue, nichts wird seine Zustimmung finden. Ich bin froh, dass er fort ist.“ Sie blickte der Kutsche nach, bis sie durch die hohen Eisentore fuhr und verschwand. „Ich hätte nichts dagegen, wenn er Straßenräubern in die Hände fiele und erschossen würde.“ Sie heftete den Blick auf die entsetzte Schulleiterin. „Vielen Dank, dass Sie mich aufgenommen haben, Madam. Ich verspreche, eine gute Schülerin zu sein.“ Sie sank in einen formvollendeten, tiefen Knicks, einer russischen Primaballerina würdig – und genau die hatte ihn ihr beigebracht.

Mrs. Upton führte sie ins Haus und schickte nach Miss Eliza Cross und Lady Georgiana Lucas. „Sie teilen sich ein Zimmer mit den beiden Schülerinnen“, erklärte sie. „Zwei liebenswürdige und wohlerzogene junge Damen.“

„Sind sie in meinem Alter?“ Die Antwort interessierte sie brennend, da sie bisher kaum eine Chance gehabt hatte, sich mit gleichaltrigen Mädchen anzufreunden.

„Beide gehen in die zweite Klasse. Die Mädchen Ihres Alters besuchen die vierte Klasse. Da ich Ihren Bildungsstand nicht kenne, halte ich es für angebracht, Sie tiefer einzustufen.“ Sie bedachte Sophie mit einem zweifelnden Blick. „Ich nehme an, Sie haben bereits einen gewissen Bildungsstand, Miss Graham?“

„Ja, Madam.“ So tief eingestuft zu werden, versetzte Sophie einen Stich, dennoch unterließ sie es, die Schulleiterin davon in Kenntnis zu setzen, dass sie fließend Französisch und ziemlich gut Italienisch sprach, dass sie Mathematik und Geographie liebte, Ballettunterricht genommen hatte und seit ihrem vierten Lebensjahr Klavier spielte. Sie wollte die Anerkennung aller in diesem Internat gewinnen und dachte, es könne nicht schaden, mit ein paar angenehmen Überraschungen aufwarten zu können.

Lady Georgiana erschien als Erste, hochgewachsen wie Sophie, blond und zartgliedrig. Miss Cross eilte hinter ihr her, atemlos und ein wenig erhitzt. Sie war kleiner und molliger als Lady Georgiana und neben deren Schönheit ziemlich unscheinbar. Sophie begrüßte beide mit einem freundlichen Lächeln. „Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte sie. „Ich hoffe, wir werden Freundinnen.“

Miss Cross lächelte unsicher, und Lady Georgiana musterte sie skeptisch, was Sophie ihr nicht ankreidete. An Georgianas Stelle hätte sie nicht anders reagiert. Allerdings vertraute Sophie darauf, mit dem Charme ihres Vaters und der Beharrlichkeit ihrer Mutter die Sympathien der beiden Mädchen zu gewinnen.

Ihr blieb keine andere Wahl. Unter keinen Umständen würde sie nach Makepeace Manor zurückkehren, wo ihr misanthropischer Großvater ein strenges Regiment führte. Ihr bisheriges junges Leben hatte sie in den Metropolen Europas verbracht, wo ihre Mutter an großen Opernhäusern gesungen hatte. Der plötzliche Tod ihrer Eltern hatte diesem unbeschwerten, wenn auch unsteten Leben ein schlagartiges Ende gesetzt und sie der Gnade eines lieblosen Großvaters ausgeliefert, der entschlossen war, seine Enkelin für alle Sünden und Fehltritte ihrer Eltern büßen zu lassen. Sophie war bald zur Überzeugung gelangt, dass der Tod ihres Vaters sein größter Fehler war, da er den Viscount in seinem letzten Willen zu ihrem Vormund bestimmt hatte. Hätte Makepeace einen Weg gesehen, den letzten Willen seines Sohnes anzufechten und sie völlig aus seinem Leben zu verbannen, hätte er es getan. Sie in ein Internat zu stecken war die zweitbeste Lösung.

Das Leben im Mädchenpensionat war zwar weniger aufregend, als ständig durch Europa zu reisen, bot ihr allerdings etwas, was Sophie bisher nicht kannte: ein beständiges Zuhause. Auf der endlos langen Fahrt hatte Makepeace ihr eröffnet, sie habe auch die Ferien im Internat zu verbringen, falls sie nicht von den Eltern einer Mitschülerin eingeladen wurde. Sophie hatte nichts dagegen, die Ferien in der Schule zu verbringen, aber sie sehnte sich nach Freundinnen.

Eliza und Lady Georgiana erschienen ihr ziemlich vielversprechend. Eliza war schüchtern und liebenswürdig, ein junges Mädchen, das beständig und treu zu sein versprach. Lady Georgianas sprühendes Wesen erregte allseits Bewunderung. Sophie fand bald heraus, dass Eliza das einzige Kind eines wohlhabenden, allerdings wenig einflussreichen Mannes war, während Georgiana, die wesentlich jüngere Schwester des Earl of Wakefield, einer der vornehmsten Familien Englands entstammte.

Nach dem Abendessen zogen die Schülerinnen sich in ihre Zimmer zum Lernen zurück. Sophie las in ihrem Französischbuch – die Sprache ihrer Mutter – und stellte erleichtert fest, dass sie zumindest in diesem Fach nichts zu befürchten hatte. Dann wurde sie auf das Flüstern ihrer Zimmergenossinnen aufmerksam.

„Versuch es noch einmal“, drängte Georgiana. „Du kannst es lernen.“

„Ich bemüh mich ja“, entgegnete Eliza und stöhnte gequält. „Ich kann es einfach nicht …“

„Geht es um Kopfrechnen?“, fragte Sophie und spähte in das vor ihnen liegende Rechenheft.

„Es fällt mir so schwer“, flüsterte Eliza zerknirscht.

Sophie lächelte. „Ich kann dir helfen.“ Sie kramte in ihrer Reisetasche und holte ein Paket Spielkarten hervor.

Lady Georgiana ließ die Brauen in die Höhe schnellen. „Ein Glücksspiel?“

Sophie zuckte mit den Schultern. „Es ist kein Glücksspiel, wenn man nicht um Geld spielt. Mit Karten kann man nämlich gut Kopfrechnen üben, addieren und subtrahieren und andere mathematische Disziplinen lernen.“ Sie verteilte einige Karten. „In diesem Spiel wird der Wert der einzelnen Karten addiert. Man rechnet im Kopf die Gesamtsumme aus und entscheidet, ob man noch eine Karte nimmt. Die Endsumme darf einundzwanzig nicht überschreiten.“

„Es schickt sich nicht für eine Dame, Karten zu spielen.“ Lady Georgiana setzte sich dennoch auf Sophies Bett und studierte die Karten.

„Tatsächlich?“ Sophie staunte. „In Paris spielen alle Damen. Und in London … mein Vater sagte, die einzigen Leute, die leidenschaftlicher Karten spielen als englische Ladies, sind englische Gentlemen.“

Lady Georgiana kicherte amüsiert. „Nein!“

„Aber ja.“ Sophie verschwieg, dass ihr Vater es wissen musste, da er mit allen Damen gespielt hatte. Als ihre Mutter ihre Stimme durch eine Mandelentzündung verloren hatte, war die Familie nach England zurückgekehrt, und Papa hatte seinen Charme und seinen aristokratischen Namen eingesetzt, um seinen Lebensunterhalt an den Spieltischen zu bestreiten. Ihre Mutter hatte ihn in der Kunst unterwiesen, sich den Anschein eines lässigen Spielers zu geben, dabei aber jeden Spielzug genau zu verfolgen.

Eliza rückte näher. „Kann ich damit tatsächlich Kopfrechnen üben? Es ist so kompliziert!“

„Na klar!“ Sophie deckte eine Kartenreihe auf. „Wie hoch ist der Wert dieser Karten? Zähle die Punkte zusammen.“

„Sechs“, sagte Eliza mit Blick auf die Herz Vier und die Kreuz Zwei.

„Und jetzt?“ Sie legte die Herz Sieben dazu.

„Dreizehn“, antwortete das Mädchen bedächtig.

„Gut! Und jetzt?“ Sie legte eine Karo Acht daneben.

„Zwanzig …?“ Eliza zögerte. „Einundzwanzig.“

„Sehr gut“, lobte Sophie.

„Das macht viel mehr Spaß als langweilige Zahlenreihen zu addieren“, erklärte Lady Georgiana begeistert. „Wo hast du das gelernt?“

„Bei meinem Vater.“ Sie bemerkte den Blickwechsel der Mädchen. „Meine Eltern sind gestorben“, fügte sie hinzu. „Mein Großvater will nichts von mir wissen und schickte mich hierher.“

„Wie schrecklich“, sagte Eliza.

Sophie brachte ein Lächeln zustande. Der Tod ihrer Eltern war schrecklich. Ihr Großvater war ein schrecklicher Mensch. Mrs. Uptons Mädchenpensionat war im Moment keineswegs schrecklich. „Ich bin lieber hier als bei ihm. Würdet ihr beide lieber zu Hause bei euren Eltern sein?“

„Na ja …“ Eliza wirkte betroffen. „Meine Mutter starb, als ich noch klein war. Mein Vater steckte mich ins Internat, damit eine Lady aus mir wird. Ich vermisse ihn, aber …“

„Mein Bruder wollte mich loswerden“, offenbarte Lady Georgiana bereitwillig. „Aber auch ich bin lieber hier. Er ist ein komischer Kauz, mein Bruder. Ich bin froh, dass er mich nicht bei sich haben will.“

Sophie schmunzelte. „Mrs. Uptons Internat für unerwünschte junge Damen.“

Georgiana lachte hell, und Eliza hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Wie furchtbar …“ Doch dann ließ sie sich zu Georgiana auf Sophies Bett fallen. Sophie deckte weitere Karten auf, und sie übten in heiterer Runde Zahlen addieren. Dann begann Sophie, den Mädchen die Spielregeln von Black Jack zu erklären und die Berechnung der Chancen. Elizas Zuversicht wuchs, und bald addierte sie beinahe so schnell wie Georgiana.

„Was würdest du mit diesem Blatt tun?“, fragte Sophie.

Eliza sah sich ihre Karten an, eine Kreuz Zehn und Herz Fünf. „Ich nehme noch eine, weil beinahe die Hälfte aller Karten einen Wert von sechs oder weniger haben?“

„Richtig! Du machst das sehr gut“, lobte Sophie, als plötzlich die Tür aufflog.

„Meine Damen!“, rief Mrs. Upton empört. „Was treibt ihr da?“

Eliza erbleichte, und Georgiana zuckte erschrocken zusammen. Alle drei Mädchen sprangen auf die Füße.

Mrs. Upton näherte sich im Sturmschritt und schlug den Zipfel der Decke zurück, den Sophie blitzschnell über die Karten geworfen hatte. „Glücksspiel“, entfuhr es ihr entrüstet. „Welch ungehöriges Benehmen!“

„Das ist kein Glücksspiel“, verteidigte sich Sophie. „Wir spielen nicht um Geld.“

Die Direktorin sah sie strafend an. „Eine Ausrede, die ich nicht gelten lasse. Glücksspiel ist nicht nur unmoralisch, es führt zu gesellschaftlich verwerflichem Umgang und birgt Gefahren für Ruf und Vermögen. Kein ehrbarer Gentleman wünscht eine Dame zu kennen, die dem Glücksspiel frönt, weil er darin ihre gefährliche Neigung zu einem lockeren Lebenswandel erkennt, und keine Verantwortung für ihre finanziellen Verluste zu tragen bereit ist.“

„Was ist, wenn sie gewinnt?“, murmelte Sophie.

Mrs. Upton warf ihr einen warnenden Blick zu. „Spieler, die so denken, verlieren letztlich. Die Verlockung zu gewinnen treibt die Menschen dazu, immer höhere Geldsummen zu riskieren, bis sie sich und ihre Familien in den Ruin getrieben haben. Wie sehen Sie die Chancen, jedes Spiel zu gewinnen, Miss Graham?“

Sophie sagte nichts. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Nächte, in denen Papa in düsterer Stimmung spät nach Hause gekommen war, weil er zu wenig gewonnen hatte.

„Spielsucht hat so manch rechtschaffenen Mann zerstört“, fuhr Mrs. Upton fort. „Gar nicht auszudenken wieviel schlimmer dieses Schicksal für eine Frau wäre. Denkt an meine Worte, Glücksspiel ist der sichere Weg ins Verderben. Lasst die Finger davon!“

„Ja, Madam“, flüsterte Eliza zerknirscht.

„Ja, Madam“, sagte Georgiana.

Mrs. Upton zog eine Braue hoch. „Miss Graham?“

Sophie versagte sich eine Widerrede. „Ja, Madam.“

Die Direktorin bedachte die drei Sünderinnen mit strengen Blicken. „Da Sie mit unserer Hausordnung noch nicht vertraut sind, Miss Graham, übe ich diesmal Nachsicht. Aber lassen Sie sich nicht noch einmal erwischen.“ Sie sammelte die Karten ein, drehte den Docht der Petroleumlampe herunter und ging.

„Dann muss ich Kopfrechnen eben mit einer anderen Methode lernen“, sagte Eliza seufzend, als die Mädchen in ihre Betten krochen. „Papa würde sich furchtbar aufregen, wenn Mrs. Upton ihm schreibt, dass ich Karten spiele. Er setzt alle Hoffnungen darauf, dass ich einmal einen Gentleman heirate, schon deshalb muss ich eine Dame werden. Wenn Zahlen einem Gentleman nur nicht so viel bedeuten würden …“

„Das stimmt nicht“, erklärte Georgiana von ihrem Bett her. „Kein Gentleman, den ich kenne, kann Zahlen ausstehen. Sie wollen nicht einmal mit ihrem Sekretär darüber reden, der die ganze Arbeit macht.“

„Ein harmloses Kartenspiel hat noch keinem geschadet. Wir haben doch nicht um Geld gespielt.“ Sophie schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel, dass Mrs. Upton nur ihr altes, abgegriffenes Kartenspiel konfisziert hatte und nicht Papas Spiel. Sie hätte wie eine Löwin gekämpft, um dieses Spiel zu behalten – wie um jedes andere Erinnerungsstück an ihre Eltern –, was ihren Hinauswurf zur Folge gehabt hätte, und sie wieder der Willkür von Lord Makepeace ausgesetzt gewesen wäre.

Beim Gedanken an ihre Eltern brach eine Woge der Trauer über sie herein. Vor vier Monaten waren sie noch am Leben und wohlauf gewesen, eine glückliche, wenn auch in bescheidenen Verhältnissen lebende, kleine Familie. Und dann war alles aus und vorbei gewesen. Schwindsucht, hatte der Doktor gesagt. Sophie könne von Glück reden, dass sie verschont geblieben sei.

Glück, wie sehr sie dieses Wort hasste.

Sophie zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen. Alles im Leben war eine Sache des Zufalls. Glücklichsein hing einzig und allein vom eigenen Bemühen ab, weil das Schicksal nur selten gütig oder großzügig war. Das hatte Sophie in frühen Jahren gelernt und würde es niemals vergessen. Auf sein Glück konnte man sich nicht verlassen.

„Aber Mrs. Upton würde keinen Mathematikunterricht geben, wenn junge Damen nicht davon profitieren würden“, beharrte Eliza, die nichts von Sophies innerem Aufruhr ahnte. „Irgendwie muss ich lernen, mit Zahlen umzugehen, obwohl ich inständig hoffe, dass ich keine Wahrscheinlichkeitsrechnungen lernen muss …“

Georgiana kicherte. „Es besteht nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass du einen gut aussehenden charmanten Ehemann findest, der dich wie eine Prinzessin auf Händen trägt, egal ob du dein Haushaltsbuch richtig führst oder nicht.“

„Das hoffe ich sehr“, meinte Eliza treuherzig. „Ich bin weder so hübsch wie du und nicht so klug wie Sophie, deshalb darf ich nichts aufs Spiel setzen.“

Sophie zog sich die Decke bis zu den Ohren hoch und dachte nach. Die einfache Tatsache, dass sie nicht nur klug, sondern auch bei ihrem Vornamen genannt wurde, erwärmte ihr das Herz. Sie war jetzt ganz allein auf der Welt, ohne Mama und Papa, mit einem Scheusal als Großvater und einer Verwandtschaft ihrer Mutter auf einem fernen Kontinent. Irgendwo in England existierte ein Onkel, vielleicht auch ein paar Cousins, die sie nicht kannte, und kein Mensch würde ihr je zu Hilfe kommen.

Sie hatte zwar keine Familie vorzuweisen, aber zwei Freundinnen wären ein guter Anfang. Und sie hatte das Gefühl, Eliza und Georgiana könnten dazu bestimmt sein, ihre Freundinnen zu werden.

1. KAPITEL

1819

London

Der Vega Club befand sich an einem seltsamen Ort in London. Versteckt in einer Sackgasse, unweit von St. James Square lag das Etablissement genau zwischen Mayfairs Reichtum und Eleganz und der Verkommenheit der Elendsquartiere Whitechapels. Man machte keinen Unterschied zwischen beiden Extremen. Jeder, ob Duke oder Dockarbeiter, Lady oder Straßendirne, konnte eine Mitgliedschaft erwerben. Es gab nur zwei Bedingungen, die alle Mitglieder zu erfüllen hatten.

Bezahle deine Schulden. Halte deinen Mund.

Es ging das Gerücht, dass die Mitglieder einen Eid ablegen mussten, nichts, was in den Räumen des Vega Clubs vorging, nach außen dringen zu lassen. Gerücht deshalb, weil niemand dies bestätigen wollte oder konnte. Direkt darauf angesprochen, behaupteten die Mitglieder, nichts davon zu wissen und wechselten eilig das Thema. Da selbst die beharrlichsten Klatschmäuler nicht auf ihre Kosten kamen und keine Details über den Spielklub erfuhren, wurde das Schweigegebot zu einer Art Mythos, ob es nun der Wahrheit entsprach oder nicht, was wiederum zur Folge hatte, dass alle möglichen Geschichten über die Vorgänge in diesem Klub im Umlauf waren.

Jack Lindeville, Duke of Ware, wusste über Vega bestens Bescheid. Der Klub lastete wie ein Fluch auf seinem Leben, wobei er die Räume nie betreten hatte. Sein jüngerer Bruder Philip und dessen Freunde, die den Spielklub frequentierten, luden ihn gelegentlich zu einem Besuch ein, was er strikt ablehnte. Er wusste, wieso er an ihren Spieltischen gern gesehen gewesen wäre, beileibe nicht wegen seines Charmes oder Esprits. Die jungen Herren, auch die mit großzügig bemessenen Einkünften, waren stets auf der Suche nach einem gut betuchten Gegenspieler, und Ware, wie Philip nicht müde wurde zu betonen, war einer der reichsten Aristokraten im Königreich.

Jack sah sich demnach als begehrtes Opfer von Philips Freunden mit leeren Taschen. Zu deren Leidwesen war er allerdings nicht so dumm, sich mit ihnen einzulassen, da er wusste, dass ein Mann mit einer einzigen Pechsträhne sein Leben ruinieren konnte.

Er verzog spöttisch die Mundwinkel, als seine Karosse auf der Fahrt in den Vega Club in die St. Martin’s Lane einbog. Ein dummes Missverständnis habe, wie Philip behauptete, seinen kürzlichen Verlust verschuldet. Die Kreuz Zwei, dabei hätte er lediglich eine höhere Karte als drei zum Sieg gebraucht. Philip war der Meinung, richtig gerechnet zu haben und behauptete, der Geber habe sich geirrt. Allerdings unterließ er es, ihn damit zu konfrontieren, um seine Mitgliedschaft nicht zu verlieren. Mit dem Ergebnis, dass er einen Schuldschein über nahezu zweitausend Pfund unterzeichnet hatte, den er nicht einlösen konnte.

Philip war zerknirscht, entschuldigte sich tausendmal, Jack um diesen Gefallen bitten zu müssen und versicherte, es werde nie wieder vorkommen. Ein Versprechen, das er bereits mehrfach in der Vergangenheit gegeben und nicht eingehalten hatte. Er hatte sich natürlich auch an seine Mutter um Beistand gewandt, die in heller Entrüstung in Jacks Arbeitszimmer gerauscht war und ihn beschworen hatte, die Schulden zu begleichen, um zu verhindern, dass Philip Demütigungen und übler Nachrede ausgesetzt sein würde.

Zunächst wollte Jack nichts davon hören. Philip habe sich das selbst zuzuschreiben, und wenn er Manns genug sei, einen hohen Schuldschein zu unterzeichnen, solle er auch Manns genug sein, seine Schulden zu begleichen. Aber seine Mutter flehte ihn an, appellierte an sein Gewissen, schmeichelte ihm, brach schließlich in Tränen aus und beschuldigte ihn, seine Familie schändlich im Stich zu lassen. Also hatte Jack klein beigegeben. Wenn die Duchess sich etwas in den Kopf setzte, war ihr mit keinem Gegenargument beizukommen.

Die Kutsche kam mit einem Ruck zum Stehen. Ein Diener öffnete den Wagenschlag, und Jack stieg aus. Er hatte sich ein letztes Mal bereit erklärt, für Philips Schulden aufzukommen, allerdings nicht ohne Bedingungen. Sein Bruder hatte dank seiner Mutter eigene Einkünfte und bezog Zuwendungen aus den Besitztümern der Familie Ware, die Jack seit nunmehr sieben Jahren verwaltete. Und er würde verdammt nochmal verhindern, dass die Früchte seiner harten Arbeit durch Philips Spielsucht den Bach hinuntergingen.

Mit finsterer Miene betrat er den Klub, wo ihn ein vierschrötiger Mann im tadellos sitzenden Abendanzug empfing. „Guten Abend, Sir. Kann ich helfen?“

„Ich wünsche Dashwood zu sprechen“, erwiderte Jack und überreichte seine Karte.

„Werden Sie erwartet?“

Jack lächelte dünn. „Mein Besuch kommt gewiss nicht ungelegen.“ Philip scheute sich nicht, mit dem Namen Ware hausieren zu gehen. Wenn Mr. Dashwood halb so geschäftstüchtig war wie sein Ruf, erhoffte er sich Jacks Besuch seit Philip den Schuldschein unterzeichnet hatte.

Der Geschäftsführer bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick. „Vermutlich nicht. Möchten Sie im Restaurant warten?“

Bei Gott, nein. Dort könnte er von einem Bekannten in ein Gespräch verwickelt werden. Jack wollte die leidige Angelegenheit rasch und ohne Aufsehen hinter sich bringen. „Ich warte hier“, entgegnete er in einem Ton, der deutlich machte, dass er nicht beabsichtigte, lange zu warten.

Der Mann verneigte sich. „Vielleicht wollen Sie sich die Zeit mit einer Partie vertreiben?“

Jack warf einen Blick über die Schulter des Mannes in den großen Spielsalon, der keineswegs aussah wie eine schummrige Spielhölle, sondern in seiner eleganten Einrichtung eher einem vornehmen Herrenklub glich … bis auf die Anwesenheit von Damen. Keine leichten, aufreizend gekleideten Mädchen, die sich an die Herren schmiegten, sondern Damen der Gesellschaft. Jack zog die Brauen hoch, als er Lady Rotherwood entdeckte, die mit drei Herren Whist spielte.

„Im Vega Club sind auch Damen willkommen“, erklärte der Mann, der Jacks Blick gefolgt war. „Für manche Herren mag das überraschend sein, allerdings wissen sie die Vorzüge zu schätzen.“

Jacks Lippen wurden schmal. Leichtfertige Damen konnten ebenso schnell ein Vermögen verlieren wie gedankenlose Gentlemen. „Ohne Zweifel.“ Er fragte sich, ob Philip auch hohe Beträge an Frauen verloren hatte, ohne sich Gedanken darüber zu machen. Verlorenes Geld war für ihn nur verlorenes Geld, nichts weiter.

Allerdings war Jacks Neugier geweckt. Damen spielten gegen Herren. Wie originell. Der Mann zog sich zurück, um Mr. Dashwood zu informieren, und Jack trat ein paar Schritte näher, um, abgeschirmt hinter Palmwedeln, den Salon in näheren Augenschein zu nehmen.

Er erkannte Angus Whitley und Fergus Fraser, zwei von Philips Bekannten an einem Tisch mit einem dritten Herrn und einer Frau in einem grellroten Kleid, die mit dem Rücken zu ihm saß. Ihr hochgestecktes, dunkles Haar entblößte einen hellen schlanken Nacken. Sie trug ein Halsband aus schwarzem Samt, dessen lose Enden einen Mann dazu reizen könnten, die Schleife zu lösen.

Jacks Blick verweilte auf ihr. Welche Frau hegte wohl den Wunsch, Mitglied in einem Spielklub zu sein? Eine ehrbare Frau würde ein solches Ansinnen rigoros von sich weisen. Lady Rotherwood war zwar eine Viscountess, stand allerdings im Ruf, leichtfertig zu sein. Zu welchen Bedingungen wurde man in den Klub aufgenommen? fragte er sich. Gab es Unterschiede zwischen Herren und Damen? Philip hatte immerhin seinen berühmten Namen und seinen entwaffnenden Charme vorzuweisen.

Whitley warf sein Blatt mit einem verächtlichen Laut auf den Tisch. Fraser lachte triumphierend und griff mit beiden Händen nach dem Geldstapel in der Mitte des Tisches, doch die Frau legte ihm ihre Finger aufs Handgelenk. Jack hatte keine Ahnung, was sie sagte, aber Frasers verdutzte Miene ließ ihn wissen, dass es nicht erfreulich war. Auch der dritte Spieler deckte seine Karten auf und begann schallend zu lachen, worauf sich einige Köpfe umdrehten. Die Frau hatte ihre Gegenspieler offenbar übertrumpft.

Statt in Verlegenheit zu geraten, stimmte sie in das Lachen ein. Sie sagte etwas, woraufhin auch Whitley lachte, und die Spieler am Nebentisch schmunzelten. Jack konnte das Gesicht der Frau nicht sehen, die mit seitlich geneigtem Kopf ihren Gewinn einstrich, während Whitley die Karten für die nächste Runde mischte.

Kein Wunder, dass Philip sich gerne hier aufhielt. Jack fragte sich, ob sein Bruder die Dame in Rot kannte.

„Euer Gnaden“, meldete sich eine Stimme hinter ihm. Jack drehte sich um und war froh, den Gedanken loszuwerden. Der Empfangschef war zurück. „Mr. Dashwood empfängt Sie.“

Er führte den Besucher durch eine versteckte Tür neben den Palmen, einen Flur entlang zu einer anderen Tür, klopfte, öffnete und ließ Jack mit einer Verneigung den Vortritt.

„Nicholas Dashwood, zu Diensten, Euer Gnaden.“ Dashwood verneigte sich. „Bitte entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten. Ich habe nicht mit Ihrem Besuch gerechnet.“

„Ich komme wegen der Spielschulden meines Bruders.“

Dashwood zog einen Mundwinkel hoch. „Er erwähnte, dass Sie sich vermutlich darum kümmern würden.“

Jack schluckte seinen Groll hinunter. Natürlich war Philip sich dessen sicher. Er verließ sich ständig darauf, dass andere ihm aus der Patsche halfen.

Der Klubeigner umrundete seinen Schreibtisch und nahm ein Papier zur Hand. „Zweitausendeinhundertundzwanzig Pfund.“

Jack schluckte erneut. Philip hatte ihn auch darüber belogen und behauptet, die Summe sei geringer als zweitausend Pfund. „Darf ich?“

Dashwood überreichte ihm den Zettel mit einem dünnen Lächeln. Jack genügte ein flüchtiger Blick, um sich zu vergewissern, dass es sich um Philips Unterschrift handelte. Sir Lester Bagwell war der Gläubiger. „Ist es üblich, dass Sie für die Spielschulden Ihrer Mitglieder bürgen?“ Jack gab ihm den Schuldschein zurück.

„Ich bürge für nichts.“ Dashwood lehnte sich gegen seinen Schreibtisch. „Den Mitgliedern steht es frei, Schuldscheine zu unterzeichnen oder direkt zu bezahlen. Gelegentlich ziehen sie es vor, mir die Schuldscheine zur Verwahrung zu geben. Ich fungiere lediglich als Schließfach, wenn Sie so wollen. Wir im Vega Club haben nur wenige Regeln, wovon die wichtigste darin besteht, Schulden zu begleichen.“

Demnach befürchtete Sir Lester, Philip könne seine Schulden nicht bezahlen. Er hatte Dashwood eingeschaltet, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Grimmig stellte Jack einen Bankwechsel über die Summe aus und nahm sich vor, seinen Bruder zur Rechenschaft zu ziehen. Wortlos reichte er Dashwood den Wechsel, der ihm Philips Schuldschein aushändigte.

„Es war mir ein Vergnügen, Euer Gnaden.“ Dashwood hielt ihm die Tür auf. „Wenn Sie Lust auf ein Spiel verspüren sollten, würde ich mich freuen, Sie in unserem Klub begrüßen zu dürfen.“

Nie im Leben, dachte Jack.

Dashwood begleitete ihn ins Foyer. Im Gehen warf Jack einen Seitenblick durch die Fächer der Topfpalmen in den Spielsalon. Sein Bruder hatte ihm feierlich versprochen, sich einen Monat lang von den Spieltischen fernzuhalten, seine Ausgaben zu reduzieren und vernünftig zu werden. Philip würde also nicht hier sein. Aber die Dame in Rot … Er hatte plötzlich den Wunsch, ihr Gesicht zu sehen, wollte wissen, welche Frau sich in eine Spielhölle begab.

Zu seinem Entsetzen entdeckte er den dunklen Lockenkopf seines Bruders an einem Spieltisch in der Mitte des Raums, umringt von Zuschauern. Philip hatte sein Versprechen gebrochen, platzierte bereits wieder Wetten, die er sich nicht leisten konnte und erzählte jedem, der es wissen wollte, sein Bruder komme für seine Verluste auf, heute, morgen bis in alle Ewigkeit. Am Tisch brach Jubel aus, und Philip hob lachend die Hände.

Jack wusste Bescheid. Philip hatte verloren. Er verlor stets lachend mit grandioser Geste. Erst später, wenn er gezwungen war, Rechenschaft über seine Verluste abzulegen, zeigte er sich reumütig. Jack hatte große Lust, seinen Bruder mit Gewalt aus dem Klub zu zerren, bevor er wieder hohe Summen verlor. Philip stand am Hazardtisch, ein reines Glücksspiel. Jack ließ Dashwood stehen und betrat den Salon.

„Wenn ich schon verlieren muss“, erklärte Philip, „dann wenigstens an die schönste Frau Londons.“ Die Umstehenden lachten beifällig.

Idiot, dachte Jack erbittert und bahnte sich einen Weg durch die Zuschauer nach vorne. Du sollst nicht verlieren, du sollst aufhören zu spielen. Dashwood würde ihm die Mitgliedschaft kündigen, wenn Jack seine Schulden nicht mehr bezahlte. Und er würde dafür sorgen, dass Philip in keinem Spielsalon Londons Zutritt bekäme. Jack hatte sein Leben in den Dienst der Verwaltung des Vermögens der Familie gestellt und war nicht bereit, sich durch Philips Spielsucht an den Bettelstab bringen zu lassen.

Er hatte sich bis zum Tisch vorgedrängt und stand seinem Bruder gegenüber. Philip, der Jacks bedrohliche Gegenwart noch nicht bemerkt hatte, reichte die Würfel mit einer galanten Verneigung einer Frau – der Dame in Rot, die vorhin mit Philips Freunden Karten gespielt hatte.

„Danke, Sir“, sagte sie lachend. „Es ist mir stets ein Vergnügen gegen Sie zu gewinnen.“ Sie wandte sich dem Tisch zu, hob die Würfel an die Lippen und hauchte einen Luftkuss darauf. „Fünf“, verkündete sie gurrend, bevor sie die Würfel warf. Die Umstehenden begleiteten den Wurf mit ermunternden Kommentaren. Jack blickte ihr ins Gesicht.

Keine Schönheit im klassischen Sinn, aber sehr attraktiv. Ein ovales Gesicht mit honigfarbenen Augen. An ihrem schwarzen Halsband hing ein Silbermedaillon, und als sie sich vorbeugte, um die Würfel einzusammeln, erhaschte Jack einen Blick auf ihren Busen, der das rote Mieder zu sprengen drohte. Sie richtete sich mit einem koketten Blick zu Philip auf und würfelte erneut. Jack zwang sich, den Blick von ihr zu wenden und bemerkte das Interesse seines Bruders an ihrem Dekolleté.

Zwei Gedanken schossen ihm durch den Sinn. Erstens, sie war die geborene Verführerin, kalt, berechnend und falsch wie eine Schlange. Philip war so versunken in den Anblick ihres Busens, dass er nicht einmal wahrnahm, dass er haushoch verlor.

Zweitens: Jack begehrte sie.

2. KAPITEL

Der Vega Club war praktisch Sophie Campbells zweites Zuhause.

Manchmal stellte sie sich vor, der Klub wäre einmal die Stadtresidenz eines Gentlemans gewesen. Die edle Holzvertäfelung, die Eleganz der Kristalllüster und die weichen Teppiche ließen sie einen Earl oder Marquess als einstigen Besitzer vermuten. Andere Spielklubs waren schummrig beleuchtet, als wäre Sonnenlicht ein Übel, das es zu meiden galt, nicht so im Vega Club. Die schweren Samtdraperien wurden nur nachts zugezogen, und die gekippten Oberlichter der hohen Fenster sorgten an lauen Sommerabenden für frische Luft. Rauchen war nur in einem Hinterzimmer gestattet, und die luxuriöse Ausstattung des Restaurants, wo die Damen sich gerne aufhielten, hätte es mit einem Grandhotel aufnehmen können. Das war der größte Vorzug von Vega: Frauen war der Zutritt gestattet, nicht nur als Begleitung der Spieler. Damen wurden zwar einer genauen Prüfung unterzogen, ehe sie in den Genuss einer Mitgliedschaft kamen, aber Sophie hatte diese selbstverständlich bestanden. Der Vega Club wurde von angesehenen Herren der Gesellschaft frequentiert, die sich gerne mit einer Frau an den Spieltisch setzten. Und Sophie sah in diesem Etablissement den idealen Ort für ihre Ziele, da sie ihren Lebensunterhalt am Spieltisch verdiente.

Schon in Mrs. Uptons Mädchenpensionat hatte Sophie gewusst, dass sie als Erwachsene völlig auf sich allein gestellt sein würde. Am Morgen ihres achtzehnten Geburtstags hatte Mrs. Upton sie zu sich gerufen und ihr schonend beigebracht, dass Lord Makepeace ab sofort seine Unterhaltszahlungen einstellte. Da das Schreiben des Viscounts genau an ihrem Geburtstag eingetroffen war, ahnte Sophie, wie sehr der verbitterte alte Mann diesen Tag herbeigesehnt hatte. Die Direktorin bot ihr eine Stelle als Mathematiklehrerin an, die Sophie dankend ablehnte. Als Lehrerin würde sie nur einen kargen Lohn verdienen, aber in der großen Welt, wer weiß? Sophie setzte gern auf Risiko.

Es war keineswegs leicht gewesen. Ohne jeden finanziellen Rückhalt hatte sie die Position einer Gesellschafterin bei einer verwitweten Viscountess angenommen. Anna, Lady Fox, hatte sich als Glückstreffer erwiesen. Die unkonventionelle, weltoffene und geistreiche Dame hatte eine Idee in Sophie aufkeimen lassen. Jede Frau braucht ein eigenes Vermögen, pflegte sie zu sagen, und Sophie hatte ihr mit einem dünnen Lächeln zugestimmt und sich gewünscht, es wäre so einfach. Aber Lady Fox meinte es ernst. Bei ihrem Tod hinterließ sie Sophie dreihundert Pfund. Ein guter Anfang, schrieb sie in ihrem letzten Willen. Ein unerwarteter Glücksfall für Sophie, die sich vornahm, klug damit umzugehen. Mit dreihundert Pfund und ihren dürftigen Ersparnissen in der Tasche, erfand sie einen verstorbenen Ehemann, änderte ihren Namen und ging im Alter von einundzwanzig nach London, um ihren großen Plan zu verwirklichen.

Im Grunde ein einfacher Plan. Sobald sie ihre finanzielle Unabhängigkeit erreicht haben würde, wäre sie Herrin über ihr eigenes Schicksal und in der Lage, ihren eigenen Kurs zu steuern. Wenn Unabhängigkeit – sprich Geld – auch nicht der Schlüssel zum Glück war, so doch ein wichtiger Teil davon, und Sophie machte sich daran, ihre Unabhängigkeit mit einem ungewöhnlichen Talent zu erlangen: dem Glücksspiel.

Mitunter verspürte sie Gewissensbisse, sich an den Verlusten anderer zu bereichern. Sie hatte Mrs. Uptons mahnende Vorträge über die Gefahren der Spielsucht nicht vergessen. Allerdings hielt sie eisern an Regeln fest, die sie sich selbst gestellt hatte, um sich nicht zu ruinieren … und außerdem war ihr sehr daran gelegen, ihren guten Ruf nicht zu verlieren.

Darüber machten sich auch ihre Freundinnen Sorgen. Seit jener ersten Begegnung in Mrs. Uptons Mädchenpensionat vor mehr als zehn Jahren, waren Georgiana, Eliza und Sophie unzertrennlich gewesen. Während Sophie als Gesellschafterin bei Lady Fox in Bath tätig war und die Freundinnen noch die Schule besuchten, hatten sie einen regelmäßigen Briefwechsel unterhalten. Nun lebten alle drei in London – Eliza im Haus ihres Vaters in Greenwich und Georgiana bei ihrer Gouvernante, der Countess of Sidlow – und trafen sich alle vierzehn Tage zum Tee, meist in Sophies kleinem Haus in der Alfred Street.

„Vielleicht solltest du einen Teil des Geldes in Aktien anlegen“, riet Eliza ihr gelegentlich. „Das wäre wesentlich sicherer.“

„Niemals“, lautete Sophies entschiedene Antwort. „An der Börse spekulieren ist riskanter als jedes Glücksspiel.“

„Papa fährt damit ziemlich gut, und er hat dir seine Beratung oft genug angeboten“, hielt Eliza dagegen, was Sophie nicht umstimmen konnte. Mr. Cross konnte es sich leisten, tausend Pfund durch fallende Aktienkurse zu verlieren, sie nicht.

Georgiana schlug vor, eine andersgeartete Investition ins Auge zu fassen. „Am besten wäre, du machst einem Gentleman im Vega Club schöne Augen, bis er sich in dich verliebt. Sterling meint, Sir Thomas Mayfield sei eine glänzende Partie für dich.“ Viscount Sterling war Georgianas Zukünftiger und ihr häufig zitierter Experte in allen Fragen.

Sophie musste lachen. „Thomas Mayfield! Ein Baronet? Du musst verrückt sein.“

„Verrückt?“ Georgiana bekam große Augen und wandte sich an Eliza. „Bin ich verrückt, wenn ich ihr vorschlage, sich einen betuchten, gut aussehenden Gentleman zu angeln? Einen, der mit seinem charmanten Lächeln die halbe Damenwelt Londons zum Schwärmen bringt?“

Sophie verdrehte die Augen, und Eliza kicherte. „Du scheinst selbst hingerissen von ihm zu sein. Sollten wir Lord Sterling warnen?“

„Natürlich nicht. Sterling hat nichts zu befürchten. Ich bin seit einer Ewigkeit in ihn verliebt“, sagte Georgiana mit einer wegwerfenden Handbewegung. Viscount Sterling, dessen Besitz an das Anwesen des Earl of Wakefield grenzte, hatte Georgiana bei Vollendung ihres achtzehnten Lebensjahres seinen Antrag gemacht, dem sie freudig zugestimmt hatte. Lord Wakefield hatte gezögert und schob die Hochzeit immer wieder hinaus. Er war als Exzentriker bekannt, und die Verlobung gestattete Georgiana, zwei weitere unbeschwerte Saisons in London zu genießen; darüber hinaus konnte sie ihre Aussteuer vervollständigen, während Wakefield und Sterling um die Bezahlung der Rechnungen debattierten.

„Vielleicht solltest du Sophie in Frieden lassen“, warf Eliza sanft ein. „Du hast deinen Helden gefunden. Nicht jede von uns hat so viel Glück.“

„Oh, aber das wünsche ich euch so sehr!“, rief Georgiana zerknirscht und sah Sophie an. „Findest du Sir Thomas wirklich so schlimm?“

„Aber nein“, log sie lächelnd. „Er ist nur nicht der Richtige für mich.“ Es war ihr nicht entgangen, warum Sterling diesen Baronet für sie geeignet hielt. Sir Thomas mit seinen fummelnden Händen und seinem dehnbaren Ehrbegriff käme als Ehemann für Lady Georgiana Lucas keinesfalls infrage, auch nicht für die reiche Erbin Eliza Cross. Aber für Mrs. Sophie Campbell, eine Witwe mit bescheidenen finanziellen Mitteln, die ihre Abende in einem Spielklub verbrachte, wäre er eine ausgezeichnete Partie. Sophie war sich ihrer fragwürdigen Stellung in der Gesellschaft sehr wohl bewusst.

„Wie wäre es mit einem zweitgeborenen Sohn?“ Georgiana ließ nicht locker. „Lord Philip Lindeville zum Beispiel.“

„Wer? Nein!“

„Du musst dich an ihn erinnern, Sophie. Man hat dich in letzter Zeit häufiger in seiner Begleitung gesehen“, erklärte Georgiana ernsthaft. „Sterling sagt, er ist ein fabelhafter Bursche, und er sieht teuflisch gut aus.“

„Papa meint, er ist ein Lebemann“, gab Eliza zu bedenken.

„Der durch die wahre Liebe auf den rechten Weg geführt werden kann.“ Georgiana zwinkerte ihr aufmunternd zu.

Sophie lachte. „Zu große Mühe für mich.“

Eliza war entsetzt, und Georgiana kicherte amüsiert. „Nur du kannst einen Verehrer als große Mühe bezeichnen, Sophie!“

„Lord Philip“, antwortete sie entschieden, „ist kein Verehrer.“

Aus irgendeinem Grund ging Sophie dieses Gespräch durch den Kopf, als sie an diesem kühlen, regnerischen Abend den Klub aufsuchte. Sie trug ihr rotes Kleid, nicht als Glücksbringer, sie wollte nur ihre Stimmung aufheitern. Als Mr. Forbes, der Geschäftsführer, ihr aus dem Mantel half, warf sie einen Blick in den Spiegel über dem Kamin. Sie fühlte sich beileibe nicht alt, aber mit vierundzwanzig war Sie auch nicht mehr blutjung. Sie wollte auch nicht die Nase rümpfen über die Bemühungen eines Verehrers. Nein, Sophie hätte nichts gegen einen Gentleman, der ihr den Hof machte und ihre Zuneigung zu gewinnen suchte. Allerdings stellte sie zur Bedingung, dass dieser Gentleman ihre Interessen teilte.

Falls ihre Gewinne ähnliche Zuwachsraten wie bisher erzielten, würde sie in sechs Jahren zehntausend Pfund besitzen, eine Summe, die ihr finanzielle Sicherheit garantierte. Sechs Jahre plus zehntausend Pfund ergaben Unabhängigkeit. Diese Gleichung musste sie stets vor Augen haben. Sie straffte die Schultern und schlenderte in den Salon. Es dauerte nicht lange, bis sie einen Tisch mit potenziellen Spielpartnern fand, zu denen sie sich mit einem liebenswürdigen Lächeln setzte.

In der ersten Stunde verlor sie, holte die Verluste bald wieder ein und lag mit sechzig Pfund vorne, als eine Stimme hinter ihr rief: „Mrs. Campbell!“

Sophie erschrak. Ihr Partner Giles Carter und sie spielten gewinnträchtig gegen Mr. Whitley und Mr. Fraser einige Runden Whist. Ein nicht nur für Damen schickliches Kartenspiel, es bot auch gute Gewinnchancen, wenn man aufmerksam war und nicht zu viel trank. Mr. Whitley spielte unkonzentriert, und Mr. Fraser war bereits beim dritten Glas Madeira. Lord Philip Lindevilles freudige Begrüßung störte ihre Gewinnsträhne von sechs aufeinanderfolgenden Stichen.

„Welche Freude, Sie zu sehen.“ Er verneigte sich galant.

„Ganz meinerseits, Sir.“ Sie neigte lächelnd den Kopf. Es stimmte, was ihre Freundinnen gehört hatten: Er suchte ihre Nähe und plauderte gerne mit ihr. Er war charmant und amüsant, wenn auch reichlich großspurig. Sophie hatte es ernst gemeint, als sie ihn eine Mühe genannt hatte – als Verehrer.

„Würden Sie eine Runde mit mir spielen?“ Er senkte die Stimme zu einem vertraulichen Raunen. „Ich habe zwar versprochen, dem Klub heute Abend fernzubleiben, aber der Verlockung, Sie zu sehen, konnte ich nicht widerstehen.“

„Ich möchte Sie keinesfalls in Versuchung führen, Ihr Wort zu brechen“, entgegnete sie lächelnd.

Er lachte. „Ein törichtes Versprechen! Sie schlagen mich ohnehin, das wird meine Strafe sein.“

„Aber wir sind mitten in einer Partie“, versuchte sie abzuwehren, doch Lord Philip hatte bereits einen Blick mit seinem Freund Mr. Whitley gewechselt, der augenblicklich seinen Stuhl zurückschob.

„Zeit für mich zu gehen. Sie haben mir eine gehörige Schlappe verpasst, Madam.“ Er verneigte sich, und Mr. Fraser folgte seinem Beispiel. Ihr Partner Mr. Carter zögerte, aber Sophie wusste, wenn Philip sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde er nicht aufgeben.

Sie unterdrückte ihren Groll und legte ihr Blatt weg. „Mr. Carter, ich hoffe, Sie spielen demnächst wieder mit mir. Wir beide sind ein unschlagbares Team beim Whist.“ Wie erhofft, glätteten sich seine Gesichtszüge, er wünschte ihr sogar Glück, als Lord Philip sie vom Tisch wegführte.

„Ich war mitten in einem Spiel“, erklärte sie vorwurfsvoll, während er sich ihre Hand in die Armbeuge legte. „Geduld ist eine Tugend, Mylord.“

Philip feixte. „Kein Wunder, dass ich sie nicht besitze! Eigentlich wollte ich nur mit Dashwood sprechen, aber dann entdeckte ich Sie und vergaß meine guten Vorsätze.“

„Sollte ich mich geschmeichelt fühlen?“ Man suchte den Eigentümer des Vega Clubs nur auf, um ein neues Mitglied zu empfehlen oder um eine beträchtliche Gewinnsumme zu kassieren. Zweimal hatte Sophie Gelegenheit gehabt, einen Gewinn einzustreichen, der hoch genug gewesen war, dass Mr. Dashwood sich persönlich um die Auszahlung gekümmert hatte. Vermutlich hätte Philip sich nicht so rasch von seinem Vorsatz ablenken lassen, wäre es um die Auszahlung seines Gewinns gegangen.

Er blickte sie an. Sein dunkles Haar fiel ihm lockig in die Stirn, und ein verwegenes Lächeln umspielte seinen Mund. „Ja, das sollten Sie. Wenn Sie eine Partie mit mir spielen, fühle ich mich geschmeichelt.“

Er sah gut aus und war charmant. Insgeheim bedauerte sie, ihn enttäuschen zu müssen. Sie tätschelte ihm den Arm. „Komplimente werden leichtfertig vergeben und ebenso leichtfertig erwidert.“

„Nicht leichtfertig vergeben“, entgegnete er. „Bitte nehmen Sie meine Komplimente ernst.“

Sie lachte. „Offenbar denken Sie, das Glück sei Ihnen heute Abend hold. Wie wäre es mit Hazard?“ Ein Würfelspiel. Sie würde ihm mit wenigen Würfen die Taschen leeren, um ihm eine Lehre zu erteilen. Lord Philip schenkte ihr in letzter Zeit zu große Aufmerksamkeit, was ihr keineswegs behagte.

Ohne es an die große Glocke zu hängen, war Sophie auf der Suche nach einem Ehemann, und gegen Philip hätte sie nichts einzuwenden gehabt, wenn er denn der Richtige gewesen wäre. Georgiana wäre jedenfalls stolz auf sie gewesen, wenn sie sich den Bruder eines Dukes geangelt hätte.

Aber so sympathisch er auch sein mochte, Lord Philip Lindeville war mit Sicherheit kein passender Ehemann – zumindest nicht für sie. In den drei Jahren ihres Aufenthalts in London hatte Sophie sich eine Liste der Eigenschaften zurechtgelegt, die ein Ehemann aufweisen sollte, und Philip konnte mit keiner davon aufwarten. Er war liebenswürdig und wortgewandt, aber zu sehr von sich eingenommen. Er sah gut aus mit seinen dunklen Locken, seiner sehnigen Figur, war sich allerdings seines blendenden Aussehens zu sehr bewusst. Und das, was ihn an den Spieltischen im Vega Club so beliebt machte – seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber Verlusten – war genau das, was ihn als Ehemann völlig ungeeignet machte. Sophie hatte nicht die Absicht, einen Mann zu heiraten, der ein Vermögen am Spieltisch verschwendete. Bei all seinem Charme, seiner vornehmen Herkunft und seinem Interesse an ihrer Person wollte Sophie ihm heute einen Denkzettel verpassen.

Als Philip nach den Würfeln griff, warf sie Giles Carter, der ihnen zum Hazardtisch gefolgt war, einen wehmütigen Blick zu. Mr. Carter entsprach weit eher ihren Vorstellungen. Er war etwa zwölf Jahre älter als sie und verfügte über ein stattliches Einkommen. Philip war, wie sie wusste, abhängig von den Zuwendungen seines Bruders, die ihm für einen Junggesellen zu karg bemessen schienen. Mr. Carter wusste, wann er den Spieltisch verlassen musste, wobei er in letzter Zeit länger gespielt hatte als vielleicht klug gewesen wäre … zumindest mit ihr. Sophie hoffte, darin ein gutes Zeichen zu sehen. Er verlor stets mit Haltung und wirkte beinahe reumütig, wenn er gewann. Mr. Carter wäre ein geeigneter Ehemann, er war weder gefühlskalt, noch geizig und nicht hässlich.

Allerdings würde sie sich bei ihm jegliche Hoffnungen verscherzen, wenn sie Philip zu viele Freiheiten gestattete. Sophie war sich darüber im Klaren, dass sie sich am Rande eines gefährlichen Abgrunds bewegte; sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Sie flirtete zwar mit den Männern, denen sie Geld abknöpfte, hütete sich aber davor, den Eindruck zu erwecken, sie wolle eine Affäre.

„Worum wollen wir spielen?“ Philip hielt ihr die Würfel hin; seine dunklen Augen funkelten verwegen.

„Eine Guinea pro Runde?“

Er machte ein enttäuschtes Gesicht und legte einen Stapel Jetons auf den Tisch, womit er seine Behauptung Lügen strafte, er sei nur gekommen, um mit Dashwood zu sprechen. „Oh. Geld.“

Sie war sich der Gegenwart von Mr. Carter zu ihrer Linken bewusst und lachte leise. „Was sonst?“ Bevor Philip antworten konnte, wandte sie sich dem Tisch zu. Sie nannte ihren Main point: „Sieben“ und würfelte.

Hazard war ein reines Glücksspiel. Ein Spieler nannte seinen Main point, eine Zahl von fünf bis neun und würfelte. Entsprach die Summe seines Wurfes seinem Main point, gewann er den Pot. Würfelte er eine Zwei oder Drei, hatte er verloren. Darüber hinaus waren die Regeln ziemlich kompliziert, Würfe mit elf oder zwölf Augen zählten gleichfalls als Verlustmarken, aber häufig hatte ein Spieler die Gelegenheit, mehrmals zu würfeln, bis er dreimal hintereinander verlor und die Würfel weitergeben musste.

Sofie brauchte drei Würfe, um zu gewinnen. Lord Philip applaudierte. „Ein schöner Auftakt!“ Er verlor wie immer leichten Herzens, als wäre Geld völlig bedeutungslos und erlitt in rascher Folge zwei Verluste. Ein gereizter Zug überflog sein Gesicht, schwand jedoch sofort wieder. Er rüttelte die Würfel ein paar Sekunden zwischen den hohlen Händen.

In Mrs. Uptons Mädchenpensionat hatte Sophie die Gewinnchancen beim Hazard errechnet, nächtelang die letzten Seiten ihres Mathematikheftes mit Kalkulationen vollgekritzelt, bis der Kerzenstummel zischend verlöscht war. Nach der strengen Ermahnung der Direktorin hatte sie nie wieder gewagt, mit anderen Schülerinnen zu spielen, aber mit den Stallburschen traf sie sich heimlich, die ihr Würfelspiele beibrachten. Bald kannte sie die Gewinnchancen sämtlicher Karten- und Würfelspiele. Sie lernte, wann sie vorsichtig sein musste und wann sie auf Risiko spielen konnte. Bislang hatte sich ihre ausgeklügelte Taktik bestens bewährt – im Verlauf ihrer drei Jahre in London hatte sich eine Gewinnsumme von viertausend Pfund angesammelt, vorwiegend im Vega Club erzielt.

Dennoch, Hazard war ein reines Glücksspiel … mit Ausnahme gegen Lord Philip.

Er stellte keine Berechnungen an. Würfelte er eine zu hohe Zahl, nannte er einen höheren Main point; würfelte er zu niedrig, nannte er einen tieferen. Seine Gewinnquote würde sich beträchtlich erhöhen, würde er sich – wie Sophie – nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung richten. Sie machte sich seinen Leichtsinn nicht gern zunutze, aber heute Abend war sie verärgert, weil er ihr Spiel mit Mr. Carter so unhöflich unterbrochen hatte. Wenn sie einen hohen Gewinn einstrich, würde er sie vielleicht zufriedenlassen. Manche Männer bestanden geradezu darauf, ihr Geld gegen sie zu verlieren.

Mit einem vergnügten Lächeln machte Philip den nächsten Wurf und gewann. Seine Augen leuchteten triumphierend, wobei er noch längst nicht das Spiel gewonnen hatte. Er legte einen weiteren Jeton auf seinen Stapel und würfelte wieder.

Eine Gruppe Neugieriger hatte sich um die beiden gebildet, geflüsterte Nebenwetten wurden hinter ihnen abgeschlossen. Sophie bewahrte ihre nonchalante Haltung und beobachtete ihren Gegenspieler genau. Er war auf dem Weg in den Ruin; bedauerlich aber unvermeidlich. Jeden Wurf, der ihn nicht aus dem Rennen warf, quittierte er mit überschäumender Begeisterung und erhöhte seinen Einsatz.

Am Ende legte er beeindruckende acht Würfe vor, ehe die tödliche Neun kam. Verhaltener Jubel wurde laut, und Lord Philip legte stöhnend den Kopf in den Nacken. Er schob ihr seinen Stapel Jetons zu. „Spielen wir noch eine Runde.“

„Sie sollten aufhören.“ Sophie versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen, aber er neigte sich ihr vertraulich zwinkernd zu.

„Nur noch eine Runde? Seien Sie gnädig.“

Sie zögerte. Philip würde vermutlich die ganze Nacht spielen. Wenn sie ihm sein Geld nicht abnahm, würde es ein anderer tun. Nach dieser Runde würde sie ihn vielleicht zu einem weniger riskanten Spiel überreden können. „Also gut. Aber nur noch ein Spiel …“

„Sie will nur noch ein Spiel gewinnen“, sagte einer der Umstehenden unter allgemeinem Gelächter.

Lord Philip bedachte den Mann mit einem finsteren Blick, während er die Würfel einsammelte. „Wenn ich schon verlieren muss, dann wenigstens gegen die schönste Frau in ganz London.“ Er bot ihr die Würfel mit einer galanten Verneigung an – ganz der charmante Gentleman.

Auch Sophie wusste, ihrem Publikum eine kleine Vorstellung zu geben. Diesmal hauchte sie einen Kuss auf die Würfel, bevor sie warf. Und es klappte auf Anhieb, sie traf beim ersten Wurf. Unter dem Jubel der Umstehenden hielt sie Philip die Würfel hin. „Ihr Wurf, Mylord.“

Er hielt seinen faszinierten Blick unverwandt auf sie gerichtet. „Küssen Sie sie“, raunte er mit dunkler Stimme. „Es bringt mir Glück.“

Aus den Augenwinkeln nahm sie Giles Carters versteinerte Miene wahr. Verflixt. Philip wurde zum Problem. Sie musste eine Lösung finden, ihm in Zukunft aus dem Weg zu gehen. „Das Sie dringend benötigen…“ Sie hauchte einen Luftkuss auf die Würfel. „Bonne chance, Mylord.“

„Schluss damit, augenblicklich!“

3. KAPITEL

Der schneidende Befehl zerriss die knisternde Spannung wie ein Peitschenknall. Vor Schreck ließ Sophie beinahe die Würfel fallen. Lord Philip wich zurück, als hätte er sich verbrannt und verbarg die Hände hinter dem Rücken. „Warte“, stieß er gehetzt hervor. „Ich kann es erklären …“

„Schluss damit, verdammt nochmal!“, wiederholte der Fremde barsch, den Sophie hinter den Zuschauern nicht ausmachen konnte. Grundgütiger, würde es zu einem Duell kommen? Sie warf Giles Carter einen hilflosen Blick zu. Was sollte sie tun?

Mr. Carter trat an ihre Seite, während die Zuschauer zur Seite wichen und dem Fremden Platz machten. Es tat gut, einen Beschützer neben sich zu wissen. Während Philip erschrocken zurücktaumelte, sah sie dem Neuankömmling interessiert entgegen. Etwas an ihm kam ihr vertraut vor, und als sie sich zu Lord Philip umwandte, erkannte sie die Verwandtschaft zwischen beiden.

Natürlich. Sie entspannte sich. Philip hatte ihn erwähnt. Es handelte sich um den Duke, Philips mürrischen älteren Bruder, der seine Finanzen verwaltete und ihm ständig Vorhaltungen wegen seiner Spielschulden machte. Philip hatte ihn einen verknöcherten Langweiler genannt, der den ganzen Tag über seinen Geschäftsbüchern brütete, und Sophie hatte das Bild eines wesentlich älteren, unansehnlichen Mannes vor Augen gehabt.

Sie hatte sich gründlich geirrt.

Hochgewachsen, goldblond, in dunkler Abendkleidung. Ein schönes Antlitz, wie von Michelangelo gemeißelt. Philip glich ihm an Körpergröße, war aber schlaksiger. Der maßgeschneiderte Gehrock aus feinem Tuch betonte breite Schultern, schmale Hüften und lange muskulöse Beine. Er konnte nicht mehr als fünf Jahre älter sein als Philip.

Blaugraue Augen maßen Sophie abweisend mit kaltem Blick, unter dem sie sich klein und gering vorkam. Er fixierte seinen Bruder. „Und?“, fragte er knapp.

Philip lächelte verkrampft. „Welch seltener Gast. Kommst du, um eine Runde zu spielen?“

Der Duke schaute erneut zu Sophie. „Es lag nicht in meiner Absicht, nein. Und ich hatte nicht vermutet, dich hier vorzufinden.“

Unter gesenkten Lidern flog Sophies Blick nach links und rechts. Hinter ihr sensationslüsterne Zuschauer, neben ihr Philip und vor ihr der Duke. Sie war gefangen, der Fluchtweg war ihr versperrt.

„Es lag auch nicht in meiner Absicht“, verteidigte Philip sich trotzig. „Aber dann entdeckte ich meine liebe Freundin Mrs. Campbell, und meine guten Vorsätze lösten sich in Luft auf. Ich konnte nicht widerstehen. Kannst du es mir verdenken?“ Er nahm ihre Hand und hob sie sich an die Lippen.

Sophie errötete. Wie konnte er es wagen, sie indirekt zu beschuldigen? „Mylord“, murmelte sie und versuchte ihm ihre Hand zu entziehen. „Es ist spät geworden. Wir beenden unser Spiel ein anderes Mal.“ Sie legte die Würfel auf den Tisch und machte einen Knicks.

„Das wäre vielleicht besser.“ Philip lächelte in einer Mischung aus Reue und Vertraulichkeit, was ihr unangenehm war, und gab ihre Hand frei. „Bis bald, meine Liebe.“

„Rede keinen Unsinn“, fuhr der Duke ihn schroff an. „Damit ist es nicht getan.“

Autor

Caroline Linden

Caroline Linden studierte Mathematik in Harvard und arbeitete als Programmiererin, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und gewannen zahlreiche Preise, unter anderem den Daphne-du-Maurier- und den renommierten RITA-Award. Die Autorin lebt in Neuengland.

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