Sternklare Nächte der Karibik

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Wochen wie im Paradies erlebt Karis auf der Insel Grande Comore im Indischen Ozean. Doch als sie sich in den faszinierenden Unternehmer Miles Kennedy verliebt, gerät sie in einen Zwiespalt: Soll sie seinem heißen Werben nachgehen, obwohl sie glaubt, dass sein Herz einer anderen gehört?


  • Erscheinungstag 20.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777715
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Interessiert beobachtete Karis, wie die „Estrella“ elegant an den Bootssteg heranglitt. Die Schiffsmaschine war bei dem Rauschen der Brandung an dem weißen Sandstrand von Levos, Fiestas tropischer Privatinsel, kaum zu hören.

Im Schatten und Schutz eines blätterreichen Banyanbaums und unbemerkt von den Bordpassagieren, setzte Karis die kleine Tara auf ihrer Hüfte zurecht, während die Feriengäste die Yacht verließen.

Es war eine der gewohnten Gruppen: mehrere übergewichtige Männer mittleren Alters in Bermudas, in deren Gefolge schöne, sonnengebräunte Blondinen über den Holzsteg eilten. Je schöner und langbeiniger die Blondine, desto wohlhabender offensichtlich der gewichtige Begleiter.

Karis betrachtete das Schauspiel mit einem belustigten Lächeln. Es hatte eine Zeit gegeben, da war es ihr unerträglich gewesen, das Aussteigen der Passagiere mit anzusehen; eine Zeit, in der sie die Leute beinah dafür verachtet hatte, dass sie hierher kamen, um sich zu vergnügen. Es waren fast ausnahmslos Paare, und wie unpassend manche von ihnen auch wirken mochten, sie waren dennoch zusammen, was Karis ihren eigenen Verlust umso schmerzlicher empfinden ließ.

Im Laufe der vergangenen Monate war es jedoch besser geworden, und inzwischen konnte sie mit Belustigung zuschauen, anstatt mit Ärger und Neid. Ich habe zwar keinen Partner, dachte sie, aber ich habe etwas, das diese langbeinigen Blondinen nicht haben. Sie besaß die Liebe zweier wunderbarer Kinder, einen gewissen Grad an Zufriedenheit mit ihrem Leben, und Josh hatte Karis geholfen, ihr Selbstwertgefühl zurückzugewinnen, das ihr bei ihrer Ankunft vor einem Jahr zum größten Teil abhanden gekommen war.

Josh – wo ist er denn eigentlich? Karis drehte sich um und sah, wie der Junge, glücklich in sein Spiel versunken, versuchte, etwas weiter den Strand entlang einen Krebs unter einem Kakteenstrauch hervorzulocken. Beruhigt richtete Karis den Blick wieder auf das Boot und die beiden letzten Passagiere an Deck.

Der Mann sah umwerfend aus, weder wohlbeleibt noch mittleren Alters, aber offenbar durchaus wohlhabend, nach dem Schnitt seiner weißen Leinenhose und dem mitternachtsblauen Seidenhemd zu urteilen. Er hatte glänzendes schwarzes Haar, war groß und gut, wenn auch etwas finster aussehend, und Karis betrachtete ihn einige Sekunden lang, ehe sie sich seiner Begleiterin zuwandte. Diese sah, wie zu erwarten, ebenfalls ausgesprochen attraktiv aus. Ihre Haare waren rotblond, der Anzug aus fließendem Seidendruck stand ihr hervorragend, und Karis musste zugeben, dass sie intelligenter wirkte als die meisten Frauen, die zum Sonnenbaden und Spaß haben auf die Insel kamen.

„Lass das Gepäck, Simone“, sagte da der Mann mit befehlsgewohnter Stimme. „Es gibt genügend Personal, das sich darum kümmern wird, und es kann auch nichts verloren gehen.“

„Darauf will ich mich lieber nicht verlassen“, entgegnete die Rothaarige ebenso entschlossen.

Der Mann, dessen Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen waren, hatte die Hände auf die Reling der Yacht gestützt, den Kiefer hart zusammengepresst. Karis nahm an, dass er nur mit Mühe seine Ungeduld und seinen Ärger beherrschte. Er wartete schweigend, während seine Gefährtin einen Mann der Besatzung kurz angebunden anwies, ihre Taschen und Koffer augenblicklich unter all dem anderen Gepäck hervorzuholen, sie zum Plantagenhaus hinauf und in ihre Suite zu bringen, und nirgendwo anders hin.

„Mein liebes Kind“, erwiderte der gutmütige Westinder, „ich bin Mitglied der Besatzung auf dieser Yacht, und weiter gehen meine Pflichten nicht. Wenn Sie einen Packesel brauchen …“

„Der Packesel zu Ihren Diensten, Ma’am“, rief da Leroy, einer von Fiestas Hausjungen, der barfuß über den Steg angerannt kam.

Karis legte die Hand vor den Mund, um ihre Belustigung darüber zu verbergen, wie Leroy die reizbare rothaarige Dame mit seinem entwaffnenden, offenen Willkommenslächeln und seiner Bereitwilligkeit, jedem ihrer Befehle augenblicklich zu gehorchen, bezauberte.

Der Mann an ihrer Seite schien diese Zähmung seiner Gefährtin nicht zu bemerken. Er lehnte, in seine eigene Welt zurückgezogen, über der Reling und starrte auf die kleine tropische Insel, seine Kieferpartie noch immer hart zusammengepresst, die breiten Schultern angespannt und unbeugsam unter dem Seidenhemd, das sich in der leichten Brise kräuselte. Trotz seines guten Aussehens wirkte er kalt und so, als sei er nicht eben gerne hier.

Karis erinnerte sich an ihre eigenen Gefühle, als sie sich der Insel zum ersten Mal und auf derselben Yacht genähert hatte. Genau wie der Mann hatte sie die Reling umklammert, und die Schönheit dieser paradiesischen Insel, die wie ein Kleinod von dem türkisfarbenen Meer eingefasst schien, war an ihr vorbeigegangen. Sie war nicht im Stande gewesen, ihre Reize zu erfassen, auf Grund ihrer Befürchtungen in Bezug auf das neue Leben, das vor ihr lag. So weit her hatte sie kommen müssen, um sich von einer Vergangenheit zu lösen, die ihr solchen Schmerz bereitet hatte.

Der Fremde besaß einen ähnlichen Ausdruck, so als trauere er um etwas und sei voller Zweifel, ob sein Kommen überhaupt eine gute Idee war.

Aber das ist ja alles Spekulation, sagte Karis sich, während sie die beiden Neuankömmlinge über den Strand zum Gartenpfad, der zum Haupthaus führte, hinaufgehen sah. Leroy folgte ihnen mühsam mit einem Berg an Gepäck auf dem Rücken.

Da spürte sie plötzlich Joshs warme, sandige Hand in der ihren. Karis umschloss sie fest und schenkte ihm nun ihre volle Aufmerksamkeit. Der kleine Junge beobachtete die Besucher ebenfalls, die dunklen Augen undurchdringlich. Es war einer der schönsten Augenblicke für Karis gewesen, als es ihr das erste Mal gelungen war, seine Zurückhaltung zu durchbrechen. Mittlerweile geschah dies häufiger, doch jetzt war sein Blick vollkommen verschlossen.

„Schon wieder neue Gäste“, sagte sie leise zu ihm. „Aber keine Kinder diesmal.“ Erneut drückte sie aufmunternd seine Hand. Der kleine Fünfjährige, den sie betreute, brauchte die Gesellschaft anderer Kinder. „Du wirst dich also noch ein Weilchen länger mit Klein-Tara als Spielgefährtin zufrieden geben müssen.“

Doch Tara reichte Josh nicht. Sie war noch ein Baby, und Josh brauchte Kinder in seinem Alter. Nicht dass er leicht Anschluss fand, wenn einmal welche auf die Insel kamen. Im Allgemeinen dauerte es einige Tage, bis Josh sich an die Anwesenheit kleiner Feriengäste gewöhnt hatte, und wenn er dann so weit war, dass er hätte versuchen mögen, neue Freundschaften zu schließen, reisten die Kinder schon bald wieder ab.

Irgendwann fanden Kinder immer den Weg zu Karis’ Häuschen, wo man sie gerne willkommen hieß. „Kindermädchen in Sonderstellung“ nannte Fiesta Karis in ihren freundlicheren Momenten, meistens jedoch behandelte sie sie mit Gleichgültigkeit. Karis war lediglich eine Angestellte, die ihr Josh vom Hals halten sollte.

Und Josh war häufig schwierig, launisch und teilnahmslos. Jetzt hielt er den Blick starr auf die drei Menschen gerichtet, die da den Strand heraufkamen – den Gast, der seine Begleiterin behutsam am Ellbogen hielt, damit sie in dem tiefen Sand nicht stolperte, und Leroy mit seinem fröhlichen Geplauder, das jedoch auf taube Ohren zu stoßen schien.

In Karis regte sich etwas, das sie sich nur ungern eingestand, das altbekannte Gefühl von Neid und Reue, das sie überkam, wenn sie lachende Liebespaare an Land kommen sah. Zwar wirkten diese beiden nicht gerade wie ein verliebtes Traumpaar, aber dennoch beneidete Karis die Frau um ihren so umwerfend attraktiven Partner, und es gab ihr einen Stich. Karis hatte keinen Partner mehr, nicht einmal mehr jemanden zum Streiten, und in diesem Augenblick empfand sie ihren Verlust schärfer als sonst.

Energisch wischte sie diese Gedanken beiseite und trat aus dem Schatten des Banyanbaumes, um mit den Kindern am Wasser entlang zu ihrem Häuschen zurückzukehren. Tara schlief an ihrer Schulter, und es war auch Zeit für Joshs Mittagsschlaf. Auf einmal jedoch presste der Junge ihre Hand, so dass Karis innehielt. Zugleich stieß er einen seltsamen Kehllaut aus.

Die Besucher hatten den Eingang zu den Gärten erreicht und befanden sich nur etwa 20 Meter von ihnen entfernt, als der Mann auf Joshs leisen Aufschrei hin stehen blieb und ruckartig in ihre Richtung herumfuhr.

Karis’ Magen schnürte sich zusammen, denn obwohl die anderen weitergingen, stand der Mann regungslos und starrte sie an, barfuß und braun gebrannt wie sie war, in einem scharlachroten Sarong, mit der kleinen Tara auf der Hüfte und den kleinen dunkelhaarigen Jungen an der Hand.

Karis spürte, wie Josh seine kleinen Fäuste ängstlich in ihrem Rock vergrub.

Langsam nahm der Mann seine Sonnenbrille ab, und in diesem Moment wusste Karis, wer er war. Ihr Magen wurde noch enger, und ihr Herz hämmerte.

Er sagte kein Wort, doch mit seinen dunklen Augen musterte er Karis kalt und feindselig. Josh stand steif hinter ihr, die Hände noch immer an ihren Rock geklammert, und dann merkte Karis, wie ein Beben durch seinen kleinen schmalen Körper ging. Ohne ihre grünen Augen von dem Fremden zu lassen, strich sie dem Jungen hinter ihr zärtlich über den Kopf, um ihm zu zeigen, dass er bei ihr in Sicherheit war.

Ein verwirrter Ausdruck huschte über das Gesicht des Mannes, und dann verengten sich seine Augen, während sein Blick missbilligend über Karis’ knappes Oberteil und die wilde, schwarz glänzende Lockenmähne glitt, die ihr bis auf die Schultern fiel. Ein sanfter Tropenwind drückte ihr den Sarong gegen die langen schlanken Beine, so dass ihre Gestalt sich deutlich unter dem dünnen Baumwollstoff abzeichnete.

Da machte Josh eine nervöse Bewegung. Unruhig trippelte er mit seinen bloßen Füßen im Sand, und dann, während sich ihm erneut ein unterdrückter kehliger Schrei entrang, ließ er Karis’ Rock los und stürzte davon, durch die üppigen Büsche und Pflanzen und weiter zu dem Häuschen.

Instinktiv wollte Karis ihm hinterherrufen, unterließ dies jedoch, um Tara nicht zu erschrecken. Die Kleine bewegte sich im Halbschlaf, und Karis legte ihr beruhigend die Hand aufs Köpfchen und streichelte ihr über das seidige schwarze Haar.

Doch keine Sekunde ließ sie den dunklen Unbekannten aus den Augen, denn etwas Eigenartiges war geschehen. Beim Anblick des flüchtenden Kindes und dem Klang seines gequälten Aufschreis war ein Ausdruck solch tiefer Pein über das versteinerte Gesicht gegangen, dass es Karis ins Herz schnitt.

„Miles!“ Der Ruf durchschnitt die heiße, feuchte Luft.

Der Fremde reagierte nicht. Vermutlich ist er nicht der Typ, der auf den schrillen Befehl einer Frau gleich springt, dachte Karis bei sich.

Sie wich zurück, getrieben von dem Wunsch, den zermürbenden Blickkontakt zwischen ihnen zu unterbrechen, aber das war gar nicht so einfach. Zunächst hatte ihre Neugier sie festgehalten, und nun schien er sie durch seinen Blick nicht mehr loszulassen. Und wie finster er mich ansieht, dachte sie. Ob er mich für die verängstigte Reaktion des Jungen verantwortlich macht? Karis konnte es nicht sagen. Ihre tiefe Sorge um Josh war es, was ihr schließlich half, sich endgültig loszureißen. Sie drehte sich um und wandte dem Mann den Rücken zu.

Sie wusste, wer Miles war, und Josh hatte ihn auch erkannt. Das schlafende Kind auf ihrer Hüfte, ging Karis sehr aufrecht am Strand entlang auf das Häuschen zu. Sie spürte den Blick des Mannes auf sich, und unangenehme Schauer rieselten ihr den Rücken hinab, bis sie endlich außer Sichtweite war.

Saffron, das westindische Hausmädchen, nahm Karis das Baby aus den Armen, sobald diese die hölzerne Veranda des Häuschens aus weißem Korallengestein betrat, das sie mit den beiden Kindern bewohnte.

Um Tara nicht zu wecken, flüsterte Saffron mit hilfloser Miene: „Er ist unter seinem Bett, Miss Karis, und macht wieder dieses komische Geräusch, so schrecklich, dass es einem das Herz zerreißt. Sie haben so viel bei ihm erreicht, und jetzt …“

„Er wird schon wieder“, beruhigte Karis und lächelte Saffron liebevoll zu, die ihr in diesem vergangenen Jahr eine solche Hilfe gewesen war. „Bitte legen Sie Tara in ihr Bettchen, und ich versuche, ihn herauszulocken.“

„Das habe ich schon probiert, mit seinem Lieblingskürbiskuchen, aber es hat keinen Zweck. Er wimmert und wimmert nur vor sich hin. Das Kind braucht einen Doktor, einen von diesen Seelendoktoren …“

„Seien Sie ruhig, Saffron“, lachte Karis leise, die wusste, dass diese es nicht wirklich ernst meinte.

Josh lag Saffron ebenso sehr am Herzen wie Karis, und wenn Josh litt, dann litten sie alle mit ihm, wobei Saffrons Schmerz sich dramatischer äußerte als der von Karis, indem sie die Psychiatrie vorschlug und einmal sogar Voodoo!

„Sie wissen genauso gut wie ich, was Josh braucht“, fügte Karis hinzu.

„Na ja, von der da kriegt er’s bestimmt nicht“, antwortete Saffron und wies mit dem Kopf zum Plantagenhaus, das hinter den dichten Büschen verborgen lag. Sie drückte Tara an ihren fülligen Busen und tappte leise summend über die Veranda davon.

Mit einem langen Seufzer der Zustimmung betrat Karis die Küche, goss sich ein Glas Wasser ein und trank es langsam aus, um sich innerlich zu beruhigen. Nein, Josh würde von Fiesta sicher nicht das bekommen, was er brauchte, nämlich ein stabiles Familienleben. Fiesta war zu sehr damit beschäftigt, ihr lukratives Urlaubsgeschäft auszubauen.

Es war Karis ein Rätsel, weshalb der Junge sich überhaupt in Fiestas Obhut befand, obwohl er offensichtlich nicht erwünscht war. Nicht einmal Saffron kannte den Grund. Das Einzige, was Saffron wusste, war, dass irgendwo ein Vater existierte, aber eine Mutter war nie erwähnt worden.

Sorgfältig schnitt Karis ein Stück von Saffrons cremigem Kürbiskuchen ab und schenkte ein Glas Milch für Josh ein. Dann trug sie beides auf einem Tablett nach draußen und über die Veranda zu seinem Zimmer neben ihrem eigenen.

Karis machte keinerlei Versuche, den Jungen unter seinem Bett hervorzulocken. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass dies ein hoffnungsloses Unterfangen war. Er würde herauskommen, sobald er dazu bereit war, und sie würde für ihn da sein, wie immer. Sie setzte sich in einen Rohrsessel an die offene Verandatür, durch die ein süßer Duft nach Jasmin hereinwehte, und begann, aus einem von Joshs Lieblingsbüchern vorzulesen. Doch beim Lesen schweiften ihre Gedanken ab zu dem kalten Fremden, dem sie vorhin begegnet waren.

Der Mann hatte sie vom ersten Moment an fasziniert, aber es handelte sich um keinen angenehmen Eindruck. Mehr als alles andere war es beunruhigend. Der Mann hatte hart und kalt gewirkt wie geschliffener Stahl, und doch war da auch dieser gequälte Ausdruck gewesen, als Josh davongelaufen war …

„W…w…w…“

„Tief durchatmen, Josh“, sagte Karis sanft, legte das Buch weg und nahm den Jungen zu sich auf den Schoß. Er hatte schon seit einiger Zeit hinter ihr gestanden und ihr beim Vorlesen über die Schulter geschaut, doch Karis hatte nicht zu erkennen gegeben, dass sie wusste, dass er da war. Der Kontakt musste von ihm aus kommen, sonst war es sinnlos.

Sie hielt ihm die Stirn, während er sich an sie lehnte und tiefe Atemzüge machte, so wie sie es ihm gesagt hatte.

Vor einem Jahr, als Karis mit der vier Monate alten Tara hier angekommen war, war Josh so gut wie stumm gewesen und hatte sich geweigert zu sprechen, außer Beschimpfungen gegen Fiesta zu stottern. Karis war von seinem Verhalten schockiert und zutiefst bestürzt gewesen, und gleichzeitig erschüttert über Fiestas gefühllosen Umgang mit dem verstörten Jungen. Es war offensichtlich, dass er sie vor ihren Gästen in Verlegenheit brachte, und dass sie ihn loswerden wollte. Und es schien ihr gleichgültig zu sein, wer ihr diese Last abnahm.

Auf einer Englandreise zur Verkaufsförderung ihrer exklusiven, privaten Ferienarrangements in der Karibik hatte Fiesta eine Anzeige für ein Kindermädchen aufgegeben, und Karis hatte sich beworben. Obwohl sie über keinerlei Qualifikationen verfügte, war sie verzweifelt genug gewesen, um sich dennoch um den Job zu bemühen. Während des Vorstellungsgesprächs hatte Fiesta mit keinem Wort erwähnt, dass der Junge ein Problemkind war. Erst nach ihrer Ankunft auf Levos hatte Karis herausgefunden, wie schwierig Josh tatsächlich war und, noch schlimmer, dass sie offenbar die letzte einer langen Reihe höchst qualifizierter Kindermädchen war, die jedoch entweder unfähig oder nicht willens gewesen waren, es mit dem erschreckenden kleinen Jungen aufzunehmen.

Anfangs hatte Karis geglaubt, sie sei ihm auch nicht gewachsen, nicht mit Tara und der Tragödie ihrer eigenen Vergangenheit, mit der sie ebenfalls fertig werden musste. Aber etwas an dem Jungen ging ihr so sehr zu Herzen, dass sie außer Stande war zu gehen. Und seltsamerweise, durch ihre Sorge für Josh und dadurch, dass sie so viel von sich hatte geben müssen, um sein Vertrauen zu erringen, hatte er ihr unbewusst sehr viel zurückgegeben. Bei ihrer Ankunft auf der Insel war sie nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst gewesen, depressiv und fast ohne jede Selbstachtung. Und hier hatte sie einen sehr verschreckten kleinen Jungen vorgefunden, dem es ebenso elend und schlecht ging wie ihr selbst. Doch bei einem Kind waren Störungen und Depressionen noch tragischer. Es war nicht natürlich, dass ein Kind so fürchterlich litt und so unglücklich war.

„W…wird er mich wegbringen?“, brachte Josh schließlich mühsam hervor.

Karis hielt ihn eng umarmt und strich mit der Hand über seine heiße Stirn.

„Wird wer dich wegbringen?“, fragte sie, da sie eine Bestätigung dafür haben wollte, dass es sich bei Miles um denjenigen handelte, den sie vermutete.

Fiesta hatte nichts über Joshs Vergangenheit erzählt, und als Karis sich einmal nach seinen Eltern erkundigte, hatte Fiesta sie mit schmalen Lippen angewiesen, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu scheren und zu tun, wofür sie bezahlt wurde: nämlich sich um den Jungen zu kümmern.

„Mein Vater“, platzte Josh heraus. „Wird er mich wegbringen?“

Also war es Joshs Vater. Karis hatte sich dies bereits gedacht, nachdem der Fremde die Sonnenbrille abgenommen hatte. Die beiden besaßen die gleichen Augen, kalt und unfreundlich, misstrauisch, vorsichtig … Und dennoch, es gab Zeiten, da leuchteten Joshs Augen voller Wärme, Liebe und aufgewecktem Humor. Ob der Vater zu solchen Emotionen fähig war, vermochte Karis nicht zu sagen.

„Ich weiß es nicht“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie war immer aufrichtig zu Josh, denn er war zu intelligent, als dass er sich mit Ausreden hätte abspeisen lassen. „Aber ich werde herausfinden, was hier vor sich geht, Josh“, versprach sie und drückte den Jungen an sich.

Dazu war sie fest entschlossen. Miles Kennedy, Joshs Vater, hielt sich auf der Insel auf, aller Wahrscheinlichkeit nach, um seinen Sohn zu sehen und dessen Zukunft mit Fiesta zu besprechen. Aber wo war die Mutter des Jungen? Diese Simone war es bestimmt nicht, denn sonst hätte Josh es gesagt.

Karis war mehr als beunruhigt. Da sie den Kleinen Tag für Tag betreute, war ihr klar, dass er ein stabiles Familienleben dringend nötig hätte, am besten eines mit Vater und Mutter. Denn obwohl sie ihr Bestes getan hatte, reichte das Beste, was ein Kindermädchen geben konnte, nicht aus, um dem Kind durch den Rest seiner Kindheit hindurch zu helfen. Und falls er ginge? Dann müssen Tara und ich weiterziehen und uns woanders wieder ein neues Leben aufbauen, dachte sie. Zurückgehen können wir nicht. Außerdem wollte Karis das auch gar nicht. Sie hatte hier eine Menge gelernt; nicht zuletzt, dass ein einfaches Leben einen unschätzbaren Wert besaß, was den eigenen Seelenfrieden anbetraf.

„Können wir zur Bucht gehen?“, fragte Josh. Mit der einen Hand drehte er eine von Karis’ schwarzen Haarsträhnen um seine Finger.

Diese kleine intime Geste des Vertrauens ließ Karis das Herz aufgehen. Sie wusste, dass dem Jungen auf seine Weise sehr viel an ihr lag. Und wenn sein Vater nun gekommen war, um ihn mit fortzunehmen, was dann?

Karis konnte den Gedanken kaum ertragen. Aber, falls Miles Kennedy die Absicht haben sollte, das Kind von der Insel fortzubringen, würde er dennoch ein Kindermädchen benötigen, nicht wahr? Es sei denn, es gäbe doch noch eine Mutter irgendwo. Weder von Josh noch von Fiesta war irgendetwas über Joshs Vergangenheit zu erfahren. Es war, als habe er vor seinen zwei Jahren auf der Insel überhaupt nicht existiert.

„Ja, gut. Gehen wir zur Bucht“, stimmte Karis rasch zu, presste den Jungen noch einmal fest an sich und drückte ihm einen feuchten Kuss auf den Hals unterhalb seines Ohres, was ihn zum Lachen brachte.

Vielleicht würde Miles zum Häuschen herüberkommen, weil er seinen Sohn sehen wollte, aber Saffron war ja da und konnte ihm sagen, wo sie waren. Voller Optimismus stellte Karis sich vor, wie sie ihm alles über seinen von ihm entfremdeten Sohn erzählte, was für ein guter Schwimmer er war, wie gut er lesen konnte – eine erstaunliche Leistung für einen Fünfjährigen, der ein Jahr zuvor kaum einen zusammenhängenden Satz zu Stande gebracht hatte.

Aber warum spürte sie, wie sich eine dunkle graue Wolke der Unsicherheit auf sie herabsenkte? Eines Tages in naher Zukunft werden Tara und ich Josh an seinen kalten, gefühlsarmen Vater verlieren und … Nein, ich will nicht daran denken, jetzt noch nicht. Josh möchte schwimmen und tauchen und Seeschildkröten unter Wasser jagen, und genau das werden wir tun.

„Sind Sie sicher, dass es Ihnen nichts ausmacht, länger zu bleiben, solange ich drüben im Haupthaus bin, Saffron?“, fragte Karis später am Abend.

Saffron wohnte in den Angestellten-Unterkünften hinter dem Plantagenhaus, und bisher hatte Karis sie noch nie darum gebeten, abends dazubleiben. Karis hatte keinerlei gesellschaftliches Leben, und auf der winzigen Insel gab es auch keine Möglichkeit dazu. Zu Fiestas Hauspartys, von denen es in der Urlaubssaison zahlreiche gab, war sie noch niemals eingeladen worden. Schließlich war Karis auch bloß eine Angestellte.

„Natürlich macht es mir nicht aus“, erwiderte Saffron, die gerade ihren Abwasch beendete, und wandte sich Karis zu, die vor dem Küchenspiegel stand und sich bemühte, ihr ungebärdiges Haar irgendwie zu zähmen. „Sie sollten auf jeden Fall herausfinden, was der Vater des Jungen für Absichten hat.“

„Ja, allerdings“, murmelte Karis nachdenklich. Sie drehte ihre Haare zu einem Knoten auf und steckte ihn mit einer Goldspange fest. Sie trug ihr bestes Outfit, ein eng anliegendes Etuikleid aus dunkelgrüner Seide mit Spaghettiträgern. Sie ging jedoch barfuß. Nach einem Jahr auf einer Tropeninsel ertrug sie keine Schuhe mehr an ihren Füßen, ja, nicht einmal Sandalen. Möglicherweise hatte sie sich den Sitten der Einheimischen zu sehr angepasst, aber der gelassene Lebensstil der Westinder hatte ihr nach der Förmlichkeit Englands sehr zugesagt. Hier fühlte Karis sich freier als je zuvor. Doch nun beugte sie sich den Konventionen und machte das Beste aus sich, ehe sie Fiesta und vielleicht auch Joshs Vater gegenübertrat, da es wichtig war, dass sie einen guten Eindruck hinterließ. Aber zum Teufel mit den Schuhen!

„Sind Sie sicher, dass Joshs Vater nicht hier war, solange Josh und ich an der Bucht gewesen sind?“, fragte Karis und steckte eine vorwitzig entwichene Strähne in die Spange zurück. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass er nicht gekommen war.

„Absolut sicher“, meinte Saffron mit Nachdruck. „Ich habe die ganze Zeit draußen auf der Veranda gesessen, und er ist nicht mal in der Nähe gewesen.“

Dennoch hatte Karis das sichere Gefühl gehabt, dass sie beobachtet worden waren, während sie in der kleinen Bucht auf der anderen Seite der Insel geschwommen waren und tauchen geübt hatten. Die Bucht war nur eine Viertelstunde Fußweg entfernt, doch weit genug, dass man dort für sich sein konnte. Fiestas Gäste waren gewöhnlich ein träger Haufen, der sich nie weit von dem opulenten Plantagenhaus mit seinem Swimmingpool und der verschwenderisch ausgestatteten Cocktailbar entfernten.

Ach, wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet, dass der Kerl Josh und mich beschattet hat, dachte Karis.

„Es ist schrecklich“, seufzte sie. „Seit ich Josh betreue, hat er ihn nicht ein einziges Mal besucht. Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen.“

„Er war da, als Sie mit Tara zur Untersuchung beim Kinderarzt auf St. Lucia waren, vor einem halben Jahr“, sagte Saffron, trocknete sich die Hände und sah Karis, die sich überrascht umgedreht hatte, an. „Sie erinnern sich, dass der Junge nach Ihrer Rückkehr eine Woche lang gejammert hat.“

„Und ich dachte, er sei böse auf mich gewesen, weil ich ihn nicht mitgenommen habe. Warum haben Sie mir nichts davon erzählt, Saffron?“

Saffron wich ihrem Blick achselzuckend aus. „Es hätte doch keinen Zweck gehabt, wenn Sie sich deshalb auch noch beunruhigt hätten.“

„Hm. Na ja, vielleicht.“

Unwissenheit ist ein Segen, dieser Meinung war Saffron, und möglicherweise hatte sie sogar Recht. Karis hätte sich in der Tat beunruhigt. Dennoch wäre sie gerne informiert worden. Immerhin war sie diejenige, die dem schwierigen Kind am nächsten stand, und wenn sie gewusst hätte, was wirklich hinter seinem Kummer steckte, wäre sie viel eher in der Lage gewesen, ihn da herauszuholen. Es tat ihr weh, dass der Kleine eine derartige Furcht vor seinem eigenen Vater hatte.

„Ich bleibe nicht lange“, sagte sie von der Verandatür aus zu Saffron. „Falls die Kinder aufwachen …“

„Das werden sie schon nicht“, lachte diese, doch dann verschwand das breite Lächeln von ihrem runden Gesicht, und sie wurde ernst. „Ich wünschte, Sie wären für eine Verabredung so schön angezogen.“

„Eine Verabredung? Mit wem denn?“ Karis lachte leise und fügte scherzend hinzu: „Vielleicht mit einem von diesen grauenvollen, reichen alten Kerlen, die aus Miami zum Urlaubmachen hierher kommen? Dann hätte ich schon lieber ein Rendezvous mit dem Leibhaftigen persönlich!“

„Schlimmes Mädchen!“, gab Saffron mit amüsiertem Tadel zurück.

„Ich bin gar kein schlimmes Mädchen“, murmelte Karis auf dem Pfad zum Haupthaus, der durch den gedämpft beleuchteten Garten führte. Der Teufel war bestimmt sicherer als der Mann, den Karis in ihr Leben hineingelassen hatte, den Mann, den sie geheiratet und auf so tragische Weise verloren hatte. Armer Aiden. Karis fröstelte, trotz der drückenden Hitze. Er hat sein Schicksal nicht verdient, egal was er getan hat, dachte sie. Und er hat mir Tara geschenkt.

Es war eine samtschwarze tropische Nacht. Schwere Wolken verdeckten den Mond und drückten die Hitze des Tages auf den Boden zurück, so dass die Luft schwül und stickig war. Karis hörte Gelächter vom Strand, und der Geruch des Kohlengrills, auf dem die T-Bone-Steaks gebraten wurden, stieg ihr in die Nase. Fiesta besaß ihren Spitznamen nicht zu Unrecht. Sie wusste, wie man Partys gab.

Ohne Eile schlenderte Karis durch den duftenden Garten und wiederholte im Geiste, was sie Fiesta und gegebenenfalls Joshs Vater gegenüber vorbringen wollte. Der Junge brauchte mehr als auf der Insel möglich war. Eine vernünftige Schulbildung, beispielsweise. Karis fürchtete den Gedanken, ihn zu verlieren, aber Joshs Wohlergehen und seiner Zukunft galt ihre Hauptsorge. Und ihre Überlegung von vorhin gewann zunehmend an Bedeutung. Wenn dies nicht lediglich ein Besuch war, und Miles vorhatte, seinen kleinen Sohn mit in die Staaten zu nehmen, würde er ein Kindermädchen benötigen. Und wer war dafür wohl besser geeignet als diejenige, die ihn das gesamte vergangene Jahr betreut und ein kleineres Wunder an ihm vollbracht hatte?

2. KAPITEL

Karis umrundete das Haus, bis sie sich direkt unter dem breiten schmiedeeisernen Balkon des Wohnzimmers befand, aus dem helles Licht durch die Terrassentüren nach draußen fiel. Sie hatte sich von Fiestas Haushälterin sagen lassen, wo sie sie finden konnte, und anstatt durchs Haus zu gehen, wo sie riskierte, einigen der Hausgäste über den Weg zu laufen, die um diese Zeit normalerweise schon ziemlich tief ins Glas geschaut hatten, zog Karis es vor, ums Haus zu gehen und vom Rosengarten aus über die schmiedeeiserne Treppe auf den Balkon zu gelangen.

„Welche Qualifikationen hat sie denn?“, hörte sie da plötzlich eine unfreundliche Männerstimme über sich, und erstarrte.

Karis presste sich gegen die schroffe Korallenwand in den Schatten des Hauses, wo sie nicht gesehen werden konnte.

„Qualifikationen? Erwartest du etwa jemand Qualifiziertes, um deinen unkontrollierbaren Sohn in Schach zu halten? Komm wieder auf den Boden, Miles. Karis ist die Einzige, die überhaupt geblieben ist!“, entgegnete Fiesta aufgebracht.

„Und es ist auch ziemlich offensichtlich, wieso. Sie ist ja selbst nicht mehr als ein Kind, und noch dazu wild … diese Mähne und barfuß … wie eine Einheimische. Sie muss sich ja geradezu glücklich geschätzt haben, als du ihr dieses Luxusleben ermöglicht hast. Wo zur Hölle hast du sie eigentlich aufgetrieben?“

Autor

Natalie Fox
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