Stürmische Liebe in Cornwall

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Mariannes Leben steht Kopf, als sie an der malerischen Küste Cornwalls in ein aufregendes Abenteuer gerät: In den Klippen sind Schmuggler am Werk, nachts schleicht ein Unbekannter durchs Haus - und immer wieder läuft ihr ein faszinierender Fremder über den Weg. Mr. Beck, wie er sich nennt, bietet ihr nicht nur seinen Schutz an, mit seiner charmanten Art und einem überraschenden Kuss erobert er auch ihr Herz im Sturm. Doch dann erfährt Marianne zufällig von der wahren Identität ihres attraktiven Verehrers. Hat sie sich etwa in einen Betrüger verliebt?


  • Erscheinungstag 06.07.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767310
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

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London 1813

„Ein ausgesprochen widerliches Pack“, sagte Captain Jack Harcourt zu seinem Freund, mit dem er sich an diesem Augustnachmittag in Gentleman Jacksons berühmten Boxclub getroffen hatte. Nun standen die beiden Herren nach einem ausgiebigen Übungskampf bis zur Taille nackt im Baderaum, um sich den Schweiß abzuwaschen. „Sei dir also klar darüber, dass du dein Leben riskierst, wenn du dich darauf einlässt.“

Andrew, Lord Beck, Marquis of Marlbeck, ließ sich einen Guss kalten Wassers über den muskulösen Oberkörper rinnen. Die beiden Männer, hochgewachsen und muskulös, hätten verwandt sein können, so ähnlich sahen sie sich, doch tatsächlich verband sie nur die Freundschaft sie miteinander, die sie in den vielen Kämpfen auf der Pyrenäenhalbinsel zusammengeschmiedet hatte. „Wenn ich dumm genug wäre, mich erwischen zu lassen“, entgegnete er spöttisch. „Keine Angst, Jack. Ich werde dich nicht enttäuschen. Zwar musste ich aus der Armee ausscheiden, trotzdem bin ich immer noch ein zäher Bursche. Wenn der Spion da sitzt, wo du ihn vermutest, kriege ich ihn.“

„Nicht einen Moment würde ich vermuten, dass du inzwischen verweichlicht bist! Ich verlasse mich in dieser Sache voll und ganz auf dich. Wegen dieses Schurken mussten sieben unserer Freunde sterben, nicht zu vergessen die Männer, die unter uns dienten. An jenem Tag haben wir mehr als zwanzig verloren, und wer weiß, von wie vielen wir nicht einmal wissen! Dafür will ich Rache, genau wie du. Ich würde selbst nachforschen, nur hat mich Wellington für eine Sonderaufgabe angefordert.“

„Du glaubst, der Spion ist unter unseren eigenen Leuten zu finden? Jemand, mit dem wir gemeinsam gekämpft, unser Brot geteilt haben?“, fragte Drew düster und fühlte wieder die Bitternis, die er in den letzten Monaten zu verdrängen gesucht hatte. „Die Vorstellung gefällt mir nicht, Jack.“

„Ja, auch mir bereitet der Gedanke Übelkeit“, entgegnete Jack. „Ich wünschte, es wäre anders, aber alles deutet darauf hin, dass ein Landsmann uns verraten hat – und immer noch für Bonaparte arbeitet.“

„Himmel!“ Drews Augen glühten vor Zorn. Niemals würde er den Tag vergessen, an dem er mit einer kleinen Abteilung ausgerückt war – zu einem Überraschungsangriff, wie er gedacht hatte. Irgendwie jedoch wussten die Franzosen, dass sein Trupp kam, und so waren nur ein paar Leute dem Gemetzel entkommen. „Wenn ich ihn erwische, hat er sein letztes Gebet gesprochen!“

„Nein, Drew, so geht es nicht! Der Verräter muss hängen! Wenn du die Gerechtigkeit selbst in die Hand nimmst, bist du nicht besser als er und seine Spießgesellen.“

„Meinst du, es wären mehrere darin verwickelt?“

„Ja, Franzosen zweifellos, doch nur ein Engländer!“

„Und die führen diesen Schmugglerring gemeinsam?“

„Mit der Schmuggelei bemänteln sie ihre anderen Aktivitäten. Ich bin sicher, der Spion kommt mit dem französischen Segler, der im Schutz der Dunkelheit die Schmuggelwaren ins Land bringt. Du weißt schon: Brandy, Seide, Spitzen. Und unser Landsmann, der unauffällig in der Gesellschaft verkehren kann, nutzt, was er erfährt, gegen unsere Truppen. Kurz gesagt, er ist ein Gentleman oder gibt sich als solcher aus. Der Krieg ist noch längst nicht vorbei, Drew. Wellington will den Mann am Galgen sehen, damit er dem Feind vor der entscheidenden Schlacht nicht noch mehr Geheimnisse verraten kann.“

„Nun, ich werde alles tun, um den Schurken zu fassen.“ Drew runzelte die Stirn, in seinen Augen brannte ein kaltes blaues Feuer. Schließlich klopfte er dem Freund auf die Schulter. „Tut gut, dich mal wieder zu sehen, Jack. Ich vermisse so manches …“

Drew hatte es als seine Pflicht betrachtet, sein Offizierspatent zu verkaufen, als sein Onkel starb, dessen Erbe er war, denn die Besitzung brauchte einen Herrn. Da außer ihm nur noch ein ältlicher entfernter Cousin existierte, fühlte er sich manchmal ein wenig allein und vermisste zudem die Kameradschaft, die er in der Armee erfahren hatte.

„Willst du dich wirklich auf diese Sache einlassen?“, fragte Jack. „Als Wellington dich vorschlug, ging ich eigentlich davon aus, dass du ablehnst. Ich vermutete, deine Pflichten auf Marlbeck beanspruchten dich zu sehr.“

„Pflicht kann ganz schön langweilig sein“, entgegnete Drew mit schiefem Lächeln. „Warte nur, bis du gezwungen bist, sesshaft zu werden. Dann wirst auch du dich nach Abenteuern sehnen.“

„Abenteuer? Mein Freund, das hier ist ernst! Vergiss es besser nicht!“ Jack dachte daran, wie oft das wilde Temperament des Freundes die Oberhand gewonnen hatte.

„Schau nicht so zweifelnd!“, sagte Drew. „Ich verspreche dir, das liegt hinter mir. Inzwischen weiß ich, was Pflicht heißt. Auf mein Wort, ich werde mein Bestes tun, den Spion zu fassen – meine Hand drauf!“

„Eure Tante kommt heute zum Tee“, verkündete Mrs. Horne, als ihre Töchter sich in dem hübschen Salon des Pfarrhauses einfanden. Das große, gediegene Haus, in dem sich während Mrs. Hornes fünfundzwanzig Ehejahren viele persönliche Schätze angesammelt hatten, wirkte ein wenig abgewohnt – Geld war eher rar gewesen –, aber das hatte die Familie nie sonderlich bekümmert. Heute jedoch zeigten Mrs. Hornes sanfte blaue Augen einen leicht besorgten Ausdruck. Sie hatte stets ein wenig ehrfürchtig zu ihrer Schwester aufgeschaut, und seit ihr Gatte, Reverend Josiah Horne, vor einigen Monaten gestorben war, war dieses Gefühl zusehends übermächtig geworden. „Hier in der Nachricht schreibt sie, dass sie etwas mit uns besprechen will.“

„Meinst du, sie wird uns anbieten, oben im Herrenhaus zu wohnen?“, fragte Jo und zog eine Grimasse. „Das würde mir nicht gefallen.“

„Du weißt doch, dass wir bald ausziehen müssen“, mahnte Marianne, die älteste der drei Schwestern. Sie war neunzehn, von ausgeglichener Gemütsart und galt mit ihrem honigblonden Haar, den blaugrünen Augen und dem reizvollen Mund allgemein als Schönheit. „Nur Lord Wainwright haben wir es zu verdanken, dass wir noch eine Weile bleiben konnten. Eigentlich hätte das Haus einen Monat nach Papas Tod geräumt werden müssen.“

Der plötzliche Tod Reverend Hornes hatte sie alle zutiefst erschüttert, denn er war stets ein kräftiger, gesunder, energiesprühender Mann gewesen.

„Es besteht kein Grund zu verzweifeln“, sagte Mrs. Horne, sich mühsam fassend, da die Erwähnung des Verstorbenen sie und ihre Töchter jedes Mal aufs Neue zu Tränen rührte. Er fehlte seiner Familie ebenso wie seinen Pfarrkindern. „Wir haben immer noch das Cottage, das ich von Großvater erbte. Zwar ist es zurzeit vermietet und sicherte mir bisher ein kleines persönliches Einkommen, doch wenn es sein muss, wohnen wir eben dort; nur müssten wir dann nach Cambridgeshire umziehen. Das wäre aber, glaube ich, immer noch besser, als auf Tante Agathas Mildtätigkeit angewiesen zu sein, was uns wohl allen sehr unangenehm wäre.“

„Mama, bitte sag nicht, dass wir bei Lady Wainwright wohnen müssen“, rief Lucy mit Tränen in den Augen. „Ach, wäre der liebe Papa doch nur nicht gestorben! Wo er immer so gut war und stets allen half! Warum musste er auch eine Lungenentzündung bekommen!“ Sie war die jüngste der Schwestern und das geliebte Nesthäkchen. Als sie nun in Tränen ausbrach, legte Marianne tröstend einen Arm um sie.

„Weine nicht, Liebes“, sagte sie und strich dem Mädchen über das weiche, wie Silber schimmernde Haar. „Wir alle wünschen uns, Papa wäre noch bei uns. Aber Weinen nützt nichts, wir müssen jetzt entscheiden, was zu tun ist. Onkel Wainwright war so gut, uns noch eine Weile hier wohnen zu lassen, bis wir uns ein wenig mit Papas Verlust abgefunden haben, aber das Haus steht dem neuen Pfarrer zu.“

Marianne wusste, dass sie alle Lord Wainwright für seine Großzügigkeit dankbar sein mussten, aber seine Gattin, Mrs. Hornes Schwester, ließ keine Gelegenheit aus, sie darauf hinzuweisen, wie sehr sie von seiner Güte abhängig waren. Lady Wainwright war sich ihrer Stellung übermäßig bewusst und kehrte ihren höheren Stand ihrer Schwester gegenüber, die ja nur eine Pfarrersfrau war, stets heraus.

„Aber dies ist unser Heim“, sagte Jo trotzig. „Unser Onkel könnte dem neuen Pfarrer leicht ein anderes Haus zuweisen.“

„Jo, dies ist nun mal das Pfarrhaus“, sagte Marianne besänftigend. Josephines Temperament war ebenso feurig wie ihr flammend rotes Haar, und ihre Augen leuchteten so grün wie ein Smaragd. „So ist es nun mal, und wir können nur danken, dass wir überhaupt noch ein Heim haben.“

„Kannst du nicht mit ihm reden, Mama?“, fragte Jo, die sich nicht beruhigen lassen wollte. „Er hat dich gern. Manchmal glaube ich, mehr als Tante Wainwright.“

„Jo!“, rief Mrs. Horne. Sie war sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst, achtete aber darauf, nie Vorteile daraus zu ziehen. „Sag so etwas nicht! Es stimmt nicht. Außerdem …“ Sie brach ab, als vor dem Haus Räderrattern erklang. „Da ist Agatha. Bitte, meine Lieben, denkt daran, dass wir zurzeit von der Mildtätigkeit eures Onkels leben.“

Jo gab, wenn auch unwillig, nach. Sie war von den drei Mädchen vermutlich die, die ihre Abneigung gegen ihre momentane Situation am wenigsten verbergen konnte. Wie ihr Vater besaß sie einen raschen Verstand und trug wohl am schwersten an seinem Tod. Sie trauerte nicht nur wie die anderen, sondern betrachtete sich als vom Schicksal ungerecht behandelt, was sie wütend machte. Dadurch, dass das Einkommen, das ihr Vater als jüngerer Sohn genossen hatte, mit seinem Tode erlosch, war die Familie in eine sehr prekäre finanzielle Lage geraten.

Marianne konnte ihre Schwester gut verstehen; auch sie hatte ihre Tante nie besonders gut leiden können, die sich seit ihrer Heirat mit Lord Wainwright übertrieben wichtig vorkam und auf ihre Schwester hinabsah, weil die aus Liebe einen Herrn aus gutem Hause, jedoch ohne eigenes Vermögen, geheiratet hatte.

Höflich erhob Marianne sich, als ihre Tante herrisch ins Zimmer rauschte. Lady Wainwright war groß und dünn und trug stets eine verdrießliche Miene zur Schau. Sie ließ den Blick über ihre Nichten gleiten, die höflich knicksten, und nickte hoheitsvoll, als erwartete sie gar nichts anderes. Da sie im Rang unter ihr standen, mussten sie sich darüber im Klaren sein, was sie ihrer Wohltäterin schuldeten.

„Cynthia“, sagte sie, und hauchte einen Kuss neben Mrs. Hornes Wange. „Du siehst müde aus. Nun, nicht verwunderlich bei deinen Sorgen. Aber ich habe gute Nachrichten. Wainwright sagt, ihr könnt das Pförtnerhaus haben. Natürlich ist es ein wenig klein, doch es sollte genügen, denke ich, denn du kannst sowieso nicht mehr das gesellschaftliche Leben wie früher pflegen. Ihr könnt so bald wie möglich umziehen.“

„Das ist sehr gütig von ihm …“ Mrs. Horne war ein wenig durcheinander – erleichtert, eine Unterkunft zu haben, doch auch besorgt, weil das Häuschen nur drei Schlafzimmer hatte. Eine Bedienstetenkammer gab es auch nicht, sodass ihr Hausmädchen auf einem Feldbett in der Küche würde schlafen müssen. „Danke, er ist sehr freundlich.“

„Ja“, sagte Lady Wainwright selbstgefällig, „denn er war nicht verpflichtet, etwas für euch zu tun, und hätte es auch nicht getan, wenn du nicht meine Schwester wärest.“ Zufrieden sah sie, wie diese auf ihrem Stuhl zusammenschrumpfte. „Das ist jedoch noch nicht alles. Mein Arzt hat mir eine Trinkkur in Bath empfohlen.“ Sie drückte eine Hand auf ihren in karminrote Seide gehüllten Busen. „Wainwright meint, dass ich mich letztens in London überanstrengt habe. Wie du weißt, hat Annette debütiert. Da sie nun gut verheiratet ist, habe ich Zeit, mich um deine Töchter zu kümmern, Cynthia.“

Marianne und Jo sahen sich entsetzt an, denn beide legten wenig Wert darauf, von Lady Wainwright bevormundet zu werden. Da Lucy noch zu jung war, würde es wohl auf eine von ihnen hinauslaufen.

„Aber wir …“ Der scharfe Blick ihrer Schwester ließ Mrs. Horne innehalten. „Natürlich müssen wir für das Haus dankbar sein, aber …“

„Aber mehr hast du nicht erwartet“, vollendete Lady Wainwright. „Warum auch? Dass Wainwright euch das Pförtnerhaus überlässt, ist außerordentlich großzügig von ihm. Was ich nun anspreche, tue ich aus eigenem Antrieb. Ich habe beschlossen, dass Marianne mich nach Bath begleiten soll. Bestimmt werden sich dort für sie viele Gelegenheiten finden, eine gute Partie zu machen. Normalerweise würde sie kaum auf Besseres als einen jüngeren Sohn rechnen können, doch als meine Nichte wird sie bestimmt an Ansehen gewinnen. Ich hätte sie zusammen mit Annette nach London nehmen können, doch das wäre meiner Ansicht nach verschwendete Zeit gewesen. Schließlich ist Annette eine Erbin, sie bekam naturgemäß eine Menge Anträge; Marianne wird sich mit weniger begnügen müssen. Mit ein bisschen Glück wird jemand aus dem niederen Adel um sie werben, aber ein begüterter Gentleman ohne Titel würde es auch tun.“ Sie schaute Marianne erwartungsvoll an. „Nun, junge Dame, was sagst du dazu? Hättest du das je erwartet?“

„Nein, wirklich nicht“, entgegnete Marianne höflich. Mühsam hielt sie sich zurück, um ihrem Ärger und ihrer Verlegenheit nicht mit deutlichen Worten Luft zu machen. Sie wäre Lady Wainwright für die Einladung sehr dankbar gewesen, hätte diese sie nur anders formuliert. So jedoch sträubte sich ihre Feinfühligkeit gegen jedes Wort der Tante. „Es ist sehr freundlich von Ihnen, an mich zu denken …“

Glücklicherweise erschien in diesem Augenblick Lily mit dem Teetablett, sodass man eine Weile abgelenkt war.

„Euer Mädchen hat gute Manieren, und backen kann es hervorragend“, bemerkte Lady Wainwright, während sie zum wiederholten Male von den köstlichen Mandelküchlein nahm, die Lily am Morgen frisch zubereitet hatte. „Sie kann gern oben im Herrenhaus unterkommen, falls sie sich einmal nach einem anderen Dienst umsehen sollte.“

„Sie wird sich bestimmt freuen, das zu hören“, entgegnete Mrs. Horne. „Aber ich kann wirklich nicht ohne sie auskommen, Agatha. Als sie von unseren neuen Umständen hörte, bot sie sich an, nur gegen Kost und Logis zu arbeiten. Selbstverständlich zahle ich ihr Lohn, nur ist es leider nicht viel.“

„Lily weiß, dass du ihr mehr zahlen würdest, wenn du könntest“, mischte Jo sich ein. „Außerdem ist sie gern bei uns. Oben im Herrenhaus würde es ihr nicht gefallen.“

„Du bist sehr geradeheraus, Josephine“, tadelte die Tante. „Dass deine Mutter das zulässt! Aber kein Wunder, ein Zuchtmeister war sie ja nie.“

Jo öffnete den Mund, schloss ihn jedoch nach einem warnenden Blick ihrer Mutter wieder. Stattdessen stand sie auf und ging zum Fenster. Als sie draußen den Hilfsgeistlichen erspähte, entschuldigte sie sich und ging, um einige Worte mit ihm zu wechseln.

„Also wirklich!“, rief Lady Wainwright. „Cynthia, du musst deiner Tochter bessere Manieren beibringen! So findet sie nie einen Gatten.“

„Ich fürchte, Jo möchte gar nicht heiraten. Ich kann es mir nicht erklären, aber sie ist ein rechter Blaustrumpf. Ich nehme an, das hat sie von ihrem Vater. Von mir kaum, ich habe keinen Kopf fürs Lernen.“

„Ja, in deiner Jugend warst du ein ziemlicher Wirrkopf. Aber lassen wir die Vergleiche. Die Schönheit der Familie ist auf jeden Fall Marianne, und das hat sie von dir, denn auch du warst sehr schön. Ach, ich glaube, selbst jetzt könntest du noch eine gute Partie machen!“

„Oh, nein, ich glaube …“ Zum zweiten Mal wurde Mrs. Horne durch Lily gerettet, die einen Brief brachte.

„Der ist für Sie, Madam.“ Lily strahlte sie an. „Ein Postreiter hat ihn direkt aus Cornwall gebracht. Er sagt, er wird morgen wiederkommen und Ihre Antwort abholen. Es sei denn, Sie wollen gleich antworten.“

„Es scheint etwas Dringendes zu sein“, sagte Mrs. Horne und öffnete mit fahrigen Händen das Schreiben. Sie wusste, es musste von ihrer Tante Lady Edgeworthy sein. Rasch überflog sie die Zeilen. „Du meine Güte, Marianne, meine Tante Bertha war krank, und nun braucht sie ein wenig Unterstützung. Sie bittet dich, sofort zu ihr zu reisen.“

„Aber das ist unmöglich! Marianne soll mit mir nach Bath fahren“, rief Lady Wainwright. „Cynthia, du musst deiner Tante absagen! Oder schick Jo oder Lucy.“

Cynthia Horne richtete sich energisch auf. Dieses Mal würde sie ihrer Schwester nicht nachgeben. „Es tut mir leid, Agatha, das geht nicht. Tante Bertha ist Mariannes Patin, sie liebt das Mädchen sehr. Sie ist betagt und im Moment vermutlich gebrechlich, deshalb muss in diesem Fall ihr Befinden vorgehen.“

Lady Wainwright sah ihre Schwester böse an, sagte aber schließlich unwillig, während sie sich erhob: „Nun ja, wenn sie krank war … Ich werde mir überlegen müssen, ob Josephine schon reif genug ist, um zu debütieren.“

Marianne küsste ihrer Tante zum Abschied die Wange. „Es war lieb von Ihnen, an mich zu denken, doch Großtante Bertha braucht mich, sonst hätte sie bestimmt nicht das Extraporto für eine umgehende Antwort gezahlt.“

„Da magst du recht haben“, sagte Lady Wainwright gnädig. „Du bist ein gutes Mädchen, Marianne, dass du für eine Kranke dein Vergnügen opferst.“

Marianne entgegnete nichts darauf, sondern geleitete ihre Tante zur Tür und verabschiedete sie. Zurück im Salon fand sie ihre Familie in heller Aufregung. Jo wütete, weil sie Lady Wainwright nicht ihre wahren Gedanken hatte enthüllen dürfen, und Mrs. Horne mühte sich, sie zu beruhigen.

„Wer weiß, vielleicht findet sie ja, dass du zu schlechte Manieren hast, um sie zu begleiten“, sagte Marianne neckend.

„Aber sie ist auch so … so selbstgefällig, dass ich mich überwinden muss, um freundlich zu sein.“

„Auch mir geht es manchmal so, doch es ist besser, höflich zu bleiben. Immerhin hat Lord Wainwright in den letzten Monaten sehr viel für uns getan“, erinnerte Marianne die Schwester.

„Ja, ganz recht“, stimmte Mrs. Horne zu. „Außerdem wirst du in der Gesellschaft viele ihrer Art finden, Jo, also lern, deine Zunge in Zaum zu halten.“

„Ich weiß“, sagte Jo ein wenig beschämt. „Nur reizt sie mich so. Mama, sag, dass ich nicht mit ihr nach Bath muss, bitte.“

„Ich kann dich nicht zwingen, Kind, doch deine Ablehnung würde unsere Lage nur schwieriger machen. Außerdem denke ich, Bath würde dir gut tun. Du würdest neue Menschen kennenlernen. Und es gibt viele Buchhandlungen dort.“

Das war für die wissbegierige Jo eine willkommene Aussicht und milderte ihren Widerstand.

Mrs. Horne fuhr fort: „Schließlich müssen wir auch an Lucys Zukunft denken. Wir dürfen meine Schwester nicht verärgern.“

„Sprecht ihr von mir?“ Lucy hatte am Fenster gestanden und verträumt hinausgeschaut. „Ich habe mir gerade vorgestellt, wie ein Ritter auf weißem Ross mich aus den Händen eines Bösewichtes errettet.“

„Ach, Lucy!“ Mrs. Horne lächelte; ihre Jüngste war wirklich noch sehr kindlich und wurde von allen gehätschelt. „Du liest zu viele Märchen. Ich fürchte, du wirst eines Tages sehr enttäuscht sein.“

„Ich weiß, Mama, aber ich träume nun einmal zu gern. Sag, muss Jo wirklich mit der Tante gehen?“

„Ich zumindest muss fort“, meldete Marianne sich zu Wort. „Sollte ich nicht besser so schnell wie möglich zu Tante Bertha fahren, Mama?“

„Himmel“, rief Mrs. Horne. „Der Bote wartet immer noch auf meine Antwort!“

„Nein, keine Sorge, als ich Tante Wainwright zur Tür brachte, trug ich ihm auf, morgen ganz früh herzukommen und den Brief abzuholen. Dann kann er die erste Postkutsche noch erreichen.“

„Wie aufmerksam von dir, Liebes“, sagte Mrs. Horne erfreut. „Bist du sehr enttäuscht, dass du nicht nach Bath kannst?“

„Nein, das weißt du doch. Ich hielt mich immer gern bei Tante Bertha auf, und wenn sie nach mir verlangt, würde ich nie ablehnen. Wahrscheinlich fühlt sie sich einsam, obwohl sie ja eine Gesellschafterin hat.“

„Eine andere Einstellung hätte ich von dir auch nicht erwartet, Liebes. Nun müssen wir uns nur noch um deine Garderobe kümmern. Nicht, dass du in Lumpen gehen musst!“

„So weit ist es noch nicht!“, rief Marianne lachend. „Doch vielleicht sollte das eine oder andere Kleid mit Blumen oder neuen Bändern ein wenig aufgefrischt werden.“

Mrs. Horne hatte ein wenig Geld zurückgelegt, wenn es sie auch hart angekommen war. Sie erklärte Marianne, dass davon nun mindestens ein neues Kleid angeschafft werden müsste. „Gleich morgen fahren wir nach Huntingdon“, verkündete sie, was bei den Mädchen Freudenstürme auslöste. Früher waren sie jede Woche in das Nachbarstädtchen kutschiert, doch nun, da der Reverend nicht mehr lebte, konnten sie sich dieses Vergnügen nur noch selten leisten.

In dem kleinen Ort gab es nur eine Schneiderei, die jedoch auch fertige Kleider vorrätig hatte. Nachdem die vier Damen sich eine Weile umgesehen hatten, fiel ihre Wahl auf ein Abendkleid, denn das würde Marianne auf jeden Fall brauchen, selbst wenn Lady Edgeworthy nur selten eine Dinnergesellschaft gab. Zwar bot Mrs. Herrington, die Schneiderin, an, ihr drei Kleider zu einem Sonderpreis zu lassen, doch das Gesparte würde dann nicht mehr für die vielen fehlenden Kleinigkeiten reichen. Also blieb es bei der einen hübschen blauen Abendrobe, die Marianne besonders gut stand. Da die Mädchen jedoch sehr geschickt im Nähen waren, beschlossen sie, Stoff zu kaufen und in aller Eile zwei Kleider selbst zu nähen, ehe Marianne aufbrechen musste.

Nachdem sie noch neue Stiefelchen erstanden hatten, besorgten sie in einem Putzladen Material, um Mariannes vorhandene Garderobe ein wenig zu modernisieren, gönnten sich dann in der Poststation Tee und Gebäck und kletterten schließlich erschöpft, aber zufrieden in die Mietkutsche, die sie heimbrachte.

Im Pfarrhaus fanden sie einen Brief von Lord Wainwright vor, des Inhalts, dass er Marianne für die Fahrt nach Cornwall eine seiner Kutschen zur Verfügung stellen werde. Sie möge also an der Poststation die von Lady Edgeworthy für die öffentliche Kutsche geschickte Fahrkarte zurückgeben und sich den Betrag erstatten lassen. Zusammen mit dem Brief hatte er ihr einen Beutel mit Goldstücken im Wert von zwanzig Pfund gesandt.

„Ach, Mama“, sagte Marianne ehrfürchtig. „Das ist viel zu viel! Ich kann es unmöglich annehmen. Wir müssen es zurückschicken.“

„Unsinn!“, rief Mrs. Horne. „Es ist es sehr gütig von ihm und kommt natürlich unerwartet, aber du würdest ihn beleidigen, wenn du es zurückgibst. Dank ihm einfach nur recht schön.“

„Dann werde ich ihm schreiben und ihm für seine Großzügigkeit danken, Mama.“

„Tu das. Vielleicht kannst du ihm auch eine hübsche Börse sticken.“

„Ja, aber Mama, ich möchte, dass du die Hälfte von den zwanzig Pfund behältst. Immerhin hast du deine Spargroschen für mich ausgegeben!“

„Nun, wir haben aber auch sehr schöne Dinge dafür bekommen. Vielleicht triffst du bei deiner Tante einen netten Herrn. Auf den Gesellschaften deiner Tante Wainwright hast du ja nie jemanden gefunden, der dir besonders gefiel.“

„All ihre Gäste sind immer so hochmütig. Und nach Marlbeck wurden wir nie eingeladen.“

„Der Marquis ist ja nun tot, der Arme“, sagte Mrs. Horne. „Bisher hat hier noch niemand seinen Erben getroffen. Wie man hört, lebt er die meiste Zeit in London.“

„Und wenn er hier lebte, änderte das nichts. Wahrscheinlich ist er ebenso stolz wie der alte Marquis. Bestimmt würde er keine Pfarrerstochter heiraten, nicht einmal wenn sie so schön wie Lucy ist.“

„Nun, es spielt keine Rolle. Ich will nur eines für euch – dass ihr glücklich seid. Wenn du einen guten Mann heiratest, werde ich es zufrieden sein, auch wenn er kein Vermögen hat.“

„Ach, Mama“, seufzte Marianne mit Tränen in den Augen, „wie glücklich waren wir mit dem lieben, guten Papa. Ich bin sicher, keine von uns würde jemanden heiraten wollen, der ihm nicht gleichkommt.“

Später am Abend saß Marianne in ihrem Zimmer und schaute hinaus auf den dunklen Garten. Ihr war nicht nach Schlafen zumute, denn sie konnte ihre Gedanken nicht von dem baldigen Besuch bei der Großtante und dem, was die Zukunft bringen würde, lösen. Bis vor Kurzem hatte sie trotz ihrer von anderen häufig gerühmten Schönheit eine Heirat nicht für besonders wahrscheinlich gehalten, da sie wusste, dass die fehlende Mitgift ihre Chancen stark schmälerte. Der Hilfspfarrer ihres Vaters war ihr sehr gewogen, würde vielleicht sogar um sie anhalten, doch zurzeit konnte er sich keine Familie leisten, und Marianne war sich nicht sicher, ob sie ihm ihr Jawort geben würde, wenn er fragte.

Zumindest war sie sehr erleichtert, dass ihr die Reise nach Bath erspart blieb, denn es lag ihr nichts daran, auf dem Heiratsmarkt zur Schau gestellt zu werden. Die einzigen Erfahrungen mit der besseren Gesellschaft hatte sie im Hause ihrer Tante Agatha gemacht, und daraus war ihre Abneigung gegen den höheren Adel erwachsen. Sie bevorzugte den Umgang mit ganz normalen, freundlichen Menschen wie ihren Eltern und Nachbarn.

Es klopfte an der Tür, und ohne auf Antwort zu warten, kam Jo herein. „Ich konnte nicht schlafen; immerzu musste ich daran denken, dass ich schon um Lucys willen mit Tante Wainwright fahren muss. Ich werde sowieso niemanden finden, der mich heiraten will! – was mir nichts ausmacht –, aber wenn ich mich weigere und die Tante verärgere, bekommt Lucy vielleicht nie eine Gelegenheit, in die Gesellschaft eingeführt zu werden.“ Jo wie auch Marianne liebten ihre jüngere Schwester sehr und sorgten sich naturgemäß um deren Zukunft.

„Wenn Großtante Bertha ihr Haus in London noch führte, würde sie uns sicher dorthin einladen“, sagte Marianne. „Aber nun lebt ein Verwandter von ihr darin. Weißt du, mir selbst macht es nichts aus; ich würde gar keinen Mann von hoher Geburt heiraten wollen, aber Lucy sollte wenigstens eine Saison in London haben.“

„Die Schönheit von uns dreien bist du, Marianne.“ Jo betrachtete ihre Schwester liebevoll. „Obwohl – in ein paar Jahren könnte Lucy es mit dir aufnehmen. Ich jedoch bin hiermit geschlagen!“ Sie wühlte mit den Händen in ihren widerspenstigen feuerroten Ringellocken, die sie für einen wahren Fluch hielt. „Dass du keinen Wert auf einen höheren Rang legst, weiß ich, doch vielleicht triffst du ja in Cornwall einen netten Herrn … jemanden wie Papa …“

„Das wäre eine höchst glückliche Fügung“, meinte Marianne mit zustimmendem Lächeln. „Aber ob es einen zweiten Papa gibt …?“

Jo nickte. Einen besseren Mann als ihren Vater gab es kaum; sie alle trauerten immer noch tief um ihn. „Es wäre wohl ungerecht, andere Männer mit ihm zu vergleichen. Doch mir scheint, ein Kirchenmann würde zu dir passen.“

„Mag sein. Nur würde ich gern geliebt werden und selbst aus Liebe heiraten …“

„Romantische Liebe.“ Jo lachte ein wenig verächtlich. „Ja, Mama und Papa hatten sich sehr gern, trotzdem glaube ich nicht an die große Liebe, so wie Lucy sie sich ausmalt.“

„Nein?“ Marianne lächelte. „Ich meine, wenn man das Glück hat, dass sie einem begegnet … aber zweifellos werden viele Ehen aus anderen Gründen geschlossen.“

„Ha, eine solche, wie sie Tante Wainwright für dich vorschwebt?“

„Lass es gut sein, Jo. Zuerst einmal werde ich jetzt Tante Bertha besuchen, dann sehen wir weiter. Ich wünschte nur, Papa lebte noch. Er fehlt mir so sehr.“

„Er fehlt uns allen. Dass Tante Wainwright vorschlug, Mama sollte wieder heiraten! Wo der arme Papa kaum im Grab liegt!“

„Ja, war das nicht rücksichtslos? Aber bestimmt ist ihr nicht klar, wie sehr Mama und Papa sich liebten.“

Jo nickte und musste dann gähnen. „Letztendlich ändert Reden gar nichts. Ich gehe jetzt ins Bett, und du musst auch schlafen. In den nächsten Tagen heißt es, früh aufstehen und uns ans Nähen machen, wenn deine Kleider alle rechtzeitig fertig werden sollen.“

„Dann gute Nacht“, wünschte Marianne und küsste Jo auf die Wange. Noch eine ganze Weile, nachdem ihre Schwester gegangen war, lag sie wach und grübelte.

Drew stand in der Bibliothek von Marlbeck Manor und betrachtete die langen Reihen ledergebundener Bücher, die, pedantisch geordnet, vermutlich seit dem Tag, da sein Onkel sie erworben hatte, unberührt in den Regalen schlummerten und meistens nicht einmal des Lesens wert waren.

Als er wenig später hinaus in die weite Halle trat, hallten seine Schritte auf dem Marmor wie in einem riesigen Grabmal. Das Haus war ein grandioses Stück Architektur, aufs Kostbarste eingerichtet und vollgestopft mit Kunstobjekten aller Art, und trotzdem hasste er es, denn es war für ihn nie ein Heim gewesen. Für ein Butterbrot würde er es verkaufen und ein neues bequemeres, heimeligeres bauen lassen – doch das wäre ein Sakrileg. Außerdem gehörte es ihm nicht persönlich; es war ein Erbstück, und er war sozusagen der Museumswächter, der es für kommende Generationen verwaltete.

Aber vielleicht hasste er ja nicht einmal das Haus, sondern sein eigenes Leben. Seit er, um sein Erbe anzutreten, seine Armeelaufbahn hatte aufgeben müssen und in seine Pflichten als elfter Marquis of Marlbeck eingetreten war, fühlte er sich beinahe ebenso leer wie dieses ungeheuer große Haus – nichts schien ihm der Mühe wert.

Er lebte wie alle jungen Adeligen – ging zu gesellschaftlichen Veranstaltungen, besuchte seine Klubs, amüsierte sich – doch wozu das Ganze? Vorher, mitten im Kampfgetümmel, als er nie wusste, ob er den nächsten Tag erleben würde, hatte er sich und seine Wünsche gekannt. Nun erstreckte sich vor ihm die Aussicht auf lange, einsame Jahre.

Die Aufgabe, die Jack ihm aufgetragen hatte, gab ihm nun endlich etwas tun, etwas, das vielleicht den Grimm dämpfen würde, der in ihm brannte, seit seine Freunde getötet worden waren. Wenn er den Verräter, der dafür verantwortlich war, zur Strecke bringen könnte, würde das seinem Leben ein wenig Sinn verleihen. Plötzlich fühlte er sich wesentlich besser als seit langer Zeit.

Hatte er erst dieses verrückte Abenteuer bestanden, könnte er sich seiner Pflicht widmen – eine Gattin suchen, um dem Besitz einen Erben zu verschaffen. Fragte sich nur, woher eine Frau nehmen, die es mit einem Mann wie ihm länger als vier Wochen aushielt. Die jungen Damen, die auf Bällen und Gesellschaften vor seiner Nase paradierten, brachten ihn regelmäßig in kürzester Zeit zum Gähnen. Er brauchte … er wollte … was nur? Manchmal übermannte ihn eine verzweifelte Sehnsucht, doch er wusste nicht, wonach …

Plötzlich lachte er laut auf. Was für ein Narr war er doch! Er heulte den Mond an wie ein kranker Hund, und einzig und allein, weil er sich zutiefst einsam fühlte.

2. KAPITEL

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Durch das Fenster der bequemen Kutsche betrachtete Marianne die vorbeiziehende Landschaft, während Sally, eine tüchtige Bedienstete Lord Wainwrights, ein wenig schlummerte. Ihr Onkel hatte darauf bestanden, seiner Nichte nicht nur einen seiner Wagen, sondern auch eine Begleitung zur Verfügung zu stellen, damit sie nicht ganz allein auf sich gestellt war, falls auf der Reise Schwierigkeiten auftreten sollten.

Plötzlich hielt das Gefährt mit einem harten Ruck an, der Sally hochschrecken ließ. „Ist etwas geschehen, Miss?“

„Ich weiß nicht“, entgegnete Marianne. Besorgt steckte sie den Kopf aus dem Fenster. „Ah, ein Wagen vor uns scheint einen Unfall gehabt zu haben … aber ein paar Männer helfen gerade, ihn von der Straße zu schaffen.“ Als sie den Schlag öffnete und ausstieg, kam ihr ihr Kutscher schon entgegen.

„Wir mussten halten, Miss Horne. Aber der Reitknecht und ich werden den Leuten zur Hand gehen, dann können wir bald weiterfahren.“

Marianne stimmte zu und folgte dem Mann zu der verunglückten Kutsche, neben der zwei Damen bekümmert am Straßenrand standen.

„Wie unangenehm für Sie“, sagte Marianne. „Wie ich sehe, ist ein Rad gebrochen; sicher wird die Reparatur eine Weile dauern. Dürfen wir Sie vielleicht bis zum nächsten Gasthof mitnehmen?“

Die ältere Dame sah sie forschend an, dann entgegnete sie: „Danke, gern. Sie sind sehr freundlich. Meine Leute werden sich hier um alles kümmern und können uns später folgen. Was meinst du, Henriette?“

„Oh … ja, Mama“, stimmte die junge Dame zu, ohne jedoch ihre Mutter anzusehen. Stattdessen hielt sie den Blick auf einen der Männer geheftet, die energisch zugegriffen hatten. Er trug sein Haar modisch kurz geschnitten und wirkte sehr kräftig. Ohne Jackett, die Hemdärmel aufgekrempelt, leitete er die Hilfsaktion.

Die beiden Damen folgten Marianne zu ihrem Wagen, wo die ältere sagte: „Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Lady Forester, und dies ist meine Tochter Henriette. Wir sind auf dem Weg nach Devon.“

„Mein Name ist Marianne Horne. Ich fahre zu meiner Großtante, die krank war und ein wenig Gesellschaft braucht.“

„Ach ja, eine Erkrankung macht einen oft ganz niedergedrückt.“

„Ja, wie wahr“, bestätigte Marianne und fügte, als sie einen Ruf von draußen vernahm, hinzu: „Sehen Sie, man hat ihren Wagen beiseite geräumt, Lady Forester. Dann wird es gleich weitergehen.“ Noch während sie sprach, wandte sich der Mann, der so hilfsbereit zugepackt hatte, in ihre Richtung, und Marianne sah nun, dass sein Gesicht sehr attraktiv war, mit kraftvoll-männlichen Zügen und tiefblauen Augen. So gut aussehend war er, dass sie sich über Henriettes Interesse für ihn nicht mehr wunderte. Einen kurzen Augenblick ruhte sein Blick auf ihrem Gesicht, und Marianne spürte ein seltsames Flattern in der Magengegend. Er hatte eine so … maskuline Ausstrahlung, ganz anders als die Männer, die sie in ihrem behüteten Dasein bisher kennengelernt hatte. Hitze strömte ihr in die Wangen, und schnell senkte sie die Lider. Als sie endlich wagte aufzuschauen, hatte er sich abgewandt und stieg auf sein Pferd.

Alle stiegen ein, und ihre Kutsche fuhr an. Als sie auf gleicher Höhe mit dem Reiter war, schaute dieser abermals zu ihnen herüber. Marianne blickte in ein Paar Augen, so strahlend und so blau, dass ihr mit einem Mal der Atem stockte. Kühn und herausfordernd sah der Fremde ihr direkt ins Gesicht, ohne die Augen niederzuschlagen, bis er hinter ihnen zurückfiel. So angestarrt zu werden irritierte Marianne und brachte sie zu dem Schluss, der Mann könne kein Gentleman sein, da ein solcher sich nie erdreisten würde, eine ihm unbekannte Dame derart anzusehen. Als sie Henriettes sehnsüchtigen Blick bemerkte, musste sie lächeln. Diese sehr junge Dame war offensichtlich völlig hingerissen von diesem Mann. Sicherlich kam er ihr vor wie einem Märchen entstiegen – ein schöner Prinz, der zu ihrer Rettung herbeigeeilt war.

Nach einer in angenehmem Gespräch verbrachten Strecke setzten sie die beiden Damen am nächsten Gasthof ab.

„War das nicht ein Abenteuer?“, rief Sally, als sie wieder Fahrt aufgenommen hatten. „Schade, dass die Damen nicht nach Cornwall fuhren, Miss. Die junge Dame wäre eine nette Bekannte für Sie.“

„Ja, sie war reizend, aber wir werden sie kaum wiedersehen“, entgegnete Marianne. Sie lehnte sich in die weichen Polster zurück, dankbar, dass ihr Onkel ihr eine so bequeme Reise ermöglicht hatte. Immerhin würden sie wohl noch mindestens zwei Tage unterwegs sein. Sie seufzte kurz und wünschte sich einen Moment, sie könne, wie jener unbekannte Helfer, ihre Reise auf dem Pferderücken fortsetzen. Fast beneidete sie ihn um seine Freiheit. Doch dann schüttelte sie missbilligend den Kopf. Welch unfeine Idee, in Gesellschaft eines wildfremden Mannes durchs Land reiten zu wollen!

Drew lehnte sich gähnend in seinem Lehnstuhl zurück. Mitternacht war vorbei, und nichts war geschehen. Seit dem frühen Abend saß er hier am Fenster, von dem aus er die kleine, sonst vom Land uneinsehbare Bucht deutlich im Blickfeld hatte. Dieses Cottage hier, das ihm sein Makler beschafft hatte, war ein reiner Glücksfall für ihn. Es lag auf dem Besitz Lady Edgeworthys, einer alleinstehenden alten Dame, und hatte früher deren Cousin beherbergt. Der Sachwalter eben der Dame hatte es nicht ungern zur Vermietung freigegeben und war ihnen am Tag zuvor bei ihrer Ankunft äußerst bereitwillig zu Diensten gewesen. Bei der Übergabe des Schlüssels hatte er zu Drew gesagt: „Sie werden sehen, Mr. Beck, das Haus ist sehr solide, obwohl seit einigen Jahren nichts mehr daran getan wurde. Der vorherige Bewohner stürzte zu Tode, als er von dem Pfad auf der Klippe abkam, und Lady Edgeworthy ließ es danach erst einmal unbewohnt. Sie ist aber bereit, es Ihnen für längere Zeit zu überlassen.“

„Das ist sehr freundlich … wie ich schon erwähnte, möchte ich mich hier auskurieren …“ Drew hatte eine Hand vor den Mund gehoben und angestrengt gehustet. „Sie wissen schon, Seeluft und Bewegung im Freien … das wird mir guttun, und ich sehe gern den Möwen zu, wie sie über den Klippen kreisen.“

„Hoffen wir, es bekommt Ihnen. Natürlich ließ ich das Haus reinigen. Soll ich Ihnen eine Zugehfrau aus dem Dorf besorgen?“

„Nein, danke, mein Kammerdiener begleitet mich – er wird wie stets für mich sorgen“, hatte Drew dankend abgelehnt.

Als dieser Kammerdiener nun eintrat, ein Tablett balancierend, auf dem Glas und Weinbrandkaraffe standen, musste Drew lächeln.

„Brauchen Sie sonst noch etwas, Sir?“

„Nein, danke, Robby. An deiner Stelle würde ich mich um ein wenig Schlaf bemühen. In den nächsten Wochen wirst du noch genug zu tun bekommen – bestimmt brauche ich dich während der einen oder anderen Nacht.“

„Klar, Captain.“

„Im Moment nur Mr. Beck“, mahnte Drew sanft. In Spanien war Robbie sein Offiziersbursche gewesen und war mit ihm heimgekehrt, als er die Armee verließ. Hier bemühte er sich nun weiterhin um die persönlichen Bedürfnisse seines Captains. Drew war klar, dass einige der Nachbarn von Marlbeck Manor ebenso wie seine übrigen Dienstboten dieses Arrangement seltsam fanden, denn Robbie mit seinem narbenübersäten Gesicht und der schwarzen Augenklappe gab nicht gerade das typische Bild eines Kammerdieners ab. „Wir wollen möglichst normal wirken. Ich erhole mich von einer Krankheit, und du als mein treuer Diener sorgst für mich.“

„Ja“, erwiderte Robbie, „aber dann sollten Sie mich besser Harris nennen. Robbie könnte zu vertraulich wirken. Als Lord Marlbeck kämen Sie damit durch, aber nicht als schlichter Mr. Beck, meine ich.“

„Da magst du recht haben“, gab Drew zu, „wenn wir jedoch allein sind, spielt es keine Rolle.“

„Genau, Captain.“

Autor

Anne Herries

Anne Herries ist die Tochter einer Lehrerin und eines Damen Friseurs. Nachdem sie mit 15 von der High School abging, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit bei ihrem Vater im Laden. Dann führte sie ihren eigenen Friseur Salon, welchen sie jedoch aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen und ihrem...

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