Stürmische Nächte in den Highlands

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Willst du mich heiraten? Atemlos starrt Ciara in die Augen des Mannes, dem sie gerade ihr Herz zu Füßen gelegt hat. Schon als kleines Mädchen wusste sie, dass Travis MacLerie die Liebe ihres Lebens ist! Aber obwohl sie längst zu einer schönen jungen Lady erblüht ist, macht der kühne Krieger keine Anstalten, um sie zu werben. Glaubt er etwa, ihrer nicht würdig zu sein? Sie schluckt ihren Stolz und gesteht Travis ihre Gefühle. Er weist sie zärtlich, aber bestimmt ab, und die verzweifelte Ciara willigt in eine politische Zweckehe ein. Bloß weg von hier! Doch dann bittet der Laird ausgerechnet Travis, sie sicher zu ihrem künftigen Gatten zu bringen …


  • Erscheinungstag 24.02.2015
  • Bandnummer 312
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763947
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sie muss sterben.“

Das flüsterte Ciara ihrer engsten Freundin Elizabeth zu, denn bei ihr wusste sie dieses Geheimnis in sicheren Händen. Diese schrecklichen Worte offenbarten sie, Ciara, als einen Menschen der übelsten Sorte. Erst neun Jahre alt, und bereits jetzt war ihre Seele verloren. Sie seufzte, da sie wusste, dass es stimmte.

Die junge Frau, der gegenwärtig all ihre Aufmerksamkeit galt, nahm nichts anderes wahr als den Mann, der an der Tür zur Kapelle auf sie wartete. Sie schaute weder nach rechts noch nach links, was nur dafür sorgte, dass Ciara sie umso mehr hasste. Übertroffen wurde das alles noch von der Tatsache, dass er den Blick auf die gleiche eindringliche Weise erwiderte. Ciara war schmerzlich bewusst, dass sie in diesem Moment Zeugin wahrer Liebe wurde.

„Sollen wir ihr ein Bein stellen?“, gab Elizabeth genauso leise zurück. Als treue Freundin war sie ganz auf Ciaras Seite und würde alles für sie tun.

Die morastige Pfütze auf der anderen Seite des Wegs war allzu verlockend, dennoch schüttelte Ciara den Kopf. Nach dem Blick zu urteilen, mit dem Tavis seine Braut ansah, würde sich an ihrer Verbundenheit nichts ändern, auch wenn sie von Kopf bis Fuß mit Schlamm überzogen wäre. Ciara stockte der Atem, so offensichtlich und innig waren die Gefühle, die Tavis und Saraid füreinander hegten. Sollte sie jemals jemand fragen, was Liebe sei, dann würde Ciara sie genau so beschreiben: der Ausdruck in Tavis’ Augen, als er seine Braut betrachtet hatte.

„Nein“, wisperte sie und wandte sich ab, da ihr Tränen in die Augen stiegen. „Lassen wir sie in Ruhe.“

Als das Paar gemeinsam die Kapelle betrat, sah Elizabeth den beiden nach und seufzte sehnsüchtig. „Und was willst du stattdessen tun?“

Ciara zuckte mit den Schultern und schwieg. Die Türen der Kapelle wurden nicht geschlossen, und wenn ihr danach gewesen wäre, hätte sie die gesamte Zeremonie mit ansehen können. Doch dazu war sie einfach nicht imstande. Also machte sie sich auf den Weg zu jenem Platz, an dem sie am liebsten saß und nachdachte. Ihre Freundin blieb zurück und sah sich verzückt seufzend die Hochzeit an.

Viele Stunden später wurde Ciara klar, dass sie die Dinge nicht ändern konnte. Sie war nicht fähig, Saraid zu töten, und schon beim Gedanken, ihr etwas Schlechtes zu wünschen, bekam sie Bauchschmerzen. Nachdem sie fast den ganzen Nachmittag abgewägt hatte, welche Möglichkeiten zur Verfügung standen, fand sie sich damit ab, dass ihr nur ein Weg blieb.

Sie musste einfach auf eine Gelegenheit warten, Tavis lieben zu können und seine Liebe zu gewinnen.

Warten konnte sie.

Also tat sie das.

Obwohl er verheiratet war, erfreute Tavis sich weiterhin an ihrer Gesellschaft und führte diese ungewöhnliche Freundschaft fort. Mit zunehmendem Alter lernte sie mehr und mehr, und sie war oftmals anwesend, wenn Tavis ihrem Stiefvater, dem Friedensstifter des Clans, Bericht erstattete, nachdem er für ihn einen Auftrag ausgeführt hatte. Danach begleitete Tavis sie oft zur Hütte ihrer Familie. Dabei versuchte Ciara ihm zu zeigen, was sie erst ein paar Tage zuvor Neues gelernt hatte.

„Cogito, ergo sum“, sagte sie selbstsicher. Latein war eine der Sprachen, die ihr gut gefielen, und wie ihr Lehrer es ihren Eltern anvertraut hatte, war sie sehr bewandert darin. Sie wartete auf seine Reaktion, doch Tavis lachte nur und zuckte mit den Schultern.

„Ich kann kein Latein“, erwiderte er. „Ich spreche nur Gàidhlig und ein wenig Schottisch. Ach, und ein klein wenig Englisch noch.“

Nach seinem Tonfall zu urteilen, hatte sie ihn mit ihrem Wissen nicht verärgert oder wegen seines Unwissens in Verlegenheit gebracht. „Ich könnte dir ein paar Worte beibringen“, schlug sie vor. „Oder ich könnte dich das Lesen lehren.“ Sie waren Freunde, deshalb wollte sie ihm helfen, wo es nur ging. Mit ihren dreizehn Jahren war es das Mindeste, was sie für ihn tun konnte.

„Du solltest deine Zeit mit anderen Dingen verbringen, Mädchen.“ Er zwinkerte ihr zu.

Ihre Mutter musste wieder mit ihm geredet haben, oder besser gesagt: Sie musste sich bei ihm über sie beklagt haben. Seufzend wandte sie den Blick ab. Höchstwahrscheinlich darüber, dass sie das Sticken nicht so ernst nahm wie ihr Studium der Sprachen oder der Zahlen … nun … vielmehr, dass sie das Sticken in keiner Weise ernst nahm.

„Mir ist das Sticken zuwider“, erklärte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und hob trotzig das Kinn. Er würde sich doch nicht etwa auf die Seite ihrer Mutter stellen wollen?

„Mag sein“, gab er mit sanfter Stimme zurück und fasste sie an der Hand. „Aber Sticken ist eine wertvolle Aufgabe und eine nützliche Fertigkeit. Ebenso wie die Zahlen zu beherrschen, fünf Sprachen zu sprechen und lesen zu können.“ Er zog sie an der Hand weiter.

„Wenn es eine so wertvolle Fertigkeit ist, warum erlernst du es dann nicht?“, hielt sie keck dagegen. Sie zog ihre Hand frei und wartete auf seine Antwort.

Oh, sie wusste sehr wohl um die unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen. Aber je mehr Wissen und Erfahrung sie dank ihres Vaters ansammelte, desto mehr zweifelte sie daran, dass sie jemals jenes eingeengte Leben würde führen können, das man von einer Frau wie ihr erwartete. Wusste ihr Vater eigentlich, dass die Bildung, die er ihr angedeihen ließ und die weit über die ihrer Altersgenossinnen hinausging, nur dafür sorgte, dass ihr Wissensdurst größer und größer wurde? Da Tavis ein Mann war, erwartete sie, dass er ihre Herausforderung zurückwies.

„Ich kann bereits nähen, Mädchen. Das kommt in einer Schlacht vielen Kriegern zugute. Sticken ist nicht viel anders“, antwortete er, als sie gerade die Hütte erreicht hatten.

Dann setzte er sein schönstes und zugleich aufreizendstes Lächeln auf, mit dem er sie wissen ließ, dass er dieses Streitgespräch gewinnen würde.

Ciara wollte mit dem Fuß aufstampfen und schreien. Es gab so viele Gebiete, auf denen sie ihn hätte herausfordern können, ohne ein Risiko einzugehen. Warum musste sie sich ausgerechnet hierfür entscheiden? Während sie noch überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte, streckte er einen Arm aus, legte ihr zwei Finger ans Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen musste.

„Saraid und meine Schwester Bradana nähen beide sehr gut“, begann er, und nach einem Blick über die Schulter in Richtung Haustür sprach er im Flüsterton weiter: „Außerdem sind sie nachsichtigere Lehrmeisterinnen als deine Mutter, auch wenn die besser nicht erfahren sollte, dass ich das gesagt habe.“ Er nahm die Hand weg und trat einen Schritt nach hinten. „Wenn du es wünschst, kann ich mit den beiden reden.“

Wie hatte das geschehen können? Sie hatte vor ihrem Freund mit ihrem Wissen angeben wollen, und nun sollte sie genau das tun, was sie am allerwenigsten wollte. Anstatt nachzugeben, nickte sie bloß und ging weiter. Sie war eben an der Haustür angekommen, als er ihr nachrief: „Ich werde Saraid ausrichten, dass sie dich morgen früh erwarten kann.“

Daraufhin stampfte Ciara mit einem Fuß auf, stürmte ins Haus und warf die Tür hinter sich mit solcher Wucht zu, dass der Rahmen erzitterte. Von draußen hörte sie Tavis’ Gelächter.

Sosehr sie auch über sein Angebot hinweggehen und sich weigern wollte, Nähen und Sticken zu erlernen, Ciara konnte es nicht. Verdrossen seufzte sie und zog sich in ihre Kammer zurück. Ihr Blick wanderte geradewegs zu der Sammlung aus Holztieren auf dem Kaminsims. Tavis war schon immer ihr Freund gewesen, jedenfalls seit sie fünf Jahre alt gewesen war. Damals war er mit ihrem Stiefvater zu ihr gekommen, um sie nach Lairig Dubh zu bringen, ihrem neuen Zuhause und ihrer neuen Familie.

Obwohl sie niemals eingestehen wollte, dass er zu einer anderen Frau gehörte, hatte sie durch ihn und seine Ehefrau dennoch gelernt, was wahre Liebe bedeutete. Wie ihre eigenen Eltern hatten auch Tavis und Saraid aus Liebe geheiratet, das war sogar ihr klar. Und so wie Tavis alles tun würde, damit Saraid glücklich war, wollte Ciara alles für ihn tun. Auch wenn das bedeutete, den Umgang mit Nadel und Faden zu erlernen.

Am nächsten Tag stand Ciara vor Saraids Tür, ebenso wie an vielen folgenden Tagen. Manchmal blieb sie nach dem Unterricht noch, um der jungen Frau im Haus zu helfen; manchmal auch nur, weil – Gott möge ihr ihre Schwäche verzeihen – sie Tavis sehen wollte. Saraid verstand offensichtlich, dass Ciara ihrem Ehemann wichtig war, weshalb sie ihre Anwesenheit und Hilfe akzeptierte. Tavis freute sich darüber, und mit einem Mal stellte Ciara fest, dass sich zwischen Saraid und ihr eine Freundschaft anbahnte. Durch ihre jüngeren Geschwister war sie gewohnt, die Älteste im Haus zu sein, doch bei Saraid fühlte sie sich wie eine jüngere Schwester.

Im Lauf der Jahre eignete sich Ciara immer mehr Wissen und mehr Fertigkeiten an, bis ihr Vater ihr schließlich gestattete, ihn bei seiner Arbeit für den Laird zu unterstützen.

Doch ihre Freundschaft zu Tavis’ Ehefrau nahm ein jähes Ende, als Saraid plötzlich starb. Dadurch begannen sich auch Ciara und Tavis allmählich zu entfremden, obwohl sie einander viele Jahre lang so nahegestanden hatten. Ganz gleich, was Ciara sagte oder tat, nichts davon half Tavis in seiner Trauer. Es verging eine Weile, ehe er wieder Notiz von ihr zu nehmen begann. Allerdings erkannte er wohl, dass sie inzwischen älter geworden war und sich auf dem Weg zur erwachsenen Frau befand, und Ciara bemerkte abermals eine Veränderung bei ihm. Tavis übernahm mehr und mehr Aufgaben und reiste im Auftrag des Lairds. Ciara kam es so vor, als wolle er auf diese Weise der Einsamkeit und der verwaisten Hütte davonlaufen, in der er einmal mit Saraid glücklich gewesen war.

Ciara lernte eifrig weiter, und ihr Vater nahm sie häufig mit, damit sie für ihn Verträge und andere Dokumente las. Das ließ ihr nur wenig Zeit zum Sticken und für weitere Arbeiten, die man von einer Frau erwartete, was ihr nur recht war. Indessen konzentrierte sich Tavis ganz und gar auf seine Pflichten gegenüber dem Laird. Was Ciara tat, davon bekam er nichts mit.

Und sie wartete weiter.

1. KAPITEL

Lairig Dubh, Schottland, Frühjahr 1370

Ciara Robertson saß fast in der Ecke des Gemachs, das ihr Stiefvater für das Zusammentreffen ausgesucht hatte. Es handelte sich um einen großen, recht gemütlichen Raum, aber wiederum nicht zu komfortabel. Die Fensterläden waren geöffnet und ließen die kühle Frühlingsluft herein. Speisen und Getränke standen bereit, in geringen Mengen, da es hier nicht um Gastfreundschaft, sondern um Geschäftliches ging.

Ciara vermied es, einen der anwesenden Männer direkt anzusehen, von denen die meisten sie vermutlich für eine Dienstmagd hielten. Aber sie war keine Dienstmagd, sondern die älteste Tochter des Friedensstifters Duncan MacLerie, und sie wurde von ihm in eben diesem Augenblick ausgebildet.

Wie er es ihr aufgetragen hatte, lauschte sie auf jedes Wort, beobachtete verstohlen die Gesichter aller Sprecher und achtete auch darauf, wie sie saßen und wie sie gestikulierten, um herauszufinden, wer von ihnen tatsächlich das Sagen hatte. Das war nicht immer der Älteste, der Wohlhabendste oder der Lauteste, wie Duncan ihr wiederholt erklärt hatte. Derjenige, der die wahre Macht innehatte, hielt sich oft am Rand auf und ließ seine Untergebenen reden.

Nachdem sie sich die Beteiligten eine Zeit lang genau angesehen hatte, gelangte sie zu der Überzeugung, dass der jüngere MacLaren-Bruder bei diesen Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit den MacLeries die Entscheidungen traf. Zwar vertrat ein älterer, ruhigerer Mann die MacLarens nach außen, jedoch war es für Ciara eindeutig, dass er nicht das Sagen hatte.

Die Besprechungen zogen sich über einige Stunden hin, jede Seite erklärte sich mit viel Gehabe. Etliche Male musste sich Ciara ein Lächeln verkneifen, als sie ihren Stiefvater bei der Arbeit erlebte, wie er mal auf etwas pochte, dann wieder sein Gegenüber umschmeichelte und gleich darauf auf dies oder jenes drängte, um für die MacLeries das beste Ergebnis zu erzielen. Als schließlich beide Seiten die Verhandlungen für das Abendmahl unterbrachen, um die Vereinbarung am kommenden Morgen zum Abschluss zu bringen, hatte Duncan die MacLarens längst in die von ihm gewünschte Richtung gelotst. Ciara stand auf, verabschiedete die Besucher mit einem Knicks und wartete dann darauf, dass ihr Stiefvater mit ihr das Tageswerk besprach.

Sie kannte seine Vorgehensweise. Während der Verhandlungen hatte er nichts mitgeschrieben, aber er erinnerte sich an jedes Wort und jede Klausel, auf die sich die beiden Seiten geeinigt hatten. Ehe er mit jemandem redete, würde er all seine Überlegungen und Absichten niederschreiben. Also gab sie zunächst die Dienerin und schenkte den MacLeries, die noch anwesend waren, Ale ein. Ihr Onkel, der Laird, und dessen Steward warteten, bis ihr Vater seine Gedanken geordnet hatte und erklärte, wie sie die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss bringen würden. Zwar war Duncan MacLerie genau genommen ihr Stiefvater, aber er war der einzige Vater, den sie je gekannt hatte.

Eine Weile mussten sie warten. Nachdem Ciara lange Zeit gesessen hatte, tat es gut, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Stillzusitzen entsprach nicht ihrem Naturell. Sie merkte, dass die Blicke des Lairds ihr folgten, aber als sie ihn ansah, lächelte er und drehte sich weg. Schließlich räusperte sich Duncan und hob den Kopf, womit er zu verstehen gab, dass er bereit war, die Fortschritte bei den Verhandlungen zu besprechen. Mit seinen ersten Worten überraschte er sie.

„Ciara, schildere mir deinen Eindruck von den heutigen Gesprächen“, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen und nickte ihr zu.

Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie versuchte, etwas Sinnvolles, Nützliches zu sagen. Wenn sie unter vier Augen mit ihm redete, machte es ihr nie etwas aus, ihre Meinung oder eine Beobachtung zu äußern. Sie genoss die lebhaften Diskussionen mit dem Mann, der sie nach der Heirat mit ihrer Mutter wie eine leibliche Tochter großgezogen hatte, und machte sich nie Sorgen, etwas Verkehrtes zu sagen. Jetzt dagegen waren auch der Laird und sein Steward anwesend, die beide ihre Worte hören wollten. Vor Nervosität waren ihre Handflächen schweißnass, und ihr Verstand war wie leergefegt.

„Glaubst du, der Laird wird meiner Bitte nachkommen, die Laufzeit der Vereinbarung zu verlängern?“, fragte Duncan nun. Es war nicht zu übersehen, dass er ihr damit entgegenkommen wollte. Daraufhin ignorierte Ciara die anderen Anwesenden im Raum und antwortete so, als wäre sie mit Duncan allein.

„Ich glaube, der Laird ist dazu bereit, aber für seinen Bruder gilt das vermutlich nicht. Und es ist dieser Bruder, der die Entscheidung treffen wird.“ Was, wenn sie sich irrte? Was, wenn ihre Beobachtungen genau umgekehrt auszulegen waren?

Duncan sah sie eindringlich an, dann wandte er sich dem Laird zu. Connor MacLerie konnte ein Furcht einflößender Mann sein, wenn er wollte, und in diesem Moment wollte er offenbar, denn seine Miene verfinsterte sich. War ihr ein Fehler unterlaufen? Mit dem Handrücken wischte sie sich die Stirn, auf der sich inzwischen ebenfalls feine Schweißperlen gebildet hatten.

„Habe ich es dir nicht gesagt, Connor?“, fragte ihr Vater. Hatte sie gleich beim ersten Mal versagt, als ihr erlaubt worden war, Verhandlungen zu beobachten? Wie sollte sie das ihrer Mutter beibringen, die sie bei ihrer Ausbildung unterstützt und ihr Mut gemacht hatte, diesen für eine Frau so untypischen Weg einzuschlagen? Wenn sie jetzt gescheitert war …

„Aye, Duncan, das hast du.“ Der Laird begann plötzlich zu lächeln. „Das Mädchen ist schlau und hat sie sofort durchschaut.“ Er nickte ihr zu. „Ich habe dafür viel länger gebraucht.“

Ihr Stiefvater lächelte strahlend, Stolz blitzte in seinen Augen auf. Erleichtert erkannte Ciara, dass sie sich nicht geirrt hatte.

„Was noch, Mädchen?“, fragte der Laird. „Sag mir, was dir während der Verhandlungen noch aufgefallen ist.“

„Sein Bruder interessiert sich mehr für das Vieh als der Laird. Und ich glaube, er überschätzt die Zahl der Männer, die er im Ernstfall zu den Waffen rufen kann.“ Etwas entspannter erläuterte sie, wie sie zu diesen Schlussfolgerungen gekommen war, und beantwortete die Fragen, die der Laird, sein Steward und ihr Stiefvater ihr stellten.

Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach einige Zeit später ihre Besprechung.

„Man möchte kein Essen servieren, solange du nicht an der Tafel sitzt, Connor“, verkündete dessen Ehefrau Jocelyn und warf allen böse Blicke zu, als hätten sie den Laird zur Eile antreiben müssen. „Wir sitzen da und warten, während du hier trödelst. Selbst die MacLarens bekommen nichts zu essen.“

Ciara konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen, als sie sah, wie dieser mächtige Mann vor seiner Frau förmlich auf die Knie sank. Ihr Vater warf ihr einen warnenden Blick zu, aber in seinen Augen erkannte sie, dass es ihn ebenfalls amüsierte, wie sich Connor widerspruchslos von Jocelyn Vorhaltungen machen ließ. Ihre eigene Mutter zögerte gewöhnlich genauso wenig, ihrem Mann die Meinung zu sagen, und vermutlich wartete sie im großen Saal bereits auf eine passende Gelegenheit, ihm den Kopf zu waschen. Allerdings hatte Jocelyn mit ihrem Auftritt gewartet, bis niemand mehr außer der eigenen Familie anwesend war, und so würde es ihre Mutter auch machen.

Als sie sah, wie der Laird seine Frau bei der Hand nahm und sie ihre Finger miteinander verschränkten, verstand Ciara auf einmal, dass der Laird und ihr Vater ihren Ehefrauen nicht bloß Freiheiten einräumten, die für andere Männer völlig undenkbar waren. Sie akzeptierten ihre Frauen so bedingungslos, dass es dafür nur eine Erklärung gab: Sie liebten sie von ganzem Herzen.

Nachdem sie ihren Vater auf so vielen Reisen begleitet hatte, wusste sie, dass eine Liebesheirat bei den meisten Clans eher die Ausnahme darstellte.

Würde sie einen Mann bekommen, der sie liebte?

Sie hatte Gespräche ihrer Eltern darüber aufgeschnappt, dass sie ins heiratsfähige Alter kam und dass man nach einem geeigneten Verlobten für sie suchen sollte. Viel Zeit blieb nicht mehr. Ihre Mitgift würde die Anzahl der Angebote erhöhen, und durch ihre Verbindungen zu zwei sehr mächtigen Clans wurde sie für andere Clans interessant, die diese Verbindungen für ihre Zwecke nutzen wollten. Sie würde eine Braut wie jede andere sein, die nur nach dem Wert für andere beurteilt wurde, nicht danach, welchen Wert sie als Person besaß.

Kein Mann wünschte sich eine Frau, die intelligenter war als er und die verstand, wie Vertragsklauseln funktionierten. Ein Mann wollte eine Frau, die mit ihm das Bett teilte, sich um den Haushalt kümmerte und ihn auf diese Weise entlastete. Ob ihren Eltern klar war, dass sie sie für ein Leben mit einem Ehemann vorbereitet hatten, den es nicht gab? Kein Mann wollte eine Frau wie sie. Glücklicherweise – oder vielleicht auch bedauerlicherweise – würde die Mitgift wohl genügen, um die meisten Bedenken auszuräumen.

Nun, es gab immerhin einen Mann, der in der Lage war, die wahre Frau hinter all den Leistungen zu erkennen. Einen Mann, dem das schon immer gelungen war und der das zweifellos immer noch konnte.

Tavis MacLerie.

Ihre wahren Gefühle für ihn hatte sie über all die Jahre hinweg für sich behalten; einzig ihrer besten Freundin Elizabeth hatte sie sie anvertraut. Trotzdem hatte sie Tavis weder vergessen noch die Hoffnung aufgegeben, dass zwischen ihnen einmal mehr sein könnte als Freundschaft. Als Kind war das für sie ein schöner Traum gewesen, doch inzwischen wusste sie, was es in Wahrheit bedeutete.

Und mittlerweile war sie auch bereit dafür, dass sich mehr zwischen ihnen entwickelte.

Die kleine Gruppe durchquerte den großen Saal in Richtung des Podests; dort nahm Ciara neben den Eltern an der Tafel Platz. Als der Laird sie mit Namen den anwesenden MacLarens vorstellte, zog zwar der eine oder andere die Brauen hoch, aber niemand ließ sich anmerken, wie sehr ihr Name sie überraschte. Während der Verhandlungen hatten die meisten von ihnen sie zweifellos für eine Dienstmagd der MacLeries gehalten. Jetzt dagegen wurde ihnen ihre Stellung im Clan bewusst, und die Lage änderte sich.

Das Funkeln in den Augen der MacLaren-Brüder ließ keinen Zweifel zu. Beide sahen sie als etwas an, das in die Verhandlungen einfließen musste, denn das wäre die ideale Lösung, die Position der MacLarens bei den MacLeries zu stärken. Ein kurzer, vielsagender Blick ging zwischen den Brüdern hin und her, der bestätigte, dass sie ihre Forderungen ändern und um eine Verlobung ergänzen würden.

Der Rest des Mahls zog verschwommen an ihr vorbei, da sie sich in Gedanken verlor. Sollten eine Verlobung und ein Ehevertrag ernsthaft in die Unterhandlungen aufgenommen werden, war schnelles Handeln erforderlich, wenn sie nicht Tavis für immer verlieren wollte. Auch wenn er immer noch in der Trauer um seine Ehefrau gefangen war, näherte sich der Moment, in dem sie ihn auf ihre gemeinsame Zukunft ansprechen musste.

Die weiteren Verhandlungen erstreckten sich noch über Tage hinweg, und tatsächlich fiel irgendwann auch Ciaras Name. Der Laird wies ein derartiges Ansinnen sofort zurück. Anstatt jedoch Erleichterung zu verspüren, wurde ihr bewusst, dass dies nur der erste Vorstoß gewesen war, dem von allen Seiten weitere folgen würden. Früher oder später würde man an einen Punkt gelangen, an dem es keinen vernünftigen und vertretbaren Grund mehr gab, derartige Angebote abzulehnen. Sie wusste, die Zeit war gekommen, und als Tavis von einem der anderen Anwesen des Lairds zurückkehrte, machte sie sich bereit für den kühnsten und erschreckendsten Schritt ihres Lebens.

Sie wartete, bis es dunkel war, weil sie wusste, dass er dann allein sein würde. Erst dann schlich sie sich aus Elizabeths Hütte und machte sich auf den Weg zu ihm. Da es nicht möglich war, die Feste zu verlassen, wenn erst einmal alle Tore geschlossen waren, hatte sie mit ihrer besten Freundin einen Plan geschmiedet, für den Fall, dass jemand ihr Verschwinden bemerken sollte. Sie erreichte Tavis’ Hütte und stand im Mondschein vor seiner Tür, hob eine zitternde Hand, um anzuklopfen.

Sag ihm einfach, was du für ihn empfindest, und dann frag ihn, wiederholte sie im Geiste bestimmt zum hundertsten Mal, seit sie bei Elizabeth aufgebrochen war. Dieser Satz nahm ihr weder die Nervosität, noch konnte er ihr Mut einflößen, als sie sich zwang, die Faust zu ballen und behutsam anzuklopfen.

Du bist eine gebildete Frau, du kannst fünf Sprachen lesen und schreiben, du kennst dich mit Verhandlungen und Verträgen aus. Du verfügst über Wissen und Fertigkeiten, die den meisten Männern fremd sind. Du bist intelligent und schlagfertig. Jeder Mann könnte sich freuen, dich zur Frau zu haben.

Als ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet, rief sie sich die Worte ins Gedächtnis, die ihr Stiefvater zu ihr gesagt hatte. Doch auch die stärkten ihren Mut nicht, als sie hinter der Tür Schritte näher kommen hörte. Gebannt hielt sie den Atem an und versuchte, ihr rasendes Herz zu bändigen. Als er jedoch die Tür öffnete und ihren Namen flüsterte, war jede Hoffnung, ihr Herz zu beruhigen, dahin.

Er war so wunderschön, dass ihr der Atem stockte. Eigentlich war „wunderschön“ nicht das richtige Wort, doch es beschrieb sein Erscheinungsbild am besten – absolut männlich, aber zugleich auch wunderschön. Kleine dunkle Zöpfe hingen ihm ins Gesicht, der Rest seiner Haare fiel ihm über die Schultern. Seine große muskulöse Statur füllte den Rahmen ganz aus, sodass sie den Lichtschein des Kaminfeuers kaum sehen konnte.

Tavis trat einen Schritt auf sie zu, sah nach links und rechts und dann auf den Weg, den sie gekommen war. Dabei kam er ihr so nah, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Sie schloss die Augen und genoss einen Moment lang seinen Duft, bis ihr der Gedanke kam, dass sie so auf ihn ziemlich albern wirken musste.

„Stimmt etwas nicht, Ciara?“, fragte er verwundert. „Es ist schon spät.“

Sie atmete noch einmal tief durch. „Ich möchte mit dir reden, Tavis“, sagte sie dann und verschränkte die Hände, damit ihr Zittern nicht so offensichtlich war.

„Wir sollten morgen reden … in der Feste.“ Er machte einen Schritt nach hinten, womit er sie seiner Wärme und seines Aromas beraubte. Auf einmal betrachtete er sie mit Argwohn. „Wissen deine Eltern, dass du in der Dunkelheit allein durchs Dorf läufst?“

„Ich bin kein Kind mehr, Tavis, und ich lebe schon lange genug in Lairig Dubh, um jeden Weg und jede Ecke zu kennen und jede Seele, die hier lebt.“

„Also wissen sie nichts davon.“

Ciara biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Sie glaubte nicht, dass er sie wegschicken würde, ohne sie angehört zu haben, aber mit einem Mal wirkte seine Miene wie versteinert, sodass sie fürchtete, er könnte genau das tun.

„Du solltest nicht in der kühlen Luft herumstehen“, sagte er schließlich, machte einen Schritt zur Seite und ließ sie ins Haus. Er schloss die Tür hinter ihr und ging zum Kamin. Dort bedeutete er ihr, auf einem Hocker Platz zu nehmen.

Sie beschloss, lieber stehen zu bleiben, und näherte sich dem Kaminfeuer, das mit niedriger Flamme brannte. Tagelang hatte sie darüber nachgedacht, was sie sagen wollte, aber jetzt, da sie hier in seinem Haus stand, in dem er zusammen mit Saraid gelebt hatte, waren die Worte wie weggeblasen, und sie blieb stumm.

„Ciara?“ Seine tiefe Stimme sandte Wellen der Erregung über ihre Haut. Sie musste sich zwingen, ihre Gedanken zu ordnen, damit sie aussprechen konnte, was ihr auf dem Herzen lag. Anstatt um die Sache herumzureden, wählte sie den direkten Weg. So war es zwischen ihnen schon immer gewesen, und auch in diesem Moment war es so am besten.

„Ich bin hergekommen, um mit dir über das Thema Ehe zu reden, Tavis“, platzte sie heraus. Gleich darauf setzte sie sich doch auf den Hocker, da ihre Knie nun genauso zitterten wie ihre Hände. So stolz sie auf sich war, dass sie ohne Umschweife ihr Anliegen ausgesprochen hatte, so sehr wunderte sie sich über seinen verwirrten Gesichtsausdruck.

„Ehe? Hat jemand um deine Hand angehalten?“, fragte er. „Ist Duncan mit dem Werber einverstanden?“

„Nein, niemand hat um meine Hand angehalten.“ Noch nicht, aber bei ihrem Alter und ihrer Mitgift war das nur eine Frage der Zeit. Sie wollte das hier geklärt sehen, bevor die ersten ernsthaften Anträge gemacht wurden.

„Dann fürchtest du dich vor der Ehe?“ Trotz seiner eigenen schrecklichen Erfahrung als Ehemann klang er besorgt. „Mit Marian kannst du offen über alles reden, Mädchen.“

Ciara kniff die Augen zu und betete um Mut. Schließlich sprach sie die Worte aus, die ihr Verdammnis bringen oder ihren Herzenswunsch erfüllen würden.

„Ich möchte dich heiraten, Tavis.“

Die Luft in der Hütte schien erstarrt zu sein, kein Geräusch war zu hören. Jedoch war Ciara sich sicher, dass er ihren Herzschlag vernehmen musste, so laut, wie er war. Tavis rührte sich nicht. Sein Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht, aber ihm war nicht anzusehen, ob er sie überhaupt gehört hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob er noch atmete. Die Zeit verging so unendlich langsam, dass durchaus Stunden verstrichen sein konnten, während sie auf seine Antwort wartete. Ihre Wangen begannen zu glühen, und auch in ihrer Magengrube schien sich ein Feuer auszubreiten. Sie strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht, dann beschloss sie, die Worte zu wiederholen, da er sie wohl aus irgendeinem Grund nicht gehört hatte.

„Ich sagte, ich möchte dich heiraten.“

„Ciara“, sagte er in flehentlichem Tonfall. „Sag das nicht …“

„Ich habe viel zu bieten“, sprach sie hastig weiter. „Ich kann fünf Sprachen lesen und schreiben, ich kann rechnen. Ich bringe eine gute Mitgift mit in die Ehe, und ich …“ Sie verstummte, als sie sah, dass ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Also fügte sie auch noch den letzten Satz an, der ihn ganz sicher davon überzeugen würde, dass es das Richtige wäre. „Und ich liebe dich, Tavis.“

Sie hätte mit Erstaunen, Verständnis, Einwilligung gerechnet, aber seine Reaktion war eine völlig andere. Tavis zuckte zusammen, als hätte sie ihn geohrfeigt, und schüttelte den Kopf. „Sag so etwas nicht, Mädchen.“

„Es ist wahr. Ich liebe dich schon seit Jahren, sogar schon, bevor du Saraid geheiratet hast, und …“ Mit einem Keuchen verstummte sie und schlug sich die Hände vor den Mund, aber es war zu spät. Sie konnte nicht rückgängig machen, dass ihr der eine Name über die Lippen gekommen war, den er niemals aussprach.

„Du weißt nicht, was du da sagst. Eine Ehe zwischen uns ist aus vielerlei Gründen nicht möglich“, entgegnete er, ohne sie anzusehen. Er starrte in den Kamin, während sein ganzer Körper sich zu verkrampfen schien. Mit ausdrucksloser Stimme fügte er hinzu: „Ich habe es dir doch gesagt. Ich werde nie wieder heiraten.“

„Aber ich werde dir eine gute Ehefrau sein“, flehte sie. Sie konnte nicht mehr aufhören zu reden, nachdem sie einmal begonnen hatte. „Meine Eltern mögen dich, und ich müsste Lairig Dubh nicht verlassen.“

Schweigen schob sich wie eine Wand zwischen sie, während Ciara darauf wartete, dass er einsah, wie vernünftig der Plan war – auch wenn er wohl nicht die Liebe in ihrem Herzen erkennen konnte. Schließlich drehte er sich wieder zu ihr um. Der Ausdruck in seinen Augen war so trostlos, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die unendliche Traurigkeit erblickte. Im gleichen Moment wusste sie, dass sie den Kampf verloren hatte.

„Du wurdest großgezogen, um einmal einem Mann eine wundervolle Ehefrau zu sein, Ciara, aber ich bin nicht dieser Mann. Ich kann dir nichts bieten, was du nicht schon hast oder selbst besser kannst. Ich kann weder lesen noch schreiben, ich besitze kein Vermögen und habe keine Blutsbande, die es mit deinen aufnehmen könnte. Deine Eltern kennen und mögen mich, ja, aber der Laird will dich so verheiraten, dass dadurch zwei Clans miteinander verbunden werden. Dein Vermögen soll das Vermögen deines Ehemanns bereichern. Ich bin nur ein Soldat im Dienst des Lairds; mein Ansehen ist nicht hoch genug, um jemals eine Braut wie dich zu bekommen.“

Noch einmal schüttelte er den Kopf, und ihr strömten Tränen über die Wangen. Tavis war noch nicht fertig. Sie wusste, das Schlimmste würde noch kommen.

„Außerdem kann ich dich nicht lieben, Mädchen. Ich habe mein Herz bereits verschenkt und habe nichts mehr, was ich dir noch geben könnte.“

„Aber Tavis …“, widersprach sie. Sie empfand genug Liebe, dass es für sie beide reichen würde. „Ich liebe dich, seit …“

„Hör auf!“, herrschte er sie an. „Sag so etwas nicht.“ Er ging in der Hütte hin und her, die dadurch mit einem Mal viel kleiner wirkte. „Du warst ein Kind, als du entschieden hast, dass du mich liebst. Jetzt musst du erwachsen werden, Ciara. Ich habe mich lediglich um ein kleines Mädchen gekümmert, das sich auf einer Reise befand, und mich mit dem Mädchen angefreundet, während es erwachsen wurde. Das ist alles, was zwischen uns besteht. Du musst dich jetzt von diesen kindlichen Gedanken trennen, denn mehr wird niemals zwischen uns sein.“

Es hätte nicht schlimmer wehtun können, hätte er ihr stattdessen eine echte Klinge ins Herz getrieben. Doch der Schmerz ließ sie auch erkennen, wie dumm es von ihr gewesen war, heute Abend herzukommen und ihm diese Dinge zu sagen. Er wollte sie nicht, er liebte sie nicht.

Er würde sie nicht heiraten.

Sie hatte auf ihn gewartet. Sie hatte gewartet, dass sein Schmerz über Saraids Tod nachließ und dass er sie als Erwachsene akzeptierte. Aber jetzt war klar, dass er in ihr nie eine erwachsene Frau sehen würde. Es war zwar dumm von ihr gewesen, herzukommen, doch sie war nicht dumm. Mit dem Saum ihres Mantels wischte sie die Tränen weg und tupfte sich die Augen trocken. Gedemütigt, weil sie seine Gefühle falsch eingeschätzt hatte, stand sie auf und ging zur Tür. Sie musste so schnell wie möglich von hier weg. Hastig hob sie den Riegel an, öffnete die Haustür und stürmte nach draußen in die kühle Nachtluft. Nach Luft schnappend lief sie weiter, während ihr die Tränen wieder über die Wangen liefen.

Er rief ihr nach, aber sie wollte und konnte sich nicht zu ihm umdrehen. Ob Mitgefühl oder Mitleid, es kümmerte sie in diesem Moment nicht. Sie rannte den Hügel hinauf zu Elizabeths Hütte. Dabei hatte sie das Gefühl, dass er ihr folgte, aber sie blieb nicht stehen und sah sich auch nicht um. Als dann Elizabeth aus dem Schatten hervortrat, um ihr entgegenzugehen, kam es ihr so vor, als würde Tavis zurückbleiben.

Ein Blick genügte, und Elizabeth breitete die Arme aus, um Ciara tröstend an sich zu drücken. Zwar war ihre Freundin ein Jahr jünger als sie, dennoch war sie ihr stets wie die Ältere vorgekommen. Für den Augenblick ließ sich Ciara von ihr trösten, und als sie wieder Luft bekam, fasste sie Elizabeth am Arm und hielt sich für den Rest des Weges an ihr fest. Sie schlichen zurück ins Haus, und wenig später lagen sie im Dachgeschoss im Bett, doch Schlaf wollte sich nicht einstellen.

Erst da traute sich Elizabeth, zu fragen, wie das Gespräch mit Tavis verlaufen war. Auch wenn es vieles gab, was Ciara hätte erzählen können, war nichts davon jetzt noch wichtig. Nur auf eine Sache kam es an.

„Er will mich nicht heiraten.“

Noch schlimmer war die Erkenntnis, dass ihre Eltern Tavis für sie so unerreichbar gemacht hatten, indem sie ihr eine Mitgift und eine außergewöhnliche Ausbildung mitgegeben und dafür gesorgt hatten, dass jeder von ihrer Verbindung zu zwei mächtigen Lairds wusste. War das etwa ihre Absicht gewesen? Hatten sie sie so interessant und kostbar machen wollen, dass in den Reihen der MacLeries und der Robertsons niemand für eine solche Braut infrage kam? Wollten sie sie nicht mehr um sich haben?

In dieser und vielen nachfolgenden Nächten gingen ihr diese Fragen durch den Kopf, während sie sich von diesem niederschmetternden Erlebnis zu erholen versuchte.

Die folgenden Wochen und Monate waren schwierig für sie. Wenigstens schien Tavis, vielleicht zufällig, vielleicht auch absichtlich, noch häufiger als zuvor in Angelegenheiten des Lairds auf Reisen zu sein, sodass sie einander lange Zeit nicht begegneten. Nach einer Weile ließ ihre schreckliche Verlegenheit nach, und sie hätte beinahe schon glauben können, dass sie das Ganze nur geträumt hatte. Lediglich ein flüchtiger Ausdruck in Tavis’ Augen bei ihrer nächsten zufälligen Begegnung zeugte davon, dass das alles tatsächlich geschehen war.

Sie dachte darüber nach, dass Tavis die Art ihrer Gefühle für ihn richtig gedeutet haben könnte. Als ihr mehr und mehr Heiratskandidaten vorgestellt wurden, sah sie ein, dass sie vielleicht tatsächlich ihre Kindheitsträume vergessen sollte, um sich der Wirklichkeit des Erwachsenendaseins zu stellen.

Und als ihr Vater eines Abends beim Essen einen möglichen Bräutigam verkündete und Tavis nicht einmal mit der Wimper zuckte, zwang sie sich dazu, die Tatsache hinzunehmen: Sie würde einen Mann heiraten müssen, den sie niemals lieben konnte.

Denn auch wenn sie erwachsen geworden war und ihre Gefühle noch so albern sein mochten – sie hatte ihr Herz ebenfalls verschenkt.

2. KAPITEL

Spätsommer 1371

Die Sonne bahnte sich ihren Weg durch den wolkenverhangenen Himmel, durchbrach das Grau und ließ das Dorf um ihn herum erstrahlen. Sonst hätte der Sonnenschein seine Laune gehoben, da er die üblichen Herbststürme nicht mochte, doch heute nicht. Tavis MacLerie verschränkte die Arme vor der Brust, presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf noch einmal, um seine Weigerung zu unterstreichen.

Als rechte Hand des Lairds war es seine Aufgabe, für dessen Aufträge Soldaten auszuwählen, doch diesmal würde er es nicht tun. Viele Male hatte er außerhalb von Lairig Dubh Connor MacLeries Aufträge ausgeführt. Aber nicht diesen. Jemand anders würde sich dieser … Aufgabe annehmen müssen.

„Ich erwarte eine Erklärung“, sagte Connor mit so leiser Stimme, die Tavis mehr beunruhigte, als wenn der Laird ihn angebrüllt hätte. Etwas in Tavis erwachte zum Leben, und jeder Muskel spannte sich an, als mache sich sein Körper kampfbereit, da er Gefahr witterte.

„Ich habe andere Aufgaben zu erledigen“, erwiderte er und hielt dem finsteren Blick seines Lairds stand. „Dougal und Iain können sich auf diese Reise begeben.“

Erst vor Kurzem hatte Connor einen vorläufigen Hochzeitsvertrag zwischen Duncans Stieftochter und dem künftigen Erben eines verbündeten Clans ausgehandelt – nachdem zwei andere Verträge nie zum Abschluss gekommen waren. Jetzt musste Ciara nur noch den anderen Clan besuchen und das Angebot annehmen. Ihre Eltern würden bald im Auftrag des Lairds unterwegs sein, daher konnten sie sie nicht begleiten. Ciara schien diesem Angebot des Murray-Clans im Osten Schottlands zugeneigt, und die Reise war von entscheidender Bedeutung, um die Vereinbarungen zu besiegeln. Tavis selbst wusste darüber nur das, was er aus Gesprächen mit anderen erfahren hatte, da Ciara und er seit jener Nacht in seiner Hütte kein Wort mehr gewechselt hatten.

Im Geiste sah er immer noch ihr Gesicht, wie es aschfahl geworden war, nachdem er ihr Ansinnen abgewiesen hatte. Dieses Bild verfolgte ihn beharrlich, doch er hatte ihr in jener Nacht nichts als die Wahrheit gesagt. Er konnte nicht wieder heiraten, und er würde es auch nicht tun.

Allerdings hatte er ihr nicht alle Gründe für seine Haltung anvertraut, da er wusste, er würde sich damit in ihren und in den Augen aller verdammen, die davon wussten. Die Angst, jemand könnte die ganze schreckliche Wahrheit über Saraids Tod herausfinden, hielt ihn auf Abstand zum Clan und brachte ihn zu der Überzeugung, dass es für ihn nie wieder ein glückliches Eheleben geben konnte. Er verdrängte die Erinnerungen und das tiefe Bedauern und wartete weiter auf Connors Antwort.

Der tauschte mit Duncan einen kurzen, aber vielsagenden Blick. Schließlich willigte Connor mit einem Nicken ein und befahl Tavis: „Sag ihnen, sie sollen in zwei Tagen bereit sein.“

Tavis nickte ebenfalls und wandte sich zum Gehen. Er war ausgesprochen erleichtert darüber, dass nicht er derjenige sein würde, der Ciara zu ihrem Verlobten begleiten musste. Diese Reaktion überraschte ihn, hatte er doch bislang gemeint, nicht auf diese Weise für sie zu empfinden. Letztlich weigerte er sich schlicht, über diese seltsame Gefühlsregung weiter nachzudenken. Er ging über die Treppe nach unten in den Saal, wo Ciaras Mutter Marian Robertson bereits auf ihn wartete.

„Tavis, ich möchte mit dir über die Reise nach Perthshire reden“, begann sie, als er bei ihr ankam.

„Marian …“, erwiderte er zögerlich. Wusste sie, dass ihre Tochter ihn gebeten hatte, sie zu heiraten? Und dass er sie abgewiesen hatte? Was sollte er dazu sagen?

„Marian!“ Duncans energischer, aber nicht wütender Ausruf hinderte sie daran, auszusprechen, was sie zu sagen hatte. Gleich darauf gesellte sich Duncan zu ihnen, legte Marian einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran. „Tavis hat andere Männer ausgewählt, die Ciara begleiten sollen. Sie wird sicher zu ihrem Verlobten gebracht werden.“

Tavis gefiel der Klang dieser Worte nicht. Er kannte Ciara, seit sie fünf war, und hatte sie auf der Heimreise von Marians Familie in Dunalastair begleitet. Auch wenn er versuchte, sie so zu sehen, wie sie heute war, schob sich ihm immer wieder die Erinnerung in den Sinn, wie sie fröhlich lachend mit den Holztieren spielte, die er für sie geschnitzt hatte. Und nun würde sie heiraten und von hier weggehen, und er würde sie, wenn überhaupt, nur noch selten sehen. Sein Magen verkrampfte sich bei dieser Vorstellung, doch auch jetzt wollte er sich lieber nicht näher mit den Gründen für diese Reaktion seines Körpers befassen.

Er hatte kein Recht, irgendwelche weiteren Erwartungen zu hegen, wenn es um Ciara ging. In der Nacht, in der er sie abgewiesen hatte, hatte er jeden nur denkbaren Anspruch auf sie verwirkt – sofern er überhaupt je einen Anspruch hätte anmelden können. In seinem Bemühen, sie zu der Einsicht zu zwingen, dass sie beide kein Paar sein konnten, hatte er sowohl sich selbst als auch Ciara gedemütigt.

„Duncan, da wir sie nicht begleiten können, wäre mir wohler, wenn ich wüsste, dass Tavis persönlich …“

„Stellst du seine Fähigkeit infrage, seiner Verantwortung gegenüber seinem Laird nachzukommen, Marian?“ Duncan ließ sie los und trat einen Schritt zurück, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte. „Doch sicher nicht?“

Tavis’ Nackenhaare sträubten sich. Etwas Seltsames war hier im Gange. Noch nie hatte er Duncan oder einen anderen MacLerie-Mann so mit seiner Frau reden hören. Sie alle akzeptierten in jeder Hinsicht die starken, eigensinnigen Frauen, die sie geheiratet hatten, und ließen ihnen ein großes Maß an Freiheit, sodass sie ihre Meinungen zum Ausdruck bringen konnten.

Hier spielte sich irgendetwas anderes ab, und er war dummerweise genau zwischen die Fronten geraten. Ohne jeden Zweifel wusste er, dass es ihn betraf und dass es um mehr ging als nur um die Auswahl der Männer, die Ciara begleiten sollten. Er wartete darauf, dass Marian im gleichen Tonfall antwortete, doch dann folgte eine für ihn erschreckende Reaktion.

„Du hast völlig recht“, sagte sie und fuhr sogleich an Tavis gewandt fort: „Ich wollte weder deine Fähigkeiten noch deine Autorität anzweifeln, Tavis. Verzeih mir meine Worte, ich habe übereilt gesprochen.“

Einen Moment lang stand Tavis mit offenem Mund da, aber ehe er sich noch in irgendeiner Weise dazu äußern konnte, nahm Duncan sie bei der Hand, und sie zogen sich zurück. Er hörte sie tuscheln, als sie durch die Tür auf den Hof hinausgingen und ihn einfach zurückließen, während er ihnen ungläubig hinterherschaute. Schließlich fuhr er sich mit den Händen durchs Haar und ließ sich die Unterhaltung noch einmal durch den Kopf gehen, um dahinterzukommen, wieso ihm das alles so fremdartig erschien. Da es nicht seine Art war, Dinge ungeklärt zu lassen, folgte er dem Paar nach draußen, um von ihnen eine Erklärung zu bekommen. Diese Absicht ließ er aber in dem Moment fallen, als er sah, dass das Subjekt ihrer Unterhaltung sich zu ihren Eltern auf den Hof gesellt hatte.

Wann war Ciara nur so erwachsen geworden? Hatte er sich bloß etwas vorgemacht, indem er stets nur das Mädchen in ihr gesehen hatte, dem er zum ersten Mal in Dunalastair begegnet war? Hatte sich geweigert, wahrzunehmen, dass sie schon seit Jahren nicht mehr dieses Mädchen war, sondern sich in eine einzigartig schöne junge Frau verwandelt hatte? Ganz gleich, welche Gründe in jener Nacht gegen sie gesprochen hatten, ihm stockte der Atem, als er jetzt zum ersten Mal die Frau bemerkte, zu der sie herangewachsen war.

Sie war längst ein Stück größer als ihre Mutter. Ihre langen blonden Locken hatte sie zum Zopf geflochten. Zahllose Haare, die dem Zopf entwischt waren, umrahmten ihr herzförmiges Gesicht wie eine sanfte goldene Wolke. Ihr Kleid schmiegte sich an Kurven, die trotz ihrer schlanken Statur weibliche Formen unter dem Stoff erahnen ließen. Sein Körper reagierte darauf völlig unerwartet …

Zumindest war es unerwartet, da er sie noch nie so wie in diesem Augenblick wahrgenommen hatte. Und es kam auch unerwartet, weil er ihr erst vor Kurzem erklärt hatte, er habe Frauen für alle Zeit abgeschworen.

Tavis verscheuchte jene Erinnerungen, die stets ganz in der Nähe seines Bewusstseins lauerten, und zog sich in den Schatten der großen Halle zurück, damit er unbemerkt der Unterhaltung zwischen Marian, Duncan und Ciara folgen konnte. Über Ciaras Gesicht huschte innerhalb von wenigen Augenblicken eine Fülle von Gefühlsregungen – zuerst Interesse, dann Erstaunen und am Ende bittere Enttäuschung.

Als Trauer das Leuchten in ihren braunen Augen dämpfte und das gewohnte Lächeln von ihren Lippen verschwand, ertappte er sich selbst dabei, dass er aus den Schatten vorgetreten war, weil er ihre Trauer verjagen wollte. Doch der stechende Blick, den sie ihm zuwarf, kaum dass sie ihn bemerkte, ließ ihn wie erstarrt stehen bleiben.

Die Verwirrung steigerte sich noch weiter, als Ciara auf der Stelle kehrtmachte und ohne ein Wort oder einen Blick davonging. Tavis setzte sich wieder in Bewegung und trat zu Duncan und Marian, gerade als die beiden sich in verschiedene Richtungen entfernen wollten.

„Was hat das alles zu bedeuten?“ Er stellte sich Duncan in den Weg, weil er Antworten haben wollte. „Ich habe Connor doch erklärt, dass ich mich um andere Aufgaben kümmern muss.“ Immer noch klang sein Einwand selbst in seinen eigenen Ohren wie eine Ausflucht. Fiel das den beiden ebenfalls auf? Sein Entschluss, Ciara um jeden Preis zu meiden, geriet allmählich ins Wanken.

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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