Tiffany Exklusiv Band 109

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ROCK ME, BABY! von KRISTIN HARDY
Schluss mit dem Bravsein! Seit Paige dem aufregenden Rockmusiker George Reed begegnet ist, will sie nur noch eins: Sex! Hals über Kopf stürzt sie sich in eine Affäre. Die Gefühle, die ihr neuer Liebhaber in ihr entfesselt, übertreffen bald ihre wildesten Fantasien …

TAUSENDUNDEIN WUNSCH von DAWN ATKINS
Damals war Mitch ein wilder Musiker – heute ist er ein seriöser Geschäftsmann. Als Esmie ihren Ex-Lover wiedertrifft, fragt sie sich: Hat Mitch immer noch dieses unglaublich gute Gefühl für Rhythmus? In einer heißen Nacht will sie es herausfinden …

EIN LIED VON LUST UND LIEBE von KATE HOFFMANN
„Ich weiß, was du willst“, flüstert Riley ihr ins Ohr, ehe er sie auszieht. Nan seufzt. Am liebsten würde sie dem aufregenden irischen Musiker ihre Liebe gestehen! Aber wahrscheinlich ist sie für ihn nur ein Urlaubsflirt, der endet, wenn sie wieder ins Flugzeug steigt …


  • Erscheinungstag 01.08.2023
  • Bandnummer 109
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516136
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kristin Hardy, Dawn Atkins, Kate Hoffmann

TIFFANY EXKLUSIV BAND 109

1. KAPITEL

„Was ist gegen die Missionarsstellung einzuwenden?“ Paige Favreau schaute in die Runde, die sich am Restauranttisch eingefunden hatte, und schüttelte den Kopf, was den perfekten Sitz ihres schulterlangen blonden Haares nicht beeinträchtigte. „Wenn man zehn Minuten damit zubringt, in ein Buch zu sehen und eine halbe Stunde, um die Position einzunehmen, ist das doch viel zu kompliziert. Das Kamasutra ist etwas für Leute, die auf Spielereien stehen.“

Sabrina Costas dunkle Augen funkelten amüsiert. „Stimmt, aber gegen Abwechslung ist nichts einzuwenden. Und nicht alle Stellungen sind kompliziert. Denkt nur mal an die Doggie-Position.“

„Wuff“, meldete sich Delaney Phillips zu Wort, hob dazu die Hände wie Pfoten und hechelte.

„Auf keinen Fall.“ Trish Dawson strich sich eine rotbraune Strähne hinters Ohr. „In dieser Stellung reckt man dem Mann den Po entgegen. Nicht sehr schmeichelhaft.“

„Soll das ein Witz sein? Das ist doch ein klasse Polster“, widersprach Cilla Danforth, die heute ihr neuestes Prada-Outfit trug. „Außerdem betet Ty deinen Po genauso an wie den Rest von dir, so wie er dich letzte Woche auf Sabrinas Party angestarrt hat.“

Thea Masterson schaute auf ihre Uhr und grinste. „Na schön, hiermit erkläre ich dieses Treffen unseres Klubs offiziell für eröffnet.“

„Wie lange haben wir gebraucht, bis wir auf das Thema Sex gekommen sind?“, wollte Trish wissen.

„Fünf Minuten. Ziemlich langsam für uns, findest du nicht?“

„Das kommt nur, weil wir fünf Minuten dafür gebraucht haben, unsere Drinks zu bestellen“, sagte Trish.

Manche Unterhaltungen, dachte Paige, kann man nur mit Freundinnen führen, die man schon ewig kennt. Sie hatten sich auf dem College bei einem Theaterprojekt kennengelernt. Die vielen Stunden, die sie für Bühnenbilder, Kostüme und Drehbücher opferten, wurden zu spätabendlichen Treffen mit Pizza ausgeweitet, und daraus entwickelten sich Freundschaften, die die Jahre überdauerten.

Paige lachte. „Unsere Collegezeit liegt jetzt wie lange zurück? Acht Jahre? Wir könnten ruhig einmal anfangen, über etwas anderes als Sex zu reden.“

„Nenn uns ein Thema, das auch nur annähernd so interessant ist.“ Delaney sah auf, da der Kellner mit ihren Drinks kam.

„Oh, die politsche Großwetterlage? Religion? Wirtschaft? Umwelt?“ Paige nahm ihren Pinot Grigio entgegen. „Für manche Leute steht Sex nicht an erster Stelle, zumindest gelegentlich.“

„Das klingt, als hättest du dich mal wieder mit Jim, dem Diplomaten, unterhalten“, bemerkte Delaney.

Paige sah sie entgeistert an. „Glaub mir, ich rede mit meinem Vater nicht über Sex.“

„Er hat wahrscheinlich ohnehin etwas gegen uns“, sagte Sabrina.

„Auf jeden Fall seit dem Theaterstück aus dem zweiten Collegejahr, bei dem der Hauptdarsteller splitternackt auftrat“, pflichtete Paige ihr vergnügt bei. „Mein Vater fand die Zurschaustellung totaler Nacktheit gar nicht gut.“

„Es war keine totale Nacktheit“, wandte Cilla ein. „Ich hatte doch kleine Kostüme aus fleischfarbenem Strumpfstoff genäht.“

„Ich weiß nicht, ob man eine fleischfarbene Sportsocke als Kostüm bezeichnen kann“, entgegnete Paige. „Besonders, wenn sie schon im ersten Akt abrutscht.“

„Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Teil nicht im Drehbuch stand“, erklärte Trish und nahm einen Schluck von ihrem Cosmopolitan. „Ich hatte nichts damit zu tun.“

„War es etwa meine Schuld, dass Perry sich weigerte, doppelseitiges Klebeband zu benutzen?“ Cilla klang ein wenig beleidigt.

„Überrascht dich das?“, rief Sabrina. „Du weißt doch, wie Männer sind. Aber solltest du nicht ein spezielles Kostüm für die zweite Besetzung anfertigen, für den Fall, dass er eine andere Größe hat als der Hauptdarsteller?“

Cilla warf ihr einen strafenden Blick zu. „Das war eine Unterhaltung, auf die ich nicht gerade scharf war. Perry hätte mich warnen sollen, dass es ein Problem geben könnte.“

„Wenn man die Zweitbesetzung ist und mit dem Hauptdarsteller mithalten will, ist es manchmal schwer, so etwas zuzugeben.“ Paige biss sich auf die Innenseite ihrer Wange.

„Es hat einen kleinen Aufruhr gegeben“, sagte Delaney. „Und das war gut. Die erste Marketingregel lautet: Es gibt keine schlechte Werbung.“

„Wenn dein Vater der Botschafter der Vereinigten Staaten in Rumänien ist, schon“, erinnerte Paige sie. „Natürlich habe ich ihm gesagt, dass ihr die Perversen wart und ich mich nur um das Bühnenbild gekümmert habe.“

„Trotzdem hättest du beinahe nicht mehr mitarbeiten dürfen“, sagte Thea.

„Die Lage damals war heikel“, verteidigte Paige sich. „Der Eiserne Vorhang fiel, und mein Vater war Botschafter in einem Ostblockstaat. Es ein schlechtes Licht auf alle werfen können.“

Delaney neigte nachdenklich den Kopf. „Und heute?“

„Wie meinst du das?“

„Wann wirst du aufhören, so zu leben, dass Jims Diplomatenstatus nicht gefährdet ist, und anfangen, das Leben zu genießen?“

Paige runzelte die Stirn. „Aber ich genieße das Leben.“

Delaney schnaubte verächtlich. „Du hast uns gerade erzählt, dass du die Missionarsstellung bevorzugst. Sieh dir all deine Dates an, die höchstens zwei Monate dauern. Was ist mit dem Typen, den du zu Cillas Hochzeit mitgebracht hast?“

„Er heißt Ross und ist ein sehr intelligenter Mann.“

„Er ist ein Streber“, meinte Delaney abschätzig. „Sich mit ihm zu unterhalten war sterbenslangweilig.“

„Vielleicht besitzt er andere Qualitäten“, wandte Trish ein.

„Du hast recht, Trish.“ Paige hob das Kinn. „Ross hat einen ziemlich wichtigen Job im Büro des Bürgermeisters, auch wenn er kein besonders tolles Date ist … äh, war.“

„War?“, hakten ihre Freundinnen nach.

„Wir treffen uns nicht mehr.“

„Er war eine exakte Kopie von – wie hieß er noch? – Marty?“

„Mitch“, riet Trish.

„Mark“, sagte Paige trocken, musste sich aber gleich selbst verbessern: „Nein, er hieß Marcus.“

„Siehst du, du kannst dich nicht einmal an ihre Namen erinnern“, stellte Delaney fest.

„Und wenn schon. Mark …“

„Marcus …“

„Das mit Marcus ist sechs Monate her.“

„Lass mich raten – er war der US-Gesandte in irgendeinem kleinen Staat, dessen Namen wir nicht kennen.“

„Ich finde nicht, dass es ein Verbrechen ist, mit intelligenten Männern auszugehen“, verteidigte Paige sich.

„Trotzdem solltest du dich mehr amüsieren“, meinte Delaney. „Die Männer, mit denen du ausgehst, mögen ja helle sein, aber meistens sind sie so interessant wie wie Maispudding.“

„Nichts gegen Maispudding“, protestierte Trish. „Ich mag ihn.“

Delaney warf ihr einen besorgten Blick zu. „Trish, sag so etwas niemals bei einem dieser Abendessen mit Hollywoodgrößen, zu denen du immer gehst, sonst werfen sie dich aus ihrem Klub.“

„Solide Hausmannskost ist momentan der letzte Schrei in Hollywood, wusstest du das nicht?“, informierte Sabrina sie, die es wissen musste, da sie die eine Hälfte des angesagtesten Paares und Teams in den Kreisen der Dokumentarfilmer war. „Hackbraten, Maispudding, Makkaroni mit Käse. Außerdem würden sie nicht im Traum daran denken, Trish aus ihren Kreisen auszuschließen, da der Film, für den sie ihr erstes Drehbuch geschrieben hat, in den Top Ten der Kinohits gelandet ist.“

Paige erinnerte sich an die Premiere und die anschließende wilde Party. Marcus hatte allerdings nicht lange bleiben wollen.

In diesem Moment tauchte Kelly Vandervere, das fehlende Mitglied ihrer Gruppe, atemlos und mit leuchtenden Augen auf. „Einen Preiselbeersaft bitte“, sagte sie zum Kellner, zog ihre Jacke aus und setzte sich.

„Es wurde auch Zeit, dass du endlich kommst“, sagte Sabrina.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich war beim Allergologen und musste anschließend zuerst nach Hause.“

„Wieso warst du beim Allergologen?“

„Ja. Kev und ich wollen uns einen Hund anschaffen, aber die bringen mich zum Niesen, und mein Gesicht schwillt an, deshalb wollten wir herausfinden, ob man etwas dagegen unternehmen kann.“

„Erst zieht ihr zusammen, und jetzt schafft ihr euch ein Haustier an? Unser Kleines wird langsam erwachsen“, meinte Cilla.

„Das war noch nicht alles“, verkündete Kelly. „Hat jemand von euch schon mal einen Allergietest machen lassen? Man wird vorher getestet, ob man schwanger ist, eine Infektion hat und solche Sachen. Dann bekommt man ein Gitter auf die Haut gezeichnet und wird mit allem möglichen Zeug gestochen, um zu sehen, welches Quadrat rot wird.“

„Und du hast herausgefunden, dass du gegen Hausarbeit allergisch bist“, riet Sabrina.

„Ich weiß nicht. So weit sind wir nicht gekommen. Ich saß nämlich im Untersuchungsraum in meinem kleinen Papierkleidchen, um mir das Gitter aufzeichnen zu lassen, als der Arzt hereinkam und meinte, sie könnten den Test nicht durchführen.“

Der Kellner kam an den Tisch. „Ihr Preiselbeersaft.“

„Danke.“ Kelly trank einen Schluck. „Er sagte, die Tests hätten einige unerwartete Resultate ergeben, denn ich sei …“

„Schwanger!“, rief Delaney.

„Du bist schwanger?“, fragte Paige. Im gleichen Moment klingelte ihr Handy. Ungeduldig nahm sie es aus der Tasche und wollte es ausschalten. Aber dann erkannte sie die Vorwahlnummer und meldete sich. „Hallo?“

„Paige, Liebes?“ Ihr Großvater war am anderen Ende. „Ich brauche deine Hilfe.“

Die Notaufnahme roch nach Desinfektionsmitteln und Bohnerwachs von der Bohnermaschine, mit der jemand vom Reinigungspersonal den Flur reinigte. Paige rannte zur Anmeldung. „Hallo, ich bin Paige Favreau. Mein Großvater liegt hier. Lyndon Favreau. Er hatte einen Autounfall.“

Die Angestellte tippte den Namen in den Computer. „Sie müssen einen Augenblick warten.“

„Kann ich nicht zu ihm? Er weiß, dass ich komme. Er hat mich mit seinem Handy angerufen.“ Er hatte gesagt, es gehe ihm gut, aber das erklärte nicht, weshalb er in der Notaufnahme gelandet war. Und wieso wartete er nicht draußen, um nach Hause gefahren zu werden?

„Sie werden warten müssen“, wiederholte die Angestellte. „Bitte nehmen Sie Platz, wir rufen Sie dann auf.“

Das war nicht das, was sie hören wollte. Sicher, ihr Großvater hatte sich gut angehört, als er sie vom Unfallort anrief, aber er war immerhin schon achtzig.

„Ich bin eine Familienangehörige. Kann ich nicht zu ihm?“

„Nicht, bevor wir seine Zustimmung haben.“

„Das ist doch lächerlich. Er hat mich angerufen. Ich will ihn doch bloß sehen.“

„Wir sind nicht befugt, ohne seine Zustimmung jemandem Auskünfte zu erteilen. Außerdem haben wir momentan alle Hände voll zu tun. Wir geben Ihnen Bescheid, sobald es uns möglich ist.“

Paige marschierte wütend in den Wartebereich. Das ist doch lächerlich, sagte sie sich. Wahrscheinlich fehlte ihrem Großvater nichts. Laut seiner Aussage handelte es sich lediglich um einen Blechschaden. Trotzdem würde sie erst beruhigt sein, wenn man ihn gründlich durchgecheckt hatte.

„Da möchte man am liebsten jemanden würgen, was?“, sagte eine Stimme belustigt.

Paige drehte sich um und entdeckte einen verwegen aussehenden Mann, der mit ausgestreckten Beinen auf einem Stuhl an der Wand saß.

Na wunderbar! Dieser unrasierte Kerl hatte ihr gerade noch gefehlt. Wahrscheinlich wartete er auf seinen Kumpel, der in eine Kneipenschlägerei geraten war, damit sie auf ihre Harleys springen und zum nächsten Motorradtreffen brausen konnten.

„Ich bin sicher, sie versuchen hier ihr Bestes“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.

Er zwinkerte. „Sie könnten sich über die Bestimmungen hinwegsetzen und einfach reingehen.“

Sie schenkte ihm höfliches Lächeln und setzte sich auf die andere Seite des Raumes. Sie hatte keine Zeit, sich mit diesem zwielichtig aussehenden Typen und dessen kriminellen Freunden zu befassen. Sie nahm eine Frauenzeitschrift vom Tisch und blätterte ungeduldig durch Rezepte für Weihnachtsplätzchen und Anleitungen zum Besticken von Sofakissen für jeden Feiertag des Jahres. Die Zeitschrift hätte sie nicht einmal gefesselt, wenn sie besser Stimmung gewesen wäre. Jetzt war es jedoch nahezu unmöglich, sich auf irgendetwas zu konzentrieren.

Auf der einen Seite des Wartebereichs saß eine Gruppe von Leuten, offenbar Verwandte, um ein angespannt wirkendes Paar. Paige begriff, dass sie nicht die Einzige war, die sich um Angehörige sorgte. Den weiß hervortretenden Knöcheln der Frau nach zu urteilen, waren heute Abend noch weitaus schlimmere Dinge passiert.

„Paige Favreau?“ Eine Krankenschwester war im Türrahmen zur Notaufnahme erschienen.

Paige stand auf.

Hinter der Tür herrschte ein kontrolliertes Durcheinander. Krankenschwestern und Pfleger eilten hin und her, trugen Schüsseln, schoben Tragen oder Rollstühle mit Patienten. Paiges Magen zog sich zusammen.

Und dann sah sie ihren Großvater.

Lyndon Favreau lag mit geschlossenen Augen im Bett. Er wirkte still und zerbrechlich. Sein dichtes weißes Haar war zerzaust. Es würde ihm äußerst unangenehm sein, wenn ihn jemand so sah, daher ging sie zu ihm, um es ein wenig glattzustreichen.

Er schlug die Augen auf. „Oh, Paige. Wie geht es dir, Liebes?“

„Bestens. Aber ich wüsste gern, wie es dir geht.“ Er hing nicht am Tropf, wie sie zu ihrer Erleichterung feststellte. Er trug auch keinen Verband. Nur seine Augen blickten ein bisschen glasig und verwirrt. „Der Doktor wollte mir nichts sagen ohne dein Einverständnis.“

„Ja, das ist ein ziemlich verschwiegener Haufen hier.“ Lyndon nickte weise. „Mir geht’s gut. Du kennst mich, ich stehe in den Startlöchern.“

Er kicherte, und Paige stutzte. In den dreißig Jahren, die sie auf der Welt war, hatte sie ihren Großvater noch nie kichern gehört, nur lachen. Aber kichern? Was war hier los?

„Sind Sie die Enkelin?“, erkundigte sich ein Mann in einem weißen Kittel. Er sah müde aus, lächelte aber freundlich und bot ihr die Hand. „Ich bin Rich Patterson, der leitende Arzt.“

„Paige Favreau“, erwiderte sie und musterte ihn. Er war jünger, als sie erwartet hatte, doch den Fältchen um seine Augen nach zu urteilen, hatte er schon viel gesehen.

„Achten Sie nicht auf ihn.“ Er deutete auf Lyndon. „Er ist benommen, weil wir ihm Schmerzmittel verabreicht haben.“

„Schmerzmittel? Was hat er denn?“

„Nichts Ernstes. Zumindest nehmen wir das an.“ Der Arzt hatte eine angenehme, beruhigende Stimme und braune Augen. „Er ist ein bisschen angeschlagen und klagt über Schmerzen in der Brust. Aber das dürfte nichts Schwerwiegendes sein. Wahrscheinlich eine Rippenprellung oder ein Knorpelschaden infolge des Unfalls. Trotzdem müssen wir es überprüfen. Deshalb behalten wir ihn zur Beobachtung auf jeden Fall über Nacht hier.“

Paige schwirrte der Kopf von der Aufzählung. Ein gebrochenes Handgelenk, ein verstauchter Knöchel, eine CT-Untersuchung, um Kopfverletzungen auszuschließen. „Er hat mich vor anderthalb Stunden von hier aus angerufen und klang völlig in Ordnung“, protestierte sie. Sie verstand auch nicht, warum man bis jetzt noch nichts unternommen hatte.

„Es geht ihm gut, aber wir müssen vorsichtig sein. Er musste warten, weil sich auf dem Highway ein Wagen mit vier Jugendlichen überschlagen hat“, fügte er hinzu, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Sofort dachte Paige an die Familien im Wartezimmer.

„Wir hatten alle Hände voll zu tun, um sie wieder zusammenzuflicken. Jetzt ist Lyndon an der Reihe. Das könnte eine Weile dauern“, warnte Patterson sie. „Gehen Sie lieber wieder in den Wartebereich, dort ist es bequemer.“

„Ich werde hierbleiben, danke“, erklärte Paige und nahm die Hand ihres Großvaters. Er murmelte etwas, doch seine Augen blieben geschlossen. Man stand seiner Familie bei, besonders wenn man kaum noch Verwandte hatte.

Plötzlich vermisste sie ihre Mutter so heftig, als läge der Verlust erst eine Woche zurück und nicht fünfundzwanzig Jahre. Caroline Favreau war eine hübsche, lebenslustige Frau gewesen, die es verstanden hatte, trotz der Zwänge, die der Beruf ihres Mannes ihr auferlegte, ihren Spaß zu haben. Sie brachte stets alle Leute dazu, locker zu werden und zu lachen, sogar James, ihren Mann.

Dann war sie an einem Aneurysma erkrankt und war gestorben. Paiges Erinnerungen hatten sich größtenteils mit den Fotografien vermischt, die sie wieder und wieder betrachtet hatte.

Zwar war das Leben später nicht mehr so lustig und voller Überraschungen gewesen wie mit ihrer Mutter, aber ihr Vater liebte sie, das wusste Paige. Und er behielt sie all die Jahre bei sich. „Wir sind eine Familie, du und ich“, sagte er immer. „Wir halten zusammen.“ Natürlich gab es Kindermädchen und Benimmregeln, aber es zählte trotzdem etwas. Sie waren zusammen, auch auf seinen langen Reisen oder wenn er in ein Land versetzt wurde, in dem keine politische Stabilität herrschte. Ihr richtiges Zuhause aber war bei ihren Großeltern in Santa Barbara in Kalifornien gewesen.

Delaneys Behauptung, Paige habe Angst, ihr Leben zu genießen, stimmte nicht. Nur legte man die Gewohnheiten aus dreißig Jahren nicht einfach über Nacht ab, schon gar nicht, wenn es an ihnen nichts auszusetzen gab. Es mochte ja sein, dass sie nie wild und spontan gewesen war, aber das lag daran, dass sie aus eigener Erfahrung wusste, mit wie viel Frieden und Glück man für gegenseitigen Respekt und Vertrauen belohnt wurde. Was machte es, dass es bei Delaney nicht funktionierte? Für Paiges Großeltern war das etwas Wundervolles gewesen, und auch für ihre Eltern. Und sie glaubte daran, dass ein solches Glück auch auf sie wartete.

Ordnung und Berechenbarkeit gefielen ihr. Wenn sie lieber Männer wie Rich Patterson mochte als Kerle wie den im Warteraum, dann weil sie etwas aus ihrem Leben machten. Und wenn Paige noch keinem Mann begegnet war, der ihr Herz schneller schlagen ließ, war das ihre Sache, oder? Ebenso wie es ihre Sache war, dass sie sich manchmal fragte, ob sie es später einmal bereuen würde, ein so unspektakuläres Leben geführt zu haben.

Die Zeit zog sich in die Länge. Pfleger holten ihren Großvater für Untersuchungen ab und brachten ihn zurück, und der Arzt kam wieder, um den Gipsverband anzulegen.

„Nicht den. Er wird den weißen bevorzugen, glauben Sie mir“, sagte Paige, als sie den pinkfarbenen Verbandstoff sah.

„Tut mir leid. Wir hatten heute einen Ansturm auf Gipsverbände und noch keine Gelegenheit, die Vorräte wieder aufzufüllen.“

„Haben Sie keinen blauen oder grünen?“, fragte sie, obwohl auch die nicht die erste Wahl ihres Großvaters gewesen wären, der es unauffällig liebte.

„Nur pink. Ich wünschte, wir hätten noch etwas anderes im Angebot, aber dem ist momentan leider nicht so. Er hat sich einen schlechten Tag ausgesucht, um sich etwas zu brechen. Er kann ja eine Socke darüberziehen.“

„Oh, das wird er auch.“

Lyndons Lider flatterten, blieben jedoch geschlossen, daher gab Paige nach.

Der Doktor verschwand wieder und das Warten ging weiter. Sie schaute auf ihre Uhr und gähnte.

Eine Schwester erschien. „Wir haben die Ergebnisse der Computertomographie.“

„Und?“

„Gute Nachrichten, wie wir erwartet haben. Der Doc meint, Ihr Großvater ist gesund wie ein Pferd, nur eben ein wenig angeschlagen. Alle Befunde sind negativ.“

Paige atmete erleichtert auf. Zwar war sie sicher gewesen, dass er nicht ernsthaft verletzt war, doch Zweifel waren geblieben. Jetzt konnte sie sich endlich entspannen. „Das ist großartig. Wie geht es nun weiter? Kann ich ihn mit nach Hause nehmen?“

„Wir behalten ihn wegen der Brustschmerzen über Nacht zur Beobachtung hier. Sie können ihn morgen früh abholen.“

Lyndon machte die Augen auf und blinzelte Paige verschlafen an. „Verzeih mir den ganzen Ärger“, murmelte er.

„Pscht, Granddad.“ Sie drückte seine Hand. „Es macht mir nichts aus. Es tut mir nur leid, dass du verletzt bist.“

„Wir werden ihn schon wieder auf die Beine bringen“, beruhigte die Schwester sie. „Er braucht ausgiebigen Schlaf heute Nacht, dann ist er morgen wieder ganz fit. Sie müssten bitte vorn an der Anmeldung die nötigen Formulare ausfüllen. Seine Brieftasche und seine Kleidung haben wir aufbewahrt. Sie können ihn morgen gegen elf abholen.“

Paige gab ihrem Großvater einen Kuss auf die Stirn. „Pass auf dich auf“, sagte sie sanft.

„Wiedersehen, Liebes“, murmelte er. „Den Haustürschlüssel hast du, oder?“

„Ja, alles klar. Schlaf gut.“

Die Augen fielen ihm wieder zu, und Paige ging.

Sie stieß die Tür zur Lobby auf und gähnte herzhaft. Ihr Großvater war nicht der Einzige, der dabei war, einzunicken. Vielleicht lag es an der Sorge oder der rasenden anderthalbstündigen Fahrt von L. A. hierher, jedenfalls war sie völlig erschöpft, obwohl es noch nicht einmal zehn Uhr abends war. Sie wollte nur noch ins Bett.

Nur würde das wohl noch dauern, denn an der Anmeldung hatte sich eine lange Schlange gebildet. Sie nannte ihren Namen und ging wieder in den Warteraum.

Die Familien der Jugendlichen waren verschwunden, wahrscheinlich oben in der Chirurgie, wo sie auf Neuigkeiten warteten. Aber der verwegen aussehende Kerl war noch da, praktisch in derselben Haltung wie vorhin, nur dass er jetzt eine aufgeschlagene Zeitschrift in den Händen hielt. Als Paige auf die Stühle zuging, hob er den Kopf.

„Immer noch hier?“

„Immer noch.“ Sie setzte sich mit einem Seufzer und fragte sich, ob die Stühle wirklich so unbequem waren, wie sie aussahen, oder ob sich alle Stühle nach etlichen Stunden so anfühlten.

„Ich vermute, dahinter steckt medizinische Forschung“, meinte er. „Man versucht herauszufinden, wie lange man uns warten lassen kann, bevor wir durchdrehen.“

Er grinste, und Paige spürte ein Kribbeln im Bauch. Sie stutzte. Dieser Mann war gefährlich. Auf den ersten Blick hatte er nur verwegen ausgesehen. Jetzt registrierte sie seine schmalen Wangen, die dunklen Augen und die selbstbewusste, lässige Ausstrahlung.

Er legte die Zeitschrift beiseite und stand auf, um zum Zeitschriftenständer zu gehen, wo er eine Weile die verschiedenen Ausgaben durchblätterte. Das gab Paige Gelegenheit, ihn in aller Ruhe zu betrachten. Irgendetwas an ihm faszinierte sie, auch wenn er ein wenig ungeschliffen wirkte. Er war groß und schlank und bestand hauptsächlich aus Muskeln, aber nicht wie ein Bodybuilder, sondern wie jemand, der sich in einer Schlägerei behaupten konnte. Er war nicht gerade ein Mann, den man seinen Eltern vorstellte. Trotzdem hatte er etwas an sich, was Paige veranlasste, ihre Einstellung zu One-Night-Stands zu überdenken.

Unvermittelt drehte er sich um. Ertappt, dachte sie und wurde rot. Seine Zähne blitzten weiß auf, und erneut verspürte sie ein Kribbeln im Bauch. Ja, dieser Mann war eindeutig gefährlich. Er bedeutete weder Romantik noch Liebenswürdigkeit, sondern puren heißen Sex. Er war kein Mann, der einem Blumen schenken oder eine Suppe ans Bett bringen würde, wenn man krank wäre, aber er sah aus wie jemand, der einem unbeschreibliche erotische Höhepunkte verschaffen konnte. Er war der Typ Mann, an den Delaney sich sofort heranmachen würde.

Aber er war absolut nicht Paiges Typ.

Er hatte sich keine Zeitschrift aus dem Ständer genommen und warf nun einen Blick auf die Zeitschriften auf dem Tisch. Dabei bewegte er sich geschmeidig und anmutig wie ein Raubtier auf der Jagd. Schließlich entschied er sich für ein Magazin und setzte sich wieder.

Er war nur zwei Plätze von Paige entfernt.

Sie schluckte und sah zur Anmeldung, wo die Angestellte noch immer beschäftigt war. Dann schaute sie auf die Zeitschrift, die der Fremde las. „‚Highlights‘?“, fragte sie unwillkürlich.

Erneut erschien das verwegene, selbstsichere Lächeln auf seinem Gesicht. „He, nach ein paar Stunden wird man eben verzweifelt.“

„Wenn Sie sich die Bilderrätsel ansehen, um nicht verrückt zu werden, erwarten Sie vielleicht ein bisschen zu viel.“

„Dann brauche ich anscheinend etwas anderes, wie?“

Sie hatte auf einmal Schwierigkeiten zu atmen. „Was machen Sie hier?“, erkundigte sie sich.

„Warten, hauptsächlich. Und Sie?“

„Das Gleiche. Ich muss noch Papierkram erledigen.“

„Glauben Sie mir, hier können Sie warten, bis Sie alt und grau sind. Wenn Sie wollen, können Sie meine ‚Highlights‘ lesen.“

Beim Blick auf die Zeitschrift fielen ihr seine Hände auf, die sowohl kräftig wirkten, aber auch schön geformt waren. Hände, die wissen, wie man eine Frau streichelt, schoss es Paige durch den Kopf.

Und sie konnte sich genau vorstellen, wie sie sich anfühlen würden. Heiß und ein wenig rau auf ihrer Haut. Er würde nicht fragen, er würde nehmen – und er würde eine Frau bis zu dem Punkt bringen, an dem es ihr egal wäre.

Paige erschauerte unwillkürlich und stellte fest, dass er sie beobachtete. „Wollen Sie nicht das Rätsel lösen?“, fragte sie.

„Vielleicht bin ich schon dabei.“ Wieder lächelte er. „Also, weswegen sind Sie hier?“

„Wegen meines Großvaters. Er hatte einen Autounfall.“

„Im Ernst? Meine Großmutter auch.“

„Ist sie schwer verletzt?“

„Nein, nicht besonders schlimm. Sie ist ziemlich zäh. Was ist mit Ihrem Großvater?“

„Ein paar Kratzer. Sie behalten ihn über Nacht zur Beobachtung hier.“

Die Frau an der Anmeldung rief einen Namen auf.

„Was sagt man dazu?“ Der verwegene Typ stand auf. „Ausgerechnet jetzt, wo es interessant wird.“

„Sind Sie das, der gerade aufgerufen wurde?“

„Anscheinend bin ich aus dem Fegefeuer erlöst.“

„Ich muss wohl noch ein paar Sünden abbüßen.“

Er hielt inne. „Das ist eine Vorstellung, die mich heute Nacht wachhalten wird.“ Er wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um. „Ich spiele donnerstagabends im ‚Eddie’s‘ im Hafen. Vielleicht haben Sie ja Lust vorbeizuschauen.“

Paige stutzte. Er war also kein Hells Angel, sondern Musiker. Sie schaute erneut auf seine Hände. Zu schade, dass sie beide Welten trennten. „Ich werde es versuchen, falls ich dann noch in der Stadt bin“, sagte sie.

„Dann hoffe ich mal, dass Sie einen Grund finden, noch länger zu bleiben.“ Lächelnd schob er die Hände in die Taschen und ging davon.

2. KAPITEL

Morgens sah die Welt meistens anders aus, wenn auch nicht gleich besser. Paige saß auf einem Stuhl im Krankenzimmer ihres Großvaters und betrachtete ihn. An der linken Schläfe hatte er einen rot-violetten Bluterguss, doch der verschwommene Blick war verschwunden. Nur unter Protest hatte er das Krankenhaushemd anbehalten und war im Bett geblieben. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern, während sie auf den Arzt warteten. Der pinkfarbene Gipsverband bildete einen fröhlichen Kontrast zur weißen Bettdecke.

„War das deine Idee?“ Er deutete auf seinen Arm.

„Ich dachte, es würde dir gefallen.“

„Ich werde nie wieder Schmerzmittel nehmen. Wer weiß, wie ich das nächste Mal aufwache.“

„Sieh es mal so – es hätte auch ein Karomuster sein können“, neckte sie ihn, froh, dass er wieder der Alte war.

„Ich habe heute Morgen mit deinem Vater gesprochen“, sagte er.

„Ich habe ihn gestern Abend angerufen, bevor ich zu Bett gegangen bin. Ich fand, er sollte Bescheid wissen.“

„Vermutlich hast du recht“, räumte ihr Großvater mürrisch ein. „Aber ich bin schließlich nicht richtig verletzt. Jetzt plant er, in ein oder zwei Monaten herüberzukommen.“

„Tatsächlich? Es wird schön sein, ihn wiederzusehen.“

„Es ist völlig unnötig, dass er seine Arbeit im Stich lässt. Mir geht’s gut. Jedenfalls würde es mir gut gehen, wenn man mich endlich gehen ließe.“

„Ich glaube kaum, dass die amerikanisch-tschechischen Beziehungen leiden werden, wenn Dad mal eine Woche Urlaub macht. Du bist ihm wichtig. Wenn es andersherum wäre, würdest du mich in ein Flugzeug nach Prag zerren.“

„Wahrscheinlich. Wir müssen versuchen, uns alle zu treffen, wenn er hier ist.“

„Auf jeden Fall. Ich werde ihn nächste Woche anrufen und mal hören, wann er …“

„Guten Morgen.“ Der Arzt mit den braunen Augen kam mit einem Klemmbrett in der Hand herein. „Wie geht es Ihnen?“

„Ganz gut“, antwortete Lyndon. „Ein bisschen angeschlagen, aber bereit zum Aufbruch.“

„Das überrascht mich nicht“, sagte der Arzt und untersuchte ihn kurz, wie ein Mechaniker, der bei einem Motor einmal alle Gänge durchschaltet. „Setzen Sie sich auf.“

Lyndon verzog das Gesicht.

„Brustschmerzen? Das ist der beschädigte Knorpel. Das wird eine Weile brauchen.“ Er gab Lyndon ein Rezept. „Das sollte die Schmerzen in den ersten zwei Wochen lindern, auch die im Knöchel. Den sollten Sie möglichst schonen. Besorgen Sie sich einen Rollstuhl und benutzen Sie ihn.“ Er wandte sich an Paige. „Verstanden?“

„Ja, Sir.“

Er richtete seinen Blick wieder auf ihren Großvater. „Abgesehen davon können Sie gehen. Kommen Sie Freitag zur Nachuntersuchung. Ich nehme an, dass Sie sich darum kümmern werden?“ Er sah Paige fragend an.

Lyndon räusperte sich. „Sie lebt in Los Angeles. Ich werde mir einen Fahrer besorgen, der mich herumfährt.“

„Ein Fahrer wird nicht genügen“, erklärte der Arzt. „Zwei Wochen lang werden Sie bei allem Hilfe benötigen – beim Aufstehen aus dem Bett, beim Aufstehen überhaupt, beim Hinsetzen, bei allem. Sie brauchen jemanden, der sich rund um die Uhr um Sie kümmert.“

„Ich werde so lange bleiben, bis es dir wieder besser geht, Granddad.“

„Aber du hast ein Unternehmen zu führen“, protestierte Lyndon.

Sie lächelte. „Mein Chef wird Verständnis dafür haben.“ Ob ihre Kunden ebenfalls Verständnis für Verzögerungen von einem Monat oder länger haben würden, war eine andere Frage. Aber sie hatte gar keine andere Wahl. Für ihren Großvater würde sie fast alles tun.

„Ich habe Maria“, meinte Lyndon.

„Maria ist Haushälterin und Köchin, keine Krankenschwester. Im Übrigen weißt du genau, dass es dich wahnsinnig machen würde, sie ständig um dich zu haben.“

„Es wird mich auch wahnsinnig machen, dich ständig um mich zu haben“, brummte Lyndon, wirkte hinter der mürrischen Fassade aber froh und erleichtert.

Paige lachte und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Dir bleibt gar nichts anderes übrig, Granddad. Und jetzt ziehen wir dich an und verschwinden von hier.“

Die große Limousine fuhr leise die gewundene Straße zwischen den Klippen entlang. In Paiges kleinen Sport-BMW hätte ihr Großvater nicht hineingepasst, und sein Cadillac war durch den Unfall beschädigt. Deshalb hatten sie einen Wagen mit Fahrer gemietet.

Santa Barbara lag zwischen den steilen Santa Ynez Mountains und dem blauen Pazifik. Die allgegenwärtigen roten Ziegeldächer der Häuser leuchteten in der Sonne.

Eine der angenehmen Seiten von Santa Barbara war, dass sich wenig veränderte. Überall war der spanische Einfluss sichtbar, bis hin zu der zweihundert Jahre alten Franziskaner-Mission im Herzen der Stadt. In den meisten Orten wäre eine so wichtige Touristenattraktion von Läden und Restaurants umzingelt gewesen. Die Mission in Santa Barbara mit ihren Grünflächen dagegen lag inmitten von ruhigen Straßen mit Wohnhäusern und man konnte sich gut vorstellen, wie es im achtzehnten Jahrhundert hier ausgesehen hatte, als sie von Lehmziegelhütten umgeben war.

Mit der Mission verband Paige eine ihrer frühesten Erinnerungen, weil sie an der Hand ihres Vaters und ihrer Mutter die Stufen vom Familienanwesen der Favreaus zur Mission hinuntergestiegen war. Das ursprüngliche Gebäude war vor ungefähr hundert Jahren von Lyndons Großvater, einem Ölmagnaten, auf den Klippen mit Blick auf die Mission gebaut worden. Dann kam der Börsencrash von 1939, der das Vermögen der Favreaus dezimierte. Lyndons Vater verkaufte das Haupthaus und einen Großteil des Landes, und behielt nur das Cottage seiner Schwiegermutter, das er in den Zwanzigern gebaut hatte – wenn man ein gut dreitausend Quadratmeter großes Anwesen noch Cottage nennen konnte.

An die glorreichen Tage erinnerte nur noch eines – das Tor in der Mauer zwischen den beiden Grundstücken. Einst war es offen gewesen, damit die Verwandten kommen und gehen konnten. Jetzt war es eine verschlossene Tür zwischen Lyndons Haus und dem seines Nachbarn.

„Das ist Schuld an allem“, erklärte er empört, als sie auf das Grundstück zufuhren.

„Was?“

„Das Schild.“ Er zeigte darauf.

„Du hattest wegen eines Schildes einen Unfall?“

„Ich war abgelenkt.“ Er schaute aus dem Seitenfenster.

Paige sah ein weißes Plakat an der Grenze zum Nachbargrundstück, auf dem stand: „Hier eröffnet demnächst ein Varietémuseum.“

„Die nächste Auffahrt“, wies Paige den Fahrer an und betrachtete im Vorbeifahren das Schild. Kein Datum, keine weiteren Erklärungen, nur die Worte, die bei ihrem altmodischen Großvater einen Wutanfall auslösten.

„Mach dir deswegen keine Sorgen“, meinte sie. „Hier kann kein Museum eröffnen. Es ist eine ausgewiesene Wohngegend. Natürlich gibt es die Mission und das Naturkundemuseum, aber …“

„Die werden hier keine Stripperinnen auftreten lassen“, knurrte ihr Großvater. „Ich bin in diesem Haus aufgewachsen. Mein Großvater dreht sich im Grab um. Es wird Verkehr herrschen, Autos werden in der Straße parken, Rowdys werden sich herumtreiben. Das werde ich nicht hinnehmen. Die Nachbarn werden sich wehren. Damit kommt diese Frau nicht durch.“

„Welche Frau?“ Paige gab den Sicherheitscode ein, und die beiden Flügel des großen Tores öffneten sich.

„Gloria Reed.“

„Gloria Reed ist deine Nachbarin?“

„Die und ihre verrückte Museumsidee! Der Unfall war allein ihre Schuld. Sie ist direkt vor mir aus der Einfahrt gebogen.“

„Moment mal – du bist mit deiner Nachbarin zusammengestoßen?“

„Das wäre nicht passiert, wenn ich nicht von diesem verdammten Schild so überrascht gewesen wäre“, verteidigte er sich. „Sie hat es ohne jede Vorwarnung aufgestellt. Außerdem fährt sie immer viel zu schnell aus ihrer Auffahrt. Diese Frau ist eine Bedrohung. Und sie kennt keine Scham“, setzte er hinzu, während sie auf sein Haus zufuhren. „Sie ist in den Siebzigern und hat einen langhaarigen jungen Mann bei sich wohnen, der kriminell aussieht.“

Paige erinnerte sich an den Mann in der Notaufnahme, der gesagt hatte, seine Großmutter habe auch gerade einen Unfall gehabt.

Sie schloss die Augen. „Ein langhaariger junger Mann?“

„Schrecklich für eine Frau in ihrem Alter. Er könnte ihr Enkel sein.“

„Ich glaube, das ist er auch“, erwiderte Paige. Der Wagen hielt vor dem Eingang.

„Woher weißt du das?“

„Ich glaube, ich habe ihn gestern Abend in der Notaufnahme kennengelernt.“

„Sie war verletzt?“ Sonnenlicht fiel auf Lyndons Gesicht, als der Fahrer die Tür öffnete, und Paige bemerkte einen Anflug von Erstaunen und Schuldgefühlen.

„Sie musste über Nacht dableiben, genau wie du.“

„Ihr Enkel, soso“, murmelte Lyndon.

Paige nickte und stieg aus.

„Nun ja“, sagte er, als sie ihm in den Rollstuhl half, den der Fahrer für ihn bereithielt. Dann schwieg er, bis sie im Haus waren.

„Möchtest du dich hinlegen?“, fragte Paige, nachdem der Fahrer gegangen war.

Lyndon erhob sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Rollstuhl. „Ich gehe noch nicht ins Bett. Ich werde mich eine Weile in den Schaukelstuhl setzen.“

„Hast du Brustschmerzen?“, erkundigte sich Paige.

Er zuckte die Schultern; sie wusste, dass er lieber grinsen und es erdulden würde, als sich zu beklagen.

„Was hältst du davon, wenn ich deine Medikamente besorge?“

„Ich brauche nichts. Gib mir einfach ein Aspirin.“

„Granddad, der Arzt wird einen Grund gehabt haben, weshalb er dir etwas Stärkeres verschrieben hat. Er meinte, du würdest Schmerzen haben. Meinst du nicht, du solltest wenigstens heute die Schmerztabletten nehmen? Deine letzte Dosis hast du im Krankenhaus bekommen und ich denke, die Wirkung lässt allmählich nach.“

„Mir geht es gut.“

„Ich werde das Rezept auf alle Fälle einlösen“, erklärte sie. „Ich bringe dich zu deinem Schaukelstuhl, und dann verschwinde ich kurz. Ich brauche ohnehin ein paar Dinge für die nächsten Tage.“

„Ich will dir nicht zur Last fallen, Liebes.“

„Granddad, du und Grandma habt mich praktisch großgezogen. Da ist es ja wohl das Mindeste, wenn ich dir jetzt, wo du mich brauchst, ein wenig helfe.“ Er hatte sich in den Schaukelstuhl gesetzt, und Paige schob ihm ein Kissen hinter den Kopf. „Ich wollte sowieso mal freimachen. Auf diese Weise kann ich einen ausgiebigen Besuch bei dir verbringen.“

Er lächelte. „Du bist ein gutes Mädchen.“

„Ich hatte gute Vorbilder.“ Sie strich über seine Wange. „Soll ich Maria Bescheid sagen, damit sie dir etwas zum Mittagessen macht?“

„Nein, noch nicht. Wir müssen etwas gegen dieses Museum unternehmen“, sagte er, während Paige eine Wolldecke über seinen Oberkörper und seine Beine ausbreitete.

„Wer ist wir?“

„Wir in der Nachbarschaft. Und du, jetzt, wo du hier bist. Eines Tages wird dieses Haus dir gehören. Willst du wirklich, dass eine sensationshungrige Meute hierherkommt, Müll hinterlässt, die Seitenstreifen zuparkt und über die Mauer späht? Die ist ohnehin bloß ein Meter zwanzig hoch. Jeder könnte darüberspringen.“

„Wieso erhöhst du sie nicht?“

„Weil sie dieser Frau gehört“, sagte er. „Sie weigert sich wegen der Bougainvilleen, sie zu erhöhen.“

Die Bougainvilleen. Lyndons Fluch. Irgendein Verwandter hatte sie vor Jahrzehnten auf der anderen Seite der Mauer gepflanzt. Sie hatten sich in einem Durcheinander aus Blättern und Blüten auf dem weißen Stuck ausgebreitet. Für Paiges Begriffe sah das sehr schön aus. Lyndon aber fluchte über die herabfallenden Blätter und Blüten und ließ seinen Gärtner die blühenden Ranken regelmäßig stutzen.

„Ein Bauunternehmer hat ihr erklärt, dass die Wurzeln der Bougainvilleen das Fundament untergraben haben. Wenn man eine höhere Mauer will, muss man die alte abreißen, die Pflanzen beseitigen und eine ganz neue Mauer bauen. Gloria Reed weigert sich und hat absolut kein Verständnis. Aber mit ihrem Museum wird sie nicht durchkommen“, prophezeite Lyndon. „Ich werde eine Anwohnerversammlung einberufen.“

„Vorerst musst du das Museum mal vergessen“, meinte Paige. „Das Einzige, worum du dich kümmern musst, ist, wieder gesund zu werden.“

„Wir müssen ihr ein Stück voraus sein. Wer weiß, was die Frau noch anstellt.“

„Später“, sagte Paige.

„Wir haben keine Zeit, um abzuwarten.“

„Ich werde mich um alles kümmern“, beruhigte sie ihn.

„Na schön, dann aber morgen“, murmelte er schläfrig.

Paige seufzte. „Wir werden sehen.“

„Ich muss nicht im Bett liegen. Ich bin doch nicht aus Glas.“

George Reed betrachtete seine Großmutter und verkniff sich ein Grinsen. Die platinblonde Gloria Reed sah weder wie eine achtundsiebzigjährige Großmutter aus, noch benahm sie sich wie eine. Gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen, fand sie Zeit, Lippenstift aufzutragen – knallrot, passend zu ihren Fingernägeln. Ihre Tage als Pin-up Girl und Varietéstar mochten zwar vorüber sein, doch hielt sie ihr Image aufrecht. Sie schlief zwar in seidener Bettwäsche, aber das hieß nicht, dass sie sich verhätscheln ließ.

„Der Arzt meinte, du musst es ruhig angehen lassen.“

„Ruhig bedeutet, dass ich einen Hausboy habe, der mich mit Weintrauben füttert, während er mir Luft zufächelt, und nicht, von meinem Enkel ins Bett gesteckt zu werden. Ich kann dich immer noch übers Knie legen, vergiss das nicht.“

Jetzt musste George grinsen. „Das kannst du bestimmt, aber lassen wir es lieber nicht darauf ankommen.“

„Ich wurde doch lediglich ein bisschen durchgeschüttelt.“

„Ist dein Knie deshalb verbunden?“

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. „Morgen um diese Zeit wird es mir schon viel besser gehen.“

„Dann kannst du morgen aufstehen. Aber heute nicht. Einen Autounfall wie deinen steckt man nicht einfach so weg.“

„Mein armer Bentley“, jammerte sie. „War es schlimm?“

„Nicht, wenn man es von der Beifahrerseite betrachtet.“

„Sehr witzig.“

„Na ja, mal sehen … der Kerl fuhr dir direkt in die Seite, als du aus deiner Ausfahrt kamst. Dadurch ist die Fahrerseite ziemlich hinüber. Du hast Glück gehabt, dass du nicht ernsthaft verletzt wurdest.“

„Es ist eben gute Technik. Diese Airbags haben funktioniert.“

„Das Problem ist, dass der andere direkt gegen das Rad fuhr, wodurch das Radlager zerstört und die Achse verbogen wurde. Außerdem hat auch der Motor etwas abbekommen.“

„Kann ich den Wagen reparieren lassen?“

George zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich, wohl auch für weniger, als er gekostet hat. Aber er wird nicht mehr derselbe sein.“

„Das hört sich an, als sei es mal wieder Zeit, einkaufen zu gehen. Müssen wir dir einen neuen Van kaufen, wenn wir schon dabei sind?“

Nun warf er ihr einen finsteren Blick zu. „Du wirst mir keinen Van kaufen.“

„Deiner fällt auseinander.“

„Ich werde mir einen besorgen, wenn ich der Meinung bin, dass es an der Zeit ist.“

„Du bist störrisch, weißt du das?“

George lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Woher habe ich das wohl?“

Sie sah ihn tadelnd an. „Respektlos bist du auch.“

„Tja, und woher habe ich das bloß?“

Gloria warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Es ist schön, dich hier zu haben, mein Junge. Und für den Gesichtsausdruck des alten Knackers von nebenan haben sich die paar Prellungen und der kaputte Bentley gelohnt.“ Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Du hättest ihn sehen sollen, wie er das Schild noch anstarrte, als die Sanitäter versuchten, ihn aus seinem Wagen zu bekommen. Er regte sich über das Museum auf, aber sie dachten, er sei wegen der Schmerzen außer sich.“ Sie kicherte.

„Du bist ein böses Mädchen, Gloria Reed.“

„Das ist die Quelle meines Reichtums, mein Junge. Wirst du mich jetzt aufstehen lassen?“

„Ich mache dir einen Vorschlag. Ich lasse dich aufstehen, wenn du allein aus dem Bett kommst und hierher laufen kannst.“

„Abgemacht.“ Sie warf die Decke zurück. Darunter kam ihr cremefarbener Seidenpyjama zum Vorschein, passend zu ihrem silberblonden Haar. „Na schön, auf und durch den Raum.“ Sie schwang die Beine aus dem Bett und verzog das Gesicht. „Fertig?“

George blieb unbeeindruckt.

Sie stellte die Füße auf den weißen Teppich, von dem sich ihre roten Zehnnägel abhoben. Sie presste die Lippen zusammen und stemmte sich mit den Händen von der Matratze hoch.

„Das reicht.“ Er lief zu ihr.

„Du hast es mich ja nicht einmal versuchen lassen.“

„Ich habe genug gesehen. Du hast Schmerzen.“

„Und wenn schon? Es sind nur Prellungen. Du hast den Arzt gehört – es ist nichts Ernstes.“

„Das wird es aber noch, wenn du nicht Ruhe gibst.“

„Ja, Mutter“, murmelte sie und legte sich seufzend wieder hin.

George deckte sie zu. „Du hast deine Pepsi und deine Zeitschriften, und die Fernbedienung liegt dort. Brauchst du sonst noch etwas?“

Sie schmollte. „Einen Enkel, der kein Tyrann ist.“

„Damit kann ich nicht dienen. Ich werde jetzt deine Medikamente besorgen. Und ich will nicht, dass du das Bett verlässt. Verstanden? Hast du jetzt alles, was du brauchst?“

Sie gab nach und zog ihn zu sich herunter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. „Ich bin bestens versorgt. Danke.“

Sie war wirklich keine typische Großmutter. Aber genau das mochte George an ihr.

Die Apotheke lag ganz in der Nähe. Dort bekam Paige außer den Medikamenten auch Kosmetikutensilien und andere Drogerieartikel. Kleidung würde sie sich später im Einkaufszentrum besorgen. Als sie mit ihren Tüten den Parkplatz überquerte, sah sie den Mann vom Warteraum der Notaufnahme.

Diesmal trug er Jeans und ein weißes T-Shirt. Er hatte sich rasiert und die Haare zurückgekämmt. Ihre Blicke trafen sich, und sie spürte die Wirkung körperlich. Fast vergaß sie zu atmen.

Er blieb vor ihr stehen. „Anscheinend haben Sie die Notaufnahme überstanden.“

„Aber nur knapp. Man sollte Verdienstorden dafür verleihen.“

Seine Mundwinkel zuckten, während er sie von oben bis unten musterte. „Sie waren bestimmt eine tolle Pfadfinderin und hatten jede Menge Auszeichnungen. Sie sehen aus, als würden Sie sie sammeln.“

Sie sparte sich die Frage nach seinen Auszeichnungen. Er sah nicht aus wie jemand, der mal Pfadfinder gewesen war. „Sie sind also Gloria Reeds Enkel?“, fragte sie stattdessen.

„Und Sie sind Lyndon Favreaus Enkelin.“

„Zehn Punkte für Sie.“

„Haben Sie auch einen Namen, oder soll ich Sie einfach Enkelin nennen?“

„Paige“, sagte sie. „Paige Favreau.“

„George Reed.“ Er bot ihr die Hand.

Es wäre albern gewesen, sie nicht zu nehmen, daher schüttelte sie ihm die Hand.

Heiß durchströmte es sie. Die Berührung kam ihr erstaunlich vertraut vor, ihre Handfläche war viel sensibler, als sie vermutet hätte. Sein starker, entschlossener Händedruck vermittelte eine Vitalität und Energie, die auf Paige überging. Plötzlich hatte sie Schmetterlinge im Bauch.

Rasch ließ sie seine Hand wieder los. „Freut mich, Sie kennenzulernen, George.“

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte er. „Wie ich hörte, ist Ihr Großvater meiner Großmutter in die Seite gefahren.“

„Anscheinend bleibt alles in der Nachbarschaft.“ Sie schluckte und versuchte, ihren Puls zu beruhigen.

„Wie praktisch. Das bedeutet wohl, dass Sie doch noch eine Weile in der Stadt bleiben.“

„Vermutlich. Und Sie?“, erkundigte sie sich.

„Ich war ohnehin für ein paar Tage hier.“

„Ach. Und wie geht es Ihrer Großmutter?“

„Oh, sie hat ein paar Prellungen, ist ansonsten aber quicklebendig. Ich muss sie zwingen, im Bett zu bleiben. Wie geht es Ihrem Großvater?“

„Der ist nicht kleinzukriegen. Ich hoffe, dass ich in dem Alter auch noch so fit bin.“

Er zwinkerte. „Das kann ich mir bei Ihnen sehr gut vorstellen.“

Sie errötete. Wenn er weiter mit dieser sinnlichen Stimme redete, würde sie glatt dahinschmelzen. Sie musste sich auf das konzentrieren, was wichtig war. „Ich hatte gehofft, mich in den nächsten Tagen mit Ihrer Großmutter über diese Sache mit dem Museum unterhalten zu können. Mein Großvater regt sich darüber auf.“

„Momentan ist das nicht möglich. Meine Großmutter muss sich erholen. Unterhalten Sie sich stattdessen mit mir.“

„Haben Sie mit dem Museum zu tun?“

„Solange ich hier bin, schon. Also, nur zu.“

Paige zögerte. „Na schön. Wie entschlossen ist sie, dieses Museum zu eröffnen?“

„Was spielt das für eine Rolle? Es ist ihr Haus und ihr Grundstück. Das geht doch niemanden etwas an.“

„Das sehe ich anders. Das Museum wird die ganze Gegend verändern. Ihre Großmutter ist Teil einer Gemeinde, und was sie tut, hat Auswirkungen auf diese Gemeinde.“

George lachte. „Bei all den Mauern und Toren um die Häuser? Die Nachbarn werden es überstehen.“

„Woher wollen Sie das wissen? Sie sind nicht aus der Gegend.“

„Aber Sie?“

Er versuchte sie zu provozieren. Paige unterdrückte einen Anflug von Gereiztheit. „Ich bin hier aufgewachsen. Die Leute hier mögen keine Veränderungen, schon gar nicht solche.“

„Solche?“

„Solche wie das Museum Ihrer Großmutter.“

„Hier gibt es bereits etliche Museen“, erinnerte er sie. „Die Mission befindet sich direkt vor unserer Tür. Glauben Sie, ein weiteres Museum ändert viel?“

„Wenn man bedenkt, welche Art von Publikum es anlocken wird, ja.“

Er schob amüsiert die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans und wippte auf den Absätzen. „Was für eine Art von Publikum meinen Sie?“

„Leute, die nach etwas Ausgefallenem suchen, nach etwas Skandalösem.“

„Ich habe den Eindruck, ein paar skandalöse Erfahrungen könnten Ihnen auch nicht schaden“, bemerkte er.

Paige spürte, wie sie erneut errötete. „Was soll das denn heißen?“

George betrachtete Paige. Sie trug dieselben Sachen wie gestern Abend, aber sie sahen trotzdem frisch und sauber aus, als sei sie auf dem Weg zum Mittagessen im Country Club. Ihre Kleidung war klassisch, dezent und teuer. Paige besaß eine erotische Ausstrahlung, doch war die so sorgsam verpackt, dass man sie fast nicht wahrnahm. Diese Frau hatte offenbar gern alles unter Kontrolle.

„Werden Sie locker und amüsieren Sie sich. Mehr versucht Gloria auch nicht.“

„Es ist ein Spaß auf Kosten anderer.“

„Das muss es nicht sein. Sie macht es für einen wohltätigen Zweck, aber es könnte zum Wohle aller sein. Wir alle könnten uns daran freuen, wenn wir der Sache nur eine Chance geben. Meinen Sie nicht, es wäre ganz lustig, die Leute hier mal ein bisschen aufzurütteln?“

„Einer dieser Leute ist zufällig mein Großvater.“

„Es wird ihm guttun“, meinte George leichthin. „Und Ihnen auch. Kommen Sie aus sich heraus.“

„Ich kann mir denken, wie Sie sich das vorstellen. Vielen Dank.“

Ohne nachzudenken, trat er so nah an sie heran, dass er den Duft ihres Haars einatmete. „Ach ja? Ich glaube, das wird Ihnen gefallen“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie hielt den Atem an und erstarrte förmlich. Er hörte den dumpfen Aufprall, mit dem ihre Tüten auf dem Boden landeten. Dann fing sie an zu zittern, ganz leicht. Er hätte es nicht bemerkt, wenn er sich nicht praktisch an sie gedrückt hätte.

Plötzlich hörte es für ihn auf, ein Spiel zu sein. Ihr seidiges Haar streifte seine Wange. Ihr Duft betörte seine Sinne. Er fühlte, dass er sie küssen könnte, sie berühren und ein Feuer in ihr entfachen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Aber nicht hier.

Einen Moment lang sah Paige ihn nur an, dann brach sie den Bann. „Es ist ganz einfach. Mein Großvater – und die ganze Nachbarschaft, nehme ich an – will, dass das Museum woanders entsteht.“

„Und meine Großmutter will, dass es hier entsteht“, erklärte er. „Anscheinend werden wir uns noch öfter begegnen, Wild Thing.“

Sie wich abrupt zurück. „Das bezweifle ich.“ Sie nahm ihre Taschen und ging zum Wagen.

George lachte. „Wir sehen uns.“ Dafür würde er schon sorgen.

3. KAPITEL

George saß zurückgelehnt auf der Couch in Glorias Gästehaus und betrachtete durchs Oberlicht den Himmel. Jetzt war er noch grau, doch gegen Mittag würde er so leuchtend blau sein, dass es in den Augen schmerzte. George spielte träge einen Akkord auf der elektrischen Gitarre. Dann hielt er inne und begann einen klassischen Bluesriff zu spielen, im Rhythmus des Herzschlags, im Rhythmus von Schritten. Im Rhythmus von Sex.

Ohne lang nachzudenken, spielte er ein gefühlvolles Solo zum Rhythmus in seinem Kopf. Seine Finger streichelten das Griffbrett und entlockten der Gitarre klagende, ekstatische Laute. Das war es, was er immer am Blues geliebt hatte – man musste einfach mitgehen und abwarten, wohin er einen trug. Wenn er in seiner Band die Leadgitarre spielte, war er glücklich.

Seine Band …

Was machte man, wenn man nach über zwanzig Jahren seinen Job verlor?

Aus einem Impuls heraus nahm er sein Handy und wählte eine Nummer. „Creative Music Associates“, meldete sich eine förmliche weibliche Stimme.

„Spricht dort Bonnie?“, fragte George.

„Ja. Ist dort George?“

„Treffer. Ich versuche noch immer, Barry zu erreichen.“ Er und die Sekretärin seines Managers waren in den letzten drei Wochen gute Bekannte geworden.

„Einen Moment, George. Ich werde mal sehen, ob ich ihn erreichen kann.“

Er wurde in die Warteschleife gelegt, wo die neueste CD der White Stripes lief.

Dann wurde er verbunden. „Jimmy, wie schön von dir zu hören, Mann“, meldete sich der stets gutgelaunte und gewiefte Barry Seaton.

„Hier ist George. Ich freue mich auch, etwas von dir zu hören.“ Angesichts der vielen Male, die sein Manager ihm in letzter Zeit ausgewichen war, empfand er höchstens bittere Genugtuung über das verlegene Schweigen am anderen Ende der Leitung.

Barry erholte sich rasch. „Hoppla, da habe ich wohl den falschen Knopf gedrückt. He, tut mir leid, dass ich mich wegen der Crossroads-Sache noch nicht gemeldet habe. Es ist übel, dass sie dich haben fallen lassen.“

Crossroads Record, seine ehemalige Plattenfirma, hatte nach drei gut verkauften Alben seinen Vertrag nicht verlängert. „Deswegen mache ich mir keine allzu großen Sorgen, denn du wirst mir ja eine neue Plattenfirma besorgen, richtig? Ich habe bereits Songs für ein neues Album.“

„Oh, klar, natürlich, ich arbeite daran. Der Blues verkauft sich schlechter seit Stevie Ray Vaughns Zeit.“

George trommelte mit den Fingern. „Neun Alben in achtzehn Jahren, Barry – damit solltest du eigentlich etwas erreichen können.“

„Ach komm schon, George, du bist doch lange genug in diesem Geschäft, um zu wissen, wie das läuft. Nur die Verkaufszahlen interessieren, sonst nichts. Ich gebe nichts auf gute Kritiken. Man muss Geld einspielen.“

Und das tat George nicht.

„Lass dir von deiner Konzertagentin – Sarah hieß sie, oder? – Auftritte besorgen und geh auf Tour. Vielleicht kann ich etwas für dich in die Wege leiten.“

„Sie meint, es sei schwer, ohne den Rückhalt einer Plattenfirma Auftritte zu organisieren.“

„Möglicherweise hat sie recht.“

„Ich bitte dich, ich spiele in einigen dieser Klubs seit fünfzehn, achtzehn Jahren. Und du solltest in der Lage sein, jemanden zu finden, der mich für ein neues Album unter Vertrag nimmt. Schließlich verdienen wir alle Geld, wenn ich Geld verdiene.“ Damit zog er die Karte, von der er wusste, dass Barry auf sie ansprang.

„Ich werde ein paar Anrufe machen und mich wieder bei dir melden.“

George hätte beinah frustriert aufgestöhnt, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Im Klartext bedeuteten Barrys Worte nämlich, dass George lange darauf warten konnte, wieder etwas von seinem Agenten zu hören, während sein Kontostand weiter sank.

Zu seinem zehnten Geburtstag hatte er eine Gitarre geschenkt bekommen. Mit elf spielte er sich durch jedes Songbook, das er in die Finger bekam, lernte alles, was seine Lehrer ihm beibringen konnten und fand sein musikalisches Zuhause im Blues.

Mit dreizehn spielte er in seiner ersten Band. Er erinnerte sich noch genau daran, wie es gewesen war, vor einer Gruppe von Musikern in den Zwanzigern vorzuspielen. „Was macht denn ein Kind hier?“, wollte einer wissen. „Ein Flüchtling aus der Jugendmusikschule“, spottete ein anderer.

George ignorierte sie und stöpselte seine Gitarre ein. Und als er anfing, ein Solo zu spielen, wurden sie erst still, dann starrten sie ihn an, dann nahm einer nach dem anderen sein Instrument und setzte ein.

Fünf Jahre später veröffentlichte er sein erstes Album bei einem kleinen Label. Es brachte nicht viel Geld ein, doch von dem mageren Vorschuss kaufte er sich seinen ersten klapprigen Van und ging auf Tour. Als die Plattenfirma pleiteging, wechselte er zu einer anderen. Zu der Zeit tourte er unter dem Namen „George Reed Band“. Beim erneuten Wechsel der Plattenfirma hatte er bereits Erfolg bei den Kritikern und eine kleine treue Fangemeinde.

Jahrelang tourte er durch kleine Klubs und wohnte in billigen Absteigen. Es war ihm egal, Hauptsache, er konnte spielen.

Aber diesmal war seine Plattenfirma nicht pleitegegangen, sondern hatte seinen Vertrag nicht verlängert, und Rory, sein Bassist, und Angel, sein Gitarrist, wollten nicht mehr in kleinen Klubs spielen. Gute Kritiken reichten nicht, sie wollten – brauchten – erfolgreiche Platten, um sich finanziell über Wasser halten zu können. Aber das konnte er ihnen nicht bieten.

George war das ein Rätsel. Er hatte immer geglaubt, Talent führe zwangsläufig irgendwann zum Erfolg. Er glaubte, er müsse nur die bestmöglichen Alben abliefern, dann würde sich der Rest von selbst ergeben. Nur war das nicht passiert, weder mit zwanzig noch mit fünfundzwanzig, dreißig oder fünfunddreißig. Er hatte unzählige tolle Erinnerungen, hatte jedoch nie den großen Durchbruch geschafft, ganz gleich, wie hoch gelobt er wurde. Jetzt war er fast siebenunddreißig und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

Sicher, einige legendäre Bluesmusiker hatten getourt, bis sie alt waren und nicht wussten, wohin. Er hatte mehr als ein Wohltätigkeitskonzert für sie gegeben.

Aber er wollte kein Spendenempfänger werden.

Ein Teil von ihm wollte weitermachen, bis er es geschafft hatte. Aber eine desillusionierte Stimme in ihm fragte bereits, ob das jemals passieren würde.

Deshalb hatte er Gloria besucht. Hier konnte er Energie tanken und hatte für die nächsten Wochen ein Zuhause, während er sich darüber klar wurde, wie es weitergehen würde.

Aber nun hatte sie diesen Unfall mit diesem verbohrten Alten von nebenan gehabt. Dem verbohrten Alten mit der zum Anbeißen hübschen Enkelin. Paige Favreau, adrett, ruhig und beherrscht. Sie mochte vielleicht so tun, als würde sie sich nicht für ihn interessieren, aber er wusste, dass das nicht stimmte.

Er hatte es in ihren Augen gesehen. Das reichte, um ihn zum Nachdenken zu bringen.

Er hatte vielleicht keine Ahnung, wie es mit seiner Karriere weitergehen würde, aber eines wusste er genau. Gloria wollte das Museum, also würde er sie unterstützen. Zu seinem zwölften Geburtstag hatte sie ihm eine alte Les Paul geschenkt. Seine Eltern protestierten, mit der Begründung, kein Kind brauche eine Gitarre im Wert von mehreren Tausend Dollar. Wenn man Geld hat, soll man es genießen, konterte Gloria. Sie hatte daran geglaubt, dass er es mit seiner Musik zu etwas bringen würde, und mit der Les Paul in der Hand war ihm das auch gelungen.

Wenn Gloria also ein Varietémuseum wollte, würde sie eines bekommen, und Paige Favreau konnte der Schlüssel dazu sein. Lyndon hörte auf sie, und sie machte den Eindruck, als könnte man ihre Meinung ändern. Und wenn George dabei ein wenig Zeit mit ihr verbringen konnte, umso besser.

Ja, es gab Schlimmeres, als sich ein paar Wochen lang hier um alles zu kümmern. Außerdem lenkte es ihn von seinen Gedanken über die Zukunft ab. Herauszufinden, wie er Paige davon überzeugen konnte, dass sie mit ihm schlafen wollte, verhieß weitaus mehr Spaß.

Am Nachmittag des nächsten Tages betrat Paige das Haus ihres Großvaters. Sie war gerade aus Los Angeles zurückgekehrt, wo sie einige Sachen aus ihrer Wohnung geholt hatte. „Granddad? Wo bist du?“

„Hier!“, rief Lyndon aus dem Wohnzimmer.

„Der Postbote war gerade da.“ Sie gab ihm die Post. „Brauchst du etwas? Soll ich uns etwas zu essen machen?“

„Da sage ich nicht Nein. Aber warum setzt du dich nicht zuerst zu mir und ruhst dich von der anstrengenden Fahrt aus? So hungrig bin ich noch nicht.“

„Ich schon.“ Sie legte eine Hand auf den Magen. „Ehrlich gesagt, ich bin am Verhungern.“ Sie ging in die Küche, wo sie Brot und Aufschnitt hervorholte. Nebenan hörte sie, wie ihr Großvater die Briefumschläge aufriss.

„Ich will verdammt sein!“, fluchte Lyndon.

„Was ist denn?“ Paige lief ins Wohnzimmer, wo Lyndon mit hochrotem Kopf auf ein Stück Papier in seiner Hand starrte.

„Ich kann es nicht fassen, dass sie das getan haben.“

„Was?“

„Es ist von der Planungskommission. Es wird eine öffentliche Anhörung wegen des verdammten Museums geben. Die Frau hat nicht das Recht, so etwas zu tun. Mein Großvater hat das Haus gebaut. Ich bin darin getauft worden.“ Und er war nie darüber hinweggekommen, dass es nach dem Börsenkrach in den Dreißigerjahren verkauft worden war. Wenn sie ganz woanders hingezogen wären, wäre es vielleicht einfacher gewesen. Stattdessen hatte er fast siebzig Jahre damit zugebracht, über die Mauer auf das Anwesen zu blicken, das einst sein Zuhause gewesen war.

„Sie verschandelt es, indem sie irgendwelche Kerle da herumlaufen lässt, damit sie Stripperinnen begaffen können.“ Wenn er gesund gewesen wäre, wäre er jetzt auf und ab gegangen. Da er das nicht konnte, begnügte er sich damit, mit der Faust auf die Sessellehne zu hämmern.

„Ich glaube nicht, dass es dort Stripperinnen geben wird“, meinte Paige. „Sie werden nur Kostüme ausstellen und solche Sachen.“

„Stripperinnen oder Klamotten von Stripperinnen, das ist doch alles dasselbe. Sie wird es nicht verdammt noch mal nicht eröffnen.“ Er wollte aufstehen und verzog das Gesicht.

„Du wirst nirgen...

Autor

Kristin Hardy
Kristin Hardy studierte Geologie und Physik und arbeitete nach ihrem Abschluss in Connecticut im Auftrag der NASA an der Entwicklung eines Telekops mit, dass mittlerweile die Erde umkreist. Doch der Drang zu schreiben wuchs.
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