Und immer wieder nur du!

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Auf der malerischen griechischen Insel Paxos trifft Archäologin Rose überraschend ihren ehemaligen Liebhaber Alessandro wieder. Auch wenn er sie einst ohne ein Wort des Abschieds verließ, herrscht sofort wieder eine prickelnd erregende Anziehungskraft zwischen ihnen. Doch schockiert erfährt Rose, dass Alessandro das Land gehört, auf dem sie die Ausgrabungen leitet – und er will dort unbedingt ein Hotel errichten! Um nicht ihr Projekt – und ihr Herz! – zu riskieren, muss sie der Sehnsucht nach seinen Küssen widerstehen …


  • Erscheinungstag 19.03.2024
  • Bandnummer 062024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524612
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es gibt Dinge, die lassen sich einfach nicht mit der Kamera einfangen, auch nicht mit einer hochwertigen digitalen SLR-Kamera. Der Ausblick von der Landspitze über das Ionische Meer gehörte dazu. Das Funkeln der Sonne auf dem azurblauen Wasser konnte man aufnehmen, das Licht, das von den weißen Dächern abprallte, sogar die Pracht der fast senkrechten weißen Klippen, die abrupt zum Meer hin abfielen. Nicht aber den salzigen Geruch der Meeresbrise oder das Gefühl warmer Sonne auf der Haut.

Die Kamera konnte auch nicht festhalten, wie aufgeregt Roses Herz schlug, weil sie wieder in Griechenland war, ebenso wenig wie die Vorfreude auf die Ausgrabung. Seit ihrer Jugend hatte Rose ein Nomadenleben geführt, doch nach Griechenland zog es sie immer wieder. Auf jeden Fall mehr als zu ihrem Geburtsort Birmingham mit seinem viel zu oft viel zu grauen Himmel.

Es war ihre Leidenschaft für Griechenland – genauer gesagt für das antike Griechenland –, die sie dazu gebracht hatte, Archäologie zu studieren. Diese Leidenschaft hatte früh begonnen, schon als Rose sieben gewesen war. Sie hatte ein Buch mit griechischen Mythen aus der Schule mitgebracht und jeden Abend im Bett darin gelesen, während ihre Eltern sich gestritten hatten. Dann, nachdem ihr Vater die Familie verlassen hatte, hatte sie jedes Buch über das antike Griechenland verschlungen, das sie in ihrer Schulbibliothek und in der öffentlichen Bücherei in die Hände kriegen konnte.

Das antike Griechenland war das Land der Mythen, Monster und Legenden. Die Grenze zwischen historischen Fakten und Fiktion verlief fließend, es war das Land des Trojanischen Pferds, der Labyrinthe, der Götter und Göttinnen. Und ein Ort, wo ein Mann zwanzig Jahre lang von seiner Familie getrennt sein und dennoch nach Hause zurückkehren konnte.

Anders als ihr eigener Vater. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er sie und ihre Mutter verlassen hatte, um mit einer Frau, die er auf einer Dienstreise kennengelernt hatte, eine neue Familie zu gründen. Ein Jahr später hatten Rose und ihr Vater ein allerletztes Gespräch geführt.

„Es ist das Beste, wenn wir uns nicht mehr sehen. Wir leben jetzt ganz unterschiedliche Leben“, hatte ihr Vater gesagt.

„Er hat eine neue Familie und braucht uns nicht“, hatte ihre Mutter bitter kommentiert, während Rose auf dem Bett lag und weinte.

Ihr Vater hatte sie ersetzt, sie war nicht gut genug gewesen.

Seufzend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und setzte ihren Hut wieder auf. Es tat ihr gut, in Griechenland zu sein und endlich auf Paxos graben zu können.

Das Ionische Meer war der Geburtsort von Odysseus, dem Helden der Odyssee von Homer, der nach zwanzig Jahren in der Fremde nach Ithaka zurückkehrte. Während Roses Kollegen im Allgemeinen davon ausgingen, dass Homers Gedichte frei erfunden waren, deutete eine Reihe von Entdeckungen im letzten Jahrzehnt darauf hin, dass auf diesen Inseln noch Ruinen aus der Bronzezeit vorhanden waren.

Kürzlich wurde auf Ithaka ein dreitausend Jahre alter Königspalast gefunden. Weitere Ruinen aus der Bronzezeit entdeckte man in der Nähe auf dem Festland bei Pylos. Es blieb abzuwarten, ob einer dieser Funde eindeutig mit Odysseus und Homers Lyrik in Verbindung gebracht werden konnte, aber Rose wollte unbedingt am Ball bleiben.

Ein Team des Athener Museums war damit beauftragt worden, eine Untersuchung der Fundstelle auf Paxos durchzuführen. Dort war ein Hotel geplant, doch eine Routineuntersuchung im Verlauf des Baugenehmigungsverfahrens hatte einiges ergeben, was näher angeschaut werden musste. Roses alter Mentor in Athen hatte sie sofort angerufen, da er ihr besonderes Interesse an den Ionischen Inseln kannte. Man wollte sogar, dass sie die Ausgrabung leitete, eine großartige Chance für ihre Karriere. Wenn sie gute Arbeit leistete, winkte eine Anstellung auf Lebenszeit.

Also hatte Rose London so schnell wie möglich verlassen und wohnte in einem kleinen Dorf namens Ninos. Jetzt stand sie in der Spätsommersonne, voller Hoffnung, dass das, was die Vermesser im Boden entdeckt hatten, sich als Sensation herausstellen würde.

Der Bereich, in dem sie gruben, war etwa halb so groß wie ein Fußballfeld. Auf der anderen Seite des Hügels befand sich ein Hotel, am Ende des Hügels standen Olivenbäume, und ein Weg führte zu einer kleinen Häusergruppe. Zu ihrer Rechten erstreckte sich das wundervolle Ionische Meer. Rose konnte sich keinen schöneren Arbeitsplatz auf dieser Welt vorstellen.

Wohlig streckte sie sich und nahm eine Wasserflasche aus ihrer Tasche. Durstig trank sie daraus und begutachtete den Stand der Sonne. Es war früher Nachmittag, sie hatten noch einige Stunden Tageslicht vor sich.

Eine Gestalt auf dem Hügel ließ ihr Herz plötzlich schneller schlagen. Der Mann kam ihr seltsam bekannt vor …

Das konnte doch nicht sein.

Er schritt an der Zaunlinie zum alten Hotel entlang. Ganz eindeutig beobachtete der Mann das Team. Seine Haltung wirkte angespannt und sein Gang steif. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, weil die Sonne sie blendete.

Deine Fantasie geht mit dir durch. Das wäre ein zu großer Zufall.

Als sie Alessandro in Athen das letzte Mal gesehen hatte, war er aus ihrem Bett geklettert, in seine Shorts geschlüpft, hatte seine Lippen auf ihre gepresst. Sie hatten sich für abends in der Taverne unten in der Gasse verabredet. Zu diesem Anlass hatte Rose extra ihr neues weißes Leinenkleid angezogen, ein Luxus, den sie sich mit ihrem mageren Budget als Studentin kaum hatte leisten können, und hatte auf ihn gewartet – drei geschlagene Stunden! Erst hatte sie sich Sorgen gemacht, dann war sie sich dumm vorgekommen. Schließlich war sie zu seinem Zimmer im Studentenwohnheim zurückgekehrt und hatte es leer vorgefunden.

Er hatte sie nicht nur versetzt, er hatte sein Zimmer ausgeräumt und Athen verlassen. Das schloss aus, dass er in einen schrecklichen Unfall verwickelt oder irgendwie aufgehalten worden war. Schlimm genug, dass er Schluss gemacht hatte, nach allem, was sie in den letzten Wochen gemeinsam erlebt hatten. Obendrein hatte er sie auch noch drei Stunden lang in der Taverne warten lassen, während er seine Sachen gepackt hatte und ohne ein Wort verschwunden war.

Endlich, fast eine Woche später, hatte er sie angerufen. Es war das schlimmste Gespräch ihres Lebens gewesen.

„Es tut mir leid, Rose, ich musste gehen. Ich kann dich nicht mehr sehen.“

„Du hast gesagt, du liebst mich.“

Das darauf folgende Schweigen war vernichtend.

Schließlich erwiderte er: „Von nun an gehen wir getrennte Wege. Es ist das Beste, wenn wir den Kontakt abbrechen.“

Er hatte sich genau wie ihr Vater angehört.

Und genau wie ihr Vater hatte Alessandro eine andere Frau gefunden. Oder besser gesagt, er hatte sich bereits mit einer anderen getroffen, als er Rose kennengelernt hatte. Wider besseres Wissen hatte sie ihn einige Zeit später in den sozialen Medien gesucht und die Fotos gesehen. Alessandro mit zwei kleinen Kindern im Arm. Rasch hatte sie den Laptop zugeklappt. Mehr wollte sie gar nicht erfahren.

Rose senkte den Kopf, vergewisserte sich, dass ihr Hut ihr Gesicht bedeckte, und machte sich wieder an die Arbeit. Wer auch immer dieser Mann war, der sie beobachtete, er ging sie nichts an.

Sie konzentrierte sich darauf, mit einer kleinen Kelle systematisch Erde zu entfernen, während weitere Erinnerungen bruchstückhaft zurückkehrten. Alessandro hatte ihr erzählt, er sei am Ionischen Meer aufgewachsen, in der Nähe von Korfu, aber er hatte ihr nie gesagt, wo genau. Korfu lag nicht weit nördlich, vielleicht war es also Paxos. Über seine Familie hatte er nicht viel gesprochen. Seine Mutter war gestorben, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, sein Vater gut zehn Jahre später. Er hat einen älteren Bruder, erinnerte sie sich. Und daran, dass er nie wieder auf den Inseln leben wollte.

Er und Rose hatten vorgehabt, gemeinsam um die Welt zu reisen …

Eine Lüge – wie alles, was er ihr erzählt hatte.

Vorsichtig lugte Rose unter der breiten Hutkrempe hervor. Der Mann stieg jetzt den Hügel hinab. Plötzlich wurde ihr ganz flau im Magen. Wie lange war es her, seit sie Alessandro zuletzt gesehen hatte? Dreizehn oder vierzehn Jahre? Dieser Mann besaß eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem, in den sie sich vor einer halben Ewigkeit verliebt hatte.

Er näherte sich Gabriel, ihrem Stellvertreter, und der Wind trug seine tiefe, hallende Stimme zu ihr herüber. Da wusste sie es.

Ihre Kehle schnürte sich zu, und Rose senkte erneut den Kopf. Nichts von dem, was er ihr erzählt hatte, war die Wahrheit gewesen. Nicht sein Plan, Journalist zu werden, nicht sein Wunsch, die Welt zu bereisen, und schon gar nicht die Leidenschaft, die er angeblich für sie empfunden hatte.

Wie dumm sie damals gewesen war! Hatte sich allen Ernstes eingebildet, das zwischen ihnen sei etwas ganz Besonderes.

Jetzt, wo sie älter war, verstand sie sein Spiel: die naive Austauschstudentin verführen, ein paar Wochen lang mit ihr schlafen, ihr etwas vorschwindeln.

Er brachte sie dazu, ihre Träume, Gedanken und Wünsche mit ihm zu teilen, verriet ihr aber nichts über sein wirkliches Leben.

Rose wusste, dass er Shakespeare liebte und die Welt verändern wollte, hatte hingegen keine Ahnung, wo genau er aufgewachsen war. Oder dass er Kinder hatte.

Okay, damals hatte sie angenommen, ihr würde jede Menge Zeit bleiben für die alltäglichen Fragen. Sie war fest davon ausgegangen, ihn wiederzusehen, hatte ihm vertraut.

Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal begehen.

Höchste Zeit, sich das ins Gedächtnis zu rufen, denn jetzt kam er direkt auf sie zu.

Was um alles in der Welt machte er hier? Wollte er über die Ausgrabungen berichten? Na gut, sie würde ihm ein paar Fragen beantworten, ihm sagen, dass die Ausgrabung nur eine Formalität war, die Arbeiten weniger aufregend klingen lassen, als sie waren, dann würde er hoffentlich wieder abziehen. Auf keinen Fall durfte er erfahren, dass sie hoffte, hier den bedeutendsten Fund im Ionischen Meer seit Jahrzehnten auszugraben.

Damals hatte sie eine kurze Rede einstudiert, für den Fall, dass sie ihm jemals wieder über den Weg laufen sollte. Doch selbst wenn sie sich jetzt an diese Rede erinnerte, schien es ihr nicht angemessen, sie vor einem halben Dutzend Kollegen zu halten.

„Rose.“ Gabriel rief ihren Namen, und ihr blieb keine andere Wahl, als aufzustehen, ihren Hut zurückzuschieben und Alessandro mit Würde entgegenzutreten.

Letzteres war gar nicht so einfach, als sie in seine Augen blickte, die dunkel und geheimnisvoll waren wie in ihrer Erinnerung. Mit seinem fast schwarzen Haar und der olivfarbenen Haut sah er genauso attraktiv aus wie damals. Sein klassisches Profil hatte sie von Anfang an fasziniert: die hohen Wangenknochen, das markante Kinn, dichte, dunkle Wimpern. Erschauernd erinnerte sie sich daran, wie er sie unter halb geschlossenen Lidern voller Verlangen angeschaut hatte, wenn sie …

Energisch schüttelte sie den Gedanken ab und atmete tief durch.

„Rose, darf ich dir Alessandro Andino vorstellen?“, meinte Gabriel. „Mr. Andino, Dr. Taylor leitet die Ausgrabung.“

„Mr. Andino.“ Ihr wurde ganz anders, als sie seinen Namen zum ersten Mal seit Jahren aussprach.

„Dr. Taylor“, erwiderte er. Der Klang seiner dunklen Stimme sandte ein heißes Prickeln über Roses Haut. Weitere Höflichkeitsfloskeln sparten sich beide.

Alessandro streckte ihr die Hand hin. Rose schaute darauf, unfähig, ihn zu berühren. Ihr Puls raste. Körperkontakt würde zu viele Erinnerungen an heiße Sommernächte in Athen wachrufen und sie über den Abgrund katapultieren, an dem sie gerade stand.

Sie hob ihre staubbedeckten Hände. „Tut mir leid, aber ich fasse Sie lieber nicht an.“

Etwas blitzte in seinen dunklen Augen auf. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

„Rose, Mr. Andino leitet die Aster-Hotelkette. Er ist es, der auf diesem Grundstück bauen möchte.“

Oh, er arbeitet jetzt in der Hotelbranche? Der Mann, der ihr einmal eine ganze Nacht lang Shakespeares Sonette vorgelesen hatte? Dessen Helden Jane Goodall und Rachel Carson waren? Derselbe Alessandro, der unbedingt die Welt verbessern wollte? Offenbar hatte er sich wirklich sehr verändert. Oder er war ein noch größerer Lügner, als sie geglaubt hatte.

Tja, was hast du denn erwartet? Alles, was er dir je erzählt hat, war eine Lüge. Nichts davon entsprach der Wahrheit.

Alessandro verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Lang gehegte Pläne zerschlugen sich gerade direkt vor seinen Augen. Als die Leute vom Athener Museum vor zwei Wochen bei ihm aufgekreuzt waren, hatten sie gesagt, es würde höchstens eine Woche dauern, die Landfläche zu prüfen und zur Bebauung freizugeben. Eine reine Formalität, weiter nichts. In der Umgebung des Dorfs gab es keine Ruinen, außerdem war dies das Ionische Meer: Die meisten bedeutenden antiken Funde befanden sich im Osten, in der Ägäis.

Das Ionische Meer, so schön es auch sein mochte, war nicht das Epizentrum der antiken griechischen Zivilisation. Zwar existierten allerlei Mythen über diese Gegend, aber das waren einfach nur Geschichten, ohne historische Grundlage. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sich auf dem Stück Land, das sie neben seinem Hotel erworben hatten, irgendetwas von echter Bedeutung verbarg.

Heute waren weitere Personen zu dem Zweierteam hinzugekommen. Das ist gut, sagte er sich; es bedeutete, dass sie eher früher als später fertig werden würden. Trotzdem meldete sich ein nagender Zweifel, der sich zu ernsthaften Sorgen gesteigert hatte, als er auf die Ausgrabung hinuntergeschaut und die Frau entdeckt hatte. Sie war neu, trug einen großen Sonnenhut und eine weiße Bluse und gestikulierte lebhaft zu den anderen.

Sie war zu weit weg, als dass er ihr Gesicht hätte erkennen oder verstehen können, was sie sagte, aber er registrierte an ihrer Körpersprache, dass sie hier der Boss war.

Kurz entschlossen marschierte er den Hügel hinunter zum Ausgrabungsgelände. Beim Näherkommen wehte ihm ihr englischer Akzent entgegen. Sein Herz machte einen Satz. Er hatte schon immer eine Schwäche für englische Frauen gehabt, aber er hatte gelernt, einen großen Bogen um sie zu machen – allen zuliebe.

Eindringlich musterte er die Frau.

Hm, könnte es wirklich sie sein?

Er war nie ein besonders glücklicher Mensch gewesen. Sein Leben war geprägt von harter Arbeit und Pflichtbewusstsein. Aber verabscheuten die Götter ihn so sehr, dass sie sie hierher schickten? Ausgerechnet jetzt?

Ein Mann kam auf Alessandro zu und stellte sich als Gabriel vor. Er gehörte zum Archäologenteam.

„Sie müssen Rose, ich meine Dr. Taylor, kennenlernen. Sie ist für die Ausgrabungen zuständig.“

Dr. Taylor. In den Schock, den er empfand, mischte sich ein anderes Gefühl: Stolz. Die ehrgeizige, leidenschaftliche Studentin, die er gekannt hatte, leitete jetzt eine Ausgrabung.

Gabriel führte ihn zu Rose, die sich aus ihrer knienden Position erhob, um ihn zu begrüßen. Sie klopfte sich den Staub von der Kleidung und rückte ihren Hut zurecht.

Sie ist nervös.

Das sollte sie nicht sein. Er war derjenige, der sie im Stich gelassen hatte. Er sollte nervös sein.

Du hast es getan, um sie zu schützen.

Rose hatte schon immer für die Archäologie gebrannt. Ganz sicher hätte sie ihr Leben nicht auf einer winzigen Insel verbringen wollen, um ihm zu helfen, sich um zwei Kleinkinder zu kümmern.

Im nächsten Moment stand er ihr gegenüber.

Als sie ihren Hut abnahm und er ihr Gesicht sah, das wunderschöne rote Haar zu einem unordentlichen Pferdeschwanz hochgebunden, war er verloren. Er konnte nur noch an die Wärme ihres Körpers denken, an ihre weiche Haut an seiner und den betörenden Duft der Sommernächte.

Die Vorstellungsrunde überstand er wie betäubt, doch als sie seine Hand nicht schütteln wollte, wurde er hart in die Realität zurückkatapultiert. Alessandro schluckte trocken. „Dr. Taylor“, wiederholte er wie ein Idiot.

Sie hatte sich nicht anmerken lassen, dass sie ihn kannte, also würde er sich auch bedeckt halten. Für den Moment erschien es ihm am klügsten, sich an ihre Spielregeln zu halten, denn sie saß am längeren Hebel.

Normalerweise hätte er sich für sie gefreut. Es war ihr großer Traum gewesen, einmal eigene Projekte zu leiten. Doch für ihn bedeutete es, dass sie seine Ansprechpartnerin in dieser delikaten Angelegenheit war, und das war alles andere als ideal.

„Wie können wir Ihnen helfen, Mr. Andino?“

Gott sei Dank kommt sie gleich zur Sache.

„Ich bin hier, um zu schauen, wie die Dinge vorangehen. Das Team scheint sich seit gestern vergrößert zu haben. Ich hatte mit einem Mr. Georgiou zu tun.“

„Er ist noch da, doch er hat das Museum in Athen angerufen, und die haben mich kontaktiert.“

Keine gute Neuigkeit. „Warum, wenn ich fragen darf? Ich dachte, es handelt sich nur um eine Formalität, um die endgültige Baugenehmigung erteilen zu können.“

Sie verzog das Gesicht. „Das mag sein, aber wir denken, dass wir vielleicht etwas von Interesse finden.“

Das hier war Paxos, nicht Olympia oder Delos. „Jeder Archäologe hofft, etwas zu finden.“

„Nun, es handelt sich um mehr als nur eine vage Hoffnung. Es geht um eine fundierte Vermutung.“

„Wie kann das sein?“ Himmel. Hier auf der kleinen Insel, die er sein Zuhause nannte, waren niemals antike Funde gemacht worden.

„Weil die Landvermesser Hügelgräber gefunden haben. Und das Widerstandsmessgerät schlägt an.“

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das so erklären könnten, dass es für jemanden, der kein Experte ist, Sinn ergibt.“ Er hasste die Bitterkeit in seinem Ton, aber er konnte es nicht ändern.

„Es gibt Spuren von organischem Material, Abfallmaterial. Das zeigt, dass hier irgendwann einmal Menschen gelebt haben könnten.“

„Natürlich haben hier Menschen gelebt. Sie leben jetzt hier!“

Sie fuhr fort, ohne seine Bemerkung zu beachten. „Und die geophysikalischen Scans zeigen, dass hier etwas vergraben ist. Verstehen Sie das?“

Er verschränkte die Arme. Natürlich verstand er, was sie sagte. Aber er verstand nicht, warum diese vagen Vermutungen den Bau seines Hotels verzögern sollten.

„Ich erkenne nicht, wie diese Dinge irgendetwas beweisen.“

„Das tun sie auch nicht. Trotzdem müssen wir weitere Nachforschungen anstellen. Und das Kulturministerium wird die Baugenehmigung nicht unterschreiben, bevor ich das Okay gebe.“

Verdammt. Die Entscheidung, ob sein Hotel – oder besser gesagt das Hotel seines Bruders – gebaut wurde oder nicht, lag allein bei der Frau, die er vor Jahren sitzen gelassen hatte? Er konnte sich nicht entscheiden, ob er weinen oder lachen sollte.

Natürlich hatte er an jenem Morgen, als er sie zum Abschied geküsst hatte, nicht geahnt, dass es das letzte Mal sein würde. Hätte er es gewusst, hätte er vielleicht nicht den Mut aufgebracht, zu gehen. Es war schon schwer genug gewesen, sich an einem normalen Tag von ihr zu verabschieden, aber dieser Tag war alles andere als normal gewesen. An diesem Tag hatte sich seine ganze Welt verändert, als seine Großmutter anrief, um ihn über den Unfall seines Bruders und seiner Schwägerin zu informieren. Und darüber, dass seine Nichte und sein Neffe nun verwaist waren, gerade einmal zwei Jahre alt.

Auf dem Rückweg nach Paxos hatte er sich geschworen, dass er dem Leben, das er nun nicht führen konnte, nicht nachtrauern würde. Seine Nichte und seinen Neffen aufzuziehen, hatte er sich nicht ausgesucht, aber ihm blieb keine andere Wahl. Damit musste er sich arrangieren. Manche würden das vielleicht als Verdrängung bezeichnen, doch er nannte es gesunden Menschenverstand und Selbsterhaltungstrieb. Paxos und das Hotelimperium der Familie würden sein Leben bestimmen, also hatte es keinen Sinn, sich Dinge zu wünschen, die einfach nicht sein konnten.

In seine Gedanken hinein sagte Rose: „Wenn wir nichts finden, wird es nicht lange dauern, wahrscheinlich nur ein paar Monate.“

„‚Ein paar Monate‘?“ Die großen Bagger sollten in drei Wochen eintreffen. Und danach die Bauarbeiter und alle anderen. Der neue Flügel des Hotels sollte in neun Monaten eröffnet werden, also im nächsten Frühsommer.

„Das sollte doch keine Ausgrabung werden, nur eine Bestandsaufnahme.“

„Ja, und alles geht umso schneller voran, wenn Sie mich und mein Team eine richtige Ausgrabung durchführen lassen. Es ist wirklich sehr aufregend.“ Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. „In den letzten zwanzig Jahren wurden auf den Ionischen Inseln einige erstaunliche Funde aus der Bronzezeit gemacht, und wenn man sich das hier ansieht …“

„‚Bronzezeit‘?“ Ruinen aus dem klassischen Griechenland zu finden, war schon unwahrscheinlich genug. Aber etwas aus der Bronzezeit? War das ihr Ernst?

„Ja, die Bronzezeit. Die Odyssee, die Ilias. Homer.“

„Bilden Sie sich ein, Sie finden ein neues Troja? Hier?“

„Natürlich nicht, aber die Ionischen Inseln waren der Geburtsort von Odysseus. Man hat einen Königspalast auf Ithaka und weitere Schätze in Pylos entdeckt. Diese Inseln spielten in der Antike eine große Rolle. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass wir etwas finden werden. Odysseus’ Palast, einen Tempel …“

Alessandro lachte. „‚Odysseus‘? Sie suchen den dreitausend Jahre alten Palast eines Mannes, der nie existiert hat?“

Rasch blickte er zu Gabriel, dessen Augen sich im Lauf des Gesprächs ungläubig geweitet hatten. Alessandro musste ihr klarmachen, dass ihr Vorschlag nicht nur sinnlos war, sondern auch seine Pläne für das neue Hotel in Gefahr brachte, wenn sie darauf bestand. Und nicht nur das, es würde auch viele andere Geschäfte auf der Insel gefährden. Paxos war auf Touristen angewiesen, und wenn diese nirgendwo übernachten konnten, blieben den Bars, Restaurants und Bootsausflugsveranstaltern die Kunden aus.

„Kann ich Sie bitte kurz unter vier Augen sprechen?“, fragte er.

„Wozu?“

„Lassen Sie uns in meinem Büro weiterreden. Vielleicht kommen wir doch noch zu einer Einigung. Abgesehen davon ist es dort angenehm klimatisiert, und wir können etwas Kühles trinken. In einer solchen Atmosphäre lässt es sich vernünftiger reden als hier in der sengenden Hitze.“

Damit hatte er sie, das merkte er am plötzlichen Aufleuchten in ihren Augen. Es war mitten am Nachmittag zur größten Tageshitze. Und sosehr Rose auch das Mittelmeer liebte, war sie immer noch eine rothaarige Engländerin mit zartem Teint, der die heiße Sonne zu schaffen machte.

„Eiskaltes Wasser, Eistee, visinada?“

Sie kniff die Augen zusammen. Ja, ich hab sie. Definitiv.

„Na gut, gehen wir.“

2. KAPITEL

Jetzt, als Rose mit ihm allein war, stellte sie fest, dass ihre Handflächen schweißnass waren. Das kalte Getränk war hoffentlich kein leeres Versprechen gewesen, sonst hätte sie ihren Heimvorteil umsonst verspielt. Es war schon schwierig genug, sich mit einem Hotelier auseinandersetzen zu müssen, der sich durch ihre Grabung gestört fühlte. Dass dieser Hotelier sich auch noch als ehemaliger Liebhaber entpuppte, machte die Sache nicht leichter. Wahrscheinlich war es das Beste, dieses Gespräch nicht vor ihrem Team zu führen.

Also folgte sie Alessandro den Hügel hinauf in Richtung des Aster-Hotels. Es war genau die Art von Ort, die sie liebte: eine niedrige, weitläufige Anlage, umgeben von üppigen Gärten, die eher wie ein kleines Dorf wirkte und mit nichts an die mehrstöckigen Betonklötze erinnerte, die überall sonst an den Küsten aus dem Boden schossen. Hoffentlich hatte er nicht vor, eine dieser Monstrositäten zu errichten. Wenn es nach ihr ginge, sollte Paxos seinen authentischen traditionellen Charme und seine unvergleichliche Atmosphäre bewahren.

Schweigend gingen sie nebeneinanderher. Aber wie lange konnten sie dieses Gespräch aufschieben? Nicht das über die Ausgrabung, sondern das andere. Darüber, dass er damals einfach die Stadt verlassen hatte, ohne sie vorzuwarnen.

Alessandro hielt auf ein großes Gebäude mit mehreren Eingängen zu, schloss eine blau gestrichene Tür auf und bat Rose herein.

Im Innern umfing sie angenehme Kühle. Sie seufzte laut auf, was sie sofort bereute. Er brauchte nicht zu wissen, welche Wohltat er ihr gerade bescherte. Aber natürlich hatte er es gemerkt, schließlich kannte er sie gut genug. Grinsend sah er sie an.

Wieder fiel ihr auf, wie wenig er noch mit jenem jungen Mann gemein hatte, den sie als Studentin gekannt hatte. Damals war sein Haar lang und lockig gewesen, die attraktiven Gesichtszüge hinter Bartstoppeln halb verborgen. Seine Kluft hatte aus abgewetzten Jeans und ausgeblichenen T-Shirts bestanden. 

Der Mann, der jetzt vor ihr stand, wirkte äußerst gepflegt, sein Haar war kurz und wellig, die Locken gebändigt. Er war glatt rasiert, was sein markantes Kinn und die sinnlich geschwungenen Lippen noch betonte. Sein weißes Hemd hob seine Sonnenbräune hervor, die dunkle Hose umspannte kräftige Schenkel.

„Möchtest du ein Glas Wasser? Oder visinada, eine Kirschlimonade?“ Jetzt, wo sie allein waren, war er zum vertrauten Du gewechselt.

„Ich weiß, was das ist“, erwiderte sie leise. Visinada hatten sie zusammen getrunken, als sie durch die Straßen von Monastiraki geschlendert waren. Hatte er das schon vergessen? Wahrscheinlich, denn für ihn hatte es nichts bedeutet.

„Ein Wasser wäre schön.“

Interessiert schaute sie sich in dem großen, modernen Büro um. Aus den Fenstern bot sich ein Blick in einen Garten und auf das blaue Meer in der Ferne.

Alessandro verschwand in einem angrenzenden Raum. Rasch spähte Rose hinein. Ihr Blick fiel auf eine Reihe von Tischen, und sie hörte Stimmen. Die Anwesenden begrüßten Alessandro auf Griechisch, aber sie verstand seine Antwort nicht. Augenblicke später kehrte er zurück, bemerkte ihren Blick und schmunzelte. Er reichte ihr ein Glas mit eiskaltem Wasser.

Sie umfasste es dankbar mit beiden Händen und nippte daran, während Alessandro die Tür zu dem angrenzenden Raum schloss.

„Setz dich doch.“ Er wies auf eine Sitzgruppe mit einer eleganten Ledercouch und einem dazu passenden Sessel.

Wenn sie die Couch wählte, würde er sich dann neben sie setzen? Würde sich das genauso anfühlen wie früher? Würde er noch so riechen wie damals? Das plötzliche Verlangen, ihn zu berühren, überwältigte sie, und sie traute sich selbst nicht mehr.

Schluss jetzt! Er war ein Lügner, also war es wichtig, Distanz zu ihm zu wahren. Auch wenn sie fest davon überzeugt war, über ihn hinweg zu sein, was, wenn ihr Körper die Botschaft nicht verstand? Also ging sie besser auf Nummer sicher und wählte den Sessel, was Alessandro mit einem skeptischen Stirnrunzeln quittierte.

Autor

Justine Lewis
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