Verführung der falschen Braut

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Mitgefangen, mitgehangen! Gezwungenermaßen hat Dominique sich auf das böse Spiel eingelassen, Gideon Albury in die Ehefalle zu locken. Und nun weigert der brüskierte Gentleman sich, sie wieder freizugeben. Noch schlimmer: Sie fühlt sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Und sein zorniger Kuss weckt verbotene Sehnsüchte …


  • Erscheinungstag 01.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506724
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“

Die Worte dröhnten durch den Innenraum der kleinen Kirche. Der Honourable Gideon Albury lächelte beim Anblick der verschleierten Frau an seiner Seite. Sie trug eine jungfräuliche Sittsamkeit zur Schau, wie er sie noch nie an ihr erlebt hatte.

Vielleicht glaubte sie, dass sie damit sein Verlangen entfachen würde, aber das tat sie ohnehin und hätte sich dafür nicht eigens wie eine Nonne kleiden müssen. Mit ihrer hinreißenden Figur, den goldenen Locken und den kornblumenblauen Augen war sie von seltener Schönheit. Wenn sie jenen kleinen Kniff anwandte und ihn unter halb gesenkten Lidern ansah, versprachen ihre Augen sinnliches Vergnügen. Dann wurde er stets erregt in Erwartung lustvoller Genüsse. Endlich würde ihn nichts mehr davon abhalten können, alles an ihr zu erkunden.

Allerdings hatte die entzückende Blondine neben ihm ihre Vorzüge keineswegs schamlos zur Schau gestellt. Immerhin handelte es sich um eine Dame, nämlich um die Cousine des Earl of Martlesham. Sonst hätte er auch niemals eine Ehe in Erwägung gezogen, ohne die Zustimmung seines Vaters eingeholt zu haben. Mochte Lord Rotham ihn auch für verdorben halten, so tief war er nicht gesunken, dass er außerhalb seiner Kreise heiraten würde. Jedoch war er noch nie zuvor einer jungen Dame aus gutem Hause begegnet, die solch eine Vollkommenheit ausstrahlte. Einmal hatte er einen flüchtigen Blick auf ihre Knöchel werfen dürfen. Er hatte sie an der schmalen Taille umfasst und an sich halten müssen, um nicht den Ansatz ihrer vollen Brüste mit Küssen zu bedecken. Oh Gott, allein der Gedanke daran machte es schwierig, sich auf die Trauung zu konzentrieren. Die Heiratsurkunde wurde vorgelegt. Gideon kritzelte den eigenen Namen auf das Blatt Papier und sah zu, wie seine Braut ihren Namen neben seinen schrieb. Als sie den Federkiel festhielt, zitterte sie ein wenig. Wahrscheinlich konnte sie durch den verdammten Schleier nicht gut sehen.

Ihr Trauzeuge Martlesham unterschrieb mit einer schwungvollen Bewegung und grinste.„So, das wäre geschafft.“

„Ja, stimmt.“ Gideon lächelte seine junge Frau an. „Ich denke, darauf können wir jetzt verzichten.“

Als er nach dem Schleier griff, hielt sie ihn schnell mit der behandschuhten Hand zurück.

„Noch nicht“, flüsterte sie.

Er lachte.

„Vorsicht, meine Liebe, sonst denke ich noch, dass ich eine prüde alte Jungfer geheiratet habe.“

Er hatte erwartet, ihr herrliches, kehliges Lachen zu hören, doch sie blieb still und fasste ihn lediglich sanft am Arm, während er sie zum Portal führte.

Beim Heraustreten aus dem dunklen Steingebäude blendete ihn der grelle Frühlingssonnenschein die Sicht. Er blieb stehen und wandte sich wieder seiner Braut zu.

„Nun gestatten Sie mir aber einen Kuss, Sie Hüterin von Anstand und Moral …“ Er hob den Schleier. „Großer Gott!“ Er trat zurück, blankes Entsetzen in den Augen, als er in das Gesicht einer ihm völlig Unbekannten schaute.

2. KAPITEL

Dominique blieb regungslos stehen, als sie in das Gesicht ihres schockierten Ehemanns blickte. Darin waren alle Regungen zu lesen, auf die sie sich eingestellt hatte: Entsetzen, Abscheu und Entrüstung. Sie hatte gewusst, welchen Eindruck das Ganze auf ihn machen würde, nachdem er die List erst aufgedeckt hätte. Er fuhr sich mit den Fingern durch das mahagonibraune Haar, da erklang hinter ihnen Max’ boshaftes Lachen.

„Da bist du mir schön auf den Leim gegangen, Albury!“

„Aber ich verstehe nicht, Martlesham. Deine Cousine …“

„Das ist meine Cousine.“

Max lachte erneut, und Dominique empfand Mitgefühl für den Mann, der sie soeben geheiratet hatte. Fassungslosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Dazu hatte er auch jedes Recht. Statt der schönen, sinnlichen Blondine, die er in den letzten beiden Monaten umworben hatte, war er jetzt mit einer zierlichen Brünetten vermählt, die er noch nie im Leben gesehen hatte.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“ Der Pfarrer schaute von einem zum anderen, bevor er dem Earl einen beunruhigten Blick zuwarf. „Lord Martlesham?“

„Nein, nein. Es ist alles in bester Ordnung“, verkündete Max grinsend. „Dem Bräutigam hat es nur angesichts der Tragweite dieses Anlasses die Sprache verschlagen, das ist alles.“ Er wandte sich an die Hochzeitsgäste: „Hier entlang, meine Damen und Herren. Die Kutschen stehen schon bereit.“

„Einen Augenblick!“ Der Mann neben ihr verharrte an Ort und Stelle, schüttelte lediglich ihre Hand ab. „Wo ist Dominique?“

„Mein Gott, Albury, hast du es immer noch nicht begriffen? Du hast sie gerade geheiratet.“ Max versetzte ihm einen Stoß. „Na los. Sonst starrst du hier noch Löcher in die Luft. Komm, wir fahren jetzt zurück nach Martlesham Abbey.“

„Bitte.“ Dominique räusperte sich leise, um ihre Stimme wiederzufinden. „Kommen Sie mit dorthin. Dann werden wir Ihnen alles erklären.“

Stirnrunzelnd griff er nach ihrem Arm und eilte so schnell in Richtung der Kutschen, dass Dominique beinahe rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten. Wie bei Hochzeiten üblich, hatten sich auf beiden Seiten des Wegs Leute versammelt, die sie beglückwünschten. Der Landauer, an dessen Tür das Martlesham-Wappen prangte, war mit Bändern geschmückt. Ohne große Umschweife verhalf Argyl ihr in die Kutsche, stieg nach ihr ein und schon wurde die Tür hinter ihnen zugeworfen. Durchs geöffnete Fenster rief Max:

„Na dann, Gideon. Versuche dein Verlangen bis nach dem Hochzeitsfrühstück zu zügeln. Die Fahrt von hier zur Abbey ist zu kurz, um eine Frau zu beglücken. Ich spreche da aus eigener Erfahrung.“

Peinlich berührt schloss Dominique die Augen. Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, ließen sie das heisere Lachen hinter sich.

„Also hat Max das Ganze eingefädelt.“

Dominique schaute Gideon an. Seine Stimme war zwar ruhig, doch in seinen haselnussbraunen Augen spiegelte sich Zorn wider, so als ob er kurz davor stünde, einen Mord zu begehen. Sie schluckte.

„Ja.“

„Und alle in der Abbey waren eingeweiht, außer mir.“

„Außer Ihnen und … meiner Mutter.“

„Max sagte, dass sie zu schwach sei, um der Trauung beizuwohnen.“

Dominique ließ den Kopf sinken.

„Sie weiß nichts davon. Maman hätte diesem Plan niemals zugestimmt.“

„Also wurde die Frau, die ich für Dominique hielt, engagiert, um mir etwas vorzuspielen?“

Sie nickte.

„Eine Schauspielerin. Agnes Bennet.“

„Eine verdammt gute dazu. Sie hat mich in dem Glauben belassen, dass sie eine Dame wäre. Aber Sie …“ Er verzog die Lippen. „Sie mögen vielleicht Max’ Cousine sein, aber eine echte Dame würde sich niemals für solch … solch einen Unfug hergeben.“

Aus seinem Blick sprach Verachtung. Unmöglich, ihm jetzt zu erklären, warum sie sich auf Max’ ungeheuerlichen Plan eingelassen hatte, denn sie fuhren bereits vor Martlesham Abtei vor. Stumm wartete sie, bis die Kutsche zum Stehen kam und der Diener in Livree ihnen die Tür aufmachte. Ihr Begleiter stürmte zuerst hinaus und bot ihr – übertrieben höflich – die Hand.

„Also gut, Madam. Sollen wir uns zum Hochzeitsfrühstück begeben?“

Niedergeschlagen begleitete Dominique ihn ins Haus.

„Wollt ihr mir jetzt endlich erklären, was zum Teufel hier gespielt wird?“

Gideon blickte im Speisesaal von einem Anwesenden zum anderen. Die Diener hatte man hinausgeschickt. Jetzt waren nur noch die zwanzig Geladenen versammelt, die in den letzten zwei Monaten an Max’ House Party teilgenommen hatten – abgesehen von der blonden Schönheit natürlich. Die Frau, die er für Martleshams Cousine gehalten hatte. Man hatte sie mit dieser kleinen, unscheinbaren Brünetten ersetzt, die jetzt seine Frau war.

Alle standen schweigend da. Niemand achtete auf den festlich gedeckten Tisch mit dem glänzenden Silberbesteck und dem funkelnden Kristall. Alles stand für das Hochzeitsfrühstück bereit. Gideon schaute sich in der Menge um, aber niemand wollte seinen Blick erwidern.

„Es sollte nur ein kleiner Scherz sein, mein Guter“, sagte Max, der sich an der Anrichte ein Glas Brandy aus der Karaffe einschenkte.

„Ich kann nichts Lustiges daran finden“, erwiderte Gideon. Immer noch lächelnd wandte sich Max ihm zu.

„Nein? Seltsam. Ich dachte, das würdest du, wenn man bedenkt, was letztes Jahr in Covent Garden passiert ist.“

„Ah …“ Gideon nickte langsam. „Darum geht es hier also. Du willst es mir heimzahlen, dass ich dir die schöne Diana vor der Nase weggeschnappt habe.“

Jetzt erinnerte er sich wieder. Er war einer von Dutzenden betrunkenen Kerlen gewesen, die sich nach der Aufführung in den Garderoben der Darstellerinnen herumgetrieben hatten. Max hat eine hübsche kleine Operntänzerin umschwärmt, erinnerte sich Gideon, aber sie hatte ihn mehrmals bedeutungsvoll angelächelt und ihm aus ihren mit Kohlstift umrandeten Augen vielversprechende Blicke zugeworfen. Da hatte er gewusst, dass sie sich in die Hände des höchstbietenden Verehrers begeben würde.

„Verdammt, Albury. Ich war seit Wochen hinter diesem Prachtstück hinterher gewesen. Gerade als ich dachte, dass ich sie um den Finger gewickelt hätte, kommst du und wirfst mit deinem Geld um dich.“

Gideon spürte Wut in sich aufsteigen. Es war ein himmelweiter Unterschied, um die Gunst eines leichten Mädchens zu konkurrieren oder den anderen bei der Eheschließung hinters Licht zu führen.

„Und weil ich dich damals übertrumpft habe, hast du dir diese Maskerade ausgedacht?“

„Ja, und ich halte sie für ziemlich gelungen.“ Max stürzte den Brandy hinunter. „Ich habe Agnes Bennett angeheuert, damit sie meine Cousine spielt, und du lagst ihr von Anfang an zu Füßen. Ich musste also nichts weiter tun, als dich davon zu überzeugen, ihr einen Antrag zu machen. Natürlich hat es geholfen, dass dir immer noch die Moralpredigt deines Vaters von letzter Weihnacht zu schaffen machte. Du hast doch nur auf eine passende Gelegenheit gewartet, es ihm heimzuzahlen.“

Das konnte Gideon nicht abstreiten. Er konnte sich nur zu gut an jene letzte unangenehme Begegnung mit seinem Vater erinnern. Sie hatten sich heftig gestritten. In Wahrheit hatte er schon damals keine Lust mehr auf Max’ ständige Spielchen gehabt, aber es hatte ihn auch geärgert, dass sein Vater sich über seine Freunde ausgelassen hatte. Er hatte die Beherrschung verloren und verkündet, dass er von jetzt an nur noch das tun würde, wonach ihm der Sinn stehe. Er erinnerte sich, wie er aus dem Haus gestürmt war und dabei gerufen hatte: „Ich werde mich anfreunden, mit wem ich will. Ich werde tun und lassen, was ich will. Und ich werde heiraten, wen ich will.“

Wie unklug es gewesen war, den ganzen Vorfall Martlesham zu erzählen.

Max fuhr fort: „Du wusstest, dass sich dein Vater über eine Hochzeit mit einer meiner Cousinen ärgern würde. Es hat natürlich nicht geschadet, dass sie solch eine Schönheit war.“

„Konntest es gar nicht abwarten, sie ins Bett zu bekommen, was?“, rief einer von Max’ Kumpanen, ein eitler Geck mit vorstehenden Zähnen namens Williams.

Oh Gott, warum war ihm noch nie aufgefallen, was für ein abstoßendes Grinsen dieser Mann hatte? Max schenkte Brandy in ein weiteres Glas ein und reichte es Gideon.

„Hinzu kam natürlich noch, dass du meintest, du würdest niemals eine Französin heiraten.“

„Ja und?“ Gideon nahm eine angespannte Haltung an.

Max’ Grinsen wurde noch breiter.

„Der Zufall will es, dass es sich bei meiner lieben Cousine um eine waschechte Französin handelt. Nicht wahr, ma petite?“

Die junge Frau, die er soeben geehelicht hatte, antwortete nicht, nickte jedoch leicht mit dem Kopf. Gideon kniff die Augen zusammen.

„Reynolds ist ein englischer Name. Du hast mir gesagt, dass ihr Vorname Familientradition sei.“

„Da habe ich dich zugegebenermaßen hinters Licht geführt, mein Guter. Der Name ist tatsächlich Familientradition, aber er stammt von ihren französischen Vorfahren – nicht von meinen.“ Max’ gehässiges Grinsen wurde noch breiter. „Mein lieber Gideon, du hättest dir die Heiratsurkunde genauer ansehen sollen, bevor du unterschrieben hast. Dann hättest du gesehen, dass der Name ihres Vaters nicht Reynolds, sondern Rainault lautete. Jerome Rainault, ein Weinhändler aus Montpellier. Ein waschechter Franzmann, Albury.“

„Wie bitte?“

Vor Überraschung gab Gideon seine beherrschte Haltung auf. Max’ blassblaue Augen funkelten vor Schadenfreude.

„Du hast schon richtig gehört. Du hast alle Franzmänner zu deinen Feinden erklärt, nicht wahr? Da erschien es mir nur wie ausgleichende Gerechtigkeit, dich mit einer Französin zu verheiraten.“

Bruchstückhaft kam die Erinnerung an die letzte hitzige Diskussion mit seinem Vater zurück.

„Martlesham ist keine gute Gesellschaft“, hatte der gesagt. „Du solltest deine Freunde mit mehr Bedacht wählen.“

Er hatte sich über die Aussage seines Vaters geärgert, doch ihr wahrer Kern traf ihn jetzt umso mehr.

Williams lachte lauthals. „Fürwahr, ein guter Witz. Du wurdest nach Strich und Faden hereingelegt, Albury. Du hast dich Hals über Kopf in Max’ Schauspielerin verliebt, nicht wahr? Heute Morgen hat er die beiden ausgetauscht. Sogar Schuhe mit Absätzen hat er herangeschafft, damit du nicht merkst, dass deine neue Braut kleiner ist als die reizende Agnes.“

Williams wollte seinen Spazierstock unter die Röcke der Braut schieben, doch die wich errötend vor ihm zurück. Die anderen lachten höhnisch, während Gideon innerlich fluchte. Was hatte er dem kindischen Humor dieser Leute jemals abgewinnen können?

Außer sich vor Wut sagte er: „Das geht über einen Scherz hinaus, Martlesham. Diesmal hast du mit dem Schicksal anderer Menschen gespielt.“

Max zuckte mit den Schultern.

„Wir fanden es alle zum Schreien komisch, alter Knabe.“ Er hielt das Glas hoch. „Komm, gib zu, dass wir dich nach allen Regeln der Kunst hereingelegt haben. Dann können wir das Hochzeitsfrühstück genießen, bevor ich den Pfarrer und den Anwalt aus dem Dorf holen lasse, damit sie die Ehe für ungültig erklären. Es gibt schließlich jede Menge Zeugen, die belegen können, dass du getäuscht wurdest.“

Gideon hob das Glas Brandy in seiner Hand und nippte daran. Alle um ihn herum grinsten, alle außer der Braut. Aus ihren Wangen war jetzt jede Farbe gewichen und sie stand bleich und still neben ihm. Dieses schmale dunkelhaarige Mädchen bildete einen absoluten Gegensatz zu der kurvenreichen blonden Frau, die er hatte heiraten wollen. Langsam wurde ihm das ganze Ausmaß der eigenen Narrheit bewusst. Er hatte nicht das Einverständnis seines Vaters zu der Hochzeit eingeholt – als kleine Rache dafür, dass sein Vater ihn bei ihrem letzten Treffen so zurechtgewiesen hatte. Noch nicht einmal Rogers, seinen Anwalt, hatte er verständigt, da der sicherlich darauf bestanden hätte, einen Ehevertrag aufzusetzen. Weil er besessen von der Idee gewesen war, seine Angebetete so schnell wie möglich zu heiraten, hatte er es widerspruchslos hingenommen, als Max ihm versicherte, dass sie sich später mit den üblichen Formalitäten befassen würden. Jetzt kannte er den wahren Grund, und es lief ihm kalt den Rücken hinunter.

Langsam sagte er: „Ich soll zugeben, dass man mich hereingelegt hat und mich vor aller Welt lächerlich machen? Nein, das werde ich nicht.“

Eine gewisse Genugtuung erfasste ihn, als er sah, wie ihnen das Lachen im Halse stecken blieb. Max runzelte die Stirn. Die Braut blickte zu ihm auf. Gideon zwang sich zu einem Lächeln.

„Nein“, sagte er gedehnt. „Irgendwann müsste ich ohnehin heiraten. Deine Cousine ist genauso gut wie jede andere auch, Martlesham. Diese Ehe wird nicht aufgelöst.“

„Nein!“

Atemlos stieß Dominique das Wort hervor. So war das nicht geplant! Flehend schaute sie ihren Cousin an, doch dessen Gesicht glich einer Maske.

„Kommen Sie.“ Gideon streckte die Hand nach ihr aus. „Nehmen wir Platz und genießen wir unser erstes gemeinsames Essen als Mann und Frau.“

Sein Ton gestattete keine Widerrede. Widerwillig begleitete sie den Fremden, der jetzt ihr Ehemann war, zu der Tafel. Allerdings war er ihr gar nicht fremd. In den letzten zwei Monaten hatte sie ihn heimlich beobachtet, wie er lachte, tanzte und die Frau umwarb, die vorgab, sie zu sein. Wie sehr sie sich wünschte, mehr wie die schöne Agnes mit ihrem sinnlichen Lachen und ihrem bezaubernden Lächeln zu sein. Als sie mitbekam, wie sich Gideon in die Schauspielerin verliebte, hätte sie ihr dunkles Haar und ihre grünen Augen am liebsten gegen deren blonde Locken und kornblumenblauen Augen eingetauscht. Dann hätte sie vielleicht einen bewundernden Blick von Gideon auf sich ziehen können. Max hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass sie sich als Dienstmädchen verkleidet hatte, um das Liebeswerben zu beobachten. Im Gegenteil, es hatte ihm gefallen, dass die Angelegenheit durch ihre Maskerade noch delikater wurde. Nach und nach hatte sie sich immer mehr von Gideon Albury angezogen gefühlt. Er war anders als die anderen, überlegter, und ihm fehlte jener niederträchtige Humor, den sie bei Max’ Freunden verabscheute. Zuerst hatte sie den Ausdruck seines schmalen Gesichts für ein bisschen ernst gehalten, aber dann hatte sie entdeckt, wie warm seine Augen strahlten, wenn er lächelte. Mit der Zeit hatte sie gelernt, auf seine Stimme zu horchen, die so dunkel und volltönend war.

Sie hatte sich verliebt.

Wenn jemand ihr gesagt hätte, dass sie ihr Herz an einen Mann verlieren würde, der noch nicht einmal von ihrer Existenz wusste, hätte sie es für unmöglich gehalten. Doch im Laufe der Wochen, in denen sie ihn beobachtet und belauscht hatte, war sie zu der Überzeugung gelangt, dass es mit diesem gut aussehenden jungen Mann mehr auf sich hatte, als es auf den ersten Blick schien. Er tat zwar so, als wäre ihm alles gleichgültig, aber sie hatte den grüblerischen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Manchmal sprach eine flüchtige Traurigkeit aus seinem Blick. Max’ andere Gäste hatten ihr in der Verkleidung als Dienstmädchen oft anzügliche Blicke zugeworfen oder versucht, sie anzufassen, aber Gideon hatte sie nicht angestarrt. Falls er sie überhaupt beachtete, dann behandelte er sie mit einer gedankenlosen Freundlichkeit. Er bedankte sich kurz, wenn sie ihm ein Getränk servierte, oder er tadelte leise seine Freunde, wenn sie ihr gegenüber aufdringlich wurden.

Er war ein wahrer Gentleman, auch wenn er heute nur in verärgertem Ton mit ihr sprach und sie aus seinen haselnussbraunen Augen eisig ansah. Er verachtete sie, aber wenn sie daran dachte, welche Rolle sie in dieser Farce eingenommen hatte, konnte sie es ihm nicht verübeln. Wie würde sie sich fühlen würde, wenn jemand sie so sehr hinters Licht führen würde? Also warum sollte sie enttäuscht darüber sein, dass die pure Geringschätzung aus dem Blick des Bräutigams sprach? Ihr wurde schwer ums Herz, doch es würde nichts nützen, sich diesem Gefühl hinzugeben. Sie hatte eine Abmachung mit Max, und wenn er sich daran hielt, dann wäre diese ganze Maskerade der Mühe wert gewesen.

Dominique brachte während des Hochzeitfrühstücks kaum einen Bissen herunter. Äußerlich betrachtet, schien Gideon sich im Griff zu haben. Er lächelte, scherzte mit seinen Kumpanen und verhielt sich wie der perfekte Bräutigam. Doch als er einen Toast ausbrachte und sich zu ihr drehte, um ihr zuzuprosten, waren seine Augen hart wie Stahl. Ein Schauer der Angst lief ihr über den Rücken.

Endlich war das Essen vorbei, doch ihr Unbehagen blieb. Die Gäste standen auf und kamen in kleinen Gruppen zusammen. Gideon ließ sein Glas klirren und brachte die Versammlung zum Schweigen.

„Carstairs, ich möchte mich in aller Form bei dir bedanken, dass du uns Elmwood Lodge zur Verfügung stellst.“ Er stellte sich hinter ihren Stuhl und legte die Hände auf die Lehne. „Kommen Sie, meine Liebe, es ist an der Zeit, dass Sie sich umziehen, damit wir uns auf den Weg machen können.“

Dominique warf Max einen erschrockenen Blick zu, doch er zuckte lediglich mit den Schultern. Stumm stand sie auf, aber als sie an ihrem Cousin vorbeiging, hielt sie inne. Jetzt würde er doch bestimmt einschreiten. Leise sagte sie: „Das Spiel ist vorbei, Mylord. Ich habe meine Rolle gespielt. Bitte setzen Sie dem Ganzen jetzt ein Ende.“

Zu ihrer Bestürzung ergriff Max lediglich ihre Hand und führte sie sich an die Lippen.

„Erweise mir die Ehre und lass mich dir als Erster gratulieren.“

Fest umklammerte sie seine Hand. Angesichts seines höhnischen Grinsens fühlte sie sowohl Wut als auch Angst in sich aufsteigen.

„Und meine Mutter? Du hast es versprochen.“

Er zog die Augenbrauen noch höher.

„Ich habe dir mein Wort gegeben, oder etwa nicht?“ Er lehnte sich näher und murmelte: „Jetzt geh schon, meine Liebe. Lass deinen Mann nicht länger warten.“

Sie öffnete die Lippen und wollte gerade etwas erwidern, aber da Gideon sich ihnen näherte, verließ sie schnell den Saal.

Vor Wut schäumend, ging Dominique in ihr Schlafzimmer. Sie ärgerte sich nicht nur über Max. Sie hatte sich auf die Scharade eingelassen und konnte sich jetzt, da die Dinge anders als erwartet verlaufen waren, schlecht beschweren. Das Ganze war ihr so einfach vorgekommen, als ihr Cousin es ihr erklärt hatte: Man würde sich einen Spaß erlauben, und sobald der Getäuschte dahintergekommen wäre, würde man die Anwälte rufen lassen, um die vorgetäuschte Ehe aufzulösen. Alles würde sich zum Guten wenden. Nur dass Gideon nicht nach den gleichen Regeln spielte wie Max. Er wollte die Maskerade aufrechterhalten, um sein Gesicht zu wahren, um es ihrem Cousin heimzuzahlen und wahrscheinlich um sie dafür zu bestrafen, dass sie so unverfroren gewesen war, ihn hinters Licht zu führen. Als sie in den Spiegel schaute, verließ sie der Mut. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er tatsächlich dauerhaft mit ihr verheiratete bleiben wollte, aber jetzt blieb ihr keine andere Wahl: Sie musste sich darauf vorbereiten, mit ihm wegzufahren.

Das einzige Kleid, das sie bei sich hatte, war das olivgrüne Promenadenkleid, das sie am Leib trug. Es war nicht neu, aber die Farbe stand ihr gut und durch den eleganten Schnitt und die goldenen Posamentenverschlüsse war es für die Cousine eines Earls angemessen. Der bestickte Spitzenschleier würde den tiefen Ausschnitt bedecken. Sie straffte die Schultern, als sie das Zimmer verließ. Wenn Gideon Albury diese Maskerade fortführen wollte, dann würde er sich mit diesem Kleid abfinden müssen.

Zu ihrer Bestürzung waren alle in der Eingangshalle versammelt und warteten auf sie. Anscheinend wollte jedermann so tun, als ob es sich um eine völlig normale Abschiedszeremonie handelte. Max rannte ein paar Treppenstufen hoch, um ihr feierlich den Arm zu reichen, so als wollte er sie noch einmal vor den Altar führen.

„Ich habe die Zimmermädchen beauftragt, dir eine Truhe zu packen“, flüsterte er. „Ich kann dich doch nicht ohne Hab und Gut gehen lassen.“

Er führte sie zu Gideon, der sie in seiner aufrechten, unerschütterlichen Haltung erwartete. Dominique warf einen flüchtigen Blick in sein Gesicht. Es hätte aus Stein gemeißelt sein können, so kalt und ausdruckslos sah er aus. Einen Schauder unterdrückend, senkte sie den Blick auf seine reich bestickte Weste. Vielleicht hatte er sie eigens für die Hochzeit anfertigen lassen, um seiner Braut zu imponieren. Umso mehr schämte sie sich dafür, dass sie sich auf Max’ niederträchtigen Plan eingelassen hatte.

Unter großem Jubel wurden sie zu der bereitstehenden Reisekutsche begleitet, auf deren Dach die von Max erwähnte Truhe geschnallt war. Nachdem sie eingestiegen waren und die Kutsche sich in Bewegung gesetzt hatte, spürte Dominique, wie Gideon sie leicht an der Schulter berührte.

„Nun, Madam. Möchten Sie Ihren Gästen zum Abschied nicht zulächeln?“

Sie schüttelte seine Hand ab.

„Wie weit wollen Sie diesen Scherz noch treiben, Sir?“

„Scherz?“ Seine Stimme war eisig. „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Madam. Es war Martlesham, der sich einen Scherz erlaubt hat.“

„Und Sie haben es ihm heimgezahlt. Er ist aus allen Wolken gefallen, als sie ihm mitteilten, dass diese Ehe nicht aufgelöst werde.“

„Ja, seine Reaktion war herrlich amüsant.“

„Sie hatten Ihren Spaß, Sir“, sagte sie kühl. „Bitte hören Sie jetzt mit diesem Spielchen auf.“

„Oh, das ist kein Spielchen, Madam. Ich meine das todernst.“

Sie sah zu ihm auf. Als sie seinem unversöhnlichen Blick begegnete, hatte sie das Gefühl, als würde sich eine eiskalte Hand um ihr Herz legen.

„Aber … aber sie hatten nie vor, mich zu heiraten. Sie wollen mich doch nicht ernsthaft als Ihre Ehefrau haben.“

„Warum nicht? Wie ich bereits schon zu Max sagte: Eines Tages hätte ich ohnehin heiraten müssen. Sie sind genauso gut wie jede andere Frau.“ Er schaute sie von oben bis unten an, als wolle er sie mit bloßen Blicken ausziehen. Sie wurde rot vor Scham und spürte, wie sich glühende Hitze in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Zum ersten Mal erkannte sie, dass sie sich auf Gedeih und Verderb in die Hände dieses Mannes begeben hatte.

All ihre Empörung zusammennehmend, antwortete sie: „Das ist ungeheuerlich!“

„Ungeheuerlich hin oder her, Madam. Sie hätten alle Möglichkeiten in Betracht ziehen sollen, bevor Sie diesem Plan zugestimmt haben. Sie haben mich geheiratet – in guten wie in schlechten Tagen. Es gibt keinen Weg zurück.“

Verunsichert durch den Ausdruck blanken Entsetzens in dem Gesicht seiner Begleiterin, schloss Gideon die Augen und gab vor zu schlafen. Er war immer noch außer sich, dass man ihn vor dem Traualtar getäuscht hatte, spürte jedoch auch etwas Mitgefühl für seine Braut. Wie er Max kannte, hatte er dieses junge Ding unter Druck gesetzt, damit es sich seinem Willen beugte. Allerdings hätte die Frau sich in der Kirche zu erkennen geben können, wenn sie tatsächlich etwas gegen diesen Plan gehabt hätte. Nein, so leicht würde er sie nicht davonkommen lassen.

Er fragte sich, was sie wohl in Elmwood Lodge erwarten mochte. Carstairs hätte sich beinahe am Wein verschluckt, als er sich bei ihm dafür bedankt hatte, dass er ihm sein Landhaus angeboten hatte. Da offensichtlich niemand damit gerechnet hatte, dass die Ehe über die Hochzeitszeremonie hinaus andauern würde, waren keine Vorbereitungen getroffen worden. Während alle darauf gewartet hatten, dass die Braut sich umzog, war ein Reiter nach Elmwood geschickt worden, um die Dienerschaft zu unterrichten, dass ein Brautpaar auf dem Weg dorthin war.

Wann genau er dieser Farce nach ihrer Ankunft ein Ende setzen würde, hatte er noch nicht beschlossen.

Als die Kutsche kurze Zeit später die Tore von Elmwood Lodge passierte, war es sofort offenkundig, dass man die Nachricht ihres Erscheinens mit Begeisterung aufgenommen hatte. Die offenen Tore waren mit Bändern geschmückt, und nachdem sie vor dem Haus angehalten hatten, trat ein älteres Paar aus der Tür heraus. Der Mann knöpfte eilig seine Livree zu. Gideon erkannte Chiswick, den Butler. Die Frau neben ihm mit der schneeweißen Schürze und der plissierten Haube war seine Frau und fungierte als Haushälterin der Lodge.

Chiswick eilte die Stufen hinunter, um den Wagenschlag zu öffnen.

„Oh Gott“, murmelte Gideon. „Jetzt wird es ernst.“

„Willkommen, Sir, Madam. Wir freuen uns, Sie in Elmwood Lodge begrüßen zu dürfen.“ Mrs Chiswick drängte ihren Mann fast zur Seite, als sie aufgeregt lächelnd knickste. „Kommen Sie herein. Im Salon stehen Kuchen und Wein bereit, und es brennt ein Feuer für Sie. Wenn wir früher Bescheid bekommen hätten, wären auch die anderen Zimmer für Sie hergerichtet, doch das dauert noch eine Weile. Aber ich habe nach Alice aus dem Dorf schicken lassen, damit sie mir hilft.“

Gideon sprang aus der Kutsche und drehte sich um, um seiner Braut hinauszuhelfen. Sie folgte ihm still und sah blass und benommen aus. Er legte ihre Linke auf seinen Arm und folgte der Haushälterin, die immer noch wie ein Wasserfall redete, ins Haus. Die große, holzverkleidete Eingangshalle hatte man eilig mit Zweigen von immergrünen Pflanzen und Frühlingsblumen geschmückt. Gideon wurde mulmig zumute, denn Chiswick und seine Frau freuten sich offensichtlich sehr darüber, ein frisch vermähltes Paar zu umsorgen. Er spürte, wie Dominiques Finger auf seinem Arm zitterten, und legte gedankenverloren seine Hand auf ihre, um sie ermutigend zu drücken.

Noch mehr Frühlingsblumen zierten den Salon, wo ein Feuer im Kamin brannte und Erfrischungen auf dem Tisch bereitstanden. Gideon wartete, bis ihre redselige Gastgeberin kurz Luft holte, um bestimmt zu sagen: „Vielen Dank, Mrs Chiswick. Wir werden uns selbst einschenken.“

„Sehr gut, Sir. Und …“ Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster. „Dürfen wir Ihre Dienerschaft noch erwarten?“

„Nein, wir sind allein gereist.“

„Ah, natürlich.“

Gideon spürte, wie ihm Hitze in die Wangen schoss, als er ihr verständnisvolles Lächeln bemerkte. Er wagte es nicht, seine Begleiterin anzuschauen, um zu sehen, wie sie auf die Bemerkung reagiert hatte, doch sobald sie allein waren, sagte er: „Ich bitte Sie um Verzeihung. Als Max mir erzählte, dass Ihre Zofe in Martlesham Abbey bleiben würde, um sich um Ihre Mutter zu kümmern, hielt ich es für das Beste, meinen Kammerdiener ebenfalls zurückzulassen. Jetzt erkenne ich, dass ich damit Anlass für die wildesten Spekulationen gegeben habe.“

„Angesichts der Umstände sind es wohl keine abwegigen Spekulationen.“

Dank ihrer gefassten Antwort hatte er nun eine Sorge weniger: Sie würde nicht hysterisch werden. Andererseits hätte ihn das nicht überrascht. Sicherlich fühlte sie sich alles andere als gut damit, sich überhaupt auf diesen Unsinn eingelassen zu haben.

Kühl erwiderte er: „An diesen Umständen, wie Sie es nennen, tragen Sie eine erhebliche Mitschuld.“

„Dessen bin ich mir durchaus bewusst.“

Sie nahm ihren Hut ab, zog sich die Handschuhe aus und öffnete ihren Mantel. Als er ihr die Hände auf die Schultern legte, um ihr die Pelisse abzunehmen, versteifte sie sich, schüttelte ihn jedoch nicht ab. Er stand so dicht hinter ihr, dass er ihr Parfüm riechen konnte: ein sanfter Duft nach Maiglöckchen. Am liebsten hätte er den Kopf noch weiter hinabgesenkt und ihr vielleicht sogar einen Kuss auf den schlanken weißen Nacken gedrückt, den er jetzt sehen konnte.

Irritiert über die eigene Reaktion, zog er sich zurück. Diese Frau bedeutete ihm nichts – wie konnte er überhaupt auf den Gedanken kommen, zärtlich zu ihr zu sein? Aber die Vorstellung blieb in seinem Kopf und verstörte ihn.

Gideon warf den Mantel zusammen mit seinem Paletot über einen Stuhl und legte seinen Hut und seine Handschuhe auf einen kleinen Beistelltisch. Jetzt, da seine Wut nicht mehr so heftig war, wurde er sich ihrer misslichen Lage vollends bewusst. Vielleicht war es noch nicht zu spät, um sie daraus zu befreien. Mit großen Schritten stürmte er aus dem Salon. Als er auf dem Weg durch die Halle den Butler entdeckte, rief er: „Ist die Kutsche schon abgefahren? Schnell, Chiswick!“

„J…ja, Sir. Kaum hatten wir Ihr Gepäck entgegengenommen, war sie bereits fort. Der Kutscher wollte vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein. Es soll ja eine mondlose Nacht werden.“

Gideon riss die Haustür auf und starrte die leere Einfahrt hinunter.

„Aber das war erst vor wenigen Minuten. Wir müssen sie zurückholen. Sie haben doch bestimmt ein Pferd in den Ställen, das wir hinterherschicken können.“

Erstaunt schüttelte der Butler den Kopf.

„Das tut mir leid, Sir. Wir haben nur Bessie, den Haflinger, aber der zieht den Karren und wurde noch nie gesattelt. Vermutlich könnte der alte Adam ihn vor das Gig spannen …“

Gideon starrte in die Abenddämmerung hinaus und erkannte, dass es unmöglich war, die Kutsche jetzt noch einzuholen.

„Wie weit ist es bis in die nächste Stadt oder bis zum nächsten Gasthof?“

Der Butler sah ihn verblüfft an, und Gideon dachte, wie seltsam es wirken musste, dass der Bräutigam anscheinend vor seiner Hochzeitsnacht durchbrennen wollte. Dem Mann die Wahrheit mitzuteilen, wäre jedoch noch unangenehmer gewesen. Deshalb blieb er lieber stumm, während der Butler über seine Frage nachdachte.

„Es gibt keinen Gasthof, Sir, zumindest keinen, der Ihren Ansprüchen nur im Geringsten entsprechen würde. Bis nach Swaffham ist es zu weit, um dort noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen.“

„Ja, natürlich.“ Kopfschüttelnd trat Gideon zurück und begab sich wieder in Richtung Salon. Er konnte sich kaum beschweren. Schließlich hatte er die Kutsche, die sie hierhergebracht hatte, selbst gemietet, und seine Anweisungen waren unmissverständlich gewesen: Man würde sie erst in zwei Wochen wieder benötigen. Er war davon ausgegangen, dass er die Flitterwochen mit seiner betörenden jungen Braut in vollen Zügen genießen würde. Jetzt fand er sich mitten im Nirgendwo wieder, und zwar mit einer Frau, der er bis zum heutigen Tage noch nie begegnet war. Eine ehrbare junge Frau noch dazu, auch wenn sie eine wichtige Rolle in dieser Scharade gespielt hatte. Zur Hölle mit Max und seinen Spielchen!

3. KAPITEL

Zurück im Salon, fand Gideon die besagte Dame das Zimmer auf und ab wandernd vor. So besonnen, wie es ihm möglich war, sagte er: „Es sieht so aus, als ob wir hier festsitzen, zumindest bis morgen früh.“

„War das nicht Ihre Absicht?“

Als sie ihn wutentbrannt ansah, runzelte er die Stirn.

„Nein, ich habe nichts geplant. Dazu war ich viel zu verärgert.“

„Und jetzt?“

„Jetzt habe ich erkannt, dass es besser gewesen wäre, wenn wir in Martlesham Abbey geblieben wären.“ Er hielt inne. „Wir stecken in einem ganz schönen Schlamassel.“

Sie seufzte. „Ich weiß.“

Er blickte auf den gedeckten Tisch.

„Sollen wir uns setzen?“ Als er einen Stuhl für sie hervorzog, durchfuhr ihn der Gedanke, dass sie wie zwei Katzen misstrauisch umeinander herumschlichen. Nachdem sie Platz genommen hatten, füllte er die beiden Gläser und schob eines in ihre Richtung. „Warum haben Sie Max’ absonderlichem Plan zugestimmt? Sie erwecken nicht den Eindruck, als würden Sie Ihre Zeit mit solchen Spielchen verbringen.“

„Das tue ich auch nicht.“ Sie legte ein Kuchenstück auf ihren Teller und zerteilte es in kleine Stücke.

„Hat er Ihnen Geld geboten?“

„So etwas Ähnliches.“

„Aber Sie sind seine Cousine.“

„Eine verarmte Cousine. Meine Mutter kam vor zehn Jahren mit mir nach England und wurde von ihrem Bruder, Max’ Vater, aufgenommen. Als Max das Anwesen und den Titel erbte, trug er auch die Verantwortung für uns. Seitdem haben wir von seiner Mildtätigkeit gelebt. Vor ein paar Monaten hat Max uns in einem Cottage in Martlesham Village untergebracht.“ Sie spielte mit den Krümeln auf ihrem Teller. „Er hat versprochen … Wenn ich mich auf seinen Plan einließe, würde er das Haus meiner Mutter überschreiben und ihr bis ans Ende ihres Lebens eine Rente zahlen.“

„Und dafür waren Sie bereit, einen fremden Mann zu heiraten.“

Bei diesen Worten schaute sie zu ihm auf. Verärgert sagte sie: „Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, auf die Mildtätigkeit eines anderen angewiesen zu sein? Zu wissen, dass alles, was man hat, einem anderen gehört?“

„Das weiß ich in der Tat, denn ich bin kein erstgeborener Sohn. Über viele Jahre hinweg war ich von der finanziellen Unterstützung meines Vaters abhängig.“

Ihre Blicke verschränkten sich kurz, bevor sie wieder wegschaute und mit ruhiger Stimme fortfuhr: „Max versicherte mir, dass nach der Trauung alles vorbei sei. Er sagte, dass die Ehe für ungültig erklärt würde, sobald der Plan aufgedeckt sei.“

„Zur Hölle mit ihm!“ Abrupt stand Gideon auf und ging zum Fenster. Da es draußen schon stockfinster war, sah er nur seine eigene verdrießliche Miene. „Die Diener müssen gewusst haben, dass die Frau, die ich für Martleshams Cousine hielt, eine Betrügerin war.“

„Ja. Max hat damit gedroht, dass er jeden, der bei der Sache nicht mitspielen würde, entlassen werden würde.“

Er drehte sich wieder um und blickte ihr ins Gesicht.

„Und Ihre Mutter? Wird Max ihr das alles erklären?“

„Das bezweifle ich.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Max denkt für gewöhnlich nur an Dinge, die ihn unmittelbar betreffen.“

„Aber wird sie sich keine Sorgen um Sie machen?“

Sie blickte auf ihre Hände, die zusammengefaltet auf ihrem Schoß lagen.

„Ich hinterließ ihr eine Nachricht, in der steht, dass ich für ein paar Tage in Martlesham Abbey bleiben würde.“

„Und damit wird sie sich zufriedengeben?“

Sie neigte den Kopf noch etwas tiefer.

Maman hat ihre eigenen Sorgen. Ihr wird nicht auffallen, dass etwas nicht stimmt.“

Gideon trank seinen Wein aus und schenkte sich ein weiteres Glas ein. Als er es hob, fiel sein Blick auf Dominique – beinahe zuckte er zusammen. Er musste sich daran gewöhnen, sie so zu nennen. Sie hatte kaum vom Wein getrunken, und der Kuchen lag zerkrümelt auf ihrem Teller. Gideon spürte einen Funken Mitgefühl für sie.

Autor

Sarah Mallory
Schon immer hat die in Bristol geborene Sarah Mallory gern Geschichten erzählt. Es begann damit, dass sie ihre Schulkameradinnen in den Pausen mit abenteuerlichen Storys unterhielt. Mit 16 ging sie von der Schule ab und arbeitete bei den unterschiedlichsten Firmen.
Sara heiratete mit 19, und nach der Geburt ihrer Tochter entschloss...
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